Erntedank – ein mögliches Fest Neue Aspekte zu einem beliebten und doch schwierigen Fest Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, vorgelegt von Philipp Beyhl aus Bayreuth Heidelberg 2007 Inhalt 1. Einleitung 2. Forschungsgeschichtlicher Überblick 3. Thema und Aufbau der Arbeit A Erntedank gefeiert 4. Erntedank – eine phänomenologische Betrachtung 4.1 Erntedank als Naturfest und Ausdruck der Kreatürlichkeit des Menschen 4.2 Erntedank als Übergangsfest zwischen Sommerzeit und Herbstzeit 4.3 Die Stellung des Menschen innerhalb der Schöpfung 4.4 Dankesgaben und Erntegaben 4.5 Kreative Vielfalt 4.6 „Wir pflügen und wir streuen“ – das Liedgut zum Erntedank 4.7 Die Predigt 4.8 Das Abendmahl 4.9 Der Charakter des Gottesdienstes – ein Resümee 5. Erntedank als Aufgabe und Herausforderung der familia Dei 5.1 Kurze Darstellung der Entwicklung des Familiengottesdienstes 5.2 Familiengottesdienst als Ausdruck der kreativen Vielfalt der Gemeinde 5.3 Die Problematik des Familiengottesdienstes als Zielgruppengottesdienst 5.4 Familiengottesdienste am Erntedankfest 5.5 Resümee 6. Brauchtum – Liturgie des Volksglauben 6.1 Hinführung 6.2 Charakteristika des Brauchtums Gemeinschaft – Brauchtum als biblia pauperum – Verleiblichung und Verinnerlichung – Grammatik des Handelns 6.3 Brauchtum zum Erntedankfest 6.3.1 Erntekranz und Erntekrone 6.3.2 Erntegaben 6.3.3 Ernteprozessionen 6.3.4 Erntefeste 6.3.5 Erntetanz 6.4 Resümee 7. Exkurs: Die amerikanische Thanksgiving-Tradition 7.1 Geschichtliche Entwicklung 7.2 Thanksgiving und die Kirchen 7.3 Symbole und Traditionen 7.4 Ansprache zu Thanksgiving von Chaplain Doug Wootten 7.5 Resümee 8. Liturgische Texte zum Erntedankfest 1 8.1 Evangelisches Gottesdienstbuch 8.2 Katholische Liturgie 8.2.1 Die Texte der Herbstquatember 8.2.2 Messbuch der katholischen Kirche 8.2.3 Das Benediktionale 8.3 Resümee 9. Die Lieder zum Fest 9.1 Evangelisches Gesangbuch 9.1.1 „Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit“ EG 502 9.1.2 „Die Ernt ist nun zu Ende“ EG 505 9.1.3 „Wir pflügen und wir streuen“ EG 508 9.1.4 „Herr, die Erde ist gesegnet“ EG 512 9.1.5 „Das Feld ist weiß“ EG 513 9.2 Neuere geistliche Lieder 9.2.1 Horst Bracks „Gottes Geist setzt in Bewegung“ 9.2.2 Kurt Rommel „Wir danken dir, o Gott, für unser täglich Brot“ 9.2.3 „Wir pflügen und wir streuen“ in neuer Gestalt 9.3 Resümee 10. Entstehung und Stellung des Erntedankfestes im Kirchenjahr 10.1 Kurzer geschichtlicher Abriss 10.2 Die Stellung des Erntedankfestes im Kirchenjahr 10.2.1 Der Herbsttermin 10.2.2 Michaelis 10.2.3 Die Nähe zum Gedenktag des Franz von Assisi 10.2.4 Die Nähe zum Tag der Deutschen Einheit – das Erntedankfest und die Politik 10.3 Resümee B Erntedank gepredigt 11. Exegetische Erwägungen zu 2. Kor 9, 6-15 12. Exegetische Erwägungen zu Lk 12, 13-21 13. Predigtmeditationen zu 2. Kor 9, 6-15 13.1 Predigtstudien 13.2 Göttinger Predigtmeditationen 14. Predigtmeditationen zu Lk 12, 13-21 14.1 Predigtstudien 14.2 Göttinger Predigtmeditationen 15. Predigten zu 2. Kor 9, 6-15 15.1 Vertrauen ist der Anfang von allem: Jörg Arndt zum Erntedankfest 2004 15.2 Den Reichtum mit-teilen: Paul-Ulrich Lenz zum Erntedankfest 2004 15.3 Leben heißt teilen: Bettina Lezuo zum Erntedankfest 1998 2 16. Predigten zu Lk 12, (13+14) 15-21 16.1 Du hast uns Leib und Seel gespeist: Rainer Lawrenz zum Erntedankfest 2003 16.2 Erntedenkfest: Uwe Wiegand zum Erntedankfest 2003 16.3 Teilen als Empfangen: Dorothea Zager zum Erntedankfest 2003 17. Resümee Predigen am Erntedankfest C Erntedank gegründet 18. Ernte im biblischen Zeugnis 18.1 Ernte im Alten Testament 18.2 Erntefeste im Alten Testament 18.3 Resümee 18.4 Ernte im Neuen Testament 19. Dank im biblischen Zeugnis 19.1 Dank im Alten Testament 19.2 Dank im Neuen Testament D Erntedank feiern 20. Gott als Geber aller Gaben 20.1 Gott der Schöpfer 20.2 Gott der Erretter 20.3 Gott der Vollender 20.4 Erntedank als Feier der Güte des dreieinigen Gottes 21. Der Mensch als Empfänger der Gaben 21.1 Erntedank ist Annahme 21.2 Erntedank ist Freude 21.3 Erntedank ist Lobpreis 21.4 Erntedank ist Gemeinschaftshandeln 21.5 Erntedank ist Mitteilung 21.6 Erntedank ist hoffende Dankbarkeit 22. Vom Dankenlernen und Nichtdankenkönnen 23. Konkretionen für die Praxis 24. Resümee: Erntedank – ein mögliches Fest 3 1. Einleitung Es ist nicht zu übersehen, dass sich am ersten Sonntag im Oktober trotz zunehmender Marginalisierung des landwirtschaftlichen Sektors und abnehmender ländlicher respektive bäuerlicher Traditionen und Kultur immer noch Menschen zahlreich in den Kirchen versammeln, um ein Fest zu feiern, das dem Namen nach den Dank für die Ernte zum Inhalt hat. Festlich geschmückte Altäre bzw. Altarräume, zum Teil aufwändig gestaltete Abendmahls- oder Familiengottesdienste und große Resonanz derselben bei allen Altersgruppen zeugen von der Verwurzelung dieses Festes im Bewusstsein der Kirchgänger. So zeigt auch die dritte EKDErhebung über Kirchenmitgliedschaft „Fremde Heimat Kirche“, dass für die Gottesdienstbesucher, die „nur bei den großen kirchlichen Feiertagen und bei familiären Anlässen“ den Weg in die Kirche antreten, der Erntedanktag zu diesen großen Festen gehört.1 Seine Präsenz im Kirchenjahr ist trotz einer allseits konstatierten zunehmenden Säkularisierung unserer Gesellschaft und zunehmender weißer Flecken auf der kirchlichen Landkarte in keiner Weise gefährdet, wie es unter Umständen für den Buß- und Bettag gelten kann. Die Kirchengemeinden haben an dieser Entwicklung insofern Anteil, als dass sie dem Fest eine immer größere Bedeutung zukommen ließen, es stärker in die gottesdienstliche Praxis integrierten und dabei, der gesellschaftlich und wirtschaftlich veränderten Situation Rechnung tragend, versuchten, die bäuerliche Oberhoheit durch eine Öffnung zu allen Altersgruppen und sozialen Schichten hin zu durchbrechen. Erntedank – das ist das Herbstfest schlechthin, der kirchenjahreszeitliche Höhepunkt nach der sommerlichen Durststrecke der Sonntage nach Trinitatis und vor der novemberlichen Depressionszeit, die erst durch den Advent erlöst wird. Die Entwicklung des Erntedankfestes zu beobachten macht Freude, zeugt sie doch von der anhaltenden Relevanz gottesdienstlicher Praxis für die Lebenswirklichkeit des Einzelnen wie der Gemeinde. Bei all der Freude aber über die breite Rezeption des Festes bringt Heinz-Günter Beutler-Lotz die Ambivalenz der Gefühle hinsichtlich des Festes zum Ausdruck: „Wofür soll ich danken? Für meinen Erfolg? Mir ist nichts zugefallen, einfach in den Schoß, für alles habe ich bezahlt und hart dafür gearbeitet. Dass ich heute gut dastehe, ist mein Verdienst und ganzer Stolz.“2 Dass man dankt, scheint klar, denn in allen Völkern, Kulturen und Religionen lassen sich Erntedankfeste feststellen, wird das Urbedürfnis des Menschen sichtbar, Gott, himmlischen Mächten oder Mutter Erde für den Ertrag der Arbeit zu danken. In diesem Dank lag die Anerkennung der Tatsache, dass für eine ausreichende Ernte viele verschiedene Kräfte 1 Vgl. Fremde Heimat Kirche, S. 385f. Hier erscheint das Erntedankfest zwar nicht in der Bedeutung wie Weihnachten, wohl aber in großer Nähe der Besucherzahlen von Karfreitag, Ostern oder Pfingsten. 2 Beutler-Lotz, Sprechszene: Wofür soll ich danken, S. 74. 4 zusammenwirken müssen: angefangen von gutem Saatgut, über die Fruchtbarkeit des Bodens, harte menschliche Arbeit, ausreichend Regen und Sonne und vieles mehr. Ihrer gedachte man und sah sich zugleich stets abhängig, dankbar höheren Mächten ergeben, nach deren Ratschluss sich Leben und Sterben, Werden und Vergehen richteten. Anstelle dieses Bewusstseins ist seit dem 19. Jahrhundert eine – zumindest im westlichen Kontext – weitgehende Unabhängigkeit von der landwirtschaftlichen Produktion getreten, die den einst untrennbaren Zusammenhang des Erntedankfestes und der Ernte, der Abhängigkeit der Ernte vom Wetter und vor allem der Unverfügbarkeit der Fruchtbarkeit sukzessive auflöste. Freilich, die Erfahrung, für den Lebensunterhalt mitunter hart arbeiten zu müssen und im Hinblick auf Arbeitsstelle und Lohntüte von vielen verschiedenen Faktoren abhängig zu sein, ist geblieben. Aber diese Erfahrung ist abstrakter geworden und aufgrund eines Systems der sozialen Absicherung in Deutschland nicht mehr in dem Maße existentiell als sie es zum Beispiel für einen Bauern vor 100 Jahren war, den eine verhagelte Ernte in die bitterste Armut treiben konnte. Darüber hinaus wird diese Abhängigkeitserfahrung immer weniger mit transzendenten Kräften in Verbindung gebracht, sondern als Ursache für Erfolg und Misserfolg die eigene Person, das soziale Umfeld, die (unzulänglichen) Bemühungen der Politiker, die Folgen der Globalisierung oder die Erziehung seitens der Eltern hoch gehalten.3 Die Kirche hat diese Entwicklung in unterschiedlicher Weise versucht zu verarbeiten. Großer Beliebtheit erfreute sich, dieser neuen Situation mit einer z.T. provokativen Modernisierung des Erntebegriffs zu begegnen. Es stellte sich weiterhin die Frage „Wofür danken wir Gott?“, aber diese Frage führte in den Sechziger Jahren weg von den mit Kürbissen und Kohlköpfen geschmückten Altären hin zu Auswüchsen wie einem mit Industrieprodukten (Autoreifen, Büchern, Antibabypille etc.) dekorierten Kirchenraum.4 Oder klassische Erntedanklieder wie „Wir pflügen und wir streuen“ wurden umgedichtet zu neuen, zeitgemäßeren Liedern, die auch die Lebenswirklichkeit der heute in den Gemeinden lebenden Menschen in den Blick nahmen: „Auch Autos und Maschinen, die kommen her von Gott“.5 Damit einher ging oftmals das Bemühen, durch aufklärerische, kritische Predigten eine naive Erntedank-Frömmigkeit, die sich einer Natur- und Ernteromantik aus Kindheitstagen verdanke, und eine wenig mit dem protestantischen Bildungsideal kompatible „Schrebergärtnermentalität“ aus der Kirche hinauszureden.6 Ein weiterer Weg aus dem Dilemma bestand – die ökologische Krise der Achtziger Jahre verstärkte dies noch – in einer zunehmenden „Ethisierung“ des Festes. Der Blick wendete sich 3 Vgl. Reich, Die Beteiligung der Gemeinde, S. 790. Vgl. von Issendorf, Erntedankfest – eine schwierige homiletische Situation, S. 20. 5 Karlheinz Geil, zitiert nach: Martin Gotthard Schneider, Gerhard Vicktor (Hg.), Alte Choräle – neu erlebt. Kreativer Umgang mit Kirchenliedern in Schule und Gemeinde, S. 200. 6 Vgl. Öffner, Feier des Brots und des Lebens, S. 19. 4 5 nun vom eigenen Wohlstand auf die Menschen, denen ein solches Glück nicht beschieden war, und schloss die Frage an: „Was kann ich in meinem Reichtum gegen die Armut der anderen tun?“ Fragestellungen solcher Art – zweifelsohne wichtig und sinnvoll und geboten – führten zu Betrachtungen und Anprangerung des ausbeuterischen Verhaltens gegenüber ärmeren Ländern und ebenso gegenüber der Natur. „Der Triumphalismus, mit dem einst die Erntefeste gefeiert wurden,“ stellt Bernhard von Issendorf nüchtern fest, „ist uns vergangen.“ Und folgert zugleich: „Es wäre zu überlegen, ob die Kirchen diesen Erntetag nicht in Betonung des Bußgedankens zum Fastentag erheben sollten.“7 Im Angesicht dieser zunehmend ethischen Bedeutung des Erntedanktages beschreibt Gertrud Wagemann die Gefühle bezüglich dieses Festes: „So beschleicht uns am Erntedanktag eher das Gefühl der Scham, dass wir immer satt werden, während irgendwo Menschen hungern.“8 Ein anderer Weg bestand in der Öffnung des Festes hin zu anderen Gottesdienstformen in der Hoffnung, nicht nur neues Publikum in sich leerende Kirchen zu bewegen, sondern auch neue Impulse zur inhaltlichen Füllung des Festes zu erreichen. Es mehrten sich Familiengottesdienste und damit die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in die Feier des Dankes. Im Mittelpunkt standen Betrachtungen über die Schönheit und Einzigartigkeit der Natur, über das Natürliche, das überall in der Umwelt Vorfindbare, symbolisiert durch Natürliches in der Kirche, inhaltlich vergegenwärtigt durch die Saat-Ernte-Metaphorik. Das Erntedankfest wurde zu einem Fest, das sich einmal im Jahr nicht mit zum Teil schwer nachvollziehbaren theologischen Topoi beschäftigte, sondern die Natürlichkeit und Kreatürlichkeit des Menschen in den Blick nahm und das Erleben der Schöpfung im kirchlichen Kontext ermöglichte. Darin erweist sich zugleich die Problematik des Erntedankfestes als Naturfest in einem heilsgeschichtlich geprägtem Kirchenjahr. Dies und die Tatsache, dass wir uns in einem Kontext bewegen, der mit dem Begriff „Ernte“ in der Regel sehr wenig zu tun hat, dessen ursprünglich agrarische Bedeutung uns mehr und mehr entzogen ist, lassen Manfred Josuttis feststellen: „Erntedank – ein unmögliches Fest.“9 An Weihnachten scheint es klar, dem Kind in der Krippe zu huldigen, wie es die Hirten in Lk 2 tun, an Karfreitag ist es selbstverständlich mit Mt 27 des Kreuzes zu gedenken oder drei Tage später in den Osterruf der Jünger einzustimmen „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden“. Selbst Christi Himmelfahrt und das Pfingstfest sind, in all ihrer Unnahbarkeit, zumindest durch biblische Geschichten konkret erfassbar. Eine solche biblische, auf das Leben Jesu oder die Anfänge der Kirche zurückgehende Gründungsgeschichte liegt dem Erntedankfest nicht zu Grunde, weswegen es Hörerinnen und Hörern nur schwer möglich ist, das Proprium 7 Issendorf, S. 22f. Wagemann, S. 81. 9 Vgl. Josuttis, Erntedank – ein unmögliches Fest, S. 208-217. 8 6 dieses Tages im Voraus zu erfassen. Inhaltliche Anhaltspunkte bilden lediglich der Begriff „Erntedank“ und die bisher gemachten Erfahrungen an diesem Tag.10 Und dennoch erfreut sich das Erntedankfest heute einer neuen Beliebtheit und einer wachsenden Priorität gegenüber anderen Festen im Kirchenjahr. Neu in dem Sinne, dass es seine Bedeutung in der Lebenswirklichkeit der Gläubigen zurück gewinnt und zu einem Hochfest des gottesdienstlichen Jahres erhoben wird. Neu, weil es weniger dem Ruf „ad fontes“ folgt, sondern sich aus der Tradition heraus neu gefunden bzw. erfunden zu haben scheint und sich so stärker als manch anderes Fest dem Kontext der Feiernden öffnet. Das Erntedankfest tritt in gleicher Weise auch in Konkurrenz und Opposition zu den anderen kirchlichen Hochfesten. Konkurrenz, weil es ein Angebot bereit hält, das immer mehr Menschen den klassischen Hochfesten des Kirchenjahres vorziehen. Die Opposition des Festes liegt darin begründet, dass es seine inhaltliche Ausrichtung nicht z.T. schwer nachzuvollziehenden existentiell-heilsgeschichtlichen Ereignissen als vielmehr „einleuchtenderen“ existentiellnaturreligiösen Bedürfnissen zu verdanken scheint und sich so einer größeren Anzahl derer öffnet, die den biblischen Überlieferungen ferner stehen oder keinen rechten Zugang zu ihnen gefunden haben. Die Anerkenntnis, im Leben von einem Schöpfergott abhängig zu sein, ist für viele leichter einsichtig als ein ans Kreuz genagelter, in seiner Hilflosigkeit rettender Gott. So ist das Erntedankfest auch gekennzeichnet durch eine niederschwellige und unverfängliche Ausrichtung, mit dem Unterschied, dass hier keine biblische Überlieferung umgedeutet oder ausgeblendet werden muss. Das Erntedankfest verdankt sich eben nicht einem Ereignis vor 2000 Jahren in einer mir fremden Zeit, an einem mir fremden Ort, aus einem mir fremden Kontext heraus, sondern setzt an in der Zeit, in der ich lebe, dem Kontext, in den ich eingebunden bin. In gleicher Weise gründet es nicht in einer mir fremden Geschichte, sondern in dem ureigenen Bedürfnis, Gott für das über das Jahr Empfangene danken zu wollen. So steht der Erntedanktag vornehmlich vier Problemkreisen gegenüber, die Pfarrer(in) und Gemeinde vor neue Herausforderungen stellen: 1) Es ist das Faktum der zunehmenden Auflösung des Zusammenhangs von Arbeit und Ernte im ursprünglichen Sinn, dass Ernte heute keine existentielle Bedeutung mehr zu haben scheint und gar nicht erst in das Bewusstsein tritt. 2) Hinzu kommt die zunehmende Loslösung von Ernte als von Gott geschenktem und persönlich erarbeitetem Lebensunterhalt, die uns in ein ganz anderes Abhängigkeitsverhältnis drängt als es ursprünglich der Fall war. Der Weg von Gott über den Ernteertrag zum Bauern, vom Bauern zum Großhändler, vom Großhändler über den Supermarkt auf meinen Tisch ist ein 10 Wohl gibt es atl. Texte zu Erntefeiern (Lev 23; Dtn 16; Neh 8 oder Joel 2) und auch die Erntemetaphorik des Neuen Testaments weist auf diese Thematik, jedoch sind sie nicht in dem Maße im kollektiven Gedächtnis der Gemeinde verankert wie die den übrigen Festen zugeordneten biblischen Erzählungen. 7 langer Weg, auf dem „Ursprung und Garant“ der Ernte nach christlichem Verständnis leicht in Vergessenheit geraten kann. Somit scheint die Rolle Gottes in diesem Geschehen neu überdacht werden zu müssen. 3) Damit einher geht auch die deutlich zu Tage tretende Loslösung des Festes aus einem heilsgeschichtlich angeordneten Kirchenjahr. Das Fest scheint isoliert, ohne Kontext, ohne Beziehung zu den übrigen Sonn- und Festtagen des Kirchenjahrs. 4) Und schließlich sind es die sich ändernden gesellschaftlichen, lokalen wie globalen Lebenswirklichkeiten der Menschen innerhalb der Gemeinde, die den Feiernden vor eine neue Herausforderung stellen. Es ist die zunehmend auseinandergehende Schere zwischen Reich und Arm, Hungernden und Satten, die in den letzten 40 Jahren durch ihre mediale Präsenz immer stärker in das Bewusstsein getreten ist. Aus dem Fest einer dankbaren Freude kann schnell ein Fest des schamhaften Eingeständnisses der eigenen Schuld am Elend Dritter, ein Fest der reuigen Selbstrechtfertigung oder wirklich ein Fest des Drängens respektive der Bedrängnis werden. Um einen Zugang zur Feier dieses Festes zu gewinnen, ist es also von Nöten, sich diese vier Problemkreise vor Augen zu halten. Es ist unumgänglich, sich ihrer bewusst zu werden unter dem Gesichtspunkt, wie das Erntedankfest heute begangen wird und worin die Schwierigkeiten bestehen, sich ihnen also anzunähern mit den Fragen „Wie wird das Fest heute gefeiert?“, „Warum sollen wir es feiern?“ und „Wie können wir es angesichts der offensichtlich nicht gerechten Verteilung der Güter angemessen feiern, ohne dabei zynisch oder sarkastisch zu erscheinen?“. Die Frage jedoch, auf die alles hinausläuft, ist die nach der Relevanz des Festes und damit, was der gottesdienstlichen Landschaft über eine bunte, freudige, generationenübergreifende Schöpfungsfeier hinaus fehlen würde, müsste man auf das Erntedankfest verzichten. 2. Forschungsgeschichtlicher Überblick Obwohl sich das Erntedankfest, wie bereits konstatiert, einer neuen und zunehmenden Beliebtheit erfreut, ist die praktisch-theologische Auseinandersetzung mit diesem Fest weitgehend auf Gottesdienstmodelle und Predigtmeditationen beschränkt. Die Lexika-Artikel können dabei allenfalls ob ihrer Kürze als Randnotizen bzw. Anmerkungen verstanden werden. Anders als im Blick auf die anderen großen Festtage wie Weihnachten oder Ostern, spielt das Erntedankfest in der Heortologie kaum eine Rolle. In den letzten zwei Jahrzehnten – also inmitten der Renaissance des Erntedankfestes – widmeten sich lediglich drei Aufsätze ausführlicher der Thematik des Erntedank und deren Komplexität. Manfred Josuttis stellt 1989 nüchtern wie provokativ fest: „Erntedank – ein unmögliches Fest“, drei Jahre später stellt Eberhard Winkler 8 praktisch-theologische Überlegungen zum Erntedankfest an und im gleichen Jahr, 1992, veröffentlicht die Zeitschrift für Gottesdienst und Praxis Ernst Öffners Artikel „Feier des Brots und des Lebens“ mit dem vielsagenden Untertitel „Zur Auferweckung des Erntedankfestes“. Seitdem ist es vergleichsweise ruhig geworden um das Erntedankfest – zumindest, was die praktisch-theologische Literatur hierzu angeht.11 2.1 Manfred Josuttis: Erntedank – ein unmögliches Fest12 Das Erntedankfest ist für Manfred Josuttis schon allein deshalb ein unmögliches Fest, weil es theologisch die Ordnungsprinzipien von theoretischen Konzeptionen sprenge, „ob sie das Kirchenjahr nun christologisch als Folge von Herrenfesten oder kosmologisch von solaren und lunaren Naturrhythmen her interpretieren.“13 Für die Unmöglichkeit, dieses Fest zu feiern, sei dabei v.a. der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Tage tretende Widerspruch zwischen agrarischer Produktion und Industriegesellschaft verantwortlich, also die veränderte Lebenswirklichkeit des Menschen im Widerspruch zur traditionellen Ausrichtung des Festes. Und schließlich, daraus resultierend, stellt die für jedes Fest grundlegende kultische Symbolisierung eine Schwierigkeit in Bezug auf den Erntedank dar, denn die symbolische Gestaltung des Festes setze „immer ein in sich nicht harmonisches, aber stimmiges Geflecht von psychischen Bedürfnissen des Einzelnen und des Kollektivs, gesellschaftlichen Konstellationen und religiösen Traditionen voraus“, das im Blick auf das Erntedankfest nicht mehr oder zumindest nur noch unzureichend gegeben sei.14 Von dieser Problemanzeige geht Josuttis zunächst auf die klassischer Verankerung des Festes im agrarischen Kontext ein und stellt im Blick auf die Religionsphänomenologie fest: „Unser Erntedankfest ist eigentlich und ursprünglich ein Erntefest.“15 Das involviere bereits zwei Sachverhalte, die auf das heutige Erntedankfest nicht mehr zuträfen. Einmal sei ein Erntefest nicht ein Geschehen nach vollbrachter Arbeit, sondern selbst Teil der Erntearbeit, wenn auch als Ziel und Höhepunkt der Arbeit. Zum anderen sehen Erntefeste agrarisches Handeln mit spirituellen Aspekten verknüpft, wogegen das Erntedankfest zwischen profaner Produktion und religiöser Feier unterscheide, als ob das eine mit dem anderen nichts oder nur wenig zu tun habe. Erntefeste seien jedoch nicht eine Veranstaltung aus gegeben Anlass, sondern fundiert in einem Mythos, „in einer Festlegende, die einen universalen Horizont aufreißt.“ Das Erntegeschehen sei 11 Die Ausführungen von Josuttis zum Erntedankfest in seinem Band „Texte und Feste in der Predigtarbeit“, Gütersloh 2002, S. 118-129, stellen lediglich eine leicht überarbeitete Fassung des bereits erwähnten Artikels „Erntedank – ein unmögliches Fest“ dar. 12 Manfred Josuttis, Erntedank – ein unmögliches Fest, in: Richard Riess (Hg.), Wenn der Dornbusch brennt, München 1989, S. 208-217. 13 Josuttis, S. 208. 14 Josuttis, S. 208. 15 Josuttis, S. 209. 9 „Heilserfahrung, die in der Göttergeschichte präformiert ist und im Gottesdienst zur Darstellung kommt.“16 Deshalb beinhalte die Darstellung des Festgeschehens auch nicht nur die Vorgänge des Erntens, „sondern die grundlegenden Triebkräfte des Lebens, Aggressivität und Sexualität.“ Zu diesen Triebkräften gehöre die in den Erntefesten offenbar werdende Logik, dass der Mensch der Natur nur dann etwas nehmen kann, „wenn er bereit ist, ihr sofort auch etwas zu geben“, weswegen die Akte des Vergießens, Verbrennens und des Schlachtens zum Erntefest dazugehörten. „In unserer Gegenwart verstehen wir auch deutlicher, dass der Eingriff in die Natur, wie es die Praxis von Saat und Ernte in jeder Form darstellt, der Versöhnung durch ein Opferhandeln bedarf.“17 Zu den exzessiven Elementen gehöre auch der Rausch bzw. ekstatische Erfahrungen auch sexueller Art, die in der Feier der Fruchtbarkeit gründen und auf dem Hintergrund einer Verehrung der „Großen Mutter“ als „Erd- und Fruchtbarkeits- ebenso wie als Himmels- und Regengöttin“ zu verstehen seien.18 Nach dieser religionsphänomenologischen Betrachtung muss Josuttis freilich aufgrund der mittlerweile veränderten Lebenswirklichkeiten feststellen, dass ein solches Erntefest heute keinen Platz mehr hat. Denn das Geschehen von Saat und Ernte folge heute nicht mehr den „Gesetzen überirdischer Mächte, die Mächte, die jetzt am Werk sind, sind sehr irdischer Art und von sehr irdischen Interessen bestimmt.“19 Aufgrund der fortschreitenden Industrialisierung habe sich auch die Abhängigkeit von der Natur reduziert und dagegen die Abhängigkeit von gesellschaftlichen Prozessen verstärkt, wodurch Abhängigkeitsstrukturen geschaffen wurden, die religiös kaum interpretierbar seien. Somit falle es schwer, wie früher von dem Arbeitserleben einen Zugang zu religiösen Deutungsmustern zu finden. „Für das kirchliche Fest bedeutet das alles: Die Zahl derer, die Erntedank feiern und noch direkt im agrarischen Produktionsprozess stehen, wird immer geringer. (...) Überhaupt führen die Ungereimtheiten der Landwirtschaftspolitik im Kapitalismus dazu, dass die ökonomische Seite der Ernte immer undurchsichtiger wird.“20 Diese Entwicklung lässt Josuttis auf dem Hintergrund seiner religionsphänomenologischen Überlegungen fragen: „Wofür dankt man beim Erntefest heute? (...) Können Produzenten und Konsumenten auf Grund ihrer unterschiedlichen Interessenlagen überhaupt noch gemeinsam ihren Dank artikulieren?“21 Durch die Industrialisierung auch der Landwirtschaft und der damit einhergehenden Reduzierung der religiösen Interpretations- und Symbolisierungsmöglichkeiten der Arbeit habe das Erntedankfest viel von seiner Plausibilität verloren. Mit dafür verantwortlich seien auch 16 Josuttis, S. 209. Josuttis, S. 209. 18 Vgl. Josuttis, S. 210. 19 Josuttis, S. 210. 20 Josuttis, S. 211. 21 Josuttis, S. 211. 17 10 innerreligiöse Entwicklungen. Innerhalb des Alten Testamentes kamen etwa im herbstlichen Neujahrsfest als Thronbesteigungsfest Jahwes kosmische Erfahrung (Neujahr), gesellschaftliche Arbeit (Ernte) und religiöse Tradition (Bundeserneuerung) gemeinsam zur Darstellung. Diese Polyvalenz des Erntefestes sei v.a. durch die christologische Orientierung des Jahreszyklus verloren gegangen. Das habe dazu geführt, „dass Feste, die sich einer christologischen Besetzung gegenüber sperrig verhalten, wie der Neujahrstag und das Erntefest, an den Rand geraten.“22 Dadurch werde auch das Verhältnis von Schöpfung und Erlösung vorgegeben: „Das Christusgeschehen zielt im Zentrum auf eine Erneuerung von Himmel und Erde im Sinne des apokalyptischen Bruches. (...) Elemente einer naturbezogenen Religiosität können zwar immer noch in den Glauben integriert werden, aber sie stehen zugleich unter eschatologischem Vorbehalt. Die Erlösungshoffnung ist wichtiger als alle Schöpfungserfahrung.“23 Konsequenterweise ging damit eine Distanz zu naturreligiösen Symbolen und die Abwertung naturreligiöser Gottesvorstellungen einher: „Jahwe, der Vater Jesu Christi, ist kein Fruchtbarkeitsgott gewesen, und die Kirche hat es von jeher schwer gehabt, die Erfahrung von Fruchtbarkeit zu integrieren.“24 Dass dennoch immer wieder Erntedankfeste begangen wurden, läge daran, dass sich darin unabhängig von gesellschaftlichen Konstellationen und religiösen Traditionen spezifische psychische Bedürfnisse zu Wort meldeten, denen Josuttis unter Rückgriff auf den französischen Soziologen M. Mauss nachgeht. Nach dessen Hypothese vollziehe sich „aller gesellschaftlicher Verkehr nach dem Prinzip des Gabentauschs in den drei Schritten Geben, Nehmen und Erwidern“ und Josuttis folgert daraus, dass Ernte noch heute als Gabe verstanden werde, auf die man nur mit Dank reagieren könne. Freilich müsse „Ernte“ über den Agrarsektor hinausgehend verstanden werden, der Begriff bleibe jedoch noch heute Ausdruck von Abhängigkeitserfahrungen. Auch wenn zum Teil an die Stelle religiöser Abhängigkeitsfaktoren gesellschaftliche Instanzen oder politische Entwicklungen getreten seien, könne für Erntefeste noch heute die Erfahrung als konstitutiv gesehen werden, dass alle menschliche Arbeit und Mühe „von sich aus nur in Grenzen erfolgreich ist. (...) Deshalb ist das Erntefest ein konstitutiver Bestandteil religiöser Weltauslegung gewesen, weil es die Begrenzung menschlicher Macht zur Darstellung bringt.“25 Und so fasst Josuttis das Charakteristikum des Erntedankfestes zusammen: „Im Erntedank drückt sich auch heute die Einsicht aus, dass die Reichweite des Wachstums begrenzt ist, dass die Eigenrechte der Schöpfung respektiert sein wollen und dass menschliche Arbeit als Eingriff in die Mutter Erde der Versöhnung bedarf.“26 Deshalb stehe im Zentrum des 22 Josuttis, S. 211. Josuttis, S. 212. 24 Josuttis, S. 213. 25 Josuttis, S. 214. 26 Josuttis, S. 214. 23 11 Erntedank auch der Dank für den Segen menschlicher Arbeit und weniger das Heilshandeln Gottes. „Am Erntefest danken die Menschen, dass sie in Gottes Schöpfung arbeiten dürfen und dass ihre Arbeit durch Gottes Segen der Lebenserhaltung dient.“27 Schwerer als die Problematik der Arbeitslosigkeit oder der Strukturen von Produktion und Konsumtion wiege die Distanz, die die christliche Tradition zum Erntegeschehen bereits im vorindustriellen Zeitalter aufbaute und die sich in einer theologischen Abwertung der Schöpfung wie auch der ökologischen Ausbeutung der Natur äußerte. Für die Praxis des Erntedankfestes sei deshalb die symbolische Handlung der Darbringung der Erntegaben eine Möglichkeit, diesen Entwicklungen gegenzusteuern. Sie dürfe jedoch nicht in Richtung religiösen Kitsches degenerieren, indem sie die konkrete Realität heutiger Agrarproduktion außer Acht lasse, sondern müsse vor dem Hintergrund der Fragen „Woher kommen die Gaben? Wer hat sie gebracht? Wer kann sich in ihrer Präsentation wiederfinden?“ geschehen. Eine „Gegenmöglichkeit besteht in der Aufdeckung dessen, was heute in negativer Hinsicht mit der Natur geschieht.“28 Der dahinter sich verbergende theologische Anspruch wäre der einer Gesellschaftskritik in der Form einer Bußpredigt, die auf Veränderung ziele. Ebenso denkbar wäre für Josuttis, die unterschiedlichen Formen landwirtschaftlicher Produktion miteinander ins Gespräch zu bringen. „In der Homiletik hat man für die großen Feste oft eine Lehrpredigt empfohlen. Sie würde in diesem Fall nicht in dogmatischer, sondern in paränetischinformativer Absicht gehalten werden.“29 Den Königsweg, ein eigentlich unmögliches Fest zu feiern, sieht Josuttis jedoch in der Rekurrierung auf die in der Eigenart der Erntefeste begründeten Verbindung zwischen Heils- und Segenserfahrung, wie es etwa in den Gebeten der Gabenbereitung im römischen Messformular zum Ausdruck komme. „Wir bringen das Brot, das Gott uns gegeben hat, und er gibt uns in diesem Brot den Leib seines Sohnes. Wenn es bei der Symbolisierung des Erntedanks zu einer solchen Verkoppelung von Segenserfahrung und Heilsgeschichte kommt, dann hat das alte Erntefest gerade im Zeitalter der Lebensgefahr sein verheißungsvolles Fundament gefunden.“30 Die Synthese von Schöpfungs- und Rettungserfahrung ist damit für Josuttis die einzige Möglichkeit, heute „das unmögliche Erntedankfest mit Grund“ zu feiern.31 Auch wenn Josuttis die Rettungserfahrung und damit die heilsgeschichtliche Interpretation des Festes in seine Überlegungen mit einschließt, liegt sein Hauptaugenmerk auf der Rückgewinnung der Relevanz der Schöpfungserfahrung mit all den genannten Implikationen. Letztlich geht er dabei stark vom Erntebegriff und dessen veränderter inhaltlicher Bestimmung aus, also der 27 Josuttis, S. 214. Josuttis, S. 215. 29 Josuttis, S. 215. 30 Josuttis, S. 216. 31 Josuttis, S. 216. 28 12 Frage, wofür man heute im Angesicht der veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen danken könne. Ein Problem seiner Argumentation ist m.E. dabei, dass er das Erntedankfest heute im Grunde als ein Erntefest in einer veränderten Situation verstanden wissen will und die geschichtliche Entwicklung vom agrarisch verankerten Erntefest zu einem im christlichen Kontext weiterentwickelten Erntedankfest, wie es heute praktiziert wird, außer Acht lässt bzw. sie als Rückschritt interpretiert. Das muss er tun, will er die verlorengegangene Polyvalenz der Erntefeste für das heute gefeierte Erntedankfest neu postulieren. Sogleich wird jedoch deutlich, dass der Erntedank für ihn hauptsächlich deshalb ein unmögliches Fest darstellt, weil er das Fest von einem mit der heutigen Lebenswirklichkeit nicht mehr kompatiblen Erntebegriff her versteht. Letztlich geht es ihm dadurch stärker um das „Wofür“ als um das „Dass“ und „Wie“ des Dankens. 2.2 Eberhard Winkler: Praktisch-theologische Überlegungen zum Erntedankfest32 Stärker als Manfred Josuttis geht Eberhard Winkler von der veränderten Lebenswirklichkeit der Gottesdienstbesucher und der daraus resultierenden Themenvielfalt des Erntedanks heute aus. Während vor 50 Jahren noch der Erntedank meist als Höhepunkt im Kampf um das tägliche Brot erlebt wurde, habe sich die Lage der Lebensmittelversorgung geändert und die elementare Abhängigkeit von der Ernte im westlichen Kontext oftmals in ein schlechtes Gewissen der Satten gegenüber den Hungernden in anderen Erdteilen gewandelt. Stellte früher das Erntedankfest auch einen „Tag des Aufatmens, eine Feier zum Schöpfen neuer Kraft im Dank an Gott und in der Bitte um weitere Hilfe“ dar, so sei diese sabbatliche Dimension der Ruhe, aber auch die Arbeit als implizites Thema des Erntedanks aufgrund zunehmender Arbeitslosigkeit und veränderter wirtschaftlicher Bedingungen gefährdet.33 Die unmittelbare Nähe des Festes zum Tag der Deutschen Einheit verstärke diese Ambivalenz. „Ebenso bedrängend wie die Not der Arbeitslosigkeit stellt sich im Zusammenhang mit der Ernte das Umweltproblem“34, weshalb sich die Verantwortung für die Schöpfung zu einem neuen Aspekt des Erntedankfestes entwickle. Neben diesen eher äußeren Faktoren wird „die Fülle der am Erntedankfest möglichen Themen durch das Spektrum der Predigt- und Lesetexte noch erheblich erweitert.“35 Zum Symbolgehalt der Ernte trete schließlich der von Brot und Wein und damit als Thema auch das Abendmahl. Ein Weg, dieser gegenwärtig zu Tage tretenden Themenvielfalt gerecht zu werden, besteht für Winkler im gemeindepädagogischen Handeln als ein Generationen übergreifendes und 32 Eberhard Winkler, Praktisch-theologische Überlegungen zum Erntedankfest, in: In der Schar derer, die da feiern. Feste als Gegenstand praktisch-theologischer Reflexion, Hg. von Peter Cornehl u.a., Göttingen, 1993, S. 134-146. 33 Vgl. Winkler, S. 134f. 34 Winkler, S. 136. 35 Winkler, S. 137. 13 verbindendes Leben, das aus der Kommunikation des Evangeliums entstehe und ihr diene. Das verhindere die Reduzierung des Themas auf homiletische und liturgische Fragen, und innerhalb eines solchen Handelns böten die Feste die Möglichkeit zum ganzheitlichen Lernen.36 Der ohnehin gegebene wesentliche Erfahrungsbezug des Erntedanks könne dabei nicht zwangsläufig auf den ursprünglich agrarischen Kontext reduziert werden. Vielmehr erlaube es der aufgrund zunehmender Urbanisierung zu konstatierende „Erfahrungsmangel“ in der traditionellen SaatErnte-Thematik Neues zu entdecken, und die Beziehung zur Natur dürfe auch dem Stadtmenschen nicht abgesprochen werden, sondern müsse zum Anknüpfungspunkt für eine Feier des Erntedanks werden. Im Blick auf die Praxis hieße dies, sich bewusst zu machen, dass der Reiz des Erntedankfestes darin bestehe, „dass da etwas von den Gaben der Schöpfung zu sehen ist. Der mit Früchten geschmückte Altar lädt dazu ein, dass wir schmecken und sehen, wie freundlich der Herr ist (Ps 34,9).“37 Dabei habe gerade der Trend zum Familiengottesdienst dazu geführt, dass Menschen zu Erntedankerfahrungen verholfen wurde, dass ihnen „elementare Dinge, von denen wir leben, erfahrbar und als Grund zum Dank gegen Gott“ bewusst gemacht wurden.38 Vor diesem Hintergrund biete der gemeindepädagogische Zugang den Vorteil, dass er nicht auf den Vollzug des Gottesdienst beschränkt bleibe. „Seine besondere Möglichkeit besteht darin, dass verschiedene Gruppen (...) Erntedanksituationen behandeln und die Ergebnisse in den gemeinsamen Gottesdienst einbringen können.“39 Klage oder Anklage angesichts der Not in der Welt würden solche Lernprozesse behindern, wohingegen der gemeindepädagogische Zugang eine Hilfestellung sei, den Erntedank als Fest zu feiern. Dieser gemeindepädagogischen Intention komme am ehesten eine „thematische, zielorientierte Konzentration der Predigt“ entgegen, v.a. weil nicht für jedes Thema aus der Lebenswelt entsprechende biblische Texte vorgegeben seien.40 Die Textbindung als Hilfe zur Schriftbindung werde im Blick auf den Erntedank dann „eine Behinderung der Kommunikation des Evangeliums, wenn die Intention des Textes und des Kasus, d.h. die berechtigten Erwartungen der Gemeinde, auseinandergehen.“41 Der Kasus dürfe nicht durch exegetische Befunde verdrängt werden oder zum Anknüpfungspunkt für eine konkrete Textauslegung verkümmern, denn das hieße, die Menschen zu vernachlässigen, „die in einer bestimmten Situation das Wort Gottes hören wollen.“42 Für Winkler macht der Kasus Erntedank den ersten Artikel des 36 Vgl. Winkler, S. 138. Winkler, S. 139. 38 Winkler, S. 139. 39 Winkler, S. 139. 40 Winkler, S. 141. 41 Winkler, S. 141. 42 Winkler, S. 142. 37 14 Glaubensbekenntnisses zum „Thema Nr. 1“, und jeder vorgegebene oder vom Prediger frei gewählte Text müsse daraufhin geprüft werden, wie er diesem Kasus entspreche. Während Winkler im Allgemeinen für eine stärkere Berücksichtigung des Themas der Schöpfung im Kirchenjahr plädiert und darin eine Chance sieht, das Erntedankfest von der Überzahl der sich heute mit dem Erntedank verbindenden Aspekte zu entlasten, liegt das Proprium des Erntedankfestes für ihn im „Dank für die Schöpfungsgaben, die unser leibliches Leben erhalten.“43 Deshalb gelte es, sich auf den Dank zu konzentrieren und das Problematisieren zurücktreten zu lassen, denn vieles fände ohnehin in der Liturgie seinen Platz, etwa die Nöte der Welt und die Armut anderer Länder bzw. Kontinente in den Fürbitten. Der Gottesdienst müsse unter dem Leitbild stehen: „Wir feiern ein Fest, das von Freude erfüllt ist.“44 Dazu bedürfe es eines Denkaktes, den der Mensch an diesem Tag notwendigerweise vollziehen müsse, weil zu den veränderten ökonomischen und ökologischen Bedingungen immer häufiger „der geistige und geistliche Schaden der Selbstsicherheit und der Undankbarkeit“ trete.45 Der Denkakt, der ein von Freude erfülltes Fest ermögliche, bestehe in der Bewusstwerdung, dass dem Handeln und den Appellen zum Handeln stets das Empfangen vorausgehe. Freilich sei vieles selbst erarbeitet und der Erntedank schmälere nicht die Bedeutung menschlicher Arbeit, sondern feiere Gottes Güte, „die Leistungen ermöglicht und solche dann allerdings auch im Dienst der Mitgeschöpfe erwartet.“46 Während in der Predigtpraxis häufig eine einseitige Ausrichtung auf das Tun des Menschen feststellbar sei, geht es Winkler darum, die zentrale Zuordnung von göttlichem und menschlichem Handeln hervorzuheben. „Theologisch ist damit die Rechtfertigungsbotschaft auf den Erntedank angewandt und mit der Lehre von den guten Werken verbunden.“47 So stehe am Erntedanktag primär „das tägliche Brot im weiten Sinne“ im Mittelpunkt. „Sekundär stehen wir als Empfangende aber doch vor der Frage, was wir aus dem Anvertrauten gemacht haben.“48 Winkler legt in seinen Überlegungen Wert darauf, die Lebenswirklichkeit wie auch die Bedürfnisse der Gottesdienstbesucher mit dem Kasus ins Gespräch zu bringen. Von hier ausgehend möchte er mit Hilfe des gemeindepädagogischen Zugangs den Erntedank als Fest verstanden wissen, in dem der Mensch sich als ein von Gott Empfangender begreift und aus dieser Erkenntnis auch zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der ihm anvertrauten Schöpfung geführt wird. Das Proprium des Erntedanktages sieht er so im ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses, im „Dank für die Schöpfungsgaben, die unser leibliches Leben 43 Winkler, S. 144. Winkler, S. 144. 45 Winkler, S. 145. 46 Winkler, S. 145. 47 Winkler, S. 145. 48 Winkler, S. 146. 44 15 erhalten.“49 Dabei ist für ihn der Charakter des Erntedankfestes als freudige Feier dieser Güte Gottes wesentliches Moment. Der Grund für dieses Erntedankverständnis liegt in erster Linie in der Nichtberücksichtigung schöpfungstheologischer Aspekte im heilsgeschichtlich angeordneten Kirchenjahr. Auch wenn das Erntedankfest diese Lücke nicht gänzlich schließen kann, ist es doch für Winkler die Aufgabe des Festes, die Oberhoheit soteriologischer Topoi zu durchbrechen. Der gemeindepädagogische Zugang hilft ihm dabei, den theologischen Inhalt des Festes und dessen Relevanz für die Lebenswirklichkeit der Gottesdienstbesucher zu vermitteln. Jedoch bleibt zu fragen, inwieweit eine solch konsequente Reduzierung des Kasus auf einen Artikel des Glaubensbekenntnisses möglich ist, v.a. wenn Winkler selbst versucht, den Topos der Rechtfertigung auf den Kasus anzuwenden. 2.3 Ernst Öffner: Feier des Brots und des Lebens50 Wie Eberhard Winkler geht auch Ernst Öffner in seinem Aufsatz „Feier des Brots und des Lebens“ von der Praxis des Erntedankfestes aus. In der Entwicklung des Festes zu einem der beliebtesten Kirchenfeste sei ein zentraler Inhalt bestimmend: Dass Gott als Liebhaber des Lebens das Leben trägt. Das sei Sinn, Inhalt und implizite Verheißung des Festes. Diese Bestimmung des Festes sei deshalb notwendig, weil der sichtbare und erfahrbare Inhalt des Erntebegriffs als Inbegriff von Arbeit und Lohn der Arbeit, „der doch zugleich unverdientes Geschenk war“ durch die zunehmende Industrialisierung weitgehend verloren gegangen sei. „Der zyklische, jährlich wiederkehrende Anlass zum Dank fehlte, wo Arbeit und Leistung gleichmäßig über das Jahr verteilt waren oder gar (unverdiente) Arbeitslosigkeit drückte.“51 Das moderne Lebensgefühl, dass alles machbar sei, wie auch dessen Infragestellung durch die sich verschärfende ökologische und ökonomische Krise, stellte das Erntedankfest vor die Herausforderung, sich selbst zu rechtfertigen. Dies versuchte man auf der einen Seite durch eine Modernisierung des Erntebegriffs und schmückte den Altar mit Produkten einer industriellen Leistungsgesellschaft. Oft folgte daraus eine radikale Festkritik, die durch kritische, aufklärerische und appellative Predigten jegliche Natur- und Ernteromantik aus der Kirche herauszureden versuchte. Die ökologische Krise gab darüber hinaus Anlass dazu, die fraglose Sicherheit, mit der das Fest stets umgeben gewesen sei, nun in Frage zu stellen. „Die Prediger/Innen dieser Zeit suchten ihr Heil und ihre Konkretion weitgehend in Appellen und ethischen Imperativen.“52 Und schließlich nahm die Entwicklung der Familiengottesdienste ihren Anfang und damit die Forderung nach dem elementaren Erleben der einfachen Dinge, von denen der Mensch lebt. 49 Winkler, S. 144. Ernst Öffner, Feier des Brots und des Lebens. Zur Auferweckung des Erntedankfestes, ZGP 5/92, S. 18-22. 51 Öffner, S. 18. 52 Öffner, S. 19. 50 16 Nun aber wird aufgrund dieser Darstellung der jüngeren Entwicklung des Erntedankfestes deutlich, warum es zu einer Auferweckung des Erntedankfestes kommen müsse. Mit Peter Cornehl betont Öffner die Bedeutung der Feste für die Tradition des christlichen Glaubens. Denn an ihnen geschehe die Vergewisserung der eigenen Identität, und in der zyklischen Wiederkehr der Feste werde die Einheit des Lebens erfahrbar. Das Erntedankfest bringe in diesem Sinne die grundlegende Bedeutung der Verheißung des beständigen Segens Gottes im Bund mit Noah (Gen 8) für das Leben jedes Einzelnen zum Ausdruck. So sei das Erntedankfest in erster Linie „ein Fest der Vergewisserung des Lebens: dass Leben letztlich Geschenk ist und gelingen kann.“53 Am Erntedankfest stoße der Mensch deshalb an seine Grenzen, weil der theologische Kern des Erntedankfestes darin bestehe, „dass unser Leben selbst, die Welt, in der wir leben, zuallererst Geschenk ist, anvertraute, freundliche Gabe Gottes.“54 Diese Voraussetzung allen Glaubens und Handelns müsse wieder in den Mittelpunkt des Festes rücken und dürfe nicht durch zu starke Problematisierung und Krisenschilderung verdrängt werden. Allein die Erntegaben am Altar zeugen als sinnfällige Symbole für den Reichtum der Natur und der Fülle der Gaben Gottes und vermitteln allein durch ihre Präsenz im Kirchenraum die Erfahrung des Gutseins der von Gott geschaffenen Welt. „Weil aber die Erfahrung des Gutseins der Welt durch die Erfahrung ihres Bedrohtseins immer wieder durchkreuzt wird“, müsse gerade am Erntedankfest gewiss werden, „dass wie am Anfang (Gen 1,31) endlich alles gut sein wird. So wird am Erntedankfest zugleich die Vollendung der Schöpfung gefeiert.“55 Deshalb könne erst dann von Teilen und behutsamem Umgang mit der Schöpfung die Rede sein, wenn zuvor das „Bedürfnis der Vergewisserung und deutendes christliches Hoffnungssymbol (...) ohne Einschränkung bejaht wird.“56 Es wird deutlich, dass auch für Öffner der erste Glaubensartikel das Hauptthema des Erntedankfestes darstellt. „Und darin geht es primär um das, was Gott gegeben hat (...), sodann um den kundigen Dank dafür und den verantwortungsvollen Umgang mit den Gaben Gottes.“57 Deshalb müsse eine Predigt am Erntedankfest auch von solch einem Lob des Schöpfers zeugen und dazu verhelfen, dass es im Gottesdienst laut werden kann. Dabei müsse freilich zwischen Natur und Schöpfung unterschieden werde, Schöpfung beinhalte im Gegensatz zur Natur auch das Woher und Wohin alles Kreatürlichen. „Und darum geht es in der Predigt letztlich nicht um Aktionen zum Natur- und Umweltschutz, sondern um das Heil und die Erlösung der Welt.“58 Deswegen habe ein „recht verstandenes Erntedankfest“ stets eine besondere Nähe zur Feier des 53 Öffner, S. 20. Öffner, S. 20. 55 Öffner, S. 20. 56 Öffner, S. 20. 57 Öffner, S. 20. 58 Öffner, S. 21. 54 17 Abendmahls. Brot und Wein als die Grundelemente der Nahrung werden zu Symbolen der Vergewisserung des Heils. „Weil Christus zum Brot des Lebens wurde und zum Kelch des Heils (...), ist die Feier der Eucharistie angesichts der Erntegaben am Altar Verkündigung des Heils“ und weist dabei bereits „auf das, was sein wird und wir schon heute feiern können, nämlich das große Festmahl der erlösten Schöpfung in Gottes Reich.“59 Im Gottesdienst sollten so die konkreten, elementaren Erfahrungen, von denen das Erntedankfest lebe, in den Kirchenraum hineingeholt werden, und durch sie sollte deutlich werden, dass allem Handeln ein Empfangen vorausgehe. „Meine, unsere Identität, unsere verdanke Existenz und Freiheit will gefeiert sein.“60 In diesem Sinne solle die Predigt dann „das Staunen über die Schöpfung und die Heilsgeschichte miteinander zu verknüpfen suchen, den Dank begründen.“61 So führe der Gottesdienst nicht in den Appell, sondern in die Feier des Festes. Das Erntedankfest nach dem Verständnis von Ernst Öffner bleibt wie bei Winkler im Grunde dem ersten Artikel des Glaubensbekenntnis verpflichtet, wenn er auch durch die Feier des Abendmahls und den kurzen eschatologischen Ausblick stärker als Josuttis oder Winkler versucht, der Ganzheit der christlichen Existenz Rechnung zu tragen. Dabei ist für ihn ein Charakteristikum des Erntedankfestes, dass konkrete, elementare Erfahrungen des Alltags im gottesdienstlichen Kontext Einzug finden. Dank, Zuspruch und Hoffnung bzw. Vergewisserung der durch Gott ermöglichte Hoffnung stellen dabei die Grundpfeiler des Festes dar. Der Blick auf die praktisch-theologische Auseinandersetzung mit dem Thema Erntedank hat gezeigt, dass, wenngleich der Ausgangspunkt jeweils verschieden ist, der Zielpunkt in allen drei Aufsätzen sich doch gleicht: das Erntedankfest als Feier der Schöpfung bzw. die Prävalenz schöpfungstheologischer Aspekte vor soteriologischen Topoi. Allen geht es darum, einen Weg aufzuzeigen, wie ein Fest, dessen Entstehung auf eine ganz und gar andere Lebenswirklichkeit fußt, heute gefeiert werden kann. Ob der Ansatz nun religionsphänomenologisch oder gemeindepädagogisch bzw. von der Praxis begründet wird, spielt insofern kaum eine Rolle, weil sich sowohl Josuttis als auch Winkler und Öffner stark auf den Erntebegriff bzw. auf das „Wofür“ des Dankes und der darin implizierten Themenvielfalt und Problematik des Festes konzentrieren. Aber gerade diese Ausrichtung an dem Erntebegriff und dessen schöpfungstheologischer Ausdeutung stellt das Erntedankfest vor die Herausforderung, sich selbst stets neu rechtfertigen zu müssen. Der Erntebegriff in diesem exklusiven Verständnis bzw. dessen konkrete Explikation wird stets der Veränderung unterworfen sein – das macht der Blick auf die gegenwärtige Lebenswirklichkeit eines Großteils der Bevölkerung sichtbar. Bleibt es bei dem Versuch einer zeitgemäßen Ausdeutung des Erntebegriffs oder der Rückgewinnung eines 59 Öffner, S. 21. Öffner, S. 21. 61 Öffner, S. 22. 60 18 „ursprünglichen“ Erntebegriffs, ist darüber hinaus entweder meist eine Entscheidung für einen Artikel des Glaubensbekenntnisses die Folge, wie in diesem Fall für den von Gott dem Schöpfer, oder man läuft Gefahr, sich einer kaum übersehbaren Fülle möglicher Erntedefinitionen stellen zu müssen und ihrer Herr zu werden. 3. Thema und Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit reiht sich insofern in die bisherigen praktisch-theologischen Überlegungen zum Erntedankfest ein, als dass sie die Relevanz des Festes für die gottesdienstliche Praxis neu zu entdecken versucht – im Blick auf die biblische Überlieferung, die Tradition wie auch auf das Bedürfnis des Menschen, seiner Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen. Gleichsam bildet die Grundlage der Überlegungen die Einsicht, dass das Erntedankfest theologisch lediglich dann das Ordnungsprinzip eines heilsgeschichtlich angeordneten Kirchenjahres sprengt, wenn es verkürzt als Feier des ersten Artikel oder schlichte Modifikation alter Erntefeste verstanden wird. Wir feiern kein Erntefest vergangener Zeiten, sondern ein aus den Erntefesten entwickeltes Erntedankfest in einem spezifisch christlichen Kontext. Deshalb soll der Frage nach dem Platz des Erntedankfestes im Kirchenjahr nachgegangen werden, und zwar im Sinne einer Integration des auf den ersten Blick schöpfungstheologisch orientierten Festes in das heilsgeschichtlich orientierte Kirchenjahr. Ist es wirklich unmöglich, innerhalb eines heilsgeschichtlich orientierten Kirchenjahres ein Fest zu feiern, das so augenfällig auch die Kreatürlichkeit des Menschen in den Blick nimmt? Zu Recht merkt Eberhard Winkler an, dass schöpfungstheologische Themen im Kirchenjahr so gut wie überhaupt keine Berücksichtigung finden. Aber kann und muss das Erntedankfest diese spezifisch christliche Lücke schließen bzw. diese Kluft zwischen erstem und zweitem Glaubensartikel überwinden? Zu Recht greift Manfred Josuttis in seiner religionsphänomenologischen Begründung des Erntedankfestes auf die Praxis der Erntefeste des Alten Testamentes zurück, derer sich das Erntedankfest heute mit Sicherheit auch mitverdankt. Aber kann die Relevanz des Festes neu zur Sprache gebracht werden, wenn die Entwicklung des Erntedankfestes von im agrarischen Kontext verwurzelten Erntefesten hin zu einem im christlichen Kontext gefeierten Erntedankfest außer Acht gelassen oder als ein Problem angesehen wird? Zu Recht zeigt Ernst Öffner die Vielfältigkeit der Gaben Gottes, die man sich am Erntedankfest vergegenwärtigen solle, auf. Aber in wie weit findet in dieser Fülle das Bedürfnis des Menschen, seinem konkreten, persönlichen Dank Ausdruck zu verleihen, seinen Platz? 19 Innerhalb einer theologischen Ortsbestimmung des Erntedankfestes ist der Blick auf seine Stellung innerhalb des Kirchenjahrs grundlegend. Während Josuttis die heilsgeschichtliche Überlagerung ursprünglich agrarischer Erntefeste als kritisches Moment des Erntedankfestes ausmacht, begreift diese Arbeit diese Entwicklung als Anknüpfungspunkt und Chance zugleich. Anknüpfungspunkt ist sie insofern, als dass es nicht sinnvoll ist, hinter diese Entwicklung zurücktreten zu wollen. Als Chance, weil dadurch v.a. im Blick auf die veränderte Lebenswirklichkeit, in der weder die Saat-Ernte-Thematik noch die elementare Abhängigkeit von der Ernte in ihrem ursprünglichen Bedeutungsspektrum eine Rolle spielen, eine Ortsbestimmung eines spezifisch christlichen Erntedankfestes als Notwendigkeit erscheint. Geblieben ist das Bedürfnis bzw. das Gespür zu danken. Das wurde in der Einleitung bereits als Grundmerkmal menschlicher Existenz festgestellt. Dieses Bedürfnis kann im Blick auf die zunehmende Bedeutung des Erntedankfestes im gottesdienstlichen Kontext noch heute konstatiert werden. Denn wenn ich nicht danken will, dann werde ich auch nicht einen Gottesdienst besuchen, bei dem das Danken – zumindest dem Namen nach – Programm zu sein scheint. So setzt sich diese Arbeit eine theologische Ortsbestimmung des Erntedankfestes zum Ziel, in der die ohne Zweifel wichtige Frage nach dem „Wofür“ des Dankes mit dem über allen Zweifel erhabenen „Dass“ des Dankes und dem manchmal in Zweifel geratenen „Wie“ des Dankens ins Gespräch gebracht werden soll, um daraus die Relevanz eines spezifisch christlichen Erntedankfestes in der gottesdienstlichen Praxis wie der Lebenswirklichkeit der Gottesdienstbesucher hervorzuheben. Hieraus soll schließlich das Erntedankfest als eine Grammatik des Dankens erhoben werden, die der Gemeinde angesichts der veränderten gottesdienstlichen, homiletischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen sowie angesichts der zunehmenden Dissonanzen im Spiel der Tradition mit der Situation, Hilfestellung sein will, ein Fest neu zu entdecken. In einem ersten Teil der Arbeit soll deshalb all das zur Sprache kommen, was Menschen am Erntedanktag wahrnehmen, empfinden, hören, sehen, spüren. Dazu sollen unter dem Zeichen „Erntedankfest gefeiert“ der äußere Rahmen des Gottesdienstes und seine Ausgestaltung genauer betrachtet werden: die Erwartungen, die Menschen an diesen Tag und an den Gottesdienst an diesem Tag stellen, in gleicher Weise wie auch mögliche Befürchtungen oder Vorbehalte, die aufgrund der Erntedankerlebnisse vergangener Jahrzehnte mitschwingen können. Aufgrund der steigenden Anzahl an Familiengottesdiensten am Erntedanktag soll dieser besonderen Form des Gottesdienstes ein eigener Punkt gewidmet sein, der sich zunächst allgemein mit der Entstehung und den Stärken, aber auch mit der Problematik dieser Gottesdienstform auseinandersetzt, weil diese gerade am Entedankfest am deutlichsten zutage treten. 20 Kaum ein Fest lebt ohne Brauchtum. Bräuche bringen in konkret erfahrbarer Art und Weise vielfältige Vorstellungen von Erntedank zum Vorschein, sie bieten der Kirche ebenso wie deren religiösen Ausdrucksformen fern stehenden Gemeindegliedern unverfänglich die oder zumindest eine Botschaft nahe und lassen sie so an diesem Fest teilhaben. Zum Erntedank gab und gibt es eine schier unzählige Anzahl an Bräuchen. Deshalb soll hier ein Blick lediglich auf die Bräuche und Traditionen älteren wie neueren Datums geworfen werden, die, selbst wenn sich ihre Entstehung meist einer bäuerlichen Gesellschaft verdankt, im dörflichen wie städtischen Bereich neue Impulse zur Feier des Festes geben können. Dabei findet auch das nordamerikanische Thanksgiving-Fest Berücksichtigung. Dieser Tag entwickelte sich in den Vereinigten Staaten schon früh zu einer nationalen Angelegenheit wie zu einem Familienfest gleichermaßen. Dieses Fest soll Bestandteil dieser Arbeit sein, weil es einen Blick über den gewohnten Erntedankhorizont hinaus wirft auf ein Erntedankfest, das unter anderen Voraussetzungen entstand, dessen Entwicklung einen ganz und gar anderen Verlauf nahm und das dennoch in Struktur, Ausgestaltung und Problematik Ähnlichkeiten mit dem Erntedankfest im deutschen Raum hat. Auch deshalb soll diese Tradition einen eigenen Punkt bekommen, weil am Beispiel des ebenfalls im Herbst liegenden Halloween-Festes deutlich wird, wie sehr nordamerikanische Traditionen in unsere Breitengrade hineinreichen und Menschen empfänglich für eine Rezeption dieser sind. Von diesen äußeren Rahmenbedingungen des Festes her taucht die Arbeit nun ein in die Feier des Gottesdienstes zum Erntedankfest. Dazu werden zunächst die liturgischen Texte der evangelischen Tradition, wie sie im Evangelischen Gottesdienstbuch (EGb) erscheinen, in den Blick genommen. Weil das Erntedankfest von der Thematik her schon seit Beginn der Kirche zur gottesdienstlichen Praxis gehörte, ist auch eine Berücksichtigung der liturgischen Texte der römisch-katholischen Tradition geboten, die v.a. in der Herbstquatember, im Benediktionale, aber auch im Messbuch noch einiges von der Entstehung und Entwicklung des Erntedankfestes kundtut. Hierauf sollen die Lieder zum Fest in Augenschein genommen werden. Dabei finden die Lieder aus dem Stammteil des Evangelischen Gesangbuchs (EG) Berücksichtigung, die sich explizit der Erntedankthematik verpflichtet wissen. Hier gilt es, das in ihnen zur Sprache kommende Erntedankverständnis herauszuarbeiten und dessen Relevanz für die Feier des Festes heute festzuhalten. Auch neuere Dichtungen bzw. Neudichtungen des klassischen Erntedankliedes „Wir pflügen und wir streuen“ werden in Auswahl betrachtet. Das Erntedankfest kann, zumindest von seiner Thematik her, auf eine lange Geschichte zurückblicken. Auf die Entwicklung des Erntedankfestes von den Erntefesten hin zu einem spezifisch christlichen Fest wurde bereits im forschungsgeschichtlichen Überblick hingewiesen. Dieser Entwicklung soll nun in diesem Punkt ausführlich nachgegangen werden. Darüber hinaus 21 ist ein Fest nie losgelöst von dem Kontext, in dem es steht. Dies lässt sich auch auf die Stellung des Erntedankfestes im Kirchenjahr konstatieren. In diesem Sinne werden vor allem der Herbsttermin als jahreszeitlicher Anhaltspunkt, der Tag der Deutschen Einheit als zeitlich naher „säkularer“ Feiertag und sodann das Michaelisfest und der „ökumenische“ Gedenktag des Franz von Assisi62 als zeitlich wie inhaltlich in unmittelbarer Nähe stehende kirchliche Feste betrachtet. Das diesen Punkt abschließende Resümee geht der Frage nach, welche Bedeutung die Stellung des Festtages für die Gestaltung hat bzw. wie sie Hilfestellung für eine Feier des Erntedankfestes sein kann. Schließlich wendet sich die Arbeit der oftmals als Kernstück des Gottesdienst angesehenen Predigt zu. Es sind je drei Predigten zu Evangelium (Lk 12, (13-14) 15-21) und Epistel (2. Kor 9, 6-15) des Erntedanktages, die analysiert werden. Sie wurden von den Predigerinnen und Prediger für diese Arbeit zur Verfügung gestellt. Um sich den Predigten so gut als möglich annähern zu können, sind exegetische Überlegungen zu den Perikopen vorangestellt. Ebenfalls vorgeschaltet ist eine Betrachtung einiger Predigtmeditationen zu beiden Perikopen. Berücksichtigung finden die Göttinger Predigtmeditationen wie die Predigtstudien der letzten 20 Jahre, um exemplarisch aufzuzeigen, wie in der praktisch-homiletischen Literatur das Erntedankfest Berücksichtigung findet und welche Aspekte daraus für eine Predigt zum Erntedankfest fruchtbar gemacht werden können. Die Predigten, die daraufhin analysiert werden, sind Predigten „ganz normaler“ Pfarrerinnen und Pfarrer aus der Praxis des Erntedankfestes heraus, weil diese Arbeit selbst auch wieder auf die Praxis zielt bzw. versucht, die Praxis mit der Theorie ins Gespräch zu bringen. Deshalb sind es auch Predigten aus unterschiedlichen gemeindlichen Kontexten: aus klar ländlich geprägten Gemeinden, aus dem Süden wie dem Norden Deutschlands, aus klassischen Erntedankgottesdiensten wie aus einem Familiengottesdienst, aus einer von der Erweckungsbewegung geprägten Gemeinde wie aus den klassischen, landeskirchlich geprägten Ortsgemeinden, aus einer Justizvollzugsanstalt wie eine Predigt zur Hilfe für den Prädikantendienst. Sie haben keinen repräsentativen Charakter, jedoch wird durch sie deutlich, wie zu Erntedank gepredigt wird und welche Topoi dabei eine Konstante bilden, unabhängig des Kontextes, in dem sie gehalten werden. Der Analyse vorangestellt ist jeweils eine kurze biographische Darstellung des Predigers bzw. der Predigerin und der Gemeinde, in der die Predigt gehalten wurde. Daraufhin wird ausführlich der Aufbau und die Gliederung der Predigt in den Blick genommen und der Gedankengang der Predigt nachgezeichnet. So dann soll dem Umgang des Predigers mit dem Predigttext nachgegangen werden. Kein Inhalt ist ohne Form. 62 Vgl. Bieritz, Art. Das Kirchenjahr, in: Handbuch der Liturgik, S. 385: „Frieder Schulz (...) hat den 1969 erstmals erschienenen Evangelischen Namenskalender mit dem römischen Kalender, dem deutschen Regionalkalender und verschiedenen Diözesankalendern sowie anglikanischen und nordamerikanischlutherischen Kalendern verglichen und dabei eine Liste von Heiligengedenktagen zusammengestellt, die ökumenischen Rang besitzt.“ Hierzu zählt auch der Gedenktag des Franz von Assisi am 4. Oktober. 22 Deshalb soll auch ein Blick auf die Sprache der Predigt geworfen werden und welche stilistischen Mittel der Prediger bzw. die Predigerin einsetzt, um ihr Anliegen deutlich zu machen. Eine Predigt richtet sich in der Regel an eine konkrete Gemeinde. Deshalb wird, korrespondierend mit der Darstellung der Gemeindesituation, auch der Umgang des Predigers mit den Hörerinnen und Hörern der Predigt in den Blick genommen. Die sich daran anschließenden Erntedankgedanken bringen das Erntedankverständnis des Predigers zur Sprache. Ein Schlussresümee bündelt die Ergebnisse der Predigtanalysen wie die der Predigtmeditationen, hebt die zur Sprache gekommenen Schwerpunkte hervor und hält fest, welche Aspekte hiervon für eine Predigt am Erntedankfest unabdingbar sind. In der Einleitung wurde das Danken für Empfangenes bzw. für die Ernte als ein Grundmerkmal menschlicher Existenz seit Anbeginn der Menschheit festgestellt. Dieses Grundbedürfnis wird auch in der biblischen Überlieferung sichtbar. So wendet sich die Arbeit nach dem stärker analytisch geprägten Abschnitt „Erntedank gepredigt“ unter dem Titel „Erntedank gegründet“ der biblischen Grundlegung des Erntedankfestes zu. Dabei soll zunächst auf das biblische Ernteverständnis eingegangen werden und darin auch ein Blick auf die atl. Erntefeste geworfen werden. Dem schließt sich eine Betrachtung des Dankverständnisses in biblischer Tradition an. Im abschließenden Abschnitt „Erntedank feiern“ soll aus dem bisher Geschauten der Versuch einer theologischen Ortsbestimmung des Erntedankfestes erfolgen wie auch dessen Relevanz für die gottesdienstliche Praxis hervorgehoben werden. Orientierung hierfür ist einmal der Blick auf Gott, den Geber der Gaben (das Wofür und Woher des Dankens), und zum Anderen die Rolle des Menschen als Empfänger der Gaben (das Wie und Wohin des Dankens). Dem schließt sich unter dem Titel „Zwischen Dankenlernen und Nichtdankenkönnen“ eine Auseinandersetzung mit der Relevanz des Erntedankfestes für die gottesdienstliche Praxis wie für die Lebenswirklichkeit des Menschen an (das Dass des Dankens). An den Schluss gestellt sind einige, aus den bisherigen Überlegungen gewonnene Konkretionen für die Praxis, Möglichkeiten heute unter veränderten gottesdienstlichen, homiletischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen das Erntedankfest zu feiern. Hierbei wird zunächst die Feier des Gottesdienstes und daraufhin der Kontext des Gottesdienstes, der Erntedanktag, in den Blick genommen. Darin werden auch die „traditionellen“, also von der Entwicklung des Festes in einer bäuerlichen Gesellschaft her verstandenen, Aspekte berücksichtigt, denen sich noch viele Bräuche und liebgewonnene Gestaltungselemente verdanken. Hier gilt es festzuhalten, welche Gestaltungsformen und Ausschmückungen allein um ihrer selbst willen überlebt haben und welche Elemente einer Vertiefung, Neuerfahrung und Ent-Deckung des Festes als Befreiung von überkommenen, lebens- und glaubensfremden Ausdrucksformen dienlich sein können. Diese Gestaltungsvorschläge sollen dabei Anregungen sein, das Fest neu zu sehen, neu zu gestalten, neu 23 zu erfahren und neu zu erleben. Und so stellt sich auch das abschließende Resümee der Frage, was der gottesdienstlichen Praxis fehlen würde, müsste sie auf das Erntedankfest verzichten, und betont: Erntedank – ein mögliches Fest. A Erntedank gefeiert 4. Erntedankfest – eine phänomenologische Betrachtung 4.1 Erntedank als Naturfest und Ausdruck der Kreatürlichkeit des Menschen Die Besonderheit des Erntedankfestes verdankt sich heute zu einem großen Teil der Tatsache, dass es in einem heilsgeschichtlich geprägten Kirchenjahr explizit Bezug nimmt zum ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses. Zwar hat das Kreatürliche durch die Predigttexte und Lesungen in verschiedenen Gottesdiensten seinen Platz, ist dort jedoch immer eingebunden in die christologische Ausdeutung dessen.63 Dass innerhalb des Alten Testamentes in bäuerlicher Tradition und Situation entstandene Feste im Lauf der Zeit immer stärker heilsgeschichtlich interpretiert wurden und das Neue Testament Schöpfung immer auch christologisch deutet, hat dazu geführt, dass Elemente einer naturbezogenen Religiosität lediglich als Beiwerk in die Glaubens- und Frömmigkeitspraxis integriert wurden. Eine Tendenz, die seit der Entstehung eines weltabgewandten Mönchtums und einer auf das Jenseits ausgerichtete Frömmigkeit seit Beginn des Mittelalters immer wieder aufs Neue das christliche Denken Einzug geprägt hat. Diese Entwicklung führte zu einer Grenzziehung zwischen dem Irdischen und dem Überirdischen, mit der eine Abwertung der Natur einherging.64 „Die Erlösungshoffnung ist wichtiger als alle Schöpfungserfahrung.“65 Jene theologische Abwehr, die Manfred Josuttis gegenüber naturreligiösen Elemente an kirchlichen Festen konstatiert, dürfte auch dazu geführt haben, dass das Erntedankfest gerade bei Nichttheologen, die sich einer Rezeption naturreligiöser Feiern und Symbole gegenüber offener verhalten, einen so hohen Stellenwert hat. An diesem Tag soll die Natur, die Schöpfung, im Mittelpunkt stehen, bevor der Rest des Jahres wieder den biblisch überlieferten Geschichten und theologischen Gedankenkonstrukten vorbehalten bleibt. Die Erwartung richtet sich an diesem Fest auf die Schöpfungserfahrung, auf die Auseinandersetzung mit dem Element, das den Menschen Tag für Tag umgibt, das er vor Augen Vgl. Winkler, Praktisch-theologische Überlegungen zum Erntedankfest, S. 142f. Vgl. von Eltz-Hoffmann, Freuet euch der schönen Erde, S. 8. 65 Josuttis, Erntedank – ein unmögliches Fest, S. 212. 63 64 24 hat und dessen Teil er ist. Gerade das bewusste Wahrnehmen der Natur, die Erfahrung des „Alltäglichen“ als etwas Außergewöhnlichem hat in vielen Entwürfen und Gestaltungsvorschlägen zum Erntedankfest Einzug gefunden.66 Damit einher geht das Bedürfnis nach sinnlich wahrnehmbaren Elementen und der Einbeziehung der Leiblichkeit des Menschen. Am Erntedanktag kommt die Leibhaftigkeit besonders in den Blick.67 Denn „der Mensch ist leibhaftes Leben, verbunden mit allem Lebendigen.“68 Und so wenden sich auch die Vorstellungen der Gottesdienstbesucher an diesem Tag gegen ein dualistisches Menschenverständnis, dem durch das übrige Kirchenjahr in seiner impliziten Schwerpunktlegung auf die Seele Vorschub geleistet wird. Das Leibliche darf nicht zu kurz kommen, das sich oftmals in der Miteinbeziehung aller Sinne äußert, in sichtbaren, hörbaren, tastbaren, spürbaren, mitunter auch riechbaren Elementen des Gottesdienstes, die dem Besucher das Gefühl vermitteln: „Hier bist du Mensch, hier darfst du’s sein.“ Rolf Heinrich lässt so zum Beispiel in einem Gottesdienstentwurf die Besucher aus Ton formen, was sie sich auf dieser Erde wünschen69, es gehen Körbe mit Brot durch die Kirchenbänke und mit ihnen verbindet sich die Anweisung: „Nehmt das Brot in die Hand, seht es an, riecht den Duft und sprecht: Lieber Gott, ich danke dir, denn du bist so gut zu mir.“70 Durch Bewegungslieder werden Jung und Alt mit einbezogen71 und der im Vorfeld mit allerlei Obst und Gemüse geschmückte Altar lädt dazu ein, „im Bilderbuch der guten Gaben Gottes“ zu blättern.72 4.2 Erntedank als Übergangsfest zwischen Sommerzeit und Herbstzeit Die Besonderheit des Erntedankfestes verdankt sich dabei auch seiner Stellung im Kalenderjahr. Zu Beginn der Herbstzeit stellt sich der Termin, an dem das Erntedankfest heute gefeiert wird, weniger als ein Zeitpunkt nach der Ernte dar, denn Anfang Oktober ist die Ernte in der Regel unter Dach und Fach.73 Vielmehr ist das Erntedankfest platziert in einer Übergangszeit zu den eher tristen Wochen des Herbstes. Die sich bunt färbenden Blätter, letzte warme Sonnentage, bereits durchbrochen durch stürmisches, regnerisches Wetter, lassen noch einmal, an den Sommer erinnernd, die Schönheit der Natur aufleben. Ein besonderes Fest, das war es zur Zeit, als das Leben von der Ernte bestimmt war, Anlass erleichtert und dankbar zu sein darüber, dass die Arbeit geschafft und die Ernte eingebracht war. Es ist heute noch ein besonderes Fest. Der Altar wirkt nicht kalt und nüchtern, sondern ist mit Dingen des alltäglichen Lebens und 66 Vgl. Schmiedehausen, Elementares wieder entdecken, S. 7: „Damit die großen ‚geistlichen’ Themen des Kirchenjahres nicht blutleer bleiben, melden sich Feuer, Wasser, Luft und Erde unüberhörbar zu Wort.“ 67 Vgl. Schoenauer, Erntedanktag, GPM 58 (2003/2004), S. 472. 68 Mildenberger, Kleine Predigtlehre, 1984, S. 11, zitiert nach Schönauer, S. 472. 69 Vgl. Heinrich, Wir sind ein Teil der Erde. Familiengottesdienst zu dem Symbol „Erde“, S. 28-33. 70 Winkler, S. 140. 71 Vgl. Gerts, Theologisch-homiletische Einführung, S. 12. 72 Vgl. Zemmrich, Intensiv leben lernen, S. 101. 73 Vgl. Winkler, S. 135. 25 „Schönheiten der Natur“ geschmückt, die in all ihrer Vielfalt und Buntheit die Emotionen des Herbstes aufgreifen. Somit wird auch von dem Gottesdienst an diesem Tag ein „letzter Farbtupfer“ erwartet, es ist gewissermaßen eine Oase im Kalender- wie im Kirchenjahr. Nicht zu unterschätzen ist deshalb sicherlich auch die darin zutage tretende ästhetische Dimension des Erntedankfestes.74 Es ist kein Sonntag wie jeder andere, das Erntedankfest, nicht sonntäglicher Alltag, sondern Unterbrechung der Unterbrechung, die der Sonntag ohnehin schon im Wochenlauf darstellt. Das Erntedankfest ist „Hoch-zeit, Ausnahme, nicht Alltag.“75 4.3 Die Stellung des Menschen innerhalb der Schöpfung Die Stellung des Menschen innerhalb der Schöpfung ist ein weiterer, damit eng verbundener Aspekt des Erntedankfestes. Die Beziehung des Menschen selbst zu Gottes Schöpfung soll zur Sprache kommen. Theologisch kann man versuchen, dieses Fest in eine Hinwendung aller Kreatur zum Schöpfer münden zu lassen. Erwartet wird vorerst aber die Hinwendung der Kreatur zur Schöpfung und erst von dort zu dem, der dies durch sein Wort erst möglich machte – also der Blick zur Schöpfung im Angesicht des Schöpfers. Es ist der Blick auf die Schönheit der mich umgebenden Umwelt, in der ich an jeder Straßenecke „Briefe Gottes“ finden kann und das grüne Gras wahrnehme als „ein duftendes Taschentuch Gottes mit seinen Initialen, das er fallen gelassen hat, um uns an ihn zu erinnern.“76 Und der immer wieder eingeforderte Bezug des Festes auf die Natur verdankt sich dann vielleicht wirklich „dem noch unausgesprochenen und unreflektierten Gedanken, dass die Natur Gott doch näher sei als die Kultur.“77 Seit den Siebziger Jahren zeigt sich die Tendenz, auch die kritischen Seiten der Stellung des Menschen und seines Handelns in der Natur zu reflektieren, so dass auch die Ausbeutung der Ackerböden und die ökologische Krise aufgrund menschlichen Fehlverhaltens ihren Platz im Gottesdienst einnehmen. „Wer am Ende des 20. Jahrhunderts von den natürlichen Lebensbedingungen spricht, sollte sich vor jeder nostalgischen Romantik hüten.“78 Spätestens seit der Katastrophe von Tschernobyl und dem sprichwörtlich gewordenen „Butterberg“ als Sinnbild neuzeitlicher Überproduktion ist die Freude getrübt, „wenn wir daran denken, dass einerseits mit Hilfe giftiger Chemie Erträge erzielt werden (...) und andererseits diese auf Kosten der Umwelt erzielten Produktionsrekorde unlösbare ökonomische Probleme hervorrufen.“79 So finden sich in der Literatur zum Erntedankfest eine Fülle an Informationen über die Gefährdung elementarer 74 Vgl. Haag, Lasst Blumen sprechen. Erntedankgottesdienst für Groß und Klein, S. 32. Nestle, Erntedankfest, GPM 43 (1988/1989), S. 382. 76 Frerichs, Erntedanktag, CPNF I/2 1991, S. 243. 77 Merkel, Erntedankfest, GPM 23 (1968/1969), S. 358. 78 Schmiedehausen, S. 10. 79 Winkler, S. 136. 75 26 Lebensbedingungen und Vorschläge, an diesem Tag eher einen Bußgottesdienst abzuhalten80 oder den Erntedanktages zum Fastentag umzuwandeln.81 Dies geschah auch im Blick auf das Verhältnis von Reichtum und Armut in der Welt. Hans-Georg Lubkoll konstatiert in einer Rundfunkpredigt 1980: „Wer ein Dankgebet sprechen will (...) kann dabei die Unzähligen nicht überhören, die nach Brot schreien.“82 Dem schließen sich in Predigt und liturgischen Texten Darstellungen der Situation in ärmeren Ländern („2/3 aller Menschen feiern kein Erntedankfest, ... weil sie sich niemals satt essen können und nicht wissen, wofür sie danken sollen.“83), der Blick auf eigenes Fehlverhalten („Lieber himmlischer Vater (...) Wir haben verlernt, gerecht zu teilen“84; „Als Verteiler aller guten Gaben, von denen wir singen, haben wir jämmerlich versagt.“85) und daraus resultierend Aufrufe zu einer gerechten Verteilung der Gaben an: „Brot ist Dienst, Dienst der Liebe am Kranken, Schwachen, Entrechteten, Bedürftigen.“86 In der Praxis wird eine „diakonische Verbundenheit der Gemeinden mit den Hilfsbedürftigen sichtbar“, oftmals dergestalt, dass die Erntegaben an soziale Einrichtungen gegeben oder Kollekten wie Aktionen zu Brot für die Welt oder allgemein für die „Hungernden in der Welt“ angeboten werden.87 Ein solch kritische Vergegenwärtigung der Schöpfung ist wohl nur den Menschen möglich, die nicht täglich mit ihr zu tun haben und auch nicht existentiell unmittelbar von ihr abhängig sind. Ihnen fällt es schwer, angesichts einer katastrophalen Lage der Landwirtschaft in diese kritische Reflexion mit einzustimmen.88 In der Öffentlichkeit breit getretene Skandale wie BSE oder Geflügelpest tun ihr Übriges dazu, dass der Bauernstand keinen guten Ruf mehr zu haben scheint. „Tatsächlich wird das heutige Verhältnis zur Landwirtschaft, zur Arbeit in ihr, zu ihren aktuellen Produktionsweisen und -formen vorherrschend durch deutliche (...) Ablehnung und Ausgrenzung bestimmt“, die sich zusammenfassen lässt in der Äußerung eines nordhessischen Bürgermeisters auf die Frage nach dem Erhalt einer Ackerfläche im Anschluss an die Ortsbebauung: „Ja, wenn das noch so eine Landwirtschaft wäre wie früher, dagegen hätte ja niemand was. Aber die heutige Landwirtschaft, mit Insektiziden und Pestiziden, die will keiner mehr in Ortsnähe haben.“89 Die wenigen noch in der Landwirtschaft Tätigen und von ihr lebenden Gemeindeglieder sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, Paradigma eines verantwortungslosen Umgangs mit der Natur zu sein. Die württembergische Bäuerin Marta 80 Vgl. von Issendorf, Erntedankfest – eine schwierige homiletische Situation, S. 22f.; vgl. auch Liturgieentwürfe für das Kirchenjahr, verfasst vom Liturgischen Arbeitskreis der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau unter der Leitung von Friedrich K. Barth, Frankfurt 41995, S. 379. 81 Vgl. Schneider, GPM 47 (1992/1993), S. 385-390. 82 Lubkoll, Erntedankfestpredigt im Rundfunk, S. 42. 83 Siegel, Predigt über 1. Mose 8, 15-22, S. 54, 84 Milchner, Eingangsgebet, S. 134. 85 Siegel, S. 54. 86 Allgeier, Brot ist Dienst, S. 107. 87 Vgl. Winkler, S. 139. Vgl. Schmiedehausen, S. 10. 88 Vgl. Kruse, Erntedankfest, GPM 44 (1989/1990), S. 408f. 89 Poppinga, Arbeiten fürs Ernten als gesellschaftlicher Störfall, S. 8f. 27 Schumacher beschreibt ihre Gefühle zum Erntedankfest so: „Aber darf man den bäuerlichen Berufsstand in Bausch und Bogen in Frage stellen, wie es so mancher Prediger von der Kanzel tut? Oder darf eine Pfarrerin es einem Landwirt verwehren, innerhalb eines Erntedankgottesdienstes eine eigenständig erarbeitete Fürbitte zu sprechen, nur weil sie besser zu wissen meint, was ein Bauer hier beten sollte? Da kann der Landwirt an seiner Kirche, nicht selten sogar am Sinn seines Lebens zweifeln.“90 Ob nun im Angesicht von Überproduktion und Hunger in den Entwicklungsländern, inmitten einer Umwelt und Mensch belastenden „Intensivlandwirtschaft“ konstatiert werden kann, dass dem Christen der Dank im Halse stecken bleibe, ist m.E. fraglich.91 Tatsache ist aber, dass die Aufmerksamkeit für die Schöpfung zunimmt, in der positiven wie der kritischen Ausrichtung. Und damit einher geht auch das Bewusstsein, für die Bewahrung der Schöpfung verantwortlich zu sein. Was ist die Rolle des Menschen nicht nur in Bezug auf den Mitmenschen, sondern auch gegenüber der Natur und der Tierwelt? Inwiefern lassen sich durch Tierquälerei erzielte Produktionssteigerungen mit dem Dank für die guten Schöpfungsgaben Gottes in Einklang bringen?92 Kritische und selbstkritische Töne haben in die Feier des Dankes Einzug gefunden. 4.4 Dankesgaben und Erntegaben Es muss nicht unbedingt als heikler Sachverhalt betrachtet werden, dass ein Großteil der Besucher am Erntedanktag aus dem Bedürfnis heraus in die Kirche kommt, etwas von dem zurückzugeben, von dem sie glauben, es durch Gott empfangen zu haben. „Offensichtlich melden sich darin unabhängig von gesellschaftlichen Konstellationen und religiösen Traditionen spezifische psychische Bedürfnisse zu Wort.“93 Unabhängig religiöser Sozialisation und Vorbildung scheint es geradezu selbstverständlich, Dank loszuwerden. Der Gottesdienstbesucher will danken, ganz konkret für all das, was er an Dingen der Lebenserhaltung zur Verfügung hat. Und er will diesen Dank nicht nur ein Tagesgebet lang währen lassen, sondern ihn an einem Sonntag im Jahr bewusst zum Ausdruck bringen und sei es nur dadurch, dass er am Erntedanktag den Weg in die Kirche findet. Es mag aus einem Schuldverhältnis geschehen, dessen man sich bewusst wird und das sich dem innerweltlich etablierten Prinzip des Gabentausches verpflichtet weiß. Dass an diesem Tag die Bereitschaft zum Geben größer ist als an den übrigen Sonntagen, zeigt, dass im Bewusstsein vieler noch immer gilt: „Dankbarkeit und Dankopfer gehören (...) auf elementare Weise zusammen.“94 Diesem Bedürfnis nachkommen zu können, ist dabei konkret an diesen Tag gerichtet. Das Erntedankfest erhält dadurch seine spezifische Prägung. Jeden Sonntag 90 Vgl. Schumacher, Anfragen und Wünsche an meine Kirche, S. 23. Vgl. Schmiedehausen, S. 8. 92 Vgl. Winkler, S. 136. 93 Josuttis, Erntedank – ein unmögliches Fest, S. 213. 94 Hastedt, Erntedanktag, CPNF II/2 1992, S. 227. 91 28 gibt es in der Kirche die Möglichkeit, Gott zu danken. In den Vorbereitungsgebeten kommt es liturgisch ebenso vor wie als Einleitung zu den Fürbitten. Aber am Erntedanktag kommt man nicht zusammen, um unter anderem Gott zu danken, sondern vornehmlich, um Gott zu danken und diesem Dank u.a. auch in Form einer Kollekten- oder Erntegabe Gestalt zu verleihen. Ausdruck der Dankbarkeit sind die meist von Gemeindegliedern bereitgestellten Erntegaben, aus denen der Altarschmuck besteht. Freilich haben diese Gaben nur noch wenig mit der heimischen Landwirtschaft zu tun und stammen oft aus dem Supermarkt. Da keimt die Frage auf, ob es nicht konsequenter wäre, auf solche Gaben zu verzichten, um deutlich zu machen, dass das Erntedankfest mit der Ernte in ihrem ursprünglich agrarischen Sinn für den Großteil der Gemeinde nichts mehr zu tun hat. Wäre es da nicht ehrlicher zu handeln wie der Pfarrer in der Würzburger Vorortgemeinde Lengfeld, der den Altar lediglich mit einem schlichten Laib Brot und einer Schale mit Weintrauben schmückte? Da würde sich mit Joh 6 und Joh 15 gleich Bezug zu Jesus Christus als Brot des Lebens und dem Weinstock und mit ihm der Bezug zum Abendmahl herstellen. Diese Entscheidung des Pfarrers sorgte für Aufregung und Unverständnis, weil der Altar so schlicht und leer und nicht dem Fest entsprechend erschien. Es scheint also Übereinstimmung darin zu bestehen, dass Erntegaben – kommen sie nun aus Holland, Spanien oder dem eigenen Garten – zum Fest gehören. Auf den mit Erntegaben ausgeschmückten Altar zu verzichten, „wäre nicht anders, als zum Weihnachtsgottesdienst einzuladen, ohne ihn weihnachtlich zu gestalten.“95 Die dargebrachten Gaben haben dabei einmal die Funktion, den Bezug zu dem eigentlichen Grund dieses Festes herzustellen. Sie bilden eine Erinnerung an das Wechselspiel von Saat und Ernte und den gebotenen Dank für die Ernte. Darüber hinaus sind sie heute noch Zeichen und Ausdruck des Dankes wie des Wohlstandes, der in der Fülle wie in der finanziellen und organisatorischen Erreichbarkeit der Güter liegt. Nicht zu unterschätzen ist die aktive Partizipation am Gottesdienst, die die Gaben auf dem Altar vielen Gemeindegliedern und auch Kindern bieten, über den treuen Stamm ehrenamtlicher Mitarbeiter hinaus. Sind sie sonst doch nur Empfangende, Rezipierende, auf den Pfarrer und seine Vorarbeit zurückgreifende Hörer, so besteht an diesem Tag wie an keinem anderen für viele die Möglichkeit, dieses Verhältnis zu durchbrechen. „Heute bringen sie aus Haus, Garten und Feld; sie bringen Geld, Früchte, Kinder. Und indem sie das bringen, bringen sie ein Stück von sich.“96 Dass die Erntegaben in all ihrer Pracht dabei Gefahr laufen, nur ein schmückendes Beiwerk zu sein, wenn sie die konkrete Realität heutiger Agrarproduktion außer Betracht lassen97, scheint bewusst nicht wahrgenommen werden zu wollen, und es bleibt die Frage, ob dies denn auch der Fall sein muss. 95 Höppner, Erntedankfest, S. 129. Vgl. Bader, GPM 56 (2001/2002), S. 436. 97 Vgl. Josuttis, Erntedank – ein unmögliches Fest, 215. 96 29 4.5 Kreative Vielfalt Die Gestaltung des Gottesdienstes zum Erntedanktag ist in den letzten 20 Jahren zur Experimentier- und Spielwiese der Pfarrerinnen und Pfarrer geworden. Neue Gottesdienstformen haben ihren Platz gefunden, ehrenamtliche Mitarbeiter aller Altersstufen werden in Vorbereitung und Gestaltung der Feier integriert, neuere Lieder werden gesungen, Anspiele finden ihren Platz. Die Ideen und Vorschläge, die in der homiletisch-liturgischen Literatur hierzu erarbeitet wurden, zeichnen sich v.a. auch dadurch aus, dass die zu dem Tag gehörende Botschaft auf immer kreativere, außergewöhnlichere Art und Weise umgesetzt wird. So kann die Gemeinde nicht nur eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gottesdienst seitens des Pfarrers oder der Pfarrerin voraussetzen, sondern auch immer neue Elemente und Ideen erwarten. An diesem Tag kommt ein Bild von Kirche zum Vorschein, das sich viele das ganze Jahr über wünschen: kreativ, offen, nicht eintönig, sondern vielschichtig, nicht traurig, sondern fröhlich, nicht lebensfremd, sondern mitten im Leben jedes Einzelnen. Mittlerweile scheint es undenkbar, einen Erntedanksonntag ohne Familiengottesdienst zu feiern. In den Gemeinden, in denen sich solch offenere Formen der gottesdienstlichen Feier noch nicht etabliert haben, bietet sich hier für Pfarrer und Gemeinde die Gelegenheit, mit der neuen Form nicht nur zu liebäugeln, sondern sie auch auszuprobieren. Dadurch, dass sich viele Erwachsene oft durch ihre Kinder in die Kirche „mitschleifen“ lassen, wird ein niederschwelliges Angebot erwartet, das die Besucher in ihrer kreatürlichen Realität aufnimmt und nicht gleich vor die soteriologische Weggabelung Heil oder Unheil stellt. Durch diese Entwicklung steigen die Erwartungen an den Gottesdienst: Es muss etwas Besonderes geboten werden, denn einen „normalen“ Gottesdienst kann ich ja auch am 8. Sonntag nach Trinitatis besuchen. Während die Gestaltung des Gottesdienstes im Bewusstsein der Gottesdienstbesucher in der Regel Aufgabe der Pfarrerin oder des Pfarrers ist und ehrenamtlichen Mitarbeiter eher „Hilfsdienste“ wie Lesungen, Mithilfe beim Abendmahl oder das Vorlesen der vom Pfarrer formulierten Fürbitten zukommen, wird einer grundlegenden Intention des Evangelischen Gottesdienstbuches, die Gemeinde am Gottesdienst zu beteiligen, am Erntedanktag am ehesten entsprochen.98 Es ist nicht der Pfarrer allein, der das, was er sich die Nacht zuvor am Schreibtisch hat einfallen lassen, vorträgt, sondern man kann geradezu ein lebendiges Priestertum aller Gläubigen beobachten, wenn Jugendliche in einem Anspiel ihre Vorstellung von Dank ausdrücken, Kindergartenkinder darüber singen, wofür sie dankbar sind oder der MarketingManager mit dem Pfarrer die Spannung zwischen den reichen und armen Ländern in einer Dialogpredigt diskutiert. In der Beteiligung der Gemeinde, die sich auch in mehr körperlichen 98 Vgl. Reich, Die Beteiligung der Gemeinde, S. 788f. 30 Mitmach-Elementen äußern kann, in einem Schöpfungstanz, anschließendem gemeinsamen Essens u.v.m. liegt ein Grund für die Anziehungskraft des Festes. Die kreative Vielfalt, die ein Großteil der Gottesdienstbesucher erwartet, kann allerdings auch dazu führen, dass es eine exklusive Aktionsveranstaltung wird, die nicht allen Gemeindegliedern entgegenkommt: „Ältere Gemeindeglieder bleiben wegen der Unruhe zum Teil diesem Gottesdienst fern.“99 Mühselige und Beladene bleiben fern, weil sie für sich vom Erntedankfest nichts mehr erwarten. Das ist die Spannung, in der sich ein Gottesdienst zum Erntedankfest mit Sicherheit befindet und die es gilt, sich vor Augen zu halten. 4.6 „Wir pflügen und wir streuen“ – das Liedgut zum Erntedankfest Matthias Claudius’ „Wir pflügen und wir streuen“ stellt in seiner mittlerweile breiten gottesdienstlichen Rezeption quasi das „O du fröhliche“ des Erntedanktages dar, ohne das ein Gottesdienst nicht mehr auszukommen scheint. Die musikalische Landschaft an diesem Tag ist ohnehin begrenzt, so dass der Rückgriff auf die älteren Lieder des Gesangsbuchs, die das Thema Erntedank aufgreifen, unausweichlich ist. Sie stammen aus einer Zeit, da die Ernte das Leben der Menschen existentiell bestimmte. „In dem neuen Liedgut kommt dieses Thema bezeichnenderweise nicht vor.“100 Dass das Lied „Wir pflügen und wir streuen“ sich so großer Beliebtheit erfreut, wird seinen Grund wohl darin haben. Der Pfarrer wählt es, weil er den Bezug zur Ernte und deren Ursprung in Gott nicht allein der Deutung der Besucher im Anblick eines mit Gaben geschmückten Altars überlassen will. Die Hörerinnen und Hörer lieben es, weil es jene romantische Vorstellung des Ernteverlaufs zum Ausdruck bringt, die im Lauf der Jahrzehnte durch den schwindenden Einfluss der landwirtschaftlichen Tätigkeit im Leben des Einzelnen immer stärker wuchs. Ähnlich wie bei „Geh aus mein Herz und suche Freud“ oder „Wie lieblich ist der Maien“ in den Frühjahrsmonaten, so tritt auch mit diesem Lied die Natur, die Schöpfung, die Faszination des Zusammenhangs von Saat und Ernte in den Vordergrund und zwar indem es das positive Erleben von Natur aufgreift und so ihrer Schönheit und durch das Singen auch dem Singenden in ihr Platz gibt. 4.7 Die Predigt In all der Besonderheit an diesem Tag, all dem Außergewöhnlichen im Gottesdienst ist die Kontinuität ein wichtiges Erwartungselement am Erntedanktag. Der Wunsch nach Kontinuität darf dabei nicht nur auf die Kerngemeinde „abgewälzt“ werden. Er verdankt sich auch oder gerade bei den sogenannten „Fernstehenden“ ihren Erinnerungen aus der Kindheit. Das Bedürfnis nach Kontinuität äußert sich vor allem darin, bestimmte Gestaltungselemente und 99 Hastedt, S. 231. von Issendorf, Erntedankfest – eine schwierige homiletische Situation, S. 23f. 100 31 Inhalte einzufordern. Viele Möglichkeiten für die Gemeinde, dies zu tun, gibt es freilich nicht. Jedoch wird die Pfarrerin oder der Pfarrer es an der Reaktion der Besucher merken, dass es bestimmte Elemente gibt, deren Fehlen den Besuchern negativ auffällt. Dazu gehört mit Sicherheit die Predigt, auch wenn sie in der Entwicklung, am Erntedanktag Familiengottesdienste zu feiern, als Zentrum der Feier in den Hintergrund getreten ist.101 Die inhaltliche Ausrichtung der Predigt stand bis zur Blütezeit der Industrialisierung nicht zur Debatte: „Waren die Scheunen voll geworden, hatte man Grund zu danken; war die Ernte schlecht, war das Anlass zur Buße und zur Bitte.“102 Heute werden sich in dem vorwiegend urbanisierten Lebenskontext unter veränderten sozioökonomischen Bedingungen die Hörer am Erntedanktag in zwei Lager teilen: „Traditionalisten und ökologisch Engagierte.“103 Genaue exegetische Ausführungen erwarten die Gottesdienstbesucher beider Lager an diesem Tag nicht.104 Den einen geht es um den ursprünglichen Bezug des Erntedankfestes zu Gott als dem Geber aller Gaben, sie erwarten also eine eher doxologisch ausgerichtete Predigt. Den anderen ist die „Diskrepanz zwischen der Tradition des Erntedankes und einer dazu längst nicht mehr stimmigen Situation“ unter biblischen Gesichtspunkten klärungsbedürftig.105 Mehr und mehr gehört es so in der Ansprache des Pfarrers dazu, dass an einem Tag, an dem der Altar vor Gaben geradezu überquillt, der Blick sich auch auf diejenigen richtet, denen dieses Glück nicht beschieden ist. Es gehört ebenso dazu wie sich über die eigene Stellung in der Natur auch ins Gewissen reden zu lassen, zur Stellungnahme bezüglich der Verantwortung des Menschen für die Schöpfung aufgefordert zu werden und Orientierung für das Handeln zu bekommen.106 Die Pfarrerschaft wehrte sich dabei gerade in ihren Predigten zum Erntedanktag gegen eine u.U. von den Besuchern erwartete Romantisierung der Erntezusammenhänge, schaffte geradezu einen Gegenpol in einer oft ethisch ausgerichteten Predigt, in der die Aspekte „Danken und Teilen“, „Genießen und Bewahren“ oder eine Umdeutung des Erntebegriffs eine zentrale Rolle spielten.107 Letzteres hat sich schwerlich oder nur z.T. durchgesetzt. Geblieben ist die Problematisierung des Erntedankfestes. „Die ökologischen Aporien, die jahrelang in kleinen Zirkeln verhandelt und oft genug verheimlicht wurden, sind in die Herzen vieler Menschen gedrungen“108, so dass sowohl die globalen ökologischen Fragestellungen als auch die gemeindespezifischen Umweltprobleme ins Bewusstsein getreten sind und nach einer Stellungnahme seitens der Kirche verlangen. So gehört für viele Besucher „die pastorale 101 Vgl. Gerts, S. 11. Öffner, S. 18. 103 Schneider, S. 386. 104 Vgl. Foitzik, Erntedankfest, PrSt II/2 1997/98, S. 186. 105 Vgl. Schneider, S. 385. 106 Vgl. Winkler, S. 141. 107 Vgl. Merkel, GPM 23 (1968/1969), S. 358. 108 Frerichs, Erntedanktag, CPNF I/2 1991, S. 243. 102 32 Mahnung zum Teilen der Gaben und zum verantwortlichen Umgang mit ihnen in der geistlichen Dankrede wie das Tüpfelchen zum ‚I’“, so sehr, dass manche Gottesdienstbesucher „enttäuscht wären, wenn es in der Predigt nicht angewandt würde.“109 Durch die stärkere Betonung der Orthopraxie zu Lasten der Orthodoxie haben die Besucher internalisiert: „Ist Nehmen schön, so ist Geben doch ungleich besser (‚seliger’) und richtiger.“110 Angesichts der stärker ins Bewusstsein tretenden Armut in der Welt wie im eigenen Lebenskontext geschieht so „der Dank mit halbem Herzen und herabgezogenen Mundwinkeln, die Klage und die (Für-)Bitte hingegen kommen aus voller Brust“, und in Bezug auf die Predigt „verliert sich in undeutlicher Rhetorik, was nun eigentlich aus dem Danken und der Dankbarkeit geworden ist.“111 Dass die Predigt dann oft nach dem gleichen Schema verlief, ließ sich nicht vermeiden: „1. Wir sind hier, um zu danken ... 2. Wir versuchen zu helfen und geben ... ab. 3. Besitzt uns nicht aber das, was wir besitzen? 4. Wovon lebt der Mensch? Jesu Liebe befreit uns ... macht uns tauglich für unsere Aufgaben der Welt.“112 4.8 Das Abendmahl Gerade der Bezug des Erntedankfestes zur Ernte, der sich im Brauchtum der Erntekrone oder im Lied „Wir pflügen und wir streuen“ zeigt, und die Verbindung von Brot und Wein in der Metaphorik des Alten wie Neuen Testaments lassen eine Abendmahlsfeier für viele Besucher sinnvoll erscheinen. Darin offenbart sich die christliche Überzeugung, dass Schöpfung und Erlösung zusammen gehören, dass eine saubere Trennung von Naturjahr und heilsgeschichtlich orientiertem Kirchenjahr nicht ohne weiteres vollzogen werden kann, wie es die Rezeption naturreligiöser Elemente v.a. im Brauchtum und die Erwartungen der Besucher in Bezug auf Schöpfungserfahrung vielleicht nahe legen könnten.113 Durch die Feier des Abendmahls bekommt der Altar am Erntedankfest eine Doppelbedeutung: „Die Gemeinde schmückt den Altar mit Früchten des Feldes (...). Und dann wird an diesem Festtag oft (sinnigerweise) das Abendmahl angeboten, in dem sich das ‚Brot des Lebens’ selber zur Speise gibt.“114 Brot und Wein symbolisieren so als Gaben der Natur und Produkte menschlicher Kultur zugleich auch „die geistliche Nahrung, die das Gottesvolk auf seinem Weg empfängt.“115 Das Abendmahl zu feiern war früher die Regel, schwand jedoch aufgrund der zunehmenden Anzahl der Familiengottesdienste und der daraus erwachsenen Problematik einer Teilnahme noch nicht im Konfirmandenunterricht unterwiesener Kinder am Abendmahl. Seit der Öffnung der evangelischen Kirche zum Kinderabendmahl jedoch – mit all ihren Vorteilen und ihrer 109 Daiber, Oktoberfeste, S. 12. Eisinger, GPM 54 (1999/2000), S. 406f. 111 Eisinger, S. 407. 112 Ursula Krüger, zitiert nach Bernd Jörg Diebner, Erntedankfest, PrSt I/2 1996/97, S. 187. 113 Vgl. Bieritz, Das Kirchenjahr, S. 47. 114 Rommel, Solange die Erde steht, S. 451. 115 Bieritz, Das Kirchenjahr, S. 47. 110 33 Problematik – gehen immer mehr Gemeinden diesen Weg zur Abendmahlsfeier im Erntedankfestgottesdienst zurück und begreifen es als die Chance, als „ganze“ Gemeinde miteinander das Abendmahl zu feiern. Ob konkret eine Abendmahlsfeier erwartet wird, wage ich nicht zu behaupten. Bei den Älteren der Gemeinde wird das mit Sicherheit der Fall sein. Aber zumindest sollte es eine Feier sein, die dem Gottesdienst ein sinnlich-wahrnehmbares Element gibt und damit den Menschen als Ganzes, als Leib und Seele anspricht. Weil vom Erntedankfest konkrete, elementare Erfahrungen erwartet werden, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Natur und der Stellung des Menschen in ihr stehen, gehen einige Gemeinden dazu über, Agape-Feiern abzuhalten oder meditatives Schmecken von Brot und Trauben in den Gottesdienst zu integrieren. Vielleicht auch deshalb, um diesen Zusammenhang nicht wieder christologisch zu übertünchen und damit den „einmaligen“ Vorrang der Schöpfung im Gottesdienst zu gefährden. 4.9 Der Charakter des Gottesdienstes – ein Resümee „Der Gottesdienst soll fröhlich sein“ – bei aller Ethisierung und Zeigefinger-Mentalität, trotz aller Umweltproblematik und Fragwürdigkeit des Dankens im Blick auf die Hungernden in der Welt. Gerade im Anblick eines mit Gutem geschmückten Altars und der zum Ausdruck kommenden Kreativität wird ein Gottesdienst erwartet, dessen Charakter eher dem einer freudigen Feier als eines Bußtages entspricht. Hier werden Bedürfnis der Gottesdienstbesucher und theologische Motivation des Pfarrers oder der Pfarrerin wohl am stärksten auseinander gehen. Ein Bußgottesdienst oder die Erhebung des Erntedanktages zum Fastentag würde m.E. zu Recht auf Unverständnis seitens der Gemeinde stoßen. Analog zur Freude über die Schöpfung und die Ernte als Überbegriff für die Gaben Gottes, die die Gottesdienstbesucher an diesem Tag in die Kirche bewegt, soll auch die Feier diesen Charakter haben. Das kann seinen Ausdruck in Liedern, Predigt, Gestaltung finden oder aber auch in der Abhaltung eines Gemeindefestes im Anschluss an den Gottesdienst. Zwar haben kritische Töne ihren Platz und ihre Berechtigung, werden gar eingefordert. Die erwartete Grundtendenz des Tages aber ist der Dank und mit ihm die Freude. Im Blick auf die theologische Ortsbestimmung des Erntedankfestes hat dieser kurze phänomenologische Blick auf die Ausgestaltung des Festes und die an sie gestellten Erwartungen gezeigt, dass das Erleben der Schöpfung und damit die Relevanz des ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses einen hohen Stellenwert besitzt. Erntedank – das ist Feier der Schöpfung und der aus ihr erwachsenen Gaben bzw. sich in ihr offenbarende Größe und Güte Gottes, auf die der Mensch nur mit Dank reagieren kann. Zugleich deutete sich bereits das Bewusstsein für die Schwierigkeit eines schöpfungstheologisch fundierten Festes für die christliche Existenz an, 34 v.a. dann, wenn christologische bzw. soteriologische Topoi ins Gespräch kommen. Die Relevanz des Festes steht indes nicht in Frage. Das Bedürfnis, dem Dank Ausdruck zu verleihen, sowie nach einer Auseinandersetzung des Menschen mit seiner kreatürlichen Existenz ist ungebrochen. 5. Erntedank als Aufgabe und Herausforderung der familia Dei An kaum einem anderen Feiertag wie dem Erntedankfest finden in so vielen Gemeinden Gottesdienste statt, die den Blick über die Kerngemeinde hinaus werfen und versuchen, alle Altersgruppen zu integrieren. Solche sich seit den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts etablierenden Feiern setzten und setzen an sich selbst den Anspruch, Gottesdienst der familia Dei zu sein.116 Und dennoch gab und gibt es in der noch jungen Geschichte des Familiengottesdienstes die Tendenz, den Begriff „Familie“ im wörtlichen Sinne zu verstehen und somit die Lebenswirklichkeit nur dieser Lebensform in den Mittelpunkt zu stellen. Der Begriff „zielgruppenorientierter Gottesdienst“ ist symptomatisch für diese Entwicklung, die sich mehr und mehr im Bewusstsein der Gemeinden als Notwendigkeit durchzusetzen scheint und der nur in einem sogenannten „zweiten Programm“ Rechnung getragen werden könne.117 Weil am Erntedankfest Familiengottesdienste mittlerweile Konjunktur haben, ist es notwendig, einen Blick auf die Entwicklung dieser neueren Gottesdienstform zu werfen und deren Anliegen und Problemfelder aufzuzeigen, die noch heute für die Ausgestaltung prägend sind. 5.1 Kurze Darstellung der Entwicklung des Familiengottesdienstes Die ersten Gehversuche des Familiengottesdienstes waren im Vergleich zu den heutigen Feiern geradezu schlicht gehalten und zielten eher darauf, den Kindern ein Hineinwachsen in den agendarischen Gottesdienst zu ermöglichen, allerdings nicht ohne auf ihre spezifischen Bedürfnisse einzugehen.118 Dies geschah etwa dadurch, dass die Lesung szenisch-pantomimisch gestaltet, neuere, leicht singbare Lieder ausgewählt und Gebete wie biblische Texte kindgemäß vermittelt wurden. Ein besonderes Augenmerk lastete dabei auf dem Verkündigungsteil. Statt einer „klassischen Predigt“ folgte der Versuch „durch Nacherzählung des Textes den kleineren Kindern, durch Bedenken kritischer Fragen den größeren Kindern und durch eine kurze Verkündigung zugleich den Erwachsenen gerecht zu werden.“119 Eine andere Form war die heute noch anzutreffende Teilung des Gottesdienstes in zwei parallel verlaufende Gottesdienste. Die 116 Vgl. Langhoff, Zu Fragen des Familiengottesdienstes, S. 140-144, und Besser, Typen des Familiengottesdienstes, S. 77-81. 117 Vgl. Kugler, Familiengottesdienste, S. 12f. 118 Vgl. Kugler, Stationen neuer Gottesdienste, S. 15. 119 Ratzmann, Familiengottesdienst, S. 820. 35 Familie begann den Gottesdienst zusammen in der Kirche, feierte während Predigt und eventuellem Abendmahl getrennt und kam zum Segen oder nach dem Gottesdienst wieder zusammen.120 Heute verbindet man mit dem Begriff Familiengottesdienst jedoch eher die seit den Siebziger Jahren stärker werdende Tendenz, gemeinsam den ganzen Gottesdienst zu feiern. Es wurden eigene Liturgien entwickelt, ehrenamtliche Mitarbeiter stärker integriert und versucht, sich in Sprache wie Thematik den wandelnden Lebenssituationen und Herausforderungen zu öffnen. „Moderne Medien und Rhythmen, gelockerte Umgangsformen und eine auf Verständlichkeit bedachte, bewusst moderne Sprache, eine didaktisch konzipierte und entsprechend moderierte Liturgie bestimmten die Atmosphäre.“121 Das Evangelische Gottesdienstbuch (EGb) nimmt diesen Trend auf und versucht, ihn in eine so offen wie mögliche Form zu bringen.122 Dem EGb geht es nicht mehr darum, zu begründen, „warum es auch andere Formen als die traditionellen geben darf“, sondern es verfolgt die Vision eines Gottesdienstes für alle und fragt: „Wie können wir Gottesdienst feiern (...), in dem sich möglichst viele Menschen zu Hause fühlen können.“123 Die im EGb genannten Charakteristika des „Gottesdienstes für Jung und Alt“, wie etwa der aktiven Beteiligung der Gemeinde in Vorbereitung und Vollzug der Feier, der kindgerechten Sprache, der Offenheit für neue Formen, fasst somit eine 20- bis 30-jährige Erfahrungswelt zusammen.124 Gottesdienste in neuer Form wurden dabei oft aus der Not heraus geboren, dass viele Menschen sich dem gottesdienstlichen Leben immer mehr entfremdet fühlten125 und dass vor allem junge Menschen, deren Umfeld und religiöse Sozialisation sich grundlegend änderten126, schließlich keinen Zugang mehr zu dem Gottesdienst am Sonntagmorgen fanden. Über die Kinder dagegen hatten die Eltern nun die Möglichkeit, aus ihrer Befangenheit gegenüber der Kirche herauszutreten und einen „Schritt der Wiederannäherung“ zu gehen: „Versteckt hinter ihrem Kind haben sie selbst das Geschehen genossen, begeistert mitgesungen und mitgeklatscht und mitgefeiert.“127 Auch der stärker werdende Ruf nach einer „Beteiligungskirche“ konnte in den Gemeinden nicht überhört werden.128 Das umfasst die Beteilung ehrenamtlicher Mitarbeiter an der Vorbereitung in gleichem Maße wie die der Gemeinde am Gottesdienstgeschehen selbst.129 120 Vgl. Nagel, Art. Familiengottesdienst, Lexikon der Pastoral, Bd. 1, Sp. 440. Ratzmann, S. 821. 122 Vgl. Evangelisches Gottesdienstbuch, S. 209ff. 123 Baltruweit, Ruddat, Gemeinde gestaltet Gottesdienst 3, S. 260. 124 Vgl. EGb, S. 209. Vgl. auch Ratzmann, S. 824. 125 Vgl. Grethlein, Art. Familiengottesdienst, RGG4, Sp. 30. 126 Vgl. Bäumler, Jugendarbeit, S. 310f.; vgl. Kirste, Jugend- und Schulgottesdienst, S. 832. 127 Gerts, S. 9. 128 Vgl. Grethlein, Art. Familiengottesdienst, RGG4, Sp. 30. 129 Vgl. Gerts, S. 15f. 121 36 Gerade in der spezifischen Form des Familiengottesdienstes wird das Bedürfnis der Eltern sichtbar, mit ihren Kindern gemeinsam einen Gottesdienst zu feiern, in dem nicht die Kinder die Kirche verlassen müssen, um im angrenzenden Gemeindesaal „allein“ weiterzufeiern oder Eltern zu Hause bleiben, weil sie befürchten, ihre Kinder würden die Andacht des Gottesdienstes stören. Das religiöse Leben der letzteren spielte sich fast ausschließlich in den Krabbelgruppen der Gemeinde, in Festen und Leben eines kirchlichen Kindergartens und eben in den einzelnen, über das Jahr verstreuten Familiengottesdiensten ab.130 Ein Grund für die Anziehungskraft des Familiengottesdienstes lag auch darin, dass in ihm neue Kommunikationsformen in den Blick genommen wurden und damit auch vermeintlichen liturgischen Altlasten wie „eine geringe Bewegungsmöglichkeit, unverständliche Riten und Sprachformen, altmodisch erscheinende Orgelmusik zum schleppenden Gemeindegesang“ ein Ende gemacht werden konnte.131 So war von Beginn an Charakteristikum schlechthin, dass neue Elemente in zum Teil noch traditionellen Abläufen halfen, „Elemente eines biblischeren Gottesdienstes“ aus einer intellektuellen Engführung zu befreien und „mit Herzen, Mund und Händen zurückzugewinnen.“132 Als zentrale Anliegen des Familiengottesdienstes können somit festgehalten werden: 1) Es ist die Vorstellung, dass Kinder von Erwachsenen lernen. Gerade in den Anfangsformen ging es um die Einführung der Kinder in das gottesdienstliche Leben der Gemeinde, auch wenn dieser Lerneffekt mittlerweile zugunsten der gemeinsamen Feier in den Hintergrund getreten ist.133 2) Der Familiengottesdienst bot sich auch als Ausweg aus einer gottesdienstlichen Krise an. Die neue Form bot die Möglichkeit, über ein liturgisch alternatives Modell Menschen neu für den Gottesdienst zu gewinnen134 und ihre durch die Kirchenmauer erweckte „latente, kaum greifbare Angst“, die sie „leicht steif, abwartend, zurückhaltend“ werden ließ, zu überwinden.135 3) Dadurch rückte auch immer stärker die kirchliche Arbeit mit Familien im Kontext des Gemeindeaufbaus in den Vordergrund. Ganz konkret wandte man sich mit diesem neuen Angebot an die Eltern und versuchte, sie über die Kinder auch gottesdienstlich an die Kirche zu binden und dadurch eine Wiederannäherung zu ermöglichen.136 4) Auch wurde es als evident angesehen, dass nicht nur Kinder von Erwachsenen lernen könnten, sondern ebenso umgekehrt. Georg Kugler stellt 1973 fest: „Jeder Gottesdienst führt zu 130 Vgl. Kugler, Wie könnten Familiengottesdienste aussehen, S. 17. Vgl. Grethlein, Auf der Suche nach neuen Formen – Neue Ansätze, S. 886. 132 Kugler, Stationen neuer Gottesdienste, S. 15. 133 Vgl. Gerts, S. 11. 134 Vgl. Ratzmann, S. 821. 135 Vgl. Gerts, S. 14. 136 Vgl. Kugler, Familiengottesdienste, S. 13. Vgl. auch Ratzmann, S. 821. 131 37 Lernerfahrungen“137 und schließt dabei auch die Erwachsenen mit ein. Dies betrifft weniger die Form des Gottesdienstes, sondern v.a. die Art und Weise, wie Kinder Gottesdienst feiern. 5) Und schließlich war es wichtig geworden, die sich stetig ändernde Lebenswelt der Familien mit dem gemeindlichen Leben zu verknüpfen. Weil sich die traditionelle Familie immer mehr als gesellschaftliches Problemfeld zeigte, wurde nun die Familie selbst Thema der Gemeinde und bedurfte einer Klärung. Die Familie, ihre Grundlegung, Form und Ausgestaltung, das Leben in ihr und die vielen hieraus wachsenden Herausforderungen138 traten in den Vordergrund.139 5.2 Familiengottesdienst als Ausdruck der kreativen Vielfalt der Gemeinde Die Entwicklung des Familiengottesdienstes mit anzusehen, macht Freude. In einer Vielzahl von Gottesdienstentwürfen kommen Kreativität, Lebendigkeit, Freude an Gott und dem gemeinsamen Feiern wie auch eine z.T. heilsame Unbekümmertheit gegenüber biblischen Themen zum Vorschein. Nicht nur, dass die Gemeinde einen Gottesdienst feiert, der sich von den übrigen des Kirchenjahres in Ausgestaltung und Besucherprofil unterscheidet – sie ist in dieser Form mehr als in jeder anderen selbst aktiv beteiligt. Das Team, das es in der Regel zur Vorbereitung gibt, setzt sich aus Gemeindegliedern zusammen, die noch einmal einen ganz anderen Blick für Situation und Bedürfnisse der Gemeinde haben als der Gemeindepfarrer allein. Eltern und Kindern wird ein Platz im kirchlichen Leben zugestanden, und zwar der zentrale Platz gemeindlichen Lebens schlechthin: der Gottesdienst. Somit haben auch sie die Möglichkeit, ein religiöses Zuhause zu finden, einen Ort, an dem ihre spezifischen religiösen Bedürfnisse ernst genommen werden und zur Sprache kommen können. In dieser gottesdienstlichen Feier sind die Besucher nicht an äußere liturgische Formen gebunden. Es bilden sich vielmehr eigene, aktuelle und ortsbezogene Traditionen, in denen die Begabungen vieler Gemeindeglieder zum Tragen kommen, ihre „Fähigkeiten, Phantasie, Individualität und die irdisch-alltäglichen Probleme“ wie ihr Bedürfnis nach Fest und Feier.140 Der Familiengottesdienst ist so der Versuch, wieder jene Gottesdienstsituation herzustellen, wie sie zum Teil früher vorherrschte und biblisch fundiert ist und in dem Begriff der familia Dei anklingt: Jung und Alt, Groß und Klein, Reich und Arm, versammeln sich in der Kirche, um miteinander vor Gott zu treten. Der Gottesdienst wird wieder zu jenem Ort, „an dem die Gemeinschaft der Generationen vor Gott sich ereignen“ kann.141 Gerade die Gegenwart von Kindern gibt dabei den Erwachsenen die Möglichkeit, „dass auch sie sich mit den Liedern, Gebeten, Lesungen immer wieder auf das Elementare (...) am Evangelium besinnen, während die Abwesenheit der Kinder den Gottesdienst nur immer erwachsener, kälter 137 Kugler, Wie könnten Familiengottesdienste aussehen, S. 20. Vgl. hierzu Schmidt, Lebenszyklisch orientierte Familienseelsorge in der Gemeinde, S. 127-130. 139 Vgl. Ratzmann, S. 822. 140 Vgl. Gerts, S. 10. 141 Möller, Gottesdienst als Gemeindeaufbau, S. 174. 138 38 und intellektueller macht.“142 Dass sich also für beide Seiten ein heilsames Lerngeschehen ereignen kann, das Kinder in religiöse Praxis und Feier einübt und den Erwachsenen erlaubt, „das Reich Gottes zu empfangen wie ein Kind“ (Mk 10,15). So erwies sich die neue Form als „Bindeglied zwischen jüngeren Familien und der Ortsgemeinde.“143 5.3 Die Problematik des Familiengottesdienstes als Zielgruppengottesdienst Die Entwicklung des Familiengottesdienstes mit anzusehen, hat bei all der Freude manchmal auch einen bitteren Nachgeschmack. So sehr man sich bemühte, offen als familia Dei zu feiern, so exklusiv und nach innen gerichtet konnten sich die Gottesdienste, die schließlich gefeiert wurden, gebärden. Der Familiengottesdienst stellt sich heute häufig als ein Zielgruppengottesdienst dar, der von Familien für Familien, und dabei mittlerweile speziell Familien mit kleineren Kindern, gestaltet und gefeiert wird.144 Als zentrales Thema erscheint nun weniger der biblische Text, sondern die Familie in ihren unterschiedlichen Formen, Zusammensetzungen und Herausforderungen. Dadurch gewinnt auch der Familiengottesdienst seine neue Gestalt zum großen Teil von dieser Sachbezogenheit her und hat seinen Schwerpunkt in der Darstellung von Nöten und Problemen, Hoffnungen und Freuden der Familien.145 Mit Recht kann der Familiengottesdienst „als Selbstinszenierung der bürgerlichen Familienkultur im Raum der Kirche“ verstanden werden.146 Das Problem dabei liegt m.E. weniger darin, die Kommunikation des Evangeliums könnte unter einer solchen Selbstinszenierung leiden147, sondern vielmehr in der Spezialisierung auf eine einzelne Gruppe innerhalb der Gemeinde, der das Recht zugestanden wird, sich selbst letztlich auch wieder nur für sich selbst zu inszenieren. Die von Familiengottesdiensten oft erwartete „besonders kindgemäße Gestaltung“ ist dabei stets der Gefahr einer Banalisierung und Infantilisierung ausgesetzt, wodurch die Feier leicht zu einem in die Länge gezogenen Kindergottesdienst werden kann. Christian Möller gibt zu bedenken: „Was aber bei dieser Art von Banalisierung herauskommt, ist nur ein Gottesdienst für nette Menschen, in dem die Mühseligen und Beladenen, die Angefochtenen und Einsamen keinen wirklichen Platz mehr haben.“148 Ein solcher Gottesdienst, oft „schmiegsam, flexibel, dynamisch, spontan, natürlich, authentisch, verständlich, warm, (...) menschlich, offen, kreativ, lebendig“ mag zwar hohe Sympathiewerte bei einzelnen Gruppen und Kreisen wecken, setzt sich dann aber – 142 Möller, Gottesdienst als Gemeindeaufbau, S. 176. Gerts, S. 10. 144 Vgl. Ratzmann, S. 820. 145 Vgl. Grethlein, Art. Familiengottesdienst, RGG4 Sp. 29. 146 Vgl. Ratzmann, S. 822. 147 So Ratzmann, S. 822. 148 Möller, Gottesdienst als Gemeindeaufbau, S. 177. 143 39 v.a. wenn er weiterhin an sich den Anspruch stellt, Gottesdienst der familia Dei zu sein – einem „permanenten Glaubwürdigkeitsproblem“ aus.149 Als eine Aufgabe des Familiengottesdienstes wird die Überwindung der Isolation und die daraus sich ermöglichenden Begegnungen der Gemeindeglieder untereinander formuliert.150 Während Kurt Rommel 1971 noch aus Angst, der Familiengottesdienst könnte sich durch mangelnde Rezeptionsbereitschaft der traditionellen Gottesdienstbesucher nicht in das übrige 151 Gemeindeleben einfügen, fordert, ihn nicht isoliert stehen zu lassen , muss m.E. heute konstatiert werden, dass sich der Familiengottesdienst als Zielgruppengottesdienst mehr und mehr selbst isoliert von den Gruppen der Gemeinden, die nicht unter den traditionellen Familiebegriff fallen. Eine Tendenz, die immer stärker – auch angesichts der zunehmenden Zahl kinderloser Ehepaare und Singles – der Kritik ausgesetzt ist.152 Christian Möller fasst diese Tendenz zu Recht so zusammen: „Bekommt nicht, wer einsam ist und keine Familie hat, durch einen Familiengottesdienst erst richtig vor Augen geführt, was ihm fehlt?“153 Damit rückt v.a. die Frage nach dem Familienbegriff stärker in den Vordergrund. 5.4 Familiengottesdienste am Erntedankfest Im Blick auf die „großen Feiertage“ des Kirchenjahres, zu dem rein „zahlenmäßig“ mittlerweile auch das Erntedankfest gehört, ist diese Entwicklung des Familiengottesdienstes von Bedeutung. Gerade an diesen Tagen ist die Hürde, eine solche für viele Gemeindeglieder noch ungewohnte Gottesdienstform einzuführen, am niedrigsten und die Scheu, auf einen Familiengottesdienst zu verzichten, am größten. Dass sich gerade am Erntedanktag ein Familiengottesdienst anbietet, liegt in der Möglichkeit, durch den Naturbezug, durch die feierliche Ausgestaltung des Altarraums und gerade durch jenen Feiercharakter die den Kindern eigenen Rezeptions- und Kommunikationsformen leichter zu berücksichtigen. Sie werden selbst aktiv, etwa im Bringen der Altargaben, einem Anspiel, dem Singen im Kinderchor usw. Durch das Thema Erntedank und seine Verbindung zum ackerbäuerlichen Leben wird eine anschauliche und elementare Ansprache erleichtert. Auch der ganzheitlichen und leibhaften Orientierung von Kindern wird durch diesen Naturbezug oder die oft meditative Auseinandersetzung mit der Schöpfung Rechnung getragen.154 Seit mehr als zwei Jahrzehnten spiegelt sich dies in der homiletisch-liturgischen Literatur mit einer Fülle von Gottesdienstentwürfen und Praxisbeispielen wider. 149 Vgl. Adloff, Kein Gottesdienst für nette Leute, S. 28. Vgl. Ratzmann, S. 825. 151 Vgl. Rommel, Familien im Gottesdienst, Lahr 1971, S. 9. 152 Vgl. Grethlein, Art. Familiengottesdienst, RGG4, Sp. 30f. 153 Möller, Gottesdienst als Gemeindeaufbau, S. 177. 154 Vgl. Freudenberg, Mitmach- und Familiengottesdienste, S. 7. 150 40 Wolfgang Gerlach stellt beispielsweise eine Meditation über das Fruchtbringen der Natur anhand eines Apfels in den Mittelpunkt, den jeder Gottesdienstbesucher in die Hand bekommt;155 Klaus Zillessen geht mit dem von ihm verfassten Apfellied wie viele andere Entwürfe einen ähnlichen Weg der Meditation.156 Kurt Rommels Interesse liegt in vielen Entwürfen zum Familiengottesdienst auf einer aktuellen Sprache in der Liturgie, was sich auch „in einer unerschöpflichen Produktion neuer Kirchenlieder äußerte.“157 Auch wenn die Lieder des EG nicht gänzlich ausgeblendet werden konnten, gilt: „Neuere Lieder gehören unbedingt dazu“, die mit eingängigen Melodien und leicht verständlichen Texten in aktueller Sprache nicht mehr von der Orgel begleitet werden, sondern von gemeindeeigenen Bands „mit Blockflöten, Querflöten, Gitarren, Becken, auch dem verschmähten Keyboard.“ 158 Sprechmotetten wechseln sich ab mit „Auslegungsspielen“ im Halbkreis im Altarraum.159 Kinder gestalten mit Gesängen den Gottesdienst, nachdem sie mit vorbereiteten Gaben durch das Kirchenschiff eingezogen sind160 – vielleicht in Form einer „Modenschau der Früchte“.161 Lesungen werden paraphrasierend, z.T. nacherzählend von Kindern oder Erwachsenen gestaltet. Dabei können anstelle der Eingangsgebete oder Lesungen auch nichtbiblische Gedichte und Erzählungen zu Gehör kommen.162 Ihnen schließt sich eine kurze Ansprache des Pfarrers an163, oder an die Stelle der Predigt treten Gruppengespräche, in denen Jung und Alt gegenseitig von ihren Dankanliegen berichten und deren Ergebnisse im Plenum zusammengetragen werden.164 Willi Hoffsümmer wartet mit einer Vielzahl von Symbolpredigtvorschlägen auf: Anhand von Korn, Ähre und Brot wird Gottes Wunderwirken in und durch seine Schöpfung veranschaulicht; ein Ölfass im Altarraum „kann uns daran erinnern, was uns im Öl alles geschenkt ist“ vom Salböl, Duftöl, schmackhaften Olivenöl hin zum Erdöl, das als wichtiger Pfeiler der mobilen Gesellschaft zugleich erinnert an die Gefährdung der Umwelt. So erhält dann jeder „einen kleinen Ölzweig, das Friedenszeichen am Ende der Sintflut als Auftrag, verantwortungsvoll mit dieser Gabe umzugehen.“165 Auch der Erntekranz bzw. die Erntekrone kann wieder in Erscheinung treten. Um auf die ungerechte Verteilung der Güter hinzuweisen, kann ein 155 Gerlach, Gottesdienstliche Besinnung zum Erntedanktag, S. 24-27. Vgl. Zillessen, Kinderpredigt zum Erntedankfest, S. 28-30. 157 Gerts, S. 11. 158 Gerts, S. 16f. 159 Vgl. Köhler, Sprechmotette zum Erntedanktag, S. 19f., und Herlyn, Familiengottesdienst zum Erntedanktag, S. 31-36. 160 Vgl. Winkler, S. 140. 161 Vgl. Hoffsümmer, Bausteine für Familiengottesdienste, S. 52. 162 Vgl. Zeilinger, Leben – Lebensmittel – Lebenszeichen, S. 34f. 163 Vgl. Gerts, S. 15: „Wer sich als Amtsinhaber im Talar doch zum Predigen genötigt sieht (...), der sollte eine bekannte Regel für Prediger der Situation entsprechend drastisch verschärfen: Du darfst über alles predigen, nur nicht über fünf Minuten.“ 164 Vgl. Herlyn, S. 34f.; vgl. Kugler, Familiengottesdienste, S. 83. 165 Vgl. Hoffsümmer, S. 48f. 156 41 Stacheldraht dienen, „der zu einem Drittel mit Ähren wie zum Erntekranz gebunden ist.“166 Dabei kann verstärkt auch die ästhetische Dimension des Festes zu Tage treten, etwa indem verschiedene Blumen auftreten und zur Sprache kommen: „Wir loben Gott, indem wir mit unserem Aussehen Farbe, Buntheit, Freude und Leben ausstrahlen.“167 Das Abendmahl wird nicht am Altar, sondern an Tischen gefeiert168, statt Hostien und Kelch gibt es selbstgebackenes Brot und Weintrauben.169 Gebete – aus der Vorbereitungsgruppe heraus entstanden – werden nicht mehr vom Pfarrer, sondern von Kindern, Jugendlichen oder erwachsenen Gemeindegliedern „direkt und ohne Umschweife“ vorgetragen.170 Nach dem Gottesdienst bleibt die Gemeinde zusammen, dem Kirchenkaffee und gemeinsamen Mittagessen schließen sich verschiedene Aktivitäten wie „Apfelschnappen“, „Getreidebilder kleben“, Gemüse schneiden und Suppe kochen oder Erntedanktänze an.171 Der Kreativität sind – betrachtet man die unzähligen Vorschläge und Praxisbeispiele – kaum Grenzen gesetzt. Dabei ist das sie einende Charakteristikum, über einen gemeindepädagogischen Zugang das Erntedankfest als Fest zu feiern und dabei „alle Sinne in die Erfahrung des Empfangens und Dankens“ einzubeziehen.172 5.5 Resümee Der Familiengottesdienst ist mittlerweile fester Bestandteil des Erntedankfestes. Er kann sich als Farbtupfer im Kirchenjahr und ebenso auch als Kontrapunkt zu dem „Liebhabergottesdienst für Anhänger des normalen Hauptgottesdienstes nach Agende“ gebärden.173 In seiner Entwicklungsgeschichte und in gegenwärtigen Entwürfen wird das Bemühen um die im „Neuen Testament begründete Unablösbarkeit des Gottesdienstes vom Alltag des Lebens“ sichtbar. Jedes Jahr geschieht am Erntedankfest der Versuch, generationenübergreifend dem Gottesdienst „seinen Charakter als notwendige, auf die Breite christlicher Existenz in dieser Welt bezogene Lebensfunktion“ zurückzugewinnen.174 „Es gibt keinen größeren Schaden in der Christenheit, als Kinder zu vernachlässigen“, schreibt Martin Luther in seinem Sermon vom ehelichen Stand.175 Ein Schaden auch für die Erwachsenen. Denn durch eine Ausgrenzung der Kinder laufen die Erwachsenen Gefahr, dass sie verlernen zu schauen, zu staunen und zu empfangen wie ein Kind. 166 Hoffsümmer, S. 52. Haag, Lasst Blumen sprechen. Erntedankgottesdienst für Groß und Klein, S. 35. 168 Vgl. Kromberg, Gottesdienst von halb zehn bis halb drei, S. 16. 169 Vgl. Heinrich, Wir sind Teil der Erde. Familiengottesdienst zu dem Symbol „Erde“, S. 32f. 170 Vgl. Gerts, S. 17. 171 Vgl. Münkner, Es wachsen Früchte an unserm Baum. Familiengottesdienst und Fest, S. 27-32. 172 Vgl. Winkler, S. 140. 173 Dennecke, Art. Gottesdienst, in: Gemeindepraxis in Grundbegriffen, S. 216. 174 Nagel, Die Krise des Gottesdienstes und ihre praktischen Konsequenzen (praktische Liturgik) S. 102. 175 WA 2, 170, 14ff. 167 42 Jedoch gilt es zugleich auch, der Problematik eines exklusiven, auf eine Zielgruppe beschränkten Gottesdienstes ins Auge zu schauen. Es bleibt die Frage, ob „eine pluralistische Gesellschaft und die Vielfalt der menschlichen Situationen“ wirklich eine „immer größere Auffächerung der Gottesdienstformen“ erfordern.176 Wenn ein Familiengottesdienst als Feier der familia Dei verstanden werden soll, dann ist es geboten, den Blick auf alle Gemeindeglieder zu richten, also auch auf die, die aufgrund von überhandnehmendem Aktionismus, Banalitäten und zu viel Unbekümmertheit den Gottesdienst an diesem Tag meiden und klagen, warum denn immer der Erntedanktag den Familien und Kindern vorbehalten bleibe, während sie auf die übrigen 24 Sonntage nach Trinitatis vertröstet werden. Ein Gottesdienst der familia Dei wird auch die Bedürfnisse der „Kerngemeinde“ ernst nehmen, ihre „Suche nach Stärkung im Glauben, Anregung für das eigene Christsein, Ruhe, Gelassenheit, Zufriedenheit, Gemeinschaft, Gottesnähe, Stärkung der Nächstenliebe, Kraft für den Alltag.“177 Eine Gefahr besteht freilich darin, dass der Familiengottesdienst dadurch ein Erwachsenengottesdienst unter anderem Namen wird, zu dem die Kinder lediglich als Bankfüller gebraucht werden. Durch den Natur- bzw. Schöpfungsbezug wie auch das Bemühen um eine lebensnahe und erfahrungsbezogene Vermittlung der Erntedankthematik besteht ein weitaus größeres Risiko jedoch in der Banalisierung und Infantilisierung des Gottesdienstes, der v.a. durch die Anhäufung neuer Gestaltungselemente und durch den Versuch der kindgerechten Artikulation der Botschaft des Tages Vorschub geleistet wird. Zu viel „Apfelmeditation“, Schöpfungstanz, Kinderlieder, bildliche Darstellung von Saat, Wachsen und Ernte lassen den Gottesdienst schnell zu einem Kindergottesdienst unter anderem Namen werden, in dem die Erwachsene lediglich geduldet, deren eigene Bedürfnisse jedoch leicht übergangen werden. Beiden Entwicklungen gilt es zu wehren. Denn die Intellektualisierung des Familiengottesdienstes zum Erwachsenengottesdienst vergrault die Kinder; die Infantilisierung des Familiengottesdienstes vergrault die Erwachsenen. Beides lässt die alten Trennungen wieder einziehen, die man eigentlich zu überwinden suchte. Der Gottesdienst am Erntedankfest ist Aufgabe und Herausforderung der familia Dei, denn die Feier des Erntedank ist wie jegliche gottesdienstliche Feier ihre Sache und nicht die einzelner Gruppen. In der Praxis gilt es deshalb, einen gangbaren Mittelweg zwischen Erwachsenen- und Kindergottesdienst zu finden. Dieser Weg könnte in der Anknüpfung an die den Erwachsenen vertraute Liturgie gefunden werden, die zugleich für die Kinder so geöffnet wird, dass sie lebendig und vertraut für Kinder und Erwachsene wird. Die Gottesdienstentwürfe zum Erntedankfest bieten eine Fülle verschiedener Möglichkeiten. Gegen jegliche Überfrachtung, Infantilisierung und Banalisierung des Gottesdienstes mag als entscheidendes Kriterium die Frage sein, ob in dem gefeierten Gottesdienst nicht nur die Lachenden, sondern auch die Weinenden, 176 177 So zumindest Kurt Rommel 1971 in: Familien im Gottesdienst, S. 9. Baltruweit, Ruddat, Gemeinde gestaltet Gottesdienst: ein Arbeitsbuch, S. 260. 43 nicht nur die Leichtfertigen, sondern auch die Mühseligen und Trauernden ein Zuhause finden, weil sich in der Freude am Lob Gottes auch die Traurigen geborgen wissen. Der Gottesdienst der familia Dei als ein generationenübergreifendes Ereignis bleibt somit die Aufgabe und zugleich die Herausforderung, der sich eine Gemeinde gerade am Erntedanktag stellen muss und die getragen wird von der Vision ut omnes unum sint. Weil auch die Auseinandersetzung mit dem Familiengottesdienst am Erntedanktag noch in den Bereich der phänomenologischen Betrachtung fällt, kann hier im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit bezüglich des theologischen Ortes und der Relevanz des Festes Ähnliches festgehalten werden. Theologisch verortet ist das Erntedankfest in der Vielzahl der Gottesdienstentwürfe und Praxisbeispiele klar im ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses, der Schöpfungserfahrung wird ein breiter Raum zugemessen. Gleichwohl tritt hier das Bedürfnis nach der gemeinsamen Feier des Kasus – wie immer er auch inhaltlich gefüllt wird – verstärkt hervor und zeugt von der Relevanz des Festes nicht allein in der gottesdienstlichen Praxis, sondern gerade auch im Bewusstsein der der Kirche und ihren Ausdrucksformen fern stehenden Gemeindegliedern. Erntedank – ein Fest, das in seiner Rezeption weit über die Kerngemeinde hinausreicht und damit stärker als andere Gottesdienste auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. 6. Brauchtum – Liturgie des Volksglaubens 6.1 Hinführung Bräuche können als Handlungen definiert werden, die „einen Tag vom anderen unterscheiden, die den Ablauf eines Jahres gliedern und bestimmte Zeiten als Höhepunkte herausheben.“178 Sie dienten früher v.a. dazu, durch magische Rituale höhere Mächte gnädig zu stimmen, oder auch zur Abwehr böser Dämonen.179 Die dadurch entstandene enge Beziehung zum Tun-ErgehenZusammenhang schlägt sich in dem z.T. synonym zu „Brauch“ verwendeten Begriff der Sitte wieder180, die oft als der „verpflichtende Kern“, als Voraussetzung der äußeren Schale des Brauchtums definiert wird.181 Das spezifisch christliche Brauchtum verdankt sich zum größten Teil vorchristlichen Formen bzw. der Inkulturation des Christentums in ein heidnisches Umfeld.182 Religiöses Brauchtum hat dabei sowohl eine gemeinschaftsstiftende, sozial integrierende wie auch das Individuum festigende und dessen Dasein mit seinen Gemütskräften 178 Rauchenecker, Lebendiges Brauchtum, S. 9. Vg. Kirchhoff, Christliches Brauchtum, S. 15. 180 Vgl. Stock, Art. Sitte/Sittlichkeit, TRE 31, S. 318. 181 Vgl. Hartinger, Religion und Brauch, S. 37. 182 Vgl. Schulz, Art. Brauch, Brauchtum, In: Lexikon der Pastoral, Sp. 216f. 179 44 erfassende Funktion.183 Das Attribut „religiös“ verdankt es seiner religiösen Wurzel wie auch seinem religiösen Inhalt.184 Motiviert durch den Drang des Menschen zum Anschluss an eine Gruppe, den Hang zu Sinnhaftig-Konkretem und die Fähigkeit zur intrapsychischen Erfassung der Lebenswirklichkeit in Bildern, zielen Bräuche auf „Weckung der Gemütskräfte und Stärkung der Gemeinschaft“ und erweisen sich gerade deshalb „auch unter den Vorraussetzungen einer zunehmenden Ausweitung des neuzeitlichen Anspruchs kritisch bestimmter Rationalität als unersetzbar.“185 Brauchtum umfasst die sozialen, biologischen und religiösen Bereiche der menschlichen Existenz und läuft dennoch angesichts einer Entwicklung zu komplexeren Gesellschaftsformen Gefahr, zum sinnentleerten Selbstzweck zu werden186 – was auf die Weiterübung mancher Bräuche als folkloristischem Beiwerk allerdings selten einen Einfluss zu haben scheint. Durch die veränderte gesellschaftliche Situation gerade im ländlichen Bereich, in dem das Brauchtum seit jeher bestimmender war187, einer weitgehenden Urbanisierung resp. urbanen Ausrichtung der Dörfer hat die Brauchtumsfeier mehr und mehr an Bedeutung verloren. Der Zuzug vieler Familien aus der Stadt in ländlich geprägte Vororte hat auch jene Zweiseitigkeit des Brauchtums verstärkt, welche die mit dem Brauchtum Vertrauten und die ununterrichteten Hinzugekommenen voneinander schied und so das ursprüngliche Charakteristikum des Brauchtums ad absurdum führte: Die sozial-integrierende Funktion war am Schwinden und mit ihr die Bedeutung des Brauchtums für die Lebenswirklichkeit der Menschen. Auf der anderen Seite bot sich dadurch aber auch die Möglichkeit, jene von alters her verfolgten Bräuche kritisch zu hinterfragen, ihre Wurzeln zu ergründen und neu der Situation anzupassen.188 Die Problematik speziell christlichen Brauchtums hat ihren Ursprung in dem intensiven Austausch zwischen den heidnischen Kulturen und dem sich etablierenden Christentum: „Uralte religiöse Sitten und christliche Tradition vermengten sich und bildeten eine neuartige kulturelle Selbstverständlichkeit.“189 Statt einer Abwehr war man – im Bewusstsein, dass das Christentum seine Identität und Gestalt selbst auch aus der Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen und Vorstellungen seiner Umwelt gewann190 – darauf bedacht, diese mit christlichem Geist zu durchdringen191 oder mit dürftiger „christlicher Überklebung“ zu versehen.192 183 Vgl. Schulz, Sp. 216f. Vgl. Schauerte, Art. Volksbrauch, LThK2, Sp. 848. 185 Schulz, Sp. 217. 186 Vgl. Petzold, Art. Brauch, RGG4, Sp. 1737. 187 Vgl. Just, Brauchtum, S. 5. 188 Vgl. Stein, Art. Gewohnheit/Gewohnheitsrecht IV, TRE, S. 255. 189 Zulehner, Ritus und Symbol in volkskirchlicher Situation, S. 33. 190 Vgl. Kirchhoff, S. 15. 191 Hartinger, S. 63. 192 Vgl. Just, S. 5. 184 45 Dem Brauchtum maß Martin Luther noch Bedeutung bei, aber spätestens mit ihm setzt eine kritische bis ablehnende Distanz zu allen Formen der Versinnlichung religiöser Inhalte ein, die nicht dem Evangelium entsprachen.193 In der konfessionellen Polemik bekam das Brauchtum von protestantischer Seite aus oft das Etikett des Heidnischen aufgedrückt.194 Als Folge dieser Kritik geriet seit der Aufklärung religiöses wie profanes Brauchhalten unter Druck – auch auf katholischer Seite, die sich dieser Entwicklung nicht mehr entziehen konnte.195 Bräuche wurden abgeschafft oder zugunsten von Predigt und religiöser Unterweisung stark reduziert. Ziel war die „Umpolung der Volksfrömmigkeit von den emotionalen, sensitiven Formen des Mitvollzugs hin zu einer spirituellen Aneignung von theologischem Wissen, wie es sich vor allem in den Christenlehren verkörperte.“196 Die innerkirchliche Restauration im 19. Jahrhundert auf katholischer Seite und die Hinwendung zu kirchlichen Bräuchen der evangelischen Kirche im beginnenden 20. Jahrhundert konnten den auf diesem Gebiet entstandenen Flurschaden nur teilweise wieder beheben. Zwar wurden neue Bräuche wie etwa der des Weihnachtsbaumes oder des Adventskranzes in den Kultraum integriert. Dennoch ist der seit wenigen Jahrzehnten wieder drängende Ruf nach einer Zuwendung der Theologie zur „Frömmigkeit der armen Leute“ oder des „Popularchristentums“ allein durch die Begrifflichkeit Indiz für eine noch immer negative oder zumindest kritische Betrachtung des Brauchtums innerhalb der Theologie.197 Der im Dritten Reich erfolgte Versuch, eine germanisch durchtränkte Festkultur im Gegensatz zur christlichen Religion zu etablieren, dürfte diese Tendenz verstärkt haben.198 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es v.a. der verstärkte Kontakt mit fremden Kulturen und ein daraus resultierender religiöser Indifferentismus, der dazu führte, dass verschiedene Elemente verschiedener Herkunft miteinander vermengt wurden.199 Nunmehr erkannte auch die Theologie die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit der Volksfrömmigkeit.200 Überblickt man die Geschichte des Brauchtums, dann kann konstatiert werden, dass Bräuche, soweit sie in der Lebenswirklichkeit verwurzelt waren, sich als derart stabil erwiesen, dass geistige und politische Bewegungen ihnen nichts anhaben konnten.201 Es sind andere Gefahren, die auf das Brauchtum zukommen. Die stärker werdende Vermarktung einzelner Bräuche und die kontextlose Darstellung von Brauchelementen lässt das Ansehen des Brauchtums sinken, weil es nun mehr als anschauliches Relikt vergangener Zeit oder schlicht als volkstümliche Geldmacherei 193 Vgl. Stein, S. 254. Vgl. Hartinger, S. 64. 195 Vgl. Rauchenecker, S. 12. 196 Hartinger, S. 66f. 197 Vgl. Hartinger, S. 68f. 198 Vgl. Hartinger, S. 69. 199 Vgl. Rauchenecker, S. 12; z.B. das Reisstreuen bei der Trauung. 200 Vgl. Hartinger, S. 69. 201 Vgl. Zulehner, S. 33. 194 46 interpretiert wird.202 Christliches Brauchtum steht heute dem Problem gegenüber, dass der Mensch dazu übergeht, sich selbst zu feiern, und daraufhin ein eigenes Brauchtum bildet. Statt des religiös motivierten Namenstages tritt der Geburtstag als das Hauptfest auf. Neujahr, 1. Mai, auch Silvester bekamen eigene, „säkulare“ Bräuche, Weihnachten wurde zum Familien-, Ostern zum Frühlingsfest, „wofür die unverbindlichen Symbole Weihnachtsmann und Hase gelten.“203 Eine Entwicklung, die aufzeigt, dass Bräuche stets in ihrem Kontext eingebunden sein müssen, in dem sie entstanden sind, bzw., dass sie sich – ist das nicht mehr gegeben – einen Kontext selbst schaffen.204 6.2 Charakteristika des Brauchtums Gemeinschaft Der Vollzug eines Brauches führt Menschen für eine bestimmte Handlung zusammen. Er dient der Identitätsfindung dieser Gruppe und gibt ihr die Möglichkeit, ihre Identität auch auszudrücken. Das dabei entstehende Zusammengehörigkeitsgefühl wird durch die Vorbereitung wie durch das Halten des Brauches gleichermaßen geweckt. In dem gemeinschaftlichen Handeln kommt auch die seelsorgliche Dimension des Brauchtums zum Tragen: Durch die Teilnahme wird der Einzelne in die Gemeinschaft hinein genommen und das gefeierte Fest zu seinem Fest. Brauchtum als biblia pauperum Ein Brauch kann in gleichem Maße der „Internalisierung von theologischem Wissen und von frommen Handlungen“ dienen.205 Und zwar dadurch, dass Glaubensinhalte auf anschauliche Art und Weise vermittelt werden können, so dass dem Brauchtum die Funktion einer „biblia pauperum“ zukommt, durch die Menschen Dinge über den Glauben erfahren und lernen, die sie „nie aus Büchern lesen würden.“206 Dies geschah oft durch Bilder, die biblische Geschichten darstellten, oder durch Spiele, welche die dem Fest zugrunde liegende Geschichte nacherzählten. Verleiblichung und Verinnerlichung Gerade im Brauchtum kommt das zum Tragen, was bereits in der phänomenologischen Betrachtung zum Erntedankfest als Bedürfnis sichtbar wurde: die Ganzheitlichkeit des Menschen in religiösem Rahmen. „Wenn ich schmecken (z.B. Johanniswein), riechen (z.B. Weihrauch), spüren (z.B. Kreuzkuss), hören (z.B. Adventssingen), sehen (z.B. Passionsspiele), (...) – wenn ich 202 Vgl. Rauchenecker, S. 12. Rauchenecker, S. 14. 204 Vgl. Hartinger, S. 43: „Bräuche werden den Lebensnotwendigkeiten ihrer jeweiligen Träger angepasst.“ 205 Hartinger, S. 45. 206 Rauchenecker, S. 15. 203 47 einfach all meine Fähigkeiten einsetzen darf, dann bin ich als ganzer Mensch Christ.“207 Das Brauchtum trägt dazu bei, dass der Kirche, in der der Kopf das wichtigste Körperteil zu sein scheint, wieder mehr Blut zugeführt wird, indem den Emotionen der ihnen gebührende Platz im Glaubensleben wieder zurückgegeben wird.208 So weiß der Kirchgänger viel von dem, was in der Bibel steht und was geboten ist, aber es bleibt ein kognitives Wissen. Gegen die Gefahr einer solchen einseitigen Nüchternheit setzt das Brauchtum die Verinnerlichung dieser Inhalte. Es geht nicht nur darum, etwas zu lernen, sondern auch zu begreifen, zu ergreifen, Glaubensgeschichte bildhaft werden zu lassen.209 Grammatik des Handelns Bräuche verhelfen dabei als Grammatik des Handelns, Feste zu feiern, ohne erst lange mögliche Formen zu suchen. Das trägt dazu bei, dass Fremde sich leichter einleben.210 Das schafft Kontinuität, weil im Brauchtum die Handlungsweisen vorgegeben sind und der Mensch nicht dazu gezwungen ist, zu jedem Anlass eine Ausdrucksform seines Glaubens neu zu definieren. So schlägt das Brauchtum eine Brücke vom „Heiligen zum Profanen“, holt gleichsam Gott vom Thron der Theologie in den Alltag der kirchlichen Feier, weil es Gotteserfahrung auf eine angemessene Weise zugänglich zu machen versteht: „Theologische Erkenntnisse und ethische Normen lassen sich u.U. leichter verdeutlichen, wenn sie in ein allgemeines Verhaltensrepertoire eingeschmolzen sind.“211 6.3 Brauchtum zum Erntedankfest Das Brauchtum speziell zum Erntedank bringt in seiner Ausgestaltung mehr als jedes andere Fest die Verbindung von Mensch und Natur zum Ausdruck und darin v.a. die Vorstellung von Gottes Wirken in und an seiner Schöpfung. „Namentlich die Vorstellung, dass sowohl Tiere wie die gesamte belebte und unbelebte Natur ebenso wie der Mensch abhängig seien von den durch die Kirche verwalteten Gnadengaben Gottes, wurde durch eine kaum mehr zu überblickende Fülle von Segnungen, Exorzismen und Weihungen aufrecht erhalten.“212 Viele solcher Bräuche haben von Alters her die Funktion der Abwehr böser Geister oder der Gnädigstimmung Gottes für die nächste Ernte, die freilich heidnischer, vorchristlicher Art entspringen, aber heute noch – zum Teil in Modifikationen – ausgeübt werden. 207 Rauchenecker, S. 15. Vgl. Kirchhoff, S. 16. 209 Vgl. Rauchenecker, S. 15. 210 Vgl. Rauchenecker, S. 15. 211 Hartinger, S. 44. 212 Hartinger, S. 59. 208 48 6.3.1 Erntekranz und Erntekrone213 Dieses kronenartige Gebilde, an dem über dem Kranzreifen zwei Bogen in Kreuzform ansteigen, bestand früher aus Ähren aller Getreidearten und darüber hinaus aus „Laub, Moos, Blumen, Bändern, Flitterwerk und Goldpapierstreifen“214, in jüngerer Zeit meist nur noch aus Getreideähren. Durch diese schlichte Ausgestaltung hat die Erntekrone heute all jene Reminiszenzen an einen anthropomorphen Wachstumsgeist verloren, der für viele Erntebräuche charakteristisch war und sich u. a. in zwei, den Schnitter und die Binderin darstellenden, Puppen in der Krone zeigte.215 Während die Erntekrone früher am Tag des letzten Schnittes oder der Einbringung des letzten Wagens hergestellt wurde, wird sie heute von Landfrauen oder anderen ehrenamtlichen Helfern meist aus gekauften Getreideähren und, aufgrund des Zeitpunkts der Ernte, lange vor dem Erntedankfest gebunden.216 Der Brauch, die Erntekrone feierlich dem Gutsherren unter Absagung von Erntesprüchen zu überreichen, ist heute verschwunden.217 Stattdessen hat die Erntekrone ihren Platz im Angesicht des einen Herren, Gott, in der Kirche eingenommen.218 Weit verbreitet war der Brauch, die Erntekrone auf dem letzten Erntewagen durch das Dorf zum Sitz des Gutsherren oder später vor die Kirche zu fahren und während des Gottesdienstes auf den mit Erntegaben geschmückten Altar zu legen.219 Dort bildet sie vielerorts noch heute den Mittelpunkt des mit Früchten und Gemüse geschmückten Altars. Auch ist es z.T. noch üblich, die Erntekrone ein Jahr lang aufzubewahren, damit deren segnende Kraft auch das Jahr über halten möge,220 oder zumindest einige Zeit im Kirchenraum zu belassen, um „an den steten Dank gegenüber dem brotspendenden Herrn über längere Zeit zu erinnern.“221 Die Erntekrone stellt so noch heute ein Gemeinschaftszeichen dar, da sie nicht nur von einer, sondern auch für eine Gemeinschaft hergestellt wird und den gemeinschaftlichen Dank für die Ernte zum Ausdruck bringt. 222 6.3.2 Die Erntegaben Der wohl heute noch bekannteste und am weitesten verbreitete Brauch ist, Altar und Altarraum mit Erntegaben zu schmücken, die in der Regel aus Getreidegarben, Trauben, Brot und allerlei 213 Die Begriffe werden i.d.R. synonym verwendet, in der Ausgestaltung gibt es nur geringe Abweichungen. Heckscher, Art. Ernte, Sp. 956. 215 Vgl. Heckscher, Art. Ernte, Sp. 956f. 216 Vgl. Höppner, Erntedankfest, S. 129. 217 Vgl. Fehrle, Feste und Volksbräuche im Jahreskreislauf europäischer Völker, S. 174. 218 Vgl. Becher, Von der Saat zur Ernte, S. 358. 219 Vgl. Meschke, Art. Kranz, Sp. 404f. 220 Vgl. Fehrle, Deutsche Feste und Volksbräuche, S. 74f. 221 Becher, S. 358. 222 Vgl. Heckscher, Art. Ernte, Sp. 957. 214 49 verschiedenem Gemüse vom Feld bestehen.223 In Württemberg regelte erstmals im Jahr 1852 ein Synodalerlass das Schmücken der Altäre mit Naturerzeugnissen.224 In Analogie zu den Dankaltären, die im Alten Testament bereits Gen 4 oder Gen 8 über den Opfergedanken hinaus auch den konkreten Dank für Rettung und all das, was Gott in seiner Güte hat wachsen und gedeihen lassen, darstellten225, werden die Dinge vor den Altar gebracht, für die Menschen Dank empfinden: die obligatorischen Früchte des Feldes, aber ebenso Produkte der ansässigen Industriezweige, ein Buch für die Früchte geistiger Arbeit oder ein besonderes Exemplar der Heiligen Schrift als Zeichen des Dankes für die Frucht des Wortes Gottes.226 Besondere Bedeutung hatte früher die letzte Garbe, die als Opfer für die je nach Region unterschiedlichen Gottheiten, Ackerdämonen, Feldgeister, später aber auch für die Tiere des Feldes oder dann für christliche Heilige auf dem Acker zurückgelassen wurde.227 Sie wurde recht groß gebunden, um dem Acker seinen Fruchtbarkeitsgeist zu erhalten, und weil man damit die Hoffnung verband, die Ernte im nächste Jahr positiv beeinflussen zu können. Oft wurde aus ihr, der man magische Kräfte zuschrieb, auch Brot für die Armen gebacken.228 Durch die stärkere Vereinnahmung der Erntefeste durch die Kirche wandelte sich auch das Verständnis der letzten Garbe und der Erntegaben: „Mancherlei Gaben, die vorher Schnittern und Schnitterinnen galten oder an Dorfarme gingen, bekamen nun die Kirchen als Dankopfer.“229 Dabei spielten auch die Erstlingsopfer und Kirchenzehnten eine Rolle.230 So war es bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gang und gäbe, dass die zum Altar gebrachten Gaben dem Dorfpfarrer und seiner Familie zur Verfügung standen. Mit den Gaben ging meist ein Opferzauber einher, der auch mit der kirchlichen Sozialisation des Brauches nicht ausgetrieben werden konnte. Die magischen Kräfte, die man den Gaben und Garben nachsagte, wurden nun aus der Weihung hergeleitet, die den geweihten Gaben schutzzauberische Kräfte verlieh.231 Die Segnung der Früchte hat sich bis heute in katholischen Gebieten gehalten.232 Heute drücken die Gaben in erster Linie sinnbildlich die Dankbarkeit über das Empfangene aus. Ihre Zuführung an karitative Einrichtungen hat sich als Modifikation des alten Brauchs der Garben für die Dorfarmen etabliert.233 Der in manchen Regionen verbreitete Brauch, aus den frisch geernteten Ähren das so genannte „Erntebrot“ zu backen und an die 223 Vgl. Bieritz, Das Kirchenjahr, S. 155. Vgl. Rauchenecker, S. 200. 225 Vgl. Blail, Von Sonntag zu Sonntag. Glaube und Brauchtum, Stuttgart 1992, S. 233. 226 Vgl. Kirchhoff, Christliches Brauchtum, S. 189. 227 Vgl. Heckscher, Sp. 950. Vgl. auch Becher, S. 350. 228 Vgl. Heckscher, Sp. 951. Vgl. auch Weber-Kellermann, Landleben im 19. Jahrhundert, S. 331ff. 229 Becher, S. 358. 230 Vgl. Heckscher, Sp. 962. 231 Vgl. Heckscher, Sp. 962. 232 Vgl. Schnittker, Art. Erntedankfeste, EKL 1, Sp. 1076. 233 Vgl. Becher, S. 358. Vgl. auch Daiber, Oktoberfeste, S. 10. 224 50 Armen im Dorf zu verschenken234, findet in neuerer Zeit seine Fortsetzung etwa in der Aktion „Minibrot“ der katholischen Landjugendbewegung zugunsten der Entwicklungsländer, durch die der seit Alters her präsenten Verantwortung der Dorfgemeinschaft und der Kirchen für die Armen hier in einem globaleren Kontext Rechnung getragen wird.235 6.3.3 Ernteprozessionen Bräuche in Form einer Ernteprozession entstanden v.a. aus der letzten Fuder, dem letzten Erntewagen. So fuhr man „zunächst vor das Gotteshaus oder das Rathaus, wo von der ganzen Gemeinde nach einer Ansprache ein Danklied gesungen“ wurde.236 Während des Umzuges thronte die Erntekrone auf dem letzten Wagen und galt den Arbeitern als Zeichen dafür, dass die Arbeit nun zu Ende ist. Es war ein für das ganze Dorf festliches Ereignis, an dem Kinder wie Erwachsene teilnahmen, und für die Erntearbeiter und Bauern der höchste Jubeltag des Jahres, weil nun der Segen des Landes in Sicherheit gebracht war. Nun konnte mit Singen, Tanzen, Essen und Trinken gefeiert werden, wozu man mit dem Umzug durchs Dorf einlud.237 Fortführungen dieses Brauches gibt es in einigen Dörfern und sogar Städten noch. Als Beispiel sei hier das Rosenheimer Herbstfest im September zu nennen, das mit einer Erntedankprozession durch die Innenstadt beginnt und dann in eine Art Volksfest mündet. In manchen Gemeinden ist es noch heute üblich, dass die Gaben, die vor dem Festtag gesammelt wurden, in einer Prozession vor den Altar gebracht werden.238 Im mittelfränkischen Alfershausen wird ein Handwagen als Erntewagen mit einem Erntekranz aus Blumen gekrönt, mit Früchten des Feldes bestückt und bei dem Einzug der Kinder während des Gottesdienstes vor den Altar gezogen. In den Alpengebieten hat sich – freilich mehr aus touristischen Gründen – der Almabtrieb als Erntedankbrauch halten können, bei dem „Sennerinnen und Senner am Ende des Almsommers mit ihren bekränzten Kühen dem heimatlichen Hof zustreben.“239 6.3.4 Erntefeste Auch wenn nicht erst bei der Vollendung der Ernte gefeiert wurde240, so bildete der Tag des letzten Schnittes die größte Feier und hatte den Charakter eines Ess- und Trinkfestes241, an dem getanzt und ausgelassen gefeiert wurde.242 Der Tag vereinte Gutsbesitzer und einfache 234 Vgl. Becher, S. 351. Vgl. Rauchenecker, S. 202. 236 Heckscher, Sp. 954. 237 Vgl. Fehrle, Feste und Volksbräuche im Jahreskreislauf europäischer Völker, S. 174f. 238 Vgl. Kruse, Erntedankfest, GPM 44 (1989/1990), S. 408. 239 Kirchhoff, S. 192. 240 Vgl. Fehrle, Feste und Volksbräuche im Jahreskreislauf europäischer Völker, S. 173. 241 Vgl. Heckscher, Sp. 955. 242 Vgl. Becher, S. 354. 235 51 Erntearbeiter beim gemeinsamen Erntemahl243 – wie alle zur Ernte beigetragen haben, so sollten alle gemeinsam feiern können.244 Den kultischen Charakter und die Bedeutung eines solchen Mahles zeigt nicht nur die Auswahl der Speisen, sondern auch die Vorstellung, dass bei Ausfall des Festes nicht mit einer guten Ernte im nächsten Jahr gerechnet werden könne.245 Wie viele Bräuche waren die Erntefeste allerdings mehr eine weltliche Angelegenheit als eine kirchliche, weswegen sie mit dem Schwerpunkt auf Essen, Trinken und Tanzen eher weltlich gefeiert wurden.246 Neben der Ernteschüssel und einem Kessel mit mehreren verschiedenen Sorten Fleisch gab es ein eigens zu diesem Fest gebrautes, kräftiges, dunkles Bier und je nach Region weitere besondere, nicht alltägliche Speisen wie Kuchen, Krapfen, Schinken, Brot u.ä.247 Als die Kirche das Erntefest „für sich entdeckte“, geriet dieser festliche Charakter in den Hintergrund, „sie machte aus dem mehr weltlich orientierten Erntefest nunmehr ein kirchliches Erntedankfest“, bei dem der Aufruf zum Dank und nicht das Feiern und die Freude über vollbrachte Arbeit das Zentrum bildete.248 Der Blick über die Grenzen der eigenen gottesdienstlichen Kultur hinaus aber zeigt, dass gerade das Feiern ein typisches Element des Erntedank darstellt, das in anderen Traditionen noch heute gegenwärtig ist. In einigen Gemeinden Russlanddeutscher zum Beispiel wird das Erntedankfest über den ganzen Tag hinweg gefeiert. Im Mittelpunkt steht auch hier der Gottesdienst, wobei dieser mehrere Stunden dauern kann und oft auf dem größten Hof des Dorfes in einer Art Festzelt stattfindet. In Anlehnung an das atl. Laubhüttenfest ist der Raum mit Blumen und Weinranken geschmückt. Nach dem Gottesdienst bleibt die Gemeinde beieinander und feiert mit Hühnersuppe, Wurst, Käse, Gebäck und Kuchen, Äpfeln und Trauben und vielem mehr, was die gastgebende Gemeinde vorbereitet hat.249 In neuerer Zeit lebt dieser Brauch auch hierzulande wieder auf. Landjugendgruppen, Heimat- und Trachtenvereine und Gemeinden nutzen den Erntedanktag zu einem Gemeindefest mit gemeinsamem Essen, Singspielen und weiteren Aktivitäten rund um das Thema Erntedank.250 Mancherorts wird die gottesdienstliche Feier mit Elementen dieses Brauches insofern verknüpft, als dass eine Agapefeier stattfindet, in der die Besucher miteinander etwas von der Schöpfung, für die sie danken, schmecken und spüren können.251 Erntebräuche, insbesondere die mit Feiercharakter, sind oftmals in die Kirchweihfeste übergegangen, so dass man als Abschluss der Sommer- und Herbstarbeit sozusagen 243 Vgl. Weber-Kellermann, S. 295. Vgl. Fehrle, Feste und Volksbräuche im Jahreskreislauf europäischer Völker, S. 173. 245 Vgl. Heckscher, Sp. 960. 246 Vgl. Becher, S. 354. 247 Vgl. Heckscher, Sp. 960; vgl. auch Becher, S. 355. 248 Vgl. Becher, S. 358. 249 Vgl. Wagemann, Feste der Religionen, S. 84f. 250 Vgl. Becher, S. 358. 251 Vgl. Nestle, Erntedankfest, GPM 1989, S. 386. 244 52 zusammenfassend eine Herbstkirchweih feierte.252 In einigen Gemeinden hat sich dieser Brauch bis heute gehalten. Die Feste waren dabei niemals nur die Angelegenheit der Bauern oder einer bestimmten Gesellschaftsschicht, sondern umfassten das ganze Dorf. 6.3.5 Erntetanz Einen wesentlichen Bestandteil des Erntefestes bildete der Erntetanz, der meistens vom Hausherren eröffnet wurde.253 Ein solches Fest konnte bis zum Morgengrauen gehen, bis zu dem Zeitpunkt, als es wieder Zeit wurde, das Vieh im Stall zu füttern, bis der Alltag diese Durchbrechung des gewohnten Rhythmus beendete.254 Der Tanz war dabei Ausdruck der Freude und Erleichterung über die vollbrachte Arbeit. Im Alten Testament ist eine solche Zusammengehörigkeit von Fest und Tanz selbstverständlich, ja geradezu untrennbar miteinander verbunden.255 „Diese Elemente, Freude, Festlichkeit, Ergriffenheit und Gemeinschaftsgefühl, charakterisieren das Wesen des Tanzes, wie es uns aus den wenigen Stellen des Alten Testamentes entgegentritt.“256 Die Nähe des Tanzes – vor allem in der Form des kultischekstatischen Tanzes – zur heidnischen Umwelt hat in der Zeit der Alten Kirche zu einer zunehmenden Abwehrhaltung gegenüber dieser Ausdrucksform und schließlich einer weitgehenden Verbannung aus dem gottesdienstlichen Leben geführt.257 Wenn im Mittelalter etwa getanzt wurde, dann waren das eher „Prozessionen, die als Bußübungen galten.“258 Gegen eine drohende Vereinzelung der Gottesdienstbesucher im Kirchenraum wird in jüngerer Zeit der Ruf nach einer gemeinschaftsfördernden, Berührungsängste abbauenden Form wie der des Tanzes laut: „Der Tanz im gottesdienstlichen Reigen zieht den Einzelnen in die Geborgenheit der Gemeinschaft. Das ist die nonverbale Verkündigung des paulinischen Bildes von der Gemeinde als Leib Christi.“259 6.4 Resümee Im Blick auf die Bräuche des Erntedankfestes zeigt sich, dass die Trägerschaft der Bräuche im Ursprung seltener die Geistlichen einer Gemeinde waren, sondern eher diejenigen, in deren Umfeld sie entstanden sind und sich über die Jahrhunderte hinweg gehalten haben. Heute bemühen sich im kirchlichen Kontext v.a. Pfarrerinnen und Pfarrer oder die katholische und 252 Vgl. Fehrle, Feste und Volksbräuche im Jahreskreislauf europäischer Völker, S. 179. Vgl. Heckscher, Sp. 961. 254 Vgl. Becher, S. 355. 255 Vgl. Berger, Liturgie und Tanz, S. 16f. 256 Vgl. Berger, S. 21. 257 Vgl. Berger, S. 35. 258 Fopp, Ein Tanz ist ein Tanz, S. 347. 259 Müller, Tanz vor Gott, S. 168. 253 53 evangelische Landjugendbewegung um die Wiederbelebung alter Erntebräuche.260 Dass sich dabei gerade die naturreligiöse Komponente des Brauchtums gehalten hat, mag ein Zeichen dafür sein, dass in Bezug auf den Erntedank eine heilsgeschichtliche Formung des Jahres die Empfindung für naturbezogene Abläufe nicht außer Kraft gesetzt hat.261 Die neue Rezeption der Bräuche überwindet die früher u.U. zu konstatierende Trennung von heiligem und profanem Raum, indem die Natur ganz konkret in der Kirche ihren Platz findet, und zwar an einem Ort, der in der Regel der Bibel und den Abendmahlsgeräten vorbehalten bleibt. Das mag sicherlich auch ästhetische Gründe haben. Dennoch wird hier sinnbildlich zum Ausdruck gebracht, wie nach christlichem Verständnis die ganze Schöpfung eine Einheit darstellt, in der nichts getrennt und unbeeinflusst voneinander existiert. Und es spiegelt sich darin die Erfahrung wider, dass Natur und Mensch abhängig sind von dem Wirken Gottes. Die im ländlichen Bereich entstandenen Bräuche zeigen dabei die innige Verbundenheit von eigener Leistung und Wirken Gottes auf. Eigene Leistung und Gottes Gnade stehen nicht konträr zueinander, sondern bilden schlicht erfahrene Wirklichkeit. Diese Abhängigkeit ist nicht Anlass zur Unterwürfigkeit oder Resignation, sondern Grund zur Freude und zum Feiern. Gerade in den Erntefesten zeigt sich einmal mehr die gemeinschaftsstiftende Funktion des Brauchtums. Diese hat sich z.T. bis heute gehalten in den feierlich gestalteten Familiengottesdiensten oder in den in einigen Gemeinden gefeierten Gemeindefesten im Anschluss an den Gottesdienst. Dass dieser Festcharakter die Verantwortung des Menschen gegenüber den Armen nicht ausschloss, zeigen Bräuche wie das Armenbrot oder der letzten Garbe. Durch das bewusste Erleben der Natur an diesem Tag konnte auch ohne Kanzelappell das Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur geweckt werden. Im Brauchtum zum Erntedank wird so eine Verbindung von geistlichen Inhalten und körperlichen Bedürfnissen sichtbar. Der Mensch wird gedacht als der, der er ist, und zwar coram mundi und coram Deo. Dass diese Sichtweise des Menschen ein Bedürfnis ist, zeigt das Wiederaufleben alter Bräuche. Im Brauchtum zum Erntedankfest kommt das Vertrauen auf göttliches Walten elementar und existentiell zum Ausdruck. In ihm liegt das Wesentliche oft unausgesprochen. Vielleicht hat es auch deshalb die Jahrhunderte überdauert.262 Bräuche zum Erntedank gibt es viele. Viele von ihnen, wie etwa die letzte Garbe oder die letzte Fuder, gehören in ihrer ursprünglichen Gestalt vergangenen Zeiten an. Diejenigen, die hier betrachtet wurden, bieten sich noch heute für eine Rezeption im gottesdienstlichen Kontext an. Kriterium muss dabei sein: werden sie aus folkloristischem Interesse wiederbelebt oder weitergeführt oder stehen sie in Beziehung zu der Botschaft, die sie vermitteln wollen bzw. sollen? Dient etwa eine Ernteprozession nur dazu, dass viele Menschen zusammenkommen bzw. 260 Vgl. Kirchhoff, S. 192. Vgl. Hartinger, S. 49. 262 Vgl. Fehrle, Feste und Volksbräuche im Jahreslauf europäischer Völker, S. 179. 261 54 dass sich die ortsgemeindlichen Vereine zur Schau stellen oder reiht sie sich im Sinne einer „biblia pauperum“ in das Verkündungsgeschehen der Kirche ein? Bezüglich der Relevanz des Erntedankfestes gilt es im Blick auf das Brauchtum festzuhalten, dass Bräuche neben der Möglichkeit, Glaubensgeschichte bildhaft werden zu lassen und dabei die Ganzheitlichkeit menschlicher Existenz zu berücksichtigen, wohl die stärkste Öffentlichkeitswirkung des Festes nach außen hin haben. Erntedank – ein Fest, dem sich durch das Brauchtum die Chance bietet, das Dass christlichen Dankes und dessen Relevanz auch außerhalb des kirchlichen Kontextes deutlich zu machen. Stärker als der v.a. durch die agrarische Situation der Entstehung der Bräuche überkommene Naturbezug vieler Bräuche ist jedoch für die theologische Ortsbestimmung die Anerkenntnis der Abhängigkeit menschlicher Existenz vom Wirken Gottes festzuhalten, die einen gangbaren Weg zwischen den Polen Leistung und Geschenk aufzeigt. Die erfahrbare Realität eigenen Arbeitens steht eben nicht konträr zur biblischen Botschaft vom Gnadenwirken Gottes, sondern kommt im Brauchtum zu einer gefeierten Einheit. Die Bräuche zum Erntedank können dabei v.a. durch den Gemeinschaftsaspekt und den Kontext der Kirche, in dem sie stattfinden, als nonverbale Verkündigung des paulinischen Bildes von der Gemeinde als Leib Christi angesehen werden, wie es Reinhold Müller in Bezug auf den Tanz formulierte. Sie haben dabei stark konfessorischen Charakter. Die Gemeinde bekennt als Leib Christi ihre Abhängigkeit von Gott, dem Geber aller Gaben. Damit geschieht schon eine erste Annäherung der schöpfungstheologischen Ausrichtung des Festes hin zur in Christus gegründeten Existenz des Gläubigen in der durch Christus erhaltenen Gemeinschaft der Gläubigen. Es wird implizit die Oberhoheit der schöpfungstheologischen Verortung des Erntedankfestes durchbrochen. 7. Exkurs: Das amerikanische Thanksgiving-Fest „Don’t forget the original meaning and purpose for this holiday was and needs still to be: A day of Thanksgiving, Prayer and Praise to our LORD and God!” Mit diesen Worten schließt Doug Wootten, Chaplain der United States Army Garnison Kaiserslautern seine Ansprache zum Thanksgiving-Lunch im Armstrong-Club.263 Die Erinnerung an den Dank an Gott als zentralen Inhalt des Festes geschieht nicht ohne Grund, hat doch das Thanksgiving-Fest im Lauf des 20. Jahrhunderts in den USA einen zunehmend säkularen Charakter erhalten und sich mehr und 263 Gehalten am 24. November 2004, zwei Tage vor Thanksgiving und freundlicherweise von Doug Wootten für diese Arbeit zur Verfügung gestellt. 55 mehr von seinen religiösen Wurzeln entfernt.264 In christlichem Kontext entstanden stellt der Thanksgiving Day heute ein national orientiertes Familienfest dar, das in seiner Bedeutung mittlerweile sogar Weihnachten überholte.265 Ursprünglich ein Tag der religiösen Besinnung, ist es heute für den Großteil der Menschen die Gelegenheit, als Familie zusammenzukommen, gemeinsam ein festliches Mahl zu halten und Zeit miteinander zu verbringen.266 Thanksgiving – eine nationale Angelegenheit, „der man sich auch dann nicht entzieht, wenn man verreist.“267 7.1 Geschichtliche Entwicklung Die Ursprünge des Festes werden in einem Erntefest der Plymouth-Kolonie im Dezember 1621 angenommen. Jedoch wurden Dankfeste schon früher in den ersten Kolonien gefeiert als dankbare Reaktion auf die sichere Ankunft, auf gute Ernten oder nach Siegen über die Ureinwohner.268 Solche Feste sind bereits 50 Jahre vorher in Neufundland belegt, ebenso Beginn des 17. Jahrhunderts in Maine und dem heutigen Virginia.269 Bis heute stellt jedoch das Fest der Siedler in Plymouth die Gründungsgeschichte des Feiertages dar. Im September 1620 stach von England aus die Mayflower in See mit über 100 Menschen, die sich in der Neuen Welt niederlassen wollten, in See. Die Passagiere setzten sich etwa zur Hälfte aus den sog. Pilgern zusammen, die aufgrund der Religionsstreitigkeiten in England auswanderten in der Hoffnung in der Neuen Welt die Möglichkeit zu finden, ihren eigenen, von Rom und der englischen Kirche unabhängigen Glauben zu leben.270 Sie gehörten der „English Separatist Church“ an, einer Puritaner-Gemeinschaft, die eine Rückkehr zur Einfachheit des biblischen Lebens forderte und sich gegen einen verschwenderischen und korrupten Klerus richtete.271 Anfang des 17. Jahrhunderts verließ ein Teil von ihnen England und ließ sich in Holland nieder, wo zu dieser Zeit Religionsfreiheit herrschte. Jedoch konnte die englische Krone aufgrund der Verwicklung beider Länder in den Krieg mit Spanien erneut Druck auf diese Glaubensgemeinschaft ausüben.272 Dies und darüber hinaus die „lockere“ holländische Art und die „freie Denkweise“ bereitete den konservativen Vätern Sorgen um die Moral ihrer Kinder. Deshalb machte sich im Juli 1620 die erste Gruppe auf den Weg vom niederländischen Leyden nach Southhampton, um von dort aus in die Neue Welt auszuwandern. Von den Passagieren der Mayflower stellten die sog. Pilger etwa die Hälfte. Sich selbst bezeichneten sie als „The Saints“, um sich von den Mitreisenden, die sie „Strangers“ nannten, zu unterscheiden. Diese bildeten eine 264 Vgl. Sollenberger, Art. Thanksgiving Day, in: Encyclopaedia Britannica 22, S. 25. Vgl. Schnittker, Sp. 1076. 266 Vgl. Sollenberger, S. 25. 267 von Issendorf, Erntedankfest – eine schwierige homiletische Situation, S. 23. 268 Vgl. Sollenberger, S. 25. 269 Vgl. Appelbaum, Thanksgiving. An American Holiday, an Anmerican History, S. 15. 270 Vgl. Bleier, The thanksgiving Ceremony. New Traditions for Americas familiy feast, S. 29. 271 Vgl. Bleier, S. 28. 272 Vgl. Bleier, S. 29. „England forced ist Dutch ally to suppress Seperatist life.“ 265 56 Gruppe abenteuerlustiger „Glücksritter“, die nach den Schätzen in der Neuen Welt suchten.273 Im Spätherbst 1620 erreichten sie die Küste um Cape Cod, ließen sich jedoch erst nieder, als sie im Dezember 1620 Plymouth erreicht hatten. Plymouth erschien ihnen wegen des natürlichen Hafenbeckens und der reichhaltigen natürlichen Ressourcen als ideal.274 Als sie ankamen, war die Pflanzzeit für viele Getreidesorten jedoch vorüber, ihre Vorräte gingen zuneige und bis zum Frühjahr starb die Hälfte von ihnen aus Mangel an frischer Nahrung und an den daraus resultierenden Krankheiten.275 Ein Jahr später, 1621, sah es ganz anders aus: „Now the Pilgrims had eleven houses and four buildings that they shared. (…) One Indian had taught them how to grow corn. Stored away against the winter, the bumper corn crop was like a promise that the colony would survive.”276 Tisquantum, ein Indianer des Wampanoag-Stammes, hatte daran großen Anteil. Ob er mit der englischen Sprache durch früher bereits an diesem Ort lebende englische Fischer in Kontakt kam oder einige Jahre selbst in England verbracht hatte, ist unsicher, aber Stoff unzähliger Legenden.277 Jedoch brachte er den Siedlern bei, sich in der neuen Umgebung zurecht zu finden und Mais anzubauen. Er fungierte darüber hinaus auch als Vermittler und Übersetzer zwischen dem einheimischen Indianerstamm und den neuen Siedlern.278 Durch die fremde Hilfe war im Herbst 1621 eine große Ernte gesichert. Das deshalb stattfindende legendäre erste Thanksgiving, das der damalige Gouverneur der Siedlung, William Bradford, für den 13. Dezember anordnete279, mag zum einen wirklich religiöse Beweggründe gehabt und dazu gedient haben, den Dank der Siedler gegenüber Gott zum Ausdruck zu bringen. Nicht weniger dürfte die politische Dimension eine Rolle gespielt haben. Bradford lud zu dem drei Tage dauernden Mahl an die 90 Indianer ein und erhoffte sich über den Dank für die den Siedlern erwiesene Hilfe hinaus eine Vertiefung der freundschaftlichen Beziehung zu den Indianen.280 Zum anderen wird das Fest wohl eher ein Erntefest als ein Tag des religiös gefeierten Erntedanks gewesen sein. Dafür spricht die Darstellung des Festes als ein überaus freudiges Fest, an dem gemeinsames Essen und Trinken, Tanzen, Singen und Wettkämpfe verschiedener Art im Mittelpunkt standen.281 Die streng gläubigen, puritanischen Siedler aus England hätten dagegen ein Erntedankfest eher mit Beten und Fasten verbracht.282 Dass eine erfolgreiche Ernte nicht das Ende der Schwierigkeiten bedeutete, mussten die Siedler in den folgenden Jahren erfahren. Die Ernte war kümmerlich und musste darüber hinaus mit 273 Vgl. Bleier, S. 30. Vgl. Bleier, S. 32f. 275 Vgl. Appelbaum, S. 1. 276 Barth, Turkeys, Pilgrims and Indian Corn. The story of the Thanksgiving Symbols, S. 8f. 277 Vgl. Bleier, S. 32f.; vgl. auch Barth, S. 63. 278 Vgl. Appelbaum, S.7. 279 Vgl. Bleier, S. 36. 280 Vgl. Appelbaum, S. 9. 281 Vgl. Barth, S. 10. 282 Vgl. Bleier, S. 42. vgl. Appelbaum, S. 10. 274 57 immer mehr Neuankömmlingen geteilt werden.283 Im dritten Jahr waren Frühling und Sommer sehr heiß und die Pflanzen drohten zu vertrocknen. Deshalb ordnete Gouverneur William Bradford einen Tag des Fastens und Betens an, woraufhin es tatsächlich angefangen haben soll zu regnen. Um diese Gebetserhörung zu feiern, proklamierte er den 29. November des Jahres 1623 als Tag des Erntedanks284, der als der eigentliche Ursprung des Thanksgiving Day angenommen wird, „since its prayerful spirit was in keeping with the Puritan version of a thanksgiving.“285 Ein jährlich wiederkehrendes Fest zu einem festen Zeitpunkt war damals jedoch noch nicht intendiert. Vielmehr wurden solche Feiern ausgerufen, wenn es einen konkreten Grund gab, der über die Alltäglichkeit hinaus Anlass zum Dank gab.286 Ein jährliches Thanksgiving setzte sich zuerst im heutigen Connecticut durch und ist Ende des 17. Jahrhunderts in vielen Regionen belegt.287 Im 18. Jahrhundert konnten die Danktage auch mit politischen Ereignissen verbunden werden. Nach der Schlacht bei Saratoga im Oktober 1777 wurde der 18. Dezember als ein Tag des Dankes für den Erfolg über die englische Armee ausgerufen.288 George Washington legte den 26. November 1789 zu Ehren der neuen Verfassung als einen nationalen „Day of thanksgiving and prayer“ fest und gab die erste staatenübergreifende ThanksgivingProklamation heraus, „toasting our common national history around the ancestral harvest table.“289 Im Laufe des 19. Jahrhunderts fand in fast allen Staaten ein jährlicher Thanksgiving Day statt, der allerdings von jedem Staat eigens ausgerufen und zu unterschiedlichen Terminen begangen wurde.290 In dieser Zeit wuchs auch das Bedürfnis nach einem einheitlichen Termin für Thanksgiving als Fest für die gesamte Nation. Sara Hale, Herausgeberin des „Godey’s Lady’s Book“ und damit einflussreiche Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in jener Zeit, sah darin die Chance, das Land in der Besinnung auf die gemeinsame Gründungsgeschichte zu einen.291 Am Ende des Bürgerkrieges legte Abraham Lincoln den letzten Donnerstag im November als Thanksgiving Day für alle Staaten fest. In seiner Proklamation rief er 1863 die Bürger „in every part of the United States“ auf „to set apart and observe the last Thursday of November next, as a day of Thanksgiving and Praise to our beneficent Father who dwelleth in the Heavens.“292 In den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts stand der Thanksgiving Day neuen Herausforderungen gegenüber. Es war die mangelnde Bereitschaft der jungen Erwachsenen, an 283 Vgl. Appelbaum, S. 10. Vgl. Barth, S. 10. 285 Appelbaum, S. 10f. 286 Vgl. Appelbaum, S. 31. 287 Vgl. Appelbaum, S. 32f. 288 Vgl. Appelbaum, S. 47. 289 Bleier, S. 40. 290 Vgl. Sollenberger, S. 25. 291 Vgl. Barth, S. 13. vgl. auch Bleier, S.40. 292 Zitiert nach Bleier, S. 40. 284 58 diesem Fest zu partizipieren, weil es dem neuen, von Traditionen unabhängigen Lebensstil nicht mehr entsprach. „Thanksgiving lost prestige in a society where the trend setters sneered at religion, farm life was derided as fit only for rubes and heyseeds and young people regarded their elders with disdain.”293 Ein anderes Problem warf die zeitliche Nähe von Thanksgiving zum Weihnachtsfest auf. Immer mehr Geschäfte riefen den Danktag als Eröffnungstag des Weihnachtsverkaufs aus. Das führte dazu, dass Ende der Dreißiger Jahre überall im Land Thanksgiving-Day-Christmas-Paraden stattfanden, gesponsert von Kaufhäusern und Einzelhändlern, auf denen zwischen Symbolen der Gründungsgeschichte – Truthähne, Indianer, Pilgerväter – auch Santa Claus entgegenwinkte.294 Höhepunkt dieser Entwicklung war die Verlegung des Thanksgivingfestes um eine Woche im Jahr 1939. Weil der letzte Donnerstag im November der 30. November war und sich deshalb das Weihnachtsgeschäft lediglich über 20 Tage erstrecken würde, legte Präsident Franklin D. Roosevelt Thanksgiving auf Gesuch des Einzelhandels auf den 23. November.295 Ein Beschluss, den der amerikanische Kongress 1941 wieder rückgängig machte, indem er den vierten Donnerstag im November als Festtermin einführte.296 An diesem Tag wird bis heute Thanksgiving gefeiert und noch heute wird dieser Termin jedes Jahr vom Präsidenten der Vereinigten Staaten wie von den Gouverneuren der einzelnen Staaten ausgerufen. Diese jährliche Proklamation diente freilich stets auch dazu, politische Programme zu bewerben bzw. bestimmte Gesetze zu rechtfertigen – stets mit dem Verweis auf die Geschichte der frommen Pilger. So verteidigte Ronald Reagan in seiner Proklamation 1981 die massiven Einschränkungen im sozialen System mit den Worten: „Thanksgiving has become a day, when Americans extend a helping hand to the less fortunate. (...) Long before there was a government welfare program, the spirit of voluntary giving was ingrained in the American character.“297 Nach den Anschlägen auf die Twin Towers in New York und das Pentagon im September 2001 richtete George W. Bush sich in seiner Thanksgiving-Prokklamatiom an die Bevölkerung mit den Worten: „As we recover from the terrible tragedies of September 11, Americans of every belief and heritage give thanks to God for the many blessings we enjoy as a free, faithful and fairminded land.“298 293 Appelbaum, S. 230. Vgl. Appelbaum, S. 230f. 295 Vgl. Appelbaum, S. 235.: „President Roosevelt explained that retailers wanted a longer Christmas shopping season, and said he hoped that the extra week gained by moving Thanksgiving would boost sales.“ 296 Vgl. Sollenberger, S. 25. 297 Zitiert nach Appelbaum, S. 257. 298 Zitiert nach Bleier, S. 42. 294 59 7.2 Thanksgiving und die Kirchen Der Thanksgiving Day war dabei stets verbunden mit der religiösen Feier. Vor allem in New England fanden im 17. Jahrhundert an diesem Tag in jedem Dorf und in jeder Stadt Gottesdienste statt. Darin wurde zu Beginn die Thanksgiving-Proklamation des Gouverneurs verlesen und erst darauf folgten Lieder, Gebete und Predigt. Im Anschluss feierte man das Fest zu Hause im Kreis der Familie.299 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert wurden immer häufiger Gottesdienste angeboten, um an die Entstehung des Thanksgiving zu erinnern und selbst der Dankbarkeit für den im vergangenen Jahr empfangenen Segen Ausdruck zu verleihen.300 Die Kirchen waren häufig verziert mit Girlanden aus Weinblättern. Getreidegarben wurden innerhalb der Kirche platziert und der Altar war reich geschmückt mit verschiedenem Obst und Gemüse.301 Einzig die katholische Kirche sträubte sich zunächst gegen eine Übernahme des Festes in ihre gottesdienstliche Praxis. Zum einen, weil das Fest durch die Puritaner in Amerika Fuß gefasst hatte. Zum anderen war die Vorstellung, an einem staatlich ausgerufenen Festtag Gottesdienst zu feiern, für die katholische Kirche nicht akzeptabel. Erst 1884 gab das „Plenary Council of Catholic Bishops“ die Empfehlung heraus, an Thanksgiving eine Messe zu lesen.302 In anderen Konfessionen und religiösen Gemeinschaften war der Gottesdienst zu Thanksgiving, allein an den Besucherzahlen gemessen, Höhepunkt des kirchlichen Jahres. Selbst als während des 19. Jahrhunderts der im ganzen Land verbreitete religiöse Enthusiasmus aufgrund der Erfahrungen im Bürgerkrieg rapide zurückging, erfreute sich der Gottesdienst zu Thanksgiving weiterhin großer Beliebtheit.303 Als im ausgehenden 19. Jahrhundert die Gewohnheit des Gottesdienstbesuches durch die zunehmende Säkularisierung an Bedeutung verlor, besannen sich die Katholische Kirche Amerikas und viele protestantische Denominationen darauf, gemeinsam Gottesdienst zu feiern.304 Und dennoch ging die spezifisch christliche Dimension des Festes in dieser Zeit mehr und mehr verloren. Die Trennung des Festes von seinen religiösen Wurzeln bahnte sich indes schon früh an. „Yet official thanks to God wasn’t for everyone. In the early 1800s, President Jefferson scorned the notion, strictly upholding separation of church and state.”305 Die Tradition, dass der Thanksgiving Day offiziell vom Gouverneur des Staates und später vom Präsidenten ausgerufen wurde, kann – trotz eventuell religiöser Motivation des Präsidenten – als ein Ausdruck dieser Entwicklung angesehen werden. Anstelle eines Dankes an Gott trat immer stärker die Vergegenwärtigung des ersten Thanksgiving. „The spirit of that shared, multicultural feast in 299 Vgl. Appelbaum, S. 68f. Vgl. Appelbaum, S. 166. 301 Vgl. Appelbaum, S. 167. 302 Vgl. Appelbaum, S. 167. 303 Vgl. Appelbaum, S. 168. 304 Vgl. Appelbaum, S. 168. 305 Bleier, S. 40. 300 60 1621 provided an ideal symbol of America’s new self-image as a melting pot.“306 Dazu kam, dass bisher noch kein Präsident in seiner Thanksgiving-Proklamation spezifisch christliche Inhalte zur Sprache gebracht hatte. George Washington lud alle religiösen Gemeinschaften und Konfessionen gemeinsam zur Danksagung auf. Spätere Präsidenten folgten seinem Beispiel und wählten für Menschen jeden Glaubens akzeptable religiöse Phrasen wie „Creator of the Universe“, „Heavenly Father“ oder „Almighty God“.307 Ein Beispiel dafür, welche Wellen konkret-religiöse Stellungnahmen zu Thanksgiving schlagen konnten, gab Präsident William Howard Taft. 1909 lud ihn Monsignore William Russel von der St. Patrick’s Church in Washington zu einer panamerikanischen Thanksgiving-Messe ein. Obwohl die Regierung zu keiner Zeit einen offiziellen Thanksgiving-Gottesdienst bestimmte, gab die Anwesenheit des Präsidenten in vier aufeinanderfolgen Jahren wie auch die Fortführung dieser Tradition durch Woodrow Wilson 1913 dieser Messe den Charakter eines offiziellen Gottesdienstes. Die Empörung seitens der protestantischen Kirchen und der „American Federation of Patriotic Societies“ war so groß, dass Wilson 1914 darauf verzichte, diese Messe zu besuchen.308 7.3 Symbole und Traditionen Thanksgiving ist wie kein anderes Fest in den Vereinigten Staaten das Familienfest schlechthin. Waren die ersten Siedler im 17. Jahrhundert angewiesen auf den familiären Zusammenhalt, so wird noch heute die Anwesenheit der Familie beim traditionellen Thanksgiving-Essen als eine persönliche Verpflichtung angesehen. Noch immer beginnt für viele Familien die Feier im Gottesdienst, in dem Erntelieder gesungen werden und zum Dank für die empfangenen Gaben des vergangenen Jahres aufgerufen wird.309 Ein solcher Besuch ist unabhängig von der religiösen Bindung für viele obligatorisch, was an die Heiligabend-Gottesdienste in Deutschland erinnern mag. Eine weitere Tradition, die ihre Ursprünge in dem sog. ersten Thanksgiving der Pilger von 1621 hat, ist die Sorge für die ärmeren Menschen im Land. Seit dem 19. Jahrhundert machten es sich Kirchen und Wohlfahrtsverbände verstärkt zur Aufgabe, den Bedürftigen – Obdachlosen, Waisenkindern, verarmten Familien, vereinsamten älteren Menschen – ein Thanksgiving-Mahl zu ermöglichen, in Erinnerung daran, dass auch die ersten Siedler auf die Hilfe der Indianer angewiesen waren und erst durch sie in der Neuen Welt Fuß fassen konnten.310 306 Bleier, S. 40. Vgl. Appelbaum, S. 225. 308 Vgl. Appelbaum, S. 227f. 309 Vgl. Appelbaum, S. 256. 310 Vgl. Barth, S. 78.; vgl. auch Appelbaum, S. 258ff. 307 61 Wie kein anderes Fest im Jahr stellt das Thanksgiving-Fest einen Tag des gemeinsamen Essens und Feierns dar.311 Während die frühen Thanksgiving-Mahle einfach waren und dem Selbstverständnis der frommen Pilger entsprachen, stellt sich heute das Festmahl als ein üppiges dar, das allerlei Speisen, auch des vermeintlich ersten Thanksgiving aus der Pilgerzeit, beinhaltet.312 Dabei bildet bis heute der Truthahn („turkey“) das wohl bekannteste Symbol.313 Der einzige Augenzeuge des Plymouth-Thanksgiving, Edward Winslow, berichtet, dass die Männer, die ausgesandt wurden zur Jagd, mit ausreichend Geflügel für eine ganze Woche zurückkamen, von „turkeys“ weiß er nichts.314 Der Truthahn als Bestandteil des ersten Thanksgiving-Mahls kann so nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden, und erst spätere Berichte erwähnen die Truthähne, die in der Winterzeit in dieser Gegend verzehrt wurden.315 Weiterhin hat der Mais seinen Platz auf dem Esstisch. Er bedeutete für die frühen Siedler das Überleben. Ohne die Maisvorräte, die sich die Pilger mit Hilfe der Ureinwohner anlegen konnten, hätten sie die ersten Jahre wohl kaum überstanden.316 „Indian Corn“, wie der Mais genannt wurde, galt ihnen als Hinweis und Symbol dafür, dass ihr Leben in der Neuen Welt eine Zukunft haben würde.317 Mittlerweile wird der Mais weitgehend in Form von Maiskolben als Tisch- oder Türschmuck verwendet.318 Ebenso nicht wegzudenken von der Thanksgiving-Tafel ist der Kürbiskuchen. Die ersten Pilger werden ihn dabei in dieser Form wohl nicht gegessen haben, sie kannten lediglich Fleischpastete. Aber der Kürbis war spätestens 1623 eines der Hauptnahrungsmittel. Heute lässt er sich über den „Pumpkin Pie“ hinaus als Dekoration in fast allen Haushalten finden.319 Auch eine süßsaure Preiselbeersauce wird heute noch serviert. Die Preiselbeere (engl. cranberry) ist klein und sauer. Die Indianer verwendeten sie v.a. als Heilmittel zur Behandlung von Infektionen oder der Wunden, die durch die Giftpfeile verursacht wurden. Sie brachten den Siedlern bei, wie man die Beeren gesüßt und mit Wasser versetzt zu einer Sauce kocht. Die Indianer nannten sie „Ibimi“, d.h. „bittere Beere“. Die Siedler gaben ihr den Namen „crane-berry“ („Kranich-Beere“) weil ihre Blüte den Stil bog und die Pflanze so dem langhalsigen Kranich glich.320 Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überlagerte eine weitere Tradition religiöse Verwurzelung des Festes: Football. Ein Spiel, das innerhalb weniger Jahrzehnte zum 311 Vgl. Barth, S. 70. Vgl. Appelbaum, S. 266. 313 Benjamin Franklin hielt den Truthahn für ein weitaus besseres Symbol für die Vereinigten Staaten als den Weißkopfadler: “I wish the Bald Eagle had not been chosen as the representative of our country; he is a bird of bad moral character; like those among Men who live by Sharping and Robbing, he is generally poor and often very lousy. The turkey is a much more respectable Bird and withal a true original Native of North America.” Zitiert nach Barth, S. 88. 314 Vgl. Barth, S. 86. 315 Vgl. Barth, S. 86. 316 Vgl. Barth, S. 79. 317 Vgl. Barth, S. 81. 318 Vgl. Barth, S. 83. 319 Vgl. Barth, S. 84f. 320 Vgl. Barth, S. 90. 312 62 Nationalsport aufstieg, was den New York Herald Ende des 19. Jahrhunderts resümieren ließ: „Thanksgiving Day is no longer a solemn festival to God for mercies given. (…) It is a holiday granted by the state and the Nation to see a football game.”321 7.4 Ansprache zu Thanksgiving von Chaplain Doug Wootten 5 10 15 20 25 30 35 40 45 321 I like the old Snoopy & Charlie Brown cartoons in the funny papers. A few years ago around this time of year, the cartoon pictured Charlie Brown bringing out Snoopy’s dinner on Thanksgiving Day. But it was just his usual dog food in a bowl. Snoopy took one look at the dog food & said, "This isn’t fair. The rest of the world today is eating turkey with all the trimmings, & all I get is dog food. Because I’m a dog," he said, "all I get is dog food." He stood there & stared at his dog food for a moment, & said, "I guess it could be worse. I could be a turkey." It is only hours away before many of us will devour a splendidly cooked turkey or many other special foods with all the trimmings. You & I will most likely eat too much food and top it off with some of those all time favorite desserts. At our house it is my wife’s famous stuffing, my daughter’s 3 bean casrole, my special twiced baked potatoes, and I think we have plans for homemade pumkin pie. After dinning at the various dinning facilities and or having your feast at home, a lot of you will kick back and if AFN is available watch football on another one of our nation’s wonderful holidays…Thanksgiving! Truly a time to give thanks to count your blessings! But allow me to remind us just how fortunate we really are. If you have food in the refrigerator, clothes on your back, a roof overhead and a place to sleep, you are richer than 75% of this world of ours. If you have money in the bank (notice I didn’t say how much) , some cash in your wallet or at least a credit card and spare change in your room somewhere, you are among the top 8 % of the Earth’s wealthiest people. If you woke up this morning with more health than illness, you are more fortunate than the million who will not survive this week. If you have never experienced the danger of battle, the loneliness of imprisonment, the agony of torture or the pangs of starvation you are ahead of 500 million people in the world. By attending this prayer luncheont, a religious worship service this week or any other religiously related meeting, without fear of harassment, arrest, torture or death you are fortunate. Billions of people in the world cannot. It is not hard to count our blessings is it? Most of us could take out a pen right now and jot down a rather lengthy list, including thanks for family, friends, food, clothing, cars, a home, a job, our health, for freedom, and for so much! We are indeed a blessed people, aren’t we! Today you and I are taking a moment to remember a common event and perhaps more importantly an emphasis in our country’s history that changed all our lives today. Did you know that Thanksgiving really was to be a day set aside for “public thanksgiving and PRAYER!” It was not so that the stores could have an after Thanksgiving /pre Christmas sale. Listen to what was recommended by our Congress, less than 20 years after the birth of our nation. “I do recommend to all religious societies and denominations and to all people of the United States to set apart and observe , Thursday, 19th Day of Feb as a public “Thanksgiving and Prayer!’ And on that day meet together and render sincere and hearty thanks to the great ruler of all nations, our Lord and God. In testimony whereof I have caused the seal of the U. S. of America to be affixed and signed the same with my hand. In Philadelphia, 1 Jan 1795, signed: George Washington our 1st President and CMDR in Chief. Some of you probably noticed in that declaration the original Thanksgiving was recommended for a Thurs in Feb. Later in our nations history it was changed to the last Thursday in November. The point is and was that our founding Fathers ( & I might add their mothers & wives who in many cases encouraged them in God’s truth) Our nations leaders originally wanted to encourage folks in their faith and to take and make a time for public Thanksgiving and Prayer! When Thanksgiving was first inaugurated, only a few eastern states participated. In my reading I found out that it was largely through the efforts of Sarah Hale a wonderful Christian lady in the 19th Century that change was effected. Ms Hale was a fired up women with determination to have the whole nation join together in setting a part a national day of giving thanks and as she Zitiert nach Bleier, S. 41. 63 50 55 60 65 70 75 80 85 purposed: “unto Him from whom all blessings flow.” She relentlessly engaged the press with an endless flow of letters and articles to the various newspapers and journals of her day. Even during the dark days of the Civil War God allowed Ms Hale’s voice to be heard. In 1863 another great American spoke these words regarding a day set aside to give Thanks and Praise to God. Some of you will recognize this as I shared it this past week during Staff call: “We have been the recipients of the choicest bounties of heaven; we have been preserved these many years in peace and prosperity; we have grown in numbers, wealth and power as no other nation on earth. But we have forgotten God! We have forgotten the gracious hand which preserved us in peace and multiplied and enriched and strengthened us, and we have vainly imagined, in the deceitfulness of our hearts , that all these blessings were produced by some superior wisdom and virtue of our own. (…) We have become too self-sufficient to feel the necessity of redeeming and preserving grace, too proud to pray to God who made us. It is proper therefore that God should be solemnly, reverently and gratefully acknowledged, as with one heart, one voice by the whole of American people. I do therefore invite my fellow citizens in every part of the United States, to set apart and observe the last day Thursday of November as a Day of Thanksgiving and Praise to our Father who dwells in heaven. Signed: Abraham Lincoln,Oct 3rd, 1863. Thus our Thanksgiving Day was set as the last Thurs of Nov every year. Guess what, God allowed Sarah Hale to live into her 90’s to experience her hope and dream come true. She saw many Thanksgiving Days set aside for a “national” giving of thanks unto Almighty God. From the beginning The Bible, reminded people, to Praise and give thanks to God. “When you have eaten and are satisfied, Praise the LORD your God, for the good land and blessings he has given” (Deut 8:10). Ps 100: vs 4 reminds us to enter into God’s presence with thanksgiving and into his courts (his church ) with praise –give thanks to God and praise His name! The front of our bulletins reminds us to Give thanks to the Lord, for He is good; For his love and kindness to us is ever lasting. I’d be remiss if I didn’t share one of my all time favorite New Testament passages read for us earlier : Phillipians 4: 6 “Do not be anxious about anything (remember that when you are preparing for this Thanksgiving) but in everything by prayer and petition, with thanksgiving, present your requests to God.” We also took a moment as we read together our Litany of Thanksgiving to once again recognize and give thanks to God for all His gifts so freely bestowed and given to us. In just a few moments we will end this Prayer breakfast with a rousing singing of a great old hymn: “Now Thank We all our God!” In closing, let me invite and encourage you to set aside some time this Thanksgiving to give thanks for the many blessings you have and perhaps have taken for granted. We have so much to be thankful for. As the old hymn reminds us: NOW Thank we All Our God! Let’s take as the hymn suggests and do that with our hearts and hands and voices! One of the traditions in our home when we celebrate Thanksgiving is to go around the table and say out loud “ONE” thing that we are thankful to God for. May I encourage us to do just that tomorrow, or some time this weekend when you gather with family and friends. How about if we ‘practice’ and do that now at each of your tables. Just share one thing you are thankful to God for ! Don’t forget the original meaning and purpose for this holiday was and needs still to be: A day of Thanksgiving, Prayer and Praise to our LORD and God! 7.5 Resümee Thanksgiving – wohl neben dem 4. Juli der bedeutendste Feiertag in den Vereinigten Staaten – stellt sich im Verlauf seiner Geschichte immer stärker als Feier der nationalen Identität dar und drückt das Selbstverständnis des Landes als multikulturelle Gemeinschaft aus. Dass die spezifisch christliche Wurzel letztlich durch das nationale Ereignis in Plymouth 1621 ersetzt wurde, mag seinen Anfang darin genommen haben, dass neben den strenggläubigen Pilgern auch weniger gottesfürchtige Abenteurer in der Neuen Welt ihr Glück suchten. Der intensive Kontakt mit den Ureinwohnern und deren Religiosität tat ein übriges dazu, dass sich neben dem Puritanismus auch eine tolerante Geisteshaltung ausbreitete und sich ein Selbstverständnis des Landes 64 durchsetzte, das ein exklusivistisches Religionsverständnis wie das der puritanischen Siedler nicht dulden konnte. So trat an die Stelle des religiös motivierten Erntedanks v.a. die Rückbesinnung auf ein Ereignis, das als Geburtstunde und Symbol eines multikulturellen Miteinanders gedeutet wird. Das Ereignis von 1621 wird geradezu glorifiziert und als Beispiel für ein friedliches Miteinander der Kulturen angeführt. Selbst in den Kirchen steht innerhalb des Gottesdienstes die Aufführung des ersten Thanksgiving auf dem Programm.322 Dass die Begegnungen mit den Siedlern für die Indianer nicht immer so friedlich und harmonisch verliefen wie zu Thanksgiving dargestellt, wird dabei ebenso zurückgestellt wie die gegenwärtige Problematik des „melting pot“ Amerika. So definiert Edna Barth Thanksgiving als ein Fest der nationalen Identität: „Few of our holidays are as truly American. For Thanksgiving reminds us of the little band of people who founded the Plymouth Colony in Massachusetts. Each November it reopens a favorite chapter in our nation’s history.”323 Ernst Cramer resümiert in der Welt vom 23. November 2006: „Es ist ein Fest, in dem sich der Amerikanismus von seiner besten Seite zeigt. (...) Eine einstmals puritanische Tradition öffnete sich so weit, dass sich alle späteren Einwanderer mit den ersten Siedlern identifizieren konnten. So entstand die amerikanische Nation. Das wird – bewusst oder unterschwellig – an Thanksgiving gefeiert.“ 324 Diese Offenheit des Festes ist eine Stärke, weil ein Fest des Dankes gefeiert wird, durch das alle kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Unterschiede wenigstens an diesem einem Tag nicht zu gelten scheinen. Die Schwäche dieser Entwicklung äußert sich in einer religiösen Vieldeutigkeit. Wem der Mensch dankbar ist, richtet sich nach seiner Religionszugehörigkeit.325 Wofür er dankbar sein soll, ist dagegen einfach: Dass er in dem Land Amerika leben kann, das sich noch heute durch Offenheit, Toleranz und das Füreinander aller Menschen unabhängig von ihrer Herkunft auszeichnet. An die Stelle des Erntedanks ist die Feier eines historischen Ereignisses getreten. Eine Entwicklung, der sich die Kirchen ergeben oder dagegen anzukämpfen versuchen. Die Ansprache von Doug Wootten macht dies deutlich. Während er zunächst den Hörerinnen und Hörern vor Augen führt, wie sehr sie Grund haben dankbar zu sein (Z. 14: „But allow me to remind us just how fortunate we really are.“ bis Z. 26: „We are indeed a blessed people, aren’t we!“), geht er dann dazu über, konkret zur Dankbarkeit gegenüber Gott aufzurufen. Er nimmt die nationale Bedeutung des Festes durchaus ernst (Z.27f.: „Today you and I are taking a moment to remember a common event and perhaps more importantly an emphasis in our country’s history that changed all our lives today.”), stellt aber gleich zu Beginn anhand einer 322 Vgl. Barth, S. 14. Barth, S. 7. 324 Cramer, Thanksgiving Day, Die Welt vom 23. November 2006, S. 28. 325 Vgl. auch Safire, Vorwort zu Edward Bleier, The Thanksgiving Ceremony, S. 16: “Those unwilling to be thankful to God are at least thankful to be together and to share a laugh and a slice of turkey on a day during which nobody should be alone.” 323 65 rhetorischen Frage fest: „Did you know that Thanksgiving really was to be a day set aside for public Thanksgiving and Prayer?” (Z.29f.). Die Auseinandersetzung mit den ThanksgivingProklamationen George Washingtons und Abraham Lincolns dienen ihm dazu zu zeigen, dass der Dank an Gott stets Inhalt des Festes darstellte. Darauf folgt die biblische Grundlegung des Gebotes der Dankbarkeit mit Dtn 8,10 und Phil 4,6. Eindringlich schließt er mit den Worten: „Don’t forget the original meaning and purpose for this holiday was and needs still to be: A day of Thanksgiving, Prayer and Praise to our LORD and God!” Weit höher als die Reminiszenz eines vergangenen Ereignisses ist für ihn an Thanksgiving die bleibende Vergewisserung der Güte Gottes und der Dank als gebotene Reaktion auf dieses Handeln Gottes, zu der er die Hörerinnen und Hörer einlädt: „As the old hymn reminds us: NOW Thank we All Our God! Let’s take as the hymn suggests and do that with our hearts and hands and voices!” (Z. 81f.) Die Entwicklung von Thanksgiving gewinnt in Bezug auf das Erntedankfest durch dessen Nähe zum Tag der Deutschen Einheit an Bedeutung, an dem ebenfalls eine Art Gründungsgeschichte im Mittelpunkt steht. Nun stellt sich die Frage, ob bzw. wie diese – analog zur amerikanischen Tradition – mit dem Erntedankfest in Verbindung gebracht werden kann. Dabei gilt zu bedenken, dass das Ereignis von 1621 für den Großteil der Amerikaner ein durchweg positives Ereignis darstellt, während der Tag der Deutschen Einheit von vielen mittlerweile auch mit ambivalenten Gefühlen besetzt ist und nicht für alle einen Grund zur freudigen Dankbarkeit bedeutet. Darüber hinaus ist im deutschen Kontext eher eine, geschichtlich bedingte, distanzierte Haltung zu nationalen Ereignissen erkennbar, und der Gegenstand des Dankes ist stärker auf das Individuum beschränkt. Die Berücksichtigung der Thanksgiving-Tradition könnte dazu anleiten, das Positive der deutschen Einheit herauszustellen und ein dankbares Gespür dafür zu entwickeln, was durch die Wiedervereinigung an Gutem bereits geschehen ist. Dennoch wird dabei nicht zu vergessen sein, dass die Integration des nationalen Ereignisses von 1621 in das Erntedankfest in Amerika Ergebnis einer längeren Entwicklung war. In der amerikanischen Thanksgiving-Tradition wird darüber hinaus sowohl die Gefahr einer zu starken Verquickung von Erntedank und Politik sichtbar als auch die Herausforderung eines spezifisch christlichen Festes inmitten religiöser und kultureller Vielfalt. Problematisch wird dies, wenn die von Chaplain Doug Wootten eingeforderte Theozentrik des Festes zugunsten der Darstellungen nationaler Ereignisse bzw. Geschichte verdrängt wird, und im Bemühen, möglichst viele Menschen verschiedener Glaubensrichtungen zu integrieren, der spezifisch christliche Gehalt des Festes verloren geht. 326 Eine Chance eröffnet sich m.E. dagegen stärker in der Bedeutung des Festes über den gottesdienstlichen Kontext hinaus im Kontext der Familie. Die starke Verwurzelung der 326 Vgl. dazu die ausführlichere Betrachtung der Nähe des Nationalfeiertags zum Erntedankfest unter Punkt 10. 66 Thanksgiving-Tradition in der Familie war dafür verantwortlich, dass das Fest selbst in der Zeit der Säkularisierung und inmitten eines religiösen Indifferentismus weiterhin seine herausragende Stellung behalten hat. Ein Blick auf die Thanksgiving-Tradition könnte so dazu verhelfen, das Anliegen des Festes, den Dank an Gott, über die Feier in den Familien stärker in den Alltag zu integrieren. Der Sitz im Leben des Erntedanks wäre dann nicht der Gottesdienst allein, sondern auch die Familie, aus der ich entstamme und in der ich lebe. 8. Liturgische Texte zum Erntedankfest 8.1 Evangelisches Gottesdienstbuch327 Votum und Introitus Das biblische Votum aus Psalm 145,15 „Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit“ bringt das durch die Erfahrung begründete Zutrauen in Gottes erhaltendes Handeln zum Ausdruck. Der Leitvers für den Eingangspsalm ist aus Psalm 104 entnommen, der in Auswahl auch den Introitus selbst darstellt und die Ordnung der Welt wie auch die Vielzahl der Güter zum Ausdruck bringt, somit schon in den positiven Grundtenor des Festtages einstimmt und den Schwerpunkt auf das kontinuierliche Schöpfungshandeln Gottes legt. Der Mensch ist als der allein von Gott Empfangende gedacht, der sein Leben und seine Lebenserhaltung dem verdankt, der die Erde geschaffen und geordnet hat. Das Kollektengebet Diese Güte Gottes greift das erste Kollektengebet auf: „Gütiger Gott, du lässt die Früchte des Feldes gedeihen, Zeichen deiner Liebe, die Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit umfängt: Gieß deinen Segen aus über die ganze Welt, dass in den Früchten der Erde deine Güte erfahren und das Verlangen geweckt werde nach den ewigen Gaben. Durch unseren Herrn Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir und dem Heiligen Geist verherrlicht wird von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Die Prädikation stellt Gottes Wirken in der Natur heraus und interpretiert dieses Handeln Gottes als Tat der Liebe, deren sichtbare Zeichen die Früchte des Feldes sind. Das Gebet wagt in der Bitte darüber hinaus eine soteriologische wie eschatologische Deutung der Gaben im Hinweis auf die ewigen Gaben. Auf eine Differenzierung des Begriffes bzw. eine konkrete inhaltliche Bestimmung wird jedoch verzichtet, wohl um die schon hier sichtbar werdende Schwerpunktlegung der liturgischen Texte auf das Schöpferhandeln Gottes herauszustellen. Im Ton des Psalms wird auch die Konklusion gestaltet, die statt der üblichen doxologischen 327 Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union und die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, Berlin 1999, S. 386-387. 67 Formulierung „lebt und regiert“ das passive „verherrlicht werden“ verwendet. Der Betende kann angesichts der gedeihenden Früchte nicht anders als Gott Ehre zu erweisen. Das zweite Kollektengebet nimmt in Anrede und Prädikation Bezug auf das Vater Unser. Analog zu Luthers Auslegung des Vater Unsers wird das tägliche Brot weiter gefasst als alles, was Gott hat gelingen lassen: „Gütiger Gott, barmherziger Vater, wir danken dir für unser tägliches Brot und alles, was du hast gelingen lassen: Gib uns die Einsicht und Klugheit, mit deinen Gaben so umzugehen, dass sich viele daran freuen und dich ehren. Durch Jesus Christus, unsern Herrn, der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ In der Bitte wird um die Einsicht eines bewussten Umgangs mit den empfangenen Gaben gebeten, wobei auffällt, dass diese implizite Aufforderung zum Teilen ihren Zielpunkt in der Freude über die mitgeteilten Gaben und über sie in der Glorificatio Dei hat. Das dritte Gebet ist eigentlich kein Kollektengebet, weil es die klassischen Elemente verkürzt: „Gott des Lebens, teile aus die Fülle – aus deiner Hand kommt alles Leben, teile aus die Fülle – durch deine Güte erhältst du unser Leben, teile aus die Fülle – dein guter Geist öffnet uns die Hände. Dir sei Ehre und Preis in Ewigkeit.“ Die klassische Folge von Prädikation-Bitte wird hier umgedreht: der Anrede folgt zuerst eine relativ unbestimmte Bitte, der sich eine Prädikation anschließt. Grundtenor des Gebets ist die Bitte an Gott. Gott wird dabei als Lebensspender und Lebenserhalter charakterisiert, dessen Handeln hier in Gegenwart bzw. Zukunft gedacht wird und somit nicht als vergangenes Handeln dargestellt wird, das den Mensch zum Danken bewegt. In der dritten Bitte wird diese interessante und inhaltlich aufeinander aufbauende Prädikation dadurch unterbrochen, dass der Heilige Geist genannt wird als der, der die Menschen zum Öffnen der Hände befähigt – wobei hier offen gelassen wird, ob das Öffnen der Hände das Empfangen der Gaben oder das Teilen der empfangenen Gaben meint. Das Problem dieses Gebetes liegt in der Prädikation Gottes: Es ist ein unpersönlicher Gott des Lebens, an den sich das Gebet richtet. Allen drei Gebeten ist gemein, dass sie Gott als den Geber der Gaben preisen. Während im ersten Gebet die ganze Welt in den Blick kommt und die Früchte des Feldes das Verlangen nach den ewigen Gaben wecken sollen, kommt im zweiten der ethische Aspekt des Teilens in den Blick, allerdings unter dem Gesichtspunkt der Freude und der Glorificatio Dei als Ziel dieses Umganges mit den von Gott geschenkten Gaben. Am weitesten gefasst ist der Begriff der Gaben im dritten Kollektengebet, das sie bewusst unbestimmt mit „Fülle des Lebens“ umschreibt. Die Predigttexte Seit der Perikopenreform sind im evangelischen Bereich sechs Predigtreihen vorgesehen, seit 1999 werden zwei Evangeliumslesungen zur Auswahl gestellt. Die Reihen haben folgende Texte: 68 Reihe I: Lk 12,(13-14)15-21. Der traditionelle Evangeliumstext zum Erntedankfest nimmt Jesu Warnung vor der Habgier in den Blick und wie sehr diese den Blick auf das Wesentliche verhüllt, das der Evangelist einige Verse später zusammenfasst: „Trachtet vielmehr nach seinem Reich, so wird euch das alles zufallen.“ (Lk 12,31) In diesem Duktus steht auch das als Alternative angebotene Evangelium Mt 6,25-34, in dem das Vertrauen auf einen die ganze Welt erhaltenden und versorgenden Gott im Mittelpunkt steht. Reihe II: 2. Kor 9,6-15. Der Episteltext aus dem 2. Korintherbrief ruft unter Zuhilfenahme der Saat- und Erntemetaphorik zur Kollektengabe für Jerusalem auf. Das Geben von Herzen, nicht aus Zwang oder Unwillen, geschieht aufgrund der Gaben, die bereits zuvor der Gemeinde von Gott geschenkt wurden. Geben erscheint als Ausdruck der Freude über die von Gott geschenkten Gaben und hat die Glorificatio Dei zum Ziel. Reihe III: Jes 58,7-12. Die atl. Lesung nimmt all jene in den Blick, die nicht an den reichen Gaben der Natur teilhaben können und ruft die in Verantwortung, die es tun. Wer sein Brot mit den Armen teilt, der darf sich dabei sicher sein, dass Gott ihn weiterhin reichlich bedenken wird. Gott wirkt damit auch durch die Taten derer, die ihren Besitz teilen. Reihe IV: 1. Tim 4,4-5. Die Schöpfung Gottes ist gut – das ist der Grundtenor dieser Perikope. Dieses Gütesiegel ist nicht auf einzelne Dinge oder Taten beschränkt, sondern umfasst alle Lebensbereiche des Menschen – sofern mit Danksagung empfangen wird. Darin stecken auch die Bereitschaft zur Annahme der Gaben und der sich darin ausdrückende Dank. Reihe V: Mt 6,19-23. Wie schon in den Evangeliumslesungen steht hier die Ausrichtung des Menschen bezüglich der Gaben im Vordergrund. Die Perikope stellt dabei die Einleitung zu den Bildern von Vogel und Lilie Mt 6,25ff. dar, irdische und himmlische Gaben werden unterschieden mit Hilfe der sehr plastischen Beispiele der die Ernte fressenden Motten und der die irdischen Schätze stehlenden Diebe. Sicherheit für die irdischen Gaben wird es demnach nicht geben können und – so verrät der Kontext – nicht geben müssen, denn: der himmlische Vater weiß, wessen der Mensch bedarf, und sorgt für ihn. Reihe VI: Hebräer 13,15-16. Wieder richtet sich der Blick auf das Teilen und Tun von Gutem. Hier aber im Gedanken des Lobopfers, das der Mensch darbringt aufgrund der von Gott erfahrenen Güte. Das Lobopfer umfasst dabei nicht allein die Sorge um den Nächsten, sondern auch „die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen:“ Lobt Gott mit Worten und mit Werken. Hallelujavers Der Hallelujavers Ps 147,1 „Lobet den Herren; denn unsern Gott loben, das ist ein köstlich Ding, ihn loben ist schön und lieblich.“ schließt den durch Ps 104 angestimmten Lobpreis ab. 69 Präfation328 Das EGB bietet als Fest-Präfatio folgendes Mittelstück an: „Wir danken dir für die Ernte des Jahres und die Früchte unserer Arbeit. Wir danken dir, dass du unser Leben erhältst in deiner Güte.“ Die Präfation bringt das Zusammenwirken von göttlicher Güte und menschlicher Arbeit zum Ausdruck, bekennt aber Gott als den, der letztlich allein aus Güte das Leben erhält. Damit bleibt sie damit dem traditionellen Aspekt der Erntegaben verpflichtet und nimmt keinen Bezug auf die Früchte des Leidens und Sterbens Jesu, die im Abendmahl empfangen werden, was dann durch Anamnese und Epiklese geschieht. Das Fürbittengebet329 Angesichts der Entwicklung, dass am Erntedankfest immer öfter Gottesdienste stattfinden, die auch auf eine größere Beteiligung der Gemeinde zielen, schlägt das EGB für das Erntedankfest ein diakonisches Gebet als Fürbittengebet vor, das seinem Charakter nach mehrere Beteiligte einschließt.330 Das Gebet besteht aus zwei Teilen mit einmal drei und einmal zwei Gebetsanliegen, eingerahmt von je einer Einleitung und einem abschließenden Kollektengebet des Liturgen. Die einzelnen Gebetsanliegen werden von der Gemeinde durch ein „Herr, wir danken dir“ bzw. „Herr, erhöre uns“ abgeschlossen. Eine Besonderheit des Gebets ist, dass die ersten drei Gebetsanliegen sich fast ausschließlich auf den Dank beziehen. Teil I Einleitung des Liturgen: Gott hat uns die Ernte dieses Jahres wachsen lassen. Viele Erwartungen wurden erfüllt; lasst uns ihm danken. Diakon/Gemeindeglied: Wir danken Gott: Prosphonese 1: für alles, was er uns zum Leben gegeben hat; für unser täglich Brot, das wir reichlich haben; für die Fähigkeit, uns mit unserer Hände Arbeit zu erhalten; für das Wissen und den Mut, Neues zu erforschen, damit wir gewinnen, was wir für das Leben brauchen, und davon weitergeben können – lasst uns Gott Dank sagen: Gemeinde: Herr, wir danken dir. D: Wir danken Gott: Prosphonese 2: für das Zusammenleben mit anderen Menschen; für alle, die uns nahe stehen und uns ihre Zuwendung erfahren lassen; für die Menschen, denen wir begegnen und die unser Leben bereichern; für alle Gemeinschaft, die Einsamkeit überwindet, damit wir Freude erfahren und weitergeben können – lasst uns Gott Dank sagen: G: Herr, wir danken dir. D: Wir danken Gott: Prosphonese 3: für seine Barmherzigkeit, die uns befreit und entlastet; für Brot und Wein, die uns Leben und Freude schenken; für sein Wort, das uns die Augen öffnet, damit wir unsere Verantwortung erkennen füreinander – lasst uns Gott Dank sagen: 328 Evangelisches Gottesdienstbuch, S. 620. Evangelisches Gottesdienstbuch, S. 594f. 330 Vgl. Frieder Schulz, Das Gebet, S. 752. 329 70 G: Herr, wir danken dir. Dieser erste Teil stellt eine Erweiterung des vor Fürbittengebeten oft üblichen Dankes und Lobpreises dar. Es ist allerdings auch kein reines Dankgebet, da die Prosphonese jeweils mit der impliziten Bitte schließt: „damit wir gewinnen/erfahren/erkennen“. Das Gebet beginnt mit der klassischen Deutung der Erntegaben als lebenserhaltende Gaben, wobei auch die Erfahrung des Zusammenwirkens von göttlichem Wirken und der Hände Arbeit zur Sprache gebracht wird. In der zweiten Prosphonese wird der Erntebegriff weiter gefasst und umschließt nun auch das zwischenmenschliche Miteinander, die von Gott geschenkte Gemeinschaft, die Anlass zur Freude ist. Und schließlich wendet sich das Gebet der Gabe zu, die über das körperliche Erhalten Gottes hinausgeht: der Barmherzigkeit Gottes, die sich in Brot und Wein und seinem Wort offenbart und in die Verantwortung füreinander ruft. Es ist ein in sich geschlossenes Gebet, das – dem Anlass des Festes Rechnung tragend – seinen Schwerpunkt auf dem Dank hat und dennoch die Bitte um eine gerechte Verteilung der Gaben und einen verantwortungsvollen Umgang der Menschen mit einschließt. Nun aber wendet ein zweiter Teil explizit den Blick auf die Notleidenden in der Welt: Einleitung des Liturgen: Die bittere Not vieler Menschen ist noch nicht behoben; lasst uns Gott um Hilfe bitten. D: Wir bitten Gott: Prosphonese 4: dass er unsere Bereitschaft mehre, die uns gestellte Aufgaben zu erfüllen; dass er unseren Widerstand überwinde, den Wohlstand zu teilen und den Hunger nach Gerechtigkeit zu stillen; dass er uns lehre zu verzichten und uns einzuschränken, damit andere leben können – lasst uns Gott bitten. G: Herr, erhöre uns. D: Wir bitten Gott: Prosphonese 5: dass er allen, die in Wirtschaft und Politik Verantwortung tragen, gangbare Wege weise, die Probleme des Mangels und der Ungerechtigkeit zu lösen; dass in Wirtschaft und Technik Möglichkeiten gefunden werden, die Ernährung der Menschen zu sichern; dass er uns alle befähige, mit den Gütern der Erde gerecht und verantwortlich umzugehen, damit wir heute und in Zukunft menschenwürdig und glücklich leben können – lasst uns Gott bitten: G: Herr, erhöre uns. Der appellative Charakter der Bitten lässt den Ruf „Herr, erhöre uns“ eher nach einem „Mensch, bessere dich“ klingen. Die Bitten scheinen nicht an Gott gerichtet, sondern an die zum Teilen und Verzichten unfähige Gemeinde. Das abschließende Kollektengebet des Liturgen gerät nach diesen Appellen in Gebetsform zum Störfaktor, weil es inhaltlich wie sprachlich auf Teil I des Gebets zurückgreift. „Gott, du gibst uns in deiner Güte und Barmherzigkeit mehr als wir bitten und verstehen können. Hilf uns, dass wir niemals aufhören, dir dafür zu danken, dich zu loben und zu preisen. Durch Jesus Christus, unsern Herrn.“ Es scheint fast so, als sei die interessante und erfreuliche Idee eines vom Dank bestimmten Fürbittengebets dann doch wieder dem üblichen Schema zum Opfer gefallen, gerade am 71 Erntedankfest die Betenden mit einer Liste dessen, was falsch gemacht wurde, zu konfrontieren und zur Umkehr zu rufen. 8.2 Katholische Tradition Obwohl das alte Römische Missale kein eigenes Formular zum Erntedank kennt, hat der Dank für die Erntegaben auch in den gottesdienstlichen Feiern der katholischen Kirche einen festen Platz. Seit Leo I. ist die Herbstquatember mit dem Dank für die Ernte verbunden.331 Im neuen Römischen Kalender wurde diese Beziehung der Quatembertage zum Erntedank wieder aufgenommen und ihnen damit größere Bedeutung zugemessen. Deshalb sollen hier nicht nur die Texte des neuen Messbuchs, sondern auch die der Herbstquatember betrachtet werden. 8.2.1 Die Texte der Herbstquatember332 Der Introitus ist Psalm 80 (81)333, dem Psalm des Laubhüttenfestes, entnommen und ruft zur Feier des Erntefestes auf, denn: „das ist eine Satzung für Israel und eine Ordnung des Gottes Jakobs.“ Das sich an den Introitus anschließende Gebet bittet um Halt und Wiederherstellung im Angesicht menschlicher Ohnmacht. „Wir bitten dich, o Herr: durch die Heilmittel Deiner Barmherzigkeit möge unsere Gebrechlichkeit Halt bekommen, damit sie, aufgerieben von eigener Ohnmacht, wieder hergestellt werde von Deiner Milde. Durch unsern Herrn.“ Die erste Lesung Amos 9,13-15 verdeutlicht den Reichtum und die Vielfalt der von Gott geschenkten Gaben. Sie nimmt konsequent Bezug auf das Heilshandeln Gottes an seinem Volk, das bereits Gegenstand des Lobpreises Psalm 80 (81) war, hier in Form des Verheißungstextes. Das sich an die Lesung anschließende Graduale nimmt mit Psalm 112,5-7 (113) die Situation des verstreuten Volkes, das auf Gottes Verheißung hofft, auf: „Wer ist wie unser Gott, der Herr, der in den Höhen wohnt und hoch herniederschaut auf Himmel und auf Erde? Den Schwachen richtet er vom Boden auf, den Armen hebt er aus dem Staube.“ Im Angesicht der Verheißung Amos 9 und des Bekenntnisses Ps 112 (113) wendet sich die folgende Oratio der Entsagung der Sünden zu: „Wir bitten dich, o Herr: gib deiner demütig flehenden Familie die Gnade, bei ihrem Abbruch in leiblicher Nahrung zugleich auch den Sünden zu entsagen. Durch unseren Herrn.“ Die zweite Lesung entstammt Neh 8,1-10 und bringt durch die Nähe zum Laubhüttenfest die Erinnerung an die drei großen Feste, die im Alten Testament im Verlauf des siebten Monats (September/Oktober) gefeiert wurden (Neumondfest, Versöhnungstag und Laubhüttenfest), 331 Vgl. hierzu Punkt 10 zur geschichtlichen Entwicklung des Erntedankfestes. Das vollständige Römische Messbuch, S. 666-671. 333 Ps 80,5 (81); die lutherische Zählweise ist, sofern verschieden, fortan in Klammern gesetzt. 332 72 zum Ausdruck, der sich die inhaltliche Ausrichtung der Herbstquatember mitverdankt.334 Der Text ruft zur Aufmerksamkeit gegenüber Gottes Wort. Die Stärke des Glaubens entspringt dem Hören dieses Wortes, das, angesichts der Erkenntnis der eigenen Sünde, zwar zum Weinen bringen kann, aber letztlich zur Freude am Herrn führen soll, die sich in einer Feier mit fetten Speisen und süßen Getränken zeigt und in der auch der Blick auf die Armen in der Gemeinschaft geschieht. Das darauffolgende Graduale bekennt dann auch Gottes Heilswirken, mit Psalm 32, 6.12 (33) preist es die Schöpfung des Herrn durch sein Wort. Das Evangelium Mk 9,16-28 von der Heilung eines besessenen Knaben und das sich daran anschließende Offertorium („Ich überdenke dein Gebot, das ich gar innig liebe; ich strecke meine Hände aus nach deiner Satzung, die ich liebe“ Ps 118 (119)) richtet den Blick auf die Ausrichtung der Gläubigen an Gottes Wort: „Heute prüfen wir unser Leben, ob es dem Worte und Gesetze Gottes entspreche, und machen den Tag zu einem Tag der Einkehr, der Buße und Erneuerung.“335 Das Bekenntnis der immer wiederkehrenden Abkehr und den Ruf des Vaters Mk 9,24 „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“, fasst die Secreta schließlich zusammen: „Herr, wir bitten: diese Opfergabe tilge unser Vergehen und heilige Leib und Seele deiner Diener zur Feier des Opfers. Durch unsern Herrn.“ Dass die Feier jedoch nicht allein bei dem Gedanken der Buße und Einkehr stehen bleibt, verdeutlicht der Communio-Vers, der wiederum Neh 8 entnommen ist (Neh 8,10) und die Freude an Gott quasi als Schlusspunkt setzt. 8.2.2 Messbuch der katholischen Kirche336 Im neuen Messbuch findet sich unter den Messen für besondere Anliegen auch ein Formular zum Erntedank. Der Erntedank wird durch den Eröffnungsvers Psalm 67,7 unter den Segen Gottes gestellt: „Das Land gab seinen Ertrag. Es segne uns Gott, unser Gott.“ Das erste Tagesgebet betont Gottes schöpferisches Handeln von Beginn der Schöpfung an, das allen Geschöpfen gilt. Mit Bezug auf Gen 1,28 wird die Verantwortung des Menschen für die Schöpfung herausgestellt. Die Gaben haben die Glorificatio Dei und die Zuwendung zu den Notleidenden zum Ziel. „Gott, unser Vater, du sorgst für deine Geschöpfe. Du hast den Menschen die Erde anvertraut. Wir danken dir für die Ernte dieses Jahres. Nähre damit unser irdisches Leben und gib uns immer das tägliche Brot, damit wir dich für deine Güte preisen und mit deinen Gaben den Notleidenden helfen können. Darum bitten wir durch Jesus Christus.“ Die bereits angeklungene Unterscheidung von irdischen und geistigen Gaben entfaltet das zweiten Tagesgebet: 334 Vgl. Das vollständige Römische Messbuch, S. 666. Vgl. Das vollständige Römische Messbuch, S. 666. 336 Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebiets, S. 1066f. 335 73 „Wir danken dir, Herr, für die Früchte der Erde und für das Walten deiner Vorsehung. Lass auch die Früchte deiner Gnade in uns reifen: die Gerechtigkeit und die Liebe. Darum bitten wir durch Jesus Christus.“ Die Früchte der Erde, deren Verteilung Gottes Vorsehung vorbehalten ist, stehen den Früchten der Gnade – Gerechtigkeit und Liebe – gegenüber. Von den sichtbaren Früchten soll der Blick auf diese schwer darstellbaren Gaben gelenkt werden. Das Gabengebet bringt hingegen eine etwas zweifelhafte Deutung der Erntegaben ins Spiel: „Herr, unser Gott, segne die Früchte der Erde, die wir in Dankbarkeit darbringen. Heilige Brot und Wein für das Opfer und lass uns durch den Empfang deines Sakramentes Frucht bringen, die bleibt für das unvergängliche Leben. Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.“ Die Früchte der Erde, unter Umständen noch vor dem Altar aufgebaut, bekommen den Charakter eines Opfers, das der Mensch Gott darbringt. Diese Analogie zu den atl. Erntefeiern wirkt – zumindest aus evangelischer Sicht – im Rahmen eines Gabengebets befremdlich. Die Bitte um Stärkung, die dazu befähigt, über die Naturgaben hinausreichende „Früchte“ zu bringen, nimmt wieder Bezug zum Tagesgebet II und der darin erbetenen Teilhabe an den Früchten der Gnade – Gerechtigkeit und Liebe. Der an Psalm 104 angelehnte Communio-Vers betont den Reichtum der Gaben und die sich daraus resultierende Freude: „Herr, von den Früchten deiner Schöpfung werden alle satt. Du schenkst dem Menschen Brot von der Erde und Wein, der sein Herz erfreut.“ Einen eschatologischen Ausblick auf die von den dargebrachten Erntegaben fundamental unterschiedenen ewigen Güter wagt das Schlussgebet: „Herr, in dieser heiligen Feier haben wir dir für die Ernte des Jahres gedankt. Schenke uns als Frucht dieses Opfers die ewigen Güter, welche die Erde nicht geben kann. Darum bitten wir dich durch Christus, unsern Herrn.“ 8.2.3 Das Benediktionale337 Das Benediktionale für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebiets bietet ein Formular zur Segnung der Erntegaben, die den Dank für das, was an Nahrung geschenkt wurde, die Aufforderung zum Teilen mit Bedürftigen wie auch die Erinnerung, dass das irdische Mahl zeichenhaft auf das eucharistische Mahl hinweist, beinhaltet. Die Salutatio benennt Jesus Christus als den Mittler der Gaben Gottes („Der Herr Jesus Christus, durch den der Vater jede gute Gabe schenkt, sei mit euch.“), nimmt ihn in das Schöpfungshandeln Gottes mit hinein und lässt Kol 1,16 anklingen. Das Tagesgebet entspricht dem des römischen Messbuchs. Die Lesung ist dem Propheten Joel entnommen (Joel 2,21-24.26.27) und legt ähnlich wie die Herbstquatember durch eine prophetische Verheißung den Schwerpunkt auf Gottes schöpferisches und erhaltendes Handeln, 337 Benediktionale, Studienausgabe für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes, S. 65-72. 74 das der ganzen Schöpfung gilt. Der seinem Volk dadurch erwachsene Überfluss soll zum Jubel, zum Bekenntnis und zum Lobpreis Gottes führen. Der Antwortpsalm Ps 67 ist bestimmt von der Freude aller Völker über das Segenswirken Gottes. Das Gebet zur Segnung der Erntegaben betont Gottes Ordnung der Welt, in der dem Menschen der Auftrag der Bewahrung der Schöpfung zu kommt. Dabei und in der Sorge um das tägliche Brot weiß er sich umgeben von der Gegenwart Gottes durch Jesus Christus. Die Bewahrung der Schöpfung erscheint als eine sich aus der Ordnung Gottes ergebende und sich der Güte Gottes verdankende Tat des Menschen, die wiederum getragen ist von der Verheißung Joel 2: Zelebrant: Gepriesen bist du, Herr, unser Gott. Kantor: Du hast das Land gesegnet und es reich gemacht. Wir loben dich. Alle: Wir preisen dich. K: Du lässt uns in der Sorge um das tägliche Brot nicht allein. Wir loben dich. A: Wir preisen dich. K: Dein Sohn hat Brot und Fische gesegnet und sie den hungernden Menschen ausgeteilt. Wir loben dich. A: Wir preisen dich. K: Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. A: Wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit. Amen. Z: Lasset uns Beten: Allmächtiger Gott, du hast Himmel und Erde erschaffen. Du hast dem Weltall eine Ordnung gegeben, die wir erkennen und bewundern. Du hast den Menschen dazu bestimmt, sich die Erde untertan zu machen, sie zu bebauen und ihren Reichtum recht zu nutzen. Wir freuen uns heute über die Ernte dieses Jahres. Segne + diese Feldfrüchte, die wir dankbar aus deiner Hand empfangen haben. Lass auch die Armen und Hungernden den Reichtum deiner Güte erfahren und teilhaben an der Fülle deiner Gaben. Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Der Zelebrant besprengt die Erntegaben mit Weihwasser. In Analogie zu der Speisung der 5000 sollen die gesegneten Erntegaben nun auch „weiterwirken“, über den Kreis der versammelten hinaus, indem Armen oder Kranken von diesen Früchten gebracht wird.338 In dem folgenden Fürbittengebet stellt die Sorge für die Kirche, die Welt, die in der Landwirtschaft Tätigen und des Einzelnen um den Hunger in der Welt den Mittelpunkt dar, wobei der Anlass der Bitten jeweils der bereits zur Sprache gekommenen Erntedankaspekten entspringt und auf das Gebet zur Segnung der Erntegaben Bezug nimmt. Zelebrant: Unser Herr Jesus Christus hat uns gelehrt, um das tägliche Brot zu bitten. Darum rufen wir zu ihm: Vorbeter: Für die Kirche, dass sie sich stets der Notleidenden annehme. Kantor: Lasset zum Herrn uns beten. Alle: Herr, erbarme dich. Christus, erbarme dich. Herr, erbarme dich. V: Für die Mächtigen dieser Welt, dass es ihnen gelinge, in unserer Welt zwischen Arm und Reich, zwischen Überfluss und Hunger einen Ausgleich zu schaffen. K: Lasset zum Herrn uns beten. A: Herr, erbarme dich. Christus, erbarme dich. Herr, erbarme dich. 338 Vgl. Benediktionale S. 66. 75 V: Für alle Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, dass ihre Arbeit nicht vergeblich sei. K: Lasset zum Herrn uns beten. A: Herr, erbarme dich. Christus, erbarme dich. Herr, erbarme dich. V: Für uns selbst, dass wir die Gaben der Natur dankbar annehmen und recht gebrauchen. K: Lasset zum Herrn uns beten. A: Herr, erbarme dich. Christus, erbarme dich. Herr, erbarme dich. V: Für uns und alle Menschen, dass wir am Festmahl des ewigen Lebens teilnehmen dürfen. K: Lasset zum Herrn uns beten. A: Herr, erbarme dich. Christus, erbarme dich. Herr, erbarme dich. Das folgende Entlassgebet kennzeichnet den Menschen zusammenfassend als einen an Leib und Seele Bedürftigen, für den auch Glaube, Liebe und Hoffnung Gaben sind, derer er bedarf. In seiner Bedürftigkeit kann er alle Hoffnung auf Gott und seine Bitten erhörende Liebe setzen. Zelebrant: Gott, unser Vater, der Quell und Ursprung alles Guten, gewähre euch seinen Segen und erhalte euch unversehrt an Leib und Seele. Er bewahre euch im rechten Glauben, in unerschütterlicher Hoffnung und in der Geduld unbeirrbarer Liebe. Eure Tage ordne er in seinem Frieden, eure Bitten erhöre er heute und immerdar; am Ende eurer Jahre schenke er euch das ewige Leben. Das gewähre euch der dreieinige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen 8.3 Resümee Die liturgischen Texte zum Erntedankfest bringen in erster Linie die Abhängigkeit des Menschen von der Güte des Herrn zum Ausdruck, der durch sein Wirken für den Erhalt seiner Schöpfung Sorge trägt. Dem Proprium des Tages entsprechend bildet der Dank Ausgangs- und Zielpunkt der Texte, wobei verschiedene Aspekte zum Tragen kommen: Dank ist Freude, Dank ist Lobpreis, Dank ist Einkehr, Dank ist Staunen, Dank ist Annahme. Ebenso bildet die Verantwortung des Menschen, die sich aus der erfahrenen Güte Gottes heraus ergibt, ein zentrales Moment. Die Texte des Evangelischen Gottesdienstbuches zum Erntedankfest betonen die Abhängigkeit des Menschen von den Gaben Gottes. Ernte wird verstanden als alles, was Gott dem Menschen gibt und ihm gelingen lässt, wozu auch die Gemeinschaft zwischen Menschen und mit Gott gehört. Sie haben fast alle doxologischen Charakter und nehmen – wenn z.T. auch nur implizit – zur Verantwortung des Menschen Stellung. Ihr Mittelpunkt bleibt jedoch die Herrlichkeit der Schöpfung Gottes, in der und durch die er seine Güte den Menschen offenbart. Dabei betonen sie das Jetzt des Erntedank. Jetzt ist die Zeit, die Gaben Gottes anzunehmen in Dankbarkeit und Lobpreis. Jetzt ist die Zeit, von dieser Dankbarkeit aus sich der Verantwortung für die Welt bewusst zu werden und ihr entsprechend zu handeln. Dieses Jetzt weiß sich getragen von dem Vertrauen, dass Gott allen, die auf ihn warten, Speise gebe zur rechten Zeit. Verlauf und Texte der Herbstquatember versuchen, den Feiernden einen Weg zu eröffnen, der von den Früchten des Feldes im Angesicht der Verheißung Gottes, im Bewusstsein der eigenen Sünde hin zur Freude über Gottes Wirken führt. Die Freude am Herrn, die den Mittelpunkt 76 darstellt, ist eine Freude über die Gaben, die Gott in der Ernte schenkt, über die Gabe des Wortes Gottes, das es immer wieder neu zu hören gilt und an dem sich das Leben der Gläubigen ausrichten soll, und über die Gabe, die Gott durch Jesus Christus den Menschen schenkt und die sich in der Möglichkeit zur Umkehr zeigt. Die Texte des Messbuches haben dagegen eher einen Auswahlcharakter, ein solcher roter Faden fehlt ihnen. Dagegen werden auch Aspekte thematisiert, die in der Quatember keinen Platz fanden, wie zum Beispiel die Verantwortung des Menschen für die Schöpfung Gottes. Den Texten der römisch-katholischen Tradition ist – gerade auch im Blick auf die Texte des Benediktionale – eine konsequent erweiterte Definition der Gaben gemein. Die Früchte des Feldes sind der Anlass dazu, auf die vielfältigen Gaben zu blicken, die Gott das ganze Jahr hindurch, den Gläubigen zukommen lässt. Zu diesen gehören auch die Gaben des Wortes und die Gabe von Umkehr und Erneuerung. Konsequent wird Jesus Christus in dieses Handeln Gottes mit einbezogen. In Verbindung mit den atl. Lesungen wird so die Kontinuität von Gottes schöpferischem, erhaltendem und errettendem Handeln betont. Dadurch erscheint die Forderung eines verantwortungsvollen Umgangs mit den Gaben nicht als Opfer, sondern als Tat der Liebe, die durch die Liebestaten Gottes ermöglicht und motiviert wird. In den Texten beider Traditionen kommt auch das eschatologische Moment zum Tragen, der Ausblick auf die ewigen Güter und das ewige himmlische Mahl, das die Gläubigen einst erwartet und auf das die Gaben hier auf Erden schon hinweisen. Während das EGb es bei einer Andeutung im Tagesgebet belässt, entfalten die Texte der katholischen Tradition die Geschichte Gottes mit den Menschen konsequent als eine Geschichte der Gegenwart, in der der Mensch staunend vor Gottes Gaben steht, sich rühmend und lobend der Güte Gottes in der Vergangenheit erinnert und dadurch begründete Hoffnung und Vertrauen auf die Geschichte Gottes mit ihm in der Zukunft hat. Dass man dankt, scheint klar. Der Lobpreis Gottes und der Dank für die Gaben ist allen Texten gemein. Doch wird auch hier bezüglich der theologischen Ortsbestimmung des Erntedankfestes deutlich, wie schwer es fallen kann, die drei Artikel des Glaubensbekenntnisses an einem Tag wie dem Erntedankfest zusammen zu denken. Gestalte ich den Gottesdienst als Feier des ersten Artikels, oder lasse ich Gottes allumfassendem Wirken Raum, was die Aufnahme soteriologischer, pneumatologischer und eschatologischer Elemente beinhaltet? Darf an diesem „Naturfest im Kirchenjahr“ etwas anderes im Mittelpunkt stehen als die in den Früchten des Feldes zu Tage tretende Güte Gottes? Einerseits werden die Verantwortlichkeit des Menschen für die Schöpfung hochgehalten und Missstände angeprangert. Aber gerade die evangelische Tradition wehrt sich dagegen, den Gedanken der Buße und der Umkehr zu berücksichtigen, was sich auch daran zeigt, dass das EGb für den Erntedanktag kein eigenes Bußgebet aufführt. Am 77 konsequentesten stellt die Herbstquatember heraus: es kann keine gottesdienstliche Feier geben, in der wesentliche Bestandteile des christlichen Bekenntnisses ausgeklammert werden. Die katholische Tradition sieht den Menschen als einen an Leib und Seele von Gott empfangenden. Sie trägt der Ganzheit christlicher Existenz Rechnung und versucht schöpfungstheologische wie soteriologische Deutung des Erntedankes zusammen zu denken. Jedoch werden dadurch, v.a. in der Herbstquatember, kaum gestalterische Freiheiten bzw. die Möglichkeit zugelassen, auf das Bedürfnis zum Danken oder auf die Erwartung einzugehen, dass schöpfungstheologische Aspekte zur Sprache kommen. Diese werden durch eine doch sehr starke Ausrichtung auf Umkehr, Wort Gottes und Heilsgeschehen in Jesus Christus überlagert. Das EGb hingegen nimmt stärker die Lebenswirklichkeit in den Blick und gesteht durch seinen Auswahlcharakter dem Liturgen eine Freiheit zu, auf die spezifischen Bedürfnisse und Erwartungen der Gemeinde einzugehen. Jedoch steht durch die schöpfungstheologisch orientierten Gebetstexte auf der einen und die z.T. stark christologisch bzw. soteriologisch geprägten Perikopen auf der anderen Seite das evangelische Formular zum Erntedank stets in dieser Spannung zwischen erstem und zweitem Glaubensartikel. Die Auseinandersetzung mit den liturgischen Texten hat jedoch gezeigt, wie sehr die Liturgie selbst schon Verkündigung sein kann und letztlich nicht nur einen schmückenden Rahmen der Predigt darstellt, in dem all das, was in der Predigt nicht zur Sprache kommt, seinen Platz findet. Liturgie predigt – ein am Erntedanktag nicht zu unterschätzendes Moment. 9. Die Lieder zum Fest „Erst in der Dynamik von Singen und Sagen des gesungenen Wortes entsteht die Kirche als creatura verbi“ umschreibt Christian Möller einen Aspekt reformatorischer Spiritualität und bringt damit die Bedeutung des Singens für die christliche Existenz zum Ausdruck.339 Wie kein anderes Element des Gottesdienstes tragen Lieder Sorge dafür, dass aus einer Kirche, die sich im „Sagen der Wörter“ zu erschöpfen droht, eine Kirche wird, in der auch die Seele berührt wird.340 Sie bringen nicht allein die Glaubensinhalte der Einzelnen wie die der Gemeinschaft zum Ausdruck, sondern haben im Vollzug schon Gemeinschaft konstituierende Kraft, so dass „die Fremdheit des neben und mit mir singenden Menschen nicht überspielt“ wird, „wir aber in eine Gemeinsamkeit hineingezogen werden, die wir nicht hergestellt haben.“341 Das Singen ist dabei in all seiner Vielfalt als Lobpreis, Homologie oder Bekenntnis auch von einem eschatologischen 339 Möller, Lutherische Spiritualität, S. 25f. Vgl. Möller, Lutherische Spiritualität, S. 25. 341 Reich, Das Kirchenlied, in: Handbuch der Liturgik 2004, S. 763-777, S. 771. 340 78 Bezug geprägt, insofern, dass es ein „Vorklang gemeinsamer Zukunft“ ist: ut omnes unum sint.342 Ein Aspekt des Kirchenliedes ist darüber hinaus für eine Betrachtung des Liedguts zum Erntedank relevant, nämlich dessen ökumenische Ausrichtung. Weniger eine konfessionellökumenische Charakteristik, vielmehr jene „Ökumene der Zeiten“ die Christa Reich formuliert: „Neben Liedern von heute (...), gibt es die Lieder, in denen uralte Worte und Töne darauf warten, heute gesungen zu werden“, weil sie Botschaften und Erfahrungen von Menschen vermitteln, die sich unserer heutigen Erfahrung oftmals entzogen haben.343 Die Bedeutung des Kirchenliedes für das Erntedankfest ist also mehr als die eines schmückenden Beiwerks. Sie schaffen eine Verbindung zu den Glaubenserfahrungen der Vorfahren, für die das Thema Ernte in seiner ursprünglichen Bedeutung grundlegend war, und zu dem Kontext, dem sich das Fest verdankt. 9.1 Evangelisches Gesangbuch Eine eigene Rubrik zum Erntedank kennt das Evangelische Gesangbuch (EG) nicht. Lieder in dieser Thematik sind unter dem Begriff „Natur und Jahreszeiten“ subsumiert, die 17 Lieder umfasst (EG 499-515). In ihrem Mittelpunkt steht die Herrlichkeit von Gottes Schöpfung, dem Stil nach sind sie dem Lobpreis verpflichtet. Die Lieder, die darin den Erntedank zum Thema haben, gehören allesamt vergangenen Zeiten an. Eine Auswahl zu treffen fällt deshalb schwer, weil der Erntedank auch die Thematik „Natur und Jahreszeiten“ umfasst, ein Lobpreis der Schöpfung Gottes am Erntedankfest genauso denkbar wäre. Ebenso bietet das EG eine Fülle an Liedern, die dem Dank verpflichtet sind und das den Menschen erhaltende Handeln Gottes mitdenken. Hier sollen jedoch allein die Lieder Gehör finden, die explizit den Dank für die Ernte thematisieren. 9.1.1 „Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit“ EG 502 Als Sohn eines Sattelmeisters 1594 in Neustadt (Oberschlesien) geboren, war Matthäus Apelles von Löwenstern nach seiner Ausbildung im nahe gelegenen Leobschütz im Schul- und Kirchendienst tätig. Nachdem er aufgrund der Wirren des dreißigjährigen Krieges seine Heimat verlassen musste, wurde er von Herzog Heinrich Wenzel als Sekretär und Kirchenmusikdirektor des Herzogtums Münsterberg-Oels mit Sitz in Bernstadt (Schlesien) berufen. In Breslau kam Matthäus Apelles von Löwenstern als „glänzender Organist an der St. Bernhardin-Kirche und begabter Sänger“ in Kontakt mit den führenden schlesischen Mystikern.344 Dass er ein nicht unbedeutender Komponist war, zeigt sich nicht allein daran, dass er die Melodien zu seinen Liedern selbst schuf, sondern Johann Sebastian Bach allein sieben von ihnen in seinen Kantaten 342 Vgl. Reich, Das Kirchenlied, S. 771. Vgl. Reich, Das Kirchenlied, S. 772. 344 Vgl. Loscher, Art. Apelles von Löwenstern, S. 24. 343 79 verarbeitete. Dagegen fanden lediglich zwei Kirchenlieder Einzug in das EG. Das Bittlied „Christe, du Beistand deiner Kreuzgemeine“345 und das Wochenlied zum Erntedankfest, „Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit“ (EG 502). Dieses ist in den 40er Jahren des 17. Jahrhunderts und somit in den letzten Jahren des dreißigjährigen Krieges entstanden.346 Das Danklied findet sich erstmalig in der 1644 erschienenen „Kirchen- und Hausmusik“ des „begnadeten schlesischen Musikers und Dichters, des herzoglichem Kämmerers und kaiserlichen Rates, des in den Adel erhobenen Kürschnersohnes“.347 Die von Löwenstern selbst „Alcäische Ode“ genannte und in antiker Strophenform und Metrum gehaltene Dichtung gibt in ihrer Verbindung mit der auch von ihm stammenden Melodie in einer „geschlossenen Einheit von Wort und Ton“ dem Dank gegenüber dem Schöpfer einen überzeugenden Ausdruck.348 Zum Lied Sprachlich ist das Lied im Psalmstil gehalten, als biblische Grundlage kann jedoch v.a. Joel 2, 1827 ausgemacht werden, die aufgrund der Häufung der Anklänge nicht überhört werden kann. Von Löwensterns Lobpreis spiegelt die Erfahrungen eines Christen wider, der nach Jahren des Misswuchses und der verwüsteten Ernte nun voller Freude und Dankbarkeit die erste gute Ernte nach langer Zeit als Gottes gutes und gnädiges Tun begreift.349 Die ersten beide Verse von Strophe 1 nehmen Joel 2, 26a auf („Ihr sollt genug zu essen haben und den Namen des Herrn, eures Gottes, preisen“). Aus dem Aufruf zur Freude Joel 2, 23a in Verbindung mit 27a wird „Freue dich, Israel, seiner Gnaden“. Dieser Aufruf zur Freude bildet den Zielpunkt der ersten Strophe, ja durch die Wiederkehr in Strophe 5 den des ganzen Liedes. „Lob ihn mit fröhlichem Schall“ verweist auf Psalm 47,2. Es geht nicht um ein schlichtes Danke, sondern freudig-schallendes Singen gebührt Gott. „Hier steht der Dichter in der großen Gemeinschaft der Psalmsänger. Das ‚danket dem Herrn, denn er ist freundlich’ erfüllt das ganze Lied, besonders aber die erste und letzte Strophe, die wie eine Klammer das Gedicht umgreifen.“350 Durch die zweierlei Anrede klingt an, was später (Strophe 3) entfaltet wird: Israel als das von Gott erwählte Volk und die Christenheit als neues Gottesvolk werden hier zusammengedacht als diejenigen, die die Barmherzigkeit und Gnade Gottes erfahren haben. Auch in Strophe 2 greift von Löwenstern auf Psalm 47 zurück, wenn er die Souveränität von Gottes Herrschaft über die ganze Welt besingt (Psalm 47,3f). Das Motiv der „viel tausend Engel“, die Gott mit Psalter und Harfe Ehre geben, hat seine biblische Grundlage in Offb. 345 Es liegt im EG jedoch nur als Melodie in „Herr, unser Gott, lass nicht zuschanden werden“ (EG 247) vor. Vgl. Loscher, S. 24. 347 Voll, Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit, S. 509. 348 Voll, Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit, S. 509. 349 Vgl. Köhler, Die biblischen Quellen der Lieder, S. 540. 350 Voll, Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit, S. 510. 346 80 5,11.13. Der Singende wird damit mit hinein genommen in den Lobpreis der Engel Gottes und aller Geschöpfe. Der Lobpreis mit Psalter und Harfe ist Psalm 150,3 entnommen, wobei die Harfe als Instrument zur Begleitung des Lobpreises ein in den Psalmen gängiges Motiv ist. Mit Strophe 3 wird nun die Spannung aus Strophe 1 aufgelöst: die hier angesprochenen Heiden sind wohl nicht als Gottferne zu verstehen, vielmehr als die außerhalb des Volkes Israel stehenden, durch Christus in den Heilsplan Gottes aufgenommenen Gläubigen.351 Joel 2,21ff. „Fürchte dich nicht, liebes Land (...) denn die Auen in der Steppe sollen grünen“ dichtet von Löwenstern zu „zur grünen Weiden stellt euch willig ein“352 und erweitert die Gaben Gottes über die das Leben erhaltenden Nahrungsmittel hinaus um das Wort Gottes und die Vergebung der Sünden. „Nun gilt es, zu sehen, zu hören und freudig zu empfangen seine Lebensgaben: sein Wort, das er verkündigen lässt und die Vergebung, die er uns zuspricht.“353 So führt Strophe 4 nun von dieser Gabe des Wortes und der Vergebung zu den Gaben, die zur Erhaltung des Leibes dienen. Wieder wird Bezug genommen auf Joel 2, auf die Verheißung von Gottes erhaltendem Handeln (V 23b-26). Dabei verweist der Eingang der Strophe auf Ps 136,25a („Der Speise gibt allem Fleisch, denn seine Güte währet ewiglich“) ebenso wie auf Ps 104,27 bzw. 145,15. „Nach Vaters Weise“ lässt an das Vater Unser denken. Strophe 5 stellt sich als eine modifizierte Wiederaufnahme von Strophe 1 dar, die erneut zum Lobpreis Gottes aufruft, nun aber „verstärkend und bekräftigend.“354 Aus dem Lobpreis wird Bekenntnis und es klingt Luthers Auslegung des ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses im Kleinen Katechismus an: „Ich glaube, dass mich Gott (...) reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt.“355 Diese Barmherzigkeit macht den Empfangenden gleichsam zum freudigen Schuldner vor Gott: „Drum preis und ehre seine Barmherzigkeit;/Freue dich, Israel, seiner Gnaden!“ Dass das Lied als Einheit von Wort und Ton erscheint, liegt mit Sicherheit in der Personalunion von Dichter und Komponist begründet. Wie jede einzelne Strophe ist auch das Lied als Ganzes klimaktisch aufgebaut. Erst geht es darum zu sehen, wie freundlich der Herr ist, worin seine Gnadengabe und Heilstat an den Menschen besteht. Von dort aus bleibt kein anderer Weg der Äußerung als die Freude, in die der Gläubige mit dem Kehrvers einstimmt. Die Melodie folgt diesem Anliegen. Sie spannt einen stetig ansteigenden Bogen, der sich in dem geradezu herausplatzendem Freudenruf „Freue dich“ entlädt. Die Noten scheinen den Text Leben 351 Vgl. Voll, Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit, S. 510. Vgl. auch die Anklänge an Ps 23. 353 Voll, Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit, S. 510. 354 Vgl. Voll, Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit, S. 511. Dies geschieht auch durch die Aufnahme von Joel 2, 27b („Und mein Volk soll nicht mehr zuschanden werden“), zusammengefasst mit „Uns soll hinfort kein Unfall schaden.“ 355 Kleiner Katechismus, BSELK, S. 658. 352 81 einzuhauchen, der Dreierrhythmus sorgt für starke Bewegungsimpulse, verstärkt den Charakter des freudigen Dankes und verlangt „geradezu nach leiblichem Ausdruck“, so dass „gleichsam der Tanz um die Erntekrone“ sichtbar zu werden scheint.356 9.1.2 „Die Ernt ist nun zu Ende“ EG 505 Es ist ein „klassisches Erntedanklied“, das seinen Sitz im Leben im Abschluss der Ernte hat und aus der Feder des in Schlesien geborenen und südlich der Görlitz, in Leuba, tätigen Pfarrers Gottfried Tollmann stammt. Neben seiner regen Kasual- und Predigttätigkeit war es die Auseinandersetzung mit Zinzendorf und der Herrenhuter Gemeine wie im Allgemeinen mit dem in seiner Blütezeit begriffenen Pietismus, dem er als Lutheraner in seiner Gemeinde entgegentrat.357 Aus dieser Situation heraus lässt sich die Charakteristik „Gottes Wort und Luthers Lehr“ für Tollmanns Dichtungen erklären – wie sie auch für das Lied „Die Ernt ist nun zu Ende“ zutrifft.358 Das erste Mal erschienen ist dies Lied in dem 1725 in Löbau herausgegebenen „Auserlesenen Hauß= und Kirchen=Gesangbuch“. Dort ist es den besonderen Dankliedern zugeordnet.359 Die Dichtung Tollmanns fand ohne große Änderungen Aufnahme in das EKG von 1950. Im EG dagegen lassen sich z.T. gravierende Änderungen feststellen. Zur EKG-Version Strophe 1 nennt die Ernte als Anlass Gott zu danken – weil Gott durch sie alle Menschen satt, reich und fröhlich macht. Es ist das Motiv, dass das ganze Lied durchzieht: Gott allein ist Garant für die Ernte, nicht das Tun des Menschen. Der Beweggrund Gottes für dieses Wirken ist die Liebe des „alten Gottes“. Diese altertümlich anmutende Wendung betont, dass der Gott, der alle Stände satt und fröhlich macht, kein anderer ist als der, der schon zu Anbeginn der Zeiten gesprochen hat und ebenso seit Anbeginn der Welt für ihren Erhalt sorgt. Es ist ein Bekenntnis, das auf Psalm 77 zurückgreift: „Darum denke ich an die Taten des Herrn, ja ich denke an deine früheren Wunder“ (Ps 77,12).360 Dadurch wird zugleich die Unveränderlichkeit Gottes herausgestellt, die auch die Liebeswerke betrifft, die der Mensch in der Ernte erkennt. Sie sind ein Zeichen dafür, dass Gott noch immer in dieser Welt wirkt. Um dies zu unterstreichen, betont Strophe 2 geradezu die Bedeutungslosigkeit menschlichen Wirkens, Gott hat „oft ohn unsre Bitten getan, was uns gefällt“ und dies „ob wir gleich gottlos leben.“ Tollmann zitiert hier Luthers Auslegung der vierten Bitte des Vaters Unsers im Kleinen Katechismus: „Gott gibt das 356 Voll, Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit, S. 512. Vgl. Opp, Art. Gottfried Tollmann, S. 327. 358 Vgl. Voll, Die Ernt ist nun zu Ende, S. 512. 359 Eine frühere Herausgabe, etwa in dem von Tollmann selbst herausgegebenen Gesangbuch „Bequemes Gesangbuch voll alter und neuer geistlicher Lieder“ 1719 kann nicht als sicher gelten. Vgl. Voll, Die Ernt ist nun zu Ende, S. 512. Anders: Kulp, Die Lieder unserer Kirche, S. 568. 360 Vgl. Köhler, S. 541. 357 82 täglich Brot auch ohne unsere Bitte allen Bösen Menschen.“ Und wieder zitiert er Luther, wenn er auch Ruhe, Frieden, sicheres Wohnen als Gabe des gütigen Gottes besingt.361 Strophe 3 zieht nun einen Umkehrschluss zu den ersten zwei Strophen: Genauso wenig, wie die menschliche Arbeit Garant für eine gute Ernte ist, so kann zwar böses Tun „manchen schönen Segen verderben“, aber Gott – in der Unveränderlichkeit seines Wesens – nicht daran hindern, seine Liebeswerke den Menschen zukommen zu lassen. Die Güte Gottes durchbricht damit alles menschlich-böse Tun. Strophe 4 führt das Wirken Gottes mit Apg 14,17 in den Naturläufen als Offenbarungswirken aus. Dass er dennoch dem Menschen oft verborgen erscheint, kann darin begründet sein, „damit wir Trägen und Gedankenlosen es lernen, ‚mit Danksagung zu empfangen unser täglich Brot.’“362 Andererseits spielt Tollmann mit dem Bild des verborgen wirkenden Gottes wieder auf Apg 14 an. Die Gaben sollen den Menschen zum Evangelium lenken. Nachdem in den ersten vier Strophen Gottes Handeln dargestellt und reflektiert wird, fasst Strophe 5 das den Menschen angesichts dieser Güte erfassende Gemüt zusammen. Sie bildet zugleich „die Mitte der neun Strophen“, die, „wie die Mitte des Christenlebens“, das Danksagen ist.363 Dem entspricht, dass auch abgewandter Schaden als Grund des Dankens genannt wird. „O allerliebster Vater, du hast viel Dank verdient“ ist somit das Grundmotiv der Dichtung. Auch dann, wenn in Strophe 6 zu dem Dank die Bitte tritt, denn „rechtes Danken umschließt rechtes Bitten.“364 Und diese Bitte umfasst all das, was bisher dankbar von Gott in Empfang genommen wurde: Schutz vor Feuer und aller andern Not, Frieden, für den Erhalt der Gaben für die Obrigkeit. Dass nun die Bitte den zentralen Inhalt der folgenden Strophen darstellt ist wieder gut lutherisch und weist auf Luthers Auslegung des Vater Unsers im Großen Katechismus. Auch die Bitte für Obrigkeit und die friedevolle Zeit verdankt sich dieser Auslegung, da gerade die Obrigkeit es ist, „als durch welchs uns Gott allermeist unser täglich Brot und alle Gemach dieses Lebens erhält.“365 Das Gleichnis vom Sämann Lk 8, 5-15 bildet die Grundlage von Strophe 7, der Bitte um das Gedeihen von Gottes Wort. Das Wort soll den Singenden dazu leiten, gute Frucht zu bringen. Es ist deshalb eine existentielle Bitte, weil der „höhiste Feind, der Teufel“ leid daran sei, „dass jemand ein Bissen Brots von Gott habe und mit Frieden esse“ und nur diejenigen vor seiner List und Lügnerei gefeit sind, „so Gottes Wort haben und gerne wollen Christ sein.“366 Das im Menschen Frucht bringende Wort Gottes macht es erst möglich, die Ernte, ja das Leben in Frieden und Ruhe zu genießen und ist damit Voraussetzung für jeden Dank und jede Freude. 361 Vgl. Voll, Die Ernt ist nun zu Ende, S. 513. Vgl. auch Psalm 4,9, der hier mitklingt. Vgl. Voll, Die Ernt ist nun zu Ende, Liederkunde II, S. 513. 363 Voll, Die Ernt ist nun zu Ende, Liederkunde II, S. 513. 364 Voll, Die Ernt ist nun zu Ende, Liederkunde II, S. 513. 365 Großer Katechismus, Auslegung der vieren Bitte des Vater Unsers, BSELK S. 680. 366 Großer Katechismus, Auslegung der vieren Bitte des Vater Unsers, BSELK S. 681f. 362 83 Dass eben dieser Dank auch den „frommen Leuten“ nicht selbstverständlich über die Lippen geht, darauf weist Strophe 8 mit der Bitte: „Dass wir dich mannigfaltig in deinen Gaben sehn, mit Herzen, Mund und Leben dir Dank und Ehre geben. O lass es doch geschehen.“ Tollmann geht es also in aller Freude immer auch um die Erkenntnis Gottes. Erbeten muss dies sein, weil „dies Volk ein abtrünniges ist“ und niemals in ihrem Herzen spricht: „Lasst uns doch den Herrn, unsern Gott, fürchten, der uns Frühregen und Spätregen gibt zur rechten Zeit, und uns die Ernte treulich und jährlich gewährt.“ (Jes 5,23f.) Weil Ernte Abschluss der Erntearbeit bedeutet, mahnt sie auch an das Ende des Menschen. So wendet Strophe 9 den Blick auf die von den Gläubigen erbetenen unvergänglichen Garben nach ausgestandenem Leiden. Das Leben des Menschen wird als ein auch von Leid durchzogenes geschildert, das sich nach Ruhe sehnt an einem Ort, da ihm kein Leid bewusst.367 Angesichts des Leides hält Tollmann hier u.a. Offb 21,4 und Ps 126, 5+6 als Grund christlicher Hoffnung hoch. Die Änderungen im EG Die EG-Version ist durch die Änderungen, vornehmlich durch die Auslassungen, ganz auf die Erntethematik abgestimmt und der u.U. schwer verständlichen Aspekte des Originals bereinigt worden. Von den ursprünglich neun Strophen wurden nur sieben übernommen, die darüber hinaus z.T. Änderungen erfahren haben. Strophe 1 wird nahezu wörtlich übernommen, lediglich tritt an die Stelle der altertümlich anmutenden Formulierung „der alte Gott“ die leichter zugängliche Formulierung „der treue Gott“. Strophe 4 des Originals, die das Offenbarungswirken Gottes in der Natur wie auch sein Handeln im Verborgenen zum Thema hat, fehlt. Damit entfällt auch das katechetische Moment der Dichtung, dass Gott durch ein verborgenes Sorgen den Menschen zum Beten und Bitten treibt und das rechte Danken lehrt. Zum Anderen wird die Erfahrung, dass Menschen Gottes Wirken nicht spüren, ausgeblendet, zusammen mit dem Bekenntnis, dass Gott auch dann handelt, wenn wir es nicht sehen können. Die stärkste Veränderung erfuhr die sechste Strophe des Originals (EG 505,5). Aus dem Flehen wird ein Bitten, das zum Dank hinzu kommt – wodurch die existentielle Bedeutung des Wortes Flehen abgeschwächt wird. An die Stelle von „Lass uns o frommer Gott vor Feuer sicher stehen“, das die aktive Seite des Menschen mitbedenkt, tritt das passiv formulierte „Du wollest treuer Gott vor Feuer uns behüten“. Im Original reihen sich die Bitten aneinander: „gib friedevolle Zeit/Erhalte deine Gaben/Dass wir uns damit laben/Regier die Obrigkeit.“ Daraus wird im EG: „Regier die Obrigkeit/Erhalte deine Gaben/dass wir uns damit laben/gib friedevolle Zeit.“ Tollmann geht es darum, von der Bitte des Einzelnen aus zu dem größeren Kontext zu blicken. „Gib friedevolle Zeit“ fungiert dabei als die Bitte, der alle anderen 367 Vgl. Voll, Die Ernt ist nun zu Ende, S. 514. 84 zugeordnet sind. Deshalb bildet sie die Mitte in Strophe 5, um die sich herum die Bitten um Erhaltung der Gaben und Regierung der Obrigkeit anordnen. Das EG stellt dagegen unverständlicherweise die Obrigkeit in den Mittelpunkt, um den sich dann die weiteren Bitten kreisen. „Gib friedevolle Zeit“ erscheint wie ein Anhängsel, das unerwartet auftaucht und die im Original zentrale Bedeutung als Bitte aller Bitten vermissen lässt. Wiederum ausgelassen wurde Strophe 7 des Originals, die um das Wort Gottes als die im Menschen Frucht bringende Gabe Gottes bittet. Der eschatologische Ausblick von Strophe 9 steht im EG auch nicht als Abschluss des Liedes, sondern reiht sich in die vorherigen Bitten ein. Das birgt insofern eine Logik in sich, als dass hier um Gottes Gaben gebeten wird und damit eine zumindest formale Einheit mit Strophe 5 hergestellt wird. Die Bitte darum, dass alles, was wir von Gott empfangen, uns nur zu ihm hinlenke (EG 505,7), greift dann zusammenfassend wesentliche Aspekte der vorangegangenen Strophen wieder auf: Gott gibt uns den Unterhalt in seinen Gaben; dafür gebühren ihm Dank und Ehre; weil wir das nicht immer erkennen, muss auch die Erkenntnis von Gottes Güte in den Gaben erbeten sein, was dann im Ruf „O lass es doch geschehen“ zusammenfassend geschieht. Tollmanns Dichtung hat diese „Zusammenfassung“ (Strophe 8) zwar auch, stellt sie allerdings nicht an den Schluss des Liedes, weil er zeitlich linear denkt. Und dann steht am Ende der Blick auf das, worauf der Christ seine Hoffnung setzen kann, und stellt diese als verheißungsvollen Ausblick an das Ende. Als Melodie zu den achtzeiligen Strophen mit Jamben wird im EKG und EG die Weise zu „Aus meines Herzens Grunde“ (443) angegeben. Tollmann dagegen hat es auf die Melodie zu „Von Gott will ich nicht lassen“ (EG 365) gedichtet.368 Warum diese Änderung geschah bleibt fraglich, ist doch EG 365 leichter singbar. Es ist durchaus möglich, dass Tollmann ganz bewusst dieses Lied des Vertrauens als musikalische Untermalung gewählt hat. Um durch die musikalische Erinnerung der Gemeinde über die Botschaft des Textes hinaus zum Bekenntnis zu führen: Weil Gott uns erhält an Leib und Seele, will ich von ihm nicht lassen, denn „er reicht mir seine Hand/den Abend und den Morgen/tut er mich wohl versorgen/wo ich auch sei im Land.“ (EG 365,1) Vielleicht hat man der Motivdichtung auch deshalb mangelnde Originalität vorgeworfen, weil sie sich ganz dem Rechtfertigungsglauben verpflichtet weiß und diesen auch am Tag des Ernteabschluss als prägendes Moment christlicher Existenz herausstellen will. Die Dichtung Tollmanns weist dagegen eine Originalität auf „im Sinne einer viel wesentlicheren ‚origio’, des Ursprungs, des Wurzelgrundes also von Glaube und Lehre der Kirche.“369 Ernte stellt das eine, die ganze christliche Existenz umfassende, Gnadenwirken Gottes dar, das über das irdische 368 369 Vgl. Voll, Die Ernt ist nun zu Ende, S. 512f. Voll, Die Ernt ist nun zu Ende, S. 513 85 Leben hinausweist auf den Tag, an dem Gott den Gläubigen die himmlischen Garben ernten lässt. Es hat dadurch den Charakter eines Dank- und Bittlieds anlässlich des Ernteabschlusses. Zugleich ist es Bekenntnis zu dem einen Gott, dessen Treue und Güte gegenüber dem Menschen zu seinem Wesen gehört. Dadurch gewinnt die Dichtung die Züge eines Vertrauensliedes, in dem Dank und Bitte, Hoffnung und Verheißung ihren Platz finden. 9.1.3 „Wir pflügen und wir streuen“ EG 508 Wie kein anderes Lied ist „Wir pflügen und wir streuen“ mit dem Erntedankfest verbunden. Bauernromantik oder Naturerfahrung – was immer die Gründe für die anhaltende Rezeption des Liedes sein mögen, wegzudenken aus einem Gottesdienst zu Erntedank ist es kaum mehr. Erstmals ist es in der uns bekannten Form 1800 erschienen, in der zweiten Auflage der von August Ludwig Hoppenstedt herausgegebenen Liedern für Volksschulen – also noch zu Lebzeiten des Dichters, dessen Vorlage verwendet wurde.370 Es handelt sich um eine anonyme Bearbeitung des „Bauernlieds“ von Matthias Claudius, weswegen im EG als Verfasserschaft auch lediglich „nach Matthias Claudius“ vermerkt wird. In der ersten Auflage von Hoppenstedts Sammlung 1793 findet sich noch die Fassung von Claudius unter der Überschrift „Lied der Landleute zur Saatzeit“.371 Angesichts der großen Beliebtheit in den ersten Jahrzehnten nach seiner Entstehung mag es verwunderlich erscheinen, dass es im Stammteil des EKG von 1950 noch nicht zu finden ist. „Freilich hat es sich über die allermeisten landeskirchlichen Anhänge doch einen Stammplatz im EKG erwirkt, und seine Aufnahme in den Hauptteil des EG war von Beginn (...) an unstrittig.“372 Weil das Lied in seiner Rezeptionsgeschichte immer wieder Veränderungen erfuhr, soll zunächst ein Blick auf das Original geworfen. Zum Original Das Lied stammt aus dem „Bauernlied“ des Dichters Matthias Claudius, das den Höhepunkt seiner Erzählung „Paul Erdmanns Fest“ darstellt, die 1783 in „ASMUS omnia sua SECUM portans oder Sämtliche Werke des Wandsbecker Bothen, Vierter Theil“ erschienen ist.373 Darin entfaltet Claudius seine „religiös fundierten Anschauungen von politischer Herrschaft und sozialem Zusammenleben (...) als Ideal“374 und stellt eine „aufgeklärt-konservative Alternative zu Despotismus und Revolution vor Augen.“375 Paul Erdmann feiert mit dem ganzen Dorf die fünfzigste Wiederkehr des Tages, an dem er sein Erbe antrat. Im Mittelpunkt stehen der ebenfalls 370 Die Form aus Hoppenstedts Liederbuch wurde in das EG mit einigen, z.T. schon im DEG von 1915 vollzogenen Abweichungen aufgenommen; Vgl. Reinhard Görisch, Wir pflügen und wir streuen, S. 44. 371 Vgl. Görisch, S. 43. 372 Görisch, S. 44. 373 Vgl. Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 273. 374 Görisch, S. 44. 375 Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 274. 86 eingeladene Landedelmann, der den „um das Wohl seiner Untertanen besorgten Regenten“ repräsentiert und jener Bauer Erdmann, der den „aufrechten, auf das Wohl seines Herrn bedachten Untertan“ darstellt.376 In der Situation des miteinander Feierns bittet der Edelmann die Dorfleute, das Bauernlied zu singen. Und sie singen es als ein Lied der Bauern „ihrem Edelmann zu, ihm, der aus ihren Händen Brot empfängt.“377 Strophe 16 bringt zum Ausdruck, wie der Edelmann ein Segen für den Bauern und das Dorf ist und daher selbst mit dem Brot den Segen der Bauern empfängt.378 Dieter Nestle beschreibt dies als ein „sakramentales Ereignis“, durch das ein weltliches Fest zur „Eucharistiefeier, d.h. Danksagung“ wird, weil sich in der Gemeinschaft der Feiernden eine wahre „Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft“ darstelle, in der alles Erzeugen und Verbrauchen als dankbares Empfangen aus Gottes Hand verstanden wird.379 Mit einer Übertragung von Gen 1,1f. („Im Anfang wars auf Erden/Nur finster, wüst und leer/Und sollt was sein und werden/musst es woanders her.“) beginnt die umfassende Schilderung der „Segenswirkungen Gottes in seiner Schöpfung und bei seinen Menschen, wie speziell und exemplarisch bei dem Jubilar Erdmann.“380 Umrahmt werden die Strophen mit einem auf Jak 1,17 Bezug nehmenden Kehrvers, der zugleich die inhaltliche Mitte des Liedes darstellt: „Alle gute Gabe, kömmt oben her, von Gott, vom schönen blauen Himmel herab.“381 Die Schöpfungsgeschichte Gen 1 vom Anfang bis zum Brot auf dem Tisch ist Thema des ersten Teils, der die Strophen 1-6 umfasst. Zielpunkt ist Strophe 6, 3-4. Nachdem Gottes Wirken lobpreisend geschildert wurde, kommen die Sänger zur Erkenntnis: wie sehr der Mensch sich auch mühen mag, „es geht durch unsre Hände, kömmt aber her von Gott“. Im zweiten Teil des Liedes, das die Strophen 7 bis 12 umfasst, wird nun Gottes Handeln an und in der Schöpfung, wie es sich dem Betrachter heute darstellt, entfaltet: „Von ihm sind Büsch und Blätter, und Korn und Obst von ihm, von ihm mild Frühlingswetter und Schnee und Ungestühm.“ (Strophe 8). Selbst das für den Bauern wichtige Vertrauen auf Gottes Handeln wird als Gabe Gottes verstanden: „Auch frommseyn und vertrauen, und stiller edler Sinn, ihm flehn und auf ihn schauen, kömmt alles uns durch ihn“ (Strophe 11). Angesichts dieser Taten Gottes stimmen die Sänger in der als Konklusion gedachten 13. Strophe ein: „Darum, so woll’n wir loben, und loben immerdar, den großen Geber oben. Er ist’s! und er ist’s gar“. Nachdem das Lied so zu seinem Ziel gekommen ist, hängt Claudius eine Fortschreibung des Liedes „in die Gegenwart des Festes hinein“ an, gestaltet in Analogie zu Teil 1, nun aber auf den Bauer 376 Görisch, S. 44f. Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 274. 378 „Er segne Paul auf’s Neue/Und unsern lieben Herrn“; Vgl. Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 275. 379 Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 275. 380 Görisch, S. 45. 381 Zum Text des Bauernliedes vgl. Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 277-280. 377 87 Erdmann bezogen, dessen Lebensgeschichte selbst eine Schöpfungsgeschichte darstellte: „Denn sehr ‚wüste und verfallen’ trat er sein Erbe an. Doch Gott hat große Dinge an ihm getan.“382 Dass in dieser biblisch fundierten Schöpfungstheologie der christologische Bezug nicht zur Sprache kommt, liegt in der Ausgangssituation des Textes begründet. Dennoch werden Visionen gesponnen, die weit über eine natürliche Theologie hinausgehen. In der gemeinsamen Feier von Adel und Bauerntum, in der gegenseitigen Verantwortung füreinander, deren Verwirklichung im Lied anklingt, kommt jenes Ideal zum Ausdruck, in der Rangunterschiede keine Rolle mehr spielen, in der Despotismus oder Revolte nicht mehr existent sind. Im Angesicht der Herrlichkeit und Fülle von Gottes Segenswirken wird die gesamte Menschheit im Lobe Gottes vereint. Zur Version des EG In der heute im EG uns zukommenden Bearbeitung dieses Bauernliedes, die acht Strophen aus dem Mittelteil mit Änderungen im Wortlaut übernimmt und zu vier Doppelstrophen zusammenstellt, geht der weite Horizont des Originals weitgehend verloren.383 EG 508 verzichtet auf die ersten beiden Strophen der Vorlage und setzt erst mit Strophe 3 ein. EG 508,1 ersetzt „Doch Wachstum und Gedeihen steht nicht in unserer Hand“ durch „Doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.“ Durch diese Änderung wird der Kontrast menschlichen Wirkens und Gottes Zutun stärker herausgestellt. EG 508,2 macht den neuen Kontext, in dem die Bearbeitung nun steht, deutlich. Im Bauernlied heißt es: „Es geht durch seine (sc. des Bauers) Hände, kömmt aber her von Gott.“ EG 508,2 hingegen: „Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.“ Es ist eine notwendige Verallgemeinerung, durch die jene Grunderfahrung zum Ausdruck gebracht wird, dass jegliches Gelingen unabhängig des Kontextes allein von Gottes Wirken abhängig ist.384 In diesem Sinne lässt sich auch die Änderung in EG 508,4 erklären. Statt „Er schenkt uns Vieh und Freude“ wird „Er schenkt uns soviel Freude“ gesungen. Die sprachlichen Änderungen verdanken sich dagegen der neuen Melodie, mit der der Text in Einklang gebracht werden musste oder sind sprachliche Anpassung.385 Stärker als durch die sprachlichen Abänderungen wird der Charakter des Bauernlieds durch die Auslassungen verändert. Es fehlen Strophe 1 und 2, die den Bezug zu Gottes kontinuierlichem Schöpferhandeln durch das Wort herstellten. Die Szenerie wird dadurch eingegrenzt auf die Zeit von Saat und Ernte. Eine weitere Auslassung ist Strophe 11 des Bauernlieds. Dort wird das für den Bauer wichtige Vertrauen auf Gottes Handeln als Gabe Gottes besungen. Ebenso Strophe 382 Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 281. Görisch, S. 45. 384 Vgl. Görisch, S. 46. 385 Für die genau Auflistung sei auf die Synopse von Dieter Nestle verwiesen; Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 277-280. 383 88 12, die Gottes unmittelbares Wirken am Menschen selbst thematisiert und schließlich den Zielpunkt, die Conclusio des Bauernliedes, der Aufruf zum Lobpreis Gottes in Strophe 13.386 Auch wenn durch die Bearbeitung wesentliche Aspekte des Bauernliedes verloren gingen, so vollzieht sich erst durch sie „eine thematische Konzentration, die das Lied (...) bei kirchlichen Feiern erst verwendbar“ macht.387 Im Mittelpunkt steht das Grundmotiv „Von Gott kommt alles her“. Dabei haben EG 508,1+2 Gottes Wirken in der Zeit von Saat und Ernte zum Schwerpunkt. EG 508,3+4 weiten den engen Kontext der Ernte aus auf Erscheinungen der Natur (i.e. Meer, Gestirne, Jahreszeiten; Sperling, Sträucher, Früchte) und Grunderfahrungen des Menschen (Freude, Gesundheit, das tägliche Brot). Dass diese Bearbeitung des Bauernliedes nicht wahllos und unbedacht mit der Vorlage Claudius’ umging, zeigt auch die versteckte Aufnahme von Strophe 11 und 13 im Kehrvers.388 Der Kehrvers, wird neben dem Grundmotiv („Von Gott kommt alles her“) ergänzt um den Aufruf „Drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn.“ Dadurch wird auch der Höhepunkt des Bauernlieds, Strophe 13 („Darum sollen wir ihn loben“) und mit ihm die Conclusio der Dichtung übernommen. 1902 listet Max Friedländer für das Lied bereits elf weitere Vertonungen auf.389 Über die Herkunft der von Claudius selbst gesetzten Melodie kann nicht mehr gesagt werden, als es Claudius selbst tat. Es heißt, „sie sei ‚aus Italien’, aber man schreibt sie im allgemeinen ihm selbst zu.“390 In profanen Liederbüchern begegnet das Lied seit dem 19. Jahrhundert zumindest in textlich unterschiedlichster Gestalt, aber stets in Form der originalen Kurzstrophen, „auf die allein Claudius’ Melodie passt.“391 Dass mit frühen Bearbeitungen des Textes auch eine solche der Melodie einherging zeigt die aus dem EG bekannte Melodie, die schon 1800 in dem Schulliederbuch Hannover 1800 auftaucht. Der Verfasser der Melodie ist unbekannt. Die Melodie ist dabei zweistrophig durchkomponiert und trägt somit den vierzeiligen Kurzstrophen der Vorlage Rechnung. „Die Platzierung des Kehrverses stellt aber klar, dass diese Melodie mit einer (achtzeiligen) Langstrophe rechnet, die das EG (wie schon das DEG und bereits Liederbücher im 19. Jh.) auch im Druckbild realisiert.“392 Der Melodieumfang umfasst 1 ½ Oktaven, die Melodieführung weist z.T. erhebliche Intervallsprünge auf und setzt sängerische Beweglichkeit voraus, während der Kehrvers melodisch einfacher gestaltet ist. In dieser Hinsicht 386 Dass die sich auf die Lebensgeschichte des Bauers Erdmann beziehenden Strophen nicht übernommen wurden, scheint verständlich, verdanken jene sich doch dem Kontext der ganzen Erzählung. 387 Görisch, S. 45. 388 Vgl. Görisch, S. 45, Anmerkung 7. 389 Vgl. Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 276. 390 Görisch, S. 46. 391 Görisch, S. 46. 392 Görisch, S. 46. 89 folgt diese Fassung ganz dem Original des Bauernliedes, in dem die Strophe einem Vorsänger zugedacht ist, während der Chor mit dem Kehrvers auf dessen Gesang antwortet.393 Freilich mag das Lied nicht allein zum Erntedankfest gesungen werden, weil es auch das Schöpferwirken Gottes und die Herrlichkeit der Schöpfung Handeln in den Blick nimmt. Dieter Nestles Vorschlag, das Lied auch an anderen Sonntagen des Kirchenjahres singen zu lassen, verdankt sich jedoch allein dem Vergleich mit der Vorlage und ist m.E. zu weit gegriffen.394 Zu denken wäre u.U. an eine Platzierung innerhalb einer Feier zu Beginn der Saatzeit, wenn, wie bei der Ernte, Gottes Wirken an Mensch und menschlicher Arbeit thematisiert wird. Durch die Bearbeitung des EG wird das Lied seinem ursprünglichen Kontext enthoben, um es in einen breiteren Kontext zu Stellen. So bleibt es nicht das Lied der Bauern, sondern wird zum Lied einer Gemeinde, die staunend und dankbar Gottes Segenswirken in der Schöpfung und in ihrem Leben besingt. Über die Zeiten und Generationen hinweg ist es Menschen dadurch möglich, dieses Lied zu singen – auch wenn oder gerade weil der ursprüngliche Zusammenhang fehlt.395 So kann das Lied heute all den Menschen, die „unter dem Diktat von Naturwissenschaft und Technik der Glaube an Gottes Wirken ein Problem geworden ist (...) die Natur für ‚Augen, Ohren, Vernunft und alle Sinne“ wieder öffnen.396 Denn die Kernaussage bleibt auch in der Fassung des EG bestehen: „Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.“ In dieser „Ökumene der Zeiten“, in der das Lied steht, erfuhr es auch Würdigung im angloamerikanischen Raum, in dem es Verbreitung fand und heute auch üblicher Bestandteil des Thanksgiving Day ist.397 9.1.4 „Herr, die Erde ist gesegnet“ EG 512 „Herr, die Erde ist gesegnet“ ist das einzige von zahlreichen geistlichen Lieder des in Cadolzburg geborenen Pfarrers und Dichters Heinrich Puchta, das in das EG Einzug gefunden hat. Puchta, in seinen Studienjahren u.a. beeinflusst von Friedrich Rückert und Friedrich Schleiermacher auf theologischer und Friedrich Wilhelm Schelling auf philosophischer Seite, schuf seine Dichtungen vorwiegend für den häuslichen Gebrauch kleinerer Kreise und weniger für den „allgemeinen“ Gesang in den Kirchen.398 Sein Freund und Dichterkollege Albert Knapp erklärt die Werke Puchtas für zu geistreich „für unser flaches, verkommenes Geschlecht“, und das obwohl seine geistlichen Lieder „aus dem einfachen Glauben eines Christen entsprungen“ sind.399 Vielleicht 393 Vgl. Görisch, S. 47. Ein solcher Wechselgesang wäre auch heute in der Praxis denkbar. Vgl. Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 276. 394 Vgl. Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 273. 395 Anders Nestle, Wir pflügen und wir streuen, S. 273. 396 Görisch, S. 46. 397 Vgl. Görisch, S. 47. 398 Vgl. Follert, Art. Heinrich Puchta, S. 246. 399 Zitiert nach Follert, S. 246. 90 sind gerade deshalb seine Lieder in viele Gesangbücher des 19. Jahrhunderts eingegangen, weil sie trotz allem Ausdruck eines in der Bibel behafteten Theologen waren, der sich dennoch stets der Praxis als Gemeindepfarrer verbunden wusste – als Stadtvikar in München, Pfarrer bei Ansbach oder in Augsburg. Dass sich Intellektualität und Einfachheit des Glaubens nicht gegenseitig ausschließen, mag auch das in das EG übernommene Lied „Herr, die Erde ist gesegnet“ zeigen. Erstmals erschienen ist es in Puchtas „Morgen- und Abendandachten“ aus dem Jahre 1843.400 Zum Lied Strophe 1 nimmt Bezug auf Gen 1,28, auf den Segen Gottes über seine Schöpfung. Mit Ps 33,5 bekennt er die Güte Gottes, die das ganze Land bedeckt. Die Erkenntnis dieser Güte erfreut die Herzen der Gläubigen, ja sie krönt das Warten auf die Ernte. Dieses in Strophe 1 noch unvermittelt stehende „Unser Warten ist gekrönet“ wird durch Strophe 2 mit Ps 145,15.16 erläutert. Aller Augen warten darauf, dass Gott gebe ihnen Speise zur rechten Zeit. Dieses Warten ist gekrönet dadurch, dass Gott seine Hände öffnet und durch seine Hilfe alle froh und satt macht. Die Kontinuität von Gottes Handeln durch die Zeiten hindurch begründet Puchta mit der Verheißung Gen 8,22, die er fast wörtlich übernimmt (Strophe 3). Somit wird jede weitere Betrachtung und Reflexion unter den Regenbogen als Zeichen göttlicher Treue gestellt. Dadurch wird die kunstvolle Komposition des Liedes sichtbar. Während die Strophen 1 bis 3 als „Grundsatzerklärungen“ über die Güte Gottes verstanden werden können, bahnt sich mit Strophe 3 schon die Entfaltung von Gottes Wirken und der Sitz im Leben der Dichtung an: die Erntezeit. Die Beschreibung des wachsenden Grases etc. in Strophe 4 nimmt Bezug auf das zu Ende gegangene Erntejahr, auch wenn rein sprachlich wieder Gen 1 anklingt. Das legt auch der zum Ausdruck kommende Dank für die Bewahrung vor Schaden, Unfall und Gefahr nahe. Allein durch das Wirken Gottes wird das Jahr gesegnet. Der Mensch hat, so stellt Strophe 5 nüchtern fest, diese Güte nicht verdient. Die Güte des Herrn führt deshalb nicht nur zur Freude (Strophe 1+2), sondern auch zur Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit, die den Menschen schließlich zur Buße führen soll. Schließlich bildet der verantwortungsvolle Umgang mit den Gaben in Strophe 6 den Schlusspunkt der Dichtung. Besonderheit bildet der Begriff der Heiligung. Mit 1. Tim 4,5 betont Puchta so die positive Betrachtung der Schöpfung Gottes, derer es sich stets zu vergewissern gilt. Die Verwaltung dieser Schöpfung ist dadurch getragen von Gottes Bekenntnis zu seiner Schöpfung: „Und siehe, es war gut.“ So kommt Puchta auch zu dem Guten, das der Mensch wirken kann und soll: „Alles, was wir Gutes wirken/ist gesät in deinen Schoß.“ Freilich muten die abschließenden Verse befremdlich an, wenn er in der – wahrscheinlich ursprünglichen 400 Vgl Follert, S. 246. 91 Version401 – weiterfährt: „dann wirst du die Ernte senden/unaussprechlich reich und groß.“ Es klingt Jesu Wort an: „Sammelt euch aber Schätze im Himmel.“ In diesem Bezug auf Mt 6 wird deutlich, dass es Puchta nicht um eine Werkgerechtigkeit geht. Vielmehr versteht er die guten Werke, die in Gottes Schoß gesät werden als Werke, die aus der Nachfolge entspringen und deshalb Werke zu Gottes Ruhm darstellen. So führen die Werke letztlich wieder zurück auf den, der sie ausstreut – gleich wie das Wort, das vom Vater ausgeht und nicht wieder leer zu ihm zurückkehrt (Jes 55,11). Als Weise für „Herr, die Erde ist gesegnet“ wird sowohl die Melodie zu „O Durchbrecher aller Bande“ (EG 388) als auch die Melodie zu „Herz und Herz vereint zusammen“ (EG 251) angegeben, während letzteres in älteren Gesangbüchern auch als einzige erscheint. Während „Herz und Herz vereint zusammen“ durch die Schlichtheit der Melodieführung eher das Gemüt anspricht, trägt die heute in erster Linie verwendete Melodie (EG 388) in ihrer Komplexität stärker dem Charakter der Dichtung als theologisch durchdachtem und biblisch fundierten Bekenntnis zur Größe und Güte Gottes Rechnung. Puchtas „Herr, die Erde ist gesegnet“ hat seinen Ausgangspunkt in der konkreten Situation der Ernte. Zugleich trägt es dabei den Charakter eines Lehrgedichts, das den Gläubigen erläutert, warum Gott trotz unserer Sündhaftigkeit immer wieder seine Güte zeigt, und wie sie, die diese Güte Erkennenden, ihr Leben davon bestimmen lassen sollten. Eine unmittelbare Betroffenheit am Erntegeschehen ist allerdings nicht vorausgesetzt. Das wird auch deutlich an der spärlichen Verwendung des Personalpronomens „Wir“, das lediglich in Strophe 1 am Ende und dann erst wieder in den beiden Schlussstrophen, in denen es um den Ruf zur Buße und den verantwortungsvollen Umgang mit den Gaben Gottes geht. Hier ist auch nicht mehr von der Ernte die Rede, sondern lediglich vom „Gut der Erden“. So bleibt es, unabhängig des Konztextes, in dem es gesungen wird, ein Bekenntnis des „einfachen“ und innigen Glauben, dass für den, der glaubt, alle Dinge zum Besten dienen und für ihn, im Angesicht der offenbar werdende Güte Gottes, jede Ernte unaussprechlich reich und groß ist. 9.1.5 „Das Feld ist weiß“ EG 513 Dass vielfache Bearbeitungen eines Liedes mittelbar von dessen Beliebtheit und „Unersetzlichkeit“ zeugen, seinen Sitz im Leben der singenden Gemeinde deutlich machen402 und ihm trotz allem ein einheitliches Gepräge geben können, lässt sich an Bernhard Rostocks „Das 401 Wahrscheinlich deshalb, weil diese Formulierung z.B. im Gesangbuch für die evangelisch-protestantische Kirche des Großherzogtums Baden 1910, auch noch im EKG zu finden ist, nicht mehr aber in EG 512. 402 Vgl. Sauer-Geppert, Sprache und Frömmigkeit im deutschen Kirchenlied, S. 146. 92 Feld ist weiß“ erweisen, an dem „nicht wenige Hände gearbeitet“ haben.403 Der masurische Pfarrer aus Dreimühlen bei Lyk in Ostpreußen dichtete dies Erntelied in masurischer Sprache unter dem Titel „Pola juz biale“, das 1738 in der Sammlung „Kanzyonal Pruski“ herausgegeben wurde. 120 Jahre später folgte eine Übertragung ins Deutsche durch Wilhelm Gortzitza, aus der EG 513,1.2.4-5 übernommen wurden.404 Nur wenige Jahrzehnte später, 1884, weist das Ostpreußische Gesangbuch eine weitere Überarbeitung des Textes auf: Von unbekannter Hand wurden die Strophen EG 513,6.8 hinzugefügt. Eine letzte größere Abänderung erfuhr „Das Feld ist weiß“ durch den ostpreußischen Pfarrer Richard Abramowski, der das Lied für das letzte ostpreußische Gesangbuch 1928 bearbeitet und um die Strophen EG 513,3 und 7, die im EG fehlt, ergänzt.405 Jede Epoche hat damit versucht, dem Erntelied den ihr je eigenen Charakter mitzugeben. Schließlich wurde das Lied bei der Aufnahme in das EG noch einmal bearbeitet. Zum Lied Strophe 1 (EG 513,1) lässt den konsequenten Bezug zur Bibel erkennen, wenn mit Joh 4,35 die Zeit der Ernte eingeläutet wird: Das Feld ist weiß. Wobei Jesu Wort von dem großen Acker Gottes dieser Welt zunächst seinem ursprünglichen Sinne nach verwendet wird.406 Es ist ein Erntelied, das jedoch gleich zu Beginn durch das Zitat Joh 4 den Charakter eines Naturliedes zurückweist und auf den Tag blickt, „an dem wir alle als Garben vor Gott eingebracht werden.“407 Die reifen Ähren geben Gott die Ehre. Darin rufen sie den Menschen zu Ernte auf und zugleich dazu, Gott die Ehre zu geben. Es wird deutlich, wie sehr das Lied von dem Pietismus des Osten geprägt ist. Der Ton der Freude wird überlagert vom Ernst der Heiligung und Gott zu Loben heißt, „sich vor ihm beugen, vor seiner Güte und Huld.“408 Strophe 2 (EG 513,2) greift Psalm 104,28a („Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie“) auf und charakterisiert die Ernte als die Gabe Gottes, während alle menschliche Arbeit lediglich als Sammeln der von Gott huldvoll ausgestreuten Gaben kennzeichnet. Gottes Wirken durch das Wort in Analogie zu Gen 1 bringt Strophe 3 (EG 513,3) zum Ausdruck. Sein göttliches „Es werde“, das diese Welt ins Leben rief, ist es, das noch heute das Leben dieser Erde ermöglicht. Creatio originans und creatio continua werden parallelisiert, damals geschah nichts anderes als heute, wenn aus dem göttlichen Wort hervorgeht allerlei Pflanzen, die Samen bringen, zur Speise der Menschen. Wendet sich Gott ab, so wird dem Menschen die Lebensgrundlage entzogen und er wird wieder zu dem, aus dem er gemacht ist: zu Staub (Ps 104,29). 403 Voll, Das Feld ist weiß, S. 514. Vgl. Voll, Das Feld ist weiß, S. 514. 405 Vgl. Kulp, S. 569. 406 Vgl. Voll, Das Feld ist weiß, S. 515. 407 Kulp, S. 570. 408 Voll, Das Feld ist weiß, S. 515. 404 93 Einen doppelten Bezug stellt Strophe 4 (EG 513,4) her. Einmal ist die Erntearbeit als mühevolle Arbeit charakterisiert und beschreibt die Lebenswirklichkeit eines jeden Bauers. Zum Anderen weist es auf Gen 3,17 zurück („Mit Mühsal sollst dich von ihm [ dem Acker ] nähren ein Leben lang.“) Es mag als ein Eingeständnis der generellen Schuld des Menschen verstanden werden. Ebenso wie sich darin dennoch die hoffnungsvolle Bitte zu Wort meldet: „Nur segne, unserer Hände Werke.“ Jeder Ertrag ist damit als Gnade charakterisiert. So gilt es, auch den geringen Ertrag in Dankbarkeit zu empfangen und den Segen mit den Armen zu teilen (Strophe 5, EG 513,5). Die aus den Erntegaben erwachsende Verantwortung für die Armen ist hier das bestimmende Moment. Diese Verantwortung des Menschen nimmt Strophe 6 (EG 513,6) mit Lk 16,2 auf und stellt sie in einen breiteren Kontext. Der mit Joh 4,35 bereits angelegte eschatologische Akzent wird aufgenommen und entfaltet. Das weiße Feld mahnt an die „letzte, entscheidende Ernte, in der wir selbst geerntet werden.“409 Im Blick auf das eigene Leben verhält es sich wie mit der Ernte: heute rufen die Ähren zur Ernte und so gilt es, heute Rechenschaft zu geben, denn: „wie reife Garben wird nach kurzen Tagen/der Tod uns mähen und zum Grabe tragen.“ Strophe 7 (fehlt im EG) erbittet dafür Gottes fortwährendes Handeln am Menschen, analog zu seinem göttlichen „Es werde“ für die Saat: Wie auch die Früchte des Feldes davon abhängig sind, dass Schädlinge sie nicht am Gedeihen hindern, so erbittet der Mensch: „Lass nicht den Feind uns Lieb und Hoffnung rauben.“ Zuletzt umschließt der Erntedank auch die Bitte für die Ernte des Lebens (Strophe 8 EG 513,7): „Am End nimm, Jesu, in die Himmelsscheuern/auch unsre Seelen, Sabbat dort zu feiern.“ Wie schon in „Die Ernt ist nun zu Ende“ wird hier Ps 126,5+6 zitiert, um der Hoffnung und dem Vertrauen auf ein „Ernten mit Freuden nach Tränensaat hier und endlich das Ruhen in Gott“ Ausdruck zu verleihen.410 Die Änderungen im EG Wilhelm Gortzitza übertrug aus dem Originallied von Bernhard Rostock die heutigen Strophen EG 513, 1.2.4-5. In dieser Fassung bleibt das Lied der ursprünglichen Erntethematik verhaftet und schließt mit der Verantwortung des Menschen im Umgang mit den Gaben Gottes. Die Erweiterung eines unbekannten Verfassers für das Ostpreußische Gesangbuch von 1884 betont mit EG 513,6 noch einmal die Verantwortung des Menschen als Haushalter und nimmt mit EG 513,7 den eschatologischen Ausblick auf. Den „Ernst der Heiligung“, die für die Freudenernte am Ende der Zeiten unablässliche Buße des Menschen, fügt schließlich Richard Abramowski 1928 ein (fehlt im EG), ebenso das auf Gen 1 Bezug nehmende Bekenntnis, dass alles Leben sich der Güte und Gnade Gottes verdanke (EG 513,3). Durch diese Änderung erscheint „Das Feld ist weiß“ als ein sich stimmiges Lied zur Ernte, das sich der biblischen Grundlage des christlichen 409 410 Voll, Das Feld ist weiß, S. 515. Vgl. Voll, Das Feld ist weiß, S. 515. 94 Glaubens verpflichtet weiß und sie auf das Leben der Menschen zur damaligen Zeit anzuwenden versucht. Dass trotz der Überarbeitungen und Ergänzungen aus verschiedenen Epochen das Lied ein einheitliches Gepräge hat, „gründet in der Geschlossenheit von Landschaft und Frömmigkeitstypus über die Zeiten hinweg.“411 Die Veränderungen, die das Lied bei der Aufnahme in das EG erfuhr, haben den sich daraus entwickelten Charakter des Liedes z.T. verändert und die Verortung der Dichtung in einer konkreten Frömmigkeitslandschaft durchbrochen. Festzustellen sind sprachliche Glättungen, die inhaltlich kaum eine Bedeutung haben.412 Schwerer wiegt die Auslassung von Strophe 7 und damit der Buße als Weg zur Heiligung des Menschen. Es mag geschehen sein, um den Ernst von dem Freudenfest zu nehmen. Wobei es dann erstaunt, dass die Mahnung „wie reife Garben wird nach kurzen Tagen/der Tod uns mähen und zu Grabe tragen“ erhalten blieb. Sie steht nun losgelöst von dem doch tröstlichen Aspekt der Buße, mit der das Original schließt. In den Ursprüngen geht die Melodie zu „Das Feld ist weiß“ auf eine in Masuren weit verbreitete Weise zurück. Jan Kochanowski schuf sie zur Vertonung einer polnischen Bereimung des 91. Psalms, die 1581 in Krakau veröffentlicht wurde. Eine darauf aufbauende Vorform der heute gebräuchlichen Weise findet sich in dem polnischen Gesangbuch von 1646, hat seitdem jedoch vielerlei Wandlungenerfahren.413 So zeigt die heute gesungene Weise Merkmale der Lieddichtung des 19. Jahrhunderts auf: „die naiv-sentimentale Grundhaltung, (...) gelegentlicher Wechsel in den rhythmischen Werten, nicht um des Textes, sondern um des Gefühls willen.“ Ihre Einheit bilden Dichtung und Melodie zumindest stilistisch darin, dass sie „Zeugnisse einer geistigen und geistlichen Grundhaltung“ sind.414 Die Bedeutung von „Das Feld ist weiß“ in seinem ursprünglichen Kontext lässt sich daran ersehen, dass es in Ostpreußen während der Erntezeit an vier aufeinanderfolgenden Sonntagen als Hauptlied gesungen wurde.415 Es weist den Gläubigen darauf, im Jetzt das Kommen des Gottesreiches nicht zu vergessen. Ganz im Bild des zur Ernte gereiften weißen Feldes verweilend, vergegenwärtigt es auch die Mühsal des Menschen und betont darin die Notwendigkeit von Gottes Handeln. Daraus erwachsend wird das Bild von der Ernte im metaphorischen Sinn gebraucht, in dem der Mensch nun selbst zur Erntegarbe wird und Gottes Wirken benötigt, um zur guten Garbe zu werden. Es mag drückend erscheinen, wenn stets von 411 Voll, Das Feld ist weiß, S. 515. Statt EKG „Wir, dein Gesinde“ EG „Herr, wir sind dein und“. (Strophe 4) Statt EKG „zum Grabe“ EG „zu Grabe“ (Strophe 6). Schließlich verwendet EG 513,7 statt „Ruhetag“ (EKG) wieder wie im Original „Sabbat“. 413 Vgl. Voll, Das Feld ist weiß, S. 515f. 414 Voll, Das Feld ist weiß, S. 516. 415 Vgl. Kulp, S. 569f. 412 95 Mühsal, Plage, Buße oder Tod die Rede ist und angesichts der empfangenen Gaben die Freude keinen Platz zu finden scheint. Ja selbst der Dank tritt hinter diesen „Ernst der Heiligung“ zurück. Und dennoch nimmt „Das Feld ist weiß“ wesentliche Aspekte des Erntedanks auf, die es lohnt gesungen zu werden: das Handeln Gottes am Menschen durch sein Walten in der Natur, die Betonung der Abhängigkeit von Gottes Huld, den verantwortungsvollen Umgang mit den Gaben, die Mahnung zur Bescheidenheit und schließlich die Leid und Plage durchbrechende Hoffnung auf eine Welt, in der die Mühseligen mit Freuden ernten und in der Gegenwart Gottes Sabbat feiern. 9.2 Neuere geistliche Lieder Weil das Kirchenlied seinen Sitz im Leben in der singenden Gemeinde hat, ist es eben diese, die immer wieder auf der Suche ist nach neuen geistlichen Liedern. Das hat gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts „eine Flut neuer Lieder hervorgebracht“, von denen einige auch in das EG Einzug fanden.416 Neuere Lieder zum Erntedank dagegen entstanden nur vereinzelt. Im EG finden sich keine neuen Dichtungen. In den v.a. in Freikirchen gebräuchlichen Liederbüchern wie z.B. „Feiert Jesus“ gibt es viele Lieder, die sich dem Dank an Gott, allerdings allein im heilsgeschichtlichen Kontext verpflichtet wissen. Neuere Lieder zum Thema Erntedank finden sich meist in Gottesdienstentwürfen und Einzelveröffentlichungen. Zwei davon wie auch zwei Umdichtungen von „Wir pflügen und wir streuen“ sollen hier Gehör finden. 9.2.1 Horst Bracks „Gottes Geist setzt in Bewegung“417 Der Titel lässt eher an ein Pfingst- als an ein Erntedanklied denken. Und die erste Strophe scheint diesen Eindruck zu bestätigen, wenn in ihr der Geist Gottes im Mittelpunkt steht, der nicht nur Fülle und Segen schenkt, sondern auch jedem Leben Würde verleiht. Jedoch gehört auch das gehört zum Schöpfungswirken Gottes, ist Gottes Schöpfungsklang.418 Nach dieser Ortsbestimmung entfalten die Strophen 2 und 3 das Wirken Gottes in der Natur und am Menschen: „Mensch und Tier umfängt sein Segen/ist wie Sonne, sanfter Wind.“ Dabei richtet sich der Blick auch auf das Sterben. Damit trägt Bracks der Erfahrung Rechnung, dass auch menschliches Leben dem Lauf von Keimen, Blühen, Reifen und Vergehen unterworfen ist, gleichsam aber auch von Anfang bis zum Ende unter Gottes Schutz steht.419 Strophe 4 nimmt mit Gen 1 die Verantwortung des Menschen auf: „Will bewahren, was gegeben/Wo die Seele 416 Vgl. Reich, Das Kirchenlied, S. 763. Veröffentlicht in: Erntedank 2001: Ernte oder Schätze sammeln, Kirche im ländlichen Raum 2/2001, S. 40. 418 Strophe 1: „Gottes Geist setzt in Bewegung/aufrecht ist der neue Gang/Gott gibt Würde jedem Leben/schenkt die Fülle und den Segen/alles ist sein Schöpfungsklang.“ 419 Strophe 3: „Keimen, Blühen, Reifen, Sterben/Lebensland und Lebenszeit/unter Gottes Schutz durchschreiten/Meine Sinne für ihn weiten/Denn sein Raum ist klar und weit.“ 417 96 Heimat hat/Hier verwurzelt will ich pflegen/Was uns Nahrung gibt zum Leben/Und was dieses Land bewahrt.“ Aus dieser Erkenntnis des Schöpfungswirken Gottes heißt es, neu leben zu lernen und das schließt auch Leben zu schaffen mit ein. Dazu ermächtigt der in Bewegung setzende Geist Gottes, der ruft: „Stell deine Füße auf weiten Raum“. 420 Horst Bracks „Gottes Geist setzt in Bewegung“ ist ein höchst assoziatives Lied, dessen Deutung dem Singenden meist selbst überlassen bleibt, weil manche Zusammenhänge unklar bleiben, v.a. die der Strophe 5. Auch der eliptische Text der Strophen erschweren das Verständnis. Die Stärke liegt in der pneumatologischen Ausrichtung, in dem biblisch begründeten Versuch, Schöpferwirken und Wirken des Heiligen Geistes, Schöpfung und Rechtfertigung und Leben im Geist zusammenzudenken. Es klingen 2. Kor 3,6 bzw. Joh 6,63 ebenso an wie 1. Kor 6,11 oder Röm 8,2, stets in Verbindung mit dem Schöpferwirken Gottes (vgl. Gen 1,2). Nicht der Anblick der vielfältigen Gaben Gottes wirkt Dankbarkeit. Durch Gottes Geist wird der Mensch in die Bewegung des Staunens, Dankens und verantwortungsvollen Handelns geleitet und gelehrt begeistert zu leben (vgl. Jak 2,26). Eine rhythmische Melodiefolge bringt dabei die von Gottes Geist gewirkte Bewegung zum Ausdruck. Der erste Schöpfungsartikel wird hier seiner traditionellen Vorherrschaft am Erntedanktag enthoben und statt dessen ins Gespräch mit dem Bekenntnis zu Gott Heiliger Geist gebracht. Statt Ernte- werden allgemeine Naturerfahrungen expliziert und der Mensch erscheint nicht mehr als dankbar erntender Arbeiter, sondern als dankbarer Bewahrer, dessen Existenz sich der Fülle und des Segens Gottes verdankt. 9.2.2 Kurt Rommel „Wir danken dir, o Gott, für unser täglich Brot“421 Das Lied ist dem Entwurf eines Familiengottesdienst zum Erntedanktag 1987 entnommen und besticht durch die Schlichtheit, in der für die Gaben Gottes durch verschiedene Bereiche des Lebens hindurch gedankt wird. Es stellt eine konsequente Übertragung des Erntebegriffs auf eine ganz und gar nicht mehr „bäuerliche Situation“ dar. Das Lied beginnt mit dem täglichen Brot, wobei Brot als Überbegriff für alle den Menschen erhaltenden Gaben verstanden wird.422 Eingerahmt werden die Strophen durch den kurzen, zusammenfassenden Refrain „Wir danken dir, o Gott/Für unser täglich Brot“ und dem bekennenden, an den Kehrvers EG 508 erinnernden Ruf „Das kommt aus deiner Hand/Das kommt aus deiner Hand.“ Weil das Brot, das wir täglich zu uns nehmen, nur ein Aspekt des Dankes ausmacht, werden nun die Gaben 420 Strophe 5: „Kann begeistert leben lernen/Pflanze einen Apfelbaum/Gottes Geist setzt in Bewegung/Spür sein Wort wie warmen Regen/Stell deinen Fuß auf weiten Raum.“ 421 Aus: Rommel, Solange die Erde steht. Entwurf zu einem Familiengottesdienst am Erntedankfest, in: Der evangelische Erzieher, 39/1987, S. 451-464. 422 Strophe 1: „Wir wollen nicht vergessen/Das Brot, das alle essen/Das kommt aus deiner Hand/Das kommt aus deiner Hand.“ Strophe 2: „Die Arbeit, die wir haben/ist eine deiner Gaben/Sie kommt aus deiner Hand/Sie kommt aus deiner Hand.“ Strophe 3: „Die Nächte und die Tage/Die Zeit, ganz ohne Frage7Enstpringen deiner Hand/Entspringen deiner Hand.“; Strophe 4: Die Nachbarn und die Freunde/Verwandte, die Gemeinde/Sie gab uns deine Hand/Sie gab uns deine Hand.“ 97 Gottes in den anderen Lebensbereichen, ausgeführt: Die Arbeit, die Nächte und die Tage, die Nachbarn und die Freunde, Verwandte, die Gemeinde. Auch der Friede, mit Gott und unter den Menschen, kommt aus Gottes Hand.423 Darüber hinaus lebt der Mensch nicht von solchem Brot allein, er braucht vielmehr „Jesus Christus als den Weg zum Vater, und auf diesem Weg die Wegzehrung, das Brot des Lebens.“424 Und so dankt die letzte Strophe in Analogie zur ersten Strophe: „Du hast Jesus gegeben/als Brot zum wahren Leben/Er kommt aus deiner Hand/er kommt aus deiner Hand.“ Auch hier ist von Ernte nicht mehr die Rede, Mittel- und Ausgangspunkt ist der Mensch als der stetig Empfangende. Selbst die Natur bzw. Schöpfung wird nicht mehr thematisiert. Das Leben des Menschen wird hier als ein von verschiedenen Lebensbereichen abhängiges verstanden, die Gaben Gottes umfassen demzufolge das ganze Leben des Menschen. Die Melodie folgt dabei der Schlichtheit des Textes und ist durch seinen einfachen Rhythmus leicht zu singen. 9.2.3 „Wir pflügen und wir streuen“ in neuer Gestalt Für all jene, denen das Erntedanklied „Wir pflügen und wir streuen“ zu sehr in einer dörflichbeschaulichen Gedankenwelt verwurzelt ist, hat Karlheinz Geil drei weitere Strophen hinzugefügt, welche die veränderte Lebenswirklichkeit der Menschen aufgreifen.425 Behutsam versucht er, diese in den Liedkorpus zu integrieren, indem er nach EG 508, 1+2 nun die Errungenschaften des 20. Jahrhunderts als Gaben Gottes besingt: „Auch Autos und Maschinen, die kommen her von Gott.“ Dabei sind sie jedoch nur in dem Sinne als gute Gabe zu verstehen, sofern sie Last und Not lindern. Ebenso: „Geräte und Arzneien/Dafür gab Gott Verstand/zum Helfen und zum Heilen/im ganzen weiten Land/Und viele andre Dinge/die nützlich sind und gut/er hilft, dass stets gelinge/wenn einer Gutes tut.“ Im Gegensatz zur Vorlage EG 508 kommt auch die Verantwortung des Menschen in Rückgriff auf Gen 1 zur Sprache: „Die Erde und ihr Leben/die sind uns anvertraut/Gott hat sie uns gegeben/dass sie von uns bebaut/ dass sie von uns erhalten/für Kind und Kindeskind/dass wir sie recht verwalten/weil sie Geschenke sind.“ Einen ganz anderen Weg geht Bernhard von Issendorf, der dem Lied keine Strophen hinzufügt und diese in den Korpus integriert, sondern statt dessen eine Anklage des ausbeuterischen Verhalten des Menschen formuliert, die sich in erster Linie durch Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit auszeichnet.426 Es ist eine radikale Umkehr aller Erntedanklieder, v.a. weil allein der Umgang des Menschen mit der Natur im Mittelpunkt steht. Die erste Strophe ist charakteristisch für die drei weiteren: „Wir rauben und wir nehmen/die Güter dieser Welt/auch 423 Strophe 5: „Dass Friede mit dir werde/Und auf der ganzen Erde/Das kommt aus deiner Hand/Das kommt aus deiner Hand.“ 424 Rommel, S. 462. 425 Zitiert aus: Martin Gerhard Schneider, Gerhard Vicktor (Hg.), Alte Choräle – neu erlebt, S. 200. 426 von Issendorf, Nebenraus gesungen: „Wir pflügen und wir streuen“. Ein neues Lied im alten Gewand, S. 64f. 98 Wachstum wird uns lähmen/und kehren all in Geld/Da taucht ein schlimmes Wehen/mit Wut und Grauen auf/da stirbt, wo wir alle gehen/Tod und Verderben drauf.“ Davon ausgehend werden angeprangert die Verschmutzung der Natur (Strophe 2), der Raubbau mit der Erde (Strophe 3), um das Resümee zu ziehen: „Es wird die Sonn vergehen/wie wird des Mondes Lauf?/Es wird der Staub verwehen/da geht der Abgrund auf.“ Plakativ wird das Zerstörungshandeln des Menschen beschrieben, jede Strophe mündet in dem Kehrvers „Alle guten Gaben nahm wir von dieser Erd; drum klagt es, klagt, drum klagt es, klagt, und hoffet nicht mehr.“ Das Lied kommt ohne jeden Hoffnungsschimmer aus. Damit ist es mit Sicherheit ein Kind der Zeit, in der die ökologische Krise ihren Weg in die Kirche gefunden hat. Aber es ist nicht die Thematik, die problematisch erscheint, sondern die konsequente Hoffnungslosigkeit menschlichen Daseins, die – zugegeben bewusst provokativ – hier propagiert wird und nichts mehr mit selbstkritischem Dank zu tun hat. Kein Ruf zur Umkehr oder Aufruf zum verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung klingt heraus. 9.3 Resümee Der Dank für die Ernte schließt in den Liedern zum Erntedank den Lobpreis Gottes, die Bitte um weitere Erhaltung wie auch den verantwortungsvollen Umgang mit den Gaben mit ein. Die Ernte wird dabei als Arbeit des Menschen verstanden, deren Ertrag sich allerdings allein dem Handeln Gottes verdankt. Menschliches Wirken ist immer dem Wirken Gottes unterstellt. In dieser Ausrichtung der Lieder wird die anfangs konstatierte Ökumene der Zeiten anschaulich. Die Erfahrungen, die zur Sprache kommen, integrieren auch die Abhängigkeitserfahrungen der Menschen heute und haben das Begreifen von Gottes Handeln im Fokus. Darin rekurrieren sie stets auf Gottes Treue. Wohl wird unterschieden zwischen der creatio originans, der der Mensch bewundernd gegenübersteht und sie als Hinweiszeichen auf Gottes Größe und Güte deutet, und der creatio continua, auf die er sich angewiesen versteht und die Grund der Hoffnung auf und des Vertrauens in Gott darstellt. All diese Erkenntnis ist für den Christen jedoch nicht möglich losgelöst von Gottes Offenbarung in Jesus Christus, weswegen in den Liedern oft auch das Wort Gottes als Gabe zur Sprache kommt. Die Verantwortung des Menschen wird mitgedacht in der Regel in Bezug auf die Sorge um die Armen und noch nicht in Bezug auf die Erhaltung der Schöpfung, denn das Problem der Umweltzerstörung stand zur Entstehungszeit der Lieder noch nicht zur Debatte. Und dennoch: menschliches Fehlverhalten wird an einem Tag des Dankes nicht ausgeklammert. Die sich in den Werken Gottes erweisende Liebe zum Menschen treibt diesen zur Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit, zur Buße und über die Buße zur Freude wie zur Hoffnung auf die Welt, die einst den Gläubigen erwartet. So tritt auch ein eschatologisches Moment immer wieder hervor. Aufgrund der Mühsal und der Missernten war 99 der Ausblick auf Saat und Ernte am Ende der Zeiten ein in der Entstehungszeit der Lieder bestimmendes Element der Frömmigkeit und tut aufgrund der darin zum Ausdruck kommenden, den Menschen tragenden Hoffnung, gut wieder entdeckt zu werden. Bezüglich der theologischen Ortsbestimmung des Festes wurde deutlich, dass die Lieder zum Fest den Erntedank als Fest aller drei Glaubensartikel respektive der von Gott erhaltenen christlichen Existenz ausweisen. Dass dies nicht allein Bemühen älterer Dichtungen war zeigt Horst Bracks pneumatologisch begründetes Erntedanklied „Gottes Geist setzt in Bewegung“. Die Lieder zum Fest bringen Erfahrungen christlicher Existenz zur Sprache, ohne dass der schöpfungstheologische Aspekt zu kurz kommt oder zum Mittelpunkt wird. Das liegt darin begründet, dass als Proprium des Kasus eben nicht der Dank für die Schöpfung Gottes, sondern der Dank für die Ernte verstanden wird. Weil Ernte den Bereich der Schöpfung berührt, aber nicht in ihr aufgeht, beschränken sich die Lieder zum Fest auch nicht auf einen Lobpreis Gottes des Schöpfers, sondern nehmen das Handeln des dreieinigen Gottes in den Blick, das eben auch die Bereiche des Wortes Gottes, der Buße oder der Hoffnung auf den immerwährenden Sabbat am Ende der Zeiten umfasst. Die Lieder nehmen den Kasus ernst, mit all seinen, schöpfungstheologischen wie soteriologischen Implikationen. Jedoch stellen sie klar heraus: Singende sind nicht die Menschen in der Natur im Angesicht eines Schöpfergottes, sondern die Gläubigen in Gottes Schöpfung im Angesicht des dreieinigen Gottes, der ihre Existenz trägt und erhält. Dafür sei ihm Lob und Dank. Bezüglich der Relevanz des Festes leisten die Lieder zum Fest einen unschätzbaren Beitrag. Zum einen bieten sie dem Gottesdienstbesucher eine konkrete Form an, seinen Dank zur Sprache zu bringen ohne erst nach langen Worten zu suchen. Zum anderen bringen sie, obwohl in einer anderen Situation entstanden, konkret und anschaulich Grunderfahrungen menschlicher Existenz zum Ausdruck – Ernteerfahrungen, die, wenn auch modifiziert, in allen Bereichen und zu allen Zeiten menschlichen Lebens, nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Erfahrungen der Mühsal und der Freude, der eigenen Arbeit wie der Abhängigkeit von Gottes Wirken, des Schuldigwerdens an Gott, Natur und Mitmensch wie der Umkehr und Vergebung, des Lebens wie der Begrenztheit dieses Lebens, des Vergehens wie der Hoffnung auf ein neues Leben in der Gegenwart Gottes. Dadurch bieten sie eine Möglichkeit, die bereits konstatierte Kluft zwischen erstem und zweitem Glaubensartikel zu überwinden und das Erntedankfest als Fest der Leben spendende und erhaltende Güte des dreieinigen Gottes im je eigenen Kontext des Singenden zu verorten. Weil sie nicht allein von der Schöpfung Gottes bzw. der Freude an ihr ausgehen, sondern von Ernteerfahrungen und somit die differenzierte Lebenswirklichkeit des Menschen stärker in den Blick nehmen. Durch die Lieder zum Fest wird das Erntedankfest als eine die Gänze menschlichen Lebens umfassende Feier begangen. 100 Darüber hinaus finden schöpfungstheologische wie soteriologische Topoi im Lobpreis der Lieder zu ihrer Einheit. Dank stellt sich in den Liedern dar als Lob, Bitte, aber auch Freude über die Gaben Gottes. Dessen schöpferisches, aber auch rettendes weisendes und zurechtweisendes Handeln ist wert der Freude, auch der Feier, wie der Kontext von Claudius’ Bauernlieds zeigt. Und so stimmen die Lieder über die Zeiten hinweg in den Lobpreis ein: „Jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ (Offb 5,13) 10. Entstehung und Stellung des Erntedankfestes im Kirchenjahr 10.1 Kurzer geschichtlicher Abriss Dass Menschen Gott oder himmlischen Mächten für den Ertrag ihrer Arbeit in der Ernte danken, ist kein genuin christliches Charakteristikum, sondern, geboren aus der Erkenntnis der völligen Abhängigkeit ein Ur-Phänomen der Menschheit.427 Im biblischen Zeugnis berichtet erstmals Gen 4 von einem Erntedank, wenn Kain von den Früchten des Feldes und Abel von den Erstlingen seiner Herde Gott ein Opfer darbringt. Die Verheißung der immerwährenden Saat und Ernte Gen 8 stellt die Abhängigkeit des Menschen von Gottes Wirken, aber auch Gottes heilsames Wirken bewusst an den Anfang. Im Alten Testament begegnen die Erntefeste als die drei großen Wallfahrtsfeste und spiegeln die Bedeutung der Ernte für die menschliche Existenz wie auch das Bedürfnis des Gläubigen, Gott für seine Gaben zu danken, wider. So zeigen Menschen zu allen Zeiten, dass sie ihre Existenz einer höheren Macht außerhalb ihrer selbst verdanken.428 Alte Kirche Auch die noch junge Kirche sah sich diesem Phänomen gegenüber, in ihrer Verbundenheit zu ihrem Ursprung im Judentum wie auch in Auseinandersetzung mit der sie umgebenden heidnischen Festkultur. In der Antike waren Erntefeste weit verbreitet.429 So ist auch in der Alten Kirche ein Dankfest für die Ernte seit dem 3.Jahrhundert belegt, das jedoch, aufgrund des je nach Region unterschiedlich ausfallenden Erntetermins, noch keinen einheitlichen Festtermin hatte.430 Der Erntedank der ersten Christen wird dabei wohl Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber Gott 427 Vgl. Blail, S.233. Vgl. Blail, S. 233. 429 Vgl. Kirchhoff, S. 187. 430 Becker-Huberti, S.85. 428 101 für sein schöpferisches Handeln gewesen sein, das sich an atl. Erntefesten orientiert und in Auseinandersetzung mit den römischen Erntefeiern gefeiert wurde.431 Freilich, ein besonderes Erntedankfest zu begehen fiel schwer. In den ersten Jahrhunderten begegnet man „einem vielschichtigen Prozess der Übernahme, Umbildung und Neubildung von Festen.“432 Es trägt dem menschlichen Grundbedürfnis nach Fest und Feier Rechnung, an dem das Christentum nicht vorübergehen konnte. In Auseinandersetzung mit den religiösen Strömungen innerhalb und außerhalb der Kirche wurden als Grund für ein christliches Fest jedoch allein die magnalia dei, die Heilstaten Gottes entscheidend, wodurch ein dem agrarischen Kontext verhaftetes Fest nur schwer in die sich entwickelnde heilsgeschichtliche Ordnung des Jahres integriert werden konnte.433 So beinhaltete der Festkalender der Alten Kirche vornehmlich Märtyrer- und Heiligenfeste, Apostelfeste, Marienfeste und als Christusfeste Ostern, Karfreitag, z.T. auch Gründonnerstag als Tag der eucharistischen Kommunion und Tag der Rekonziliation für Büßer434, und schließlich das Geburtsfest Jesu. Auch wurden „schon früh am Ende des (heute ersten) Kanons bei den Worten: ‚Per quem haec omnia, domine, semper bona creas, sanctificas, vivificas, benedicis et praestas nobis’ die mitgebrachten Gaben geweiht (...), so dass alle Erntegaben in solche Eucharistia einbezogen wurden und sich ein eigener Erntedank zu erübrigen schien.“435 Die Quatembertage Dass aber auch in der gottesdienstlichen Praxis der Alten Kirche der Dank im Blick auf die Ernte seine Berücksichtigung fand, kommt in den Quatembertagen zum Ausdruck. Sie sind Mittwoch, Freitag und Samstag von vier Wochen im Jahr, deren Termin in etwa mit dem Beginn der vier Jahreszeiten zusammenfällt, und an denen ein Fasten im Mittelpunkt steht. Seit dem 8. Jahrhundert bezeichnete man sie als quattuor tempora (vier Zeiten).436 Es ist möglich, dass diese Tage bereits auf Papst Calixtus (217-222) zurückgehen, der nach einer Notiz im „Liber Pontificalis“ aus dem 6. Jahrhundert ein Fasten an drei Samstagen im Jahr angeordnet haben soll, und zwar zur Zeit des Getreides, des Weines und des Öles.437 Hinter diesem Fasten stehen wahrscheinlich die römischen Erntedankfeiern, die feriae messis (Getreideernte), feriae vindemiales (Weinlese) und feriae sementinae (Wintersaat), gegen deren ausgelassenem Treiben 431 Vgl. Buchrucker, Das Kirchenjahr, S. 74. Merkel, Art. Feste und Feiertage IV, TRE 11, S. 115. 433 Vgl. Kirchhoff, S. 187. 434 Die Bezeichnung als „Gründonnerstag“ findet sich erst im 12. Jahrhundert. Vgl. Merkel, Art. Feste und Feiertage IV, TRE 11, S. 119. 435 Kirchhoff, S. 187. 436 Vgl. Adam, Das Kirchenjahr mitfeiern, S. 154. 437 Vgl. Adam, Das Kirchenjahr mitfeiern, S. 155. 432 102 Fastenübungen entgegengesetzt wurden.438 Als Gegenmaßnahme der römischen Gemeinde auf die in ihrer Umwelt begangenen heidnischen Erntedankfeiern betonen die Quatembertage so „gegen die heidnische Naturfeier den österlichen Überschritt aus der Naturverfallenheit.“439 Ihre liturgische Gestaltung ist bis heute an Ostern orientiert. Der Quatembermittwoch beinhaltet wie der Mittwoch in der Karwoche einen Stationsgottesdienst, der Freitag ist ein Bußtag und nachdem man den Samstag über gefastet hatte, versammelte man sich zu einer Nachtwache.440 Erstmals lässt sich in der Schrift des Pontus Maximus aus dem 4. Jahrhundert ein Hinweis auf ein viermaliges Fasten finden, das mit Sach 8,19 begründet wird: „So spricht JHWH Zebaoth: Die Fasten des vierten, fünften, siebenten und zehnten Monats sollen dem Hause Juda zur Freude und Wonne und zu fröhlichen Festzeiten werden.“ Eine zweite Quelle stellen die 25 Quatemberpredigten des Papstes Leo I. (440-461) dar, in denen das Quatemberfasten bereits als feste Einrichtung im Zusammenhang mit den vier Jahreszeiten erscheint. Das Fasten ist über den Kreislauf des Jahres verteilt, im Frühling vor Ostern, im Sommer vor dem Pfingstfest, im Herbst im Monat September und im Winter im Advent. Diese Verteilung macht auch deutlich, dass der Mensch einer beständigen, das ganze Jahr umfassenden Läuterung bedürfe.441 Leo I. verband v.a. die Winterquatember mit dem Gedanken des Erntedank: „Wir verkünden euch (...) in pastoraler Sorge, das Dezemberfasten zu begehen, um in würdiger Weise ein Opfer der Enthaltsamkeit für die abgeschlossene Ernte aller Früchte Gott, ihrem Spender darzubringen.“442 In seiner fünften Predigt über das Fasten im Dezember geht er ausführlicher darauf ein: „So müssen wir auch für den irdischen Segen, der uns im Verlaufe der einzelnen Jahre zuteil wird, Gott ehren und preisen. Hat er doch von Anfang an der Erde in der Weise Fruchtbarkeit verliehen, in der Weise in jedem Keime und in jedem Samenkorn die Gesetze der Fruchtbarkeit geregelt, dass er nie von seinen Einrichtungen abwich. Des Schöpfers gütiges Walten soll vielmehr in allem Erschaffenen fortdauern. All die Früchte also, die Felder, Weinberge und Ölbäume zum Nutzen der Menschen hervorbrachten, ließ insgesamt er gemäß seiner göttlichen Liebe gedeihen.“443 So betont er nach abgeschlossener Ernte die göttliche Liebe, durch welche die Ernte erst zustande kam. Und fordert jedoch zugleich – darin liegt der Charakter der Quatembertage als Fast- und Bitttage – einen Umgang mit der Ernte im Sinne christlicher Nächstenliebe: „Deshalb besteht die vollkommene christliche Liebe und Gerechtigkeit darin, dass auch wir von dem Besitze, den uns der himmlische Vater in seiner Barmherzigkeit verliehen hat, anderen mitteilen. Gibt es doch gar viele, die kein Feld, keinen Weinberg, keine Ölbäume ihr eigen nennen, deren Not man also von dem Überflusse, den der Herr uns gab, abhelfen muss. Auch sie sollen mit uns Gott für die Fruchtbarkeit der Erde preisen und sich freuen, dass die Besitzenden 438 Berger, Kleines liturgisches Wörterbuch, S. 373. Berger, Kleines liturgisches Wörterbuch, S. 114f. 440 Vgl. Berger, Kleines liturgisches Wörterbuch, S. 374. 441 Vgl. Adam, Das Kirchenjahr mitfeiern, S. 154f. 442 Leo I., zitiert nach Adam, Das Kirchenjahr mitfeiern, S. 155. 443 Leo der Große, Sermo XVI: Fünfte Predigt über das Fasten im Dezember, aus: Leo der Große. Reden zu den Mysterien des Kirchenjahres, Hg. Von Norbert Brox, S. 21f. 439 103 etwas haben, wovon auch die Armen und Fremden ihren Teil bekommen können! (...) Obwohl, Geliebteste, alle Zeiten zu solchen Werken Gelegenheit bieten, so sind doch die gegenwärtigen Tage ganz besonders dazu geeignet und passend; denn für diese haben unsere heiligen von Gott erleuchteten Väter das Dezemberfasten angeordnet, um Gott nach abgeschlossener Ernte gebührenderweise ein Opfer der Enthaltsamkeit zu weihen: Ein jeder soll darauf bedacht sein, einen solchen Gebrauch von seinem Überflusse zu machen, dass er gegen sich selber zurückhaltender, gegen die Armen dagegen freigebiger ist!“444 So stellt Leo I. die Güte Gottes und die sich daraus für den Menschen ergebenden Verantwortung gegenüber den Armen und Fremden heraus und rekurriert auf die sich aus der Güte Gottes ergebenden sozialen Verantwortung des Einzelnen. Unüberhörbar klingt Neh 8 und dessen Beschreibung des Sukkot heraus, in der ähnlich Buße und Freude wie auch die soziale Verantwortung für die Armen in Verbindung gebracht werden. Auf der römischen Synode von 1078 legt Papst Gregor VII. den Quatemberbeginn auf den Mittwoch nach dem ersten Fastensonntag, nach Pfingsten, nach Kreuzerhöhung (14.9.) und nach dem Festtag der heiligen Luzia (13.12.) fest.445 Seit der Neuordnung des Kirchenjahres im Anschluss an Vaticanum II wurden Terminierung und Gestaltung den Bischofskonferenzen übertragen, damit den regionalen Gegebenheiten Rechnung getragen werden könne. Die Deutsche Bischofskonferenz hat als Termine der Quatember die erste Adventswoche, die erste Fastenwoche, die Woche vor Pfingsten und die erste Woche im Oktober bestimmt, letztere unter der besonderen Berücksichtigung des Themas Erntedank.446 „Fasst man (...) den Sinngehalt dieser Tage zusammen, so erscheinen sie als besonders aszetische Bemühung am Beginn der vier Jahreszeiten, vor allem in der schon im Alten Testament empfohlenen Dreiheit Gebet, Fasten und Almosen.“447 Zwar waren die Quatembertage durchaus mit dem Erntedank verbunden, jedoch zeigt sich in der inhaltlichen Ausgestaltung wie in ihrer Grundlegung die Schwierigkeit, die eine Kirche, die ihr Festjahr heilsgeschichtlich begründete, mit diesem Thema hatte. So resümiert Rupert Berger: „Eine Neubelebung der Quatemberwoche müsste vor allem die Osteranalogie hervorheben“448 und die Fuldaer Bischofskonferenz wies explizit darauf hin, „dass es im christlichen Festverständnis eigentlich kein selbstständiges Erntedankfest geben könne, weil der alles umfassende Grund für christliche Festfeiern die Heilstat Christi sei und diese vor allem in der Eucharistiefeier zum heilbringenden Fest werde.“449 444 Sermo XVI, S. 22f. Vgl. Adam, das Kirchenjahr mitfeiern, S. 156: Die Kinder prägten sich früher diese Regel mit dem alten Merkvers ein: ‚Asche, Pfingsten, Kreuz, Luzei – die Woch’ danach Quatember sei.’“ 446 Vgl. Adam, Das Kirchenjahr mitfeiern, S. 156f. 447 Adam, das Kirchenjahr mitfeiern, S. 156. 448 Berger, Kleines liturgisches Wörterbuch, S. 374. 449 Adam, das Kirchenjahr mitfeiern, S. 159. 445 104 Mittelalter Im Mittelalter lässt sich eine starke Vermehrung von Festen ausmachen, in der Zeit zwischen 800 und 1500 kommen an die 300 neue Feste hinzu.450 Zahlreiche neue Heiligenfeste, Trinitatis und Fronleichnam werden in dieser Zeit neu, ältere Feste weiterentwickelt und z.T. mit folkloristischen Elementen angereichert. Damit einher ging nicht nur eine Überfüllung des Kirchenjahrs, sondern auch „die allmähliche Verwischung seiner Grundlinien.“451 Das Mittelalter kannte innerhalb dieses von vielerlei Festen geprägtem Kirchenjahr zwar auch Votivmessen zum Erntedank, bei denen die Erntegabe gesegnet und das Tedeum gesungen wurde, ein eigenständiges Erntedankfest wird jedoch noch nicht erwähnt.452 Solche Votivmessen fanden in zeitlichem Zusammenhang mit der Getreideernte Ende September bzw. Anfang Oktober statt.453 Die Quatembertage wurden dagegen nun stärker auf heilsgeschichtliche Loci hin ausgerichtet. Die Quatembertage im Sommer, seit Gregor VII. in die Pfingstwoche gelegt, sind textlich stark von Pfingstmotiven überlagert worden, die Quatembertage im Dezember erhielten ihren inhaltlichen Schwerpunkt durch den Advent und letztlich galten alle Quatembernächte als „Weihetermine und Tage des Gebets um und für die geistlichen Berufe.“454 Reformation und Neuzeit Kritik an der mittelalterlichen Feiertagsfülle und Festpraxis äußerten die Reformatoren. Allein die biblische Begründung der Feste wurde konstitutiv für die Feier eines Festes, was Martin Bucer fordern ließ, selbst Weihnachten aufgrund mangelnder Schriftbegründung fallen zu lassen.455 Dennoch lässt sich als eine Neuerung der Reformation „die an mittelalterliche Votivmessen anknüpfende Festlegung eines Erntedankfestes“ in mehreren Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts festmachen (u.a. Hamburg 1529; Lübeck 1531; Osnabrück 1543)456, das sich im späten 16. Jahrhundert in immer mehr Regionen durchsetzte.457 Bezüglich des Termins gab es noch keine einheitliche Regelung. Der Dank für die Ernte konnte an Michaelis (29. September) erfolgen, andere Kirchenordnungen legten ihn auf den Bartholomäustag (24. August), auf den Sonntag nach Ägidii (1. September), Simon und Judä (8. Oktober) oder Martini (11. November).458 Die regional unterschiedlich eingebrachte Ernte und die regional unterschiedliche Art der Ernte haben dabei eine Rolle gespielt. Im katholischen Kontext fanden z.T. Heiligenfeste als „indirekte“ Erntedankfeste statt, z.B. in der Verehrung des Urbanus als Weinpatron bei 450 Vgl. Merkel, Art. Feste und Feiertage IV, TRE 11, S. 121. Klauser, zitiert nach Merkel, Art. Feste und Feiertage IV, TRE 11, S. 123. 452 Vgl. Kirchhoff, S. 188. 453 Vgl. Schnittker, Art. Erntedankfest, RGG4, Sp. 1464. 454 Berger, Kleines liturgisches Wörterbuch, S. 374. 455 Merkel, Art. Feste und Feiertage IV, TRE 11, S. 125. 456 Merkel, Art. Feste und Feiertage IV, TRE 11, S. 126. 457 Schnittker, Sp. 1464. 458 Vgl. Bieritz, Das Kirchenjahr, S. 155. 451 105 Winzerfesten.459 Bei all diesen Kombinationen fand allerdings in der Regel nur eine Danksagung nach der Predigt mit Tedeum statt, ohne dass das De-tempore des Tages eliminiert wurde.460 Die Altprotestantische Orthodoxie behielt diesen christologisch orientierten Festkalender bei. Jedoch fanden nun auch oft Frühlings- und Hagelfeiern, wie sie in der katholischen Kirche begangen wurden, in die gottesdienstliche Praxis Einzug. Im 17. Jahrhundert setzte sich ein eigenständiges Erntedankfest durch. Es erwuchs auch aus den immer mehr in ländlichen Gemeinden verbreiteten Predigten zur Erntezeit.461 Dabei konnten sie insofern auch mit den Bußtagen in Verbindung gebracht werden, als dass bei schlechter Ernte zur Buße, bei guter Ernte zum Dank aufgerufen wurde.462 Im Laufe des 18. Jahrhunderts kam es mehr und mehr zu einer Fixierung des Erntedanktages. So wurde in 1706 in Württemberg der Tag Simon und Judä für die Erntepredigt festgelegt, 1758 wurde der Inhalt mit einem Bußtag verbunden und schließlich 1789 auf den Sonntag nach der Ernte gelegt. 1852 regelte ein Synodalerlass das Schmücken der Altäre mit Naturerzeugnissen. In Preußen wurde 1773 als Termin für das Erntedankfest der Sonntag nach Michaelis (29.9.) eingeführt.463 Vielerorts war es dabei auch üblich, an Michaelis den Zehnten zu zahlen und dies hat zu einer nicht seltenen Verbindung von Erntedankfest und Kirchweihfest als Jahrmarkt geführt.464 Heute wird im evangelischen Raum der Sonntag nach Michaelis bzw. der erste Sonntag im Oktober als Erntedankfest gefeiert. Die Fuldaer Bischofskonferenz legte auf katholischer Seite für den Erntedank den ersten Oktobersonntag fest.465 10.2 Die Stellung des Erntedankfestes im Kirchenjahr 10.2.1 Der Herbsttermin Inmitten der sog. „festlosen“ Zeit nach Trinitatis, die immerhin zwischen 22 und 24 Sonntage umfasst (hinzu kommen der Drittletzte Sonntag des Kirchenjahres, Volkstrauertag bzw. Gerichtssonntag466 und Ewigkeitssonntag), stellt das Erntedankfest heute eine Besonderheit dar. Auch wenn jedem dieser Sonntage nach Trinitatis ein bestimmtes Thema zugeordnet ist – etwa der 10. Sonntag nach Trinitatis als Gedenktag der Zerstörung Jerusalems („Israelsonntag“) oder der 15. Sonntag nach Trinitatis als Verhältnis des Menschen zur Schöpfung – so sticht das Erntedankfest aus dieser Abfolge heraus. Es ist ein Farbtupfer am Ende des Sommers und nimmt verschiedene Lebenswirklichkeiten thematisch auf. Die Ernte als alles Empfangene, aber 459 Vgl. Rauchenecker, S. 201. Vgl. Buchrucker, S. 74. 461 Vgl. Wunderlich, Art. Erntedankfest, RGG3, Sp. 602. 462 Vgl. Rauchenecker, S. 200. 463 Vgl. Rauchenecker, S. 200. 464 Vgl. von Issendorf, Erntedankfest – eine schwierige homiletische Situation, S. 23. 465 Vgl. Rauchenecker, S. 201. 466 Aufgrund des diesem Sonntag zugeordneten Evangelium Mt 25, 31-46; vgl. Buchrucker, S. 72. 460 106 auch die Stellung des Menschen zur Schöpfung. Den beginnenden Herbst in der Natur wie implizit damit auch den Herbst des Lebens. Das Erntedankfest schaut zurück auf das, was gewesen ist und blickt auf die Zeit, die kommt. Es partizipiert an der Schönheit der Schöpfung, wie sie sich im Herbst, in den sich bunt färbenden Blättern, dem neuen Wein u.ä. oder am Fest selbst in den um den Altar herum gelegten Erntegaben noch einmal in all ihrer Vielfalt offenbart. Der Herbsttermin des Festes verdankt sich in erster Linie der zeitlichen Nähe zur Ernte. Anfang Oktober ist ein Großteil der Ernte eingebracht und es ist die Zeit auf die Arbeit und ihren Ertrag zurückzublicken. Ein von der tatsächlichen Ernte unabhängiger, festgelegter Termin ermöglicht es aber auch den dem agrarischen Kontext fern stehenden Menschen an diesem Fest teilzunehmen und vermittelt eine Kontinuität des Dankes wie auch der Abhängigkeit des Menschen von der Natur und Gottes Wirken in ihr. Die Fixierung des Termins auf den Sonntag nach Michaelis ist dabei „Ergebnis der fortschreitenden Urbanisierung und der damit vom tatsächlichen Erntetermin sich ergebenden Unabhängigkeit“ 467 , weswegen es heute auf dem Dorf, aber auch in den Städten noch einen wesentlichen Bestandteil gottesdienstlicher Praxis darstellt. Wie sehr das Bedürfnis der Gottesdienstbesucher nach einem solchen freudigen Fest und nach dessen Nähe zu schöpfungstheologischen Topoi besteht, lässt sich auch daran erkennen, dass sich der auf Kirchentagen ins Gespräch gebrachte Akzent des Erntedankfestes als „Weltabendmahlssonntag“ bisher nicht durchsetzen konnte.468 Diese Idee jedoch zeigt einmal mehr die Schwierigkeit bzw. Verlegenheit auf, das Erntedankfest in die Praxis soteriologisch und ekklesiologisch begründeter Feste zu integrieren. Die Stellung des Erntedankfestes birgt jedoch über den Herbsttermin hinaus Implikationen. Es ist einmal die unmittelbare Nähe zu Michaelis. Für eine Betrachtung des Erntedankfestes ist darüber hinaus die Nähe zum 4. Oktober als Tag des Heiligen Franz von Assisi und dem 3. Oktober als dem Tag der Deutschen Einheit von Interesse, der eine neue Herausforderung für die Feier des Festes darstellt. 10.2.2 Michaelis Die Michaeliszeit leitet über zur eigentlichen Endzeit des Kirchenjahres, in sie fallen als „Hauptfeste“ das Erntedankfest, das Reformationsgedenken bzw. das Reformationsfest, der Buß- und Bettag und als letzter Sonntag des Kirchenjahres der Ewigkeitssonntag.469 Im evangelischen Kontext stellt darüber hinaus der 29. September als Tag des Erzengel Michaels und aller Engel ein besonderes Fest dar. Für die Reformatoren ist dieser Tag eines der vier Hauptfeste (neben Weihnachten, Ostern und Pfingsten), das außer Weihnachten, Ostern und Johannis (24. 467 Ruddat, Art. Feste und Feiertage VI, TRE 11, S. 137. Vgl. Ruddat, Art. Feste und Feiertage VI, TRE, S. 137. 469 Vgl. Bieritz, Das Kirchenjahr, S. 153. 468 107 Juni) in der liturgischen Ordnung des Jahres den Rang eines Christusfestes hat und mit weißen Paramenten geziert wird470, weil die Engel als Diener Christi und als die Werkzeuge seines Wirkens verstanden werden.471 Wie Johannis in der Zeit der Sommersonnenwende, so gibt auch der Michaelistag einer Wegmarke des Naturjahres, der Herbst-Tag und Nachtgleiche, einen spezifisch christlichen Gehalt.472 Dass Michaelis auf den 29. September fällt, hat dabei die ganz äußerliche Ursache, dass an diesem Tag eine dem Erzengel gewidmete Kirche in Rom geweiht wurde. „Aber der ‚Zufall’ hat es gefügt, dass nun dieser Tag in die Zeit des Herbstes fällt, und dass der Sieg Michaels in der Jahreszeit begangen wird, da die Lebenskräfte der äußeren Natur wieder den Todesmächten des Welkens und Vergehens zu erliegen scheinen.“473 Das Michaelisfest gründet in der biblischen Rede von Michael („Wer ist wie Gott“), den Altes wie Neues Testament als Engel bzw. Erzengel kennen. Er wird auch „Fürst der Engel“ genannt (vgl. Dan 10,13; Offb. 12,7). Er erscheint im Alten Testament darüber hinaus als „euer Fürst“ (Dan 10,21), als Beistand, „der für dein Volk eintritt“ (Dan 12,1). Das Neue Testament kennt ihn als Erzengel, der „mit dem Teufel stritt und mit ihm rechtete über den Leichnam des Mose“ (Jud 9) wie auch als Anführer der Engel im Kampf gegen den Drachen Offb 12,7. Im biblischen Zeugnis erscheint Michael so als ein im Dienste Gottes stehender und dem Volk zur Hilfe kommender Engel. Im Frühjudentum entwickelte er sich darüber hinaus auch zum Vertrauten Gottes, der die Schlüssel zum Himmel bewahrt, „als Oberfeldherr ist er der Engel der Gerechtigkeit, des Gerichts, der Gnade und der Barmherzigkeit.“474 In frühchristlicher Zeit werden diese Vorstellungen übernommen, konnten sich aber auch mit heidnischem Volksglauben vermengen.475 Michael wird, so Gregor der Große, von Gott mit Aufgaben betraut, die besondere Kraft erfordern. Origenes sieht in ihm einen Fürbitter für die Menschen bei Gott. Er steht den Sterbenden bei und geleitet ihre Seelen in den Himmel.476 Um 500 beschreibt die Engellehre des Pseudoareopagit eine aus drei Triaden bestehende Engelhierarchie und in ihr die besondere Nähe der Erzengel zu den Menschen.477 Die letzte Triade, zu der die Erzengel gehören, stellt eine Verbindung vom Thron Gottes zur Welt des Menschen her.478 In dieser Tradition erscheint Michael dann auch als „schützende Kraft“, „Begleiter der Seele“ oder trägt Bezeichnungen wie „Himmelsstreiter (...), Schutz und Schirm der Menschen.“479 Michael gilt auch 470 Stählin, Große und kleine Feste der Christenheit, S. 102f. Vgl. Buchrucker, S. 72. 472 Vgl. Stählin, S. 103. 473 Stählin, S. 105. 474 Brückner, Art. Michaelsverehrung, TRE 22, S. 718. 475 Vgl. Michl, Art. Michael I, LThK2 Bd. 7, Sp. 393. 476 Vgl. Michl, Sp. 394. 477 Vgl. Auel, Michaelis – Tag des Erzengels Michael und aller Engel, S. 163. 478 Vgl. Buchrucker, S. 71. Die drei Triaden: „Seraphim, Cherubim, Throne“, „Herrschaften, Kräfte, Gewalten“, „Obrigkeiten, Erzengel, Engel“. 479 Brückner, S. 717f. 471 108 als Helfer im Tod, weswegen häufig Kappellen auf Friedhöfen seinen Namen trugen.480 Im 6. Jahrhundert taucht die Vorstellung eines in der Urzeit statt gefundenen Kampfes Michaels mit dem Engel, der sich gegen Gott empört und zum Teufel wird. Diese Vorstellung ist biblisch nicht fassbar, fußt aber u.U. auf den in Offb. 12,7 geschilderten Kampf Michaels mit dem Drachen.481 Eine kultische Verehrung des Michael ist weder biblisch noch im frühchristlichen Schrifttum belegt.482 Kol 2,18a wendet sich gar explizit gegen eine Verehrung von Engeln, weil dadurch die einzigartige Stellung Christi bedroht werde. In Abgrenzung zu heidnischen Engelskulten verbietet das Konzil von Laodicea, Engel anzurufen oder ihnen zu Ehren gottesdienstliche Feiern abzuhalten. Jedoch lässt sich eine private Verehrung von Engeln schon früh ausmachen, etwa bei Justinus von Rom, und u.a. kämpft Ambrosius von Mailand gegen falsche Engelkulte, toleriert jedoch eine „richtige“ Engelverehrung.483 Eine Verehrung ist zuerst für den Erzengel Michel belegt, dem schon Konstantin der Große am Bosporus eine Kirche zu Ehren erbauen ließ.484 Ab dem 4. Jahrhundert setzte sich dieser Trend zunächst im Osten weiter durch, im 5. Jahrhundert war dies auch im Westen keine Seltenheit mehr.485 Der Festtermin des Michaelisfestes gründet in der Weihe der Michaelskirche an der Via Salaria in Rom, „deren Weihegedächtnis in den ältesten Sakramentarien für den 30. oder 29. September 495 festgehalten ist.“486 Für diesen Tag enthalten das Gregorianum und das Gelasianum aus dem 6./7. Jahrhundert eigene Messformulare. Charakteristisch für die Bedeutung des Erzengels ist der Antiphon zu diesem Festtag in der darauf fußenden römischen Liturgie: „Erzengel Michael, komm zu Hilfe dem Volke Gottes.“487 Die Synode von Mainz (813) legte den 29. September als Festtag des Michael für das Frankenreich fest.488 Dass der Erzengel Michael zum Heiligen Deutschlands wurde, hängt insofern mit dieser Synode zusammen, als dass Ludwig der Fromme darauf Wert legte, den Michaelistag auf den 29. September zu legen, weil an diesem Tag die Germanen bis dato ihres Gottes Wotan gedachten. So hieß auch mancher Michaelsberg früher Wotansberg.489 In dieser Zeit tritt auch die Vorstellung Michaels als Seelenwäger auf, „er hält die Waage für die guten und die bösen Taten und wird so zum Fürbitter für Gottes Gerechtigkeit.“490 In dieser Tradition wird er auch mit dem Jüngsten Gericht verbunden, wie es das von Luther zitierte Sprichwort „Schlafen bis Michl tutet“ zum Ausdruck bringt.491 480 Vgl. Auel, S. 163. Vgl. Michl, Sp. 394. 482 Auf der Maur, Feste und Gedenktage der Heiligen, S. 121. 483 Vgl. Auf der Maur, S.121. 484 Vgl. Buchrucker, S. 71. 485 Vgl. Auf der Maur, S. 121. 486 Buchrucker, S. 71. 487 Brückner, S. 718. 488 Vgl. Auel S. 163. 489 Vgl. Becker-Huberti, S. 263. 490 Auel, S. 163. 491 Vgl. Auel, S. 163. 481 109 Luther hielt trotz Ablehnung der Feiertagesfülle am Michaelisfest fest, wenngleich er die „Fabeln“, die sich um den Erzengel ranken, kritisiert, weil durch sie der Michaelstag zu einem „Abgottisch fest“ geworden sei. So betont er: „Wir beten die Engel nicht an, denn sie sind Geschöpfe, aber wir danken Gott, das er solche Fürsten über uns als Geister gesetzt hat. (...) Er soll die Ehr haben, das er ein mechtiger, weiser und frumer Gott sey. Das geschicht dann, wenn uns Gott durch seine liebe Engeln hülfft, das wir den Teufel schlagen.“492 Der Tag des Erzengel Michael wurde so in der Reformationszeit zum Tag des Erzengel Michaels und aller Engel, an dem Gott für den Dienst aller Engel gedankt werden sollte. In seiner Predigt vom 28. September 1531 unterstreicht Luther die Bedeutung des Festes: „Dieweil das Fest St. Michael und aller Engel da ist, wollen wir dasselbe auch in unseren Kirchen behalten (...), dass bei den Christen ein rechter Verstand von den Engeln bleibe, damit das junge Volk nicht aufwachse und weder lerne noch wisse, was die lieben Engel vorhaben und machen, und keine Freude darauf haben und nimmer Gott dem Herrn für diese Wohltat danken.“493 Die Bedeutung des Festes im evangelischen Kontext fand ihren Niederschlag auch darin, dass in den lutherischen Kirchen lange Zeit ab dem 29. September die Zählung der Sonntage „nach Trinitatis“ abgebrochen und „nach Michaelis“ gezählt wurde.494 Die Feier von Michaelis Die Feier von Michaelis ist heute weitgehend aus der gottesdienstlichen Praxis verschwunden. Verschiedene Agenden empfehlen, sollte am 29. September kein Gottesdienst stattfinden, den Tag der Engel am vorangehenden oder darauf folgenden Sonntag zu feiern.495 Das Evangelische Gottesdienstbuch kennt zumindest noch ein Formular zu Michaelis innerhalb der Rubrik „Die unbeweglichen Feste und Gedenktage der Kirche“.496 Der Spruch des Tages entstammt Ps 34 („Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten“ Ps 34,8) und lässt die schützende und helfende Funktion der Diener Gottes anklingen. Der Antiphon Offb 12,10 betont den Sieg Michaels und damit den Sieg Gottes über den Drachen. Die Herrschaft Gottes über die Erde durch die Engel besingt der Eingangspsalm, der Ps 103 entnommen ist (Ps 103, 19-22). Die Epistel des Tages (Offb 12, 7-12) schildert den himmlischen Streit Michaels und seiner Engel mit dem Drachen. Der Drache, „die alte Schlange, die da heißt Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt“ (Offb 12,9) wird nach verlorenem Kampf auf die Erde geworfen und wird dort seinen Kampf fortführen. Im Himmel dagegen herrscht Freude, denn: „Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus; denn der 492 So Martin Luther in der Coburger Michaelispredigt von 1530, WA 32,117.121, zitiert nach Brückner, S. 718. Zitiert nach Stählin, S. 106f. 494 Vgl. Buchrucker, S. 72. 495 So die Agende der EKKW und ähnlich in lutherischen Agenden, vgl. Auel, S. 161. 496 Evangelisches Gottesdienstbuch, S. 434-435. 493 110 Verkläger unserer Brüder ist verworfen“ (Offb 12,10). Es sind darin die heilsgeschichtlichen Voraussetzungen für die prophetische Schau des Konfliktes innerhalb der Welt Offb 13, die in Offb 12 und damit auch in der Perikope geschildert werden. „Die großen Entscheidungen sind bereits gefallen in der Erscheinung des Weltheilands (12, 1-6) und seiner Entrückung zu Gott (12, 7-12); der Ankläger der Menschen ist durch Jesu Sterben entmächtigt (12, 13-18).“497 Deshalb ist die Kirche in ihrem Kampf fortan geborgen, es geht nicht mehr um das Sein und Nichtsein der Kirche, sondern „nur noch“ um die Treue des einzelnen Jüngers, der sich allerdings des Sieges Christi über den Verführer gewiss sein darf.498 Diese Hoffnungsperspektive auf den endgültigen Sieg Christi und der Entmachtung Satans auch auf der Erde findet ihren Abschluss in der Verheißung einer neuen Erde und eines neuen Himmels, in dem kein Kampf mehr herrscht und weder Leid noch Schmerz die Gläubigen mehr quält (Offb 21,3f.). Der Sieg, der im Himmel schon errungen wurde, und die Freude darüber wird dann den Gläubigen vollends zuteil werden. Das Evangelium (Lk 10, 17-20) hat die Macht, die die Jünger Jesu in seinem Auftrag über die bösen Geister besitzen, zum Inhalt. Kernpunkt ist jedoch der tröstliche Ausblick, dass „eure Namen im Himmel geschrieben sind“ (Lk 10, 20b). So betont Lukas, dass die Jünger „schon jetzt auf der Liste der zum himmlischen Reich Gehörenden stehen und sich an der Hoffnung und Autorität ihres Herrn beteiligen.“499 Damit steht als ein Thema des Tages, wie es in der Epistel schon anklang, die Hoffnung, die bei Lukas immer „mit dem im Himmel bereitstehenden Reich Gottes verbunden“ ist.500 Noch befinden sich auch die Jünger im Kampf mit den bösen Geistern bzw. dem Satan. Doch sind sie schon jetzt ausgerüstet für diesen Kampf.501 Es ist ein Kampf gegen den Herrn der Dämonen, „der durch sie die ihm verfallenen Menschen an Leib und Seele schädigt.“502 Jedoch betont Lk 10, dass Grund der Hoffnung nicht die konkrete Gnadengabe, sondern die Gnade Gottes darstellt, aufgrund derer die Namen der Jünger im Himmel geschrieben sind.503 Das Tageslied EG 143 „Heut singt die liebe Christenheit“ bringt noch einmal die beschützende Funktion der Engel zum Ausdruck: „Heut singt die liebe Christenheit/Gott Lob und Dank in Ewigkeit/Für seine Engelscharen/Die uns in Angst, Not und Gefahr/Auf viele Weisen wunderbar/Behüten und Bewahren.“ (EG 143,1) In diesem, von Detlev Block gedichteten und auf die Übertragung des Hymnus „Dicimus Grates Tibi“ Philipp Melanchthons durch Nikolaus Hermann aus dem Jahr 1560 zurückgehenden, Lied, wird Michael analog Offb 12 als starker Held, als Führer des Engelheers benannt, das mit ihm darum kämpft, des „Satans böse List und 497 Goppelt, Theologie des Neuen Testamentes II, S. 522. Vgl. Goppelt, Theologie des Neuen Testamentes II, S. 522. 499 Pokorny, Theologie der lukanischen Schriften, S. 34. 500 Pokorny, S. 102. 501 Vgl. Conzelmann, Mitte der Zeit, S. 98. 502 Goppelt, Theologie des Neuen Testamentes I, S. 126. 503 Vgl. Rienecker, Das Evangelium des Lukas, S. 266. 498 111 Macht beizeiten abzuwehren.“ (143,4) Während der „alte Drache“ alles daran setzt, „nach Herz und Seele, Leib und Blut“ der Gläubigen zu trachten und dabei manche Wunde schlägt (143,5), werden die Engel von Gott in den Dienst genommen, diesem zu wehren (143,6). Herr der Engel bleibt Jesus Christus. Nur er allein kann den Menschen retten und steht ihm im Kampf auf Erden unter Indienstnahme der Engel zur Seite, weswegen ihm letztlich auch der Dank gebührt (143,8). Die Texte und Lieder zu Michaelis nehmen so v.a. die Lebenswirklichkeit des Kampfes und der Bedrückung auf, stellen sie jedoch in die Perspektive der Verheißung und der Bewahrung Gottes durch seine Engel, allen voran des Erzengel Michael. Die Verbindung Michaelis und Erntedank Dass der Michaelistag mit der Feier des Erntedank verbunden wurde, hatte verschiedene Gründe. Zum einen legt die terminliche Verortung in der Zeit der Ernte natürlich eine Verbindung nahe, weshalb in der Reformationszeit ja mit Vorliebe an Michaelis der Erntedank Einzug in den Gottesdienst gefunden hat, wenn auch in der Form, dass nach der Predigt eine Danksagung mit Tedeum stattfand und das eigentliche Proprium des Tages dadurch nicht verdrängt wurde.504 Aufgrund des Herbsttermins ergibt sich jedoch eine weitere theologische Implikation. Der Gedenktag eines Engels, der als Beschützer und Bewahrer, als siegreicher Kämpfer gegen den bösen Feind, als „Gottes Schlagdrein“, wie ihn Luther nannte505, verehrt wurde, passte gut in die Schwellenzeit des Herbstes, inmitten des Szenarios der kälter werden Tage, der aufkommenden Herbststürme und des bevorstehenden Winters. Der Michaelstag diente der Kirche schon früh dazu, sich in ihrem eigenen Kampf mit der Verheißung des Sieges über die bösen Mächte zu trösten.506 Darin wird deutlich, dass Michael wie auch die Engel Gottes im Allgemeinen weniger als lieblichen Gestalten, wie sie heute in der Volksfrömmigkeit eine Renaissance erleben, verstanden wurden, sondern als Kämpfer Gottes in einem ganz und gar nicht lieblichen Kampf. Sie sind die „Starken Helden“ (Ps 103,20), die Gott zum Dienst aussendet „an denen, die er zur Seligkeit berufen hat, und die darum auf ihrem Wege bewahrt und geleitet werden sollen.“507 Die Besinnung auf diese zeitliche Nähe beider Feiertage vor dem Hintergrund dessen, dass beide Feste in der Reformationszeit z.T. eine Einheit bildeten, mag für Fragen wie „Was ist, wenn ich nicht fähig bin zu danken?“ oder „Wie kann ich danken, wenn mir der Dank angesichts des eigenen Leides etc. im Halse Stecken bleibt?“ eine Perspektive geben, die das Erntedankfest in einer Beschränkung auf seine kreatürlichen Aspekte allein nicht zu geben vermag. Denn im Michaelistag steckt der Kampf. Der Kampf des einzelnen Gläubigen wie der Kampf der Kirche 504 Vgl. Buchrucker, S. 74. Vgl. Stählin, S. 106. 506 Vgl. Stählin, S. 106 507 Stählin, S. 107. Vgl. auch Hebr 1,14. 505 112 mit der Wirklichkeit böser Mächte. Und gleichsam die Hoffnung auf den durch Christus errungenen Sieg über sie. Erntedank und Michaelis nehmen damit in der aufeinanderfolgenden Begehung diese differenzierte Lebenswirklichkeit in den Blick, Erntedank erschöpft sich so nicht in einem Danke sagen. Der Dank ist durch die Widrigkeiten und Nöte des Lebens gegangen. Der Dank wird zu einem existentiellen Danken, weil er die Leiden und das Kämpferische des Lebens nicht ausklammert, sondern im Kampf in die Perspektive der Siegesverheißung gerückt wird. So steht der Erzengel Michael vor allem Dank als Synonym für das schützende, bewahrende und für den Menschen streitende Handeln Gottes, wie Luther es in seinem Morgensegen an das Ende seines Gebetes stellt: „Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.“ 10.2.3 Die Nähe zum Gedenktag des Franz von Assisi „Die in Mitteleuropa gegebene unmittelbare Nähe zum 4.10 (Franziskustag) bietet die Möglichkeit, die gesamte Schöpfung, nicht nur die Früchte der Erde, einzubeziehen in den Dank an den Gott des Lebens und die Erlösungssehnsucht der ganzen Schöpfung zum Ausdruck zu bringen (Röm 8).“508 Mit diesen Worten wirft Thaddäus A. Schnittker ein neues altes Licht auf das Erntedankfest. Ein altes Licht, weil die Natur durch die Besinnung auf die Ernte schon ihren Platz im Gottesdienst inne hat. Ein neues Licht, weil mit Franz von Assisi nun ein konkretes Beispiel für die Auseinandersetzung mit der Natur im christlichen Kontext gegeben ist. Der 4. Oktober ist der Gedenktag eines Mannes, der wie kaum ein anderer bis heute eine Faszination ausübt als „leuchtendes Beispiel christlicher Nächstenliebe und eines Lebens nach der Bergpredigt Jesu.“509 Geboren 1181/82, kennzeichnen den jungen Franziskus zunächst noch „dichterische Empfindsamkeit, verschwenderische Freigiebigkeit und Extravaganz in Kleidung und Gehaben.“510 Seine Heimat ist das mittelitalienische Umbrien, „eine Mittelgebirgslandschaft fern vom Meer, reich an Felsen, Klüften und Höhlen (...) – eine Landschaft von herbem Reiz.“511 Nachdem Franz bei der Auseinandersetzung zwischen Assisi und Perugia in Gefangenschaft geriet und schwer erkrankte, geriet er in eine Existenzkrise, die ihn nach und nach an seinem bisherigen Lebensstil zweifeln und mit der Familie brechen ließ. Eine Krise, „die stufenweise 1206 zum Erbverzicht vor Bischof Guido II. und 1208 beim Hören der Aussendungsrede (Mt 10,5ff.) zur Klärung der persönlichen Berufung führte.“512 Von nun an begann er, der vorher die Einsiedelei wählte, zu predigen. Zentraler Inhalt seiner Predigten waren die Buße und der Friede, wobei dieser Friede weniger politisches Ideal als vielmehr den Innbegriff irdischen Heils als 508 Schnittker, Sp. 1465. Bieritz, S. 250. 510 Schmucki, Art. Franziskus von Assisi, RGG4, Sp. 251. 511 Köpf, Franz von Assisi, S. 283. 512 Schmucki, Sp. 252. 509 113 Geschenk Gottes darstellte.513 Er versuchte so den Weg konsequenter Jesus-Nachfolge zu gehen. Ein klösterliches Leben war für ihn damit schwer vereinbar, denn das setzte Sesshaftigkeit und (Kloster-)Hierarchie voraus. Darüber hinaus war die Anfechtung als Grunderfahrung monastischer Existenz für Franz weniger bestimmend als sein unerschütterliches Vertrauen in einen guten Gott.514 Seine Lebenseinstellung widersprach auch anderen Bewegungen wie etwa den Katharern. Während diese „aus der Erfahrung von Leid und Schlechtigkeit der geschaffenen Welt“ lebten und sich dementsprechend ablehnend gegenüber der Natur verhielten, war Franz’ Haltung zum Leben trotz seiner Forderung nach radikaler Armut und radikaler Nachfolge im Sinne Jesu und „trotz mancher unbestreitbar harter Züge nicht finster, sondern freundlich, und mit der ungeteilten Liebe seines großen Herzens umfing er die ganze Schöpfung.“515 Es war keine Naturschwärmerei, die ihn auszeichnete, genauso wenig wie er versuchte Gott in der Natur habhaft zu werden. Sondern die Einsicht, dass die Welt, weil sie von Gott geschaffen wurde, gut sein muss, so dass er in allen Tieren und Pflanzen Geschöpfe Gottes „und damit seine Brüder und Schwestern sah.“516 Jedoch – und darin zeigt sich seine Unterschiedenheit zu „Naturschwärmern“ – wusste Franz sich stets rückgebunden an die Offenbarung Gottes in Jesus Christus und blieb dabei auch mit der Kirche verbunden, was u.a. seine Bemühungen um die Restaurierung alter Kirchen in der Umgebung Assisis517 und seiner fehlenden Kritik an der Kirche zum Ausdruck bringen.518 Sein Gottesbild war durchzogen von der erhabenen Größe, unendlichen Güte und allwirkenden Gegenwart des himmlischen Vaters.519 Seine „naiv-poetische Frömmigkeit“ prägte ein optimistisches Gottvertrauen, ein naturverbundener Schöpfungsglauben in gleichem Maße wie eine intensive Jesusbindung, die er durch Fasten, Heimatlosigkeit und seiner Orientierung an das Kreuz Christi in bewusster imitatio Christi zu leben versuchte.520 Es ging ihm nicht um eine dualistische Gegenüberstellung von Gott und Schöpfung, sondern er begriff sich selbst stets als Teil der Schöpfung Gottes, der mit allen Geschöpfen auf einer Ebene stand. Wohl eine der bekanntesten bildlichen Darstellungen ist die seiner Vogelpredigt, in der sichtbar wird, wie sehr der biblische Missionsbefehl Mk 16,15 („Predigt das Evangelium aller Kreatur“) und seine Verbundenheit zur Schöpfung seine Existenz und Theologie bestimmten.521 „In dieser (...) Zwiesprache mit den Tieren brach er das (...) Schweigen zwischen Mensch und Kreatur und gab damit der Welt durch sein Beispiel die Ahnung eines paradiesischen 513 Vgl. Köpf, S. 287. Vgl. Köpf, S. 289. 515 Köpf, S. 301. 516 Köpf, S. 301. 517 Etwa S. Damiano, und später S. Maria degli Angeli, der Portiuncola. Vgl. Köpf, S. 286. 518 Vgl. Köpf, S. 299f. 519 Vgl. Schmucki, Sp. 253. 520 Vgl. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte I, S. 321. 521 Vgl. von Eltz-Hoffmann, Freuet euch der schönen Erde, S. 89. 514 114 Zustandes.“522 Die Natur war nicht allein Wunderwerk Gottes, das zum Lobe Gottes rief, „sondern auch selbst der Liebe wert, weil es auf den Schöpfer verwies und durch ihn geheiligt war.“523 Von der schlichten Einfalt, mit der er suchte Jesus nachzufolgen und sich ganz und gar dem Vertrauen in die Güte Gottes des guten Schöpfers ergab, zeugt auch als ein großartiges Zeugnis seines Schöpfungs- und Gottesglauben der Sonnengesang (Canticum fratris solis) bzw. das Laudes creaturarum (Lob der Geschöpfe), das er, beinahe erblindet, „von Schmerzen (...) geplagt“524 zwischen 1224 und 1226 verfasste und in den er selbst den eigenen Tod in die geschwisterliche Liebe mit einbezieht.525 Er fand schließlich auch Einzug in das EG durch die Lieder „Gottes Geschöpfe, kommt zuhauf“ (EG 514) und „Laudato si“ (EG 515), und bildet heute noch ein Beispiel dafür, wie wenig sich Schöpfungstheologie und Soteriologie gegenseitig ausschließen müssen, sondern im Lob Gottes zu einer Einheit finden können. 10.2.4 Die Nähe zum Tag der deutschen Einheit – das Erntedankfest und die Politik Dass im Gefolge einer zunehmenden Auseinandersetzung mit der Thematik Reich-Arm am Erntedanktag auch politische Themen ihren Platz finden und im Festbewusstsein der Kirchgänger ihren Platz beanspruchen, scheint klar, denn „die Situation der Landwirtschaft und die Lage des Welthandels wirken sich bis (...) auf unseren Mittagstisch aus.“526 So predigte Helmut Siegel zum Erntedankfest am 3. Oktober 1976, dem Tag der Bundestagswahl: „Es hat mich wütend gemacht, dass keine der drei großen Parteien auch nur ein Wort über die Probleme der Weltwirtschaftsordnung, der Entwicklungshilfe, des Umweltschutzes gesagt hat.“527 Die sich mit dem Fest immer stärker verbindende Forderung nach einem verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung bleibt also nicht beim Einzelnen stehen, sondern weist immer auch zurück auf die, die im großen Geschäft der Politik Verantwortung tragen. Durch die notwendig gewordene Neudeutung des Erntebegriffs im 20. Jahrhundert, die nun auch Arbeit und Ertrag außerhalb des ursprünglich agrarischen Kontextes mitdenkt, rückt auch die Problematik der Arbeitslosigkeit in den Blick, die eine Fülle individuell-ökonomischer, aber auch politischer Probleme berührt.528 Die Verzahnung des Erntedanks mit politischen Ereignissen reicht in die Entstehungszeit eines einheitlichen Erntedankfestes zurück. 1757 stimmten die siegreichen preußischen Soldaten bei Leuthen auf dem Schlachtfeld „Nun danket alle Gott“ an. In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft veranstaltete die NSDAP für den Reichsnährstand eine zentrale Erntefeier und im 522 von Eltz-Hoffmann, S. 90f. von Eltz-Hoffmann, S. 87. 524 Köpf, S. 297. 525 Köpf, S. 301. 526 Rommel, Solange die Erde steht, S. 451. 527 Siegel, Predigt über 1. Mose 8, 15-22, S. 54. 528 Vgl. Winkler, S. 136. 523 115 Jahr 1939, nach dem Überfall auf Polen, dankte man in einer offiziellen Kanzelabkündigung Gott nicht nur für die reiche Ernte in den Scheunen, sondern auch für die nicht weniger reichen Ernte auf den Schlachtfeldern.529 Nur zwei, zugegeben extreme Beispiele für die Gefahr, subjektiv als Gabe empfundene Ereignisse als von Gott gegeben zu proklamieren. Eine neue politische Dimension hat das Erntedankfest durch seine Nähe zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober bekommen. Pfarrer, Pfarrerin und Gemeinde wird die Deutungsaufgabe des Festes dadurch noch einmal erschwert, weil sie nun auch dieses historische Ereignis, das v.a. nicht für jedermann ein positives darstellt, in den Kontext des Erntedank zu stellen haben. Auch deshalb, weil dieser Tag für die Mehrzahl der Menschen in den neuen Bundesländern den Übergang zur Marktwirtschaft mit all ihrer zu Tage tretenden Problematik markiert.530 Inhaltlich kann sich diese Problematik dergestalt äußern, dass „beim Zusammenfall beider Termine eine Konkurrenz entsteht, die nur dann fruchtbar wird, wenn es gelingt, die Wiedervereinigung nicht als Lohn der Arbeit und Geduld, sondern als ein unverdientes Geschenk zu verstehen, wie die Ernte des Feldes.“531 Die immer öfter anzutreffende negative Beurteilung der Wiedervereinigung, die ihre Arbeit darin erledigt sieht, die Defizite aufzuzeigen, erschweren jedoch das Zusammendenken von Einheit und Erntedank. Der sächsische Pfarrer Frank Manneschmidt plädierte deshalb zum Erntedanktag 2004: „Mit Blick auf den 3. Oktober täte es daher gut, zunächst einmal das Erreichte zu schauen und dankbar zu sein für das, was geworden ist.“532 Zugleich wird in der Auseinandersetzung mit dem Tag der Deutschen Einheit und seiner Nähe zum Erntedankfest sichtbar, wie sehr der Erntebegriff dem subjektiven Empfinden der Gottesdienstbesucher unterliegt und bei ihnen verschiedene Konnotationen aufweist. In den Vordergrund tritt die Verbindung beider Tage jedoch v.a. dann, wenn sich die Möglichkeit bietet, das verlängerte Wochenende zu einem Kurzurlaub zu nutzen.533 Diese Tendenz zeigt sich verstärkt, wenn der 3. Oktober auf den Freitag vor oder den Montag nach dem Erntedankfest folgt, und gerade Familien nehmen dieses Angebot eines verlängerten Wochenendes dann auch gerne wahr. So verlegte eine Gemeinde in Mannheim 2005 das Erntedankfest und den dazu gehörigen Familiengottesdienst um eine Woche, aus Angst, an diesem sonst gut besuchten Gottesdienst, auffallend viele leere Bänke vorzufinden. Denn: „Ein Familiengottesdienst, an dem viele Kinder nicht teilnehmen können, weil sie mit ihren Eltern in die Herbstferien gefahren sind, verfehlt seinen Zweck.“534 529 Vgl. Schmiedehausen, S. 9. Vgl. Winkler, S. 135. 531 von Issendorf, Erntedankfest – eine schwierige homiletische Situation, S. 23. 532 Frank Manneschmidt, Gespaltenes Verhältnis, Sonntag Sachsen Online vom 30. September 2004. 533 Dafür spricht, dass die Nähe des Erntedankfestes zum Tag der deutschen Einheit in der homiletischliturgischen Literatur kaum Berücksichtung findet. 534 Schmiedehausen, S. 11. 530 116 Somit tritt die Politik am Erntedanktag inhaltlich in zweierlei Hinsicht in das Blickfeld der Gottesdienstbesucher. In Bezug auf die Verantwortung für einen gerechten Umgang mit den Gaben der Natur, nicht allein des Einzelnen, sondern auch als Bitte, Aufruf oder Vorwurf an die im größeren Kontext der Politik Tätigen. Und zum anderen im subjektiven Empfinden, soweit es die Lebensgrundlage betrifft (Ernte, Arbeitslosigkeit etc.) und damit implizit auch im Blick auf den Tag der deutschen Einheit, der für viele Menschen Synonym für eine grundlegende und nicht immer positive empfundene Veränderung darstellt. Gerade hier besteht die Gefahr, die Einheit Deutschlands einerseits vorschnell als „Geschenk Gottes“ in das Erntedankfest zu integrieren und dabei die kritischen und enttäuschten Stimmen innerhalb der Gemeinde zu übertönen. Auf der anderen Seite läuft eine zu kritische Beurteilung der Einheit Gefahr, Wasser auf die Mühlen der Pessimisten und Skeptiker zu gießen. Der Tag der Deutschen Einheit als Thema des Erntedankfestes kann damit sehr schnell zu einer der „Heißen Kartoffeln“ werden, die Michael Herbst und Matthias Schneider in ihren Arbeitsbuch für Predigt und Gottesdienst als „kurz angetippte, rasch wieder verlassene ‚Seitenthemen’“ beschreiben.535 Eine Berücksichtigung des Tags der Deutschen Einheit kann so zu einem solcher Seitenthemen werden, das interessant wirken mag, letztlich aber die Gottesdienstbesucher unbefriedigend entlässt, weil ihm nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet oder die vielfältigen Konnotationen zum Tag in der Gemeinde nicht berücksichtigt werden (können): „Die Hörer gehen hungrig nach Hause, weil ihnen die Speise nur kurz gezeigt, aber keine wirklich aufgetragen wurde.“536 10.3 Resümee Die Geschichte des Erntedankfestes zeigt, dass das Fest in der kirchlichen Praxis zunächst nur schwer Fuß fassen konnte. Der Dank für die Ernte war zwar durchaus Thema von Predigten und Bestandteil verschiedener Gottesdienstformen, jedoch verlief die Feier des Erntedank eher parallel zu den heilsgeschichtlich begründeten Festen, wirkte wie ein Anhängsel an bestehende Formen oder war den heilsgeschichtlichen Topoi untergeordnet. Das mag in den Abgrenzungsbemühungen der Alten Kirche zur heidnischen Umwelt begründet liegen, die ihren Ausdruck auch in den Quatemberpredigten Leos I. finden, in denen zwar der Erntedank thematisiert, jedoch durch die Ausrichtung auf Buße, Enthaltsamkeit und Almosengeben jeglichen Freudencharakters entkleidet wurde. In der Auslegung des ersten Glaubensartikels im kleinen Katechismus betont Luther die Notwendigkeit des Dankes.537 Der konkrete Dank für die Ernte als gottesdienstlicher Akt aber scheint selbst in der Zeit der Reformation, in der sich das Erntedankfest als eigenständiges Fest anbahnte, stärker in der Lebenswirklichkeit der im 535 Herbst, Schneider, Wir predigen nicht uns selbst, S. 162. Herbst, Schneider, S. 167. 537 Vgl. BSELK, S. 510f. 536 117 agrarischen Kontext stehenden Menschen verhaftet gewesen zu sein als im Kirchenjahr. Am ehesten lässt sich eine Verbindung heilsgeschichtlich begründeter Festpraxis mit der Lebenswirklichkeit der Menschen in Heiligen- oder Engelfesten erkennen. Die Parallelität beider Festpraxen, die sich schon in der Entwicklung des Brauchtums entdecken ließ, mag ein Grund dafür sein, dass noch heute das Erntedankfest theologisch als ein Fremdkörper im heilsgeschichtlich geprägten Kirchenjahr erscheint, und zeigt die Schwierigkeit der Integration eines Naturfestes in die gottesdienstliche Praxis. Das Gedenken an Franz von Assisi mag aufgrund dessen inniger Jesusfrömmigkeit und Schöpfungsverbundenheit zugleich ein Brückenschlag sein. Ein Brückenschlag zwischen einer soteriologischen Begründung und dem Bedürfnis nach einer schöpfungstheologischen Ausgestaltung des Festes. Auch ein Blick auf die Stellung des Erntedankfestes im Kirchenjahr mag hilfreich sein. Behält man die bereits erwähnte ältere Ordnung des Kirchenjahres im Auge, in der man ab Michaelis die Zählung der Sonntage nach Trinitatis abbrach und bis zum Ewigkeitssonntag die Sonntage „nach Michaelis“ zählte, dann erscheint auch das Erntedankfest in einem anderen Licht. Mit Michaelis beginnt die konkrete Auseinandersetzung mit der Stellung des Menschen in der Welt. Das Leben des Menschen und der Alltag rücken in den Vordergrund. Nachdem an Michaelis der Kampf des Menschen auf Erden im Lichte der Bewahrung durch die Engel und in der Perspektive des Sieges Christi bedacht wird, steht mit dem Erntedank ein weiteres, nun eher freudiges Thema aus der Lebenswirklichkeit des Menschen im Mittelpunkt der gottesdienstlichen Feier. Kampf und Ernte bedingen sich dabei, weil sie wesentliche Bestandteile menschlicher Existenz darstellen, unabhängig des Kontextes, in dem der Einzelne steht. In der Spannung zwischen Kampf und Sieg, Mühe und Ernte, Müdigkeit und Kraftquelle, Trauer und Freude, Angst und Verheißung steht der Erntedanktag durch seine Stellung nach Michaelis und im Blick auf die folgenden Festtage des Kirchenjahres. In diese Auseinandersetzung mit dem Alltag des Gläubigen in der Welt reiht sich der Buß- und Bettag, der das Verhalten des Menschen gegenüber den Mitmenschen wie das gegenüber Gott reflektiert, ebenso ein wie abschließend der Ewigkeitssonntag, der über die Vergänglichkeit menschlichen Lebens auf das Leben in der von Gott verheißenen neuen Welt weist, wie es in der Epistel des Tages (2. Petrus 3, 3-14), in dem zur Wachsamkeit rufenden Evangelium Mt 25, 1-13 und dem tröstlichen Wort Offb. 21, 1-7 zum Ausdruck kommt. Ein Blick auf den unmittelbaren Kontext hilft so, den Erntedank zu verstehen als ein Fest der Gläubigen, die in dieser Welt stehen und in ihr das oftmals als Kampf empfundene Leben im Licht der Verheißung und Güte Gottes sehen. Auch die Politik mag in dieser Auseinandersetzung des Menschen mit dem, was ihn trägt, Grund seiner Hoffung und seines Lebens ist, ihren Platz finden. Die Problematik einer zu starken Verquickung von Predigt und Politik wurde kurz angedeutet. Jedoch ist und bleibt die Politik Teil der Lebenswirklichkeit 118 des Menschen in dieser Welt, Teil des Kampfes in dieser Welt, an dessen Ende jedoch der Sieg Christi und ein neuer Himmel und eine neue Erde nach Gottes Verheißung (2. Petr 3) stehen. Diese Perspektive mag auch davor wahren, dass die Verbindung von Erntedank und Tag der Deutschen Einheit nicht jenen Weg geht, den das amerikanische Thanksgiving ging, dass ein nationales Ereignis an die Stelle der vielfältigen Gaben Gottes tritt. Gleichwohl bietet sich durch den Blick auf Thanksgiving die Chance herauszustellen, dass Gottes Wirken nicht auf die Existenz des Individuums beschränkt sein muss, sondern auch im größeren Kontext sichtbar werden kann – auch wenn dieser Aspekt aufgrund der Erfahrungen in der Geschichte mit Vorsicht zu genießen sein will. Behutsam eingebunden als Blick auf das, was an Gutem aus der Wiedervereinigung entstanden ist, mag eine Verbindung beider Themenbereiche so einheitsfördernd wirken können, zumindest jedoch dazu beitragen, auch den Alltag bestimmende Themen über die Schöpfungsgaben hinaus zu berücksichtigen. In Bezug auf die theologische Ortsbestimmung wird einmal mehr die Problematik deutlich, wenn sich der Erntedank auf eine Feier der Schöpfung reduziert. Zum einen nimmt es nur einen Teil der Lebenswirklichkeit der Gläubigen wahr. Zum anderen fördert es die Existenz zweier parallel verlaufender Festpraxen, die jeweils nur einen Aspekt christlicher Existenz bedenken. Die gegenwärtig zu konstatierende Kluft zwischen erstem und zweiten Glaubensartikel ist in der Entstehung eines christlich gefeierten Erntedanks angelegt und zieht sich durch die Geschichte hindurch. Freilich bietet die Geschichte auch Brückenschläge zur Überwindung dieser Kluft an. Exemplarisch in der Person des Franz von Assisi oder in der Verbindung des Erntedanks mit dem Fest des Erzengel Michaels und aller Engel. Sie weisen das Erntedankfest aus als Fest der ganzen christlichen Existenz und stellen sich klar gegen eine Reduzierung des Erntedankfestes auf ein Fest der Schöpfung Gottes allein. Dadurch gewinnt der Erntedank in einer Besinnung auf Entwicklung und Stellung im Kirchenjahr v.a. für die Menschen wieder eine Relevanz, in deren Lebenswirklichkeit eben nicht nur die Freude über die Schönheit der Natur, sondern eben auch die Sorge und der Nöte zum Alltag gehören. All diese Aspekte in der Feier des Erntedankfestes zu berücksichtigen, ist nicht möglich. Aber sie sind – wie das Erntedankfest selbst – Ausdruck des Vertrauens in das, das Leben des Menschen über die Zeit hinaus, haltende und erhaltende Handeln Gottes. Dies sollte der Hintergrund, die Folie sein, auf der ein Fest, das die das ganze Leben umspannende Güte Gottes zum Inhalt hat, gefeiert wird. 119 B Erntedankfest gepredigt 11. Exegetische Erwägungen zu 2 Kor 9, 6-15 11.1 Kontext und Aufbau der Perikope Inmitten der Diskussion über die Legitimität des paulinischen Apostelamtes538 erscheinen die beiden Kapitel über die Sammlung (2.Kor 8+9) „unvermittelt ohne Beziehung zum Vorhergehenden und zum Nachfolgendem“ zu stehen.539 Das Nebeneinander der beiden Kollektenkapitel verwundert, weil Paulus nach Kapitel 8 eigentlich nicht mehr auf das Thema der Sammlung einzugehen braucht und nun „den Mazedoniern die Korinther als leuchtendes Vorbild vor Augen stellt, während er in 8, 1-6 genau umgekehrt verfuhr.“540 So gilt die Abtrennung des 9. Kapitels von 2. Kor 1-8 oft als unumgänglich. Jedoch stellt die Erwähnung des gleichen Zeitpunktes 8,10 und 9,2 eine „starke Klammer“ zwischen beiden Kapiteln dar und der vermeintliche Neueinsatz in 9,1 „kann als Wiederaufnahme des Hauptthemas nach dem exkursartigen Stück über die Boten 8, 16-24 gedeutet werden“541, so dass eine literarische Einheitlichkeit von 2.Kor 1-9 nicht auszuschließen ist. Paulus schrieb 2.Kor an die Gemeinen in Korinth und Achaia, weswegen es nicht verwundert, dass er sich in der wichtigen Kollektenfrage in 9 direkt an Achaia wendet. Die 2.Kor 9 einleitenden Verse 1-5 sollen die Korinther zur baldigen Vollendung der Sammlung anregen, „und zwar dadurch, dass Paulus sie wissen lässt, wie sehr er sie ob ihrer Bereitschaft gegenüber den Mazedoniern gerühmt hat und dass er die ‚Brüder’ dazu gesendet hat, ‚das Gerühmte zur Verwirklichung zu bringen.’“542 Vers 5 stellt dabei schon die Überleitung zur theologischen Begründung dieses Bittschreibens dar. Die Geldgabe wird als ευλογια bezeichnet. Ein Begriff, der in der LXX und im Neuen Testament für Segen gebraucht wird, „in dem sich ein gemeinschaftsförderndes Gesegnet werden des Empfängers vollzieht.“543 So unterstreicht Paulus die positive Bereitschaft zur Gemeinschaft, die sich dem Segen Gottes verdankt, der weitergegeben werden will.544 Die Perikope kann in vier Abschnitte unterteilt werden. Die Versen 6 und 7 (I) betonen die Notwendigkeit der Freigiebigkeit.545 8-10a folgt die Explikation des allem Handeln zugrundeliegende Segenswirkens Gottes (II). Paulus „erinnert (...) an den Gott, der nicht fordert 538 Vgl. Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther, S. 21. Hastedt, Erntedanktag, CPNF II/2 1992, S. 227. 540 Klauck, 2. Korintherbrief, Die Neue Echter Bibel, Würzburg 1986, S. 72. 541 Klauck, S. 72. 542 Gräßer, Der zweite Brief an die Korinther Kapitel 8-13, S. 52. 543 Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, S. 182. 544 Vgl. Wolff, S. 182 545 Vgl. Wolff, S. 183. 539 120 (...) ehe er zuvor selbst reichlich gegeben“ hat.546 Von dieser reichen Gabe Gottes lenken die Verse 10b-14 den Blick auf die „doppelt segensreichen Wirkung der Gaben sowohl bei den Empfängern als auch bei den Gebern.“ (III)547 Paulus schließt mit einem aus einem CharisSpruch bestehendendem Dankgebet (Vers 15; IV).548 11.2 Analyse I. Die Notwendigkeit des Charakters der Spende: 2. Kor 9, 6+7 Das τουτο δε leitet den abschließenden Gedankengang zum Thema Kollekte ein, in dem das Motiv der reichlichen Gabe, das in Vers 5b schon anklingt, entfaltet wird.549 Paulus bedient sich dabei einer Sentenz aus dem landwirtschaftlichen Bereich, wobei der Gedanke „reichliche Gabe führt zur reichlichen Gegengabe“ den dominierenden Part einnimmt.550 Paulus überträgt sie in einem doppelten Chiasmus auf den zwischenmenschlichen Bereich und argumentiert damit ganz im Weisheitsstil. Es ist müßig zu diskutieren, ob der Apostel auf eine auf Weisheitstraditionen beruhende Sprichworttradition zurückgreift oder auf Spr 11, 24f. Bezug nimmt.551 Zumindest kann man davon ausgehen, dass die von ihm gebrauchte Metaphorik aufgrund des in ihr zugrunde liegenden menschlichen Erfahrungswertes ihr Ziel nicht verfehlen würde. Ein dadurch u.U. anklingendes Do-ut-des-Shema wird durch die Wendung επ ευλογιαις relativiert. Indem Paulus ευλογια zum hermeneutischen Leitbegriff seiner Argumentation macht, sprengt er bereits die klassischen, in sich abgeschlossenen, logischen Gedankengänge einer göttlichen Vergeltung oder des Tun-Ergehens-Zusammenhang.552 Die Gemeindesituation in Blick besagt diese Wendung nicht, dass derjenige, der viel gibt, auch wieder viel zu erwarten hat. Vielmehr stellt Paulus den Bezug zum atl. Segensverständnis her. Wie Gen 1,28 wird die Fruchtbarkeit als Folge und Aufgabe, die sich aus dem Segen ergibt, herausgestellt.553 Jenes Wort umschreibt im Neuen Testament auch den dankenden Lobpreis Gottes.554 Dieses ευλογειν θεον ist zum festen Bestandteil religiösen Lebens geworden: der Mensch, der sein Leben in der Hand des Schöpfers weiß, kann seinen Glauben, seine Dankbarkeit und seine Hoffnung nicht besser zum Ausdruck bringen, als dass er Gott die Ehre gibt.555 Und schließlich umfasst der Segen die Aspekte der Nähe Gottes, das Weiterwirken dieses Segens durch den Menschen und die Bitte an 546 H. Schwantes, zitiert nach: Wolff, S. 183, Anm. 142. Gräßer, S. 53. 548 Vgl. Gräßer, S. 52. 549 Vgl. Wolff, S. 183. 550 Wolff, S. 184. 551 Vgl. Gräßer, S. 53. 552 Vgl. Gräßer S. 54. 553 Beyer, Art. ευλογειν, S. 754. 554 Beyer, S. 759f. 555 Beyer, S. 756. 547 121 Gott.556 So wird erst durch diese vielfältige Bedeutung von ευλογειν die Argumentation des Apostels verständlich, weil er daran verdeutlicht, dass die Gebefreudigkeit eine Verheißung hat und im Kraftfeld dieser Verheißung geschieht. 557 Das aus der LXX entnommene griechische Sprichwort Spr 22,8f. Vers 7 unterstreicht, dass Paulus kein berechnendes Verhalten intendierte. Der Aorist προηρηται hebt hervor, dass die erbetene Gabe in dem anfänglichen Eifer über sie geschehen soll.558 Καρδια ist dabei das planende, wollende, trachtende Ich des Menschen, der Mensch, sofern er begehrt559, wobei es hier auch als das Subjekt des Entschlusses verstanden werden kann.560 Es bringt um so stärker zum Ausdruck, dass es um den freiwillig gefassten Vorsatz geht.561 Und so fügt sich auch ιλαρον in diesen Gedankengang ein, das „die Freiheit und Echtheit gütigen Schenkens“ charakterisiert.562 Nur dadurch ist der Charis-Charakter der Kollekte gewährleistet: „Mit fröhlichem Herzen als Dank für erfahrene Gnade gespendet, ist sie Segensgabe.“563 Freude soll also nicht nur beim Empfänger herrschen, vielmehr wird diese nur erreicht werden, wenn sie schon beim Geber bestimmendes Element ist.564 Paulus ändert nun Spr 22,8 insofern ab, als dass er nicht das in der LXX gebrauchte Wort ευλογει ο θεος gebraucht, obwohl das doch zumindest sprachlich gut in Korrelation zu Vv. 5+6 stehen würde.565 Statt dessen wählt er αγαπα. Das fügt sich in den paulinischen Sprachgebrauch insofern ein, als dass „segnen“ für Gottes Handeln bei Paulus nur Gal 3,9 erscheint, während „lieben“ für den Apostel der angemessene Ausdruck im Zusammenhang mit der Kollekte als „Antwort des Menschen auf die ihm durch das Christusgeschehen zu teil gewordene Liebe Gottes“566 ist. Es handelt sich hier um eine bewusste Änderung im Rahmen seiner theologischen Gedankenführung.567 Nach dem ursprünglichen Wortlaut des Spruchs ist der Segen die Belohnung der Großherzigkeit, während für Paulus die großherzige Gabe Auswirkung der göttlichen Gnade und damit selbst Gottes reicher Segen ist.568 Und mit der Erwähnung der Liebe Gottes will er die Atmosphäre angeben, in der sich der heitere Geber bewegt.569 556 Z.B. Gen 49,25; vgl. Beyer, S. 753. Gräßer, S. 54. 558 Vgl. Wolff, S. 185. 559 Conzelmann, Grundriss der Theologie des Neuen Testamentes, S. 206: „Das Herz ist der Mittelpunkt des Denkens, Wollens, Fühlens.“ 560 Vgl. Gräßer, S. 55. 561 Vgl. Gräßer, S. 55. 562 Bultmann, Art. ιλαρος, ιλαροτης, S. 299. 563 Gräßer, S. 55 564 Vgl. Gräßer, S. 55. 565 Vgl. Wolff, S. 185. 566 Lindemann, Die biblischen Thoragebote und die paulinische Ethik, S. 261f. 567 Vgl. Gräßer, S. 56. 568 Vgl. Heckel, Der Segen im Neuen Testament, S. 101. 569 Gregori, Kollekte, S. 70 zitiert nach Wolff, S. 185, Anmerkung 155. 557 122 II. Die Ermöglichung der Spende durch Gott: 2. Kor 9, 8-10a Betont stellt Paulus voran δυνατει δε ο θεος und richtet den Blick auf Gott, dessen Macht allein sich genügendes Auskommen verdankt.570 Er ist es, der die Gemeinde reichlich beschenkt, dass sie die Möglichkeit haben, in jedes gute Werk zu investieren, was das fünfmalige Πας verdeutlicht. πασαν χαριν schließt dabei „die Fülle der Charismen ein, in die sich das eine, unteilbare und machtvolle Gnadenhandeln Gottes ausdifferenziert.“571 Paulus meidet den Plural „gute Werke“, weil für ihn das Gott wohlgefällige Handeln des Christen wie das Handeln Gottes an ihm eine Einheit bildet, allerdings – so hebt es die zentrale Stellung von Vers 8 hervor – auch nur dort, „wo die Herrschaft der Gnade anerkannt wird.“572 χαρις ist damit Hauptargument für die freiwillige Gabe und die entscheidende Größe in der Argumentation des Apostels, durch die aus der Bitte um Geld ein theologisches Thema wird.573 Wenn er den Begriff der αυταρκεια verwendet, dann um der traditionellen stoisch-kynischen Verwendung des Begriffs als „Zustand des auf sich selbst Gestellten, der keinerlei Unterstützung bedarf“574 zu konterkarieren, und gegen jedwede Vorstellung einer Autarkie zu wehren, die sich den Bemühungen des Menschen selbst verdankt. Wie der Stoa ist auch Paulus weniger der Erfolg des Handelns als vielmehr die Gesinnung des Handelnden wichtig.575 Durch die Hervorhebung der Autarkie als Gnadengabe wird jedoch die Paradoxie des Begriffes 2.Kor 9 deutlich: Die Abhängigkeit führt zur Unabhängigkeit. Gottes Gabe von außen ermöglicht genügsames Auskommen. Somit ist Freiheit Folge der Gnadengabe Gottes, die freilich zugleich das Ziel benennt: die Gleichheit aller Christen, die in der Zeit der überschwänglichen Gnade leben576, wodurch wieder jenes stoische Ideal der „inneren Distanz zu den Dingen, die die subjektive Bedürfnislosigkeit und Unabhängigkeit ermöglicht“577, gewährleistet ist, wenn auch – δυνατει δε ο θεος – unter ganz und gar unterschiedenen Voraussetzungen. Als Begründung für die Fähigkeit zum εργον αγαθον zieht Paulus Vers 9 Ps 112,9 heran, der vom vorbildlichen Verhalten des Gerechten handelt, das Paulus auf die korinthische Gemeinde überträgt.578 Dieser Rückbezug auf Vers 8 legt auch den Schluss nahe, dass das Zitat nicht auf Gott bezogen werden kann, „sondern nur auf den Menschen, der im Sinne von Vers 8 Gutes tut (...), indem er z.B. den Armen in Jerusalem einen ansehnlichen Betrag spendet.“579 Paulus zitiert nicht unreflektiert. Die atl. Worte haben ihren autoritativen Charakter behalten. Und so schließt 570 Vgl. Gräßer, S. 56. Klauck, S. 74. 572 Gräßer, S. 57. 573 Vgl. Schmidt, Nicht vergeblich empfangen, S. 137. 574 Bauer, Wörterbuch zum NT, Sp. 243. Vgl. auch Gräßer S. 57. 575 Vgl. Hotze, Paradoxien bei Paulus, S. 58. 576 Vgl. Gräßer, S. 57. 577 Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther, S. 259. 578 Vgl. Wolff, S. 186. 579 Klauck, S. 74. 571 123 das Zitat Ps 112,9 seinen ersten Gedankengang ab und liefert eine bestätigende, abschließende, übergeordnete Begründung. Mit der Aufnahme von Jes 55,10c Vers 10a betont Paulus noch einmal die von Gott geschenkte Voraussetzung für die Freigiebigkeit, wobei das „Brot zur Speise“ als Grundnahrungsmittel „pars pro toto für alles steht, was der Mensch braucht.“580. So wie Gott Samen zu säen gewährt, so wird er auch dafür Sorge tragen, dass die Korinther reich an den Mitteln sein werden, „aus denen die Liebeswerke als Früchte wachsen“.581 III. Die segensreiche Auswirkungen der Freigebigkeit: 2. Kor 9, 10b-14 Wachsen lässt Gott die „Früchte der Gerechtigkeit“, wobei diese Wendung Vers 10b an Hosea 10,12 erinnert und „das Gott zu verdankende rechtschaffene Verhalten, das sich in den Taten äußert“, zusammenfasst.582 Die Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem ist nur eine der Früchte, die auf solch einem Boden wachsen. Zu ihnen gehört „auch der geistliche Überschuss, von dem Paulus im folgenden so eindrücklich redet.“583 Gottes Wirken ist dabei gezeichnet von der Fülle, was Paulus durch die Verwendung von επιχορηγειν anstelle des διδοναι der LXX zum Ausdruck bringt.584 Die Beteiligung an der Kollekte kann für Paulus so nichts anderes sein als ein Handeln aus Glauben und die Gerechtigkeit ist für ihn „die Art und Richtung dieses Handelns selbst: es besteht darin, dass das Überfließen der göttlichen charis zu den Korinthern sich fortsetzt in einem Überfließen des Reichtums der Korinther ins Wirken des Guten hinein“585, weshalb Bultmann δικαιοσυνη mit Freigiebigkeit übersetzt, „dessen µενειν darin besteht, dass Gott es immer wieder ermöglicht.“586 Die Korinther werden daran erinnert, dass die „konstante Präsenz der Gnade“ sich nicht in einer rein „informellen Kenntnisnahme der χαρις“ erschöpfen darf, sondern es um ein „Teilhaftigwerden an ihr“ geht und die Kollekte damit als „Konkretion der göttlichen χαρις zu verstehen“ ist.587 Segen wirkt nicht nur ein Gefühl der Dankbarkeit, sondern konkrete Danksagung588, die sich in den Früchten der Gerechtigkeit erweist. Das passivum divinum πλουτιζοµενοι Vers 11 beschreibt diese konstante Präsenz der Gnade unter den Christen in Korinth und in Achaia: „Sie sind in ihrem absoluten Angewiesensein auf die Güte Gottes zwar arm, durch Gottes Fürsorge sind sie jedoch reich, um dort zu helfen, wo konkrete Not es erfordert.“589 Diese Hilfe ist απλοτητα, weil sie nicht auf Vorteil und Lohn 580 Heckel, S. 103. Wolff, S. 187. 582 Vgl. Wolff, S. 187. 583 Klauck, S. 74. 584 Vgl. Wolff, S. 187. 585 Gollwitzer, zitiert nach Gräßer, S. 60. 586 Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther, S. 259. 587 Vgl. Schmidt, S. 138f. 588 Vgl. Heckel, S. 110. 589 Gräßer, S. 61. 581 124 bedacht ist.590 Und nur als solche wirkt sie Danksagung vor Gott. In seiner Gnade ist die aus den Liebeswerken folgende ευχαριστια begründet, wodurch die Verherrlichung Gottes als eigentliches Ziel des apostolischen Wirkens hervorscheint.591 Die Gabe der Korinther hat dabei nicht nur die Behebung materieller Mängel zum Ziel, sondern wird von Paulus Vers 12 als λειτουργια präzisiert. Es ist weit mehr als eine decoratio appellatio, sondern hebt den geistlichen Aspekt hervor, den Paulus schon in den Versen vorher entfaltet hat. „Die Kollekte ist eine liturgische Handlung“, die als ein „Zeichen des Glaubens“ zur Gemeinschaft verbindet und „damit der Verbindung der Glaubenden mit Gott in besonderer Weise dient.“592 So kehrt durch diesen Dienst „die Dynamik des gesamten Geschehens (...) zu ihrem Ursprungsort zurück“ 593: Die von Gott empfangene Gnade ermöglicht eine Sammlung, die bei den Adressaten Danksagung hervorruft und zwar an den Ursprung allen Gebens und Empfangens, Gott. Die Spende bzw. die Spendenbereitwilligkeit ist für die Korinther die „praktische Bewährung des im Glauben Erkannten“, weswegen Paulus Vers 13 von der δοκιµη της διακονιας sprechen kann, ohne in den Verdacht zu geraten, die Spende sei Gradmesser des Glaubens.594 Denn auch diese Gabe stellt nichts anderes dar als die Unterordnung unter das Evangelium, wofür Paulus anstelle des sonst üblichen υπακοη für Gehorsam das seltenere υποταγη gebraucht. Es beschreibt ein sich vollständiges Ergeben an das Evangelium Christi, das „die Christen im Glauben an das geschenkte Heil eint und zur Bruderliebe verpflichtet.“595 Die Folge dieser Unterwerfung ist das in der Kollekte zum Ausdruck kommende Bekenntnis der Gnade Gottes, für das die Beschenkten Gott für den Gehorsam der Schenkenden loben, der sich in der schlichten Güte der Schenkenden offenbart und sich als Gemeinschaft mit ihnen äußert.596 Diese zu Tage tretende „ökumenische Verbundenheit“ bestätigt nicht allein die Legitimität des paulinischen Missionswerks, sondern auch die Einheit der Kirche aus Juden und Heiden.597 Dieser christologisch fundierte und ekklesiologisch motivierte Gedankengang des Apostels wird in Vers 14 weitergeführt. Während die Korinther ihren Willen zu gesamtkirchlicher Gemeinschaft durch die Sammlung verdeutlichen, geben die Jerusalemer ihrem Gemeinschaftswillen Gestalt in der Fürbitte für die Geber und dem Wunsch nach persönlicher Begegnung mit den Spendern: „Es soll ein Geben und Nehmen an geistlichen Gütern zustande kommen, ein ständiges Hin- und Herfließen der reichen Begnadungen, wobei jede Gemeinde ihre 590 Vgl. Gräßer, S. 61. Vgl. Wolff, S. 187. Vgl. auch Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther, S. 260. 592 Wolff, S. 188. 593 Vgl. Klauck, S. 75. 594 Vgl. Gräßer, S. 64. 595 Wolff, S. 188. 596 Vgl. Gräßer, S. 64. 597 Vgl. Gräßer, S. 64. Vgl. auch Klauck, S. 75f. 591 125 Besonderheit einbringen kann.“598 Bestimmendes Element bleibt Gottes Gnade. Selbst die Sehnsucht nach persönlicher Begegnung und die Fürbitte kommt allein durch die in der Gabe sich erweisende Gnade Gottes zustande. Zugleich wird in der Schilderung des erhofften Verhalten der Jerusalemer Gemeinde jenes Moment deutlich, das er den Korinthern schon in der Bitte um die Kollekte vor Augen hielt: Dank für die Gaben allein genügt nicht, „sondern damit einher geht auch die Verwirklichung der zugehörigen Reziprozität.“599 Gestaltet sich diese unter den Korinthern in der Weitergabe des empfangenen Reichtums, so zeigt sie sich hier in der Fürbitte, die „als eine Antwort auf das Empfangene (...) aufzufassen ist.“600 Freilich mag die V.13 erwähnte Danksagung der πολλοι noch eine ausstehende Größe sein. Jedoch erhofft sich der Apostel von diesem Zukunftsbild eine Motivation für die Korinther zur großzügigen Spende.601 IV. Dank an Gott als Ziel allen Handelns: 2. Kor 9, 15 Die abschließende Dankesformel V. 15 bringt die Hoffnung des Apostels auf die durch Gottes Gnade gegründete Einheit im Lobpreis zwischen Heidenchristen und Judenchristen zum Ausdruck, die eigentlicher Anlass zum Dank ist.602 Mit dem Gebrauch von δωρεα, das sich bei Paulus immer auf die Gaben Gottes oder Christi bezieht, betont er, dass die Kollektensammlung nur als Heilshandeln Gottes verstanden werden kann.603 Dadurch ist die Kollektenteilhabe zugleich Heilsteilhabe, weil sie sich der Gnade Gottes verdankt und sie ist für Geber wie Empfänger gleichermaßen unbeschreibliches, d.h. mit Worten aufgrund der Fülle der göttlichen Gnade nicht zu fassendes, Geschenk.604 Ziel allen Gebens und Empfangens ist deshalb der Lobpreis Gottes, „aus dem sola gratia folgt das soli deo gratia.“605 11.3 Resümee In dem Aufruf zur Sammlung für die Jerusalemer Gemeinde 2.Kor 9 wird ein Eckpfeiler der Paulinischen Theologie sichtbar: die Gegengabe ist bereits sola gratia vor der Gabe geschehen und wird von Gott auch weiterhin gewährt, so dass der Gläubige in der konstanten Präsenz der Gnade steht. Durch die von ihm gewählte Terminologie (χαρις, διακονια, κοινονια oder λειτυργια) charakterisiert Paulus die Sammlung nicht als steuerrechtliche Angelegenheit oder 598 Klauck, S. 76. Schmidt, S.148. 600 Schmidt, S.148. 601 Vgl. Schmidt, S. 153 602 Vgl. Wolff, S. 189. 603 Vgl. Gräßer, S. 67. 604 Vgl. Gräßer, S. 66f. 605 Heckel, S. 109. 599 126 sanktionierte Abgabe, sondern als einen Akt des Glaubens.606 Das Geben wird als das dem Empfangen der göttlichen Gnade komplementär zugeordneten Prinzips christlicher Existenz herausgestellt. Und gerade deshalb hat der von Paulus in V.13 angesprochene Gehorsam nicht die Absicht zu einer unkritischen Servilität zu führen, sondern will als einsichtige Weisung gehört und befolgt werden.607 Paulus rechnet 2.Kor 9 mit dem freien, sich der Teilhabe an Gottes Heil in Jesus Christus verdankenden Gehorsam, in dem schuldig zu sein und es dennoch willig zu tun, keine Gegensätze darstellen.608 Damit betont er die Ganzheit und die Konkretheit christlicher Lebensführung. Die Gläubigen stehen als die radikal Erneuerten und in allem Beschenkten nur als Ganze zur Verfügung. 2.Kor 9 kommt dies allein schon durch den fünffachen Gebrauch des Wortes Πας V.8 wie das εν παντι πλουτιζοµενοι V. 11 zum Ausdruck.609 Deshalb beansprucht er den Menschen mit allem, was er tut, ja mit seinem ganzen Trachten (προηρηθαι τη καρδια V. 7).610 Der dennoch konkrete Aufruf zur Kollekte liegt darin begründet, dass er in der Sammlung „die Ganzheit des neuen Gehorsams manifestieren“ will und die Korinther sich in der einzelnen Liebestat als ganze geben.611 In der Betonung der Gnade Gottes als Geschehen beschreibt Ulrich Schmidt den paulinischen Gedankengang als Bewegung: „Die von Gott ausgehende χάρις του θεου wendet sich den Menschen zu, geht auf diese über, drängt auf deren Veränderung, worauf diese gewissermaßen das selbst Empfangene in der Zuwendung zu anderen weitergeben, was dann schließlich wieder in Form des Dankes zu Gott zurückkehrt.“612 Damit kennzeichnet er die paulinische Kollektenbitte als theologischen Zusammenhang. Das in der Zirkulation der Gnade Gottes bestimmende „Verhältnis von göttlicher Wirksamkeit und menschlichem Tun, von Segenserfahrungen und der Segensgabe, die die Korinther weitergeben sollen“ ist Ausdruck „der paulinischen Verzahnung von Soteriologie und Ethik.“613 Eine Predigt über 2. Kor 9, 6-15 am Erntedanktag wird sich deshalb nicht in einer Aufforderung zum Teilen erschöpfen oder dies als bestimmendes Moment wählen können. Auch dann, wenn sie festzuhalten hat, dass das „Ausbleiben einer Öffnung für andere bzw. einer Zuwendung zu anderen Menschen“ für Paulus Anzeichen dafür ist, „dass die Gnade sich nicht durchgesetzt hat.“614 Wie der Apostel so wird auch der Prediger diesen Spagat wagen müssen, dass das Tun des Gläubigen keine rechtfertigende Wirkung in sich trägt, aber Nichthandeln „eine nichtende, denn wo sich kein verändertes Handeln zeigt, da ist die Gnade nicht übergeflossen, sondern versandet 606 Vgl. Gräßer, S. 68f. Schrage, Ethik des Neuen Testamentes, S. 202. 608 Vgl. Schrage, S. 202. 609 Vgl. Schrage, S. 191f. 610 Schrage, S. 193. 611 Vgl. Schrage, S. 193. 612 Schmidt, S. 140. 613 Heckel, S. 107. 614 Schmidt, S. 249. 607 127 – da ist die Gnade εις κενον empfangen worden.“615 Ein Weg dies zu erreichen bietet 2.Kor 9 insofern, als dass jeglicher Appell eingebettet ist in das Handeln Gottes sola gratia und die Reaktion des Menschen darauf sich stets dem Lobpreis soli deo gratia et gloria verpflichtet weiß. 12. Exegetische Erwägungen zu Lk 12, (13-14) 15-21 12.1 Kontext und Aufbau der Perikope Das Evangelium des Erntedanktages Lk 12, 16-21 und das diesem vorangestellten Apophthegma Vv. 13+14 ist eingebunden in drei Gerichtsreden Jesu, die zunächst Außenstehenden (11, 2912,3), dann den Jüngern (12,4-53) und schließlich dem Volk Israel (12,54-13,35) gelten. Die Perikope ist der Gerichtsrede Jesu für die Jünger entnommen, in der ein bestimmendes Moment der Aufruf wider die Furcht und die Sorge um irdische Dinge darstellt, was durch die wiederholte Verwendung der Worte „Fürchtet euch nicht – sorgt nicht“ hervorgehoben wird. Furcht ist allein gegenüber Gott angebracht, dessen Wirkungsbereich über das diesseitige Leben hinausreicht (V.5). Wenn die Jünger aufgefordert werden, frei zu sein von der Furcht das Leben zu verlieren (V 4f.), von der Sorge, was sie vor Gericht sagen sollen (V. 11), frei von der Sorge um den irdischen Besitz (V. 16ff.) und frei von jeglicher Sorge um Essen und Kleidung (V. 22ff.), dann betont Lukas in diesem Abschnitt auch das eschatologische Moment christlicher Existenz. Diese Tendenz wird verstärkt dadurch, dass nach den praktischen Konsequenzen dieser neu gewonnenen Freiheit von irdischen Abhängigkeitsverhältnissen Vv. 33f. die Bereitschaft für das Kommen des Herrn entfaltet wird. Während 12,3-12 noch eine Ermutigung zum Bekenntnis und zum Vertrauen auf die Sorge des Vaters wie des Beistandes des Geistes darstellt616, beginnt mit V. 13 eine Lehrrede zur Stellung hinsichtlich der irdischen Güter, wobei Lk bewusst eine Verbindung von dem Sprachakt des Bekennens zum Folgenden durch die „Allgegenwärtigkeit“ des Wortes „Sagen“ und der Bedeutung der Kommunikation innerhalb des Gleichnisses herzustellen versucht.617 Die Herkunft dieser kunstvoll vom Evangelisten gestalteten Perikope wird jedoch vom Vorherigen zu unterscheiden sein. Dafür spricht v.a. die verwendete Gattung der Beispielsgeschichte, die für das lukanische Sondergut typisch ist.618 Dass das Apophthegma 12,13+14 und die Beispielerzählung (12,16ff.) ursprünglich unabhängig voneinander zirkulierten, legt die Parallele zum apokryphen Thomasevangelium nahe, in dem das Apophthegma hinter die 615 Schmidt, S. 249. Vgl. Kremer, Lukasevangelium, S. 135. 617 Vgl. Bovon, Das Evangelium nach Lukas, S. 272f. 618 Vgl. Schmitthals, Das Evangelium nach Lukas, S. 144. 616 128 Beispielerzählung angeordnet ist.619 Die Lk zugrundelegende Version dürfte aufgrund der literarischen Qualität aus dem Sondergut stammen.620 Vers 15 als Überleitung und 21 als abschließende Deutung stammen wahrscheinlich von Lukas selbst.621 Im Aufbau der Perikope Lk 12, 13-21 erkennt Heininger eine „fortwährende Bewegung von außen nach innen.“622 Ein Bittsteller wendet sich Vers 13 zunächst an Jesus, worauf dieser das Wort ergreift (Vers 14) und von einem reichen Kornbauern erzählt, „der wiederum selbst zu Wort kommt und mit seiner Seele spricht.“623 Damit werden der Bittsteller, der mit seiner Erbschaftsangelegenheit zu Jesus kommt, und der Kornbauer „unsichtbar bzw. innerlich“ parallelisiert und der Schauplatz der Handlung verlagert sich „in zunehmenden Maße nach innen“: Vom Bittsteller zu Jesus, von Jesus zum Kornbauern, vom Kornbauern zur Seele, von der Seele zu Gott. Dadurch wird der thematische Schwerpunkt der Perikope als Betrachtung der „Außen- und Innendimension der πλεονεξια“ schon im Aufbau erkennbar.624 12.2 Analyse I. Das Apophthegma Jesu: Lk 12, 13+14 Ein Mann tritt aus der Menge heraus und bittet Jesus um ein Urteil in einer Erbstreitigkeit. Als διδασκαλος, als den er ihn anredet, wäre er dem auf atl. Grundlage ruhenden Erbgesetz zufolge der hierfür geeignete Ansprechpartner. Es ist auch keine ungewöhnliche Bitte, denn das jüdische Recht sah durchaus eine Teilung unter den Erben vor.625 Dagegen scheint sich der Bruder des Fragestellers jedoch zu wehren. Auch wenn eine solche Praxis des Erbteilens Tradition hat, wurde das Beharren auf die Durchführung dieser Teilung nicht gern gesehen.626 Denn es entsprach nicht dem atl. Ideal, nach dem das Erbe eines Mannes als ein Ganzes aufgefasst wurde und daher auch durch ein gemeinschaftliches Leben der Erben beisammen gehalten werden sollte.627 Der Vokativ, mit dem Jesus dem Bittsteller Vers 14 antwortet, drückt schon den Unwillen des Lehrers aus.628 Das allgemeine ανθρωπε macht die Universalität seiner Antwort deutlich: sie gilt jedem Menschen, der mit derlei Fragen und Bitten zu ihm kommt. Ihnen entgegnet er: dass er sich für solche Rechtsfragen nicht zuständig sieht. Darüber hinaus kann das 619 Vgl. Bovon, S. 274f. Bovon, S. 275. 621 Vgl. Bovon, S. 274. 622 Vgl. Heininger, Metaphorik, Erzählstruktur und szenisch-dramatische Gestaltung in den Sondergutgleichnissen bei Lukas, S. 109. 623 Heininger, S. 109. 624 Vgl. Heininger, S. 110. 625 Vgl. Grundmann, Das Evangelium nach Lukas, S. 256.; vgl. hierzu auch Dtn 21,17 und Num 27,8-11. 626 Bovon, S. 276. 627 Bovon, S. 275f. 628 Vgl. Bovon, S. 277, v.a. Anm. 35. 620 129 betonte τίς schon Verweis darauf sein, dass Jesu Sendung allein von Gott ausgeht.629 Nicht der Mensch ist es, der Jesus zu einem Amt einzusetzen vermag, sei es Richter oder Teiler, sondern Gott allein. In der scharfen Abweisung klingt Ex 2,14 an und es mag darin vielleicht auch schon eine Belehrung für die Jünger stecken, sich bei ihrer Verkündigung später „nicht in profane Rechthändel verstricken zu lassen.“630 Auf jeden Fall dokumentiert es, dass Jesus seine eigentliche Aufgabe nicht im Richten, sondern im Predigen sieht.631 Dennoch stellt Jesus in der Ablehnung der Bitte nicht die geistliche Ebene gegen die materielle, wie es der gängigen Auslegung entsprechen würde.632 Vielmehr tritt auf dem Hintergrund des atl. Ideals ein anderes Moment der Botschaft Jesu hervor. Der Bittsteller wünscht sich ein Teilen in seinem eigenen Interesse und lässt seine eigene Begehrlichkeit sprechen, die in Vers 15 mit πλεονεξια benannt wird. Gegen ein solches Teilen wendet sich Jesus. „Das Evangelium, für das sich Jesus einsetzt, ist ebenfalls ein zu teilendes Erbe, aber ein Erbe, das geteilt wird im Austeilen an die anderen.“633 Jesus lässt die Frage nach Besitz somit nur gelten, „wenn sie in der Optik des kommenden Reiches“ gestellt und vollzogen wird. Und dies ist ein Reich, das allen, die geheiligt sind, als Erbe gegeben ist (Apg 20,32) und in dem es keinen gibt, der Mangel zu leiden hat (Apg 4,34).634 Jesus lehnt menschliches Erbteilen ab, wenn aus πλεονεξια die praktische Umsetzung der Nächstenliebe vernachlässigt wird: „Ein Erbe ist zu wertvoll, als dass es (...) die Trennung provozieren dürfte.“635 II. Warnung vor πλεονεξια: Lk 12, 15 Der Blick richtet sich von dem Bittsteller wieder zu den um Jesus stehenden Menschen, die Zeugen der Bitte geworden sind. Ihnen begründet er seine Ablehnung in der Warnung vor πασης πλεονεξιας. πλεονεξια zählte im Judentum als ein Hauptlaster der Heiden.636 Der eigentlich zum Wortschatz der Briefe gehörende Begriff bedeutet der Verbform nach „mehr haben als ein anderer“ und umschreibt also eher die Gier als den Geiz. Es bringt eben jene in der heidnischen Umwelt präsente Lebenseinstellung zum Ausdruck, „dass der Mensch sein Leben erhalte und dem Tod ein Schnippchen schlage, wenn er alles für sich selber zusammenscharre.“637 Dem setzt Jesus durch die beiden Imperative ορατε und φυλασσεσθε eine um so dringlichere Warnung entgegen. Inhaltlich lehnt sie sich an die Warnung vor Habsucht urchristlicher 629 Vgl. Bovon, S. 277, Anm. 36. Kremer, S. 136. 631 So die Auslegung Luthers, vgl. Bovon, S. 291. 632 Vgl. Bovon, S. 277, Anm. 37. 633 Bovon, S. 277. 634 Vgl. Bovon, S. 278. 635 Bovon, S. 279. 636 Vgl. Kremer, S. 136. 637 Bovon, S. 281. 630 130 Lasterkataloge an.638 Lk selbst wird den Vers als Überleitung gestaltet haben.639 Als solcher kommt ihm eine Schlüsselfunktion zu. Denn er folgert aus der konkreten Bitte eines Einzelnen heraus die allgemeine Warnung vor die den Menschen irre leitenden πλεονεξια. Und zugleich erscheint V.15 quasi als Überschrift über das nun folgende Gleichnis, das die Irrwitzigkeit jenes Vorstellungskomplexes konsequent zu Ende denkt. III. Schilderung der Situation: Lk 12, 16 Den lukanischen einleitenden Worten ειπεν δε προς folgt eine für Weisheits- und Volksliteratur typische Zuweisung der Rolle: ein reicher Mensch ist der Protagonist der folgenden Erzählung. Unbestimmt wird die Situation des Menschen beschrieben. Er ist wohlhabend, weil sein Land guten Ertrag gebracht hat. Es fällt auf, dass das Gleichnis noch keinerlei wertende Tendenz in sich birgt. Im Leben der Hauptperson lässt sich nichts Tadelhaftes finden. Lukas verzichtet – anders als atl. Parallelen wie Sir 11,18f. – damit auf jegliche Wertung des Besitzes, sondern „legt stattdessen die Betonung auf den Überfluss des reichen Mannes.“640 IV. Das Selbstgespräch des reichen Mannes: Lk 12, 17-19 Angesichts der Fülle seiner Ernte beginnt der Mann ein Gespräch mit sich selbst. Als Stilmittel, um die Sorgen und Absichten des Protagonisten zu enthüllen, erscheint der, in der zeitgenössischen Literatur häufig verwendete, innere Monolog, den Lk auch in anderen Erzählungen als Ausdrucksmöglichkeit der inneren Gefühlswelt wählt.641 Die Gefühle des Mannes werden durch die Frage nach den Handlungsoptionen angesichts nicht genügend vorhandenen Lagerraums als die eines verunsicherten Mannes dargestellt, den nach unerwartet großer Ernte Angst befällt, dass etwas von seinen Früchten verderben könne. Subtil wird der Charakter des Mannes gezeichnet. Es sind „seine“ Früchte, die er sammeln will, und zwar in seine Lagerhallen. Schon hier scheidet für ihn jegliche Alternative von vorneherein aus. Der Beschluss Vers 18 ist der für ihn einzig logische Schluss: abreißen will er das Alte, Neues will er bauen. Durch das schon in der LXX gebrauchte Gegensatzpaar οικοδοµω (bauen) und καθαιρω (zerstören) betont Lukas: „Er will das abreißen, was ihm bisher entsprach.“642 Bovon stellt folgerichtig fest, die Sünde stecke nicht im Äußeren, also weder in der von Gott geschaffenen Natur, in der Kultivierung der Felder durch den Menschen, ich möchte hinzufügen 638 Vgl. Heininger, S. 108. Vgl. Schmithals, S. 144. 640 Heininger, S. 114. 641 Vgl. Lk 15, 17-19; 16, 3-4. Vgl. Heininger, S. 112. 642 Bovon, S. 283. 639 131 nicht einmal in dem Sammeln und der Aufbewahrung der Früchte, sondern in dem sehr bald εν καρδια gefassten Entschluss, die Ernte ausschließlich und alternativlos auf sich zu beziehen.643 Im Monolog findet nun ein Dialog statt, zwischen dem Mann und seiner ψυχη. Es wird hier wohl das Innenleben und damit zugleich den Menschen selbst bezeichnen, „sofern er wirklich lebt und sich dieses Lebens bewusst ist.“644 Die Rede des Mannes mit seiner ψυχη, wie auch die Vorstellung, dass diese esse und trinke hat dabei Parallelen im Psalter.645 Der Zuspruch „iss und trink“ wird dahingehend wohl nicht als fehlerhafte Einstellung des Mannes interpretiert werden können. Jedoch fällt die bewusste Entscheidung auf, nicht die Gesellschaft zu wählen, zu der Gott den Menschen Gen 2,18 geschaffen hat, sondern sich mit dem eigenen Selbst zufrieden zu geben. Diese Beziehungslosigkeit, die ohne wahres Gegenüber auszukommen versucht, führt zu der Konzentration auf ein Gegenüber des Mannes zu seinen Gütern. Dieses stellt sich damit hier als hedonistisches und narzisstisches Ausruhen dar: mache es dir bequem, iss, trink, sei fröhlich.646 Es ist eine nicht nur in Israel bekannte Lebenseinstellung, sondern v.a. in Griechenland weit verbreitete Haltung, die mit der Kürze des Lebens und der Unentrinnbarkeit vor dem Tod argumentiert.647 V. Vom Monolog zum Dialog: Lk 12, 20 Inmitten des dialogischen Monologs des Reichen tritt überraschend Gott hinzu, der ihn in sein Selbstgespräch hinein mit „Narr“ anredet und damit einen wirklichen Dialog beginnt. Dadurch wird er seiner Auf-Sich-Selbst-Bezogenheit enthoben und in einen größeren Kontext gestellt. Gott erscheint nur auf den ersten Blick als ein deus ex machina. Denn er war es, der nicht an das Netz möglicher Beziehungen gedacht hat und so ist Gott lediglich für ihn in seiner Selbstbezogenheit ein plötzlich in Erscheinung tretendes Gegenüber. „Ob wir es wünschen oder bedauern, wir sind nie allein. Das ist der Gott, der das Gegenteil eines deus ex machina ist.“648 Das literarische Mittel der Gottesrede stell hier in all der Dramatik Gott weder als Rachegott noch als strafenden Richter dar. Denn das Wegnehmen des Lebens ist nicht Strafe, sondern der natürliche Gang der Dinge. Von ihm wird zurückverlangt, was nur geliehen war, seine Seele, sein Leben, sein „Ich“. Das Zurückfordern der ψυχη greift dabei auf die in den Spätschriften des Alten Testamentes wie auch in der hellenistischen Umwelt präsenten Vorstellung „vom Leben als einem von Gott gewährten Darlehen“ zurück.649 Die „vielen Jahre“, für die der Mann plante, 643 Bovon, S. 283. Bovon, S. 284, Anm. 83. 645 Vgl. Heininger, S. 115. 646 Vgl. Bovon, S. 284. 647 Vgl. Grundmann, S. 258. Vgl. Heininger, S. 115. 648 Bovon, S. 285. 649 Heininger, S. 115f.; Vgl. dazu Sap Sal 15,8. 644 132 wird es nicht mehr geben, wobei hier weniger das unmittelbar bevorstehende Hereinbrechen der Endzeit, sondern eher der individuelle Tod in Blick genommen wird. Für diese Deutung spricht die Herkunft der Beispielsgeschichte aus der atl. Weisheit.650 Die rhetorische Frage „Was du aber besorgt hast, wem wird es sein?“ impliziert die Antwort: auf jeden Fall nicht ihm und erinnert an Sir 11,19. Das einzige Gegenüber des Mannes, seine Seele, wird es nicht ererben können. Ein anderes Gegenüber hat er nicht.651 Das hier mitschwingende memento mori richtet den Blick nun explizit auf die Beziehungslosigkeit, in der er lebte und mit der er meinte leben zu können. Das menschliche incurvatus in seipsum tritt hier zu Tage als das, was Gott nicht für den Menschen will und zwar um des Menschen selbst willen. Nicht, weil er nicht teilte, muss der Mann sterben. Nicht, weil er versäumte Gott einzuplanen, wird seine Seele von ihm genommen. Aber weil er sterben muss gehen ihm im Augenblick des Todes die Augen auf und werden auf dieses Defizit seines Lebens gelenkt. Es gibt ein Leben vor dem Tod, das mit dem Leben nach dem Tod untrennbar verbunden und perichoretisch aufeinander bezogen ist. VII. Die Moral von der Geschichte: Lk 12, 21 Vers 21 stellt nun sentenzartig fest, dass es besser sei, nicht für sich selbst Reichtümer anzuhäufen, sondern nach Reichtum bei Gott zu streben. „Der Schluss entspricht damit der für Lukas charakteristischen individuellen Eschatologie wie auch seinem Anliegen, Reichtum in den Dienst der Armenfürsorge zu stellen.“652 Eine Armenfrömmigkeit, die sich an die lukanische Gemeinde wendet und auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Bekenntnis zu Jesus Vv. 4-12 betont, dass in einer Zeit, in der viele Gemeindeglieder aufgrund ihres Bekenntnisses zu Christus Hab und Gut verloren haben, kein Christ seinen Besitz für sich selbst behalten dürfe.653 In dem Teilen der Güter vollzieht sich die implizite Forderung reich bei Gott zu sein.654 Dass Lk als Moral der Geschichte nicht das thematisch sehr nahe Psalmwort Ps 49,14 wählt, liegt wohl in dieser Forderung, mit der er schon auf das „Trachtet“ V. 33 weist.655 Basilius von Caesarea entwickelt auf diesem Hintergrund sein philanthropisches Gottesbild: „Gott hat aus Zärtlichkeit dem Reichen all diese Güter gegeben. Er wollte seine Seele zur Großherzigkeit anfeuern. Leider hat der Unglückliche die Gemeinschaft der Menschen aufgrund ihrer gemeinsamen Natur vergessen. Die göttliche Philanthropie hat also in keiner Weise eine Antwort bekommen durch menschliche Philanthropie.“656 650 Vgl. Schmithals, S. 144. Vgl. Sir 11, 17-19. Vgl. Grundmann, S. 258. 652 Kremer, S. 136. 653 Vgl. Schmithals, S. 144. 654 Vgl. Bovon, S. 288. 655 Vgl. Heininger, S. 110. 656 Bovon, S. 290. 651 133 Der die Beispielsgeschichte abschließende Vers dürfte dabei wie Vers 15 von Lukas stammen657, um zwei ursprünglich von einander unabhängige Texteinheiten (Apophthegma Vv. 13-14, Beispielerzählung Vv. 16-20) miteinander zu verbinden. Dadurch legt er den Schwerpunkt auf zwei grundlegende Momente seiner Theologie: Jesu Konzentration auf seine Sendung und seine wiederholte Warnung vor den Gefahren des Reichtums.658 12.3 Resümee In der Auseinandersetzung mit den Donatisten, die für ihn die Einheit der Kirche gefährden, betont Augustin, dass Jesus gekommen sei, um zu sammeln und nicht um zu teilen.659 Dieses Selbstverständnis Jesu zeichnet Lk durch die Verbindung des Apophthegmas Vv. 13-14 mit der Beispielserzählung 16-20. Jesus ist in die Welt gekommen, um Menschen dazu zu führen, in der Optik des kommenden Reiches zu handeln, eine Wertordnung und ein Verhältnis zum Besitz zu propagieren, das auf Gott hin ausgerichtet ist. Auch wenn der Abschnitt besitzfeindlich wirkt, geht es Lk weder um Askese noch Kommunismus.660 Schon in der atl. Apokalyptik war der Reichtum an sich nicht Gegenstand der Verurteilung, sondern die Bedrückung und Ausbeutung der Armen.661 Keine Diskreditierung des Reichtums steht im Vordergrund, sondern die Einschätzung der irdischen Güter als Gefahr für den Einzelnen.662 Lk entwirft deshalb die Kirche Jesu Christi in atl. Tradition als einen alternativen Raum, in dem „die Gegensätze mindestens insoweit kompensiert werden, dass alle Christen menschlich leben können“ und der damit schon eine Antizipation der universalen Zukunft des Reiches Gottes in dieser Welt darstellt.663 Es ist eine praktische Umsetzung der Nächstenliebe, aber auch des 12, 4-12 eingeforderten Bekenntnisses, welches das ganze Leben des Menschen umfassen soll. Bekenntnis zu Gott ist immer auch Bekenntnis zum Nächsten, mit dem der Mensch in Beziehung und im Horizont des von Jesus verkündigten Reich Gottes steht. So ist v.a. die Forderung zu innerer Distanz zum Eigentum bestimmendes Moment. Der Protagonist der Beispielserzählung ist so auf sein Haben fixiert, dass ihm letztlich das Leben entrinnt, das Leben vor dem Tod, das für ihn nur aus dem sorgenvollen Anhäufen der Güter besteht, und das Leben nach dem Tod, das ewige Leben, das er in seinen Überlegungen völlig außer acht lässt und dadurch letztlich für ihn nicht existent ist: „Es genügt zu sehen, wie die Seele als das Ich des Menschen durch das Haben so tief bestimmt ist, dass die Trennung vom 657 Vgl. Bovon, S. 288; anders: Grundmann, S. 258. Vgl. Kremer, S. 137. 659 Augustin, Sermo 358 de pace et charitate 2-3, zitiert nach Bovon, S. 290. 660 Vgl. Schmithals, S. 144. 661 Vgl. Schrage, S. 106. 662 Vgl. Schrage, S. 166. 663 Pokorny, Theologie der lukanischen Schriften, S. 193. 658 134 Eigentum ihr absolutes Ende bedeutet.“664 Dennoch bleibt festzuhalten: der Tod des Mannes ist nicht als Strafe für das Anhäufen irdischer Güter gekennzeichnet. Es ist auch nicht anzunehmen, dass er seinem Leben nur eine Spanne hinzusetzen hätte können, wenn er all seine Habe geteilt hätte. Sein Leben wäre nicht länger gewesen, wohl aber anders. Darauf zielt die Beispielerzählung, einen Lebensentwurf im Horizont des Reiches Gottes zu zeichnen, der anstelle der Beziehungslosigkeit, dem menschlichen incurvatus in seipsum, um des Menschen selbst willen zur Beziehung zu Gott und zu den Menschen ruft. Eine Predigt zu Lk 12 am Erntedanktag sollte daher auch primär das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zu Gott und zum Mitmenschen thematisieren als gegen den Reichtum an sich zu Felde zu ziehen. Denn anders als die lukanische Warnung vor Reichtum Lk 22,5 oder Apg 5,1-11 und eher im Sinne 1. Tim 6,17-19 wendet sich Lk 12 gegen die Gesinnung, das Vertrauen auf den Besitz zu setzen und darüber Gott außer acht zu lassen.665 Die sich an die Perikope anschließenden Worte Jesu vom falschen Sorgen stellen diesen Aspekt in den Kontext des Vertrauens auf Gott. Der reiche Mann ist mit Unruhe und Arbeitsdrang gekennzeichnet; Ruhe will er sich erst gestatten, wenn die Arbeit getan ist. Diese Lebenshaltung wird immer eine Vertröstung der Seele auf später sein, weil der Mensch versucht, sein Leben durch eigenes Arbeiten zu sichern und damit letztlich nie zu Ende kommen wird. „Die wahre Ruhe und die wahre Freude, der Reichtum in Gott, trachten nach einer anderen Haltung: nach einem Lieben, das gleichbedeutend ist mit Vertrauen schenken, frei lassen, nicht alles von der eigenen Warte aussehen, sich an die Steller des anderen setzen, verbunden sein, aber nicht angebunden.“666 13. Predigtmeditationen zu 2. Kor 9, 6-15 13.1 Predigtstudien zu 2. Kor 9, 6-15 13.1.1 Beate Stierle: Vollendeter Dank667 Zunächst geht es Beate Stierle darum, die Situation, der sich die Sammlung des Apostels verdankt, vor Augen zu halten. Die Kollekte für Jerusalem entspringe dem Versprechen, das Paulus „den Armen“ in Jerusalem gegeben hat, wobei seine Ziele in der Beseitigung materieller Mängel wie in der Stärkung der christlichen Gemeinschaft lägen. In seiner Argumentation betone Paulus das Säen auf Segen hin, das als ein Säen im Vertrauen auf Gottes Schöpfungskraft verstanden werden könne. Der auf Segen hin Säende „weiß um das Eingebettetsein in ein Umfeld und Netz, das wir wohl bearbeiten und beeinflussen, aber nicht letztlich beherrschen 664 Pokorny, S. 187. Vgl. Heininger, S. 118. 666 Bovon, S. 292. 667 Beate Stierle, Erntedankfest A, PrSt II/2 (2003/2004), S. 176-180. 665 135 können.“668 Jeglicher Besitz bleibe damit als Segensgabe unverfügbar. Als solche garantiere sie „Autarkie, also Unabhängigkeit von materiellen Nöten und Freiheit.“669 Damit basiere das Leben noch heute als Ganzes auf Unverfügbarem und ist Gnade. Für „moderne Christen“ hingegen sei es schwierig, die damit verbundenen Implikationen anzuerkennen. Für Paulus dagegen stelle es eine Selbstverständlichkeit dar, die vorhandenen Güter zu teilen, weil die Segensgabe Gottes allen gelte und nicht auf das Individuum beschränkt bleiben könne. Während der Mensch heute meist vom Individuum aus denke und seine Gottesvorstellungen spiritualisiert und verinnerlicht habe, denke Paulus in Gemeinschaftskategorien. Deshalb sei für ihn der Dank auch erst vollendet, „wenn nicht nur mit Freuden geerntet, sondern das Geschenkte auch weitergereicht wird und andere in den Dank einstimmen.“670 So habe der paulinische Autarkie-Begriff eine interpersonelle Komponente, konstituiert sich die von Gott geschenkte Autarkie erst in dem Zwischenraum, in dem sich der Glaube, zu dem das Handeln gehört, artikuliert. So kommt Stierle zu dem für sie zentralen Aspekt des Textes, der Koinonia. Den Begriff der Koinonia bezieht sie vor dem Hintergrund von 2. Kor 9 auf die Ökumene und darin insbesondere auf die Frage nach der Abendmahlsgemeinschaft. In der Koinonia der Abendmahlsfeier gehe es um ein symbolisches Teilen von konkreten Lebensmitteln: „Jeder und jede bekommt Brot und Wein. Jeder und jede bekommt gleich viel.“671 Dadurch werde das Abendmahl zu einem „Symbol für eine selbstverständliche Güterteilung.“ Eine solch diakonische Deutung unterstreiche, „dass selbst in einer Welt von Gewalt und Schuld das geteilte Leben Gemeinschaft und Frieden konstituieren und die Hoffnung und Vision auf eine Gegenwelt, die Welt Gottes wecken kann.“672 So plädiert Stierle für eine Predigt, die das ökumenische Bewusstsein stärkt und „Bereitschaft weckt, die Freuden und Lasten der Ökumene zu teilen.“673 Der Kasus Erntedank dient ihr jedoch lediglich dazu, über die in der Erinnerung verhafteten „ursprünglichen“ Erfahrungen des Erntens über allgemein-menschliche Ernteerfahrungen auch „Mühsal, Enttäuschungen und Verletzungen“ in der Ökumene anzusprechen. Erfahrungen gelungenen Gebens und Nehmens könnten dabei hilfreich sein, die von Gott als Segensgabe geschenkte Autarkie zu verdeutlichen, die auf Koinonia angelegt ist und sich in dieser Koinonia erst konstituiert. 13.1.2 Sybille Fritsch-Oppermann: Handreichung zum Glücklichsein674 Stärker als Beate Stierle geht Sybille Fritsch-Oppermann auf den traditionellen Hintergrund des Festes ein. Damals wie heute seien Menschen auf Stadt und Land von dem Geheimnis von Saat 668 Stierle, S. 177. Stierle, S. 177. 670 Stierle, S. 178 671 Stierle, S. 179. 672 Stierle, S. 179. 673 Stierle, S. 180. 674 Sybille Fritsch-Oppermann, Erntedankfest B, PrSt II/2 (2003/2004), S. 180-183. 669 136 und Ernte berührt. Paulus argumentiere unter Hinzuziehung agrarischer Vorstellungen, um Gottes Gerechtigkeit, „die untrennbar verknüpft ist mit Gottes Gnade“, der Gemeinde vor Augen zu halten. Es sei ein „Ansatz zu einer ‚geistlichen Ökonomie’“, den Paulus 2. Kor 9 entwirft und die durch die Betonung der Gnade Gottes zu einer „Handreichung zum Glücklichsein“ werde. Wie „Erfreuen durch Schenken“ Kern der Rechtfertigungslehre sei, werden die durch die Gnade Gottes Gesegneten selbst zum Segen und zu guten Haushaltern der Schöpfung.675 Die paulinische Argumentation basiere dabei auf der Gerechtigkeit Gottes, die den Menschen als „leise Ahnung, als steter sehnsüchtiger Schatten (...) begleitet.“ Die darin hervorscheinende Liebe Gottes zum Menschen schaffe dessen neue Identität, weil sie ihm die elementaren Weisheiten des Lebens ans Herz legt: „Du bist nicht allein; es gibt in dieser Welt noch viel zu tun. Und du kannst es schaffen, zusammen mit anderen.“676 Dieses Wissen „staunend zu ergreifen und dankend in die Tat umzusetzen“ bedeute Glück, indem es Folge der erkannten Gnade Gottes sei. Fritsch-Oppermann betont dabei die Bedeutung des menschlichen Willen 2. Kor 9,7: „Dieser Herzenswille soll es sein, der uns (...) zu fröhlichen Gebern und Geberinnen macht. Der den Dank (...) für all das, was wir im Leben erreichen, immer auch als Verpflichtung zum Weitergeben versteht.“677 So geht der Hörer am Erntedanktag den Weg vom Staunen über Gottes Gnade, über seinen Dank dafür hin den „Weg in eine Zukunft (...) in der Macht und Freiheit nicht Sache des Einzelnen, sondern einer Gemeinschaft sind, die nach dem real Nötigen zuerst fragt.“678 Ein solches Engagement sei, weil es dem Willen des staunenden und dankenden Herzen entspringt, Sache des Einzelnen in der weltweiten Gemeinschaft der Christen. So fordert Fritsch-Oppermann von der Theologie, sie müsse eine neue „reflektierte Spiritualität“ vermitteln, in der die Solidarität zu einer Herzensangelegenheit werde, die Notwendigkeit zu teilen nahe gebracht und damit diakonisches Engagement zu einem Teil des Gottesdienstes werde. Letztlich geht es ihr darum, die Unfähigkeit zu Teilen zu überwinden: „Wenn wir nur lernten zu teilen, werden uns die Ideen, woher wir das zu Teilende nehmen sollen, geschenkt werden. So könnte sie beginnen, die kleine Handreichung zum Glücklichsein.“679 Der Kasus Erntedank dient ihr dazu, das Staunen über Gottes Liebe hervorzuheben. Mit 2. Kor 9 bringt sie diese Erfahrung ins Gespräch mit der Rechtfertigung als alles Staunen, Danken und Handeln ermöglichende und motivierende Tat Gottes. 675 Fritsch-Oppermann, S. 181. Fritsch-Oppermann, S. 181. 677 Fritsch-Oppermann, S. 182. 678 Fritsch-Oppermann, S. 182. 679 Fritsch-Oppermann, S. 183. 676 137 13.1.3 Karl Foitzik: Leitfaden für ein glücklicheres Leben680 Die dem Prediger gestellte Aufgabe, den Kasus, die Empfindungen der Hörerinnen und Hörer und den biblischen Text aufeinander zu beziehen, stellt Karl Foitzik als einen Weg vom Denken zum Staunen und vom Staunen zum Danken dar. Zum einen, weil der Text eigentlich nicht zum Danken, sondern zum fröhlichen Geben ermuntere und diese Fröhlichkeit schwer zu verordnen sei in einer Zeit, in der man gewohnt sei, „alle Abschreibungsmöglichkeiten auszuschöpfen, um viel für sich zu behalten und wenig zum Gemeinwohl beizusteuern.“681 Zum anderen, weil die Hörer den Zusammenhang von Saat und Ernte 2.Kor 9 nur noch schwer mit ihrem Leben in Verbindung zu bringen vermögen. Foitzik vermeidet es, aktuelle Parallelen zu der Bedürftigkeit der Jerusalemer Gemeinde wie der mangelnden Bereitschaft der Korinther zur Kollekte aufzuzeigen. Vielmehr legt er den Schwerpunkt auf die paulinische Argumentation von der Qualität der Gabe. Aus theologischer Einsicht, nicht aus Verpflichtung, gelte es zu geben. Eine theologische Einsicht, die ihren Dreh- und Angelpunkt in dem Begriff der „Charis“ finde. Durch die Verwendung dieses Begriffes werde ein Grundzug der paulinischen Rechtfertigungslehre erkennbar: Die Charis Gottes ermögliche den Korinthern Autarkia. Und dadurch werden sie in die Lage versetzt, weiterzugeben. Diese Dankesgabe werde so Teil des Gottesdienstes: „Sie ist Ausdruck der Freude über den Dienst Gottes an ihnen und Teil des Dienstes, den Gott durch sie anderen zukommen lassen möchte.“682 Kollekte sei damit Ausdruck der Dankbarkeit für die Charis Gottes, und Kollektenpredigt damit angewandte Rechtfertigungsbotschaft. Die Empfänger hingegen sollen durch die Kollekte dankbar werden, nicht gegenüber den Spendern, sondern gegenüber Gott. So werden die Empfänger nicht zu empfangenden Objekten, „sondern zu Subjekten des Dankes gegenüber dem, von dem alles kommt, was mit ihnen geteilt wird.“683 Von dieser „Theologie der Finanzen“ aus entwickelt Foitzik einen Leitfaden für glücklicheres Leben. Einmal gelte es, in die Denkarbeit darüber einzusteigen, was jedem persönlich geschenkt wird. Glücklicher lebe der, der daraus zur Erkenntnis gelange, dass Freude bereiten selbst Freude bereitet und zwar gerade dann, wenn dies nicht aus Mitleid oder Berechnung geschehe. Das Novum der paulinischen Argumentation gegenüber der mancher Wohlfahrtsverbände liege nun darin, dass Geber und Empfangende weiterhin Subjekt bleiben und der Dank auf den zielt, von dem alles kommt: Gott. „Darin sehe ich das Ziel, zu dem der Predigttext den ‚Erntedank’ bringen möchte: (...) dass durch unser Handeln Benachteiligte aus der Not (...) befreit werden, damit sich ihre Klage in Dank verwandeln kann – in den Dank gegenüber dem, ‚ohne den nichts ist, von dem wir alles haben.’“684 680 Karl Foitzik, Erntedankfest A, PrSt II/2 (1997/98), S. 185-188. Foitzik, S. 185. 682 Foitzik, S. 187. 683 Foitzik, S. 187. 684 Foitzik, S. 188. 681 138 13.1.4 Hans-Joachim Petsch: Einer ist des anderen Glück685 Ohne Umschweife zur Sache kommen, anstatt diesen Kasus (...) erst mühsam zu legitimieren, ist das Anliegen von Hans-Joachim Petsch. Denn der Erntedank habe nichts von seiner existentiellen Bedeutung verloren und könne noch heute zum Lebensdank anleiten, „zu einem glücklichen Leben in Gottes Schöpfung.“686 Die Aufgabe der Predigt liege darin, das alltäglich gewordene hedonistisches Glücksverständnis der „Ichlinge“ aufzubrechen und mit dem Kasus und 2. Kor 9 den Weg zu diesem glücklichen Leben zu gehen. Denn das Verständnis von Glück sei heute „zum Innbegriff eines sich selbst permanent anheizenden Genießens (...) mutiert.“687 Wusste man sich früher abhängig von Gott, so laute der kategorische Imperativ der Neuzeit, für sein Glück selbst verantwortlich zu sein. Doch „das aufs Erleben fixierte Glücksideal der Moderner, in dem jeder seines Glückes Schmied sein soll, macht uns wider Erwarten unzufrieden“, weil über dem stetigen Versuch glücklich werden zu wollen, keine Zeit bleibe dankbar zu sein. Der Gegenentwurf zu solch einer deprimierender Lebensausrichtung sieht Petsch darin, das, „was in mir gewachsen und aus mir geworden ist, dankbar anzunehmen, auch wenn es nicht allen Wünschen und Zielvorstellungen entspricht.“688 Dabei sei gerade das gelassene Warten zwischen Saat und Ernte ein Weg aus der Unzufriedenheit. Denn die alleinige Ausschau auf schnelle und greifbare Resultate ist die kärgliche Saat, deren Ernte letztlich nur eigene Unzufriedenheit und damit einhergehend noch stärkere „Egomanie, Gewaltbereitschaft, soziale Kälte, (...) und andere Sorgenthemen“ sein werde.689 Das paulinische Kontrastprogramm dagegen, das wirklich glücklicher leben lasse, bringe 2.Kor 9,6b zu Gehör: Wer da sät im Segen, der wird auch im Segen ernten. Der atl. Begriff des Segens verweise dabei auf „erfülltes, glückliches Leben, das sich dankbar auf Gott bezogen und in seinem Segen begründet wissen darf.“690 Die Annahme des von Gott geschenkten Segens führe dann zu einem fröhlichen Geben. Es ist ein Programm eines altruistischen Egoismus, das Petsch anhand 2.Kor 9 entwirft und mit dem Sprichwort zusammenfasst: „Wir sind einer des anderen Glück.“ Altruistisch, denn es bedarf eines Loslassens seiner selbst, das zur Hinwendung zum Anderen und zum Teilen des von Gott Empfangenen führt. Egoistisch, weil es ja auch dem eigenen Glück dient, denn, „glücklicher lebt, wer dankbar leben, fröhlich geben und so dazu beitragen kann, dass andere Gott loben.“691 Deshalb will Petsch den paulinische Kollektenaufruf am Erntedanktag auch dem Wortsinn nach aufgreifen. Dazu möchte er zunächst die gegenwärtige Spendenpraxis mit der „Unlust“ der Korinther zur Kollekte ins Gespräch bringen, denn „damals wie heute fällt es nicht leicht, sich zu 685 Hans-Joachim Petsch, Erntedankfest B, PrSt II/2 (1997/1998), S. 188-192. Petsch, S. 189. 687 Petsch, S. 189. 688 Petsch, S. 190. 689 Petsch, S. 191. 690 Petsch, S. 191. 691 Petsch, S. 192. 686 139 einem kräftigen Griff in den Geldbeutel aufzuraffen.“692 Dann könne der Prediger bzw. die Predigerin zum Kasus überleiten. Nicht, um diesen zu legitimieren, sondern um dessen Bedeutung heute aufzuzeigen. Dies könne durch eine Gegenüberstellung des aus modernen Glücksverständnissen erwachsene egoistische Erleben und des durch 2. Kor 9 propagierten solidarischen Miteinanders geschehen. Kärglich säe, wer versucht, das Glück allein für sich zu pachten. Der Segen liege dagegen auf ein säen und ernten im Segen, das nur zu finden sei, „wenn uns neu deutlich wird: Einer ist des anderen Glück.“693 13.1.5 Helmut Eichler: Erntedank als Ausdruck geschwisterlicher Liebe694 2Kor 9, 6-15 fordert Helmut Eichler heraus zu einer Auseinandersetzung mit den (meist) problematisierenden Assoziationen zum Thema Geld im allgemeinen wie auch im Bezug auf die Skepsis gegenüber kirchlichem Geldgebaren. Den Beginn seiner Meditation bestimmt daher „jenes Unbehagen, das stets bei Bitten um Geld entsteht, ob man sie stellt, ob sie an einen selber gerichtet sind oder ob man davon hört oder liest.“695 Von dieser Skepsis gelangt Eichler zum Text, in dem Paulus sich ebenfalls einer heiklen Geldfrage zuwende. Weil er die Korinthische Gemeinde noch in der Gefahr sah, ihrem gewohnten egozentristischen Umgang mit Geld anzuhaften, stelle er in seiner Kollektenempfehlung in aller Ausführlichkeit Gott als den Geber aller guten Gaben heraus und ermahne sie im Geist Gottes mit Geld umzugehen. Das Kollektenschreiben erhalte damit eine zutiefst geistliche Dimension. Weil die Einheit des Leibes aus Juden und Griechen sich auch darin darstelle, dass ein Glied dem anderen hilft, seien die Kollektengaben „nicht Tribut, sondern Gaben der Liebe“, die für die Wirklichkeit des Reiches Gottes in dieser Welt stehen.696 Die Spannung zwischen dieser „Großartigkeit der Aufgabe“ und dem heiklen Thema Geld löse der Apostel, indem er ausführlich beschreibt, was Gott am Menschen tut. So sei eine „positive Predigt“ zum Thema Geld möglich, wenn sie wie der Apostel zur Sprache bringe: „Dieser selbstverständlich gebende Gott hat den heiteren Geber lieb, der seinem Wesen entspricht.“697 Und so könne mit 2.Kor 9 das Erntedankfest zum „Ausdruck geschwisterlicher Liebe gegenüber Israel, den Kirchen des Ostens und den Partnerkirchen in der Zweidrittelwelt“ werden. Nicht wirkungslose Höflichkeitsformen oder selbstbezogenes „DankeSagen“ sollten die Gestalt des Gottesdienstes prägen, vielmehr bedürfe „der Charakter des Gottesdienstes (...) dringend einer Neuorientierung, einer neuen Verbindlichkeit.“698 Dies könne in einer Abwendung von „alten halbheidnischen und so beliebten Ähren-, Obst- und 692 Petsch, S. 191. Petsch, S. 192. 694 Helmut Eichler, Erntedankfest A, PrSt II/2 (1992), S. 221-224. 695 Eichler, S. 221. 696 Eichler, S. 223. 697 Helmut Eichler, S. 223. 698 Helmut Eichler, S. 224. 693 140 Kürbisfesten“ geschehen und der von Eichler forcierten, Umfunktionierung des Erntedanktags zu einem „Tag der helfenden Ökumene“, deren Ursprung und Begründung in dem einen Leib Christi bestehe.699 13.1.6 Martin Hüneke: Denkende Dankbarkeit zum teilnehmenden Teilgeben700 Martin Hüneke greift die Schwierigkeiten im Umgang mit Geld auf und fragt, warum es denn gerade in der Kirche nicht möglich sei, „die theologische Begründung des Paulus in konkrete Geldbitten umzusetzen.“701 Eine mögliche Erklärung sieht er in einer zwanghaften Fixierung auf das Geld und der darin verbundene Hoffnung, im Festhalten am Geld auch das Leben festhalten zu können. Dagegen sei für Paulus die Identität des Christen als Identität im Reich Gottes im Loslassen zu finden, weswegen es ihm 2. Kor 9 auch um die Freiheit gehe, „die durch ‚Gottes unaussprechliche Gabe’ (nämlich das Evangelium von der freimachenden Gnade V. 15) entsteht und die sich auch im Teilen des Besitzes äußern kann.“702 Das Festhalten am Besitz lasse sich auch im Umgang der Kirche mit Geld immer wieder feststellen. „Natürlich geben wir, als Einzelne wie als Kirche (...). Aber der Prozentsatz unseres Gebens ist geringfügig gegenüber unserem Festhalten.“703 Auch die Frage nach der Motivation wird dabei berührt: „Schenken wir, um uns die Beschenkten zu verpflichten“ oder in der „Hoffnung, sie mögen uns lieb behalten“?704 Ein Ausweg aus dem Festhalten sucht Hüneke mit dem Gedanken, dass alles Geben im kirchlichen Kontext immer auch eine geistliche Dimension habe, wobei er mit Eichler bemängelt, „wie wenig die kirchliche Verkündigung es verstanden hat, deutlich zu machen, dass auch unser finanzieller Beitrag zur Arbeit der Kirche zu einem ‚Gewächs der Gerechtigkeit’ werden kann.“705 Das Steuerparadies, in dem der Mensch sich seiner finanziellen Verantwortung entziehe, kann er so als Gegenbild zum Reich Gottes zeichnen. Denn dort, wo geteilt wird, „schimmert ein Stück vom Reich der Liebe und der Gerechtigkeit Gottes durch.“706 Das Wortspiel „Dankbarkeit ist Denkarbeit“ führt er so weiter: „denkende Dankbarkeit führt zum teilnehmenden Teilgeben.“ Es geht ihm darum, die Gemeinde daran zu erinnern, dass sie als Empfangende an der Liebe und Freundlichkeit Gottes bereits „teilnehmen“. Weil aber diese Liebe allen Menschen gelte, erwachse aus diesem Teilnehmen für jeden einzelnen Empfangenden die Aufgabe, gerechtere Wirtschaftsstrukturen zu schaffen. Das sei als partielle Verwirklichung der Gottesherrschaft immer auch Zeugnis davon, dass der Teilende „selbst Anteil bekommen hat 699 Helmut Eichler, S. 223. Martin Hüneke, Erntedankfest B, PrSt II/2 (1992), S. 224-227. 701 Hüneke, S. 224. 702 Hüneke, S. 225. 703 Hüneke, S. 225. 704 Hüneke, S. 225. 705 Hüneke, S. 226. 706 Hüneke, S. 226. 700 141 am Reichtum des schenkenden Gottes.“707 Erntedankfest stellt für Hüneke damit sowohl Erinnerungsaufgabe wie auch den Ruf in das Teilen dar, das auch als Zeugnis von der Güte Gottes verstanden werden müsse, womit er der geistlichen Dimension der finanziellen Verantwortung der Christen, die Paulus 2Kor 9 ins Spiel bringt, Rechnung tragen will. 13.2 Göttinger Predigtmeditationen 13.2.1 Gerhard Schoenauer: Dank mit Herzen, Mund und Händen708 Gerhard Schoenauer wendet sich im Blick auf den Kasus gegen eine dualistische Anthropologie. Die Zusammengehörigkeit von „Innen und Außen, von Geist und Materie, Leib und Seele, die tiefe Verwurzelung der Seele in der äußeren Schöpfung“ sei wesentliches Moment des Festes.709 Es sei ein Fest, an dem allein schon durch den äußeren Rahmen das Leibliche nicht zu kurz kommen wird. Auch nicht durch den Predigttext, der allein schon durch sein Vokabular ein Formular für einen Gottesdienst, der diese Leiblichkeit feiere, erkennen lasse: „Zu Beginn wie ein Confiteor: Der Mensch vor Gott – kärglich, mit leeren Händen, geizig (V.5). Aber Gott ist gnädig (V.8) und der Mensch wird zum Empfänger von Gaben aus Gottes Fülle. Ein alttestamentliches Zitat schließt sich an wie eine gottesdienstliche Lesung (V.9), der eine Auslegung folgt und ein Hinweis auf das Fürbittengebet (‚für euch’) und schließlich im Lob und Dank endet.“710 So gehe es am Erntedanktag um ein „gottesdienstliches Einüben von Geben und Teilen“, Ziel sei die „Gemeinschaft, die aus der Danksagung“ und der Erkenntnis, dass „alles, was Leib und Seele zum Leben braucht, von Gott kommt“ lebt.711 Ein Schwerpunkt liegt nun auf 2.Kor 9,7 und der darin zum Ausdruck kommenden Motivation des Gebens. Wer aus Unlust gibt, bleibe am Ende ohne Segen. Nicht weil er wenig gibt, sondern weil „der Krämergeist regiert und der Rechenschieber zum Instrument im Umgang mit den Gaben Gottes“ werde.712 Weil es ein Charakteristikum des Menschen darstelle, kärglich zu säen, gilt es dem Vorwurf einer Werkgerechtigkeit Vorschub zu leisten, indem betont werde, dass Gott auch einem kärglichen Geber seine Liebe nicht entziehe. Vielmehr müsse auf den performativen Charakter der Gaben und der sich darin erweisende Liebe Gottes hingewiesen werden. Nicht auf die Gabe komme es an, sondern auf den Geber der Gabe und so betont er mit Christian Möller: „Einen fröhlichen Geber schafft in seiner Liebe – Gott.“713 Weil Gott es sei, der ein Herz und die Werke des Herzens gut machen kann, müsse sein Wirken zur Sprache kommen. So gelte es den Blick verstärkt auf die Fülle der Gnadengaben Gottes zu richten. Eine Fülle, von der es ein 707 Hüneke, S. 227. Gerhard Schoenauer, Erntedanktag, GPM 58 (2003/2004), S. 472-478. 709 Vgl. Schoenauer, S. 472. 710 Schoenauer, S. 473. 711 Schoenauer, S. 473. 712 Schoenauer, S. 473. 713 Schoenauer, S. 474. 708 142 Leichtes sei abzugeben, denn „überströmend (...) ist Gottes Gnade, wie bei einem Brunnen, dessen Schale überläuft und die nächste füllt, dabei aber selbst immer gefüllt bleibt.“714 Die Erntegaben verhelfen der Predigt zu einer solchen Einübung in die sinnliche Wahrnehmung, durch die das Reich Gottes erfahrbar werde: „Da reichen die Tische, die sich biegen unter ihrer Last, nicht nur von den Gemeinden von Achaja bis Jerusalem, sondern sie erstrecken sich bis in den Himmel.“ Angesichts einer solchen Fülle verschwinde knauserige Rechnerei und wandle sich in ein Staunen, das die Hände öffnet: „An diesem Tisch werden die Gaben hin- und hergereicht und es fällt so leicht, weil keiner verliert.“715 In diesem „Strom des Gebens und Nehmens“ seien alle guten Werke des Menschen seine und doch Gottes Werk, weil Gott sie ermögliche und dazu motiviere. In einer Predigt zum Erntedankfest werde der Blick auf die Not und den Mangel zwar nicht ausbleiben können, aber in einem anderen Blickwinkel geschehen. Der Mensch „sieht nicht, was ihm fehlt, sondern er sieht, was er alles hat.“ Dadurch werde der performative Charakter der Liebe Gottes sichtbar: Die Liebe „krempelt uns um“, sie „bekommt Hand und Fuß: eine offene Hand, die gerne gibt und einen Fuß, der dorthin läuft, wo man Hilfe braucht.“716 Der Schwerpunkt der Predigt solle deshalb auf der sich in der Fülle erweisenden Liebe Gottes liegen und sich nicht in moralischen Appellen erschöpfen. Dadurch kommt Schoenauer zum Grundtenor seiner Predigtmeditation, der aus der Danksagung lebenden Gemeinschaft, zurück, in der Gottes „überschwängliche Gnade“ an, in und durch jeden einzelnen wirkt. Wie Paulus geht es ihm v.a. um die χαρις, aus der die Gemeinschaft der Glaubenden lebt. Sie wirkt den Dank für alles Gute, aber ebenso das Teilen oder das Gebet füreinander. Mit diesem Skopus könne die Predigt mehr erreichen „als mit Warnungen vor dem weltlichen Reichtum und der Mahnung zur Genügsamkeit.“717 Der Strom der Gnade verlaufe analog Jesaja 55, 10f., indem er von Gott ausgeht, durch den Menschen fließt, den Leib satt und die Seele fähig zu guten Werken macht, er „verwandelt Gnade in Dank und fließt so wieder zurück zu Gott.“718 Dadurch werde der Gottesdienst am Erntedanktag zu einer Feier, in der „der Veranstalter Gott selbst ist und seine Gemeinde manifestiert sich im gemeinsamen Loben und Danken, Beten und Singen, Hören und in der Feier der Eucharistie.“719 714 Schoenauer, S. 475. Schoenauer, S. 476 716 Schoenauer, S. 476f. 717 Mildenberger, zitiert nach Schoenauer, S. 477. 718 Schoenauer, S. 477. 719 Schoenauer, S. 477. 715 143 13.2.2 Christian Möller: Die Herzen weit machen zur ευχαριστια720 Die Bedeutung der Kollekte für Jerusalem liege nicht allein in der Armut der Urgemeinde begründet, Paulus ginge es mehr „um die bis ins Leibliche gehende Gemeinschaft zwischen juden- und heidenchristlichen Gemeinden.“ Motivation und Intention des Gebers stellt er in den Vordergrund. So ist für Möller „lohnendes Ziel“ der Predigt, eine solche Danksagung einzuüben. Mögliche Assoziationen zum vermeintlich größten Stolperstein des Textes, 2. Kor 9,6, fasst er in die Frage: „Ist der Apostel in einer Vergeltungslehre gefangen, wenn er das Bild von Saat und Ernte auf den Zusammenhang der Kollektenfrage überträgt?“721 Der antithetische Parallelismus Vers 6 durchbreche jedoch jeden Anklang eines Vergeltungsdenken, denn „kärglich“ und „Segnungen“ entsprächen sich nicht, weil das erste ein Verhalten des Menschen umschreibe, während mit den Segnungen Gottes Taten in den Blick genommen würden. Während das menschliche Verhalten kärglich ausfallen kann, stelle Paulus das entscheidende Subjekt heraus, „das in betonter Satzstellung am Ende von V. 7 steht und ab V. 8ff. den Gedankengang der paulinischen Argumentation beherrscht: GOTT!“722 Von diesem Subjekt deutet Möller das Zitat 1.Chr 29,17 als „Einen fröhlichen Geber schafft in seiner Liebe – Gott!“ Nicht auf die Gabe komme es an, sondern auf den Geber und die Intention seines Gebens. Ein gutes Herz macht eine gute Gabe und ein gutes Herz schafft Gott in seiner Liebe. Entscheidendes Verb sei περισσευειν, das die überfließende Bewegung von Gottes Gnade zu den Menschen hin versucht zum Ausdruck zu bringen und das Möller in Verbindung mit 2. Kor 8,9 als den „fröhlichen Wechsel“ von Christi Gerechtigkeit und der Sünde des Menschen beschreibt. In den Überfluss der Gnade hineingenommen sei der Mensch zu jedem guten Werk fähig, werde er zu einem Werkzeug Gottes. Gott selbst sorge dafür, dass die Werke des Menschen „Früchte seiner Gerechtigkeit und nicht Werke der Sünde werden.“723 Früchte der Gerechtigkeit seien dabei immer auf Danksagung hin angelegt, während die Werke der Sünde „dem sich selbst schmückenden Sünder“ gelten. Gegen eine solche menschliche Aufplusterei setze der Apostel auf die Einfalt und Lauterkeit beim Geben. So werde die Gabe vom Geber gelöst und ist nicht die Gabe eines gönnerischen oder hilfsbeflissenen Menschen. Im einfältigen und lauteren Geben regiere „eine sich gegenseitig begabende Gemeinschaft der Fürbitte“, in der sich eine ευχαριστια entfaltet, „auf die der Apostel mit seiner ganzen Argumentation zielt.“724 Die Not anderer allein könne nicht jene Lauterkeit erwirken. Der einseitige Blick auf die soziale Not des Nächsten beschwöre eher den herablassenden Blick des überlegenen Gönners herauf 720 Christian Möller, Erntedankfest, GPM 52 (1997/1998), S. 446-450. Möller, S. 446. 722 Möller, S. 447. 723 Möller, S. 448. 724 Möller, S. 448. 721 144 oder verbreite eine Schwermut, die den einzelnen fragen lasse, ob er mit seiner „kleinen Kraft einer so riesigen Not gewachsen“ sei. Zu der Einfalt des Gebens komme es erst, wenn Gebender wie Nehmender „in den Überfluss von Gottes Gnade hineingeraten und sich gemeinsam von dem fröhlichen Wechsel zwischen Christi Reichtum und unserer Armut her als die Gemeinschaft reich gemachter Armer verstehen.“725 Dann gilt der Dank und der Lobpreis dem, dem sich alles Geben und Nehmen verdankt. „So wird Gnade zu einer Gnadengemeinschaft, und χαρις wird zu ευχαριστια.“726 Der Dank des Menschen als selbstvergessener Dienst am Nächsten ist die Form der Gnade, die nicht leer und vergeblich geblieben ist: „Sie ist (...) durch den Menschen hindurch gegangen, hat ihn in die Gemeinschaft mit dem Nächsten gebracht und beide so sehr in den Überfluss der Gnade gebracht, dass sie (...) zu ihrem Schöpfer zurückkehren können.“727 Für eine Predigt zum Erntedanktag ist es Möller deshalb wichtig, sich von dem oft wach gerufenen schlechten Gewissen zu entfernen und die oft verbreitete defizitäre Grundstimmung beiseite zu lassen, denn „aus Trauer und Nötigung“ folge auch nur ein „kärgliches, berechnendes, geiziges Teilen.“728 Statt dessen sollte der Prediger die Fülle von Gottes Segnungen in Blick bringen. „Es kommt (...) darauf an, das Herz der Menschen zur ευχαριστια weit zu machen im Anblick von Gottes Segnungen.“729 Als Ausgangspunkt aller Segnungen sollte dabei der fröhliche Wechsel von Christi Reichtum und unserer Armut zur Sprache kommen, der den Menschen zum fröhlichen Geber macht. Durch die Feier des Abendmahls könne der Besucher in den „Überfluss der Eucharistie“ mitgenommen werden und so „an dem fröhlichen Wechsel von Christi Reichtum und unserer Armut teilhaben.“730 13.2.3 Gottfried Timm: Teilhabe am schöpferischen Handeln Gottes731 Gottfried Timm nimmt den Prediger zunächst in die Fragwürdigkeit des Festes angesichts einer vom Steuerzahler kaum mehr zu finanzierender Rekordernte und der kriegerischen Auseinandersetzungen 1991, wodurch es schwer falle, Dank aufkommen zu lassen. Und doch lebe der uralte Ritus, das Zeichen dafür, das nichts selbstverständlich ist, weiter. Der das Jahr über arbeitende Hörer frage gerade am Erntedankfest, ob sich das Mühen gelohnt habe. Die Anerkennung geleisteter Arbeit spiele eine Rolle, denn „wie sonst kann der, der sich müht und plagt, einhalten und dankbar werden bei sich selbst und Gott?“732 Weil er Prediger angesichts der Armut und des Leides leicht in Versuchung gerate, eher den Ruf zur Umkehr anzustimmen, 725 Möller, S. 449. Möller, S. 449. 727 Möller, S. 449. 728 Möller, S. 450. 729 Möller, S. 450. 730 Möller, S. 450. 731 Gottfried Timm, Erntedankfest, GPM 46 (1991/1992), S. 373-377. 732 Gottfried Timm, S. 374. 726 145 betont Timm das „Trotzdem“ des Predigttextes. Obwohl die Gemeinden 2Kor 9 zur sozialen Unterschicht gehörten, schreibt Paulus ihnen vom ‚Reichtum in allen Dingen’.733 Diese Spannung zwischen Wirklichkeit und Hoffnung ist der Hintergrund seiner folgenden Gedanken. 2.Kor 9 gehe es dem Apostel nicht allein um Linderung materieller Not, sondern um die Einheit der Kirche. „Füreinander einstehen“ sei ein wesentliches Moment christlicher Existenz. Die Dankbarkeit vieler gegenüber Gott als Zielpunkt der Perikope zeige, dass die Sammlung auch eine missionarische Dimension habe, denn „die Frage, wie Kirche in der Welt sich darstellt, wird sich orientieren an der Frage, wie die Kirche sich für die Überwindung sozialer, kultureller und konfessioneller Trennungen einsetzt.“734 Ein Füreinander-Einstehen konkretisiere sich im Teilen der von Gott gegebenen Gaben. Somit ist Teilen menschliche Antwort auf das schaffende Wort Gottes und darin ein Mitwirken des Menschen „der Gerechtigkeit Gottes in der Ungerechtigkeit der weltlichen Strukturen zum Sieg zu verhelfen.“735 Damit deutet Timm die paulinische Relativierung des gängigen Eigentumsbegriff an, indem jede Gabe als Gabe des Schöpfers und damit seines Eigentums charakterisiert werde. Und sie geschehe im christologisch akzentuierten Verständnis des Reichtums. „Reich sein“ heiße nach 2. Kor 8,9, die Erniedrigung Christi und seinen Weg ans Kreuz zum Mittelpunkt des Lebens zu machen und von dort aus zu handeln. Alles Haben und Handeln, das Sein des Menschen, wird somit „von Christus her“ gedacht. Dadurch entspreche das paulinische „reich sein in allen Dingen“ nicht menschlichen Wert- und Reichtumsvorstellungen, vielmehr bedeute es für den Apostel, das zu haben, wonach der Mensch eigentlich sucht, das Leben. „Sein Wert bestimmt sich von Christus her und nicht nach der Frage nach dem erzielten Kapital.“736 Dadurch werde auch das Verständnis von Arbeit durch 2. Kor 9 neu definiert. Menschliche Arbeit von Christus her heiße reich zu sein zu jedem guten Werk. „Arbeit ist also die Antwort des Menschen auf den Ruf des Schöpfers (...) teilzuhaben am gerechten Verteilen seiner Schöpfergaben.“ Damit ergibt sich für Timm die Möglichkeit mit 2. Kor 9 am Erntedanktag von der Arbeit zu predigen, über die der Mensch teilnimmt „am schöpferischen Handeln des nach Gerechtigkeit suchenden Gottes.“737 Dazu gelte es, sich in der Predigt auf die Suche nach dem Evangelium zu machen, das zur Dankbarkeit führt, „das den Menschen (...) von sich und seinen (...) Fragen nach dem Sinn seines mühevollen Tuns wegführt und ihn den Wert seiner Arbeit neu sehen lässt.“738 Vor dem Horizont unerfüllter Hoffnungen solle der Predigende deshalb Momente aufzuzeigen, in denen das „andere“, spezifisch christliche Arbeits- und Wertverständnis zu Tage tritt, das sich an dem 733 Timm, S. 374. Timm, S. 375. 735 Timm, S. 375. 736 Timm, S. 376. 737 Timm, S. 376. 738 Timm, S. 376f. 734 146 von Christus geschenktem Reichtum fest macht. Diese Arbeit könne sichtbar werden in den Erfahrungen des Gebrauchtwerdens. In dem Wahrnehmen all der „unauffälligen Mitarbeiter des Schöpfers“, der nicht marktschreierisch seine Taten preist oder aufrechnet, sondern leise anzutreffen ist „und oft erst beim zweiten Hinsehen als solcher erkannt wird.“739 Am Erntedanktag geht es Timm damit um die grundlegende Unterscheidung zwischen menschlichem Arbeitsverständnis, das in der Frage nach dem erzielten Kapital verwurzelt ist und der Arbeit als Teilnahme am schöpferischen Handeln Gottes, die sich dem von Christus geschenkten Reichtum verdanke, durch den der Mensch schon vor aller Arbeit wertvoll und reich zu jedem guten Werk werde. Menschliches Arbeits- und Eigentumsverständnis laufe immer Gefahr, ein Gefühl der Wertlosigkeit zu vermitteln. Von Christus her definiertes Eigentums- und Arbeitsverständnis hingegen lauf dagegen immer darauf hin, dass viele Gott danken. 14. Predigtmeditationen zu Lk 12, 13-21 14.1 Die Predigtstudien zu Lk 12, 13-21740 14.1.1 Bernd Jörg Diebner: Auf dem Weg zu Sukkot und Päsach741 Es gäbe nichts Neues zu predigen, stellt Diebner zum Erntedankfest 1997 fest. Neu sei lediglich seine Einstellung zu Kasus und Text: „Text und Fest provozieren, ja ärgern mich.“742 Der Grund liege im Trend zur Regression: „Wir bewegen uns zurück von Päsach zu Sukkot!“, vom Fest der Neuschöpfung wieder hin zu einem alten Ernte- und Schöpfungsfest, vom heilsgeschichtlich denkenden zum naturgeschichtlich feiernden Gottesvolk. Gegen den Text resp. der mit ihm oft assoziierten negativen Beurteilung der Handlungsweise des reichen Mannes wendet er Martin Luther ein, der einen Tag vor dem Weltende, noch sein Apfelbäumchen pflanzen wollte und damit nicht anders gehandelt hätte als der Mann Lk 12,19.743 Erst durch die Miteinbeziehung der Verse 13 und 14 könne die Perikope am Erntedanktag als ein „treffendes“ Gleichnis zur Sprache kommen. Dabei will der äußere Besitz des reichen Mannes als real verstanden werden und somit all diejenigen in den Blick nehmen die über real äußeren Besitz verfügen. Ihnen gelte die Botschaft des Textes, „dass mehr Besitz als zum physischen Leben nötig, kein Schatz ‚im Himmel’ sei, nicht in Richtung auf Gott leite.“744 Auch wenn diese Botschaft nicht alle Hörer treffen werde, stelle der Mann Lk 12 dennoch Identifikationsfigur der ganzen Gemeinde dar, weil 739 Timm, S. 377. Für das Jahr 2002/2003 wurde in den Predigtstudien nicht das Evangelium Lk 12 gewählt, sondern die als Alternative vorgeschlagene Perikope Mt 6, 25-34, weswegen hier lediglich die Jahrgänge 1996/1997 und 19901991 Berücksichtigung finden. 741 Bernd Jörg Diebner, Erntedankfest A, PrSt I/2 (1996/97), S. 187-190. 742 Diebner, S. 187. 743 Vgl. Diebner, S. 188. 744 Diebner, S. 189. 740 147 sowohl Überfluss wie auch „Unterfluss“ als „Überfluss an Mangel“ verhindere, im Blick auf Gott reich zu sein, weil beides den Blick nicht auf Gott richte. Diebner schlägt deshalb vor, in der Predigt auch auf das „doppelte Gesicht“ des Herbst einzugehen. Es ist die Übergangssituation des Festes, in der an die Fülle Absterben und Tod grenzen und gute Lagerung notwendig sei, um Mangel abzuhelfen.745 In einem weiterführenden Zwischenschritt möchte er das Teilen als Mitteilen seiner selbst im Verweis auf Kommunikation und Kommunion herausstellen: „Wir geben aber mit dem „Etwas“ auch etwas von uns selbst, teilen uns beim (Ver-)Teilen selbst mit.“746 Dadurch schlägt er die Brücke vom herbstlichen Erntefest zum heilsgeschichtlichen Frühlingsfest: Päsach. Beide verhielten sich komplementär zueinander, „Gerste und Osterlamm“ stünden für das Abendmahl, in dem Jesus sich dem Gläubigen mitteile. So gelte es, beides am Erntedanktag zu bedenken: Sukkot und Päsach, Brot und Wein, versinnbildlicht und existentiell erfahrbar in der Feier des Mahls, in dem Jesus sich selbst mitteile. Dadurch erscheine Jesus als die Gegenperson zum reichen Kornbauern. Während dieser anhäufe, teile jener aus und nur so könne dem Mangel des Menschen bezüglich des Reichtums in Gott abgeholfen werden. Die Betonung Diebners liegt auf der Unverfügbarkeit dieses Handelns: „Unserem Mangel kann nur sein Geschenk abhelfen.“747 Das Anliegen Diebners ist klar: er möchte den heilsgeschichtlichen Bezug des Erntedankfestes zu Wort kommen lassen. Die Ausrichtung auf Gott hin sei das, was dem Mann Lk 12 und mit ihm dem Menschen – unabhängig des aktuellen Besitzstandes – fehle. Die menschliche Armut vor Gott ist damit für ihn am Erntedanktag das einende Band, das von Gott in ein positives gewandelt werden kann. Diese Armut im Blick auf Gott könne nur durch Jesus Christus behoben werden. 14.1.2 Gerhard Engelsberger: Erntedank als Fest zur Freiheit hin748 Provokativ konstatiert Engelsberger eine Christusfinsternis am Erntedankfest und bringt die Kluft zwischen erstem und zweitem Glaubensartikel an diesem Tag zur Sprache. Sie führt ihn zur Frage, was das Charakteristikum eines christlichen Erntedankfestes sei.749 Die Doxologie kennzeichnet er als „die einzig mögliche Redeform“, die diese Kluft zu überwinden zu vermag. Die am Erntedanktag als Gegensätze erscheinenden Topoi Kosmologie und Christologie werden in der Doxologie wieder zu der Einheit, als die sie in der Bibel (er verweist auf Kol 2,15-19) erscheinen. Bedauerlicherweise verfolgt er diesen Gedankengang nicht weiter, sondern beginnt statt dessen eine Betrachtung zu Arnim Juhres „Lied vom Denken und Danken“, die sich 745 Vgl. Diebner, S. 190. Vgl. Diebner, S. 190. 747 Diebner, S. 190. 748 Gerhard Engelsberger, Erntedankfest B, PrSt I/2 (1996/97), S. 191-195. 749 Vgl. Engelsberger, S. 191. 746 148 zusammenfassen lässt mit dem Vers: „Ich habe nicht gelernt zu schlachten – zu pflügen und zu säen – und bin doch nicht verhungert.“750 Von hier aus wendet er den Blick auf das Bild vom alten und neuen Tempel und macht es zum hermeneutischen Schlüssel seiner Überlegungen. Dem „alten Tempel“, ganz mit „irdischen“ Reichtümern gefüllt, stellt er das Kreuz als Schlussstein des neuen Tempels gegenüber. Im alten Tempel bestehe nicht das Problem der Ernte, sondern das des „tödlichen, jede Menge Energie verbrauchenden Kreislauf des andauernden Messen“, obwohl es gar nicht um irgendein „Mehr oder Weniger“ gehe. Dieser Kreislauf suggeriere ein erreichbares Ziel, wodurch der Mensch das Angewiesensein auf Gott aus dem Blick verliert und so schließlich die Liebe Gottes ausschlägt. Ein Schritt aus dem alten Tempel heraus könne am Erntedankfest durch das symbolische Freiräumen des mit Erntegaben geschmückten Altars geschehen, das Verteilen der Früchte an die Gemeinde „bis nichts mehr auf dem Altar verbleibt als Brot und Wein, deutlicher Hinweis auf den Christus, auf das Abendmahl.“751 Dadurch werde sichtbar und erfahrbar, worauf sich der Christ allein verlassen könne: auf die in Christus offenbar werdenden Fülle der Gnade Gottes. Auch könne dadurch den Besuchern der Spaß und die Freude am Teilen vermittelt werden. Dies untermauert das Anliegen Engelsberger: ein frei werden, „dass Gott in uns einziehen kann“, „mit vollen Händen teilen, mit leeren Händen danken“, um so neu von Gott empfangen zu können.752 Mit Lk 12, 22ff. stellt er fest: „Uns soll nicht die Freude genommen werden. Uns soll die Sorge genommen werden.“753 Das könne geschehen, wenn der alte Tempel, in dem die Sorge um Auskommen und Vorrat herrscht, abgerissen und damit der Blick auf den neuen, am Kreuz aufgerichteten Tempel ermöglicht werde. Damit kann er geschickt den Appell zum Teilen und den mit einem solchen Leer werden verbundenen „Gewinn“ des Teilenden miteinander verbinden und das Erntedankfest als Fest zur Freiheit hin zeichnen. Durch die gewonnene innere Distanz zu Besitz werde dem Menschen auch die Sorge darum genommen und nur wenn diese Sorge vom Menschen genommen werde, könne er befreit werden zur Begegnung mit Gott, der das Kreuz aufrichtete, damit der Mensch die Sorge um sein Haus los sei und zu einem Hausgenossen Gottes werde, der sich nicht zu sorgen braucht, ob und wie wir über den Winter kommt. 14.1.3 Brigitte Ter-Nedden-Amsler: Erntedank als Befreiung aus der Lethargie754 Inmitten der Feierlichkeit evoziere das memento mori Lk 12 die Frage „Wovon leben wir?“ und führe vor Augen: „Der jähe Tod verschlingt alles, nichts bleibt uns verfügbar.“755 Damit einher 750 Vgl. Engelsberger, S. 192f. Engelsberger, S. 194. 752 Vgl. ebd. 753 Engelsberger, S. 195. 754 Brigitte Ter-Nedden-Amsler, Erntedankfest A, PrSt I/2 (1991), S. 229-233. 751 149 geht die zweifache Charakterisierung der Früchte: „Während wir aber geneigt sind, sie im Gottesdienst als Gaben darzustellen und zu empfangen, gehen wir mit ihnen im Alltag um, als wären sie lediglich berechenbarer Besitz.“756 Durch Lk 12 werden die Gottesdienstbesucher im Angesicht dieser Gaben inmitten der „Lebensfülle (...) der Möglichkeit von Tod und Leben ansichtig.“757 Dadurch könne die im Gottesdienst vergegenwärtigte Erntezeit für die Hörer zu einer Zeit des Gerichts werden, weil ihnen vor Augen geführt werde, dass inmitten der Lebensfülle „wahres, unzerstörbares Leben“ verfehlt werden könne, wenn der Wendepunkt, ab dem die „Früchte Macht über Menschen gewinnen und in Gestalt von Mammon regieren“, überschritten werde. Unter Berücksichtigung des Kasus nun in der Perikope Dankbarkeit zu entdecken – dazu vermag ein Blick auf den Kontext zu helfen, wobei der Begriff der Gottesherrschaft hermeneutischer Schlüssel ihrer Überlegungen ist: „Lukas blickt auf die sehr ferngerückte, der Zeit entnommene, doch in ihr je und je aufleuchtende Gottesherrschaft.“758 Diese zu sehen sei notwendig, weil der Mensch sich dadurch als angewiesen auf die Gaben des Schöpfers und Erlösers begreife. „Herzensdummheit“ führe dazu, die Gaben anzuhäufen wie der Mann Lk 12 und sie damit für totes Gut zu erachten. „Herzensklugheit“ dagegen bestehe darin, aus dem von Gott geschenktem Reichtum zu leben und wahrzunehmen, dass Gott, der Schöpfer, „mehr als das zum Leben unabdingbar Notwendige schenkt, nämlich wahres Leben.“759 Die Wahrheit ist bestimmendes Moment in Ter-Nedden-Amslers Gedanken. Sie werde offenbar im Gerichtswort „Du Narr“ und zeige, dass nichts von dem, was er als beständig hält, auch beständig ist und entlarve zugleich seine Überzeugung, dass mit größeren Scheunen sich Leben horten lasse, als fehlerhaft. Zeugen der Wahrheit seien all jene, die gänzlich aus der Schöpfergüte Gottes heraus leben, wobei sie auf Lk 12,22ff. rekurriert.760 Mit Verweis auf das Himmelsbrot Ex 16 folgert sie: „Hier ist es – bereit zum Teilen und Essen, aber nicht zum Horten und um es verschimmeln zu lassen.“761 Die Torheit des Mannes Lk 12 liege damit darin begründet, dass er weder die Wahrheit der Schöpfergüte Gottes noch die ihm geschenkte Ernte als Gaben des Schöpfers und Erlösers anerkennt, weswegen er sich allein auf sich selbst und seinen Umgang mit der Ernte verlässt.762 Gerade in dieser Einstellung zeige sich, dass im reichen Mann Lk 12 „auch die oftmals ängstlichen, für Gottes Nähe blinden Jünger finden werden“ und mit ihnen auch die Hörer des Textes. Aber sie hören nicht allein das Wort des Gerichts („Du Narr“), sondern das Gleichnis im Licht der Gnade, was eine „distanzierte“ und doch reale, vielleicht auch 755 Ter-Nedden-Amsler, S. 229. Ter-Nedden-Amsler, S. 229. 757 Ter-Nedden-Amsler, S. 230. 758 Ter-Nedden-Amsler, S. 231. 759 Ter-Nedden-Amsler, S. 231. 760 Vgl. Ter-Nedden-Amsler, S. 232. 761 Ter-Nedden-Amsler, S. 232. 762 Vgl. Ter-Nedden-Amsler, S. 232. 756 150 heilsame Identifikation mit dem reichen Mann ermöglicht. Diese Identifikation im Licht der Gnade nehme nichts von der Schärfe des Textes, hohle aber die Hörerinnen und Hörer aus der Lethargie des Kornbauern heraus. Im Kontext der Jüngerrede Lk 12, 1ff. werde dies deutlich. Es zeige sich, wie die Jünger „Zeugen für die Wahrheit von Gottes Güte in Schöpfung und Erlösung“ werden (können), wenn anstelle von Angst und Sorge die Gottesfurcht trete als eine Haltung, „in der Menschen aus der gewährten Fülle leben und sich selbst verschenken.“763 Orientierung biete Jesus selbst. Er hat sich ganz auf Gott verlassen, nicht gehortet, sondern alles hin gegeben, selbst das eigene Leben. So liegt der Schwerpunkt der sich anschließenden Predigtskizze in dem Befreiungsakt, den Lk 12 am Erntedanktag ermöglichen könne. In der Wahrnehmung der Ernte als Gaben öffne sich der Mensch auf Gott hin. „Dann erwachen wir selbst aus tödlicher Erstarrung“ und werden zu Jünger Jesu, die, „ von der Wahrheit zeugen, sie weiterschenken und sich verströmen können.“764 14.1.4 Monika Schwinge: Heilsame Störung des Alltags765 Monika Schwinge differenziert hingegen stärker die Gegenüberstellung „Reichsein an Gütern“ und „Reich sein in Gott“. Das lukanische „Du Narr“ V.20 stehe der Position V.21 gegenüber. Der reiche Mann sei ein Narr, weil er sich selbst um das „reich sein in Gott“ bringe. Er sei zu sehr fixiert auf die Sorge um seine Vorräten, als dass er ohne Sorge leben könnte. Damit verschließe er sich der Wirklichkeit des Guten, das durch Gott für ihn immer schon da sei und so auch der Wirklichkeit Gottes. Auch der Wirklichkeit des Todes werde er nicht gewahr, dass er und sein Besitz machtlos ist gegenüber dem kreatürlichen Ende seines Körpers. Weil er sich all dessen nicht bewusst sei, könne er nicht reich werden in Gott, d.h. sich auf dessen Güte gründen. Den Schritt in die Gegenwart macht Schwinge an sehr ähnlichen Konkretionen fest wie dem plötzlichen Verlust des Ehepartners oder dem allgemeinen Alltagsstress. Zu Recht gibt sie zu Bedenken, dass nicht jeder am Erntedanktag an solch alltägliche Erfahrungen erinnert werden möchte. Aber so störend der Ruf „Du Narr“ in die Gemeinde halle, mag er doch Positives wirken, „wenn er dazu führt, dass wir (...) anfangen, den Lebensalltag im Horizont des Erntedanks neu zu sehen. Der Anruf ‚Du Narr’ ist die Chance für uns, von der Torheit zur Wahrheit zu kommen.“766 So kommt auch Schwinge auf den Begriff der Wahrheit zu sprechen. Ein schöner Herbsttag sei Zeuge der Wahrheit, denn er bewege nicht allein Danke zu sagen, sondern führe auch die Vergänglichkeit kreatürlichen Daseins vor Augen und vermittle zugleich, „dass auch alles Fallen 763 Ter-Nedden-Amsler, S. 233. Ter-Nedden-Amsler, S. 233 765 Monika Schwinge, Erntedankfest B, PrSt I/2 (1991), S. 234-237. 766 Schwinge, S. 235. 764 151 von Gott dem Herrn umfangen und aufgefangen wird.“767 Der Blick auf die Wahrheit des Lebens sei damit ein „Blick für die Fülle des Guten, das dankbare Genießen und ebenso der Blick auf das Ende in getroster Zuversicht.“768 Das solle kein „momentweises Ahnen“ einmal im Jahr am Erntedankfest bleiben, sondern in den Alltag bestimmendes Moment werden. Dieser Güte bewusst und getröstet im Blick auf das Lebensende, werde der Mensch befreit von der Fixiertheit auf sich selbst. Über die Hinwendung zu Gott werde der Mensch auch „weitherzig und großzügig mit dem, was wir haben, bereit auch abzugeben und zu teilen.“769 14.2 Göttinger Predigtmeditationen 14.2.1 Gerhard Hennig: Erntedankfest in Eden770 Gerhard Hennig stellt zunächst die Problematik des Tages heraus, dass das Erntedankfest durch den Wegfall der Erntebetstunde nunmehr beides übernehmen müsse: den Dank für das Empfangene wie die Bitte für das Empfangen in der Zukunft. Wie Bitte und Dank wesentlicher Bestandteil des Glaubens seien, so dürfe sich auch das Erntedankfest nicht im Dank oder der Bitte um das tägliche Brot erschöpfen, sondern beziehe sich „auf den Gang des Jahres selbst“, auf „vergangene und zukünftige Zeit“, auf das über das Jahr Gewordene ebenso wie auf das, „wie das Jahr und das Leben überhaupt weitergehen kann.“771 Dadurch richte sich der Dank auf die Verlässlichkeit des Auskommens, auf die „Lebenskraft und Lebensperspektiven, die sich mit dem Dank für all jene Lebensmittel verbinden, die Voraussetzung, Vorgabe für die kommende Zeit sind.“772 Damit habe das Erntedankfest zwei Perspektiven: den Dank für die Lebensmittel und den Dank für Lebenszeit. Dieser Dank sei der Inhalt des Erntedankfestes und dürfe nicht durch den Gedanken des Teilens überlagert werden.773 Den Vorüberlegungen folgt eine bewusst kontextlose Betrachtung der Perikope. Die Pointe des Textes, das „reich sein bei Gott“, nehme dem ohnehin schon „negativem Profil der Perikope“ etwas von seiner Schärfe. Die Verse 19f. stellen für Hennig den Höhepunkt dar, dessen Charakteristikum er zusammenfasst: „Der Bauer redet mit seiner Seele, doch mit dem Bauer redet Gott.“774 Durch das Gespräch mit der Seele trete der Mensch zu sich selbst in Beziehung, in die „elementarste Form menschlicher Selbstreflexion.“ Der Inhalt des Gesprächs sei nicht verwerflich, sondern entspreche biblischen Vorstellungen, indem es den „Ruhestand als die 767 Schwinge, S. 236. Schwinge, S. 236. 769 Schwinge, S. 237. 770 Gerhard Hennig, Erntedankfest, GPM 57 (2002/2003), S. 452-458. 771 Hennig, S. 452. 772 Hennig, S. 453. 773 Vgl. Hennig, S. 453. 774 Hennig, S. 454. 768 152 Vollendung menschlichen Lebens“ zeichne.775 Die theologische Defizienz zeige sich nun darin, dass der Bauer die Ruhe für die Seele im Blick auf die Ernte und nicht in der Beziehung auf Gott suche. Diese „Selbstverabredung“ funktioniere nicht, weil Gott sich nicht das Wort nehmen lasse. Nicht um ein schlichtes memento mori gehe es Lk 12. Der Bauer werde auch nicht für das getadelt, was er getan hat, „sondern für das, was er dabei nicht getan hat: sich nicht seines Gottes, des Willens und der Verheißung vergewissert (...) zu haben.“776 Lebensgewissheit und Lebenssicherheit stellen Grundpfeiler der lukanischen Argumentation dar: „Seines Lebens sicher und gewiss ist der, der sich selbst als Gabe und Zeugnis der Güte Gottes aus Jesu Hand empfängt.“777 In der Aufnahme einer Erntedankpredigt Theo Sorgs stellt Hennig die Verbindung von Kasus und Text her. Sorg zeichne ein „Erntedankfest jenseits von Eden“, bei dem auf der einen Seite der Überfluss und auf der anderen Seite der Mangel stehe. Ein solches Fest sei wie Lk 12 ein Fest der Gegensätze. „Reich und dennoch arm“ bildet den ersten. Reich sei der Mann an Besitz, arm an Beziehung, denn „wer nur an sich selber denkt, isoliert sich von Gott und den Menschen.“778 Klug und dennoch töricht ist der zweite Gegensatz. Klug sei der Mann, denn er geht überlegt ans Werk. Töricht, weil er das „entscheidende Gottesgebot verletzt: Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter (...) neben mir haben.“779 Weil es Lk 12 um das Leben selbst gehe, müsse das, was das Leben selbst im Blick auf den Tod sichert, bedacht werden. „Und darum haben wir heute die Lebensmittel nur an die Seite des Altars gelegt, auf dem in der Mitte die Zeichen des Lebens stehen: die aufgeschlagene Bibel und die Abendmahlsgeräte.“780 Reich sein bei Gott bedeute durch Wort und Sakrament aus Gottes Hand zu leben, denn „niemand lebt davon, dass er viele Güter hat. Aber alle leben wir davon, dass Gott gut zu uns ist.“781 Predigen am Erntedanktag bedeute so, „sich auf den Anlass des Tages einzulassen, sich selbst im Reichen Kornbauern (...) wieder zu erkennen“ und sich dadurch „selbst neu zu empfangen, reich und selig zu werden im Aufblick und Aufhorchen auf die ‚Zeichen des Lebens’.“782 Dies entspreche einem Erntedankfest in Eden, das in den Lobpreis münde: „Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit.“ 14.2.2 Robert Schuster: Erntedank als Intervention783 Der Meditation zu Lk 12 schaltet Schuster den Verweis auf die allen Menschen einende und biblisch fundierte conditio humana der bedürftigen Seele vor. Das Bedürfnis der Seele „nach 775 Hennig, S. 454. Hennig, S. 455. 777 Hennig, S. 455. 778 Hennig, S. 456. 779 Hennig, S. 457. 780 Hennig, S. 457. 781 Hennig, S. 457. 782 Hennig, S. 457. 783 Robert Schuster, Erntedankfest, GPM 51 (1996/1997), S. 434-439. 776 153 Luft, nach Essen und Trinken“ dürfe nicht ausgeblendet werden.784 Das Abweisungswort Lk 12, 13f. sollte daher nicht als Warnung vor Habsucht generalisiert werden, sondern müsse in seiner Funktion als Überleitung ernst genommen werden, die den Hörern „aufhorchen“ lasse.785 Im Horizont dieser Episode könne Lk 12 als Exempel charakterisiert werden, das menschliche Erfahrungen zur Sprache bringe und dadurch mehr sein will als ein abschreckendes Beispiel. Es sei das „Paradigma einer verlorenen menschlichen Existenz“, das nicht Moralisierung, sondern die Anteilnahme der Hörer evoziere. Denn in der Frage „Was soll ich tun“ sei der Hörer mit der Sorge, die ihn täglich bewegt, mitgedacht, er erkenne sich selbst darin wieder. Die Sorge kreise dabei um das Sammeln. Der Mensch ist Sammler, nicht aus Habsucht, sondern aus Not heraus, weswegen der Mann Lk 12 „mit uns allen in einer Tradition“ denke und „deshalb keineswegs so einsam“ sei, wie Interpretationen ihn sehen. Ein weiteres Grundbedürfnis des Menschen werde durch den Dialog des Mannes mit sich selbst offenbar. Der Mann spreche sich selbst Zeit zu, er wage zu denken, was ihm „als Teil all seiner Mühe und Sorge zusteht.“786 Es sei ein Leitgedanke menschlicher Ökonomie, „was gewonnen ist, zu konservieren an Zeit“, das dann „der Seele zugute kommen und von ihr genossen werden“ soll.787 Nun werde aber gerade daran deutlich, was der reiche Mann Lk 12 übersehen hat. Psalm 90,12 betone: Gott selbst muss der Lehrer werden, damit der Mensch klug werden kann. „Wie diese Psalmrede stellt die Geschichte Lk 12, 16-20 die Seele des Menschen vor Gott, und nicht nur der Tod fordert sie für sich, sondern Gott selbst.“788 Damit habe diese „letzte Lektion“ nicht die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit zu ihrem Ziel, sondern die Erkenntnis Gottes. Diese sei insofern mit dem lukanischen „reich sein bei Gott“ gleichzusetzen, als dass es die Erkenntnis dessen sei, was der Mensch von Gott zu erwarten habe. „Er will zu unserer Seele sprechen, ihr zusprechen: du sollst leben.“789 Wenn Gott dies der Seele nicht zuspricht, wird der Mensch „nicht einen einzigen Sabbat herausschlagen, keine Stunde des Aufatmens und der Freude.“790 So gelte für die Predigt Lk 12 am Erntedanktag: „Das Evangelium des Textes werden (...) wir nur hören können, wenn wir nicht die moralischen Auswege aus ihm gehen, sondern mit diesem reichen Mann bis zum Ende gehen“ an dem „Gott anfängt, zu ihm zu sprechen.“791 Dann werde Lk 12 als Evangelium zur Intervention, die menschliche Rede unterbrechen will, um hören zu lassen, wie Gott für den Menschen spricht. Weil die Predigt diesen Zuspruch an die Seele wiederholen und die Zuhörer lehren soll, diesen Zuspruch zu wiederholen, empfiehlt er das 784 Vgl. Schuster, S. 434. Vgl. Schuster, S. 435. 786 Schuster, S. 437. 787 Schuster, S. 436f. 788 Schuster, S. 437. 789 Schuster, S. 437. 790 Schuster, S, 437f. 791 Schuster, S. 438f. 785 154 lukanische „Sorget euch nicht“ V. 22ff. zur Perikope hinzuzunehmen. Aus dem Zuspruch erwachse die Aufgabe und Verantwortung, dass der Einzelne wie die Gemeinschaft sich gegenseitig dieses Zuspruchs vergewissere, dass der andere „nicht sich selbst und seinem inneren Reden überlassen“ bleibe, sondern ihm in seiner Frage „Was soll ich tun?“ bezeugt werde „Sorge dich nicht!“ 14.2.3 Eberhard Kerlen: Erntedank als heilsame Infragestellung792 Kerlen setzt sich zunächst kritisch mit den vielfältigen Deutungen der Perikope auseinander. Die Planung neuer Lagerhallen wie der Entschluss, der Seele nach der Arbeit Ruhe zu gönnen, stellten lobenswertes Handeln dar und verböten die Deutung des Mannes etwa als „Workaholic“. Auch Charakterisierungen des Mannes als egoistisch, geizig oder unsozial weist er zurück, eher müsse man aufgrund der Textbasis konstatieren: „Der Mann hat den Segen Gottes erfahren.“793 Die fehlende Erwähnung des Dankes und die u.U. zu diagnostizierende Gottvergessenheit führe in der Frage nach der Torheit nicht weiter. Das Selbstgespräch des Mannes beschreibe für Kerlen weniger die Vermessenheit des Mannes oder dessen faktische Gottlosigkeit als vielmehr die Gefühle, die ihn bewegen, weswegen Kerlen sich weigert, dem Mann „ein anthropologisches Defizit, meinetwegen auch in frommer Variation, nachzuweisen.“794 Umso plötzlicher erscheine die Ankündigung des Todes, die den Mann aus allen Plänen und Vorhaben reiße und für ihn das abrupte Ende bedeute. Jedoch: auch memento mori und carpe diem scheiden als Deutung aus, denn all das sich damit Verbindende wollte der Mann ja tun: „Er freute sich auf das Erntedankfest – und starb in der Nacht vor dem Erntedankfest.“795 Den Dank habe er nicht aus dem Auge verloren, jedoch die Verhältnisse zwangen ihn, „noch einmal in die Hände zu spucken“ bevor es die Ruhepause gab, zu einem „Noch-Mehr“, vielleicht zu einem „Zu Viel“, das seine physischen psychischen Kräfte überstieg.796 Die Rahmenverse 15 und 21 bieten für Kerlen eine Deutung auf die Frage nach der Torheit des Mannes. Gerade die darin geschaffene Gegenüberstellung „Reichtum in den Vorräten“ und „Reichtum in Gott“ lasse den „Duktus von V. 15-21 erst einmal als eine einzige Verlegenheit“ erscheinen, der von den, den Text bestimmenden, Negationen herrühre. Dies herauszustellen sei wichtig, denn die Position des Textes liege in dieser „rätselhaften Schärfe“ und sei nicht darauf angelegt, „noch eine sogenannte positive Antwort zu bringen.“797 Vielmehr ginge es Lk 12 darum aufzurütteln, den Menschen in Frage zu stellen und im Menschen so einen Hunger nach 792 Eberhard Kerlen, Erntedankfest, GPM 45 (1990/1991), S. 391-396. Kerlen, S. 392. 794 Kerlen, S. 393. 795 Kerlen, S. 393. 796 Vgl. Kerlen, S. 393f. 797 Kerlen, S. 394. 793 155 alternativem Reichtum und Leben zu wecken.798 Weil der Text „nur die Funktion der bohrenden Frage“ habe, warnt Kerlen vor entschärfenden Erklärungen, sei es, dass „dargelegt wird, wie besser mit Reichtum umgegangen wird“ oder „was unter ‚Reich sein auf Gott hin’ zu verstehen sei.“799 Jede positive Erklärung würde der Negation des Textes als dessen Position widersprechen und die Infragestellung als wesentlichen Bestandteil des Evangeliums verdecken.800 Wie Jesus Mt 19 den Jüngling mit der Unmöglichkeit menschlichen Bemühens, in das Himmelreich zu kommen, konfrontiere, so formuliere Lk hier die Gegenposition der Herrschaft Gottes. In einer solchen radikalen Infragestellung des Einzelnen sei hier das Woher dieser Gegenposition nötig zu hören, das Kerlen Lk 12, 31f. sieht. Die Negation allen menschlichen Bemühens Lk 12 erhalte dadurch ihren Sinn und fordere jeden einzelnen heraus. Ihm stelle sich Frage, ob für ihn das gleiche gilt wie für den Mann Lk 12, der sich nicht durch sein defizitäres Wesen auszeichne, sondern dessen Leben schlicht nicht existent ist. „Dem Leben des reichen Unternehmers fehlt nicht Einiges, sondern Alles: das Leben in der Herrschaft Gottes.“801 Einen Ausweg aus der Problematik, am Erntedanktag über diese Infragestellung des Menschen zu predigen, will Kerlen nicht geben. Denn die Perikope habe darin einen heilsamen Ruf, dass sie den Hörer erahnen lasse, dass es noch einen anderen Hunger gibt, der gestillt werden will, einen ganz anderen Reichtum, der sich fundamental von dem am Erntedanktag vergegenwärtigten Reichtum unterscheide. Es gilt daher, den Text im Kontext des Kasus „mit Zittern und Zagen zu wagen“, sich der heilsamen Infragestellung auszusetzen und letztlich darauf zu kommen „Bei die Menschen ist’s unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich.“ (Mt 19,26) 802 15. Predigten zu 2. Kor 9, 6-15 15.1 Vertrauen ist der Anfang von allem: Jörg Arndt Erntedankfest 2004 15.1.1 Der Prediger und seine Gemeinde Jörg Arndt wurde 1961 geboren und ist seit 1993 in Havetoft bei Flensburg Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde. Von seinem Elternhaus hat er eine eher volkskirchliche Prägung erhalten und eher aus philosophischem Interesse heraus das Theologiestudium begonnen. An der Universität begegnete er „entschiedenen Christen“, die ihm von einem persönlichen Zugang zu Jesus Christus berichteten. Arndt formuliert die Folgen so: „Auf einer Tagung des Marburger Kreises kam es zum persönlichen Durchbruch: ich habe Jesus mein 798 Vgl. Kerlen, S. 394f. Kerlen, S. 395. 800 Vgl. Kerlen, S. 395. 801 Kerlen, S. 396. 802 Kerlen, S. 396. 799 156 Leben übergeben – und in Folge nur gestaunt, was er daraus gemacht hat. Fortan ist es mein Anliegen geworden, auch anderen Menschen den Weg zum Glauben zu zeigen.“ Nach dem Studium in Hamburg, Heidelberg und Kiel, absolvierte er das Vikariat in Bredstedt und kam dann als Pfarrer zur Anstellung nach Havetoft bei Flensburg. Havetoft ist eine sehr dörfliche Gemeinde mit 1800 Seelen und besteht aus den drei Dörfern Havetoft, Klappholz, Havetoftloit. Sie liegen zwischen Schleswig und Flensburg (je ca. 25 km entfernt). Es gibt einige wenige Handwerksbetriebe. Geschäfte, Banken etc. haben sich aus der Fläche zurück gezogen. Landwirtschaftliche Betriebe werden auch weniger, da die kleinen Betriebe nicht mehr lebensfähig sind, bzw. sich kein Nachfolger für sie findet. Um die Jahrhundertwende zum 19.Jahrhundert gab es in dieser Region eine Erweckungsbewegung, die bis heute noch spürbar sei. Über moderne Gottesdienste, Glaubenskurse, Hauskreisarbeit etc. hat sich mittlerweile eine ganz ansehnliche Schar „derer, die mit Ernst Christ sein wollen“ zusammen gefunden. Die Gottesdienste sind mit 70-80 Besuchern überdurchschnittlich gut besucht. In den letzten Jahren mehren sich die Besucher aus anderen Gemeinden. Die Parochiegrenzen werden überschritten. Es kommt zu Umgemeindungen. Als einen mutigen Schritt bezeichnet Arndt den Bau des Gemeindehauses, für den die Gemeinde ihre gesamten Rücklagen aufgelöst und vieles in Eigenleistung erbracht hat. 15.1.2 Die Predigt zum Erntedankfest 2004 5 10 15 20 25 „Vertrauen ist der Anfang von allem“ - das war vor einigen Jahren mal der Werbeslogan der deutschen Bank, und ich denke, dass dieser Satz eine prima Überschrift für das ist, was mir für heute wichtig geworden ist. Der Zusammenhang ist zwar nicht so auf den ersten Blick zu erkennen, aber ich hoffe, dass Sie mir spätestens am Ende der Predigt zustimmen werden. Es geht ja heute um den geheimnisvollen Zusammenhang zwischen Saat und Ernte. Es geht um Erntedank, es geht darum, sich wenigstens einmal im Jahr klar zu machen, dass nichts im Leben selbstverständlich ist. Es ist nicht einmal selbstverständlich, dass wir leben, sondern es ist Geschenk. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir zu essen haben – auch wenn wir dafür gearbeitet haben. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir Arbeit haben, dass wir gesund sind – all das ist ein Geschenk, für das wir heute danken wollen. Danken ist eine Form, sich etwas bewusst zu machen. Ich glaube, dass wir diese Bewusstmachung gerade in unserer heutigen Zeit bitter nötig haben, denn die Zeit in der wir leben, ist von Jammern und Klagen geprägt und das schlägt aufs Gemüt. Natürlich ist es übel, dass unsere Konjunktur nicht so recht in Gange kommt, dass so viele Menschen ohne Arbeit sind, dass alles teurer geworden ist durch den Euro, auch wenn das statistische Bundesamt meint, es wäre nicht so. Natürlich freue ich mich nicht darüber, dass man mir mein Urlaubsgeld und einen Teil des Weihnachtsgeldes gestrichen hat, ich freue mich nicht darüber, dass wir in absehbarer Zeit damit rechnen müssen, mit anderen Kirchenkreisen zusammengelegt zu werden, im Gegenteil, mir wird angst und bange, wenn ich daran denke, dass unser Kirchenkreis, der finanziell immer noch recht gut dasteht, mit Flensburg oder Schleswig oder beiden zusammengehen soll, wo deren Finanzen schon seit Jahren im Keller sind. Natürlich frage ich mich, was das für Auswirkungen auf unsere Gemeindearbeit haben wird, aber alles Jammern und Klagen wird diese Situation nicht verändern. Es wird nur Energie rauben. Darum möchte ich lieber danken für das, was ich habe, anstatt zu klagen über das, was ich nicht habe. Erntedank lädt dazu ein. Erntedank ist ein Dank an den Schöpfer des Himmels und der Erden, dass er uns nicht nur das Leben geschenkt hat, sondern uns dieses Leben auch erhält. 157 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 Erntedank ist aber auch ein Dank an alle Bauern für ihren Dienst, den sie an der Gesellschaft tun. Ich finde es wichtig, dass das mal gesagt wird und bitte es denen weiterzusagen, die zwar mit der Landwirtschaft zu tun haben, aber heute Morgen nicht hier sind. Dieser Dank kommt nämlich in unserer Gesellschaft zu kurz. Da wird den Bauern ja etwas anderes vermittelt. Ihnen wird signalisiert, dass ihre Arbeit nicht viel wert ist. Sie bekommen zum Teil lächerliche Preise für ihre Erzeugnisse und auch wenn noch Subventionen dazukommen, bleibt es doch dabei, dass in unserer Gesellschaft Geld immer auch Anerkennung ist, so dass ihnen praktisch gesagt wird: mehr ist uns eure Arbeit nicht wert. Und ganz ähnlich ist es wohl auch zu verstehen, wenn sich mehr Geld damit verdienen lässt, eine Fläche still zu legen, als sie zu bewirtschaften; das Signal heißt doch: eure Arbeit ist uns nichts wert. Sicherlich mag es eine politische Ebene geben, auf der das alles sinnvoll erscheint – ich verstehe zuwenig von Wirtschaft, um das beurteilen zu können – aber ich verstehe genug von Menschen um sagen zu können: so kommt das an. Das Ganze erinnert mich an meine ersten Erfahrungen als Straßensänger. Ich hatte mich mit meiner Gitarre in die Fußgängerzone gestellt und angefangen zu singen - und es dauerte gar nicht lange, da kam einer aus dem Geschäft, gab mir etwas Geld und sagt: „Da hast du, aber nun zieh weiter“. Als wenn das alles noch nicht schlimm genug wäre, sind da noch die Bürokraten, die den Bauern ihren Lebensstil aufzwingen, so dass sie immer mehr Zeit am Schreibtisch verbringen müssen, um den ganzen Papierkrieg zu erledigen, anstatt das zu tun, wofür ihr Herz schlägt. Darum an dieser Stelle: ein herzliches Dankeschön an alle, die sich nicht entmutigen lassen, die weiter machen, die dafür sorgen, dass wir zu essen haben, ja mehr noch, die dazu beitragen, dass wir jedes Jahr eine schöne Rapsblüte erleben, dass wir Zeugen sein dürfen für das Wunder von Saat und Ernte, dass wir echte Kühe auf den Weiden sehen können und in einer wunderbaren Landschaft leben. Das alles ist nicht selbstverständlich. Ich genieße es sehr, wenn ich samstags spazieren gehe, um meine Predigt zu schreiben und komme dann an einem Feld vorbei: erst ist es gepflügt, einige Zeit später kann man es sprießen und wachsen sehen, dann kommt irgendwann die Ernte, das Feld ist stoppelig, wird dann wieder gepflügt - es ist ein Stück Seelenkultur, das mitzuerleben. Und dazu brauchen wir Bauern. Sie sind an dieser Stelle Mitarbeiter Gottes. Vor kurzem hat mir jemand einen netten Witz erzählt: ein Pastor macht einen Besuch bei jemandem, von dem er weiß, dass er mit dem Glauben nicht viel am Hut hat. Er möchte aber doch so gerne mit ihm ein Glaubensgespräch führen und sucht nach einem Anknüpfungspunkt. Schließlich zeigt der Mann ihm seinen Garten und man merkt, wie stolz er darauf ist. „Das ist meine Chance“, denkt der Pastor und sagt: „Ist es nicht wunderbar, wie unser Schöpfer alles so herrlich wachsen lässt?“ „Ja, das stimmt schon“, meinte der Mann, „aber sie hätten mal sehen sollen, wie es ausgesehen hat, als der Schöpfer hier noch alleine am Werk war!“ Der Zusammenhang von Saat und Ernte, um den es heute geht, ist ein Grundprinzip unseres Lebens – er gilt nicht nur auf dem Feld und im Garten. Er gilt in den Beziehungen zu anderen Menschen – was man da aussät, wird man ernten, im Guten wie im Bösen. Er gilt in der Wirtschaft – wer nicht sät, wer nicht investiert, der kann auch nicht ernten. Oder wie Paulus im heutigen Predigttext schreibt: „Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten, und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen.“ Nun ist das ganze ja kein 1:1 Zusammenhang. Keiner weiß bei der Saat, ob und wie viel er ernten wird. Er geht ein Risiko ein. Er sät im Vertrauen darauf, dass er auch ernten wird – deswegen ist mir dieser Satz so wichtig geworden: „Vertrauen ist der Anfang von allem.“ Wenn das Vertrauen weg ist, dann kann ich den Laden zu machen. Das Vertrauen ist die Grundlage von allem. Auch das gilt in vielen Bereichen unseres Lebens: Wenn in einer Beziehung das Vertrauen gestört ist, dann mag keiner mehr investieren, keine Zeit und kein Gespräch und erst recht kein Gefühl – und dann zerbricht die Beziehung. Ohne ein gewisses Maß an Vertrauen ist kein sinnvolles Leben möglich. Da war ein indischer Bauer, der war ganz traurig zum Erntedank. Er hatte keine Ernte. Ein Freund versucht ihn aufzumuntern und fragt: „Hast du nicht wenigstens ein paar Süßkartoffeln geerntet?“ – „Nein“, sagt der Mann, „ich habe keine gepflanzt, ich hatte Angst vor Ungeziefer.“ „Und wie ist es mit Mais?“ – „Nein, ich hatte Angst, dass wir nicht genügend Regen kriegen.“ „Und Baumwolle?“ – „Nein, auch nicht, ich hatte Angst, dass die Preise wieder so in den Keller gehen.“ – Vor lauter Angst hatte dieser Bauer nicht gesät und nicht geerntet. Und so ist es im Leben: Wenn das Vertrauen nicht da ist, da macht die Angst sich breit. Und wo 158 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135 140 die Angst sich breit macht, da erstickt sie das Leben, da verhindert sie die Aussaat und somit auch die Ernte. Vertrauen ist der Anfang von allem – deswegen wirbt die Bibel so intensiv um unser Vertrauen. Auf fast jeder Seite versucht sie uns klar zu machen: du kannst vertrauen, Gott sorgt für dich, all eure Sorgen werfet auf ihn, er ist da, er behütet dich, er gibt dir was du brauchst zur rechten Zeit, er hat seinen Sohn in diese Welt gesandt um uns zu begegnen – lasst euch auf ihn ein, glaubt ihm, vertraut ihm. Klar, Gott packt dich nicht in Watte, er bewahrt Dich nicht vor Pleiten, Pech und Pannen. Aber er hilft Dir durch. Und es gibt so manche Situation, wo man hinterher sagt: Das hätte auch ganz anders kommen können, da hat wohl jemand seine Hand drüber gehalten. Für mich ist der Bau des Gemeindehauses ein Lehrstück für diese Zusammenhänge geworden. Letztes Jahr zu Erntedank haben wir den Grundstein gelegt. Es war so ein Stück Aussaat im Vertrauen. Wir haben sehr viel investiert, haben sehr viel gesät im Vertrauen darauf, dass Gott darauf reagieren wird. Und nach all dem was wir bisher erleben durften, segnet Gott dieses Vertrauen. Uns ist eine überwältigende Spendenbereitschaft begegnet. Es haben sich viele liebe Menschen gefunden, die bereit waren, einen großen Teil ihrer Freizeit auf der Baustelle zu verbringen. Wir durften erleben, wie so manche Dinge billiger wurden, als wir sie geplant hatten, wo sich plötzlich Türen öffneten an Stellen, wo wir es nicht vermutet hätten. Gott segnet es, wenn wir ihm vertrauen. Und ich denke, dass er es auch weiterhin tun wird. Wer bei dem Predigttext vorhin kritisch zugehört hat, der hat festgestellt, dass er eigentlich nicht viel mit Erntedank zu tun hat – außer das Paulus darin die Metaphern von Saat und Ernte verwendet. Inhaltlich geht es da um etwas ganz anderes. Die Überschrift in meiner Bibel über diesem Abschnitt lautet denn auch: „Der Segen der Geldsammlung“. Der Zusammenhang ist der: Paulus war unterwegs in Griechenland, um Geld für die Christen in Jerusalem zu sammeln. Denen ging es wirtschaftlich ziemlich schlecht, es hatte eine schlechte Ernte gegeben, sie waren am Hungern und nun war die Solidarität der Mitchristen gefragt. Paulus sieht das so: alle Christen, alle die Jesus als ihren Herrn und Gott als ihren Vater ansprechen, die gehören zusammen, die sind eine große Familie. Und eine Familie hält zusammen, auch finanziell. Da geht es nicht an, dass das eine Kind hungert und das andere mehr hat, als es braucht. Also zieht Paulus in Griechenland herum und sammelt eine Kollekte. Und er sagt: das Ganze hat noch eine geistliche Dimension. Wenn du jemandem hilfst, wenn du ihm Geld gibst oder Zeit opferst oder was auch immer – dann ist das, was du da einsetzt, nicht weg. Es ist ausgesät. Das ist genauso, als wenn ein Bauer Getreide auf dem Feld ausstreut. Er wirft es nicht weg, er sät es aus. Und wer sät, darf darauf vertrauen auch zu ernten. Paulus sagt sinngemäß: wenn ihr gebt – Zeit, Geld, Energie, Liebe – wenn ihr gebt, dann dürft ihr hoffen, zu ernten. Wer Gutes tut, der darf hoffen, dass daraus Gutes entsteht und er darf hoffen, dass er Gutes zurückbekommt. Das ist ein gefährlicher Gedanke – er ist faszinierend und er stimmt auch, aber er hat seine Tücken, denn man kann ihn so missverstehen, als wären die Liebe und der Segen Gottes käuflich. „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“ – heißt es im Predigttext. Ach ja? Wie viel muss man denn geben, damit Gott einen lieb hat? Hat er uns umso lieber, je mehr wir geben? Und was ist mit denen, die gar nichts geben können? Hat er die denn gar nicht lieb? „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“ – sagt Paulus. Ich glaube, worum es ihm geht, ist das „fröhlich“. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Ich verstehe das so: Man kann ja aus ganz verschiedenen Motiven geben. Etwa aus Zwang. Alle tun etwas in den Klingelbeutel, also muss ich auch. Und damit es nicht so weh tut, suche ich mein Kupfergeld zusammen. Oder am besten noch ein bisschen ausländisches Geld, das kann ich sowieso nicht brauchen. Oder aus Prestigegewinn. Ich lege mit großartiger Geste einen Schein hinein – und zwar so, dass alle es sehen und mich bewundern. Es geht aber auch so: das Elend der anderen rührt mich an. Ich möchte einfach helfen – und da denke ich nicht lange nach, da hole ich meinen Geldbeutel heraus und gebe meinen Anteil dazu. Und ich gebe diesen Anteil im Vertrauen darauf, dass Gott mich segnen wird. Mir wird das Geld nicht fehlen, weil ich versorgt werde. Das ist fröhliches Geben. Gott liebt es, wenn seine Kinder so handeln, weil er selbst so handelt. Er gibt gern. Er gibt uns weit mehr, als wir verdient hätten. Und wir merken es ja auch, da wo es uns gelingt, über unseren Schatten zu springen, wo wir nicht erst lange mit unserem inneren Schweinehund kämpfen müssen, sondern einfach so aus Freude und Überzeugung spenden, da tut es uns gut. Es ist ein 159 145 150 155 160 gutes Gefühl und man fühlt sich reich. Der Empfänger freut sich ebenfalls und dankt Gott für diese Gaben. Und auch Gott freut sich und beschenkt den Geber reichlich. Das ist der Strom der Gnade, in dem wir leben können, wenn wir das nötige Vertrauen dafür aufbringen. Die Gegenbewegung dazu sieht so aus: „Was, ich soll für andere etwas geben? Mir schenkt auch keiner was, außerdem muss ich mein Geld zusammenhalten, wenn schlechte Zeiten kommen, will ich was auf der hohen Kante haben.“ Die feine Stimme des schlechten Gewissens, die sich im Innern regt, wird zurechtgewiesen und verstummt schließlich ganz. Eine gewisse Härte macht sich auf dem Gesicht breit und der Geiz beginnt sich auszubreiten wie Mehltau. „Geiz ist geil“, sagt die Werbung – aber das stimmt nicht. Klar ist es gut, wenn man billig einkaufen kann, aber das hat noch nichts mit Geiz zu tun. Das ist einfach weise Haushalterschaft. Geiz macht unglücklich. Den Geizigen selbst und seine Umwelt auch. Der Geizige hat kein Vertrauen und wo kein Vertrauen ist, macht die Angst sich breit. Der Geizige denkt nur an sich, er sät nicht aus, und weil er nicht sät, wird er nicht ernten. Er erfährt keinen Segen und sagt schließlich: „Wo ist dieser Gott, von dem die Kirche immer redet? Überhaupt Kirche, das Geld kann ich auch noch sparen“, und er verlässt die Gemeinschaft der Christen. Vertrauen ist der Anfang von allem – der Spruch gefällt mir besser. Gott lädt uns ein, im Vertrauen zu leben. Er lädt uns ein, im Vertrauen auf eine reiche Ernte auszusäen – sowohl auf den Feldern, als auch im Garten, als auch im Leben. Und nun entscheide ein jeder, wie viel Vertrauen er wagen will, wie viel er säen und wie viel er ernten möchte. Amen. 15.1.3 Aufbau und Analyse der Predigt Jörg Arndts Predigt lässt sich in drei Teile gliedern. Ein erster, sehr kurz gehaltener, dient der Einleitung, in der er die These, die er in den Mittelpunkt stellt, nennt (A). Diese expliziert er dann in dem umfangreichen Hauptteil (B), der erneut in drei Abschnitte unterteilt werden kann. Hier geht er zunächst auf den Kasus Erntedank ein und darauf, wem zu danken ist (I), bevor er auf den Zusammenhang von Saat und Ernte zu sprechen kommt (II), den er dann in den Dialog mit dem Text bringt (III). Dies mündet dann im abschließenden Ruf in das Vertrauen (C). A Vertrauen ist der Anfang von allem (Z. 1-4) Mit einem Werbeslogan („Vertrauen ist der Anfang von allem“) gibt Arndt Thema den Skopus seiner Predigt vor. Durch die an den Beginn gestellte Prolepsis greift er auf die Lebenswirklichkeit der Hörerinnen und Hörer zurück und nimmt die Gemeinde auf den Weg, den er in der Predigtvorbereitung gegangen ist („Der Zusammenhang ist zwar nicht so auf den ersten Blick zu erkennen, aber ich hoffe, dass Sie mir spätestens am Ende der Predigt zustimmen werden.“ Z. 3f.) I. Der Dank am Erntedank (Z. 5-56) Diese beginnt er mit dem geheimnisvollen Zusammenhang zwischen Saat und Ernte, wobei er den inhaltlichen Bruch vom Werbetext zum Kasus nicht verschweigt („Es geht ja heute um...“ Z. 5). Erntedank charakterisiert er als Gelegenheit sich bewusst zu machen, dass nichts selbstverständlich sei, sondern vielmehr Geschenk. Um dies klarzumachen bedient er sich der Anapher, die immer wieder in seiner Predigt auftauchen wird („Es geht darum, sich wenigstens 160 einmal im Jahr klar zu machen, dass nichts im Leben selbstverständlich ist. Es ist nicht selbst verständlich, dass wir zu essen haben...Es ist nicht selbstverständlich, dass wir Arbeit haben...“ Z. 6ff.). Dieser Schritt sei notwendig, weil das die heutige Lebenswirklichkeit bestimmende Moment eher das Jammern sei, das diesem Prozess des Bewusstwerdens hinderlich ist. Gründe zu Jammern gäbe es genug, Arndt zählt viele davon auf. Betont durch das stets an den Anfang der Sätze gestellte „Natürlich“ beginnt er im größeren Kontext der allgemein-wirtschaftlichen Lage, bringt aber seine persönlichen Klagen („Natürlich freue ich mich nicht darüber, dass man mir mein Urlaubsgeld (...) gestrichen hat.“ Z. 16f.) gleichermaßen ins Spiel wie die Sorge um die Zukunft der Gemeinde und des Kirchenkreises („Mir wird angst und bange, wenn ich daran denke, dass unser Kirchenkreis, der finanziell immer noch recht gut da steht, mit Flensburg oder Schleswig (...) zusammengehen soll.“ Z. 19f.). Die Konkretionen in ihrer Vielfalt ermöglichen nicht nur, die vielfältige Lebenswirklichkeit der Hörer anzusprechen, sondern verdeutlichen in ihrer Ausführlichkeit die alle Lebensbereiche übergreifende Präsenz des Jammerns. Dennoch legt er nicht Wert darauf, der Gemeinde einzureden, dass alle Sorgen als unbegründet erscheinen sollten, sondern lässt sie als Realität zu und gibt ihnen Raum. Aber weil dies nicht das Fest des Erntedank trüben soll, stellt er dem Jammern den Dank entgegen. Denn „alles Jammern und Klagen wird diese Situation nicht verändern. Es wird nur Energie rauben,“ (Z. 23f.) weswegen der Realität des Jammerns und Klagens die Realität des Dankens entgegengehalten werden müsse. Nun nennt er auch den Zielpunkt des Dankens: Gott, der Schöpfer, der Leben schenkt und erhält. Der Dank ist in der Regel in der ersten Person Singular gehalten. Es verdeutlicht, dass er durch seinen persönlichen Dank die Gemeinde mit hineinnehmen möchte – ohne in eine allgemeine Aufforderung zu verfallen (im Sinne von „Sollten wir nicht alle danken?“). Überraschend spricht er nicht allein Gott seinen Dank aus, sondern auch jener Berufsgruppe, die ihn selten genug zu hören bekomme: den Bauern. Ihnen gilt sein Mitgefühl, da keine noch so große Subvention das ihnen gegebene Signal „Eure Arbeit ist nichts wert“ überblenden könne. Seine Apologie des bäuerlichen Berufsstandes dient ihm dabei auch zur Verdeutlichung dieser Erfahrung, die auf jede Lebenswirklichkeit Anwendung finde. Das expliziert er mit einem autobiographischen Beispiel, das seine Erfahrungen als Straßensänger zum Inhalt hat. Zugegeben eine schon sehr spezifische Konkretion, die nur z.T. die Aufgabe hat, Erinnerungen an eigene derartige Erfahrungen zu ermöglichen, denn über ein weiteres Beispiel betont er noch einmal seinen Dank an die Bauern, v.a. weil sie durch ihre Arbeit den Menschen ermöglichen, Zeugen zu sein für das „Wunder von Saat und Ernte, dass wir echte Kühe auf den Weiden sehen können und in einer wunderbaren Landschaft leben.“ (Z. 50f.). So kann er konstatieren: „Sie (die Bauern) sind an dieser Stelle Mitarbeiter Gottes.“ (Z. 55f.) 161 II. Wider die Angst: säen im Vertrauen (Z. 57-102) Zur Entfaltung dieser These dient ein ihm überlieferter Witz, der eher den Charakter einer Anekdote hat, die zugleich eine Abrechnung mit traditioneller pfarrherrlicher Frömmelei darstellt. Der Mensch als Mitarbeiter Gottes im Unternehmen Schöpfung wird in den Mittelpunkt gerückt. Inwiefern er dies ist, lässt er noch offen. Arndt geht es zunächst darum, das Zusammenwirken von Mensch und Gott als Grundprinzip menschlichen Bemühens zu kennzeichnen. Als konkretes Beispiel nennt er die menschlichen Beziehungen, in der das atl. Wort Hos 8,7 wie auch Gal 6,7 anklingen, und die Wirtschaft. Arndt wählt dadurch den induktiven Weg und stellt allgemein menschliche Erfahrungen zum Thema Saat und Ernte voran, bevor er den Apostel 2. Kor 9, 6 zitiert. So orientiert er sich wie Paulus an dem Sprichwortcharakter des Verses. Kennt ihr das nicht? Wer nicht investiert, der kann auch nicht mit Ertrag rechnen? Weil jegliches Säen stets das Risiko einer Missernte in sich birgt, deutet Arndt das paulinische „säen im Segen“ als „Säen im Vertrauen“, wodurch er nun den Bogen zum anfangs verwendeten Werbeslogan gespannt hat. Fehlendes Vertrauen lähmt, was Arndt durchaus deutlich zur Sprache bringt („Wenn das Vertrauen weg ist, dann kann ich den Laden zu machen.“ Z. 72f.). Dass er sich auf das Beispiel der Beziehung beschränkt, liegt wohl darin begründet, dass hier dieser Zusammenhang am deutlichsten hervortritt. Jedoch erstaunt es dann, dass er nicht auf dieser Ebene verweilt, sondern wieder zurückgreift auf eine Erzählung, die das bäuerliche Milieu als Hintergrund wählt. Drei Mal wird der Bauer in der Erzählung gefragt, ob er denn nicht geerntet bzw. ausgesät hätte. Drei Fragen, die sich stellvertretend für alle Vorbehalte und Ängste zu säen, implizit auch dem Hörer stellen: Und du? Hast du ernten können? Oder hast du aus Angst auch nicht gesät wie der Bauer? Die Erzählung ist bis auf die Einleitung, den deutenden Schluss und das Hyperbaton („Nein“, sagt der Mann, „ich habe keine gepflanzt“ Z. 80) durchgehend in direkter Rede gehalten und erhält dadurch ihre Lebendigkeit. Die bestimmenden Tempi sind die Gegenwart und das Imperfekt; so unterstreicht Arndt die Relevanz der Erzählung über die in ihr geschilderte Situation hinaus. Und so fährt Arndt unvermittelt fort mit der Deutung der Geschichte, die er selbst zusammenfasst: „wenn das Vertrauen nicht da ist, da macht die Angst sich breit.“ (Z. 84). Gegen eine solche, lähmende Angst wirbt er deshalb mit einer Fülle von biblischen Belegen um das Vertrauen in Gott. Er zitiert nur z.T. wörtlich und ist eher darauf aus, die Belegstellen in die Alltagssprache zu kleiden („Gott sorgt für dich“ Mt 6,26 par.; „all eure Sorge werft auf ihn“ 1. Petrus 5,7; „er ist da, er behüte dich“ Ps 139,5.8, Ps 91,11; „er gibt dir, was du brauchst zur rechten Zeit“ Ps 145,15, „er hat seinen Sohn in diese Welt gesandt, um uns zu begegnen“ Joh 3,16f.). Dass dieses Vertrauen in Gott nicht die Garantie für ein sorgenfreies Leben darstelle verschweigt er nicht, betont jedoch: „Aber er hilft dir durch“ und verweist auf Situationen, in 162 denen Gottes helfende Hand erst im Nachhinein erkennbar wurde. Diesen ganz persönlichen Erfahrungen des Einzelnen schließt er als Beispiel den Bau des Gemeindehauses an, an dem genau dieser der Zusammenhang von Säen und Ernten im Vertrauen sichtbar wurde. Eine Erfahrung göttlichen Helfens, die ihn sprechen lässt: „und ich denke, dass er es auch weiterhin tun wird.“ (Z. 102). III. Die Solidarität innerhalb der familia Dei (Z. 103-148) Spät, aber nicht gänzlich unvermittelt, steigt Arndt nun ausführlicher in die Betrachtung von 2. Kor 9,6-15 ein, hat er dies doch durch das Zitat 2. Kor9,6 (Z.68f.) bereits vorbereitet. Schwerpunkt ist für Arndt dabei die Intention des Apostels für sein Schreiben. Dies ist insofern geschickt gewählt, weil durch die Betrachtung über den Bau des Gemeindehauses die Situation eines Geld sammelnden Apostels bzw. Pastors der Gemeinde deutlich vor Augen stehen dürfte. Die in der Paraphrase des Kontextes bzw. des Grundes der paulinischen Sammlung gewählte Terminologie des Alltags („Denen ging es wirtschaftlich ziemlich schlecht“ Z. 108; „nun war die Solidarität der Mitchristen gefragt“ Z. 109; „die gehören zusammen, die sind eine große Familie. Und eine Familie hält zusammen“ Z. 111f.) weist auf die Aktualität und Realität armer Gemeinden, die auf die Solidarität der Mitchristen angewiesen sind. Mit eben jener Solidarität der familia Dei hebt Arndt die Koinoniathematik der Perikope, insbesondere 2. Kor 9,12a hervor, die sich auch in der materiellen, Fürsorge zeige. Darin erschöpfe sich die Sammlung des Apostels freilich nicht. In allem Geben liege auch ein geistlicher Aspekt, der darin bestehe, dass, wer Gutes tut, auch hoffen darf, dass daraus nicht nur Gutes entsteht, sondern er selbst Gutes zurückbekommt. Den vermeintlichen Tun-Ergehens-Zusammenhang, der sich entwickeln könnte, nimmt Arndt in Form von Fragen auf, die nicht als rhetorische Fragen zu verstehen sind, sondern als ernst zu nehmende Bedenken gegenüber diesem „gefährlichen Gedanken“, dass Gott allein den fröhlichen Geber lieb hätte. Fragen, auf die Arndt keine direkte Antwort gibt, sondern den Blick auf das Adjektiv „fröhlich“ legt und den Vers von hier aus deutet. Bewusst überspitzt karikiert er menschliches Kollektenverhalten und trifft dennoch das paulinische εκ λυπης oder εξ αναγκης. Dem gegenüber stellt er die spontane Entscheidung, helfen zu wollen, heraus. Das fröhliche Geben sei eine Bewegung die von Gott ausgeht und dann zirkulär innerhalb der Gemeinschaft der Christen sich fortsetze. Und den Geber liebe Gott nicht, weil er viel gibt, sondern so handle, wie er selbst handelt. Das sei der Strom der Gnade, in den Gott hineinnimmt. Die Gegenbewegung zu diesem Strom der Gnade formuliert Arndt einmal wieder überspitzt („Was, ich soll für andere etwas geben? Mir schenkt auch keiner was.“ Z. 144f.), um den Gegensatz zur „feinen Stimme des Gewissens“ (Z. 146) zu betonen und ein typisch menschliches 163 Verhaltensmuster aufzuzeigen, vor dem keiner gefeit sei, wie auch die Pflanze nicht sicher sein könne vor dem Mehltau (Z. 148). C Schluss: Vertrauen vs. Geiz (Z. 149-160) Wie zu Beginn seiner Predigt greift Arndt in seinem abschließenden Ruf in das Vertrauen auf einen populär gewordenen Werbeslogan („Geiz ist geil“) zurück. Dieser verwechsle weise Haushalterschaft mit egoistischer Raffgier, mache den Menschen unfähig im Segen zu säen und treibe ihn aus der die Existenz des Christen bestimmende Koinonia heraus. Als Antithese zu „Geiz ist geil“ stellt er noch einmal den zu Beginn genannten und die Predigt durchziehende Slogan „Vertrauen ist der Anfang von allem“ heraus. Vertrauen gegen Geiz – darauf spitzt er seine Predigt zu. Das dicke Ende kommt am Schluss – so auch hier. Unvermittelt erscheint der letzte Satz der Predigt: „Nun entscheide ei jeder, wie viel Vertrauen er wagen will“ (Z. 159). Nicht, weil er appellativen Charakter hat, das hatte auch der vorangegangene Ruf in das Vertrauen. Unvermittelt, weil er den Hörer unmittelbar in eine konkrete Entscheidungssituation versetzt und dieser Appell sich nicht wirklich in den Sprachduktus der Predigt einfügt. 15.1.4 Der Predigttext, die Predigt und die Hörer Drei mal zitiert Arndt Text wörtlich (Z. 68f.: 2. Kor 9, 6; Z. 123.126: 2. Kor 9,7), wobei er sich dabei auf die ihm an diesem Tag zentralen zwei Stellen beschränkt, die Weisheit vom kärglichen und segensreichem Säen wie das Sprichwort vom fröhlichen Geber. Wie 2. Kor 9 bleibt auch Arndt in der Saat-Ernte-Metaphorik. Zunächst greift er mit 2. Kor 9,6 den allgemein menschlichen Erfahrungssatz des kärglichen Säens und Erntens heraus, um auf diesem Hintergrund das hierfür grundlegende Vertrauen hervorzuheben. Er überträgt ihn auf die heutige Zeit und nennt Situationen, in denen diese Erfahrung noch heute zu Tage tritt. Mit Paulus geht es Arndt durch die Schwerpunktsetzung auf 2. Kor 9,7 um die Motivation christlichen Handelns. Den Kontext von 2. Kor 9 wie auch die weiteren Verse der Perikope paraphrasiert er in einem kurzen Abschnitt (Z. 107-120), in dem er allerdings schon zur Auslegung 2. Kor 9,7 überleitet. Trotz dieser Schwerpunkte nimmt er den Text als Ganzes ernst, indem er die von Paulus geforderte Solidarität unter den Christen zur Sprache bringt. Die Sprache Arndts bleibt wie 2. Kor 9 in der Saat-Ernte-Metaphorik verhaftet, v.a. in seinen Beispielgeschichten und deren Deutungen. Auch die Bilder, die er gebraucht, entstammen diesem sprachlichen Milieu: „und der Geiz beginnt sich auszubreiten wie Mehltau“ (Z. 148) „und wo die Angst sich breit macht, da erstickt sie das Leben, da verhindert sie die Aussaat und somit auch die Ernte.“ (Z. 84f.). Die konkreten Beispiele und Geschichten zur Veranschaulichung, in einfacher und leicht verständlicher Sprache gehalten, erzeugen die Lebendigkeit der Predigt. Sie sind eingebettet in 164 längere Sätze, die meist asyndetisch miteinander verbunden sind. Gerade im ersten Teil finden sich thesenhafte Aufzählungen aus definitorischen Gründen: „Es geht darum, sich (...) klar zu machen, dass nichts im Leben selbstverständlich ist. Es ist nicht... selbstverständlich...Es ist nicht selbstverständlich...“ (Z. 7ff.). Das häufig verwendete „Wir“ betont die Zusammengehörigkeit von Prediger und Gemeinde, die gerade in der Konkretion vom Bau des Gemeindehauses zum Ausdruck kommt: „Wir haben sehr viel investiert (...) uns ist eine überwältigende Spendenbereitschaft begegnet (...) Gott segnet es, wenn wir ihm vertrauen.“ (Z. 94ff.) Die erste Person Singular erscheint, wenn Arndt als Person und Prediger bewusst hervortritt („Ich denke, dass dieser Satz eine prima Überschrift für das ist, was mir wichtig geworden ist“ Z. 2; „darum möchte ich lieber danken“ Z. 24) und durch persönliche Beispiele seine eigenen Ängste und Klagen zur Sprache kommen lassen will („natürlich freue ich mich nicht darüber, dass man mir mein Urlaubsgeld (... ) gestrichen hat“ Z. 16f.; „mir wird angst und bange“ Z. 19). Aber in allem – auch im Ruf in das Vertrauen – sieht er sich nicht als Vorbild der Gemeinde, dem es gilt nachzufolgen, sondern charakterisiert sich selbst als einer, der wie die Gemeinde den Ruf in das Vertrauen, den Ruf zum Danken statt zum Klagen, zum Geben im Vertrauen anstatt zum Horten im Geiz, nötig hat. Dadurch vermeidet Arndt es, den einzelnen Hörer zu vereinnahmen. Ein fremdes, unpersönliches Ich verwendet er lediglich in der Konkretisierung des paulinischen εκ λυπης oder εξ αναγκης („Alle tun etwas in den Klingelbeutel, also muss ich auch. Z. 128f.; „Ich lege mit großartiger Geste einen Schein hinein – und zwar so, dass alle es sehen und mich bewundern“ Z. 131f.) oder dem entgegengesetzten fröhlichen Geben („Ich möchte einfach helfen – und da denke ich nicht lange nach.“ Z. 133). Inmitten des biblischen Exkurs über das Vertrauen (Z. 87ff.) geht er – vom Zuspruch her ergibt sich das – in das „Du“ über: „du kannst vertrauen, Gott sorgt für dich...“ (Z. 88); „klar, Gott packt dich nicht in Watte...aber er hilft dir durch.“ (Z.91f.) All das zeugt von einer Vertrautheit des Predigers mit der Gemeinde, aus der heraus sich auch der z.T. appellative Charakter der Predigt und der Entscheidungsruf am Ende der Predigt klärt. Die Verbindung zur Lebenswirklichkeit seiner Hörerinnen und Hörer stellt Arndt auch durch den Rückgriff auf allseits bekannte Werbeslogans her, die er für sein Anliegen insofern dienbar macht, als dass er sie entweder für seine Argumentation positiv herausstellt oder als Negativfolie benutzt, die seinem Anliegen entgegengesetzt ist. Etwaige Befürchtungen, Einwände, wie auch den Grossteil der Beispiele fasst er in direkte Rede. Dadurch werden sie lebendig und für die Hörenden nachvollziehbar und verständlich. Die Stärke der Predigt ist zugleich ihre Schwäche. Die Predigt erscheint außergewöhnlich lang. Arndt mutet seinen Hörerinnen und Hörern viele Konkretionen, Beispiele oder Erzählungen zu (zwei Werbeslogans Z. 1 und Z. 149; der lange Exkurs über Situation und Arbeit der Bauern Z. 165 31-39 und 44-56; die eigene Erfahrung der Nicht-Wertschätzung von Arbeit Z. 40ff.; die Anekdote von Pfarrer und Bauer Z. 57-63; die Geschichte vom indischen Bauern Z. 78-83; die vielen biblischen Belegstellen als Ruf in das Vertrauen Z. 87-93; der Bau des Gemeindehauses Z. 94-102; die Paraphrase 2.Kor 9 Z. 107-114). So abwechslungsreich sie die Predigt gestalten, so drängt sich die Frage auf, ob weniger hier vielleicht mehr gewesen wäre. 15.1.5 Erntedankgedanken Erntedank als Gegenpol zum kräfteraubenden Jammern Am Erntedanktag gehe es darum, sich klar zu machen, dass nichts im Leben selbstverständlich sei, sondern Geschenk Gottes, der gibt, was der Mensch braucht, zur rechten Zeit. Dank bestehe im bewusst werden dieses Zusammenhanges und könne als Gegenpol zum Jammern verstanden werden, als eine notwendige Unterbrechung des Alltags, in dem es genügend Gründe hierfür gebe. Weil alles Jammern letztlich nur die Energie zur Veränderung raube, sei dieser Schritt zum Dank hin notwendig und heilsam. Zu danken gelte es Gott für seine Gaben. Aber auch dem Bauer, dem dieses Fest traditionell am nächsten ist. Die ursprüngliche Verortung der Erntedankthematik lenkt Arndt in eine andere Richtung. Der Dank des Bauern an Gott wendet sich zum Dank der Gemeinde an den Bauern. Dadurch zeichnet er keine verklärte, romantisierte bäuerliche Wirklichkeit, sondern hält auch die Erfahrungen aller Hörerinnen und Hörer von Undank, bürokratischen Hindernissen oder Verkennung der Leistung vor Augen. Darüber hinaus gelte es, den Bauern zu danken, weil sie durch ihre Arbeit das Wunder von Saat und Ernte anschaulich machen und es so ihnen zu verdanken sei, dass das paulinische Bild von der Saat im Segen auf einen fruchtbaren Boden fallen kann, weil sie dafür Sorge tragen, dass dieses Bild von Saat und Ernte noch im Erfahrungsschatz des Einzelnen gegenwärtig ist und bleibt. So charakterisiert Arndt die Bauern als Mitarbeiter Gottes: als Beispiel dafür trotz aller Hindernisse an ihrer Arbeit festzuhalten, sich nicht entmutigen zu lassen und als „Lehrer“ für die Gemeinde, in der ein Großteil mit der ursprünglichen Verankerung des Festes nicht mehr in Berührung kommt. Mitarbeiter Gottes sind jedoch nicht die Bauern allein. Jeder Mensch stehe in dem Zusammenhang von Saat und Ernte und jeder Mensch sei damit immer auch Mitarbeiter in der Schöpfung Gottes, in je unterschiedlichen Bereichen des Lebens, indem er das, was Gott ihm schenkt, sät. Das so aufgezeigte Zusammenwirken von göttlichem und menschlichem Handeln sei dabei Grundprinzip des Lebens, das auf jedwede Situation und Relation anwendbar sei. Erntedank als Ruf in das Vertrauen Weil aber zu dieser Lebenswirklichkeit immer auch der Misserfolg gehöre, sei das Säen im Vertrauen um so notwendiger. Das Vertrauen ist der rote Faden, der sich durch die Predigt zieht. 166 Das paulinische „auf Segen hin säen“ 2. Kor 9 deutet er deshalb zu einem „Säen im Vertrauen“ auf die erhaltende Güte Gottes. Ein Vertrauen, um das die Bibel, um das Gott immer wieder werbe. Positive Erfahrungen des Vertrauens sollen zu neuem Vertrauen in der Zukunft führen: „Gott lädt uns ein, im Vertrauen zu leben. Er lädt uns ein, im Vertrauen auf eine reiche Ernte auszusäen.“ (Z. 156f.) Dazu sei – nicht nur, aber zumindest explizit einmal im Jahr – der Tag des Erntedankfestes da, allein schon wegen der noch immer präsenten Verankerung des Festes im bäuerlichen Kontext, innerhalb dessen dieser Zusammenhang selbstverständlich sei. Gottes Handeln als Vorbild für eigenes Handeln – Leben in der familia dei Der von Arndt in aller Ausführlichkeit zur Sprache kommende Aufruf zum Teilen geschieht dadurch nicht unvermittelt, sondern ist eingebettet in das Handeln Gottes am Menschen. Weil Gott gern gebe, nicht εκ λυπης oder εξ αναγκης, soll auch der Mensch, der an diesem Handeln partizipiert, gern geben. Denn: „Gott liebt es, wenn seine Kinder so handeln, weil er selbst so handelt.“ (Z. 137). Auch wenn dies sich nicht im Teilen der materiellen Güter erschöpfe, so stelle die gegenseitige Fürsorge innerhalb der weltumspannenden familia Dei einen wesentlichen Bestandteil der aus der Gnade Gottes heraus gehaltenen und erhaltenen christlichen Existenz dar. Weil eine Familie, auch als übergeordnete Größe der familia dei, durch Gottes Gnade zusammengehalten werde, solle sie auch untereinander zusammen halten und „da geht es nicht an, dass das eine Kind hungert und das andere mehr hat, als es braucht.“ (Z. 112f.). Die gegenseitige Fürsorge kennzeichnet den Strom der Gnade, in die Gott den Menschen hineinnehme und der durch die Hände der einzelnen Christen wie der Gemeinde weiterführt und zirkuliert. In der Zirkulation der Gnade Gottes gebe es keine Armen und Reiche mehr, keine „Geiz ist geil“-Mentalität, sondern Koinonia, die sich in dem Vertrauen in Gottes Gnade konstituiert. 15.2 Den Reichtum mitteilen: Paul-Ulrich Lenz zum Erntedankfest 2004 15.2.1 Der Prediger und seine Gemeinde Paul-Ulrich Lenz wurde 1946 geboren und ist eigentlich gelernter Studienrat für Geschichte, Politik, und Religion. Erst nach längeren Verhandlungen, auch mit sich selbst, fand er 1976 den Weg ins Vikariat und ins Pfarramt. In der Zeit von 1978 bis 1994 war er Pfarrer in Schlitz, nebenher Vereinsvorsitzender im Sportverein und Vorsitzender im Leichtathletik-Kreisverband sowie Fußball-Trainer einer Jugendmannschaft. Seit 1994 ist er Pfarrer im übergemeindlichen Dienst. Veröffentlichungen von ihm finden sich u.a. in der Zeitschrift „Brennpunkt Gemeinde“ oder in „In der Stille Worte finden – Beten mit der Bibel“. An zwei Gemeinden richtet sich die hier analysierte Predigt. Ursprünglich wurde sie für den 5. Oktober 1980 erarbeitet und daraufhin 167 2004 als Lesepredigt für die Lektoren und Prädikanten der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau (EKHN) überarbeitet. Entstanden ist sie in der Gemeinde Schlitz, in der Lenz zu dieser Zeit als Pfarrer tätig war. Schlitz ist eine Kleinstadt in Oberhessen mit ca. 3500 evangelischen Gemeindegliedern, der Ort selbst hat als Großgemeinde rund 12000 Einwohner, von denen ca. 5000 die Kernstadt bewohnen, zu der die Kirchengemeinde von Lenz gehört. Während der Ort bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein noch ländlich geprägt war, wird er zum Zeitpunkt der Predigt von der Leinenindustrie bestimmt und hat im Wesentlichen mittelständisches Gepräge. Der Gottesdienstbesuch damals ließ sich auf etwa 150 bis 180 Personen an „normalen Sonntagen“ beziffern, am Erntedankfest deutlich mehr – etwa 350 bis 400. Die Gemeinde war zu dieser Zeit frömmigkeitsmäßig eher ungeprägt – „gesunde Volkskirche“ beschreibt Lenz es selbst. Die späten 70er Jahre und frühen 80er Jahre waren in Schlitz eine Zeit, die vom wirtschaftlichen Aufschwung geprägt war, der auch die Mentalität der Bewohner prägte. Dadurch entwickelte sich eine Haltung, die Lenz so beschreibt: „wir haben viel geschafft und wir müssen an uns denken! Mit dieser Selbstbezogenheit hatte ich als junger Pfarrer meine Probleme.“ Der vorliegende Text im Wortlaut ist aus der damaligen Vorlage als eine Lesepredigt für Lektoren und Prädikantinnen der EKHN entwickelt worden und verfolgt das Ziel, Menschen, die selbst predigen, zu helfen, einen Weg zu einer eigenen Predigt finden. 15.2.2 Die Predigt zum Erntedankfest 2004 5 10 15 20 Damit endet die Geschichte von Noah und der großen Flut: Über allem steht das Zeichen der großen Treue Gottes, der Regenbogen. Er steht über guten und bösen Menschen, er steht über alten und jungen Menschen, er steht über traurigen und fröhlichen Menschen. Er steht über gläubigen und ungläubigen, über fragenden und gewissen Menschen. Und dieser Bogen steht für das Wort: "Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht." Davon leben wir: dass Gott uns so die Treue hält. Davon leben wir: dass Gott Sommer und Winter, Frost und Saat und Ernte, Tag und Nacht schafft. Und jeder Segen am Himmel und jeder Wechsel im Wetter und jede Jahreszeit erinnert uns daran: das ist ein Zeichen der Treue Gottes. Solche Zeichen der Treue Gottes haben wir auch dieses Jahr wieder empfangen: die Scheunen und die Keller sind gefüllt, trotz unseres Bangens; die Lohntüten sind nicht leer, trotz aller Schwierigkeiten, die es geben mag; die Produktionshallen der Betriebe sind nicht verwaist, es hat doch immer wieder Arbeit gegeben, leider nicht für alle, aber für viele von uns. Und auch wenn die Zeiten schlechter geworden sind: die Menschen unseres Landes, unserer Stadt, wir alle hier sind nicht arm, wir haben genug. Wir haben viele Zeichen der Treue Gottes empfangen. Er hat uns die Zeit zugeteilt, in der wir schaffen, in der wir uns erholen, in der wir uns freuen und in der wir traurig sein können. Er hat uns die Kraft zugeteilt, in der wir unsere Arbeit tun, in der wir spielen können, in der wir das Leben meistern können, in der wir auch unser Bündel an Last und Sorge tragen können. Und er hat uns die Arbeit zugeteilt: in der wir unser tägliches Brot verdienen können, in der wir für unsere Gemeinschaft etwas tun können, in der wir Freude und Befriedigung erfahren, in der wir Anerkennung finden, unter der wir wohl auch manches Mal stöhnen. Das alles sind Zeichen der Treue Gottes, Gaben seiner großen Güte, die wir überreich haben. Ja wir sind reich, auch wenn wir, Sie und ich, es vielleicht noch gar nicht bemerkt haben. 168 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 Und so ist dieser Erntedanktag heute ein Tag, der uns das ins Gedächtnis ruft: dass Gott uns überreich beschenkt hat. Damit beginnt dann auch die Geschichte der Christenheit, dass über allem ein Zeichen steht, ein Zeichen der großen Gnade Gottes: Über uns allen steht das Kreuz. Für uns alle ist das Kreuz aufgerichtet worden auf Golgatha. Für uns alle ist er, der eine Sohn Gottes, Jesus Christus, in die Armut gegangen, in das Elend des Sterbens, in das Leid des Todes, in die große Dunkelheit, in der ihm der Blick auf den Vater verhüllt würde, in die Angst, dass Sterben doch so viel schwerer ist als wir es wahrhaben wollen. Seitdem steht das Zeichen des Kreuzes in dieser Welt. Seitdem ruft der Gekreuzigte zu sich, er ruft alle. Und die Hände, die an diesem Kreuz ausgebreitet sind, sie wollen alles umfassen: Die Schuld eines Lebens, die lähmt und krankmacht und das Versagen der Liebe, das Aufgeben im Kampf um das Leben und das Sterben, die Klage über ein verpfuschtes Leben und die Anklage gegen Menschen, die es einem vielleicht schwer machen. Er will die Freude in seine Hände nehmen und bewahren, er will das Leid in seine Hände nehmen und tragen, er will die Hoffnungslosigkeit in seine Hände nehmen und neue Hoffnung wecken. Liebe Gemeinde, davon leben wir: dass er so die Hände nach uns ausstreckt und wir kommen dürfen, dass er nach uns ruft und wir ihm antworten dürfen. Davon leben wir: dass wir zu diesem Gekreuzigten und auferstandenen Herren gehen dürfen und nichts, aber auch nichts uns von ihm scheiden kann, sondern seine Liebe alles neu macht. Und dieses Zeichen der großen Gnade Gottes, die ausgebreiteten Arme des Gekreuzigten, das haben wir Tag für Tag vor Augen: sein Wort zeigt es uns, seine Gemeinde zeigt es uns, das Abendmahl lässt es uns fühlen und schmecken. Und in solcher Erfahrung: wir dürfen kommen und werden beschenkte Leute, beschenkt mit der großen Gnade Gottes. Da werden unsere Gewissen ruhig und wach zugleich, da werden unsere Herzen froh und weit zugleich, da werden unsere Hände stark und freigiebig zugleich. Da wird es uns groß: es ist alles Gnade, übereiche Gnade, die Gott uns gibt. Und das will dieser Erntedanktag heute: uns vor Augen halten, wie große Gnade Gott uns überreich schenkt in seinem Sohn Jesus Christus. Nun steht da mitten in unseren Versen ein ganz kritisches Wort: "Autarkía." Volle Genüge, rundherum genug, so viel, dass man auf nichts mehr angewiesen ist. Solche volle Genüge, solches überreich sein macht unabhängig. Das ist wie eine Festung, die mitten im Feindesland ist: sie hat Wasser in einem Brunnen, sie hat Getreidespeicher, die bis zum Bersten gefüllt sind, sie hat Wein auf Jahre hinaus, sie hat alles, was sie nötig hat und weit darüber hinaus. Da können sich Feinde vor den Mauern versammeln, da können sie das ganze Land ringsum besetzt halten und allen Nachschub abschneiden: diese Burg hatte volle Genüge – das ist Autarkía. Die älteren unter uns werden sich erinnern können: dieses Wort "Autarkía" spielte in unserer Geschichte im Dritten Reich eine große Rolle. Es war eines der Ziele der NS Herrschaft: das Land sollte autark sein, unabhängig von den anderen Ländern, von anderen Rassen. Und heute? Gibt es heute nicht wieder eine unheilvolle Autarkiebewegung unter uns? Leben nicht viele in ihrem Haus, in ihrem Familienleben unter dieser Devise: Hauptsache, wir haben genug! Hauptsache, unsere Keller, unsere Vorratsräume sind gefüllt! Leben nicht erschreckend viele Menschen unter dieser Autarkie-Sehnsucht: Hauptsache mein Leben verläuft störungsfrei, was soll ich mich da noch groß um andere kümmern? Und leben nicht unsere Völker in einer erschreckenden Autarkiebewegung weg von den notleidenden Völkern dieser Erde?“ Es ist für mich Zeichen einer gottlosen Einstellung gegenüber der Welt, wenn folgendes Modell ernsthaft in unserer Zeit bedacht wird: Die Welt wird verglichen mit einem Rettungsboot. Da geht nur eine kleine Anzahl von Leuten rein. Wenn die, die drin sind, durchkommen wollen, dann müssen sie denen, die noch im Wasser treiben, den Zugang zu diesem Rettungsboot verwahren. Genau dies wird dann als eine entwicklungspolitische Möglichkeit ernsthaft im Weltmaßstab verhandelt und praktiziert. Die Weltwirtschaftsordnung, wie sie ist und von den westlichen Industrieländern zäh verteidigt wird, ist eine solche Rettungsbootmaßnahme. Das ist Autarkía nach Menschenmaß - Hauptsache, wir haben genug. Ich höre den Einwand: Aber mit der Entwicklungshilfe wird doch Schindluder getrieben. Und dann kommen uralte Geschichten - überliefert über Generationen hinweg - von dem goldenen Bett, dass sich einer gekauft hat, von Bokasas Diamanten und Idi Amins Exzessen, von den reichen Leuten in den armen Ländern, die ja viel reicher sind als wir, dann kommen die Waffenkäufe der ärmsten Länder zur Sprache. 169 85 90 95 100 105 110 115 120 125 Ja, das alles stimmt und hat es gegeben, aber ändert das etwas an unserer verkehrten AutarkieHaltung: Hauptsache, wir haben genug? Die volle Genüge, die Autarkía, die Gott uns schenkt, die sieht anders aus: es ist keine volle Genüge zum Festhalten, keine volle Genüge, die ich an mich reißen muss, sondern es ist eine volle Genüge, die ich weitergeben darf. Gott gibt uns volle Genüge, damit wir teilen können. Das ist die Absicht Gottes mit unserem Reichtum: dass wir teilen lernen. Lassen Sie mich das einmal klar und deutlich sagen: nur der geht richtig mit Gottes Gaben um, der teilt. Nur der geht richtig mit Gottes großem Geschenk um, der es weitergibt. Das gilt für die große Gabe der Gnade Gottes. Wir haben es in der Gemeindewoche doch erlebt: wer etwas weitergibt von dem, was er als Erfahrung der Liebe Gottes empfangen hat, der wird reicher. Wir haben es gehört: das Geheimnis des Lebens ist Loslassen. Das Geheimnis eines wachsenden Glaubens besteht im Teilen, im Mitteilen dieses Glaubens. Und vielleicht sind wir deshalb so glaubensschwache Leute, weil wir uns so wenig davon mitteilen, wie Jesus unsere Schuld auf sich genommen hat, wie er uns an die Seite getreten ist in schwerer Not unseres Lebens und hat uns herausgeführt. Euer Reichtum diene ihrem Mangel, so sagt Paulus kurz vor unserem Abschnitt: womöglich wartet in dieser Stadt schon lange einer darauf, dass einer zu ihm kommt und ihm erzählt, wie Jesus sein Leben hält. Diesen Reichtum sollen wir mitteilen! Aber in unserem Kapitel geht es nicht nur – was heißt hier nur! – um das Teilen von Glaubensreichtum, sondern es geht auch um das genauso praktische Teilen von materiellem Reichtum. Es geht ums Geld, es geht um den Besitz. Auch da gilt: euer Reichtum diene ihrem Mangel. Ja, liebe Gemeinde, Erntedankfest feiern, das heißt Gott für seine Gaben danken und dieser Dank kann am Nächsten, kann an den armen Christen, den armen Kirchen und der armen Menschheit nicht vorübergehen. Und ich möchte das hier und heute einmal sagen: Gott gibt uns so viel Geld, so viel Wohlstand, damit wir damit etwas Gutes tun. Das ist Gottes Absicht mit unserem Reichtum: dass andere Menschen etwas davon empfangen. Wir haben genug – andere darben, andere verhungern, andere sterben im Mangel. Und solange dies so ist und eine reiche Christenheit sich an vollen Tellern beruhigt, kann das Lob Gottes nicht gesungen werden. Solange dies so ist und wir die Augen vor der Not zu machen und gleichzeitig sagen: Herr, wir danken dir, lästern wir ihn! Solange wir nicht spürbar für uns selbst unseren eigenen Familienetat durch das Opfer für die notleidenden Brüder und Schwestern in Christus, für die Not leidenden Menschenbrüder belasten, solange wird es kein geistliches Erwachen dieser Welt geben, solange haben auch Christen kein Recht, von einem säkularen Staat mehr Engagement zu fordern in der Entwicklungshilfe. Paulus hat für die Not leidende Gemeinde in Jerusalem nicht den römischen Staat bemüht, nicht die jüdische Caritas, sondern die Brüder und Schwestern, die mehr hatten. Und das allerdings, dass diese Brüder und Schwestern die Hand aufgetan und gegeben haben, das hat Menschen zum Lob Gottes geführt. Und ich denke, dass dies auch heute noch stimmt: wenn die christlichen Kirchen, wenn die einzelnen Christen anfangen, ihren Reichtum mit dem Mangel der Armen in Verbindung zu bringen und geistlich und materiell zu teilen, dann wird diese Welt ganz neu nach dem Glauben fragen, dann wird sie ganz neu aufmerksam werden auf das Zeugnis von der Liebe Gottes. Gottes Lob wird wohl in unserer Zeit wieder ganz neu laut werden, wenn wir dazu bereit und fähig werden: den großen Reichtum Gottes, die volle Genüge, die er uns schenkt zu teilen. Amen. 15.2.3 Aufbau und Analyse der Predigt Die Predigt von Paul-Ulrich Lenz kann in zwei Hauptteile untergliedert werden, die jeweils wieder in zwei Abschnitte unterteilt sind. In einem ersten Teil (I) geht es darum, wovon der Mensch als Ganzer lebt: von den Gaben Gottes, die (a) Körper und Geist (b) umfassen. Im zweiten Teil (II) entfaltet Lenz, wie der Mensch angesichts der Gaben oftmals lebt (c) und wie er in der von Gott geschenkten Autarkie leben soll (d). 170 I. Wovon wir leben (Zeile 1-51) a) Das „tägliche Brot“ als Zeichen der Treue und Güte Gottes (Z. 1-26) Damit beginnt die Predigt von Ulrich Lenz, dass er unter Rückgriff auf Gen 8, 20-22 die immerwährende Treue Gottes zum Menschen an den Anfang allen Redens stellt. Der Regenbogen ist das Zeichen dieser Treue. Um die Größe dieser Güte zu zeichnen, führt er deutend Mt 5,45 an („Er steht über guten und bösen Menschen...er steht über gläubigen und ungläubigen“ Z. 2ff.), wodurch er die Universalität und Souveränität von Gottes Handeln herausstellt. Zugleich macht er durch den Tempus der Gegenwart („dass Gott ... Tag und Nacht schafft“) klar, dass dieses Handeln Gottes als creatio continua noch in der Gegenwart geschieht. Lenz verschweigt nicht, dass es schwer fallen mag, einem solchen Gedankengang auf dem Hintergrund von Arbeitslosigkeit („es hat doch immer wieder Arbeit gegeben, leider nicht für alle“ Z. 12f.) oder finanzieller Knappheit („auch wenn die Zeiten schlechter geworden sind“ Z. 13f.) zu zustimmen. Auch die negativen Erfahrungen sollen zur Sprache kommen, weshalb er sie neben den vielfältigen Zeichen der Treue und Güte Gottes benennt („Er hat uns Zeit zugeteilt (...), in der wir uns freuen und in der wir traurig sein können“ Z. 16f.; „Er hat uns die Kraft zugeteilt, in der wir unsere Arbeit tun (...), in der wir auch unser Bündel an Last und Sorgen tragen können“ Z. 17ff.). Das „Bündel an Sorgen“ habe unter dem Zeichen der Treue Gottes seinen Platz. So gelte es, den Blick zu weiten und zu dem den ersten Abschnitt abschließenden Ruf zu führen „Ja, wir sind reich, auch wenn wir, Sie und ich, es vielleicht noch gar nicht bemerkt haben“ (Z. 24). b) Jesus Christus als Zeichen der Treue und Güte Gottes (Z. 27-51) Von hier aus deutet Lenz das Fest heilsgeschichtlich aus und richtet den Blick der Gemeinde auf das Zeichen der Treue und Güte Gottes, das über den Christen stehe: das Kreuz. In der kurzen Anamnese des Heilsgeschehen, die stark von einer theologia crucis geprägt ist und die Größe des göttlichen Heilshandeln pro me zum Ausdruck bringt („Für uns alle ist er, der eine Sohn Gottes, Jesus Christus, in die Armut gegangen, in das Elend des Sterbens, in das Leid des Todes (...) in die Angst, dass Sterben doch so viel schwerer ist, als wir es wahrhaben wollen.“ Z. 29ff.) bietet er eine Definition der Gaben Gottes, die auch die Zuwendung Gottes zur Seele des Menschen mit einschließe. Hierzu bedient er sich des eindrücklichen und zugleich trostreichen Bildes der am Kreuz ausgebreiteten Arme, die alles, Freud und Leid im menschlichen Leben, umfassen. Dadurch greift er wieder die zunächst im Horizont der Verheißung Gen 8 zur Sprache gekommenen Sorgen auf und legt sie in die Hände des Gekreuzigten („Er will die Freude in seine Hände nehmen und bewahren, er will das Leid in seine Hände nehmen und tragen, er will die Hoffnungslosigkeit in seine Hände nehmen und neue Hoffnung wecken.“ Z. 37ff.). Mit dem 171 Zitat Römer 8,38f. betont er die Endgültigkeit der Gnade Gottes und verweist mit Offb 21,5 auf den performativen Charakter der Liebe Gottes. Exemplarisch greift er das Wort, die Gemeinschaft und die Feier des Abendmahls heraus, durch die sich der Gläubige als von Gott reich beschenkter erfahren könne. Solche Erfahrungen der Güte Gottes lassen die „Herzen froh und weit“ werden (Z. 48f.) und machen die „Hände stark und freigebig“ (Z. 49). Auch diese Definition der Gaben ist, wie die des ersten Teils, klimaktisch aufgebaut. Der Akklamation „Davon leben wir“ folgt eine Aufzählung der den Menschen erhaltenden Gaben Gottes (a: Z. 79; b: Z. 40-43), die dann konkretisiert wird (a: Z. 10-23; b: Z. 44-47) und in der Feststellung des eigenen Reichtums mündet (a: „Ja, wir sind reich, auch wenn wir ... es vielleicht gar nicht bemerkt haben“ Z. 24; b: „Da wird es uns groß: es ist alles Gnade, überreiche Gnade, die Gott uns gibt.“ Z. 49f.). Beide Abschnitte benennen zusammenfassend Lenz’ Verständnis des Erntedankfestes (a: „Und so ist dieser Erntedanktag heute ein Tag, der uns ins Gedächtnis ruft: dass Gott uns überreich beschenkt hat.“ Z. 25f.; b: „Und das will der Erntedanktag heute: uns vor Augen halten wie große Gnade Gott uns überreich schenkt in seinem Sohn Jesus Christus.“ Z. 50f.) II. Wie wir leben (Z. 52-125) c) Die menschliche Autarkie „Hauptsache wir haben genug!“ (Z. 52-81) Nach dieser „Grundlegung“ entfaltet Lenz den Begriff der Autarkie aus 2. Kor 9, 8 anhand des Bildes von der Festung. Das Bild ist insofern geschickt gewählt, weil er trotz der Vorwegnahme „kritisches Wort“ zunächst auf die positiven Eigenschaften einer Autarkie eingehen, dann aber auch ohne Überleitung die verkehrten Autarkiebemühungen der Menschen zur Sprache bringen kann. Weckt Lenz zunächst positive Assoziationen wie Schutz, Geborgenheit und Wohlstand („Festung mitten im Feindesland“, „Getreidespeicher, die bis zum Bersten gefüllt sind“ Z. 54ff.), so zeigt er durch die Autarkiebemühungen in Geschichte und Gegenwart sogleich die kritischen, fragwürdigen Aspekte und Folgen einer solchen Autarkie auf, die er mit dem Satz „Hauptsache, wir haben genug!“ zusammenfasst. Der Vergleich gegenwärtiger Autarkiebemühungen mit dem Unabhängigkeitsziel des nationalsozialistischen Regimes erscheint schwer nachvollziehbar, auch wenn sein Anliegen, das Unheilvolle dieser Lebenseinstellung zu verdeutlichen, verständlich sein mag. Der Vergleich wirkt auch deshalb so drastisch, weil sich nahtlos die Konkretisierung gegenwärtiger Autarkiebemühungen im Bereich der Familie anschließt. Von dort folgt dann der Blick auf den größeren Kontext der Wirtschaftspolitik. Auch hier beginnt er mit einer rhetorischen Frage („Und leben nicht unsere Völker in einer erschreckenden Autarkiebewegung weg von den Notleidenden Völkern dieser Erde?“ Z. 66f.). Hier werde Autarkie nach Menschenmaß am deutlichsten sichtbar als „gottlose Einstellung gegenüber der Welt“ (Z. 69). So will Lenz jene Autarkiebemühungen, schon die Sehnsucht danach, an den Pranger stellen, weil sie 172 sich in einer Abkehr vom Nächsten erschöpfe und die Sorge um die eigenen gefüllten Vorratsräume zur Hauptsache mache – im großen Gefüge der Weltwirtschaft wie im kleinen Lebensbereich der Familie. Etwaige Rechtfertigungsversuche für ein solches Verhalten entkräftet er mit dem Unterschied von Ursache und Wirkung. Selbst wenn Spenden und Hilfsgelder nicht immer ihr Ziel erreichen, befreie es nicht von dem Grund, Hilfe zu leisten. Missbrauch von Spendengeldern hat es gegeben, Lenz führt mit dem Verweis auf den nigerianischen Diktator Idi Amin und den korrupten General der Republik Zentralafrika, Jean Bedel Bokasa, wohl extreme Beispiele an. Aber selbst diese sollen die Gemeinde nicht ablenken von der Wurzel des Problems, dem Festhalten an menschlicher Autarkievorstellung. Deswegen stellt er die göttliche Autarkie gegenüber als Autarkie, die keine volle Genüge zum Festhalten biete, sondern die weitergegeben werden müsse: „Das ist die Absicht Gottes mit unserem Reichtum: dass wir teilen lernen.“ (Z. 86f.). Blieb er in der Charakterisierung menschlicher Autarkiebemühungen noch in der 3. Person so spricht er nun im „Wir“, das ihn und die Gemeinde umfasst. d) Die göttliche Autarkie: Ihr habt genug für euch und für andere (Z. 82-125) Indem Lenz gegen jegliche menschliche Autarkie-Sehnsucht die von Gott geschenkte Autarkie stellt, die es dem Menschen ermögliche, weiterzugeben, kennzeichnet er den Grund des Teilens. Teilen sei nicht nur ein sich aus dem Reichtum ergebender positiver Nebeneffekt, sondern Intention des göttlichen Handelns. Das in Worte gefasste Ausrufezeichen („Lassen sie mich das einmal klar und deutlich sagen“ Z. 88) markiert den Anfang der Konkretion dieser These. Er ruft die Erinnerungen an die Gemeindewoche ins Gedächtnis, in der die Gemeinde spüren konnte, dass der, der etwas weitergibt, auch wirklich reicher wird. Dies entfaltet Lenz zunächst auf der geistlichen Ebene und ruft die Gemeinde zum Zeugnis ihrer Erfahrungen mit Gott auf, zum Zeugnis der Güte Gottes einander, und somit zur gegenseitigen Erbauung (Z. 92f.). Wie 2. Kor 9,6-15 die Ganzheitlichkeit des Menschen und der göttlichen Gnade mitdenke, schließe das Teilen aber auch das materielle Teilen mit ein („Es geht ums Geld. Auch da gilt: euer Reichtum diene ihrem Mangel.“ Z. 102f.). Es gebe kein Lob Gottes, das die Augen vor der Not der Menschen verschließt. Ein falscher Dank wäre es, auf das Geschenkte zu blicken und dabei stehen zu bleiben. Wer sich auf dem Geschenkten ausruht, könne Gott nicht Danken und nicht erwarten, dass es zum überschwänglichen Dank an Gott kommt („Solange wir nicht spürbar für uns selbst unseren eigenen Familienetat durch das Opfer für die (...) Not leidenden Menschenbrüder belasten, solange wird es kein geistliches Erwachen dieser Welt geben“ Z. 113ff.). Solange Christen nicht von ihrem Reichtum abgeben, dürfen sie diese Aufgabe, dem Mangel der Armen abzuhelfen, auch nicht auf weltliche Institutionen abwälzen. Diese Aufgabe betrifft jeden einzelnen in der Weise, wie auch Gottes Gaben auch jeden einzelnen treffen 173 („Paulus hat für die Not leidende Gemeinde in Jerusalem nicht den römischen Staat bemüht, nicht die jüdische Caritas, sondern die Brüder und Schwestern, die mehr hatten.“ Z. 118f.). Mit diesem Vergleich nimmt Lenz jeden einzelnen in die Pflicht. Dennoch: die Abhilfe materieller Mängel ist für ihn immer auch Missionsarbeit, weswegen er diesen Aspekt zum Schluss noch einmal betont („Wenn die einzelnen Christen anfangen (...) geistlich und materiell zu teilen, dann wird diese Welt ganz neu nach dem Glauben fragen.“ Z. 122ff.). 15.2.4 Die Predigt, der Predigttext und die Hörer Ein den ganzen Text durchziehendes Charakteristikum ist die Verwendung des Doppelpunkts, der quasi wie ein „Aufgemerkt“ vor die zentralen Aussagen gesetzt wird: „Damit endet die Geschichte von Noah: über allem steht das Zeichen der großen Treue“ (Z. 1); „davon leben wir: dass er so die Hände nach uns ausstreckt“ (Z. 40), „Die Autarkie, die Gott uns schenkt, die sieht anders aus: es ist keine...“ (Z. 83f.) Meist folgen dann Aufzählungen, die im Nominal- oder Verbalstil gehalten sind („Die Schuld eines Lebens (...) das Versagen der Liebe, das Aufgeben im Kampf (...) die Anklage gegen Menschen; Z. 34ff.; „davon leben wir: dass er so die Hände nach uns ausstreckt (...), dass er nach uns ruft und wir ihm antworten dürfen; Z. 40ff.). Auch die Anapher ist ein häufig verwendetes Stilmittel, das die jeweilige Besonderheit eines Abschnittes unterstreicht: „Seitdem steht das Zeichen des Kreuzes (...) Seitdem ruft der Gekreuzigte zu sich“ (Z. 33); „Da werden unsere Gewissen ruhig und wach zugleich, da werden unsere Herzen froh (...), da werden unsere Hände stark.“ (Z. 48f. ) Die Predigt ist dabei klimaktisch aufgebaut. So schließt der Abschnitt über die Treue Gottes mit der zusammenfassenden Ansage „Ja, wir sind reich, auch wenn wir, Sie und ich, es vielleicht noch gar nicht bemerkt haben.“ (Z. 24), der Abschnitt über die durch Jesus Christus am Kreuz ergangene Gnade: „Da wird es uns groß: es ist alles Gnade, überreiche Gnade.“ (Z. 49f.). Und die Predigt mündet – analog zu 2. Kor 9,6-15 – in dem durch das Teilen erwachsenden Lobpreis Gottes: „Dann wird diese Welt ganz neu nach dem Glauben fragen (...) Gottes Lob wird wohl in unserer Zeit ganz neu laut werden.“ (Z. 123ff.) In der Anrede bleibt Lenz in der Regel bei der ersten Person Plural, die er nur an einigen wenigen Stellen unterbricht, und zwar um aus dem Wir der Gemeinde heraus zu treten („Lassen Sie mich das einmal klar und deutlich sagen“ Z. 88; „Und ich möchte heute das hier und heute einmal sagen“ Z. 106). Ansonsten weiß er sich als ein Glied der Gemeinde und bezieht sich in dem, was er sagt, mit ein. Auch dann, wenn er die erste Person Singular „fremdes Ich“ verwendet: „Hauptsache mein Leben verläuft störungsfrei, was soll ich mich da noch groß um andere kümmern.“ (Zeile 65f.); „keine volle Genüge, die ich an mich reißen muss, sondern es ist eine volle Genüge, die ich weitergeben darf.“ (Zeile 84f.) Während Lenz im ersten Teil den Zuspruch von Gottes Treue entfaltet und dabei eine diesem Zuspruch Rechnung tragende, seelsorglich174 behutsame Sprache wählt, formuliert er im zweiten Teil eher appellativ. Zunächst dienen ihm drei rhetorische Fragen dazu, der Gemeinde die jedem Menschen eigentümliche Autarkie-Sehnsucht vor Augen zu führen (Z. 62ff.). Daraufhin kann er die Konsequenzen der göttlichen Autarkie deutlich machen: „Diesen Reichtum sollen wir mitteilen!“ (Z. 99); „Gott gibt uns so viel Geld, so viel Wohlstand, damit wir damit Gutes tun.“ (Z. 106f.) Dabei kann er auch sehr direkt werden („Solange (...) wir die Augen vor der Not zu machen und gleichzeitig sagen: Herr, wir danken dir, lästern wir ihn!“ Z. 111f.), weil er in der gleichen Überzeugung, mit der er von der Treue Gottes sprach, auch den sich daraus ergebenden Anspruch deutlich machen will. Im Eingang dieser Analyse wurde dargestellt, dass die dieser Arbeit zugrunde gelegte Predigt zwei Bearbeitungsschritten unterlag. Einmal die Abfassung zum Erntedanktag 1980 im Rahmen der Gemeindetätigkeit von Lenz in der Kirchengemeinde Schlitz und knapp ein viertel Jahrhundert später als Hilfestellung für Prädikantinnen und Prädikanten. Diese Überarbeitung mag für die Fülle an Beispielen und Bildern verantwortlich sein. Auch die sprachliche Distanz zur Gemeinde lässt sich so erklären. Beispiele wie die des Idi Amin oder Jean Bedel Bokasa verdanken sich wohl der Abfassungszeit um 1980, wobei es heute ein leichtes wäre, diese Namen durch aktuelle zu ersetzen. So predigt Lenz den Text, ohne den Text zu predigen. In diesem scheinbaren Widerspruch lässt sich der Umgang mit dem Text am treffendsten umschreiben. Er zitiert 2. Kor 9,6-15 nicht wörtlich, mit Ausnahme des Begriffs der Autarkie. Mit dem Wort „Überreich beschenkt“ deutet er ihn zumindest zwei Mal an (Z. 23 und Z. 51). Wörtlich zitiert er dagegen neben Gen 8,22, dem Ausgangspunkt der Predigt, noch 2. Kor 8,14, weil er anders als der Predigttext der Gemeinde nicht bekannt ist. Und er zieht Römer 8,38f. und Offb 21,5 heran, um die Beständigkeit und den performativen Charakter der Liebe Gottes zu verdeutlichen (Z. 42f.). Und dennoch predigt er den Text. Denn er überträgt Gedankengang, Argumentationsstil, Aufbau und Inhalt der Perikope auf die Situation der Gemeinde. Er greift er auf das paulinische Bild von Gott geschenkten Autarkie und dem sich daraus ergebenden Leben im Mitteilen der Gaben zurück. Wie für Paulus ist für Lenz Grund jedes Appells Gottes überreiche Gabe. Wie für Paulus dient alles Teilen letztlich dem Lobpreis Gottes. Das paulinische „Euer Reichtum diene ihrem Mangel“ 2. Kor 8,14 ist dabei der Leitsatz, unter dem die Predigt steht, wie es auch die grundlegende These des Apostels in seiner Kollektenbitte darstellt. So wird im ersten Abschnitt der Reichtum entfaltet und im zweiten die durch ihn ermöglichte Abhilfe des Mangels anderer. Während Paulus 2. Kor 9 jedoch zurückgreift auf aus der bäuerlichen Tradition stammenden Weisheitssprüchen, weist Lenz auf die Bedeutung des Kreuzestodes Christi und expliziert von da aus, wodurch die Gemeinde, über den materiellen Reichtum hinaus, überreich beschenkt ist. 175 15.2.5 Erntedankgedanken Vergegenwärtigung der Güte Gottes Ein wesentlicher Aspekt am Erntedanktag ist für Lenz damit die Vergegenwärtigung des von Gott geschenkten Reichtums, an dem der Einzelne partizipiert. Dieser umfasst das, was unseren Alltag prägt und trägt: das tägliche Brot, Zeit, Kraft, Gemeinschaft, Arbeit. Die Gaben sind sowohl die Dinge, die der Mensch zum Erhalt seiner körperlichen Fähigkeiten benötigt, aber auch all das, was der Seele nützt, weswegen Lenz eine soteriologisch-christologische Erweiterung der Gaben anführt. Die Gabe des Kreuzes – in Kürze: Vergebung der Schuld (Z. 34f.), Bewahrung (Z. 37f.), Zuwendung (Z. 38), Hoffnung (Z. 38f.) – entfaltet Lenz als Ermöglichungsgrund für jedwedes Teilen. Wie die Verheißung Gen 8 allen Menschen gelte, so gelte die Gabe des Kreuzes der Christenheit. Dadurch schafft er den Übergang vom großen Kontext der Menschheit zur Situation der im Namen Gottes versammelten Gemeinde. Die Hörer werden in diese Exklusivität der Zuwendung Gottes in Jesus Christus hineingenommen. Die Darstellung der Kreuzesgabe dient jedoch eher der Erbauung als der Abgrenzung. Wohl aber erwächst daraus der Gemeinde die Aufgabe, in Wort und Tat missionarisch tätig zu sein. Der performative Charakter der Gaben Dabei ist ihm wichtig, den performativen Charakter dieser Gaben und der darin offenbar werden Güte Gottes herauszustellen. Gottes Liebe mache alles neu und verändere den Menschen, mache ihn stark und freigiebig, weil sie schon die Sehnsucht nach menschlicher Autarkie überbiete und menschliches Verhalten so von Beginn an auf einen anderen Grund stelle. Menschliches Bemühen werde immer in der menschlichen Autarkiesehnsucht bleiben. Die Gemeinde erfahre jedoch in Gottes Wort, im Leben in und als Gemeinde Gottes und in der Feier des Abendmahls die göttliche Autarkie, die den Blick auf den Nächsten wendet. Der Begriff Autarkie wird so bei Lenz vom Charakteristikum menschlichen Strebens zu dem Paradoxon christlicher Existenz, das darin bestehe, dass der, der aus der Fülle gibt, nie aus der Fülle gerät, sondern durch Gott in ihr gehalten und erhalten wird. Dabei legt Lenz besonderen Wert auf die Ganzheitlichkeit des Empfangens, aus der auch die Ganzheitlichkeit des Gebens abgeleitet wird, als Mitteilen von Glaubensreichtum und materiellem Reichtum. Vermehrung des Lobes Gottes – die missionarische Ausrichtung Dadurch wird das Ziel der von Gott geschenkten Güter offenbar: das Lob Gottes und seine Vermehrung. Die Mitteilung des Reichtums diene der gegenseitigen Erbauung („Und vielleicht sind wir deshalb so glaubensschwache Leute, weil wir uns so wenig davon mitteilen, wie Jesus ... uns an die Seite getreten ist in schwerer Not:“ Z. 93ff.) und müsse in gleichem Maße als Zeugnis 176 vor der Welt laut werden („womöglich wartet in dieser Stadt schon lange einer darauf, dass einer zu ihm kommt und ihm erzählt, wie Jesus sein Leben hält.“ Z. 97ff.). Der Mensch werde so auch in die Verantwortung gegenüber ärmeren Ländern und Menschen genommen, aber alles soll geschehen um die Welt zum Lob Gottes zu führen. Dieses Ziel und nicht etwa die falsche Verwendung von Spendengeldern gelte es, sich vor Augen zu halten und als Maxime christlicher Existenz immer wieder neu bewusst zu machen. Aktives (Mit-)Teilen als missionarischer Dienst und von Gott intendierter Handlungsweise mit dem Ziel eines weltumspannenden Lobes Gottes: Gerade dadurch macht Lenz der Gemeinde klar, dass die in aller Ausführlichkeit geschilderten menschlichen Autarkiebemühungen der Öffentlichkeit und in die Öffentlichkeit drängende Existenz des Christentums grundlegend widerspreche. 15.3 „Leben heißt Teilen“: Bettina Lezuo zum Erntedankfest 1998 15.3.1 Die Predigerin und ihre Gemeinde Geboren wurde Bettina Lezuo 1961 in Erlenbach am Main. Nach dem Abitur im Jahre 1980 am Julius-Echter-Gymnasium Elsenfeld begann sie ihr Theologiestudium an der Universität Erlangen, das sie 1986 mit dem ersten theologischen Examen abschloss. Ihr Vikariat absolvierte sie von 1987 bis 1989 in der Gemeinde Nürnberg St. Leonhard. 1989 kam sie als Pfarrerin z.A. in die Gemeinde Zirndorf bei Nürnberg, in der sie bis 1992 blieb. Von dort führte sie der Weg in die mittelfränkische Gemeinde Alfershausen/Heideck im Dekanat Weißenburg. In dieser Zeit betätigte sich Lezuo auch als Mentorin bei der FEA (Fortbildung in den ersten Amtsjahren), im Dekanatsausschuss des Dekanats Weißenburg und war Mitglied im leitenden Team des Theologinnenkonvents. Seit 2001 gehört sie dem Kuratorium des FrauenWerks Stein e.V. an. Seit September 2002 ist sie Pfarrerin mit allgemeinkirchlichem Auftrag im Dekanat Würzbug, Dauervertretung Hoffnungskirche/Rimpar. Sie ist überwiegend in ländlichem Kontext aufgewachsen und hatte viel Kontakt mit der landwirtschaftlichen Situation, den sie als prägend bezeichnet. Dieser Kontakt blieb in ihrer Arbeit als Pfarrerin in vorwiegend ländlich geprägten Gemeinden bestehen. Die Gemeinde Alfershausen/Heideck, in der die in dieser Arbeit analysierte Predigt gehalten wurde, stellt eine Landgemeinde in einer mittelfränkischevangelischen Enklave im ansonsten katholisch-eichstättischen Bereich dar. Die Gemeinde ist seit 1528 evangelisch. Es leben in ihr noch relativ viele Voll- und Nebenerwerbslandwirte. Ein Schwerpunkt liegt in der Milcherzeugung, wobei mittlerweile oft auf die weniger arbeitsintensive Mutterkuhhaltung umgestellt wurde. Diese wie jede Predigt wurde auch im zweiten Gemeindeteil, der überwiegend katholischen Marktgemeinde Heideck gehalten. Eine Diasporagemeinde, in der die Gemeinde meist aus Zugereisten bestand, die aufgrund ihrer urbanen Herkunft mit Landwirtschaft relativ wenig in Kontakt gekommen waren. 177 15.3.2 Die Predigt zum Erntedankfest 1998 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Liebe Gemeinde! Schon auf den ersten Blick können wir es wahrnehmen: Heute ist Erntedank. Dieses Fest fällt uns regelrecht in die Augen. Hier im Altarraum unserer Kirche sehen wir die ganze Vielfalt der Gaben, die dieses Jahr für uns bereithielt. Alle diese Gaben machen anschaulich, dass wir Gott dankbar sind für die Ernte dieses Jahres und für unser tägliches Brot. Ganz alltägliche Lebensmittel sehen wir hier. Äpfel und Birnen, Trauben und Kürbis, Zwiebeln, Karotten und Kartoffeln. Ähren, aus denen Korn und Mehl und Brot wird. Hier ist Alltag in den Gottesdienst eingekehrt und wir sehen ein Stück unserer alltäglichen Welt. Einen Acker bewirtschaften, einen Gemüsegarten bebauen, Einkaufen, Kochen, Essen. Diese Lebensmittel beinhalten für jeden und jede von uns ein Stück Alltag. Alles ist da. Wir leben aber auch von dem, was wir uns nicht selbst machen können. Von Sonne und Regen zur rechten Zeit, von Wärme und Kälte. Wir bleiben angewiesen auf diese Gaben und auf die Treue und den Segen Gottes, damit alles wächst und gedeiht. Gott hat den Menschen versprochen: Solange die Erde steht, sollen nicht aufhören Saat und Ernte. Das war in früheren Zeiten ein Versprechen, das so viel meinte wie „bis in Ewigkeit“. Denn die Erde, unsere Erde, schien eines der beständigsten Dinge auf dieser Welt zu sein, einfach immer da. Festgegründet von Anbeginn der Schöpfung. Bei uns hat dieser Satz „Solange die Erde steht“ einen anderen Beigeschmack bekommen. Denn bei uns heute ist es machbar und vorstellbar, dass wir unsere Erde zerstören. Dass wir übertreiben mit all den guten Dingen, die zur Hilfe des Menschen erfunden wurden, wie Maschinen, Autos, Dünger, neue Gemüse- und Getreidesorten. Dass wir Schritt für Schritt unsere Erde aushöhlen, ausbeuten, auslaugen und sie dann irgendwann vielleicht wirklich nicht mehr steht und Saat und Ernte aufhören. Solange die Erde steht, das klingt auch fraglich, wenn wir an die zerstörerischen Kräfte der ungeheuren Waffen denken, die in vielen Ländern der Erde bereit stehen. Aber solange die Erde noch steht, wird Saat aufgehen. Das hat Gott versprochen. Einmal unsere gute Saat, die wir heute in der Kirche sehen: Die Gaben dieses Sommers. Unsere Ernte, unsere Lebensmittel. Solange die Ernte steht, geht aber noch eine andere Saat auf. Die Saat des Unrechts. An vielen Stellen unserer Erde ist sie aufgegangen. Es gibt viele Menschen auf unserer Erde, denen das tägliche Brot fehlt. So viele, viele Menschen, Männer und Frauen und Kinder, die Tag für Tag auf unserer Erde verhungern. Eigentlich ist es unfassbar, dass so etwas in der heutigen Zeit mit ihren enormen Möglichkeiten immer noch geschieht. Bei uns in Mitteleuropa haben wir reichlich. Nicht alle besonders üppig. Manche müssen schon sehr sparen und sich alles einteilen. Aber viele haben im Überfluss. Aber wie ist das in anderen Ländern? Über Südeuropa, den Osten nach Afrika, Asien, Lateinamerika? Dort lebt ein Großteil der Bevölkerung in unvorstellbarem Elend. Hungrig. Durstig. Krank. Obdachlos. Warum haben zwei Drittel der Weltbevölkerung nicht genug und wir so reichlich? Diese unangenehme Frage lässt sich an einem Tag wie heute nicht verdrängen oder vertuschen. Diese Frage wird an uns gestellt und nicht an Gott. Gott hat ja unsere Erde gesegnet und so ausfallen lassen, dass wir auf jeden Fall genug haben. Gott hat die Ernte bei uns gesegnet und anderswo leiden Menschen unter Hunger. Egal aus welchen Gründen: Schlechtes Wetter, zu niedrige Arbeitsmoral, Krieg und politische Wirren, ausgelaugte Böden, weil für uns Luxusgüter wie Kaffee, Tee, exotische Früchte produziert werden oder Futter für unser Vieh und Fleisch. Egal wie viel Schuld uns als Einzelne trifft oder auch nicht. Es bleibt eine Tatsache, dass nicht alle genug haben. In solch einer Situation, als manche reichlich hatten und andere nicht, nämlich die verarmte Urgemeinde in Jerusalem, da organisierte Paulus eine Hilfsaktion für sie, sammelte eine Kollekte und sagt „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“. Paulus wusste: Wer nicht teilen will, kann kein ganzer Mensch sein. Kein heiler Mensch in Gottes Sinn, kein gesegneter Mensch. Wenn wir nach vorne schauen, auf die Gaben dieses Jahres, dann sagen sie uns: Dass ich essen und trinken kann, reichlich, das ist nicht selbstverständlich. Dass ich einigermaßen gesund bin und Menschen habe, die zu mir gehören und auch sonst noch so manches, das ist nicht selbstverständlich. Wir bleiben angewiesen auf Gottes Treue und Segen, damit alles wächst und gedeiht. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir reichlich haben. So reichlich, dass wir andere zum Essen einladen können. Dass wir etwas verkaufen oder auch verschenken können. Dass wir abgelegte 178 60 65 70 75 80 Kleidung, Brillen, Werkzeuge an andere weitergeben können. Dass uns Geld übrig bleibt, mit dem wir anderen helfen können. Gott will, dass wir teilen. Gott will, dass sein Segen durch unsere Hände weitergegeben werden kann. Dass die Hungernden dieser Erde erreicht werden und die geschundenen Kreaturen, die Hilfe brauchen. Denn die Störungen in unserer Welt, die Verstörungen zwischen den Menschen, die Zerstörungen, all das ist Menschenwerk. Gott dagegen besorgt Tag für Tag die Bewahrung der Schöpfung. Gott gibt uns reichlich. Und Paulus ruft es uns im Angesicht der Gaben noch einmal in Erinnerung: Gott hat das Zeug dazu, dass alle Gnade auf euch ströme, damit ihr in allem Ding allezeit alles habt, was ihr braucht, und überreich seid in jedem guten Werk. Gott sei Dank für seine unaussprechliche Güte. (V8.15) Gott gibt uns reichlich und will, dass wir dankbar abgeben von unserem Überfluss. So kann sein Segen durch unsere Hände weitergehen. Wir wollen nachher hier im Gottesdienst das Heilige Abendmahl feiern und Brot und Wein miteinander teilen. Unsere katholischen Geschwister nennen das Abendmahl auch Eucharistie oder Danksagung. Damit ist zuerst einmal die Danksagung für die grundlegenden Nahrungsmittel gemeint, die wir dabei empfangen: Brot und Wein/Gewächs des Weinstocks. In ihnen empfangen und vollziehen wir zeichenhaft den Dank für das tägliche Brot und schmecken seine Fülle. Gemeint ist aber auch die Danksagung dafür, dass Gott uns Gemeinschaft stiftet, dass wir nicht allein für uns diese Gaben bekommen und haben, sondern dass wir das in Gemeinschaft tun. Gemeint ist auch die Danksagung dafür, dass Gott sein Leben im Abendmahl mit uns teilt. Jeder und jede, die mitfeiert, kann sich seiner Gegenwart und seines Wirkens bis in Ewigkeit vergewissern. Wir alle werden durch Kelch und Hostie daran erinnert, dass Leben in seinem letzten und tiefen Sinn teilen heißt. Leben heißt teilen und nur teilendes und sich mitteilendes Leben besitzt heilende und ganzmachende Kräfte. Leben heißt teilen, denn wir teilen miteinander ein Stück Leben. Und wir tun das gemeinsam mit Gott. Leben heißt teilen. Der Dank für die Gaben, die wir hier sehen, schließt ein, dass wir teilen mit anderen, die es brauchen. 15.3.3 Aufbau und Analyse der Predigt In vier Abschnitte lässt sich Bettina Lezuos Predigt zum Erntedankfest untergliedern. In einem ersten Teil geht sie im Rückgriff auf Gen 8,22 auf den Kasus und die besondere Alltäglichkeit des Festes ein (I). Dieser ist eine ganz andere Alltäglichkeit, die Saat des Unrechts und der Mangel in anderen Erdteilen gegenübergestellt (II). In die Frage nach der ungerechten Verteilung der Gaben auf der Welt stellt sie ihre Auslegung 2. Kor 9,6-15, wobei sie den Schwerpunkt auf das Teilen der von Gott reichlich gegebenen Gaben legt (III). Dies bringt sie dann in den Dialog mit dem Kasus Erntedank und darin mit verschiedenen Formen der Danksagung (IV). I. Die Alltäglichkeit des Erntedank (Z. 1-17) Die Augenfälligkeit des Kasus Erntedank nimmt Lezuo zum Anlass, die den Altarraum schmückenden als Zeichen der Dankbarkeit für über das Jahr erhaltenen Gaben Gottes herauszustellen. Sie tragen dabei in ihrer Vielfalt symbolhaften Charakter und schließen alle lebenserhaltenden Güter mit ein. Die Besonderheit des Festes liege darin, dass über diese Gaben „Alltag in den Gottesdienst eingekehrt“ sei (Z. 7f.) und somit jeder, egal welchen Alters, Milieus oder Kontexts an diesem Fest partizipieren könne, weil es die Alltäglichkeit eines jeden Menschen aufgreife. Die kurze, prägnante Feststellung „Alles ist da!“ schließt die Aufzählung der 179 Güter ab und erfährt dann eine weiterführende Deutung dahingehend, dass der Mensch von noch viel mehr lebt, als es der erste Blick auf den reich geschmückten Altarraum vermuten ließe. Dabei wird der für sie bleibende Kern des Festes deutlich: die stetige Angewiesenheit auf die Gaben Gottes („Wir bleiben angewiesen ... auf die Treue und den Segen Gottes“ Z. 12f.) und deren Unverfügbarkeit („Wir leben aber auch von dem, was wie uns nicht selbst machen können.“ Z. 11). Allen Dank und alle Hoffnung stellt Lezuo schließlich unter den Horizont der Verheißung Gottes Gen 8,22. Durch die correctio „Denn die Erde, unsere Erde“ (Z. 16) betont sie, dass diese Verheißung nicht ein Relikt vergangener Religiosität darstelle, sondern noch heute in die Gegenwart hineinreiche. Zugleich sei der Glaube an die Realität dieser Verheißung fragwürdig geworden. Sie bereitet diesen Gedankengang vor durch den Verweis „Das war in früheren Zeiten ein Versprechen, das so viel meinte wie ‚bis in Ewigkeit’“ (Z. 15) und der Feststellung „Die Erde schien eines der beständigsten Dinge auf dieser Welt zu sein“ (Z. 16). II. Die andere Alltäglichkeit – Saat des Unrechts (Z. 18-44) Lezuo möchte so den Blick noch auf eine andere Alltäglichkeit lenken, die am Erntedanktag in das Bewusstsein der Menschen trete („Bei uns hat dieser Satz ‚Solange die Erde steht’ einen anderen Beigeschmack bekommen. Denn bei uns heute ist es machbar und vorstellbar, dass wir unsere Erde zerstören.“ Z. 18f.). Dabei differenziert sie zwischen Errungenschaften der Technik, die aus gutem Willem und zu einem guten Zwecke geschehen und deren Gebrauch mit der Zeit aus Rücksichtslosigkeit oder Habgier pervertiert sei, und der Entwicklung zerstörerischer Waffen. Beides laufe aber darauf hinaus, dass die Verheißung, Saat und Ernte würden niemals aufhören, nicht mehr mit der Überzeugung wie Gen 8 geglaubt werden könne. „Aber solange die Erde noch steht, wird Saat aufgehen“ (Z. 25). Inmitten aller Zerstörung gelte die Verheißung Gottes. Auf das noch kommt es ihr an. Bleibt die Erde bestehen, bleibt auch die Verheißung gültig. Doch zweierlei Saat ist es, die aufgehe. Über die lebenserhaltende Saat hinaus auch die Saat des Unrechts, wobei erstere von Gott komme und letztere Werk des Menschen sei. Gottes Werk und Menschenwerk werden antithetisch gegenübergestellt wie auch die hungernden Menschen dem vermögenden Mitteleuropa. In der Bestandsaufnahme des Reichtums Mitteleuropas verzichtet sie darauf, alle über einen Kamm zu scheren und differenziert zwischen relativer und absoluter Armut („Manche müssen schon sehr sparen und sich alles einteilen.“ Z. 32f.). Dennoch dürfe das Leid in der Welt von einem übervollen Altar nicht verschluckt werden, sondern müsse gerade angesichts der Fülle zur Sprache kommen. So auch das Unverständnis, „dass so etwas in der heutigen Zeit mit ihren enormen Möglichkeiten immer noch geschieht“ (Z. 31f.), wie die Ausmaße des Leides, die sie drastisch auch beschreibt („Dort lebt ein Großteil der Bevölkerung in unvorstellbarem Elend. Hungrig. Durstig. Krank. Obdachlos.“ Z. 35f.). Die sich angesichts 180 solchen Leides aufdrängende Frage nach dem Warum stelle sich gerade am Erntedanktag. Nicht als Anklage Gottes, sondern als Frage an den Menschen, dem es gut gehe, während andere darben. Die Frage nach der Schuld soll nicht im Mittelpunkt stehen – das macht Lezuo deutlich, auch wenn sie ihrer Meinung nach angesprochen werden muss. Doch letztlich bringe auch die Frage nach der Schuld nicht weiter. So stellt sie dem übervollen Altar in der Kirche die leeren Altäre in ärmeren Ländern gegenüber. Diese Spannung, dieses Missverhältnis gelte es auszuhalten, weil es auch die Korinther aushalten mussten, als sie vom Apostel zur Sammlung für die Urgemeinde gebeten wurden. III. Wer nicht teilen will, kann kein ganzer Mensch sein (Z. 45-68) In der kurzen Paraphrasierung des Grunds der paulinischen Sammlung wie dem Herausgreifen von 2. Kor 9, 7b bringt Lezuo nicht nur die damalige Situation zur Sprache, sondern legt – unterstützt durch die Terminologie des Alltags („da organisierte Paulus eine Hilfsaktion für sie ... und sagt: ‚einen fröhlichen Geber hat Gott lieb’.“ Z. 46f.) – auch die negativen Assoziationen zu diesem Sprichwort mit hinein: als ob Gott nur dann liebe, wenn gegeben wird. Aber um das Geben gehe es ja nur mittelbar. Die Betonung liegt in diesem als These gehaltenen Abschnitt auf dem Wort „wollen“. Warum der Mensch, der nicht teilen will, nach paulinischem Verständnis kein ganzer Mensch sei, expliziert sie vom Kasus Erntedank aus. Sie ruft die Gaben des Jahres in Erinnerung und mit ihnen die Erkenntnis: sie sind nicht selbstverständlich. In dem Aufruf zum Teilen („Gott will, dass wir teilen.“ Z. 59) steckt kein plakativer Vorwurf. Denn es werde ja schon geteilt. Die Beispiele für gelungenes Teilen sind zwar als Vorschläge für beispielhaftes Handeln gekennzeichnet („Dass wir abgelegte Kleidung, Brillen, Werkzeuge an andere weitergeben können.“ Z. 56f.), legen jedoch den Schluss nahe, dass dies auch innerhalb Gemeinde durchaus schon Realität ist. Es geschieht schon das, was der Apostel von den Korinthern erbittet. Durch diese Erinnerung an bereits im Alltag praktiziertes Teilen umfährt Lezuo das Fahrwasser polemisch-plakativer Denunzierung der Gemeinde als Teilungsunwillige. So kann sie bestätigend und doch appellativ fortfahren: „Gott will, dass sein Segen durch unsere Hände weitergegeben werden kann.“ (Z.59) Dass sich dies nicht allein auf das Teilen des materiellen Reichtums beschränke, kleidet sie in das Wortspiel „die Störungen in unserer Welt, die Verstörungen zwischen den Menschen, die Zerstörungen“ (Z. 61f.). Darin ist ihr wichtig, die Erhabenheit und Andersartigkeit göttlichen Wesens und Wirkens noch einmal dem menschlichen Tun und Trachten gegenüberzustellen („all das ist Menschenwerk. Gott dagegen besorgt Tag für Tag die Bewahrung der Schöpfung.“ Z. 62f.). So kann sie den Skopus ihrer Predigt formulieren: „Gott gibt uns reichlich und will, dass wir dankbar abgeben von unserem Überfluss. So kann sein Segen durch unsere Hände weitergehen.“ (Z. 67f.). Der Strom göttlichen Segens setze sich also durch 181 das Handeln der dankbaren und teilenden Menschen fort. Wichtig sei dabei die Motivation des Gebens, was sie schon vorher thesenartig in den Mund des Apostels gelegt hat („Paulus wusste: Wer nicht teilen will, kann kein ganzer Mensch sein.“ Z. 48). Nicht εκ λυπης oder εξ αναγκης soll es geschehen, sondern dankbar im Angesichts der Gaben, die der Mensch selbst das Jahr über empfangen hat. Die in diesem Abschnitt herrschende Redundanz unterstreicht ihr persönliches Anliegen und bildet den Abschluss dieses Gedankenganges. IV. Erntedank als aktive Danksagung (Z. 69-84) Im Dialog mit dem Abendmahl resp. dem Begriff der Eucharistie werden die von Gott geschenkten Gaben nun noch einmal dargestellt. Es sind all die Dinge, die der Mensch zum Erhalt seiner Körperlichkeit braucht (Z. 73f.), aber auch das Leben in der Gemeinschaft (Z. 75). Und sie schließt eine christologisch-soteriologische Deutung des Erntedankfestes insofern an, als dass sie das Teilen des Menschen mit dem Kreuzestod Christi begründet, in dem sich Leben als Teilendes manifestiere. Leben heißt teilen, weil Gott selbst sein Leben am Kreuz geteilt habe und im Abendmahl immer wieder sein Leben mit den Menschen teile. Dieses Teilen und sich Mitteilen Gottes besitze ganzmachende und heilende Kräfte und diese gilt es durch eigenes Handeln weiterzutragen. So steht am Ende der Predigt die Forderung zu Teilen („Der Dank für die Gaben, die wir hier sehen, schließt ein, dass wir teilen mit anderen, dies brauchen.“ Z. 83f.). Sie ist eingebettet in das Geheimnis der Eucharistie und gründet in der Feier des Abendmahls, das sich an die Predigt anschließt und der Forderung zum Teilen letztlich ihren Grund gibt. 15.3.4 Die Predigt, der Predigttext und die Hörer Die Predigt ist gekennzeichnet durch mehrere Aufzählungen, die der Verdeutlichung der vorangestellten Sachverhalte, Thesen und Bilder dienen. Dabei bleibt die Predigerin stets in einer konkreten, z.T. bildhaften Sprache: „Ganz alltägliche Lebensmittel sehen wir hier. Äpfel und Birnen, Trauben und Kürbis, ...“ (Z. 6f.); „So viele, viele Menschen, Männer, Frauen und Kinder, die Tag für Tag auf unserer Erde verhungern.“ (Z. 29f.) Die Sätze sind meist kurz und prägnant gehalten. Einmal, weil sie keiner weiteren Erklärung und mäandrischer Ausschmückung bedürfen. Oder um sie wie Ausrufezeichen in die Gemeinde hineinzurufen: „Alles ist da.“ (Z. 10); „Dort lebt ein Großteil der Bevölkerung in unvorstellbarem Elend. Hungrig. Durstig. Krank. Obdachlos.“ (Z. 35f.); „Gott will, dass wir teilen.“ (Z. 59). Das Moment der Alltäglichkeit ist in den ersten beiden Abschnitten bestimmend und wird in dem Bild von Saat und Ernte gehalten. Dabei verwendet sie das Bild von der Saat nicht allein im „klassischen“ Sinn, der doch meist positiv gedeutet wird, sondern bezieht es im Sinne von Spr 22,8 auch auf das Fehlverhalten des Menschen gegenüber der Umwelt wie gegenüber den Mitmenschen („Saat des Unrechts“ Z. 27). 182 In der Paraphrasierung des Predigttextes wählt Lezuo eine Terminologie des Alltags und trägt so der Gemeindesituation Rechnung („da organisierte Paulus eine Hilfsaktion“ Z. 46; „Gott hat das Zeug dazu, dass alle Gnade auf euch ströme.“ Z. 65). Sie verzichtet auf die Verwendung theologischer Fachbegriffe und bleibt in einer Sprache, die im Alltag der Hörer verwurzelt ist. Das macht die Predigt verständlich und es lässt sich ihr leicht folgen. Es überwiegen dabei die Verben, durch die eine Bewegung in den Text kommt und ihn lebendig werden lässt. Schlüsselwörter bzw. wichtige Sätze werden wiederholt und aneinander gereiht (Alltag/alltäglich vier Mal, Z. 6ff.; „Solange die Erde steht“ fünf mal, Z. 14-25; „es ist nicht selbstverständlich“ drei Mal, Z. 51ff.; „Leben heißt teilen“, drei Mal, Z. 81ff.). Drei Mal gebraucht sie die Frage als stilistisches Mittel. Zwei Fragesätze reiht sie aneinander, um von der Situation in Mitteleuropa auf die weniger begüterten Länder und Kontinente zu richten. Durch den Kontrast zwischen arm und reich, hungrig und satt, haben sie den Charakter der rhetorischen Frage, auch wenn sich eine Beantwortung durch die Predigerin anschließt. Die dritte Frage bleibt offen, weil es keine unmittelbare Antwort auf sie gibt und mehrere verschiedene möglich wären: „Warum haben zwei Drittel der Weltbevölkerung nicht genug und wir so reichlich?“ (Z. 36f.) Bis auf eine Ausnahme bleibt die Predigerin im allgemein „Wir“. Die erste Person Singular dient ihr an einer Stelle dazu, um sich einzureihen in die Gemeinschaft der von Gott Beschenkten und dies persönlich konkret zur Sprache zu bringen: „Dass ich essen und trinken kann, reichlich, ist nicht selbstverständlich. Dass ich einigermaßen gesund bin und Menschen habe...“ (Z. 50ff.) Dass sie sich hier selbst meint, legt einmal die Verwendung des Wortes „einigermaßen“ nahe, aber auch der Wechsel in die erste Person Plural wenige Zeilen später, in dem der gleiche Sachverhalt des nicht selbstverständlichen „Reichtums“ expliziert wird. Um den Kasus Erntedank in all seiner Faszination, aber auch dessen Fragwürdigkeit zur Sprache kommen zu lassen, bedient sich Lezuo zunächst der Verheißung Gen 8,22. Der Predigttext dient dann einer erweiterten Definition des Festes mit dem Schwerpunkt auf dem Teilen, wobei der Übergang durch die Situation der weltweiten Armut hin zur Armut der Jerusalemer Urgemeinde hin fließend gestaltet wird. Dieser Übergang ist auch kennzeichnend für den Umgang mit dem Text in der Predigt. Denn es geht Lezuo nicht um eine historisch-exegetische Auslegung, sondern um die unmittelbare Bedeutung des Textes für die am Erntedanktag versammelte Gemeinde. Kontext und Grund der paulinischen Sammlung werden paraphrasiert und Lezuo greift dann die für sie zentralen Verse heraus (2. Kor 9,7b.8.15). Das sprichwörtlich gewordene „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“ dient dabei – ohne längere Erläuterung – Motivation und Grund des Gebens herauszustellen. Der überreiche beschenkende Gott ist dabei Ermöglichungsgrund allen Teilens, weswegen ihm Dank gebührt. Die von Paulus 2. Kor 9,6-15 vor Augen gehaltene, durch Gott geschenkte Gemeinschaft unter den Christen ist für sie ein wichtiges Moment 183 („Gemeint ist aber auch die Danksagung dafür, dass Gott uns Gemeinschaft stiftet, dass wir nicht allein für uns diese Gaben bekommen und haben, sondern dass wir das in Gemeinschaft tun.“ Z. 75f.) Gen 8,22 bringt Gottes Verheißung und dessen Erfüllung, bildlich durch die Gaben auf dem Altar präsent, nun auch sprachlich zum Ausdruck. Diesem Säen Gottes stellt sie die Saat des Menschen gegenüber, die zu einer ungleichmäßigen Verteilung der Güter führt. Mit 2. Kor 9,6-15 stellt sie die Bestimmung des Gläubigen als einen in der Gemeinschaft und in Verantwortung mit den Armen stehenden Menschen heraus. 15.3.5 Erntedankgedanken: Erntedank ist Alltag – Alltag ist Erntedank Am Erntedanktag gilt es für Lezuo, sich vor allem der Alltäglichkeit bewusst zu werden. Der nicht selbstverständlichen Alltäglichkeit der Güte Gottes wie auch der angesichts dieser Gaben nicht selbstverständlichen Alltäglichkeit des Unrechts, das durch den Menschen in dieser Welt herrscht. Wenn sie davon spricht, dass es eigentlich unfassbar sei, dass in der heutigen Zeit mit ihren enormen Möglichkeiten immer noch Menschen verhungern, geschieht das nicht, um Vorwürfe zu machen, sondern den Emotionen angesichts der medialen Präsenz solchen Leides eine Stimme zu geben. Und eben aufgrund dieser Omnipräsenz des Unrechts dürfe die Frage nach der ungerechten Verteilung der Güter an einem Danktag nicht ausgeblendet oder durch den vor Gaben überquellenden Altar verdeckt werden. Diese Fragestellung (Warum) und der aus ihr erwachsende Appell (Teilen) wie auch die dieses ermöglichende und motivierende Vergewisserung der über alle menschliche Zerstörungsmacht- und -wut hinweg geltenden Güte Gottes (symbolisiert durch die Gaben auf dem Altar) haben deshalb gerade am Erntedanktag ihren Platz, weil hier diese Triade besonders deutlich hervortritt und konkret fassbar wird. Die Souveränität Gottes Der Erntedanktag bringe damit die Unterschiedenheit von Gottes Saat und Menschensaat im wahrsten Sinne des Wortes auf den Tisch. Die Souveränität Gottes und seines guten, dem Menschen wohlgefälligen, Handelns durchzieht die Predigt wie ein roter Faden, der angesichts des Unrechtshandeln des Menschen und des reich geschmückten Altarraums um so stärker hervorleuchtet. Dieses Handeln Gottes dürfe nicht als punktuelles Ereignis verstanden werden, sondern entspreche seinem Wesen als treuer und segenspendender Gott, das sich von Anbeginn der Zeit bis zum Ende der Welt dem Menschen offenbare. Deshalb stelle sich Frage nach dem Warum des Hungers in der Welt nicht an Gott, sondern an den Menschen und müsse an diesem Festtag als Spannung ausgehalten werden. Aus dieser Spannung wie aus dem Gegensatz von Gotteswerk und Menschenwerk könne der Mensch nur dann heraustreten, aus der Saat des 184 Unrechts könne nur dann Saat im Sinne Gottes werden, wenn der Mensch handelt, wie Gott an ihm handelt, wenn er teilt, wie Gott es tat: sein Besitz, seine Gemeinschaft, sein Leben. Leben heißt Teilen – Erntedank als Alltag So wird der rote Faden der Souveränität Gottes mit dem Gedanken des Teilens verknüpft. Leben heißt Teilen, weil Leben sich nicht in einem einseitigen Empfangen erschöpfen dürfe. Das wäre kein ganzes bzw. ganzheitliches Leben. Weil sich empfangen und geben in der Solidarität der christlichen Gemeinschaft immer einander bedingen und nicht getrennt voneinander geschehen, heißt Leben empfangen von Gottes Gaben und teilen derselben mit denen, die wenig haben. Damit stelle Dank eine Grundhaltung christlicher Existenz dar, die alles Handeln bestimmt. Das wird in ihren Ausführungen zum Abendmahl deutlich. Denn in der Feier des Abendmahls habe der Gläubige teil an den von Gott geschenkten Gaben, über das tägliche Brot und der Gemeinschaft hin zum Kreuzestod Christi, die zum Mitteilen und Teilen ermächtigen. Jede Abendmahlsfeier ist in diesem Sinne für Lezuo ein kleines Erntedankfest – über den ersten Sonntag im Oktober hinaus. Am Erntedanktag kehre damit der Alltag in den Gottesdienst ein und wird wie an kaum einem anderem Tag konkret fassbar und zur Sprache gebracht. Diese Verbindung zwischen Gottesdienst und Alltag gelte es, mit in den Alltag mitzunehmen, der Gottesdienst soll damit auch wieder in den Alltag einkehren. Dadurch wird für Lezuo Erntedank Alltag und Alltag zum Erntedank. 16. Predigten zu Lk 12, (13+14) 15-21 16.1 Du hast uns Leib und Seel’ gespeist: Rainer Lawrenz zum Erntedankfest 2003 16.1.1 Der Prediger und seine Gemeinde Rainer Lawrenz wurde 1945 im westfälischen Lüdenscheid geboren. Er wuchs in einem nach eigener Aussage frommen, volkskirchlich geprägten Elternhaus auf, das ihn bis heute präge. Er studierte Theologie an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal sowie an den Universitäten in Bochum und Marburg. Sein Vikariat absolvierte er im hessischen Großwehlin. Anschließend war er als Gemeindepfarrer in Walburg, einem südlich von Kassel gelegenen Vorort Lichtenaus, und in Zierenberg tätig. 1995 wechselte er als Gefängnisseelsorger in die Justizvollzugsanstalt Kassel, in der er bis heute tätig ist. So stellt die am Erntedanktag 2003 versammelte Gemeinde nicht die klassische Gemeinde dar, sondern besteht aus Insassen der JVA Kassel. Dort waren zum Zeitpunkt der Predigt knapp 800 Sträflinge inhaftiert, von denen etwa 120 den wöchentlichen Gottesdienst besuchten. Er selbst unterteilt die gottesdienstliche Gemeinde wie folgt: Ein Drittel der Besucher käme aus echtem 185 Interesse am Gottesdienst und wollten Singen, Beten und die Predigt hören. Eine frühere christliche Sozialisation sei keine Seltenheit, viele seien von ihrer Kindheit her volkskirchlich geprägt und verfügten noch über ein Wissen christlicher Inhalte. Der vormals lockere Kontakt zur Kirche werde aus durchaus ernstem Interesse wieder zu beleben versucht. Ein weiteres Drittel wähle den Gang zur Kirche als willkommene Unterbrechung zum Alltag und habe kaum ein Interesse an den Inhalten des Gottesdienstes. Das letzte Drittel nutze die sonntäglichen Feier zur Kontaktpflege mit anderen Häftlingen, was mitunter auch zu einer lauten verbalen Kommunikation führe. Die Altersgruppen beschränken sich weitgehend auf die 25- bis 40jährigen. Auch seien mehrere verschiedene Gesellschaftsschichten vertreten, vom promovierten Akademiker bis zum Arbeiter, vom aus der Umgebung Stammenden bis zu Aussiedlern oder Ausländern aus den verschiedensten Nationen. Die JVA Kassel fällt unter die höhere Sicherheitsstufe 1, d.h. es sind auch sog. Schwerverbrecher mit Haftstrafen von über zehn Jahren inhaftiert. Den höchsten Anteil bilden jedoch die zu zwei bis sieben Jahre verurteilten Insassen. „Allein die Tatsache, dass ein Mensch in der JVA inhaftiert ist, sagt noch sehr wenig über die Person des Menschen aus“, ist ihm wichtig. So ist für ihn in der Vorbereitung der Predigten leitender Gedanke: „Was draußen richtig ist, wird drinnen nicht falsch sein. Und umgekehrt.“ Der Gottesdienst selbst findet im sog. Festsaal statt. Zum Erntedankfest wird er v.a. durch die klassischen Früchte und Gemüse geschmückt, um gerade am Erntedanktag den ohnehin schon „heruntergekommenen“ Raum äußerlich schön und freundlich zu gestalten. Darüber hinaus wurde an diesem Tag im Gottesdienst auch Abendmahl gefeiert. 16.1.2 Die Predigt zum Erntedankfest 2003 5 10 15 20 Liebe Gemeinde! Jesus wird in einer Erbauseinandersetzung als Schlichter angerufen. Das war damals in Israel nichts Ungewöhnliches. Das Recht leitete sich aus dem Alten Testament her, so war der Theologe auch als Jurist gefragt. Ungewöhnlich ist die Antwort Jesu. Er erachtet offensichtlich auch das Streben nach Erbbesitz als Habsucht. Und er schließt das mahnende Wort an, dass der Mensch sein Leben nicht aus dem empfängt, was er besitzt. Es gibt nach Jesu Wort eine andere Basis für das Leben als den Besitz. Der Begründung dient die Geschichte. Ein Großgrundbesitzer hat eine überaus gute Ernte zu erwarten. Und er fragt sich: „Was soll ich tun?“ Das ist eine grundlegende Frage. Haben wir uns nicht auch schon in den verschiedensten Situationen oft gefragt: „Was soll ich tun?“ So zu fragen, ist in zweierlei Hinsicht gut. Zum ersten, man stellt sich der Herausforderung einer neuen Situation und lässt sich nicht einfach nur treiben. Und zum zweiten zeigt diese Frage, dass ich Verantwortung für mein Handeln übernehmen will. Wir sollten nie aufhören, uns zu fragen: „Was soll ich tun?“ Dem reichen Kornbauer stellt sich diese Frage, weil er eine Sorge hat, die mancher – sicher auch von euch – gerne hätte; nämlich: wie soll er den über sein Erwarten großen Zuwachs an Vorrat, der ja auch einen geldwerten Reichtum darstellt, unterbringen? Nun, er beschließt, größere Scheunen und Vorratskammern zu bauen. Das ist richtig und vernünftig so. Er nimmt als Landwirt die Verantwortung wahr, die er durch seine Ernte hat. Wir Menschen haben nun mal natürliche Bedürfnisse, wie Essen und Trinken. Und Vorsorge ist da durchaus geboten. Was hätte der reiche Bauer denn anderes machen sollen? 186 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 Hätte er das Korn umkommen lassen sollen? Es ist doch sinnvoll, in guten Zeiten für die schlechten vorzusorgen. Vorräte anzulegen, zu sammeln, ist richtig, weil es menschlich notwendig ist. Darum gibt es Scheunen, auch Banken und eben auch Bibliotheken. Nein, dem Mann ist keinerlei Vorwurf zu machen, jedenfalls nicht bis hierher. Auffällig ist aber schon in seiner Rede mit sich selbst, wie oft er das besitzanzeigende Wort „mein“ benutzt: Meine Früchte, meine Scheune, mein Korn, meine Vorräte. In dem Erntedanklied „Wir pflügen und wir streuen“ von Matthias Claudius, das wir zu Anfang gesungen haben, klingt das anders: Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn. Das macht schon eine andere Ausrichtung zu Haben und Besitz aus: „Drum dankt ihm, dankt, und hofft auch ihn!“ Der reiche Kornbauer aber ist nur bei sich selbst. Und er ist es so sehr, dass er schon seine Seele mit ins Gespräch über seine Vorräte einbezieht. Er spricht seiner Seele Trost zu aus Haben und Besitz. Seine Seele soll Ruhe finden aufgrund der großen Vorräte, die er ansammeln konnte. Und seht, jetzt wird alles falsch, was er eigentlich ganz ordentlich und ganz richtig angefangen hatte. Die Seele lässt sich nicht mit Essen und Trinken füttern. Nun hat der Mensch nicht nur eine Seele, er ist auch eine. Deswegen wird im griechischen Neuen Testament für Seele und Leben, für die Person, oft dasselbe Wort benutzt: ψυχη. Im Deutschen sagen wir vom Menschen, dass er aus Leib und Seele besteht. Und wir wissen, dass Essen und Trinken Leib und Seele zusammenhalten. Dass unsere Seele leben kann, dazu braucht sie zu unseren Lebzeiten den Leib, in dem sie wohnt. Und die Bedürfnisse des Leibes machen Vorratshaltung notwendig. Aber die Bevorratung ist nicht das zentrale Anliegen, die Sorge der Seele. Mit großen Vorräten können wir die Seele, können wir uns nicht beruhigen, darauf ruht auch nicht die Hoffnung. Matthias Claudius hat den Dank für die Ernte in eine andere Dimension geleitet: „Drum hofft auf ihn!“ Das macht deutlich, dass wir über Essen und Trinken hinaus Qualität für unser Leben, dass wir Hoffnung brauchen. Hoffnung brauchen wir, weil unser Leben begrenzt ist. Jederzeit kann es damit vorbei sein. Und was wird dann sein, wenn keine Hoffnung ist? Nun können wir uns durchaus in die Situation des Bauern hineindenken. Denken und leben wir nicht auch so, dass wir meinen, wenn unsere Vorräte stimmen, genügend Vorrat an Geld, an Essen und Trinken, Kleidung, Auto, Haus und Wohnung, an Gesundheit, hier im Haus auch genügend Vorrat an Tabak und Kaffee, wenn unsere Habsucht, oft auch Gier, befriedet ist, dass wir dann Ruhe hätten? Wie reden wir z.B. vom Geldsparen? Wir sagen: „Kohle bunkern“. Das meint, den Besitz so zu sichern wie in einem Bunker. Und dann soll Ruhe sein. Was aber ist die Triebfeder wohl all solcher Rede- und Verhaltensweisen? Ich denke, es ist die Angst um mangelnde Zeit, die Angst vor dem Ende. Der reiche Kornbauer will ja seine Seele nicht nur mit dem Besitz als solchem beruhigen, sondern verspricht ihr davon ein Zugewinn an Zeit, an Lebenszeit. Er sagt: Du hast Vorrat für viele Jahre. Und das ist falsch. Der Seele kann Vorrat für viele Jahre, Vorrat an Zeit, weder durch Nahrung noch durch Geld geschaffen werden. Der Kornbauer unterliegt dem Irrtum, mit dem Vorrat für die leiblichen Bedürfnisse Zeit für seine Seele herausschinden zu können. Das geht schief. Offensichtlich kann er aber gar nicht mehr anders mit seiner Seele reden, und ich denke, dass sich dieses Problem bis heute noch nicht erledigt hat. Immer wieder verfallen wir selbst diesem Denken und solchem Gerede. Wir brauchen wohl eine Unterweisung darin, wie man zu seiner Seele spricht, gerade auch dann, wenn wir die Begrenzung unseres Lebens vor Augen haben. Wer aber könnte uns besser lehren, mit unserer Seele richtig ins Zwiegespräch zu kommen, als der, dem wir unsere Seele, unser Leben verdanken!? So wäre dies ein richtiges Gebet: »HERR, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss. Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird. Nun, Herr, wessen soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich.« (Ps 39,5-8). Das ist eine handfeste Nahrung für unsere Seele, ihr angesichts des unausweichlichen Endes Hoffnung zuzusprechen. Ruhe für meine Seele ist die Geborgenheit in Gott, die Gewissheit, dass sie um Gottes Willen nicht zerfällt, sondern erhalten bleibt über alle Zeit hinaus. Der Kornbauer hat ja etwas richtiges erkannt: Die Seele braucht Ruhe. Nur, die findet sie eben nicht in Haben und Besitz auch nicht in Essen und Trinken, das ist für den Leib da, der unserer Seele zu Lebzeiten Raum gibt. Eine handfeste Nahrung für die Seele ist das, was der Apostel 187 80 85 90 Paulus schreibt: „... ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn“ (Röm 8,38-39). Das Erntedankfest lässt uns die Freundlichkeit Gottes, die Freundlichkeit zu unserem Leib – und wenn wir uns die Geschichte vom Kornbauern recht zu Herzen gehen lassen – die Freundlichkeit zu unserer Seele, feiern. Es ist ein Dankfest. Und so lässt es sich am besten feiern: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, sagt der Volksmund. Das hat Gott schon in der Schöpfung so angelegt. So schenkt er uns - und hier in Europa überreichlich -, was wir dazu brauchen. Wir haben deswegen als Zeichen unseres Dankens Früchte auf dem Altar dargebracht. Und von diesem Altar lassen wir uns beim Abendmahl speisen mit Brot und Wein, damit Leib und Seele in Jesu Namen zusammengehalten werden. Amen. 16.1.3 Aufbau und Analyse der Predigt Die Predigt kann in drei Hauptteile untergliedert werden, die von einer Einleitung und einem Schlussteil umrahmt werden. Der erste Hauptteil (I) hat das Handeln des reichen Mannes, dessen positive Intention wie falsche Ausrichtung, zum Thema. Daran anschließend entwickelt Lawrenz die Hintergründe für ein solches Handeln (II), die schließlich anhand der Frage, wovon die Seele lebe, auf das tragfähige Fundament der Hoffnung auf Gott gestellt werden (III). Im Schlussteil charakterisiert er das Erntedankfestes als Feier der Freundlichkeit Gottes zum Menschen. Einleitung (Z. 1-7) Lawrenz steigt ohne große Umschweife in die Auslegung des Textes ein, wobei er diese den Text paraphrasierend gestaltet. Er folgt dem Aufbau Lk 12, 13-21, indem er zunächst die Erbstreitigkeiten und Jesu Reaktion hierauf zum Thema macht, diese jedoch nur kurz erläutert, um dann die Beispielerzählung vom reichen Kornbauern als Begründung für Jesu ablehnende Haltung in den Mittelpunkt zu stellen. Einer hinführenden Einleitung bedarf es nicht, der Text selbst bietet sie in der Bitte des Mannes nach Schlichtung. In dem vorangestellten Apophthegma mit dem überleitenden Vers 15 liegt für Lawrenz der Skopus seiner Predigt, das Leben habe eine andere Basis als den Besitz. Es ist eine Kurzauslegung der Verse 13-15 und nur hier führt er exegetische Hintergrundinformationen zum Text an. Der Einstieg erscheint so selbst im Stil des von Lk vorangestellten Apophthegmas, dessen Deutung durch die Bespielerzählung folgt. I. Das Handeln des reichen Mannes Lk 12 (Z. 8-41) Durch das Herausgreifen der Frage „Was soll ich tun?“ eröffnet Lawrenz das Gespräch der Hörer mit der Erzählung. Der Beginn dieses Abschnittes ist charakteristisch für den weiteren Verlauf der Predigt: von Beginn an nimmt der Prediger seine Gemeinde mit hinein in den Text und lässt sie von dort die Analogien zur heutigen Situation und die Parallelen zum Leben heute 188 sehen, wobei er dies explizit kennzeichnet („Haben wir uns nicht auch schon in verschiedensten Situationen oft gefragt: ‚Was soll ich tun’“ Z.9f.) oder im Sinne einer Parenthese in seine Auslegung einbaut („Dem reichen Kornbauern stellt sich diese Frage, weil er eine Sorge hat, die mancher – sicher auch von euch – gerne hätte“ Z.14f). Ihm ist es wichtig, die positive Intention der Frage herauszustellen; durch sie stelle man sich der Herausforderung einer Situation und zeige Verantwortung für sein Handeln (Z. 11ff.). Es sind einmal mehr kleine Randbemerkungen, parenthetische Notizen, durch die Lawrenz die Erfahrungen der Hörer und den Text miteinander verbindet (z.B. „darum gibt es Scheunen, Banken und eben auch Bibliotheken“ (Z. 23). Die Feststellung, dass dem Mann kein Vorwurf zu machen sei, ist eingebettet in zwei rhetorische Fragen, die kausal aufeinander aufbauen („Was hätte der reiche Bauer denn anderes machen sollen? Hätte er das Korn umkommen lassen sollen?“ Z.19ff.) und die Verantwortung des Menschen, die er gegenüber der Ernte hat, betonen (Z. 17f.). Leicht könne dieses verantwortungsvolle Handeln jedoch eine falsche Ausrichtung bekommen. Antithetisch stellt er das „Mein“ des reichen Mannes in einem Asyndeton („Meine Früchte, meine Scheune, mein Korn, meine Vorräte.“ Z. 26) dem Erntedanklied „Wir pflügen und wir streuen“ gegenüber und hebt die grundlegend andere Denkweise des Protagonisten hervor (Z.28f.). Dadurch stellt er nicht nur eine Verbindung zum Gottesdienst her, sondern bringt den Gedanken der Hoffnung, den er später weiter explizieren wird, ins Spiel und führt den Hörer zur Charakterisierung des Handelns des reichen Mannes als ein törichtes. Der immer wiederkehrende Hendiadyoin „Haben und Besitz“ verstärkt diesen Eindruck. Die Exclamatio „Und seht“ (Z.33) markiert nun sehr deutlich den Wendepunkt. Der Protagonist spreche der Seele Trost aus Haben und Besitz zu und mache deshalb die Sorge um Haben und Besitz auch zur Sorge der Seele. In Auseinandersetzung mit dem Begriff ψυχη stellt Lawrenz heraus, dass der Seele aber eine andere Aufgabe zukomme, weil auch ihre Bedürfnisse andere seien als die des Leibes. Weil ψυχη das Leben als Ganzes umfasse, brauche der Mensch als ψυχη mehr als Vorräte zum Erhalt der körperlichen Funktionen. Mit dem Volksmund („Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen“ Z. 38) stellt er noch einmal die Zusammengehörigkeit von Leib und Seele und die Unterschiedenheit ihrer Zuständigkeiten heraus („Aber die Bevorratung ist nicht das zentrale Anliegen der Seele“ Z. 40). II. Angst vor dem Ende als Grund fehlerhaften Handelns (Z. 42-62) Thesenartig stellt nun der zweite Hauptteil zu Beginn fest: „Mit großen Vorräten können wir die Seele, können wir uns nicht beruhigen, darauf ruht auch nicht die Hoffnung.“ (Z.42f.) Der Schlüssel zum Umgang mit der Seele liegt für Lawrenz darin, worauf der Mensch seine Hoffnung setze. Die Wortfelder „Hoffnung“ und „Ruhe“ werden dabei eng miteinander in Beziehung 189 gesetzt, geradezu synonym verwendet als Ausdruck der für die Seele notwendigen Nahrung. Ein Gedanke, der durch das Zitat des Erntelieds bereits vorbereitet wurde und durch die Anadiplose „...dass wir Hoffnung brauchen. Hoffung brauchen wir, weil...“ (Z.45) betont wird. Anstelle des „Was soll ich tun?“ tritt die existentielle Frage „Und was wird dann sein, wenn keine Hoffnung ist?“ (Z. 46f.), deren Beantwortung er den Assoziationen der Hörer überlässt. Lawrenz selbst lässt eine, die bisherigen Gedanken zusammenfassende, Übertragung auf die Erfahrungswirklichkeit der Hörer folgen, die er in einer Akkumulation heutiger Vorräte ausdrückt, in der er auch das einzige Mal explizit auf die Situation in der JVA eingeht („Denken und leben wir nicht auch so, dass wir meinen, wenn unsere Vorräte stimmen, genügend Vorrat an Geld, an Essen und Trinken, Kleidung, Auto, Haus und Wohnung, hier im Haus auch genügend Vorrat an Tabak und Kaffee, wenn unsere Habsucht, oft auch Gier befriedigt ist, dass wir dann Ruhe hätten?“ Z. 48ff.). Charakteristikum menschlicher Existenz sei das Anhäufen der Vorräte und die oft damit verbundene Vertröstung der Seele auf einen späteren Zeitpunkt. Der sich durch die Geschichte ziehende Gedanke, der Mensch könne seiner ψυχη Vorrat für viele Jahre durch Vorrat für die leiblichen Bedürfnisse schaffen, könne sich nur als Irrweg erweisen. Aber die Angst vor dem Ende sei es, die den Menschen gar nicht anders handeln lasse, als dass er seiner Seele verspreche, sich um sie zu kümmern, wenn er genügend Vorräte beisammen habe. Diese Vertröstung der Seele aber sei ein „falsches“ Gespräch mit ihr, weil es ihren Bedürfnissen nicht gerecht werde. III. Wovon die Seele lebt (Z. 63-81) Ein rechtes Gespräch mit der Seele dagegen dürfe nicht auf sich allein bezogen sein, sondern habe den zum Gesprächspartner, dem sie ihre Existenz verdankt, Gott. Dabei sei sie sich ihrer Endlichkeit bewusst und suche deshalb nach etwas, das ihr angesichts des bevorstehenden Endes Hoffnung gebe. Etwas abrupt wird die Art eines solchen Gesprächs als Gebet charakterisiert und damit dessen Andersartigkeit hervorgehoben. Das Zitat Ps 39,5-8 stellt ein für ihn klassisches Beispiel rechten Gesprächs mit der Seele dar, weil es auf die Frage „Wessen soll ich mich trösten“ nicht antwortet „Mein Trost ist mein Haben und Besitz“, sondern Trost und Hoffnung sucht bei Gott. Im Angesicht der Endlichkeit sei ein solches Gespräch mit der Seele handfeste Nahrung für die Seele, weil ihr darin angesichts des unausweichlichen Endes Hoffnung zugesprochen werde, die sich festmacht in der Gewissheit, dass weder Tod noch Leben sie scheiden kann von der Liebe Gottes (Z. 73f.). Nahrung für die Seele seien Trostworte wie die des Apostels Paulus Röm 8, weil sie dem Menschen die alle irdischen Begrenztheit übersteigende und überdauernde Liebe Gottes verdeutlichen. Dadurch komme sie zu der Ruhe, die der reiche Mann Lk 12 seiner Seele noch nicht gönnen bzw. ihr aus Haben und Besitz zusprechen wollte. Die Nahrung, die Gott für die Seele bereit halte, dürfe aber nicht auf später verschoben werden. Sie 190 müsse mit der Speisung des Leibes erfolgen, denn Leib und Seele können nicht voneinander getrennt werden. Schluss: Erntedank als Feier der Freundlichkeit Gottes zu Leib und Seele (Z. 82-91) Aus der Haltung des Bauers herauszutreten und sich der Freundlichkeit Gottes zu Leib und Seele bewusst zu werden, ist das Anliegen der Predigt. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen – noch einmal greift Lawrenz diese Volksweisheit auf, um im Verweis auf die Feier des Abendmahls deutlich zu machen, dass es nicht ein Essen und Trinken des Leibes allein sei, sondern auch der Seele. Die Erntegaben auf dem Altar symbolisieren die Speisung des Leibes und bringen den Dank dafür zum Ausdruck. In der Feier des Abendmahls werde die Seele gespeist und mit dem Leib zur Einheit, zu der einen Person im Angesicht Gottes. Diese Speisung im Abendmahl erscheint so gleichsam als die Antwort auf die eingangs gestellte Frage „Was soll ich tun?“ 16.1.4 Die Predigt, der Predigttext und die Hörer Lawrenz bleibt stets nah am Text, obwohl er ihn lediglich in der Frage „Was soll ich tun?“ wörtlich zitiert. Aber er deutet ihn paraphrasierend und bringt ihn zugleich ins Gespräch mit den Hörern. Den exegetischen Schwerpunkt legt er dabei auf das Gespräch des reichen Mannes. Aus den einleitenden Versen 13-15 ist ihm dabei vor allem der überleitende Vers 15, in dem der Blick auf die wahre Basis des Lebens gerichtet werde, von Bedeutung. Einen breiten Raum gibt er dem Selbstgespräch des reichen Mannes, weil es zum einen charakteristisch für den planenden Menschen sei, und zum anderen in dieser Art des Gesprächs immer die Gefahr einer einseitigen Ausrichtung liege, sei es nur zu sich selbst oder zu den irdischen Gütern. Die in Vers 20 zu Tage tretende Endlichkeit menschlichen Lebens ist für ihn Anlass, über die Hoffnung als Nahrung für die Seele zu sprechen. Fern liegt ihm eine Auslegung im Sinne einer gerechten Teilung der Güter und auch das nicht leicht zu verstehende „reich sein bei Gott“ bleibt bei ihm ungehört, weil er ganz um die Sorge der Seele bzw. für die Seele kreist. Wörtlich dagegen zitiert er in aller Ausführlichkeit Ps 39 als Beispiel für ein rechtes Gespräch mit der Seele. Aus gutem Grund. Weil er ja selbst der Überzeugung ist, dass man dies am besten von dem lerne, der das Leben der ψυχη gab, sollen es auch dessen Worte sein, die zum rechten Gespräch mit der Seele anleiten. Es ist ein längerer Abschnitt, nicht nur ein einzelner Vers wie etwa das später zitierte Psalmwort Ps 106,1. Das korrespondiert mit der impliziten Forderung, sich für das rechte Gespräch Zeit zu nehmen und ihm Raum zu geben. Auch Römer 8,38f. zitiert er wörtlich und begnügt sich nicht mit einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung. Auch hier will er der Gemeinde nicht nur ein Appetithäppchen hinwerfen, sondern die die Hoffnung tragende Verheißung Gottes auf der Zunge zergehen lassen will. Indem er herausstellt, dass die Bevorratung mit irdischen Gütern 191 nicht Sorge der Seele sein kann, greift er implizit das „Sorget euch nicht“ Lk 12,22 auf. Das Psalmwort Ps 106,1 (Z. 84f.) kann als Einladung in das Dankgebet verstanden werden, das sich in der Feier des Abendmahls fortsetzt. Diesem Anliegen Rechnung tragend vermeidet Lawrenz eine appellative Sprache. Die zweimalige Charakterisierung der Handlungsweise des reichen Mannes als töricht – das „Und seht: jetzt wird alles falsch“ (Z. 33) auf der Ebene der Beispielerzählung steht in Korrelation mit „Und das ist falsch“ (Z. 57) in der Übertragung dieses Verhaltens auf den Kontext der Hörer – ist nicht als Vorwurf, sondern im Sinn eines Wachrüttelns zu verstehen, durch das er die Hörer zum rechten Gespräch mit der Seele führen will. Somit ist Duktus und Sprache im wahrsten Sinne des Wortes seelsorglich, weil die Sorge um den rechten Umgang mit der Seele sein Anliegen ist. Die Zitate Röm 8 und Ps 39 bringen Ruhe in die Predigt und unterstützen die seelsorgliche Ausrichtung der Predigt. Auch das Verhältnis des Predigers zu seinen Hörern lässt sich darin fassen. Nach der recht allgemeinen Anrede („Liebe Gemeinde“) und einem sehr sachlich orientieren Einstieg, wird im Folgenden der vertraute Umgang mit der versammelten Gemeinde deutlich. Wenn er sie anredet, dann in der 2. Person Plural („sicher auch von Euch“ Z. 14f.; „und seht“ Z. 33). Das liegt wohl darin begründet, dass ihm der Großteil der Hörer mit ihrer Lebensgeschichte bekannt sein dürfte. Dennoch versucht er nicht, eine „plumpe Vertraulichkeit“ herzustellen, und bleibt in der Regel in der ersten Person Plural, wobei gerade in der impliziten Einladung zum Abendmahl deutlich wird, dass er stets sich selbst mit einbezieht („Von diesem Altar lassen wir uns beim Abendmahl speisen“ Z. 89f.). In die erste Person Singular wechselt er dabei entweder im Sinne des allgemeinen Wir („dass ich Verantwortung ... übernehmen will, Z. 12; „Ruhe für meine Seele“ Z. 73) oder als Exposition seiner Meinung („Ich denke, es ist die Angst...“ Z. 54; „ich denke, dass sich dieses Problem...“ Z. 61). 16.1.5 Du hast uns Leib und Seel’ gespeist: Erntedankgedanken Verantwortung des Menschen Der Mensch trage eine Verantwortung gegenüber den Gütern und gegenüber sich selbst. Durch die Herausstellung der positiven Tendenz der Frage „Was soll ich tun“ rückt Lawrenz dies ins Bewusstsein. Die Verantwortung gegenüber den Gütern liege darin, dass er sie nicht umkommen lässt. Gegenüber sich selbst habe er sie dahingehend, dass er seine Sorge nicht allein auf die Speisung des Leibes beschränkt, sondern durch ein rechtes Gespräch mit der Seele auch ihr Nahrung gewährt. Das ermögliche Ruhe und Hoffnung, ohne die die Seele letztlich nicht existieren könne und ohne die sie in der Frage „Was wird dann sein, wenn keine Hoffnung ist“ gefangen bliebe. 192 Christologische Ausrichtung des Festes: Leib und Seele als Ganzes Lawrenz wählt so über Lk 12 in Verbindung mit Römer 8 letztlich eine christologischsoteriologische Ausrichtung des Erntedankfestes, die nicht ausführlich auf die ursprüngliche Färbung des Festes einzugehen braucht, weil diese ja bereits durch die Gaben auf den Altar zum Ausdruck komme. Statt dessen legt er Wert darauf, den Blick auf eben jene vom reichen Mann Lk 12 vernachlässigte Nahrung für die Seele zu richten. Nahrung für die Seele sei die durch Jesus Christus begründete Hoffnung, auf die der Mensch das Vertrauen setzen und somit die Angst vor dem individuellen Ende überwinden könne. Sie werde in den Kreuzesgaben am Altar, in Leib und Blut Christi sichtbar und sinnlich erfahrbar. Darin klingt das Wort Jesu Mt 16,26 an. Das Erntedankfest ist für Lawrenz damit ein Ausrufezeichen, das die Ganzheitlichkeit des Menschen als ψυχη wieder ins Bewusstsein ruft. Leib und Seele habe Gott zusammengefügt und das solle der Mensch nicht scheiden. Den Erntedanktag durch die Betonung des leiblichen Elements zu einem Kontrapunkt zu dem sonst heilsgeschichtlich orientierten Kirchenjahr zu machen, das würde bedeuten, die Seele zu vertrösten, wie es der Mann Lk 12 tat. Im Dialog mit dem Erntedanklied EG 508 und Ps 106,1 stellt Lawrenz die Angewiesenheit des Menschen auf die Güte Gottes heraus. Der ganze Mensch, Leib und Seele, danke ihm an diesem Tag und setze seine Hoffnung auf ihn. Es klingt die erste, allem weiteren vorangestellte Frage des Heidelberger Katechismus durch: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ Nicht Haben und Besitz, sondern die Gewissheit, dass „ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin, der mit seinem treuen Blut für alle meine Sünden vollkömmlich bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst hat und also bewahrt, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt kann fallen, ja auch mir alles zu meiner Seeligkeit fallen muss.“ Der eschatologische Ausblick Dadurch kurz, fast nur angedeutet, aber präsent: der eschatologische Ausblick. Während für den reichen Mann das Leben in dem Moment ende, in dem er von dem, worauf er seine Hoffnung gesetzt hat, getrennt werde, so geschehe eine solche Trennung von der Lebensgrundlage nicht bei dem, der sie in der Verheißung Gottes sucht, dass seine Seele „erhalten bleibt über alle Zeiten hinaus.“ (Z. 73f.). Am Erntedanktag gelte es demnach, auch den Blick auf das Leben zu richten, das den Gläubigen erwartet, wenn die leiblichen Voraussetzungen für das Leben nicht mehr gegeben sind. So werde das Erntedankfest zu einer Feier der Freundlichkeit Gottes zum Menschen. Diese Freundlichkeit erweise sich in den Gaben, die Gott zum Erhalt der körperlichen Fähigkeiten zukommen lässt, wie er sie auch dem reichen Mann Lk 12 gewährt hat. Anders als in der Beispielerzählung feiert die Gemeinde an diesem Tag aber auch die 193 Freundlichkeit Gottes zur Seele des Menschen, derer die Gläubigen in der Feier des Abendmahls gewahr werden können. Von der Frage nach dem Umgang mit Besitz zur Frage nach der Hoffnung hin zum Ausdruck aller Hoffnung – diesen Weg möchte Lawrenz mit den Hörern gehen. Und in der Feier des Abendmahls konkret werden lassen. 16.2 Erntedenkfest: Ulrich Wiegand zum Erntedankfest 2003 16.2.1 Der Prediger und seine Gemeinde Ulrich Wiegand, Jahrgang 1961, studierte zwischen 1981 und 1986 in Heidelberg und Mainz Theologie. Geprägt wurde er von der Jugendarbeit des CVJM, in dem er schon als Jugendlicher Erfahrungen in der Jugendarbeit sammelte. Während des Studiums lag für ihn ein Schwerpunkt im Neuen Testament. Zugang zur Homiletik fand er durch Gert Otto und Henning Luther. Als Vikar war er in Dreieich-Sprendlingen tätig und sammelte für ein halbes Jahr auch praktische Erfahrungen in der Flughafenseelsorge und im Sozialdienst am Rhein-Main-Flughafen, worunter auch Gottesdienste im Rahmen der Flüchtlingsbetreuung oder für Passagiere fielen. Seine erste Pfarrstelle war in der Johannneskirchengemeinde in Wiesbaden (1989-1994). Seit 1995 ist er in der Thomasgemeinde in Darmstadt tätig. Die evangelische Thomasgemeinde ist 1961 aus einem Pfarrbezirk der Martinsgemeinde entstanden. Sie liegt am nordöstliche Stadtrand und umfasst im Kern das sog. Komponistenviertel. Das Gemeindegebiet ist soziologisch heterogen und umfasst Villen, Reihenhaussiedlungen, Mietwohnungen in mehrstöckigen Häusern, ein Altenzentrum und eine Altenwohnanlage. Das Gemeindezentrum in der Flotowstraße befindet sich neben einem kleinen Ladenzentrum. Seit 2001 sind die vormals zwei Pfarrstellen auf eine Pfarrstelle reduziert. Die sonntäglichen Gottesdienste finden im Kirchsaal des Gemeindezentrums statt. Einen Schwerpunkt bildet die Seniorenarbeit, da über 30% der Gemeindemitglieder älter als siebzig Jahre sind. Ein zweites größeres Aufgabenfeld stellt die Arbeit mit jungen Familien dar. Hier erweist sich der Kindergarten als wichtiger Anknüpfungspunkt. In regelmäßigen Familien- und Kindergottesdiensten spiegelt sich das wider. Großes Gewicht haben auch die musikalischen Kreise (Kirchenchor, Flötenkreis). Gerade bei diesen Angeboten ist jedoch die Überalterung deutlich spürbar. Es gelingt kaum die Altersgruppe zwischen 30 und 50 Jahren anzusprechen. Die jüngere und mittlere Generation tauchen im Gemeindeleben, wenn überhaupt, als Eltern auf. Eine Ausnahme bildet der Gospelchor, in dem diese Altersgruppe den Schwerpunkt bildet. Im sonntäglichen Gottesdienst sind die Älteren besonders zahlreich vertreten, doch werden Gottesdienste zu besonderen Anlässen (z.B. Erntedank) auch von zahlreichen Familien mit Kindern besucht. 194 16.2.2 Die Predigt zum Erntedankfest 2003 5 10 15 Liebe Gemeinde, Erntedankfest feiern wir heute. Mit den Gaben auf dem Altar erinnern wir an die Grundlagen unseres Lebens und danken Gott, dass wir von allem genug, ja überreichlich haben. Das Erntedankfest hat tiefe, agrarische Wurzeln. Zu Zeiten, als alle noch ihr eigenes Korn, ihr eigenes Gemüse und Obst anbauten, lag der Dank für die Ernte auf der Hand. Zugleich gab jeder etwas von seinem Ertrag ab, damit auch die Armen gespeist werden konnten. Wir Städter aber leben überwiegend von dem, was wir kaufen. Bis auf wenige Ausnahmen sind es nicht mehr unsere eigenen Hände, die säen, pflanzen, düngen und ernten. Unser Erntedankfest ist dadurch zu einem Erntedenkfest geworden. Wir richten unsere Gedanken auf das aus, was sonst aus unserem Blickfeld ist: Die Herkunft unserer Lebensmittel. Wir feiern, was uns zur täglichen Selbstverständlichkeit geworden ist: Genug zu Essen und genug zu Trinken, Überfluss an Kleidung und vielem anderen, was uns das Leben schön macht. Immer mehr ist deshalb auch der Gedanke des Teilens zum Motto dieses Festes geworden. Der Blick vom eigenen, reich gedeckten Tisch fällt auch auf die Tische in dieser Welt, die weniger gut gefüllt sind. Selbstverständlich sammeln wir heute für Brot für die Welt. Erntedankfest, Erntedenkfest, Ernteteilfest. Lassen Sie uns schauen, wie sich der heutige Predigttext in diesen Bogen unseres Festes einreiht: (Lesung Lk 12,16-21) 20 25 30 35 40 45 50 Um das Danken geht es nicht in diesem Beispiel Jesu, auch vom Teilen ist nicht die Rede. Am Ehesten scheint es ein Text zum Nachdenken zu sein. Fast ein Gerichtstext mit einer drohenden Pointe: Wer weiß schon, wann ihm diese Stunde blüht? Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern - Mitten in die Dankesstimmung des Festtages bringt dieser Satz einen schrillen Misston. Was hat er eigentlich falsch gemacht, dieser reiche Kornbauer, den ein so hartes Schicksal trifft? Hat er gegen die Gebote verstoßen? Hat er andere um ihren Besitz gebracht? Keineswegs, ihm ist eigentlich etwas sehr Erfreuliches passiert: Seine Felder haben gut getragen. Er war offensichtlich fleißig gewesen, hat gut gewirtschaftet und mit dem Wetter Glück gehabt. Er hat das erfahren, was die Bibel sonst Segen nennt. Das ist nichts Verwerfliches. Ein solcher Mensch würde unter uns hohes Ansehen genießen. Er sorgt dafür, dass genug Nahrung vorhanden ist und trägt damit zum Wohl aller bei. Ich glaube auch nicht, dass er seine Vorräte alleine für sich wollte. Natürlich hätte er einiges verkauft und sich damit einen gewissen Wohlstand gesichert. Für das alles ist er nicht zu tadeln und schon gar nicht zu verurteilen. Jesus nennt ihn aber einen Narren, einen ganz und gar unverständigen Menschen. Was hat er nicht verstanden? Was hat er nicht beachtet? Er hat seine Rechnung ohne Gott gemacht. Er hat vergessen, dass das Leben in Wirklichkeit nicht planbar ist. Seine eigene Zeitlichkeit, seine Begrenztheit hat er außer Acht gelassen und deshalb geht seine ganze Rechnung nicht auf. Sein Fehler ist die Sicherheit, mit der er meint, jetzt leben zu können, wo er seine Vorräte in Sicherheit gebracht hat. Wir kennen solche Schicksale: Menschen arbeiten auf ein großes Ziel hin. Ihr eigenes Haus, das Wohl der Kinder, die gehobene berufliche Position, schließlich der wohlverdiente Ruhestand. Dafür bringen sie große Opfer, dafür verzichten sie auf so manches. Manchmal aber geht die Rechnung nicht auf. Da trifft sie selbst oder auch liebe Angehörige eine Krankheit oder ein Unfall, im schlimmsten Fall sogar der Tod. Sie werden herausgerissen aus ihrer Planung, die ganze Arbeit erscheint auf einmal umsonst. Alles war eingeplant, nur das nicht. Plötzlich und unerwartet hat uns dieser Schicksalsschlag getroffen. Jesus nennt solche Menschen Narren, die nicht mit ihrer eigenen Endlichkeit rechnen. Er tadelt die, die ihr Leben meinen planen und absichern zu können. Er warnt vor einem Leben, das über der Vorsorge für die Zukunft die Frage des Augenblickes vergisst. Die Sorge um die Zukunft wird in unseren Tagen sehr wohl groß geschrieben, allerdings mit anderen Vorzeichen als im Beispiel vom reichen Kornbauern. Vielmehr heißt es, dass der Wohlstand in Gefahr und der Lebensstandard in Frage gestellt ist. Die fetten Jahre scheinen vorbei und die Zeiten der Unsicherheit angebrochen. An allen Ecken und Enden wird das Geld knapp und müssen Ausgaben gekürzt werden. Unsere Politiker hätten gerne „nur“ das Problem des reichen Kornbauern, dessen Scheunen zu klein für seine Ernte sind. Uns fehlen vielmehr die Vorräte für unsere zu groß gewordenen Scheunen aus früheren Jahrzehnten. Die Rentenkassen und Krankenkassen sind nicht mehr gefüllt, die Arbeitslosenkasse ein Fass ohne Boden. Womit können wir sie in Zukunft noch füllen, wenn schon die Gegenwart auf Schulden gebaut und diejenigen, die arbeiten, immer weniger werden? Es gibt kein wirkliches Konzept und die 195 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 105 110 zaghaften Rettungsversuche wirken wie Kleingärtnerei auf einem viel größeren Feld, das bestellt werden müsste. Ich glaube, wir kämen in den Augen Jesu nicht besser weg als der reiche Kornbauer. Narren, Unverständige sind auch wir, denn wir verstehen bis heute nicht, wer dieses Leben trägt und begrenzt. Zugegeben, ist es etwas anderes, für eine ganze Gesellschaft politische Entscheidungen zu treffen als nur mein eigenes kleines Leben zu planen. Was beides aber verbinden sollte, ist die Einsicht, dass unser Leben mehr braucht, als diese materiellen Grundlagen. Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! So sprechen Menschen, die die Ruhe ihrer Seele, die den Mut und die Hoffnung ihres Lebens auf ihre finanzielle Absicherung gründen. Sie brauchen das Gefühl, das nichts passieren kann, damit sie ruhig schlafen können. Sie wollen jede Unsicherheit umgehen, um das eigentliche Leben genießen zu können. Ein solches Lebenskonzept wird nicht tragen, sagt Jesus. Selbst wenn es erfolgreich ist, selbst wenn es reiche Erntefrüchte trägt, findet es seine Grenze an der Zerbrechlichkeit unseres eigenen Lebens. Kein Vorrat der Welt garantiert dir das Leben und das Heil deiner Seele. Keine Versicherung steht für das Gelingen deiner Träume und die Erfüllung deiner Zeit ein. Der größte Schatz unseres Lebens, nämlich die Zeit, die Gott uns schenkt, lässt sich nicht horten. Für unsere Zeit gibt es keine Vorratshäuser. Sie wird uns mit den Gaben der Ernte vielmehr jeden Moment neu geschenkt. Narren sind Menschen, die ihr Leben ohne einen Gedanken an das Ende leben. Deshalb bittet der 90. Psalm um Verständigkeit angesichts der Begrenztheit unseres Daseins: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. (Ps. 90,12) Vom Erntedankfest über das Erntedenkfest zum Ernteteilfest spannen sich die Leitmotive des heutigen Tages. Ich meine, dass dieser Text aus dem Lukasevangelium doch den ganzen Bogen umfasst. Selbst wenn das Wort des Dankes darin nicht vorkommt, legt es uns die Dankbarkeit für die Ernten unseres Lebens ans Herz. Wenn das Leben über uns sein Füllhorn ausschüttet, wenn uns ein wohlgedeckter Tisch und viel mehr als das zuteil wird, dann möge der erste Gedanke eben nicht dem Horten, sondern dem Danken gelten. Der Dank weitet das Herz und weist den Gaben des Lebens ihren angemessenen Platz zu. In Wirklichkeit ist es ja gerade nicht das Brot und der Wein, nicht das Fleisch und die Kartoffeln, auch nicht das Haus und das Auto, auch nicht die Gesundheit und die Familie, die unser Leben ausmachen. Diese wunderbaren Gaben machen das Leben reich und schön, sie schenken uns Freude und immer wieder neue Kraft, doch im Grund unseres Lebens können sie uns nicht tragen. Sie bleiben seine Gaben und sind deshalb Anlass zum Ernte- und zum Lebensdank. Dieser Dank findet seinen besonderen Ausdruck im heutigen Gottesdienst, aber er bleibt der erste Schritt zum Bedenken der richtigen Prioritäten in unserem Leben. In der Komposition des Lukasevangeliums ist der reiche Kornbauer ein Beispiel in einer längeren Rede Jesu. Unmittelbar im Anschluss stehen die bekannten Worte, die wir auch aus der Bergpredigt kennen: 22 Er sprach aber zu seinen Jüngern: Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen sollt, auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen sollt. 23 Denn das Leben ist mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung. Beinahe ist es paradox, gerade heute, wenn die Grundlagen des Lebens so anschaulich auf dem Altar liegen, zu sagen: Das Leben ist aber mehr als das. Genau das aber geschieht dadurch, dass der reiche Kornbauer das Evangelium am Erntedankfest ist. Die Sorge um die Lebensmittel, die Frage nach der Absicherung der Zukunft, darf nicht zur Leitfrage unseres Lebens werden. Zum Vertrauen auf Gott ermutigt Jesus die Seinen und verlangt von ihnen, notfalls auch auf alle materiellen Sicherheiten zu verzichten. In diesem extremen Schritt, den die Jünger wagten, wird deutlich, dass der Dank für die Gaben der erste Schritt zur Freiheit des Glaubens ist. Schließlich wird auch das Teilen nicht unmittelbar in unserem Text erwähnt. Und dennoch reiht er sich in das Ziel der geteilten Gaben mit ein. Gerade im Lukasevangelium wird Wert auf die Gemeinschaft auch an Gaben und Gütern gelegt. Zachäus, der bekehrte Oberzöllner, dessen Geschichte wir nur von Lukas kennen, ist ein gutes Beispiel dafür oder auch die Gemeinschaft der ersten Christen in Jerusalem, von denen ebenfalls Lukas in der Apostelgeschichte berichtet. Die Dankbarkeit für die vielen guten Gaben Gottes. Das Bedenken des eigentlichen Grundes unseres Lebens. Das Teilen mit den Bedürftigen. Am Erntedankfest gibt es viele Gründe zu feiern und Gott zu loben. Vor allem erfreuen wir uns seiner Liebe und Gnade, die uns jeden Tag neu dieses Leben schenken, bis es heute, morgen oder in Zukunft in seine Hand zurückkehrt. Amen. 196 16.2.3 Aufbau und Analyse der Predigt Ulrich Wiegand gliedert seine Predigt in drei Teile. Einer Einleitung, die den Kasus, dessen ursprüngliche und heutige Bedeutung thematisiert, folgt eine Auseinandersetzung mit dem Handeln des reichen Mannes Lk 12 wie deren Parallelen im menschlichen Verhalten heute (I). Der darin charakteristischen Sorge und dem Umgang mit ihr ist der zweite Abschnitt gewidmet (II). Von hier aus werden Kasus und Text unter den Motiven „Erntedankfest – Erntedenkfest – Ernteteilfest“ betrachtet (III). Ein kurzer Abschluss bestimmt den Grund des Festes. Einleitung: Der Kasus Erntedank, seine ursprüngliche und aktuelle Bedeutung (Z. 1-16) Mit der Inversion „Erntedankfest feiern wir heute“ (Z. 2) beginnt Wiegand eine Auseinandersetzung mit dem Kasus. Die Correctio zu Beginn („...und danken Gott, dass wir von allem genug, ja überreichlich haben“ Z. 3) korrespondiert mit der Conclusio am Schluss („Vor allem erfreuen wir uns seiner Liebe und Gnade, die uns jeden Tag neu dieses Leben schenken, bis es heute, morgen oder in Zukunft in seine Hand zurückkehrt.“ Z. 109ff.), so dass die überreiche Gnade Gottes, die sich am Erntedanktag offenbare, als der äußere Rahmen gezeichnet wird, innerhalb dessen alle weitere Gedanken ihren Platz finden. Erinnern und Danken sind dabei die Leitbegriffe. Die Gemeinde erinnere sich an die Grundlagen des Lebens und danke Gott dafür, dass sie diese überreichlich hat. Sie wird erinnert an die agrarische Verankerung des Festes, in der sowohl der Dank für die Ernte als auch das Teilen des Ertrages selbstverständlich war. Weil sich dieser Zusammenhang dem Bewusstsein der Hörerinnen und Hörer weitgehend entzogen habe, bedürfe es eines Zwischenschrittes, den Wiegand mit dem Neologismus „Erntedenkfest“ umschreibt. Darin gelte es, den Blick auf die Herkunft der Lebensmittel zu richten, die in ihrem Überfluss zur Selbstverständlichkeit geworden seien. In der Geschichte des Erntedankfestes habe dabei gerade der Überfluss einen ursprünglichen Aspekt des Festes, das Teilen, zurückgebracht (Z. 12f.). Ein dieses zusammenfassendes Asyndeton („Erntedankfest, Erntedenkfest, Ernteteilfest“ Z. 15) steht als Themenvorgabe über der folgenden Auslegung des Evangeliums. Es ist der Bogen, in den er versucht die Erzählung Lk 12 einzureihen. Der erste Hauptteil: das Handeln des reichen Mannes damals und heute (Z. 17-44) Weil der Text selbst weder Danken noch Teilen zum Inhalt habe, sei die Betrachtung des Handelns des Protagonisten zunächst Denkarbeit. Von der drastischen Ankündigung des Todes aus betrachtet Wiegand das Handeln des Mannes. Drei rhetorische Fragen machen deutlich, dass dem Mann in seiner Vorgehensweise nach menschlichem Ermessen kein Vorwurf zu machen sei. Wiegand unterstreicht die positive Beurteilung des Handelns, indem er einen Aspekt atl. Segensverständnisses auf die in Lk 12 geschilderte Situation hin überträgt: „Er hat das erfahren, 197 was die Bibel sonst Segen nennt“ (Z. 24f.). Über den Text hinaus interpretiert er das Teilen des Mannes hinein, kennzeichnet es aber als eigene Vermutung („Ich glaube auch nicht, dass er seine Vorräte für sich wollte.“ Z. 27). Das geht etwas weit. Aber ihm liegt daran, den Kontrast menschlicher Einschätzung eines solchen Verhaltens und der Charakterisierung des Mannes als „Narr“ deutlich herauszustellen und so die Hörenden Schritt für Schritt in die Fragen einstimmen zu lassen: „Was hat er nicht verstanden? Was hat er nicht beachtet?“ (Z.30) Deren Antwort hat Schlüsselcharakter und folgt in Form aneinander gereihter Thesen, wobei die erste alle weiteren zusammenfasst: „Er hat seine Rechnung ohne Gott gemacht“ (Z.31). Der Fehler des Mannes liege in der Sicherheit, die er aus den Gütern heraus glaubt zu haben und durch die er sein Leben allein planen will. Dadurch vergesse er die Begrenztheit seines Lebens. Von hier aus folgt die konkrete Übertragung auf die Lebenswirklichkeit der Gemeinde. Dabei stellt er die Analogien zu einer solchen Handlungsweise heute in aller Deutlichkeit heraus („Wir kennen solche Schicksale“ Z. 35; „dafür bringen sie große Opfer“ Z. 37; „Sie werden herausgerissen aus ihrer Planung, die ganze Arbeit erscheint auf einmal umsonst.“ Z. 39f.; „Plötzlich und unerwartet hat uns dieser Schicksalsschlag getroffen.“ Z. 41). Nicht nur die Rechnung des reichen Mannes Lk 12 gehe nicht auf, immer gebe es Menschen, deren Rechnung fehlerhaft sei, weswegen er um so drastischer das Resümee anschließt: „Jesus nennt solche Menschen Narren“(Z. 41). Vielleicht bleibt er gerade deshalb in seinen Konkretionen relativ unpersönlich, akkumuliert allgemein erstrebenswerte Ziele (Haus, Kinder, Beruf, Ruhestand) und wählt die bereits deutende Abstraktion „Wir kennen solche Schicksale“ (Z. 35) gleich zu Beginn. Der zweite Hauptteil: Von der Sorge um die Zukunft (Z. 45-75) Trotz einer anderen Ausgangssituation als der des Mannes Lk 12 sei das Problem das gleiche: Die Sorge um die Zukunft, die Wiegand in aller Ausführlichkeit darstellt. Er bedient sich einer sehr bildreichen Sprache, bei der er auf Lk 12 selbst zurückgreift („Die fetten Jahre scheinen vorbei“ Z.47; „Uns fehlen vielmehr die Vorräte für unsere zu groß gewordenen Scheunen aus früheren Jahrzehnten.“ Z.50f.) oder z.T. umgangs-sprachliche Redewendungen übernimmt („Fass ohne Boden“ Z. 52; „die zaghaften Rettungsversuche wirken wie Kleingärtnerei“ Z. 54f.). Die Denkweise des reichen Mannes erscheint so als Charakteristikum menschlicher Existenz, das alle Bereiche menschlichen Lebens durchziehe. Durch die Rückführung seiner Konkretion auf die versammelte Gemeinde wird deutlich, dass Wiegand trotz dieses Exkurs in die Tagespolitik den schwarzen Peter nicht an die weiterreichen will, die größere Verantwortung tragen. Er versucht beides unter den einen Horizont zu stellen, dass der Mensch mehr bedürfe als der materiellen Grundlagen. Ob in der Politik oder im Leben des Einzelnen: ein Narr sei der, der nicht versteht, was und wer dieses Leben trägt. Deshalb wählt er nach den Konkretionen ein universales: „Ich 198 glaube, wir kämen in den Augen Jesu nicht besser weg“ (Z. 57). Nicht das fehlerhafte Beispiel des reichen Mannes solle nun jedoch das verbindende Element sein, sondern – jetzt beginnt die positive Auflösung der Situation – die Einsicht, dass das Leben mehr brauche als diese materielle Grundlagen. Damit charakterisiert er die Sorge um die Zukunft als meist rein materielle. In dieser Sorge sei die Vertröstung der Seele, wie sie Lk 12, 19 geschildert werde, die typische Denkweise all jener Menschen, die ihre Hoffnung auf finanzielle Absicherung setzten. Dass dieses Konzept nicht aufgehen könne, liegt für Wiegand an der „Zerbrechlichkeit“ des Lebens, die kein Vorrat der Welt ändern könne. Dadurch bringt er eine neue Dimension, die der Zeit, ins Gespräch, die er als den größten Schatz kennzeichnet. Anhand der Zeit, die nicht in Vorratshäuser gepackt werden könne, plädiert er für eine andere Rechnung. Eine Formel, die nur dann aufgehe, wenn die Endlichkeit des Menschen und die Zeit als jeden Tag neu zu empfangendes Geschenk wesentliche Konstanten darstellten. Weil die Zeit jeden Moment neu geschenkt werde und sich nicht bevorraten lasse, weisen die Gedanken über sie immer auch auf die Endlichkeit des Menschen. Deshalb müsse die Sorge um Zukunft und Absicherung den Gedanken an das eigene Ende mit ein schließen. Zur Begründung dieses Gedankengangs führt Wiegand Psalm 90,12 an, wobei er die darin enthaltene Folgerung „auf dass wir klug werden“ dem „Du Narr“ Lk 12,20 gegenüberstellt. Der dritte Hauptteil: Erntedankfest – Erntedenkfest – Ernteteilfest (Z. 76-106) Nach diesem „Erntedenkfest“ folgt der im Eingang schon thematisierte Trialog zwischen Kasus, Text und Hörer, der auf die anfangs genannte Triade „Erntedankfest – Erntedenkfest – Ernteteilfest“ zurückgreift. Er beginnt bei dem Dank für die über das Jahr empfangenen Gaben. Die überreiche Ernte des reichen Mannes Lk 12 sei Bild für das Füllhorn, das über der Gemeinde ausgeschüttet wurde und sich etwa in einem wohlgedeckten Tisch zeige. Als Gaben Gottes evozierten sie den Dank an Gott als Ernte- und Lebensdank, wodurch schon hier ein erster Schritt über die Gaben als Lebensmittel hinaus gegangen wird und das ganze Leben, inklusive der Zeit, als Gottes Geschenk charakterisiert wird. Der Dank stelle jedoch lediglich den ersten Schritt „zum Bedenken der richtigen Prioritäten“ (Z. 89) im Leben dar. Diese entfaltet Wiegand anhand des „Sorget nicht“ Jesu Lk 12, 22f. (Z. 91ff.) Durch die Dimension der Zeit hat er es schon expliziert: Das Leben sei mehr als die materiellen Grundlagen. Diese scheinbare Widersprüchlichkeit macht er zum Gegenstand des Festes als Erntedenkfest. An einem Tag, an dem die Grundlagen des Lebens so anschaulich auf dem Altar liegen, müsse darauf geschaut werden, dass die Sorge um die Lebensmittel und die Frage nach Absicherung nicht zur Leitfrage des Lebens wird. 199 Damit kann er von der Ermutigung zum Vertrauen sprechen, die am Erntedanktag durch die Beispielerzählung Lk 12 an die Hörerinnen und Hörer ergehe. Der Dank für die Gaben ist für ihn der erste, wenn auch nicht leichte Schritt zur Freiheit des Glaubens, der durch das Erntedenkfest geschehe und den die Jünger Jesu beispielhaft gingen (Z. 100f.). Bedauerlicherweise verzichtet Wiegand dabei auf eine Konkretion, weshalb das vorbildliche Verhalten der Jünger von den Hörenden als Feststellung hingenommen werden muss. Die lukanische Betonung der ganzheitlichen, d.h. auch die Güter umfassenden Gemeinschaft der Christen, in dessen Kontext auch die Beispielerzählung Lk 12 gelesen werden müsse, bringe den Gedanken des Teilens ins Spiel. Beispielhaft führt er Zachäus (Lk 19) und das Zusammenleben der ersten Christen (Apg 2) an. Abschluss (Z. 107-112) Damit hat er den Bogen gezogen vom traditionellen Erntedankfest („Die Dankbarkeit für die vielen guten Gaben Gottes“ Z. 107), über das Erntedenkfest als Besinnung über den Grund des Lebens (Z. 107f.) hin zu dem Ernteteilfest („Das Teilen mit den Bedürftigen.“ Z. 108), wobei alle drei, thesenartig an den Schluss gesetzten und die bisherigen Gedanken zusammenfassenden, Sätze für ihn das Charakteristikum des Erntedanktages ausmachen und letztlich nichts anderes als die Liebe und Gnade Gottes zum Ausdruck brächten, für die es gelte ihn zu loben. In ihr sei der Mensch gegründet, von ihr komme er und zu ihr kehre er wieder zurück. 16.2.4 Die Predigt, der Predigttext und die Hörer Wiegand beschränkt sich in der Predigt auf die Beispielerzählung Lk 12,16-21. Er verzichtet auf die vorangestellten Verse 13-15, weil er mit der darin behandelten Erbfrage und Warnung vor Habgier nicht ein zusätzliches Bedeutungsspektrum der Perikope zur Sprache bringen will, die von dem für ihn zentralen Gedankengang ablenken könnte. Statt dessen greift er auf die sich anschließenden Verse 22 und 23 zurück, anhand derer er den Aspekt des Vertrauens auf Gott entfaltet. Er beginnt auch nicht mit der Verlesung des Predigttextes, sondern stellt seine Gedanken zum Kasus vorneweg. Dadurch macht er deutlich: es ist eine kasusbezogene Auslegung, die nun folgen wird und lädt die Hörerinnen und Hörer explizit dazu ein, den Text im Horizont des Kasus zu hören (Z. 15f.). Lediglich zwei Mal zitiert er den Text wörtlich, beide Male bleiben die Zitate im Gedankenfeld des törichten Verhalten des Mannes (Vers 20: Z. 19f.; Vers 19: Z. 62). Dadurch setzt er einen Schwerpunkt in der biblischen Untermauerung eines solchen Denkens als töricht. Positive Aspekte des Handelns (etwa die Verse 16-18) werden paraphrasierend in eigenen Worten wiedergegeben. Das, was jedoch wirklich Gewicht hat inmitten vieler menschlicher Worte, bringt Wiegand mit wörtlichen Zitaten der Schrift zum 200 Ausdruck: die Bitte um Klugheit angesichts der Endlichkeit menschlichen Lebens (Ps 90,12) wie die Alternative zum Handeln des reichen Mannes, das Vertrauen auf Gott (Lk 12, 22f.). Die Predigt ist dabei – vielleicht aufgrund der Brisanz des Predigttextes („Du Narr!“) – relativ unpersönlich gehalten, was sich in der Anrede der Gemeinde am deutlichsten widerspiegelt. Meist bleibt er beim allgemeinen Wir, unterbrochen von der Anrede in der 2. Person Plural („Lassen Sie uns schauen... Z. 15). Das Ich des Predigers erscheint, wenn er seine eigene Überzeugung kennzeichnen will („Ich meine, dass dieser Text Z.77; „Ich glaube, wir kämen in den Augen Jesu nicht besser weg als der reiche Kornbauer.“ Z.57). Markant, weil singulär, sticht die zweite Person Singular in der Anrede heraus, letztlich wohl als Ausdruck für die existentielle Bedeutung des Sachverhaltes für den Einzelnen („Kein Vorrat der Welt garantiert dir das Leben und das Heil deiner Seele. Keine Versicherung steht für das Gelingen deiner Träume und die Erfüllung deiner Zeit ein.“ Z.68ff.) 16.2.5 Erntedankgedanken Erntedank als alternative Rechnung Auch die Zeit sei Gabe Gottes, in der sich seine Liebe und Gnade erweise. Gerade dieser Gabe gelte es, sich am Erntedanktag zu vergewissern, weil sie auch die Begrenztheit menschlichen Lebens anspreche und dadurch das Leben als Ganzes als Geschenk charakterisiere. Dadurch werde der Mensch klug in dem Sinne, dass er sich selbst im Angesicht der eigenen Endlichkeit in der Hand dessen weiß, dem er seine Lebenszeit verdankt. Fehle diese Konstante in der Rechnung des Lebens, wird die Rechnung nicht aufgehen, wie Lk 12 verdeutliche. Der reiche Mann wählte als Konstanten seiner Lebensrechnung den Besitz und die Sicherheit, die er sich daraus erhoffte und damit letztlich selbst garantieren wollte. Wiegand möchte zu diesen Konstanten mit dem Bewusstsein der eigenen Endlichkeit und der Güte Gottes, in der selbst die Begrenztheit menschlichen Lebens aufgefangen sei, eine Alternative anbieten, durch die die Rechnung des Lebens aufgehe. Um diese alternative Rechenaufgabe anzugehen, sei ein Blick auf das eigene Leben und der darin bestimmenden Leitfrage von Nöten. Erntedank als Schritt in die Freiheit des Glaubens Während die Leitfrage des Lebens für den reichen Mann sich darauf konzentrierte, Platz zu schaffen für seine Güter, und es ihm um die Sicherung seines Lebens durch diese ging, ruft die Predigt Wiegands dazu auf, die Sorge um die Lebensmittel nicht zur Leitfrage des Lebens werden zu lassen. Die Sorge nach der Absicherung der Zukunft dürfe die Existenz des Christen nicht bestimmen, denn sie lenke ab von dem Vertrauen auf Gott, zu das Jesus Lk 12 aufrufe. Die Lösung von einer solchen Leitfrage sei ein Schritt in die Freiheit des Glaubens. Diese Freiheit 201 gründe darauf, dass das Leben in die Hand zurückkehrt, aus der es gekommen ist: in Gottes Hand. Es sei ein Schritt in die Freiheit, weil dadurch menschliches Leben nicht auf eigene Sicherheitsvorkehrungen baue, sondern auf den, der das Leben hält und die Macht hat, in jeder Nacht die Seele zu sich zu rufen. Erntedank als Schritt in das Vertrauen Durch die Bezugnahme auf die sich der Perikope anschließenden Verse 22 und 23 liegt für Wiegand der Schlüssel eines alternativ zum reichen Mann Lk 12 ausgerichteten Leben im Vertrauen. Das „Sorget euch nicht“ Jesu zeichnet Wiegand als den Hintergrund, als das das Papier, auf dem die neue Rechnung geschrieben werden solle. Ein Vertrauen, das die Jünger Jesu beispielhaft lebten und das insofern der erste Schritt in die Freiheit des Glaubens sei, als dass es die Sorge um die Lebensmittel nicht zur Leitfrage des Lebens werden lasse und dadurch dem Fehler Vorschub leiste, den Grund des Lebens im materiellen Reichtum zu suchen. Ein solcher Schritt mag ein extremer sein, jedoch ein um so existentieller, da doch die wunderbaren Gaben das Leben reich und schön machen mögen, „doch im Grunde unseres Lebens können sie nicht tragen.“ (Z. 85f.). Wie die „falsche“ Sorge um die Zukunft als Charakteristikum menschlicher Existenz alle Lebensbereiche umfasst, müsse dem entgegen das Vertrauen auf Gottes immerwährende Gnade das Leben, Denken und Handeln des Menschen bestimmen. Als Folge ereigne sich das Teilen aus dem Vertrauen heraus. Nicht als plakative Aufforderung richtet Wiegand seine Gedanken zum Teilen an die Hörerinnen und Hörer, sondern das Weitergeben der Güter sei ein selbstverständlicher Umgang angesichts der am Erntedanktag bewusst werdende Fülle von Gaben. Vom Erntedenkfest zum Erntedankfest zum Ernteteilfest – in dieser Folge entwickelt Wiegand seine Auslegung des Textes auf dem Hintergrund des Kasus. Letztlich bleibt für Wiegand aber das Erntedankfest ein Erntedenkfest, an dem der Dank für die Gaben als Ernte- und Lebensdank lediglich ein Schritt ist, das eigene Leben zu bedenken. Dazu bedürfe es des „schrillen Misstones“ (Z. 20) des Textes. Er erklinge jedoch stets auf dem Hintergrund der Güte Gottes und weise in all seiner Dramatik wieder auf den, der dem Menschen eine gelungene Lebensrechnung ermöglichen will. 16.3 Teilen als Empfangen: Dorothea Zager zum Erntedankfest 2003 16.3.1 Die Predigerin und ihre Gemeinde Dorothea Zager wurde 1959 in Mainz geboren und ist Pfarrerin in Worms-Horchheim, Weinsheim und Wiesoppenheim. Sie stammt aus einem traditionellen evangelischen Pfarrhaus und ist mit „der Liebe zur Kirche und der Begeisterung für das Evangelium“ groß geworden. Seit 202 20 Jahren arbeitet sie im Gemeindepfarrdienst, die meiste Zeit davon in ländlichen Gebieten. Einer evangelikalen Glaubensweise sei sie selbst nie nahegestanden und sie habe sich im Laufe der Jahr selbst von dogmatisch gefasster Kirchenfrömmigkeit bewusst entfernt. Dennoch hat sie in erwecklich geprägten Gemeinden viele Jahre gearbeitet und für deren Engagement und Glaubensstärke eine große Hochachtung empfunden. Heute liege ihr persönlicher Schwerpunkt in der liberalen Theologie, die sich für eine persönlich verantwortete, weltoffene Form des christlichen Glaubens einsetze, deren Inhalte und Sprache ohne dogmatische Vorgaben auszukommen versucht. Die analysierte Predigt stammt aus der Zeit, in der sie Pfarrerin in Wachenheim und Mölsheim (Dekanat Worms-Wonnegau) war. Sie wendet sich jedoch an die Gemeinde Herrnsheim, die durch einen Kollegen, der dem „Entschiedenen Christentum“ nahe steht, über Jahre hinweg erwecklich geprägt wurde. Zager hat diesen Gottesdienst in der Vakanz mit der Gemeinde gefeiert. Die Gemeinde hat einen hohen Anteil an jungen Familien und Jugendlichen. Es gibt drei Kinderchöre, die sich an der Gestaltung des Erntedankgottesdienstes beteiligten. Daneben gibt es eine Kerngemeinde, die die Gottesdienste mit jungen Familien gerne besuchen und sich daran freuen, dass viele jüngere Gemeindeglieder kommen. In Herrnsheim wurde am Erntedanktag 2003 ein Familiengottesdienst gefeiert. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Kindergottesdienstes und die Leiterin der Kinderchöre haben mit den Kindern im Vorfeld eingeübte Texte und Lieder zum Erntedank aufgeführt. Der Gottesdienst war überdurchschnittlich gut besucht. Eltern, Großeltern, Kindergottesdienstkinder und viele Jugendliche waren gekommen. 16.3.2 Die Predigt zum Erntedankfest 2003 (Lesung Lk 12, (13-21) 5 10 15 Liebe Gemeinde am Erntedankfest Liebe Kinder! Sicher haben Sie auch eines Zuhause, oder kennen es von Bekannten und Freunden – eigentlich hat es jeder von uns und kennt es: das Sparschwein. Aus Plastik oder Porzellan, im Büffet, auf dem Wohnzimmerschrank oder auf dem Schreibtisch. Da steht es, das Sparschwein, oder das Sparhäuschen oder der Sparglückskäfer – gleich welche Form sie auch immer haben, eines haben alle: diesen Schlitz dort oben. Er lockt und fordert uns heraus. Er lockt, immer mal wieder etwas hineinzuwerfen. Mal 50 Cent. Mal 1 Euro – oder, wenn wir besonders gut bei Kasse sind, vielleicht auch mal einen zusammengefalteten Schein. Und so ein Sparschwein verleiht uns ein schönes Gefühl: Bald! Bald kannst Du Dir etwas leisten: eine schöne Kleinigkeit, etwas, was Du Dir schon lange wünschst, oder Du kannst Deinem Liebsten etwas schönes schenken! Mit dem Sparbuch ist es ganz ähnlich. Ich erinnere mich noch gut an die ersten Male, als ich als Kind meine kleinen Ersparnisse am Weltspartag auf die Kasse brachte – und dann, schon auf dem Heimweg, schaute ich mir im Sparbuch die größer gewordene Summe an und war glücklich. Da war es wieder da, dieses Gefühl von Zufriedenheit und Sicherheit. Schade eigentlich, dass es nur für Geld Sparschweine gibt. Wenn es so etwas doch auch für’s Leben gäbe. Ein Sparschwein für’s Glück. Eine Kasse, auf die man Freude einzahlen könne. Spaß und Ideen, Lebenskraft und Gesundheit, 203 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 Arbeitsenergie und Hoffnung. Das wäre doch herrlich, wenn wir all das auf einer Kasse einzahlen könnten an Tagen, an denen wir glücklich sind. Und wenn wir dann davon abheben könnten, wenn wir unglücklich sind, oder krank oder traurig, an Tagen, die dunkel und grau sind. Wenn ich krank bin oder deprimiert, wenn ich überarbeitet bin oder hoffnungslos – was hilft mir dann mein Sparschein? Die klingenden Münzen und die zusammengefalteten Scheine da drin – an solchen Tagen machen sie mich nicht froh. Wovon lebt der Mensch? Diese Frage wird uns an diesem kleinen Sparschwein ganz deutlich. Woher nehmen wir Lebensfreude und Lebenskraft? Gesundheit und Energie? Glück und Zufriedenheit? Was ist wirklich wichtig? „Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat“, sagt Jesus – und damit zitiert er ein Wort, das schon im Alten Testament zu finden ist: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das aus dem Munde Gottes geht.“ Der erste Teil dieses Wortes für sich allein genommen, klingt fast wie eine Binsenweisheit: Es ist selbstverständlich, dass der Mensch nicht nur von Brot leben kann. Wenn wir die bunte Vielfalt der Altarfrüchte sehen, wenn wir uns noch einmal vergegenwärtigen, wofür wir vorhin alles gedankt haben, wird es deutlich: da ist so vieles dabei, ohne das wir nicht leben können! Erde: Getreide und Brot, Früchte und Gemüse, bunte Blumen, kräftige Bäume und die Vielfalt der Tiere. Feuer: Licht und Wärme, Kraft der Liebe, Herzenswärme, Geborgenheit in der Familie, zuverlässige Freundinnen und Freunde. Wasser: frisches Wasser, Seen und Flüsse, das kühle, weite Meer. Luft: Sauerstoff der Luft, Kraft des Windes, herrliche Düfte: Waldduft, Meeresduft oder den klaren Geruch des Winters. Der reiche Kornbauer hat darüber wohl nicht nachgedacht, als er seine Scheunen füllte und dann dachte: jetzt ist alles in Ordnung! Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! Jetzt kann ich in Ruhe schlafen und brauche mich um nichts mehr kümmern. Satt werden könnte der reiche Kornbauer schon mit seinen gefüllten Scheunen. Jeden Tag könnte er am gedeckten Tisch sitzen und satt werden. Aber ist auch ein Mensch da, der ihn liebt? Ist auch ein Mensch da, den er lieben kann? Ist einer da, der ihm vergibt, wenn er schuldig geworden ist? Ist einer da, der ihm hilft, wenn er krank wird? Ist einer da, der ihm Mut macht, wenn er an sich selbst zweifelt und keine Hoffnung mehr hat für die Zukunft? Menschen um sich zu spüren, die unserem Leben Sinn geben, das erst macht glücklich. Satt nicht nur am Leib, sondern auch an der Seele. Satt werden könnte der reiche Kornbauer schon mit seinen gefüllten Scheunen. Jeden Tag könnte er am gedeckten Tisch sitzen und satt werden. Aber trägt er in seinem Herzen einen Glauben? Weiß er, worauf er sich verlassen kann, wenn er einmal in Not und Ängste kommt? Weiß er, welches Ziel sein Leben hat und womit er sich und andere Menschen glücklich machen kann? Weiß er, wohin er geht, wenn dieses Leben einmal zu Ende geht? Gott in sich zu spüren, der unserem Leben ein Ziel gibt und uns in der Todesstunde trägt, das erst macht wirklich glücklich. Satt nicht nur am Leib, sondern auch an der Seele. Deshalb sagt Jesus über den Kornbauern: Er war ein Narr! Wie schnell kann er sein Leben verlieren; und was kann er dann mit all dem anfangen, was er angehäuft hat? Nichts! So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott. Liebe Gemeinde, Schätze sammeln bei Gott – das geht leider nicht mit einem Sparschwein. Glück und Geborgenheit, Liebe und Vergebung lassen sich nicht durch einen Schlitz werfen und bei Bedarf mit einem Schlüsselchen wieder herausholen. Aber wenn wir ein Leben lang die guten Gaben Gottes mit Dankbarkeit empfangen, wenn wir uns immer wieder bewusst machen, wie reich und liebevoll Gott uns täglich beschenkt, wenn wir darüber hinaus die guten Gaben Gottes nicht nur für uns selbst behalten, sondern sie weitergeben und teilen, dann werden wir spüren, was es heißt, bei Gott Schätze zu sammeln: Wir werden Gottes Liebe spüren, dann wenn wir Menschenliebe vermissen. Wir werden Lebenskraft erhalten, wenn sie uns verloren gegangen ist. 204 80 Wir werden Vergebung empfangen, wenn er über uns am meisten verzweifelt ist. Wir werden einen Weg finden, wenn wir nur Steine und Schluchten vor uns sehen. Wir werden im Licht sein, wenn alles um uns herum dunkel ist. Gott wird uns reich machen, dann, wenn wir ganz arm sind. Und darauf dürfen wir uns mit ganzer Kraft verlassen. Und dieses Vertrauen ist tausendmal wertvoller als das dickste Sparschwein. Amen. 16.3.3 Aufbau und Analyse der Predigt Die Predigt Zagers kann in drei Teile untergliedert werden. In einem ersten greift sie das Moment des Sparens auf (I). Von den Sparerfahrungen aus betrachtet sie in dem umfangreichsten zweiten Abschnitt das Verhalten des Mannes Lk 12 im Dialog mit der Frage, wovon der Mensch lebe (II), bevor sie abschließend das lukanische „Schätze sammeln bei Gott“ entfaltet (III). I. Ein Sparschwein für’s Glück? (Z. 1-28) Mit einer Erinnerungsaufgabe beginnt Dorothea Zager ihre Predigt zum Erntedankfest („eigentlich hat es jeder von uns und kennt es: das Sparschwein.“ Z. 3f.). Da sie die Lesung des Predigttextes voranstellt, macht sie kein Geheimnis daraus, dass sie das Bild der Scheunen durch das des Sparschweins ersetzt. Damit unterstreicht sie die positive Handlungsweise des reichen Mannes Lk 12 wie auch deren Verwurzelung im Alltag der Hörerinnen und Hörer. Auch für die Kinder ist es ein leichtes sich dieser Erinnerungsaufgabe zu stellen. Das ermöglicht sie durch eine einfache, sehr bildhaft-konkrete Sprache („das Sparschwein oder das Sparhäuschen oder der Sparglückskäfer – gleiche welche Form sie auch immer haben, eines haben sie alle: diesen Schlitz dort oben.“ Z. 5ff.), mit der sie alt und jung in ihr Bild mit hineinnimmt („mal 50 Cent, mal 1 Euro (...) vielleicht auch mal einen zusammengefalteten Schein.“ Z. 8f.). Sparen gehöre zur Natur des Menschen über alle Generationen und Gesellschaftsschichten hinweg. Durch die Erinnerung an ihr eigenes Sparverhalten als Kind und das dabei entstehende Glücksgefühl greift sie persönlich die positive Seite des Sparens auf. Sparen bringe Zufriedenheit und Sicherheit. Sparen könne auch Freude bringen, Vorfreude auf das, worauf man spare. Der Beginn des ersten Hauptteils ist damit dem Predigttext näher, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn sie nimmt die zunächst positive Beurteilung des Mannes Lk 12 auf und zugleich klingt Vers 19 hervor: „Bald kannst Du Dir etwas leisten“ (Z. 10). Das Eingeständnis der aus dem Sparbuch gewonnenen Zufriedenheit lässt an die ebenfalls in diesem Vers mitschwingende Auffassung des Bauern, durch das Anhäufen seiner Güter, Sicherheit zu gewinnen, denken. Die sich anschließende Feststellung „Schade, dass es nur für Geld Sparschweine gibt“ markiert den Wendepunkt. Nun richtet sie den Blick auf die Bereiche des menschlichen Lebens, in denen es nicht die Möglichkeit gäbe, Vorräte zu sammeln. „Leben“ stellt dabei den Überbegriff dar, unter den alle weiteren Begriffe subsumiert bzw. als Ausdifferenzierung des thesenartig an den Anfang 205 gestellten „Wenn es so etwas doch auch für’s Leben gäbe“ (Z. 18) aneinandergereiht werden. Positiv besetzte Begriffe wie Glück, Freude, Lebenskraft, Gesundheit, Spaß und Ideen (Z. 19f.) werden dabei den Adjektiven „unglücklich, krank, traurig, dunkel, grau“ gegenübergestellt, wodurch ein Wechsel der Blickrichtung, nun fort von den Sparerinnerungen, mitten in das Leben geschieht, dass neben Geld eben auch Freude, Spaß, Ideen und auf der anderen Seite Traurigkeit, Unglück und Krankheit beinhalte. Dass gespartes Geld auch glücklich machende Tendenzen in sich trage bestreitet sie nicht. Jedoch stoßen diese an ihre Grenzen, wenn die Tage dunkel und grau sind. Der erste Fragenkatalog, den sie anführt, ist klimaktisch aufgebaut und dient der Hinführung zum zweiten Hauptteil. Alle Fragen laufen stetig aufeinander aufbauend hin zu der einen Frage, „Was ist wirklich wichtig?“. Zugegeben eine sehr allgemein gehaltene Frage, die jedoch durch die vorangestellten Fragen konkretisiert und ihrer Allgemeingültigkeit enthoben wurde. II. Niemand lebt vom Brot allein (Z. 29-68) Das implizit in Vers 15 ohnehin mitklingende Zitat Dtn 8,3, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebe, bringt Zager mit dem Predigttext in Verbindung und verdeutlicht von daher all das, wovon der Mensch über die Lebensmittel hinaus lebe. Diese „Binsenweisheit“ (Z. 32) expliziert sie durch Beispiele, die sich an den vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer orientieren. Die Erde steht hier am ehesten für die klassischen Elemente der Schöpfung wie Essen, Pflanzen oder die Tierwelt. Unter dem Stichwort „Feuer“ werden ausnahmslos immaterielle Güter aufgezählt, die bis auf das allgemein gehaltene „Licht und Wärme“ auf der Beziehungsebene zu verorten sind. Naturalistisch erscheinen wieder die Beispiele zu „Wasser“ und „Luft“. Allen den Elementen zugeordneten Konkretionen ist jedoch gemein – bis auf die Ausnahme der „Erde“ – dass sie sich auf nicht greifbare und z.T. immaterielle Güter beziehen (z.B. „Kraft der Liebe“ Z.38, „das kühle weite Meer“ Z.40, „der klare Geruch des Winters“ Z.41f.), an denen der Mensch zwar partizipieren, über die er jedoch nicht verfügen könne. Die folgende Paraphrase von Vers 19 mit dem deutenden Annex („Jetzt kann ich ruhig schlafen und brauche mich um nichts mehr zu kümmern“ Z.45f.) ist in der Gegenwart gehalten und dient ihr als Überleitung von den bisherigen Überlegungen über die Gaben, die durch ihre Bildhaftigkeit einen geradezu meditativen Charakter erhalten haben, erneut auf die Situation Lk 12. Das Selbstgespräch des Mannes hier anzuführen ist geschickt gewählt, der nun in den Mittelpunkt rückende zweite Fragenkatalog der Predigt ertönt wie die leise Stimme im Gewissen des Mannes wie all derer, die seiner Lebenshaltung folgen. Getragen vom immer wieder kehrenden „Ist einer da, der...?“ führt Zager höchst assoziativ auf, von wie viel mehr der Mensch, über die den Körper satt machenden Gütern hinaus, lebe. So bietet sie den Hörenden Anknüpfungspunkte für all ihre Erfahrungen zu 206 den allgemeinen Schlagworten, die sie anführt. Sie können als Entfaltung der zweiten Vershälfte Dtn 8,3 gelten, wobei Zager hier noch nicht den religiösen bzw. theologischen Aspekt beleuchtet, sondern ganz auf der zwischenmenschlichen Ebene verweilt. Liebe, Vergebung, Hilfe, Trost – Güter, über die der reiche Mann nicht verfüge. Zu all diesen Fragen sage der Predigttext nichts und damit evozieren sie die einzig mögliche Antwort: nein, einen solchen Menschen an seiner Seite gibt es nicht. Implizit weist Zager mit der Notwendigkeit der Beziehung zu anderen Menschen auf Gen 2,18 zurück und konstatiert: „Menschen um sich zu spüren, die unserem Leben einen Sinn geben, das erst macht glücklich.“(Z.55). Der Sinn, den eine Beziehung zu anderen Menschen dem Leben des reichen Mannes hätte geben können, liege im Satt werden an der Seele. Das aber könnten die gefüllten Scheunen ihm nicht bieten. Die Weiterführung der Entfaltung Dtn 8,3 bzw. Lk 12,15 ist parallel zu den Gedanken über das zwischenmenschlichen Miteinander gestaltet, wobei sie die für sie zentralen Sätze bewusst wörtlich wiederholt („Satt werden könnte der reiche Kornbauer schon mit seinen gefüllten Scheunen. Jeden Tag könnte er am gedeckten Tisch sitzen und satt werden“ Z. 47f. und Z. 57f.; „Satt nicht nur am Leib, sondern auch an der Seele“ Z. 55f.und Z. 65; „Menschen um sich zu spüren“/„Gott in sich zu spüren“ Z. 55/64). Die Frage „Aber trägt er in seinem Herzen einen Glauben?“ ist dem Stil nach wie die Einstiegsfrage im vorherigen Fragenkatalog aufgebaut und weist trotz seiner Unbestimmtheit (einen Glauben) auf die nun in das Blickfeld genommene Beziehung zwischen Gott und Mensch. Als übergeordnete Frage ist sie den weiteren drei vorgeschaltet, die als Konkretisierung derselben verstanden werden können. Parallel zum vorherigen Fragenkatalog sind auch hier die gestellten Fragen im Anfang gleich gestaltet („Weiß er...?“). Jedoch bleibt Zager hier erstaunlich unkonkret. Während die erste Frage, worauf sich der Mensch in Not und Angst verlassen könne, noch einige Assoziationen zulässt, lassen die nachfolgenden Fragen Raum für unbestimmte Spekulationen. Was ist das Ziel des Lebens? In welchem Zusammenhang steht das Ziel mit dem Bemühen, sich selbst und andere Menschen glücklich zumachen? Oder besteht der Sinn des Lebens gerade darin, dies zu tun? Etwas, aber nur unwesentlich konkreter erscheint die Frage wohin das Leben gehe, wenn es zu Ende geht. In dem Versuch beide Gedankengänge zu Vers 15 und Dtn 8,3 parallel zu gestalten, ging die inhaltliche Prägnanz hier leider verloren. Vielleicht wäre es angebracht gewesen, auf die sprachlich kunstvolle Ausgestaltung zugunsten einiger Konkretionen aus der Erfahrungswelt der Gemeinde zu verzichten. Die sich an den Fragenkatalog anschließende Schlussfolgerung zeichnet Gott als den, der dem Leben ein Ziel und angesichts der Endlichkeit des Menschen Hoffnung, tragfesten Grund gibt und dadurch ein glückliches Leben ermöglicht. Dies sei der zweite Aspekt eines „Satt werden an der Seele“. Weil der reiche Mann Lk 12 sich der Vielfältigkeit der Güter, die der Mensch zu 207 einem glücklichen Leben brauche, nicht bewusst gemacht habe, sei er ein Narr. Das Zitat Lk 12,21 leitet daraufhin über auf das reich sein in Gott, das den abschließenden Teil bestimmen wird. III. Schätze sammeln bei Gott: im Vertrauen empfangen (Z. 69-84) Dabei greift sie auf das Bild vom Sparschwein zurück, um noch einmal in aller Deutlichkeit herauszustellen, dass eben diese Güter – sie greift das übergeordnete „Glück“ zusammen mit Geborgenheit, Liebe und Vergebung als die für sie zentralen Begriffe heraus – nicht angehäuft werden könnten. Wer bei Gott Schätze sammeln wolle, der müsse anders verfahren. Drei Schritte führen dazu: das dankbare Empfangen der Gaben Gottes, das Bewusst machen, dass es sich dabei um Gottes Geschenk handle und schließlich ein, dieser bewussten Dankbarkeit entspringendes, Teilen der Gaben. Gerade letzter Gedanke taucht einigermaßen unvermittelt auf und es wäre auch hier vielleicht eine Konkretion dahingehend von Nöten, inwieweit er sich in den bisherigen Gedankengang einreiht. Allerdings darf man davon ausgehen, dass die am Erntedanktag versammelte Gemeinde sich dieser Deutungstendenz des Tages bewusst sein dürfte. Diese drei Schritte lassen den Menschen spüren, wie das Schätze sammeln bei Gott funktioniert: es ist ein Empfangen. Bei Gott reich zu sein heiße durch ihn reich gemacht zu werden. Dieses Paradoxon löst Zager durch den Begriff des Vertrauens. Das Vertrauen in Gott sei die Lebenshaltung, in der alles Empfangen und Danken und Teilen geschieht. Diesen Gedanken kleidet sie in ein „Wenn-Dann-Schema“, wobei sie selbst dagegen wehrt, in die diesem Schema leicht zu zuordnende Werkgerechtigkeit zu verfallen, indem sie betont: „Gott wird uns reich machen, dann wenn wir ganz arm sind“. Dieses „dann, wenn wir ganz arm sind“ ist wahrscheinlich integrativ zu verstehen im Sinne „Auch/gerade dann, wenn wir ganz arm sind.“ Diese Abfolge von Heilszusagen ist dabei die eine, als Höhepunkt an den Schluss gestellte, Antwort auf die im Verlauf der Predigt zahlreich gestellten Fragen, die mit ihr aufgrund der ähnlichen und z.T. gleichen Terminologie (Liebe, Vergebung, Licht, Kraft) korrespondieren. Der abschließende Ruf in das Vertrauen auf diesen Reichtum Gottes verweist noch einmal auf das Bild vom Sparschwein und betont die Bedeutungslosigkeit materiellen Sammelns im Angesicht der vielfältigen von Gott geschenkten Güter. 16.3.4 Der Predigttext, die Predigt und die Hörer Die der Perikope als Vorschlag vorangestellten Verse 13 und 14 nimmt Zager der Vollständigkeit halber mit in die Lesung, weil sie zu Vers 15 dazugehören. Inhaltlich greift sie jedoch lediglich die abschließende „Moral von der Geschichte“ V. 15 auf, dass niemand davon lebe, dass er viele Güter hat. Lange bleibt sie hingegen im Bild des Anhäufens und Sammeln, wobei sie nicht auf 208 die Vorgabe der Perikope zurückgreift, sondern das Bild des Sparschweins bzw. Sparbuchs wählt, um damit die Übertragung der Perikope auf den heutigen Kontext zu erleichtern. Zentral ist einmal dabei der (wörtlich zitierte) Vers 15, den sie im zweiten Hauptteil entfaltet unter Zuhilfenahme von Dtn 8,3 bzw. der ntl. Parallele, die sie letztlich zitiert. Dass sie den zweiten Teil dieses Verses kaum berücksichtigt und nicht auf das Wort eingeht, das aus dem Munde Gottes geht und dessen der Mensch bedarf, erstaunt. Statt dessen bietet sie eine sehr weit gefasste Deutung dieses Verses und interpretiert das „Wort“ als Vertrauen zu Gott, als Glauben an den, der dem Leben ein Ziel gibt. Das Selbstgespräch des reichen Mannes dient ihr dazu, nach der Meditation über die Vielfältigkeit der Gaben wieder zur Thematik der Erzählung zu gelangen. Zentral für Zager sind auch die Verse 20f. Mit deren Zitat spricht sie das Urteil über den reichen Mann und über alle, die dieser Haltung verhaftet sind. Und zugleich eröffnet sie ihren alternativen Gedankengang im Lichte des Wortes vom „reich sein bei Gott“. Die Predigt ist damit dem Text näher als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Bestimmend ist die Thematik des glücklichen Lebens, das der Mensch immer wieder wie der reiche Mann Lk 12 im Anhäufen der Güter suche und darüber vergesse, dass die Seele dabei nicht satt wird. Die von ihr gewählte Anrede „Liebe Gemeinde zum Erntedankfest“ macht deutlich, dass sich eine andere Gemeinde versammelt hat als an den gewöhnlichen Sonntagen. Die gesonderte Begrüßung der Kinder hebt den gottesdienstlichen Rahmen als Familiengottesdienst hervor. Das hat auch Auswirkungen auf die Sprache und die Wahl der Bilder. Die Sprache bleibt weitgehend sehr bildhaft und ist dabei oft assoziativ. Die Sätze sind kurz und der Satzbau einfach gehalten, was der Predigt leicht folgen lässt. Zentrales Stilmittel ist die Frage, 15 Fragen beherrschen geradezu die Predigt. Zager setzt sie geschickt ein. Dabei haben sie die Funktion, Erinnerungen wach zu rufen (Z. 23f.) oder als rhetorische Fragen Sachverhalte nach und nach, an manchen Stellen geradezu meditativ nahe zu bringen („Aber ist auch ein Mensch da, der ihn liebt?“ Z. 49. „Weiß er, wohin er geht, wenn dieses Leben einmal zu Ende geht?“ Z. 63). Dieser meditativassoziative Charakter der Predigt ist ihre Stärke und Schwäche zugleich. Zum einen ermöglicht es die unterschiedlichen Erfahrungen zur Sprache zu bringen und so jeden Hörer mitpredigen zu lassen. Auf der anderen Seite erfordert die dadurch manchmal entstehende Unkronkretheit eine schwere Denk- resp. Assoziationsarbeit, die innerhalb eines Familiengottesdienstes mit Sicherheit nicht alle leisten werden können. Auffallend ist der Gebrauch der Personalpronomina. Die erste Person Plural verwendet sie vorwiegend in den Abschnitten, in denen sie konkret die Erfahrungswirklichkeit der Gemeinde anspricht oder in das Vertrauen auf Gott ruft (Erster Hauptteil: zehn Mal; zweiter Hauptteil: drei Mal; dritter Hauptteil: zwölf Mal). Dagegen taucht die erste Person Singular lediglich in den eigenen Erinnerungen der Predigerin auf und dort drei Mal. Wenn sie einige Zeilen später wieder 209 das „Ich“ zur Hand nimmt, gebraucht es im Sinne der ersten Person Plural („Wenn ich krank bin oder deprimiert, wenn ich überarbeitet bin oder hoffnungslos...“ Z. 23). Das „Du“ Z. 10f. dient ihr dazu, den Charakter des Selbstgespräches analog zu Lk 12,19 auch in ihr inhaltlich an Lk 12 orientiertes Bild zu importieren. Die Predigerin selbst tritt bis auf die bereits erwähnte Ausnahme nicht auf. Gerade durch die Explikation eigener Sparerinnerungen reiht sie sich vielmehr in das Wir der Gemeinde ein, was der häufige Gebrauch der ersten Person Plural unterstützt. Durch Wortwahl und Sprache wird der Charakter der Predigt unterstützt: nicht appellativ, nicht belehrend will sie der Gemeinde gegenübertreten, sondern seelsorglich-vergewissernd den Ruf in das Vertrauen anstimmen. 16.3.5 Erntedankgedanken Der Mensch ist auf der Suche nach Glück Der Glücksbegriff durchzieht die Predigt Zagers wie ein roter Faden. Ihm gehe der Mensch auf die unterschiedlichste Art nach. Ein „kleines“ Glück könne das Ersparte gewähren. Glückliches Leben umfasse jedoch mehr als käuflich erwerbbares Glück. Es beinhalte auch unverfügbare Güter wie „Spaß und Ideen, Lebenskraft und Gesundheit, Arbeitsenergie und Hoffnung“ (Z. 18f.). Der Mensch, der versuche alles Glück aus dem Besitz zu finden, wird sich dabei jedoch die Frage stellen lassen müssen: „Wenn ich krank bin oder deprimiert, wenn ich überarbeitet bin oder hoffnungslos – was hilft mir dann mein Sparschwein?“ (Z. 23f.) Glück über die kleinen Freuden klingender Münzen und zusammengefalteter Scheine hinaus, findet er lediglich in der Beziehung. Zu Menschen („Menschen um sich zu spüren (...) das erst macht glücklich“ Z.55) und zu Gott („Gott in sich zu spüren (...) das erst machtwirklich glücklich“ Z. 64f.) Gott ist ein Gott der Beziehungen Dass glückliches Leben nur in Beziehung geschehen könne, bildet für Zager in ihrer Predigt den Mittelpunkt. In Beziehungen werden die Gaben sichtbar, die Gott dem Menschen über die reichen Gaben auf dem Altar hinaus schenke. Sie umfassen Beziehung zu Menschen, die helfend zur Seite stehen mit Wort und Tat, Trost spenden und so die Seele speisen. Jedoch bedürfe die Seele auch der Speisung durch Gott selbst. Diese Speisung der Seele sei die Zuwendung Gottes zum Menschen, in der dem Leben Ziel und selbst angesichts der eigenen Endlichkeit tragfesten Grund gegeben werde: „Gott in sich zu spüren, der unserem Leben ein Ziel gibt und uns in der Todesstunde trägt, das erst macht glücklich“ (Z.64f.). Sie deutet damit das Wort Gottes als die sinnlich-wahrnehmbare Nähe Gottes. Dass „es nicht gut sei, dass der Mensch allein sei“ (Gen 2,18) stellt somit zentrales Moment ihrer Predigt zum Erntedanktag dar. 210 Teilen als Empfangen – Gottes Reichtum für uns Bewusst dankbares Teilen ermögliche dabei den Zugang zu den Schätzen bei Gott. Nicht als Voraussetzung, sondern weil er so in Beziehung zum Mitmenschen und Gott gestellt werde. Letztlich entfaltet Zager damit das Sammeln der Schätze bei Gott als nichts anderes als ein Empfangen und des sich daraus von selbst ergebende Weitergebens der von Gott dem Menschen zugedachten Güter. Der dies treffend umschreibende Begriff ist für Zager der des Vertrauens, der all dies beinhalte und umfasse. Es ist die Sphäre, in der alles Denken, Trachten und Handeln geschehen soll. Wer vertraut, der werde nie arm werden. Weil der, der vertraut, immer in Beziehung stehen wird. Und in der Beziehung zum Mitmenschen und zu Gott immer Anteil an dem Reichtum Gottes gewinne. In der ans Ende gestellten, theologisch sehr dichten Aufzählung dieses Reichtums, finden sich eine Fülle von Anspielungen auf biblische Verse und dogmatische Topoi. Die Liebe Gottes, die selbst dann, wenn menschliche Liebe fehlt (Z. 76), immer währt, erinnert an 1. Joh 4,10: „Darin besteht die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden“. Das steht in unmittelbarer Verbindung zur Sündenvergebung sola gratia, selbst dann, „wenn er (Gott) über uns am meisten verzweifelt ist“ (Z.78). Gott, der neue Lebenskraft schenkt, lässt an das Verheißungswort Jesaja 40,31 denken. Und der durch das noch so dunkle Tal führende Gott, der einen Weg zeigt (Psalm 23,4, aber auch Psalm 86,11 klingen hier an) ist kein anderer als der, der dem Menschen durch Jesus Christus das Licht des Lebens (Joh 8,12) schenke. All das umfasst für Zager die lukanische Forderung Schätze zu sammeln bei Gott. Es wird deutlich, dass dies nicht um Gottes willen geschieht und dadurch nicht in der Gefahr steht zur Werkgerechtigkeit missinterpretiert zu werden, sondern um des Menschen selbst willen. 17. Resümee Predigen am Erntedankfest Bei den analysierten Predigten fällt auf, dass der Kasus Erntedank in seiner ursprünglichen Bedeutung erscheint, wenn er den Ausgangspunkt für eine erweiterte Definition der Gaben oder Grundlage eines Aufrufes zum Teilen bildet. Die klassische Erntedankthematik kann als Verfremdung erscheinen, wenn Arndt in seiner Predigt den Bauern dankt, weil sie u.a. die Anschaulichkeit des Zusammenhangs von Saat und Ernte garantieren. Der Kasus ist als Einstieg präsent (Wiegand) ebenso wie als farbenfroher Hintergrund auf dem der „eigentliche“ Gedankengang entwickelt wird (Zager), als ein anschauliches Beispiel dafür, wie gut Gott für den Menschen sorgt (Lenz; Lawrenz), als schriller Misston gegenüber der Situation der Menschen in ärmeren Ländern (Lezuo). Die Prediger und Predigerinnen bleiben dabei nah an der 211 Lebenswirklichkeit der Menschen, indem sie die Sorgen und Ängste, aber auch die positiven Assoziationen der Hörerinnen und Hörer zur Sprache bringen. Leib und Seele, körperliche und geistige Dimension werden stets zusammengedacht, weswegen auch der Blick auf die Gaben Gottes über die materiellen Güter hinaus gelenkt wird. Als Erntegaben werden nicht allein die Früchte des Feldes, sondern auch immaterielle Güter wie Freundschaft, Gesundheit, Beziehung oder die Heilstat Gottes in Jesus Christus verstanden. Der Mensch wird so als ein mit Leib und Seele Gott Verdankter gezeichnet. In diesem Bedeutungszusammenhang tritt immer wieder der Begriff des Vertrauens auf, zu dem explizit Arndt, Wiegand und Zager in ihren Predigten aufrufen, das aber in der Darstellung der souveränen und anhaltenden Sorge Gottes um den Menschen in nahezu allen Texten mitschwingt. Dabei richtet sich der Blick auch auf die Situationen, in denen der Mensch einer solchen vertrauensvollen Hoffnung, die auch im Angesicht des Todes trägt, bedarf. Zu den Gemeinsamkeiten der Predigten gehört auch der Gedanke des Teilens bzw. der Mitteilung der empfangenen Gaben. Das kann ganz konkret und explizit geschehen, wie es etwa Lezuo in ihrer Predigt tut, aber auch in Rückgriff auf die 2. Kor 9 bereits zur Sprache kommenden Zirkulation der Gnade Gottes innerhalb der familia Dei. Jedoch erschöpfen sich die Predigenden nicht in einer Aneinanderreihung von Beispielen des Teilens, einseitigen Mahnrufen oder Schuldzuweisungen, sondern versuchen Zuspruch und Anspruch gleichermaßen zu Gehör zu bringen. Auch wird das Teilen nicht allein auf die Geldzuweisungen beschränkt, sondern auch auf die immateriellen Güter ausgeweitet. Als die Themen des Erntedanks erscheinen damit: ● Die Kontinuität und Souveränität der Güte Gottes, die in den klassischen Erntegaben zu Tage tritt und an der der Mensch partizipiert. ● Die erweiterte Definition der Erntegaben im zwischenmenschlichen Bereich (etwa Beziehung; Freude; Geborgenheit) ● Die erweiterte Definition der Erntegaben um soteriologische bzw. christologische Topoi (Heilstat Gottes in Jesus Christus) ● Die daraus resultierende Hoffnung bzw. das darauf bauende Vertrauen auf Gottes weiterhin erhaltendes Handeln am Menschen als Einheit von Leib und Seele. ● Der performative Charakter der Gaben Gottes, das Teilen bzw. Mitteilen dieser empfangenen, materiellen wie immateriellen Güter. ● Der Dank bzw. das Lob Gottes als Zielpunkt des Erntedank Jedoch wird auch die Schwierigkeit einer Predigt am Erntedankfest deutlich. Gerade in den heilsgeschichtlichen Deutungen des Festes hat der Gottesdienstbesucher eine, sich vom ursprünglichen Kasus entfernende, Denkarbeit zu leisten, wodurch das Erntedankfest v.a. als 212 Erntedenkfest und Ernteteilfest gepredigt wird, um in der Terminologie Wiegands zu bleiben. Das liegt sicherlich in den Predigttexten selbst begründet, die den Predigenden vor die Aufgabe stellen, sehr wohl heilsgeschichtliche Texte mit einem, diesem geradezu entgegengesetzt scheinenden Kasus ins Gespräch zu bringen. Vielleicht liegt es auch an dem Spagat, den der Prediger und die Predigerin an diesem Tag zu vollbringen hat und der v.a. in der Predigt von Rainer Lawrenz zum Ausdruck kommt: wie Leib und Seele, so können auch die theologischen Topoi Schöpfung und Erlösung nur schwerlich gegeneinander ausgespielt werden. Vielleicht macht es das gerade schwer, Text und Kasus gleichermaßen zur Sprache zu bringen. Den Predigten ist gemein, dass sie den Kasus zwar berücksichtigen, jedoch kaum predigen. Das liegt darin begründet, dass die Prediger und Predigerinnen sich sehr stark an das Wofür des Dankes und dem daraus resultierenden Handeln des Menschen halten. So warten sie auf mit einer Fülle von Erntedefinitionen, versuchen also über das Wofür des Dankes den Kasus zu klären und betonen in der Frage nach der Relevanz des Festes das Wie des Dankes, das sich jedoch fast ausschließlich auf das Teilen bzw. Mitteilen dieser Gaben bezieht. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich in den betrachteten Predigtmeditationen. Den Meditationen und Predigthilfen zum Erntedankfest ist gemein, dass sie die Existenz des Menschen als eine von Gott verdankte, erhaltene und gehaltene Existenz zeichnen. Die Fürsorge Gottes umfasst dabei sowohl die körperlichen wie auch die seelischen Aspekte des Menschseins. Deshalb verbleiben die Autoren und Autorinnen nicht bei der klassischen Definition der Erntegaben, sondern beziehen Gottes Heilshandeln in Christus mit ein. Zugleich wird darin meist auch der sich daraus ergebende Anspruch an den Menschen betrachtet. Auch hier gilt positiv festzuhalten, dass sie sich nicht mehr wie z.T. in den Sechziger und Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts in einer Darstellung von den Nöten der Welt, Schuldzuweisungen bezüglich eines ungerechten und verantwortungslosen Umgangs des Menschen mit der Natur bzw. seinem Mitmenschen oder in einem einseitigen Teilungsappell erschöpfen, sondern versuchen, die Relevanz des Festes im heutigen Lebenskontext der Hörerinnen und Hörer zu vermitteln. Aber auch hier lässt sich die bereits konstatierte Schwierigkeit, am Erntedanktag zu predigen, feststellen. Der Kasus findet in seiner ursprünglichen Bedeutung kaum Berücksichtigung, wird bewusst ausgeblendet, als Kontrapunkt für eine heilsgeschichtliche Deutung gebraucht, als eine Station auf dem Weg zum Teilen oder zum Fest der helfenden Ökumene innerhalb der weltumspannenden familia Dei umgedeutet. Eine solche Fülle von Deutungsaspekten und Assoziationen läuft Gefahr, dass sie die Gemeinde überfordern, darüber u.U. den Kasus in seiner ursprünglichen Bedeutung verdecken und dadurch schlimmstenfalls das Fest als Erntedankfest bzw. das Fest in seiner Eigenheit in Frage stellen. Was unterscheidet das Erntedankfest von den Hochfesten wie Karfreitag oder Ostern, wenn auch an diesem Tag die Heilstat des Kreuzes und 213 deren Bedeutung für die christliche Existenz in den Mittelpunkt gerückt wird? Welchen eigenen Charakter haben die Sonntage nach Trinitatis noch, im besonderen der 15. Sonntag nach Trinitatis, an dem die Schöpfung Gottes und der Umgang des Menschen mit ihr bzw. den irdischen Güter im Mittelpunkt stehen? Die mehrmals explizit wie implizit konstatierte Kluft zwischen erstem und zweiten Glaubensartikel zu überwinden gelingt am ehesten noch Christian Möller und Gerhard Schoenauer, die Leib und Seele, Schöpfung und Erlösung konsequent zusammendenken und nicht das eine als defizitär zum anderen beschreiben, sondern zur ganzheitlichen Teilhabe an Christi Reichtum einladen. Jedoch ist der Dreh- und Angelpunkt auch dieser Meditationen letztlich christologisch-soteriologischer Natur und gründet in der Frage nach dem Wofür des Dankes. Das ist aufgrund der Perikopen durchaus verständlich und sachlich nicht zu hinterfragen. In den Meditationen wird so der Weg, den Diebner vorschlägt, bereits gegangen: der Weg von Sukkot zu Päsach, von einem agrarisch verwurzelten Fest zu einer heilsgeschichtlich begründeten und ausgedeuteten Feier. Jedoch bleibt die Frage, inwieweit der Gottesdienstbesucher durch eine heilsgeschichtliche Ausdeutung des Festes oder soteriologisch begründete Kollektenpredigt in seinen Bedürfnissen oder Erwartungen und das Fest mit dem Schwerpunkt des Dankens für das Empfangene selbst zu Wort kommen. Diebner begründet seinen Weg von Sukkot zu Päsach mit dem Verweis, dass es am Erntedankfest nichts Neues zu predigen gäbe. Letztlich kann diese „Feststellung“ theoretisch aber auch auf jedes andere Fest im Kirchenjahr angewendet werden und stellt noch keine ausreichende Begründung für die Umdeutung eines Festes dar. Zusammenfassen lässt sich festhalten: Das Wofür des Dankes wird in aller Ausführlichkeit dargestellt, das Dass des Dankes meist stillschweigend vorausgesetzt, das Wie des Dankens in der Regel auf das Teilen bzw. Mitteilen der empfangenen Gaben beschränkt. Als theologischen Ort des Erntedankfestes weisen die analysierten Predigten und Predigtmeditationen in der Regel das Bekenntnis zu Gott dem Erlöser aus. Es scheint geradezu eine Gegenbewegung zu sein zu den vielen v.a. in Gottesdienstentwürfen vorgeschlagenen „Schöpfungsfeiern“ und befreit das Erntedankfest von seiner einseitigen Ausrichtung, die es in seinen Ursprüngen ja auch nie hatte, in denen sehr wohl heilsgeschichtliche Aspekte zur Sprache kamen. Es wird deutlich, dass ein spezifisch christliches Erntedankfest spezifisch christliche Grundlagen des Glaubens nicht ausschließen kann. Weil Gott den Menschen als Leib und Seele geschaffen hat und sich sein kontinuierliches Handeln auch stets auf Leib und Seele des Menschen bezieht, kann in der Frage nach dem Wofür des Dankes auch nicht ein Aspekt christlicher Existenz ausgeblendet werden. Das muss dann aber auch umgekehrt gelten, darf also keine Schwerpunktsetzung auf den zweiten Artikel des Glaubensbekenntnisses nach sich ziehen. 214 Weil Gott den Menschen als Leib und Seele geschaffen hat, kann es am Erntedankfest, das den Dank für das von Gott Empfangene in all seiner Vielgestaltigkeit zum Inhalt hat, nicht auf die Alternative Päsach oder Sukkot hinauslaufen, kann das naturgeschichtlich feiernde Volk nicht durch das heilsgeschichtlich denkende Volk ersetzt werden. In der Erfahrungs- und Lebenswirklichkeit gehört der Mensch beiden an. Freilich ist die Heilstat in Jesus Christus das die Existenz des Christen tragende Moment göttlichen Handelns. Jedoch erstreckt sich Gottes Handeln eben auch auf die kreatürlichen Aspekte des Menschseins. Beides bildet im Handeln Gottes eine Einheit wie der Mensch eben auch von Gott als Einheit von Leib und Seele geschaffen wurde. Wie Schoenauer sich gegen eine dualistische Aufspaltung des Menschen am Erntedanktag wehrt, kann der theologische Ort des Erntedankfestes nicht auf einen Artikel des Glaubensbekenntnisses beschränkt werden. Ist der Ort der erste Artikel, läuft das Fest Gefahr, zu einer mehr oder weniger unverbindlichen Schöpfungsfeier zu werden. Tritt an dessen Stelle allein das Bekenntnis zu Gott, dem Erlöser, dann verliert das Fest in gleichem Maße seine inhaltliche Eigenheit und wird dessen Relevanz in Frage gestellt. Nun erscheint am Horizont dieser theologischen Ortsbestimmung ein weiteres zu bedenkendes Moment. Die Predigten und Predigtmeditationen beschäftigen sich, wie gezeigt, sehr stark mit dem Wofür des Dankes. Unaufgebbar wird darin sein, dass die Ganzheitlichkeit spezifisch christlicher Existenz mitbedacht wird. Zu überdenken wird sein, ob nun die christologische Ausdeutung den schöpfungstheologischen Aspekt verdrängen dürfe. Wird jedoch versucht beides zu berücksichtigen ist eine Aufzählung der Dinge, wofür der Mensch danken könne oder müsse, meist die Folge. Dadurch steht der Gottesdienstbesucher nun vor dem von Gott für ihn reich gedeckten Tisch und fragt sich, wie er damit umgehen solle. Was ist die Konsequenz einer Darstellung der Güte Gottes? Als Ausweg wird im Großteil der Texte das Teilen bzw. Mitteilen der Gaben propagiert. Möllers und Schönauers Intention die Teilhabe am Reichtum Christi einzuüben wird hier insofern stärker Gehör finden müssen, weil sie noch am ehesten dem Erntedankfest als Dankfest entsprechen und sich nicht auf eine Form des Erntedanks, das Teilen, beschränken. Wie die Lieder zum Fest versuchen auch die Predigten und Predigtmeditationen verstärkt die Lebens- und Erfahrungswirklichkeit der Gottesdienstbesucher in den Blick zu nehmen und dadurch die Relevanz des Festes für den Alltag des Gläubigen herauszustellen. Entweder, indem sie damalige Ernteerfahrungen mit ähnlichen Erfahrungen parallelisieren, oder indem sie den Kasus umdeuten. Jedoch wird die Relevanz des Festes für die gottesdienstliche Praxis erst dann zurückgewonnen bzw. deutlich gemacht werden können, wenn die Predigt zum Fest sich nicht in einer Aufzählung dessen, wofür der Mensch dankbar sein könne oder in der Darstellung eines verantwortungsvollen Umgangs mit den von Gott geschenkten Gaben erschöpft. Es geht also 215 weder um ein „Best-of“ des Kirchenjahres noch um die Gelegenheit, alle sich das Jahr über aufgestauten Forderungen los zu werden. Es geht um das Dass der Freundlichkeit Gottes und der Reaktion des Menschen darauf. Das deshalb, weil dem Fest, wie bereits festgestellt, keine biblische Gründungsgeschichte zugrunde liegt, sondern sein Inhalt sich v.a. seiner Ausgestaltung, der Sprachwerdung des Dankes verdankt, die auf dem Bedürfnis der Menschen, für Empfangenes zu danken, fußt. Jenes Bedürfnis, dem eigenen Dank Ausdruck zu verleihen, wird deshalb in einer Predigt am Erntedankfest stärker Berücksichtigung finden müssen als die Darstellung dessen, wofür gedankt werden könne. C Erntedank gegründet 18. Ernte im biblischen Zeugnis 18.1 Ernte im Alten Testament 18.1.1 Der Erntebegriff Im Alten Testament bezeichnet die Wurzel „ קצירden Komplex ‚Ernte’ als Tätigkeit wie als deren Ergebnis.“803 Die Häufigkeit seines Vorkommens als Verb (19mal), als substantiviertes Partizip (10mal) oder Nomen (43mal) und die zahlreiche Verbindung mit ( זרעsäen)804 unterstreichen die existentielle Bedeutung des Erntezusammenhangs für die Menschen des Alten Testamentes, deren Leben sich im bäuerlichen Kontext bewegte und aufgrund der Landesnatur und der klimatischen Verhältnisse stets auf die Erträge des Bodens bezogen war.805 Was sich auch darin zeigt, dass die Einteilung des Jahres Fest- und Erntezeiten aufeinander bezieht, auch persönliche Begebenheiten nach Ernteterminen datiert werden und damit die Ernte schlicht als Zeitangabe verwendet werden konnte (Gen 30,14; Jos 3,15; Rut 1,22).806 Demgegenüber bringt das Partizipialnomen die konkreten Tätigkeiten innerhalb des Einbringens der Ernte zum Ausdruck.807 Da die Getreidearten Gerste und Weizen unter den Kulturpflanzen Israels den dominanten Part einnehmen, bezeichnet קצירauch meist die Gersten- und Weizenernte, die zwischen Mitte April und Juni eingefahren wurde. Darauf folgte im Juli/August die Ernte des 803 Hausmann, Art. קציר, Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament VII, Sp. 107. Vgl. für die Belege im Einzelnen: Hausmann, Sp. 107f. 805 Vgl. Bergler, Ernte im alten Israel und im Judentum, S. 12 806 Vgl. Hermann, Art. Ernte, RAC VI, Sp.275-306, Sp. 284. Weitere Belegstellen hier. 807 Vgl. Hausmann, Sp. 109. 804 216 Sommerobstes ( )קיץwie auch die Weinlese ()בציר, der sich im Oktober die Olivenernte (Jes 17,5) anschloss.808 Gen 8,22 stellt schon zu Beginn heraus, dass der Rhythmus der Natur und damit die menschliche Existenz an dieser Verheißung Gottes hängen.809 Alle Fruchtbarkeit des Bodens ist auf das Handeln Gottes rückgebunden und damit steht seine Verheißung über allem Leben.810 In der Aufhebung des Fluches (Gen 6,5ff.) kommt Gen 8,22 damit die Grundsätzlichkeit wie auch die Unaufhörlichkeit dieses Entschlusses JHWHs zum Ausdruck und stellt dieses Wort als etwas zuvor nie da gewesenes Neue dar, das dem Menschen als göttliche Schenkung zukommt.811 So zeigt sich im atl. Zeugnis der untrennbare Zusammenhang zwischen der creatio originans und der darauf fußenden creatio continua.812 Die Abhängigkeit des Menschen ist wesentlicher Bestandteil, der Mensch ist von Grund auf auf JHWHs Segen angewiesen und „auf sein rettendes Handeln hin angelegt.“813 Der Prophet Jeremia versucht mit dem Hinweis auf die Garantie dieser „Schöpfungsordnung“ das Volk zur Ehrfurcht gegenüber JHWH zu führen814, wenn er klagt: „Sie bleiben abtrünnig und gehen ihrer Wege und sprechen niemals in ihrem Herzen: Lasst uns doch JHWH, unsern Gott, fürchten, der uns Frühregen und Spätregen gibt zur rechten Zeit und uns die Ernte treulich und jährlich gewährt.“ (Jer 5,23f.) Von einer guten Ernte hängt nicht allein das Wohlergehen, sondern die Existenz des Einzelnen wie die des Volkes ab. Zugleich betont Gen 26,12 die Abhängigkeit der Ernte vom Segen Gottes. So zeichnet das Alte Testament die Ernte als Zeichen göttlichen Segens und in diesem Sinne auch als „Einlösung der Zusage Gottes, dem Land ‚Regen zur rechten Zeit’ zu geben“815 wie es etwa auch Lev 26,4 zum Ausdruck bringt oder in der Vorschrift zu den drei jährlichen Hauptfesten Dtn 16,15 anklingt. Ernte trägt von Beginn an Geschenkcharakter, während die ausbleibende Ernte als vom Menschen durch sein sich von Gott abwendendes Verhalten selbst verschuldetes Ausbleiben des Segens oder als Gericht Gottes gedeutet werden kann (Joel 2,14; Jer 12,13).816 Ernte erscheint damit stets im Zusammenhang mit der Bewahrung des Lebens und erinnert dadurch stets an die Güte Gottes. Diesem Geschenkcharakter der Ernte entspricht auch die Vorschrift, „das Feld nicht völlig abzuernten, sondern etwas für die Armen stehen zu lassen“817, wie es Lev 23,22 formuliert, und damit auch die soziale Verantwortung des Menschen im Bereich der Ernte betont. „Das ursprüngliche, vorisraelitische religiös motivierte Verhalten 808 Vgl. Bons, Art. Ernte, LThK3, Sp. 820. Vgl. auch Bergler, S. 13. Vgl. Bergler, S. 13. 810 Vgl. Köhler, Theologie des Alten Testamentes, S. 75: „Gott allein ist der Erhalter des Lebens.“ 811 Vgl. Wolff, Anthropologie des Alten Testamentes, S. 129. 812 Vgl. Preuß, Theologie des Alten Testamentes I, S. 265. 813 Preuß, Theologie I, S. 273. 814 Vgl. Hausmann, Sp. 110. 815 Bergler, S. 13. 816 Vgl. Bergler S. 13f.; vgl. auch Hausmann, Sp. 110. 817 Herrmann, Sp. 283. 809 217 (ein Teil der Ernte wird dem Felddämon überlassen, um ihn zufrieden zu stellen) wird hier mit einem ethisch-sozialen Aspekt überhöht“, wie er besonders im Buch Rut zum Ausdruck kommt (Rut 2,9).818 In diesem Sinn wird u.a. auch das für den Acker geforderte Sabbatjahr verstanden werden können: „Im siebten Jahr soll das Land JHWH einen feierlichen Sabbat halten; da sollst du dein Feld nicht besäen noch deinen Weinberg beschneiden“ (Lev 25,4). Statt dessen gilt: „Was von selber nach deiner Ernte wächst, sollst du nicht ernten, und die Trauben, die ohne deine Arbeit wachsen, sollst du nicht lesen; ein Sabbatjahr des Landes soll es sein.“ (Lev 25,5). Das, was das Land dennoch hervorbringt, soll dann den Sklaven und Fremdlingen überlassen werden.819 Jedoch ist Ernte auch stets Synonym für Arbeit und Mühe des Menschen.820 So muss sich der Mensch mit Mühsal vom Acker nähren und sein Brot im Angesicht seines Schweißes essen (Gen 3). Allerdings steht dieser negativen Bewertung menschlicher Arbeit der Sabbat entgegen, „der mit seiner Ruhe (...) auch ein wichtiges Gegenwicht zur Wertung der Arbeit schafft.“821 Dem entspricht, dass menschliche Arbeit nicht ein Werk für Gott darstellt, sondern stets zugunsten des Menschen geschieht.822 In gleicher Weise, dass das Gebot des Sabbats auch in der Zeit des Pflügens und des Erntens gilt (Ex 34,21).823 Den Fleiß wie auch den verantwortungsvollen Umgang mit der Ernte verdeutlicht schon Joseph, der die sieben fetten Erntejahre dazu nutzt, für die mageren Jahre vorzusorgen (Gen 41,47ff.). Demgegenüber zeichnet sich der Faule dadurch aus, dass er nicht pflügen will und so während der Ernte betteln muss (Spr 20,4). So wird die Ernte als Geschenk Gottes empfangen, ist jedoch mit der Arbeit des Menschen verbunden. Vielleicht hat gerade dieses Miteinander von Arbeit und Empfangen dazu geführt, dass die Freude zur Erntezeit wesentliches Moment darstellte. Freude, weil die Arbeit getan war und Freude, weil Gott in der Souveränität seiner Güte der menschlichen Arbeit Erfolg beschert hat. Die Verbindung der Ernte mit dem Handeln JHWHs und der Freude darüber bringen v.a. die Erntefeste zum Ausdruck, die im Kult des Alten Testamentes eine große Rolle einnehmen.824 Der Verlust der Ernte dagegen bedeutete Unglück (Jes 16,9; Jer 5,17; Mi 6,15).825 Ob es hierbei – v.a. in Blick auf Ps 126,5 – ein rituelles Weinen oder eine rituelle Freude bei Aussaat und Ernte gegeben hat, ist nicht belegt. Wohl eher nicht. Und Ps 126,5 denkt wohl weniger an konkrete landwirtschaftliche Vollzüge, sondern gebraucht das Bild der Saat und Ernte metaphorisch für eine Beschreibung des Geschicks Israels.826 818 Hausmann, Sp. 110. Vgl. Hausmann, Sp. 110. 820 Vgl. Hausmann, Sp. 109. 821 Preuß, Theologie I, S. 112. 822 Vgl. Preuß, Theologie I, S. 111. 823 Vgl. Hausmann, Sp. 110. 824 Vgl. Hausmann, Sp. 110. 825 Vgl. Bons, Sp. 821. 826 Vgl. Hausmann, Sp. 111. 819 218 18.1.2 Ernte als Metapher Ist von der Ernte überwiegend im wörtlichen Sinne die Rede, so taucht v.a. in der Weisheitsliteratur und den Propheten auch der metaphorische Gebrauch des Erntebegriffs auf. Das Erntebild kann für das Geschick des Menschen gebraucht werden, wenn das fehlerhafte Verhalten des Menschen und die daraus resultierenden Folgen beschrieben werden: „Denn sie säen Wind und werden Sturm ernten.“ (Hos 8,7)827 Ähnlich auch Spr 22,8 oder Hiob 4,8. Trotz der unübersehbaren Nähe dieser Aussagen zu einem Tun-Ergehen-Zusammenhang muss festgehalten werden, dass hier in der Regel zwischenmenschliches Fehlverhalten und dessen Folgen zur Sprache gebracht werden. So wird gerade in dieser Verbindung von Saat und Ernte deutlich, „dass unerfreuliches Ergehen selbst angelegte Tatfolge, nicht aber Vergeltung“, schon gar nicht göttliche Strafe darstellt.828 Zugleich kann die geraubte Ernte als Inbegriff der Machtlosigkeit erscheinen (Hiob 5,5) oder die zu ihrer Zeit eingeholte Garbe den Tod des Einzelnen beschreiben (Hiob 5,26).829 Als endzeitliches Gericht wird die Ernte v.a. bei den Propheten gedeutet. So kann sie als Synonym für das Strafhandeln Gottes erscheinen, etwa gegen die Feinde (Jer 48,32f.), die Heiden (Joel 4,12f.) oder gegen das Gottesvolk selbst (Jes 17,5).830 Jeremia klagt, dass die Sünder in Israel den Weizen säten, jedoch nur Disteln ernteten (Jer 12,3). Besonders drastisch schildert Jer 9,21 das Strafhandeln Gottes: „Die Leichen der Menschen sollen liegen wie Dung auf dem Felde und wie Garben hinter dem Schnitter, die niemand sammelt.“831 Das Volk gleicht dann, aufgrund äußerer Geschehen wie etwa dem Einbruch der Feinde, einem abgeernteten Feld, von dem nichts oder kaum etwas übrig bleibt. Gerade an diesen Stellen „wird die Rede von der Ernte gebraucht als verdecktes Zeichen für das Endgericht.“832 In gleicher Weise kann auch das Ausbleiben der Ernte als Gericht JHWHs verstanden werden (Jes 16,9; Jer 48,32). Es fällt dabei auf, dass die Verwendung der Wurzel קצירim theologisch orientierten Kontext, d.h. metaphorisch über den konkret und originären landwirtschaftlichen Vollzug hinaus, stets negativ ausfällt als Beschreibung von Vernichtung, Strafe oder negative Tatfolge. Zugleich zeigt diese metaphorische Rede, „dass für die damalige Bevölkerung die Saat wie die Ernte so wichtig gewesen ist für die Existenz, dass im Gerichtswort wie in der Klage die Wurzel qsr zu einem Synonym für die Gefährdung des Volkes im physischen wie im politischen Sinn werden konnte.“833 Neben solch bedrohlichen Worten entwirft der Prophet Amos am Ende seiner Gerichtsrede ein Hoffnungsbild: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht JHWH, dass man zugleich ackern und ernten, 827 Vgl. Preuß, Theologie I, S. 216. Hausmann, Sp. 111. 829 Vgl. Herrmann, Sp. 285. 830 Vgl. Bergler, S. 18. 831 Vgl. Hausmann, Sp. 112.: „Das uns geläufige Bild vom Schnitter Tod ist hier angelegt.“ 832 Hausmann, Sp. 111. 833 Hausmann, Sp. 112. 828 219 zugleich keltern und säen wird.“ (Am 9,13).834 So stellt sich das künftige Heil des Volkes in der Gemeinschaft mit Gott als eine immerwährende Ernte dar. Ob sekundär oder nicht: es ist erstaunlich, dass in einem Buch, das keinesfalls zufällig auf den Begriff der חסדverzichtet835, ein solch hoffnungsvoller und trostreicher Ausblick erscheint. Man könnte vermuten, es sei analog zu Gen 8 geschehen, dass auch hier, nach Gottes richtendem Handeln, eine erneute Verheißung von Fruchtbarkeit – quasi als Schlusspunkt – gesetzt wurde. „Eine überaus reichliche Ernte, ja ein Ineinandergreifen von Saat und Ernte wird angekündigt und somit ein Ausblick auf die eschatologische Existenz vollzogen.“836 Auch in der Aufforderung an Hiskia 2. Kön 19,29 bzw. Jes 37,30, im dritten Jahr nach der Katastrophe zu säen und zu ernten, wird wohl das konkrete Denken verlassen und die Situation des jüdischen Volkes beschrieben, so dass es „letztlich um die Restitution Judas geht.“837 In diesem Sinne wird es auch Ps 126,5 um das Geschick Israels gehen: einst werden sie in Freuden die Saat ihrer Tränen ernten. „Im nachexilischen Psalm 126 wird erkennbar, wie der Rückgriff auf die ‚Wendung des Geschicks’ (V. 1) im Exil neue Hoffnung auf ein analoges Handeln JHWHs aus sich heraussetzt.“ 838 Ausdruck der Hoffnung, dass JHWH bei der Verheißung bleibt, die er Gen 8 nach der Zerstörung durch die Sintflut gab. 18.2 Erntefeste im Alten Testament Die Ernte war so stets mit der Freude verbunden. Einer unmittelbaren Freude über den Ertrag und das Ende der Erntearbeit wie auch eine hoffende Freude im Ausblick auf die eschatologische Existenz. Dieser Freude verlieh man Ausdruck in den Erntefesten. Feste zum Beginn oder Abschluss der Ernte waren in der Umwelt Israels verbreitet. Gegen den Völkern seiner Umgebung hat Israel sich jedoch von der Verehrung der Ernte als eines göttlichen Wesens distanziert und „die Verbindung von Ernte und der jeweils dafür zuständigen Gottheit auf den einen Gott JHWH übertragen.“839 18.2.1 Mazzoth Mazzoth wurde zu Beginn der Getreideernte im Monat Abib bzw. Nisan840 begangen als Fest der ungesäuerten Brote (Mazzen), die aus den ersten Körnern der eingebrachten Gerste zubereitet 834 Auch wenn dieser Verheißungsvolle Abschluss des Amosbuch sekundär sein durfte, hinzugefügt, weil „nach der Erfahrung des Exils wollte und konnte man das Amosbuch nicht mehr mit harten Gerichtsworten schließen lassen.“ Preuß, Theologie des Alten Testamentes II, S. 95. Vgl. auch die (vermutlich) sekundäre Heilszusage Hos 6,11. 835 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 94. 836 Hausmann, Sp. 112. 837 Hausmann, Sp. 109. 838 Preuß, Theologie II, S. 286. 839 Bergler, S. 14. 840 Die Bezeichnung des Ende März bis Mitte April umfassenden Zeitraums, erhält erst später den babylonischen Namen Nisan, der bis heute verwendet wird. Vgl. Preuß, Theologie II, S. 244. 220 wurden. Es stellt ein Frühlingsfest dar, das vermutlich auf eine ähnliche Feier kanaanäischer Bauern zurückgeführt werden kann841 und sich etablierte, als der Ackerbau für die israelitischen Kleintierzüchter zunehmende Bedeutung gewann.842 Der Termin war noch nicht genau festgelegt, sondern richtete sich nach den jeweiligen Gegebenheiten. Die Ex 23,15 geschilderte erste Festlegung des Termins auf den Monat bzw. Neumond des Abib843 bringt für Eckart Otto durch die damit vollzogene Unabhängigkeit des Festes von der zeitlich variablen Ernte „die Transzendenz Jahwes gegenüber der Natur zur Geltung.“844 Dafür spricht auch das für den Ritus konstitutive Sieben-Tage-Schema, innerhalb dessen der spezifisch israelitische siebte Tag als Ruhetag als „Ausdruck der Herrschaft Jahwes über Ernte und Natur“ angesehen werden kann.845 In der Frühlingszeit fand in Palästina die erste Ernte statt, die dergestalt gefeiert wurde, dass man aus dem neuen Getreide Brot ohne Beimischung von altem Brot backte.846 Dieses neugebackene Brot symbolisierte den Neuanfang des Jahres, eine „Befreiung von den Fesseln des Winters“, die dem Bauern zugleich vor Augen führte, wie „das scheinbar ‚tote’ Samenkorn, das er ausgesät hatte (...) zu einem neuen Leben erwachte“, weswegen dieses Fest der ungesäuerten Brote im Frühling auch als ein „Fest des neuen Lebens“ gefeiert wurde.847 Während des Mazzothfestes erfolgte an den Heiligtümern des Landes, später am Tempel, die Weihe der Erstlingsgarbe als Dankopfer für den Herrn, wie es Ex 23,15 anklingen lässt („Erscheint aber nicht mit leeren Händen vor mir“) und schließlich Lev 23,10 ausführlich beschreibt: „Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch geben werde, und es aberntet, so sollt ihr die erste Garbe eurer Ernte zu dem Priester bringen.“848 Im ältesten Festkalender innerhalb des Bundesbuches ist das Fest Ex 23,15 mit dem Auszug aus Ägypten verbunden, wobei zu fragen ist, ob der Begründungssatz („Denn zu dieser Zeit bist du aus Ägypten gezogen“) nicht einen Zusatz darstellt, der eine bereits geschehene Überlagerung des Erntefestes mit dem Fest der Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten zu legitimieren bzw. zu erklären sucht.849 Im zweiten Festkalender im Rahmen des Privilegrecht JHWHs (Ex 34, 18-24) wird auch bereits das Passahfest erwähnt, „wobei dieses Fest noch nicht voll mit Mazzoth verbunden ist, diese Verbindung aber schon anklingt.“850 841 Vgl. zu den divergierenden Thesen über den Ursprung Otto, S. 97. Vgl. Galley, Das jüdische Jahr, S. 135. Vgl. Preuß, Theologie II, S. 246. 843 Vgl. Otto, Art. Feste und Feiertage II Altes Testament, S. 97.: „Die Verbindung mit lemo‛ed spricht gegen die Übersetzung mit Monat.“ Durch die Übersetzung mit „Neumond“ kann Otto dann auch von einem festgelegten Termin sprechen, während bei der Übersetzung „Monat“ der Ex 23,15 genannte Festtermin zeitlich variabel bleibt. 844 Otto, S. 97. 845 Vgl. Otto, S. 97. 846 Vgl. Petuchowski, Feiertage des Herrn. Die Welt der jüdischen Feste und Bräuche, S. 27. 847 Petuchowski, S. 27. 848 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 244. 849 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 243, Anm. 154. 850 Preuß, Theologie II, S. 244. 842 221 18.2.2 Passah (14. Nisan) und Mazzoth (15.Nisan) Es war eine sukzessive Verschmelzung des ursprünglichen Erntefestes mit dem Gedenken an die Befreiung aus Ägypten. Ex 23,15 kennzeichnet Mazzoth noch als eigenständiges Fest zu Beginn der Gerstenernte. Bereits der zweite Festkalender (Ex 34,18-25) erwähnt eine Verbindung von Mazzoth mit Passah und der dritte Festkalender behandelt Dtn 16, 1-17 das Passahfest betont ausführlich und am Anfang, V. 8 wird Mazzoth erwähnt, aber eben schon in enger Verbindung mit Passah.851 Das Heiligkeitsgesetz Lev 17-26 kennzeichnet dann Passah und Mazzoth als ein „kombiniertes Doppelfest, für das eine Begründung nicht mehr notwendig ist“ 852 und spiegelt somit den Endpunkt der Entwicklung wider. Grund für diese Verbindung mag dabei eine zeitliche Nähe des Passah-Opferbrauch zum Fest der ungesäuerten Brote gewesen sein oder dass es auch beim Passah-Opfer üblich war, ungesäuerte Brotfladen mit bitteren Kräutern zu essen.853 Dem Passahfest liegt darüber hinaus wahrscheinlich auch ein nomadisches Fest zum Weidewechsel zu Grunde. Der Frühling ist neben der ersten Ernte der Bauern auch die Zeit, in der die Hirten die neuen Lämmlein erwarteten. An diesem Fest brachten schon die jungsteinzeitlichen Vorläufer Israels ihrem Gott ein Schaf oder eine Ziege dar, um Segen für den Weidewechsel und die neugeborenen Tiere zu erbitten.854 Damit verbunden wurden die Zeltstangen mit dem Blut des geopferten Tieres bestrichen, damit dadurch böse Kräfte oder Dämonen vorüberziehen mögen. Freilich ist diese nomadische Herkunft des Passahfestes nicht unumstritten.855 Horst Dietrich Preuß spricht wie Eckart Otto von einem apotropäischen „Blutritus gegenüber einem Pestengel (‚Verderber’ Ex 12,23), der dann die Schwelle des so geschützten Hauses verschonend ‚überspringt’ (Ex 12,13).“856 Ein solches Ritual, wie es Ex 12 anklingt, war an der Familie, einer Sippe oder Gruppe orientiert und dadurch auch nicht an ein Heiligtum gebunden.857 Durch die Übernahme dieses vorisraelitischen Hirtenritus in die JHWHReligion wird die schützende Funktion nun nicht mehr auf die Lebenskraft des Blutes zurückgeführt, sondern gründet in der Vergegenwärtigung des Heilshandeln JHWHs in der Befreiung aus Ägypten.858 Später, in der vordeuteronomischen Paränese Ex 12, 24-27, wird an die Stelle dieses Blutritus dann ein Opfermahl gesetzt, „das Gemeinschaft der Opfernden mit JHWH und untereinander stiftet, den im Exodus begründeten Schutz für die Familie (...) vergegenwärtigt und den Dank der Familie für erfahrenen Schutz ausdrückt.“859 Und schließlich war es das Deuteronomium (Dtn 16,1ff.), das „im Passah auch ein Opfer sehen wollte, Passah und Mazzoth 851 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 244. Preuß, Theologie II, S. 245. 853 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 246. 854 Vgl. Galley, S. 135. 855 Vgl. zu den Thesen über den Ursprungs des Festes die kurze, aber prägnante Darstellung bei Otto, S. 97f. 856 Preuß, Theologie II, S. 247. 857 Vgl. Maertens, Heidnisch-jüdische Wurzeln der christlichen Feste, S. 24.Vgl. auch Otto, S. 97f. 858 Vgl. Otto, S. 98. 859 Otto, S. 98. 852 222 eng verknüpfte, an das Zentralheiligtum verlegte und ihre Entwicklung zum Hauptfest der nachexilischen Gemeinde in Gang setzte.“860 Der Blutritus wird gänzlich ausgeschieden und der Termin des Passah wird auf das Datum des Mazzothfest fixiert.861 Als Festtermin erscheint nun der 14. (Passah) bzw. 15. Nisan (Mazzoth). Tempelfeier und Familienfest laufen dabei parallel. Die Passahtiere wurden am zweiten Tempel am 14. Nisan, begleitet vom Gesang des Hallel (Ps 113-118), geschlachtet, während das Passahmahl „in der Nacht in den Häusern Jerusalems in Familien und Gemeinschaften“ gefeiert wurde.862 In nachpersischer Zeit nimmt das Mahl Formen eines griechisch-römischen Banketts an, zu dem auch die Ärmsten geladen sind, und drückt dabei auch die auf dem Exodus gründende, eschatologische Befreiungshoffnung aus.863 Während das Volk Israel in der Epoche des zweiten Tempels erst unter den Seleukiden und später unter der römischen Besatzungsmacht zu leiden hatte, wuchs die Sehnsucht nach einem neuen Exodus aus der Bedrückung und der Fremdherrschaft.864 Spätestens nach der Zerstörung des zweiten Tempels 70 n. Chr. verbindet sich mit diesem Fest die Erwartung des Wiederaufbaus von Jerusalem865 und der Schwerpunkt des Festes verlagerte sich auf die häusliche Feier.866 In der Verbindung des Passahfestes mit dem Mazzothfestes zu einem Doppelfest erscheinen so das Lamm und das ungesäuerte Brot zusammen als die symbolischen Speisen, die auf die Wiedergeburt und auf das neue Leben hinweisen.867 Weil aber die ursprüngliche, agrarische Verwurzelung verloren ging und statt dessen die Befreiungstat JHWHs in den Mittelpunkt rückte, mussten nun auch die zentralen, dem agrarischen Kontext entstammenden Riten neu theologisch gedeutet werden. Der apotropäische Blutritus findet sich wieder Ex 12, in der Nacht vor dem Auszug Israels als Schutzritus, eingebunden in die zehn Plagen, die Gott über die Ägypter kommen ließ. Zwei verschiedene Deutungen bietet die Tora für das Ungesäuerte an. Es wird mit der Eile begründet (Ex 12,39) oder Dtn 16,3 als Brot des Elends gedeutet, das in Erinnerung an die bedrängte Lage in Ägypten gegessen werden soll. Die Freude über das erste, aus der neuen Ernte gebackene Brot ist damit der Erinnerung an die Zeit der Bedrückung und des Wüstenaufenthaltes gewichen. Geblieben ist dagegen die Feier beider Feste als Fest des Neuanfangs. Wie das Mazzothfest den Übergang vom Winter in den Frühling markierte, als „Fest des neuen Lebens“ gefeiert wurde, symbolisiert durch das aus der neuen Ernte gebackene Brot, so ist auch das Doppelfest Passah/Mazzoth in seiner Endgestalt als ein Fest zu verstehen, an 860 Preuß, Theologie II, S. 247. Vgl. Otto, S. 98. 862 Otto, S. 99. 863 Vgl. Otto, S. 99. 864 Vgl. Galley, S. 139. 865 Vgl. Otto, S. 99. 866 Vgl. Galley, S. 141. 867 Vgl. Petuchowski, S. 28. 861 223 dem etwa Neues beginnt, das neue, befreite Leben des Volkes Israel.868 Denn es stellt den „Beginn und die erinnernde Vergegenwärtigung von JHWHs grundlegender Befreiungstat“ dar.869 18.2.3 Schawuot Sieben Wochen nach Mazzoth lag, mit der Weizenernte verbunden, als ein weiteres der drei biblischen Wallfahrtsfeste das Erntefest ( חג הקּצירEx 23,16), das später (Ex 34,22; Dtn 16,9f.) die Bezeichnung ת חג שׁבעbekam.870 Ex 34,22 erscheint es als „Fest der Siebentageperioden“ (תחג שׁבע, so auch Dtn 16,10), Ex 23,16 dagegen konkret als Erntefest, an dem nach Lev 23, 16f. und Num 28,26 die Erstlinge der Weizenernte dargebracht wurden. Ursprünglich war der genaue Festtermin noch nicht festgelegt, sondern hing vom Stand es Getreides ab.871 Es war ein klassisches Erntedankfest, „in dessen Zentrum die Darbringung landwirtschaftlicher Produkte stand“, wobei zu fragen bleibt, „ob sich dieses Opfer lediglich auf Getreide (Lev 23,17) oder auch auf andere Früchte (vgl. Num 28,26 ‚Tag der Erstlinge’) bezog.“872 Es ist angegliedert an das Passah-/Mazzothfest als dem Dankfest der Gerstenernte und Sukkot als dem Dankfest der Wein- und Obsternte und bringt die Verbundenheit des Volkes Israel mit seinem Land zum Ausdruck, die bestimmt war durch den Rhythmus des Landlebens.873 Jes 9,2 und Ps 65,10-14 spiegeln dieses Fest und dessen Freudencharakter vielleicht wider.874 Neben den üblichen Tieropfern war das charakteristische Opfer zwei Laib Brot aus dem frisch geernteten Weizen (Lev 23, 16f.).875 Das deuteronomische Reformprogramm erhob dieses Erntefest zum Wallfahrtsfest am Zentralheiligtum (Dtn 16, 9-12).876 Mit der Zentralisation des Festes nach Jerusalem kommt auch das Bedürfnis nach einer Fixierung des Festtermins auf. Dem kommt „die Festlegung der Zahl der Siebentageperioden auf sieben gerechnet vom ersten Tag des Sichelschnitts nach.“877 Dieser Tag ist wahrscheinlich der Tag nach der Versammlung für JHWH am Ende des Mazzothfestes. Durch diese Fixierung rückt Schawuot an das Ende der Weizenernte und der Ritus der Erstlingsgaben wird durch „unspezifizierte freiwillige Gaben ersetzt (Dtn 16,10).“878 Jedoch blieb das Fest innerbiblisch ein rein agrarisches Fest und es findet 868 Vgl. Petuchowski, S. 28: „So wie die Natur von den Fesseln des Winters befreit wird (...), so war es auch im Frühling, dass Israel von den Fesseln der Knechtschaft befreit wurde und zu einem neuen Leben durch Gottes Hilfe und Beistand erwachte.“ 869 Preuß, Theologie II, S. 248. 870 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 248. 871 Vgl. Otto, S.99. 872 Galley, S. 153. 873 Vgl. Dienemann, Schawuot, S. 282. 874 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 248. 875 Vgl. Dienemann, S. 281; vgl. auch Bergler, S. 15. 876 Vgl. Otto, S. 100. 877 Otto, S. 100. 878 Otto, S. 100. 224 sich innerhalb des Alten Testamentes kein Versuch einer theologischen Deutung879, auch wenn das Dtn es mit der Erinnerung an die Knechtschaft in Ägypten in Verbindung bringt (Dtn 16,12) und damit zumindest z.T. aus dem „alleinigen Bereich des Agrarischen in den auch der Geschichte hineingeholt“ hat.880 Spätestens im Frühjudentum wird es jedoch heilsgeschichtlich überlagert, indem man es mit den Ereignissen am Sinai verband881, wofür wohl die Datierung der Offenbarung Gottes auf den dritten Monat nach dem Auszug herangezogen wurde (Ex 19,1).882 Die wahrscheinlich älteste theologische Deutung des Festes weist das Jubiläenbuch im 2. Jh. v. Chr. auf, das Schawuot mit dem Ende der Sintflut und dem JHWH-Bund mit Noah in Verbindung bringt.883 Für die Umdeutung des Festes als Fest der Tora-Übergabe bietet jedoch erst der Babylonische Talmud aus amoräischer Zeit sichere Belege.884 Schawuot konnte damit lange seine ursprüngliche Bedeutung als Erntefest behaupten und dies trotz der abnehmenden landwirtschaftlichen Betätigung der Bevölkerung. Seit 70 n.Chr. wurden die Synagogen Zentrum des Wochenfestes. Zwar steht das Ereignis am Sinai im Vordergrund, die von der Erscheinung Gottes gerahmten zehn Gebote Ex 19-20 stellen den Höhepunkt der gottesdienstlichen Lesung dar,885 aller Theologisierung zum Trotz konnte sich jedoch bis heute Agrarisches halten: „Synagogen und Häuser sind reich geschmückt mit Blumen und Früchten von Feldern und Bäumen. In Israel ziehen die Kinder mit Körben voller Obst und Blumen durch die Straßen.“886 Die zehn Gebote werden über die Erntegaben hinaus als die Gabe Gottes gefeiert: „Israel reicht dem Herrn zwei Brote und erhält dafür die beiden Tafeln.“887 In diese Richtung weist auch der Brauch, am ersten Tag des Wochenfestes milchige Speisen zu bevorzugen. Die Tora wird mit der Milch verglichen, „welche Israel am Sinai, unschuldig wie ein Säugling, in sich aufzunehmen trachtete.“888 Und schließlich wird als festlicher Zusatz das Buch Rut verlesen, das die zwei wesentlichen Aspekte des Wochenfestes – die Annahme der Tora und die Kornernte – beinhaltet.889 879 Vgl. Petuchowski, S. 42. Preuß, Theologie II, S. 244. 881 Diese Entwicklung bahnt sich bereits in persischer Zeit an. Hier wird das Wochenfest auf die Gabe der Sinaithora oder auf den Bund Gottes mit dem Volk Israel (2. Chr 15,10ff.) bezogen. Vgl. Otto, S. 100. 882 Vgl. Galley, S. 156. Vgl. auch Preuß, Theologie II, S. 248. 883 Vgl. Otto, S. 100; vgl. auch Galley, S. 154. 884 Vgl. Galley, S. 156; vgl. auch Otto, S. 100. 885 Vgl. Galley, S. 157f. 886 Krabbe, S. 74. 887 Bergler, S. 15; vgl. auch Petuchowski, S. 43. 888 Galley, S. 152. 889 Vgl. Krabbe, S. 76: „Nicht von ungefähr wird deshalb zu Schawuot die Megillat Rut gelesen: die Geschichte der Moabiterin, die Ahnherrin des König Davids wird. Sie tritt freiwillig ins jüdische Volk ein, gleichsam zur Tora hin.“ 880 225 18.2.4 Sukkot Als ein Fest zum Abschluss der Wein-, Baumfrucht- und Olivenernte erscheint im Alten Testament das Herbst- bzw. Laubhüttenfest, das wie Passah und Schawuot ein Wallfahrtsfest war.890 Lediglich schlicht „das Fest“ genannt, wird es zunächst das bedeutendste Fest im Jahresablauf gewesen sein.891 Der Termin des Festes ist anfangs noch nicht fixiert, sondern richtet sich nach dem Stand der Ernte von Wein und Baumfrüchten892, und findet damit am Ende der gesamten Ernte statt.893 Es wird kanaanäischen Ursprungs gewesen sein, worauf Ri 9,26f. weist, und wurde von den Israeliten übernommen, die es zunächst noch in den Weinbergen feierten (Ri 21, 19.21).894 Zwar gleicht es Dtn 16,3 mit der Ausweitung auf sieben Tage dem PassahMazzothfest an, es erhält jedoch innerhalb des deuteronomischen Reformprogramms keine heilsgeschichtliche Füllung „und der Festtermin bleibt unfixiert an die regional unterschiedliche Erntezeit gebunden.“895 Lev 23,34 ist dann der Termin dann auf den 15. des siebten Monats festgelegt. Weil es der Abschluss der gesamten Ernte war, konnten nun auch alle Bauern an diesem Fest teilnehmen und ausgelassen feiern, weswegen es das herbstliche Erntefest schlechthin darstellte.896 Dtn 16,5 betont den Freudencharakter des Festes: „Denn JHWH, dein Gott, wird dich segnen in deiner ganzen Ernte und in allen Werken deiner Hände; darum sollst du fröhlich sein.“ Bei der Feier gehörte neben dem Dank über die von Gott gewährte Ernte auch die Bitte um rechtzeitigen und reichlichen Regen zum Fest.897 Bei aller Freude zum Abschluss der Ernte war diese Zeit immer auch von einem existentiellen Bangen um die Ernte im nächsten Jahr geprägt, v.a. weil die Regenzeit schon bald nach dem Fest begann.898 „Es war daher jüdischer Glaube, dass Gott am Laubhüttenfest über den kommenden Regen entscheidet.“899 Die Bezeichnung des Festes als „Laubhüttenfest“ (ת )חג הסכּstammt zwar aus Dtn 16, 13ff., die Begründung der Laubhütten aus einem Brauch der Wüstenzeit betont jedoch erst Lev 23,42f.900 Dabei wird dieser Brauch eher der Wein- und Obstlese entspringen, während der Hütten in den Weinbergen und Gärten errichtet wurden, um dort zu wachen und zu übernachten.901 Die Verbindung eines ursprünglich und lange Zeit rein agrarischen Erntefestes mit der heilsgeschichtlichen Begründung der Laubhüten (Lev 23,42f.) zeigt das durch das Exil ausgelöste Bestreben, „die Beziehung Gottes zu seinem Volk in den Mittelpunkt des täglichen Lebens zu 890 Vgl. Petuchowski, S. 53. Vgl. Preuß, Theologie II, S. 248. 892 Vgl. Otto, S. 100. 893 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 243. 894 Vgl. Otto, S. 100f. Vgl. auch Galley, S. 85. 895 Otto, S. 101. 896 Vgl. Petuchowski, S. 53. 897 Vgl. Galley, S. 85. 898 Vgl. Bergler, S. 15. 899 Petuchowski, S. 57. 900 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 248f.; vgl. auch Galley, S. 86. 901 Vgl. Otto, S. 101; vgl. auch Preuß, Theologie II, S. 248. 891 226 rücken“, weswegen „die exilischen Theologen die nomadischen bzw. bäuerlichen Feste mit Ereignissen aus der Geschichte Israels verknüpft und ihnen zugleich eine theologische Deutung unterlegt“ haben.902 Die Begründung der Laubhütten durch den Zug durch die Wüste ist freilich schwer nachvollziehbar, denn während der Wanderung werden die Israeliten wohl eher in Zelten gewohnt haben.903 Aber sie dient dazu „eine Deutung von Sukkot anzubieten, die den religiösethischen Ansprüchen des Neuanfangs nach der nationalen Katastrophe von 587 v.d.Z. Genüge tat.“904 Deshalb erscheint das Erntefest mehr und mehr als ein Fest, in dem das bewahrende und beschützende Handeln JHWHs im Mittelpunkt stand – was in gewisser Hinsicht auch mit dem segensreichen Handeln JHWHs in der Ernte in Verbindung gebracht werden konnte. Die Laubhütte im Weinberg oder Obstgarten wurde historisiert und zum Symbol des göttlichen Schutzes und der göttlichen Vorsehung. So konnte Sukkot seine Bedeutung für die religiöse Praxis Israels auch dann noch behalten, als es aufhörte ein landwirtschaftliches Volk zu sein.905 Die Bedeutung des Festes in der nachexilischen Zeit spiegelt Neh 8 wider. Neben der Buße und der Verpflichtung Israels auf die Tora steht die Begehung des Laubhüttenfestes im Mittelpunkt des religiösen Wiederaufbaus. Sukkot wird so zu einem „Begleiter eines nationalen und religiösen Neuanfangs.“906 Dies wird unterstützt durch die endzeitliche Bedeutung des Festes in der prophetischen Literatur. Lev 23,42 schließt die Nichtisraeliten vom Fest noch aus, dagegen wird „in prophetischer Erwartung eine alljährliche Völkerwallfahrt nach Jerusalem das Fest für die Völker öffnen.“907 Sach 14,16 wird es zum Zeichen der Anerkennung der Herrschaft Gottes über alle Welt durch alle Völker.908 Diese Vision einer Zeit universalen, völkerübergreifenden Friedens wird noch heute am letzten Tag des Festes gelesen.909 „Ihr sollt am ersten Tag Früchte nehmen von schönen Bäumen, Palmwedel und Zweige von Laubbäumen und Bachweiden und fröhlich sein vor JHWH, eurem Gott.“ Schon diese Beschreibung Lev 23,40 zeigt die Freude als ein wesentliches Charakteristikum von Sukkot. Selbst in der nachexilischen Zeit und zur Zeit des zweiten Tempels ging sie nicht verloren. Es wird seinen Grund wohl darin haben, dass es lange Zeit als ein Ernte(dank)fest gefeiert wurde.910 Die Ausweitung des Festes vom gängigen Sieben-Tage-Schema auf acht Tage Lev 23,39 unterstreicht dabei zugleich die Bedeutsamkeit dieses Freudenfestes. Die Zerstörung des zweiten Tempels führte dazu, dass auch Sukkot den neuen Gegebenheiten angepasst wurde. Die Prozessionen zum Tempel gehörten nun der Vergangenheit an, statt dessen 902 Galley, S. 86. Vgl. Ex 16,16; 18,7; 33,7ff. 904 Galley, S. 86. 905 Vgl. Petuchowski, S. 55. 906 Galley, S. 88. 907 Otto, S. 101. 908 Vgl. Galley, S. 88. 909 Vgl. Krabbe, S.45. 910 Vgl. Wolfsberg, Sukkot, Schemini Azaret, Simchat Tora, S. 314. 903 227 wurden den noch verbliebenen, vom Tempel „unabhängigen“ Elementen des Feiertags größere Bedeutung zugemessen: der Laubhütte und dem Feststrauß.911 Beide treten Lev 23,39-43 in Erscheinung. Der Feststrauß besteht aus dem Ertrog (einer Zitrusfrucht)912, dem Lulaw (einem Palmwedel), Myrthenzweige (bzw. Zweige von Laubbäumen Lev 23,40) und Bachweiden. Er ist Ausdruck des naturverbundenen Charakters von Sukkot und gibt von der ursprünglichen Feier, Kunde. „Die Ernte und ihr Segen findet im Schmuck des Straußes ihren festlichen Ausdruck, und die Umzüge (...) mit dem Feststrauß und das Schütteln entsprechen freudigen Umzügen bei dem Jubel anlässlich der Ernte.“913 Die Laubhütte betont dagegen das geschichtliche Fundament des Festes. Sie erinnert nach Lev 23,42f. an die Zeit der Wüstenwanderung, an den Weg aus Ägypten hin in das gelobte Land, an „das Nomadenhaft-Unsichere des dortigen Lebens und Lagerns“ und dabei auch an „alle Geborgenheit in der leichten Hütte.“914 So wird das Vertrauen in die Führung Gottes als wesentliches Element des Sukkotfestes herausgestellt. In der Sukka, in einer „Atmosphäre mangelnder äußerer Stabilität“, verbringt der fromme Jude die Zeit, in der in der Tora liest, Gäste empfängt, in der er seine Mahlzeiten einnimmt und in der er übernachtet. „Der Jude bringt sein Vertrauen, seinen frohen Glauben an Gott zu sinnfälligsten Ausdruck, wenn er eine Woche fern vom festgefügtem Bau verbringt. Fast ist es eine Paradoxie, dass das Höchstmaß der Festfreude gerade gekettet ist an Bedingungen äußerer Unsicherheit.“915 Zwei besondere Tage stehen am Schluss des Sukkotfestes, das sog. Schlussfest („Schemini Azaret“). An ihm wird zum Einen der Toten gedacht und um den Regen gebetet. „Der zweite Tag des Schlussfestes trägt den Namen ‚Simchat Tora’, Freudenfest der Tora, weil an ihm die Lesung des sabbatlichen Torazyklus beendet wird und zugleich die Tora wieder begonnen wird.“916 In nachtalmudischer Zeit entstanden, zählt es zu einem der fröhlichsten Feiertagen des jüdischen Jahres.917 Es drückt die Angewiesenheit des Menschen auf Gottes Weisung aus.918 Und so feierte die ganze Gemeinde mit Gesang und Tanz, Essen und Trinken die Tora.919 Nach dem Dank für die Ernte, für die Bewahrung und Leitung in der Wüste, der Bitte um den Regen, steht – ähnlich wie bei Schawuot – der Dank und die Freude über die Gabe der Tora im Mittelpunkt. 18.3 Resümee Weil die Ernte das Leben der Menschen existentiell bestimmt, ist auch die Rede von der Ernte stets existentielle Rede. Wird der Erntebegriff nun im wörtlichen Sinne gebraucht oder 911 Vgl. Galley, S. 91. Nach Lev 23,40 „Früchte von schönen Bäumen“; vgl. dazu Petuchowski, S. 55. 913 Wolfsberg, S. 315. 914 Wolfsberg, S. 315. 915 Wolfsberg, S. 323. 916 Ehrlich, Reden über das Judentum, S. 128. 917 Vgl. Petuchowski, S. 68. 918 Vgl. Krabbe, S.46. 919 Vgl. Galley, S. 97. 912 228 metaphorisch für das geschichtliche Straf-, Gerichts-, aber auch Heilshandeln Gottes herangezogen: die gegenwärtige und zukünftige Existenz des Menschen wie des Volkes Israel verdankt sich allein dem souveränen Handeln Gottes. Die Verheißung Gen 8,22 stellt dieses auf den Menschen bezogene Handeln Gottes bewusst an den Anfang. Nach der Zerstörungsmacht der Sintflut setzt Gott mit seiner Verheißung dem zerstörten Alten nun das erhaltende Neue entgegen. Dieser Neuanfang Gottes spiegelt sich v.a. in den Festen im Frühjahr wie auch in der Hoffnung auf die Restitution Israels wider. Der eschatologische Moment im Reden von der Ernte wird dabei gerade in der Zeit der Unterdrückung und Bedrängnis wichtig und stellt bis heute ein wesentliches Charakteristikum des atl. bzw. jüdischen Ernteverständnis dar. Weil Ernte als Gabe Gottes das Heilshandeln Gottes mit einschließt, atmet die Rede von ihr um so stärker den Klang von Bewahrung (Sukkot), Befreiung bzw. Unabhängigkeit (Passah/Mazzot) und Weisung (Schawuot). Freilich kann der Erntebegriff in der Gerichtsrede der Propheten bedrohliche Züge annehmen. Er bringt damit die Ernsthaftigkeit menschlicher Existenz und Verantwortung im zwischenmenschlichen Verhalten wie im Verhältnis zu Gott zum Ausdruck. Eingebunden ist diese Rede jedoch in der Hoffnung, im Lichtblick auf eine Zeit der immerwährenden Ernte (Am 9,13; Ps 126,5). Der Erntebegriff wird nicht situativ, sondern zeitübergreifend entfaltet. In der Vergangenheit geschah Gottes Handeln am Menschen und dem Volk Israel (das Aufgehen der Saat; Exodus), das bis in die Gegenwart reicht, in der der Einzelne oder das Volk an diesem Handeln partizipiert (Erntefrüchte; Führung, Schutz, Leitung durch die Tora) und dadurch begründete Hoffnung auf die Zukunft gewinnt (Auskommen über die Regenzeit; Restitution Israels). Gerade deshalb ist der Erntebegriff im Alten Testament in der Regel von der Freude über die Partizipation an Gottes Heilshandeln durchdrungen. Diese Freude, wie sie v.a. in den Erntefesten zum Ausdruck kommt, gründet in der ganz dem Handeln Gottes unterworfenen Existenz. Es ist eine in der Gegenwart (Gottes) zum Ausdruck kommende dankbare Freude über in der Vergangenheit Empfangenes aus der eine hoffende Freude entspringt. Und gerade diese dankbare wie hoffende Freude stärkt auch die soziale Komponente des Erntegebegriffs. Ernte ist immer mit sozialer Verantwortung gegenüber den Armen verbunden: ihnen wird ein Teil der Ernte überlassen oder sie werden zum Festmahl eingeladen. Dieser ethisch-soziale Aspekt wird begründet mit dem Verweis auf die eigene Geschichte des Volkes Israel, ja auf die Grundlage der eigenen Existenz (Dtn 24,22). Während in der Umwelt des Volkes Israel „für das Wachstum wie für die Ernte bestimmte Voraussetzungen im Leben der Götter gegeben sein müssen bzw. bestimmte Formen des Kultes notwendig sind“920, wird im atl. Zeugnis der Geschenkcharakter der Ernte wie deren Unabhängigkeit vom menschlichen Tun herbvorgehoben. Das Verhalten des Menschen ist stets 920 Hausmann, Sp. 107. 229 als Reaktion auf die als Gabe Gottes verstandene Ernte gekennzeichnet. Dieses Heilshandeln Gottes geschieht dabei im Irdischen, Materiellen, wie auch in der Führung Gottes durch das Leben und durch die Geschichte. Irdische Ernte und Geistige Führung bilden im Erntebegriff eine Einheit, materielles Auskommen ist immer rückbezogen auf die ewigen Wahrheiten.921 Die Rede von der Ernte ist dadurch immer auch Rede von dem Bund, den Gott mit dem Menschen bzw. seinem Volk geschlossen hat und den er in Zukunft halten will, über alle menschlichen Unzulänglichkeiten hinweg. Die heilsgeschichtliche Interpretation ursprünglich agrarischer Feste dient jedoch nicht dazu, um die ursprüngliche agrarische Wurzel der Feste abzuwerten. Vielmehr betont sie die untrennbare Einheit von Leib und Seele, wie sie für die alttestamentliche Anthropologie charakteristisch ist. In gleicher Weise gilt es der Einheit von Schöpfungs- und Heilshandeln Gottes Ausdruck zu verleihen. So weist auch die Gerichtsrede, die das Bild von der Ernte gebraucht, über ihren konkreten Inhalt hinaus darauf, dass es keinen Bereich menschlichen Lebens gibt, der vom Handeln Gottes herausgenommen ist und damit auch keine Handlungen des Menschen, die nicht auch das Verhältnis des Menschen zu Gott widerspiegeln. Spätestens mit der heilsgeschichtlichen Erweiterung der Erntefeste in und nach der Zeit des Exils wird deutlich: die Beziehung zu Gott muss in den Mittelpunkt des täglichen Lebens rücken. So ist die atl. Rede von der Ernte stets existentielle Rede, weil sich die ganze Existenz, Leib und Seele, dem souveränen Handeln Gottes verdankt. Dieses kann strafendes und richtendes Handeln mit einschließen, trägt aber den Zug der Güte Gottes, wie er in den natürlichen Zusammenhängen, in der Erwählung seines Volkes wie auch der verheißenen Restitution Israels zum Ausdruck kommt. 18.4 Ernte im Neuen Testament 18.4.1 Die Ernte Im Profangriechischen bedeutet θεριζω im eigentlichen Sinn ernten, θερισµος die Reifezeit und die Ernte und θεριστης den Erntearbeiter. Metaphorisch kann das Verb jedoch auch im Kontext der Rede vom Säen das Ernten des Bösen bezeichnen wie auch das Einbringen der Früchte der Rhetorik oder als Bild für den Tod verwendet werden. 922 Im Neuen Testament verwenden die Synoptiker θεριζω jedoch nur im eigentlichen Sinn von „ernten“. Als Ermunterung zum Vertrauen auf die Güte Gottes erscheinen Mt 6,26 par. die Vögel, die weder säen noch ernten und dennoch am Leben erhalten werden. Motivation ist auch die Intention des Gleichnisses von den anvertrauten Talenten Mt 25,14-30 par., wenn auch mit einer anderen Konnotation. Das Urteil des Herrn über den faulen Knecht soll motivierend 921 922 Vgl. Bergler, S. 15. Vgl. Pratscher, Art. θεριζω, Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Band II, S. 1522. 230 wirken, indem es „die Angst vor dem Versagen angesichts des strengen Herrn, die in der Parabel das freie Wirtschaften mit dem anvertrauten Talent verhinderte“ gebraucht, um dazu aufzurufen, eben nicht wie der faule Knecht zu handeln, sondern in der Hoffnung auf Ernte bzw. Ertrag zu wirtschaften.923 Die Motivation liegt jedoch nicht allein in der Angst vor dem strengen Herrn, sondern v.a. in der Souveränität Gottes, die in dem Satz des Knechtes „Du erntest, wo du nicht gesät hast“, der vom Herrn V. 26 bestätigt wird, zum Ausdruck kommt. Gott selbst sorgt – über menschliche Bemühungen hinaus und unabhängig von menschlichem Versagen – für die Ernte. Die Verpflichtung jedoch, mit den Talenten zu arbeiten ist freilich nicht zu überhören. Gleichermaßen weist das Gleichnis darauf hin, „dass alles an der verantwortlichen Einstellung auf die Gabe der Gottesherrschaft liegt. (...) Aus der Absolutheit der Heilszusage folgt die Absolutheit der Verpflichtung, und zwar nicht nur in formaler, sondern auch in inhaltlicher Entsprechung.“924 Durch die Betonung der Souveränität Gottes stellt Jesus im Gleichnis jedoch heraus, dass ein Handeln, „dass primär daran interessiert wäre, durch penible Observanz oder mit Rücksicht auf die persönliche Integrität keine Fehler zu machen und alle Risiken zu vermeiden“, der Freiheit der Knechte widerspräche, „die mit den anvertrauten Talenten in eigene Verantwortung gestellt sind.“925 Jesus spricht jedoch nicht nur in Gleichnissen von der Ernte. Mt 9,37f. par. spricht er im Angesicht des Volkes zu den Jüngern: „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“ Die Ernte stellen die Menschen dar, die „verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36) auf die Proklamation der hereinbrechenden Gottesherrschaft warten. Deshalb ist der Auftrag der Jünger zur Verkündigung so drängend wie das rasche Hereinbringen der reifen Frucht.926 Dabei kann das Motiv von der Ernte sowohl die Dringlichkeit angesichts des nahen Endes betonen wie auch die Dauer einer längeren Erntezeit.927 Zumindest vergleicht Jesus die Verkündigung des Reiches Gottes mit der Erntearbeit und „die Sammlung des Volkes Gottes, das zerstreut umher wohnt, gleicht einem Einbringen der Garben in die Scheune.“928 Durch den Kontext der Aussendungsrede wird deutlich, dass den Jüngern die Aufgabe der Knechte zukommt, die „die ganze Arbeit von Anfang an für die Bereitung der künftigen Ernte ausführen.“929 Dass diese Arbeit nicht immer einfach sein wird, sondern mit Mühen und Gefahren verbunden sein wird, kündigt Jesus Mt 10,16 ebenso an wie seinen Beistand (Mt 28,18ff.). Am stärksten präsentisch und in diesem Sinne benutzt das Johannesevangelium den 923 Vgl. Pratscher, S. 1523. Schrage, Ethik des Neuen Testamentes, S. 44. 925 Schrage, S. 86. 926 Pratscher, S. 1523. 927 Vgl. Conzelmann, Mitte der Zeit, S. 97. 928 Rienecker, S. 258. 929 Rienecker, S. 258. 924 231 Begriff θεριζω. Joh 4,35 parallelisiert der Verfasser „die erst in vier Monate bevorstehende irdische Ernte mit der jetzt schon einsetzenden eschatologischen“930(Joh 4,35). Aussaat und Ernte werden hier zusammengedacht, indem Jesus aufdeckt, dass in der Verkündigung das Eschaton schon Gegenwart ist. „Mission ist nicht Saat für die Zukunft, sondern Ernte, Aufweis der Gegenwart Gottes als Heil der Menschen.“931 Deswegen kann Jesus auch sagen: „Wer erntet, empfängt schon seinen Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, damit sich untereinander freuen, der da sät und der da erntet.“ (Joh 4,36) Jesu Wirken ebenso wie das seiner Jünger ist Erntearbeit. Und Missionsarbeit ist die eschatologische Ernte, wie es ja auch schon Mt 9,37 anklang. Dass die Arbeit der Jünger Joh 4,37f. von einer vorausgehenden Saat unterschieden wird, widerspricht insofern nicht, als dass die Verse auf die Verwirklichung des Eschatons in der Geschichte zielen932 und die Jünger bzw. die Christen nach ihnen nicht aus der Welt herausgenommen werden, sondern in ihr bleiben; „und zwar nicht zu Mystik, Kontemplation oder Kult, sondern um ‚in die Arbeit einzutreten’“, die vor ihnen schon andere begonnen haben (Joh 4,38).933 Das unmerkliche Kommen der Ernte betont das Gleichnis vom Aufwachsen der Saat Mk 4,26ff. Darüber hinaus wird auch die Bedeutungslosigkeit menschlichen Tuns an diesem Geschehen – der Ernte im eigentlichen Sinn wie auch in Bezug auf das Kommen des Reiches Gottes – betont: „Denn von selbst bringt die Erde Frucht.“ (Mk 4,28a).934 Durch dieses Bild ist das Reich Gottes als Angebot an den Menschen gekennzeichnet, das es gilt anzunehmen und es hält dem Menschen vor Augen: „Die Ansage lautet nicht formal: Es gibt Heil und Unheil, sondern: Da ist das Heil. Es ist nicht anzunehmen, bringt Verlorenheit.“935 Wie im agrarischen Kontext heißt Ernte demnach Annahme des Heils (wie der Bauer auch die von selbst gewachsene Saat nur annehmen kann), die schon jetzt möglich ist (Joh 4,36). Jedoch wird auch der Gerichtsgedanke wie der Gedanke an die wie die Ernte unmerklich kommende Gottesherrschaft als Intention des Evangelisten nicht zu leugnen sein.936 So kann Ernte auch als Bezeichnung für das Ende der Welt verwendet werden. Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen Mt 13,24ff. ist bestimmt von der Gerichtssituation am Ende der Zeit: „Gottes Reich kommt durch das Säen und durch das Sammeln, die notwendige Scheidung wird beiden folgen.“937 Die Ernte wird als das Ende der Welt geschildert (Mt 13, 39) und der Todesengel als der Schnitter. Dabei ist hier durchaus eine eschatologische Begründung der 930 Pratscher, S. 1524. Pratscher, S. 1524. 932 Vgl. Pratscher, S. 1524. 933 Schrage, S. 313. 934 Vgl. Conzelmann, Grundriss der Theologie des Neuen Testamentes, S. 131. 935 Conzelmann, Grundriss der Theologie des Neuen Testamentes, S. 132. 936 Vgl. Pratscher, S. 1523. 937 Goppelt, Theologie des Neuen Testamentes I, S. 116. 931 232 Paränese nicht zu überhören: „Die Ernte beendet diesen Äon und damit die Möglichkeit, sich durch Verwirklichung der Gerechtigkeit angesichts des bevorstehenden Gerichts zu bewähren.“938 Als Motivation ist dies Gleichnis dahingehend zu betrachten, dass Jesus hier Stellung nimmt gegen die „Bildung eines heiligen Restes“ in der Gegenwart939 und die Pointe statt dessen auf die Künftigkeit des Reiches wie des Gerichtes setzt: „Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte.“ (Mt 13,30).940 Aber auch dann gilt: die Scheidung von Unkraut und Weizen, von Ungerechten und Gerechten bleibt Gott vorbehalten und liegt in der Zukunft.941 So wird Ernte in der Offenbarung auch als Metapher für das Endgericht verwendet. Offb 14,15 heißt es: „Und ein anderer Engel kam aus dem Tempel und rief dem, der auf der Wolke saß, mit großer Stimme zu: Setze deine Sichel an und ernte; denn die Zeit zu ernten ist gekommen, denn die Ernte der Erde ist reif geworden.“ Dabei wird diese Ernte wohl die Sammlung der Erwählten durch den Menschensohn wie auch die der Verlorenen beinhalten.942 18.4.2 Saat und Ernte Anders als die Synoptiker und das Johannesevangelium gebraucht Paulus nur das Verb θεριζω und dies stets „in metaphorischer Verwendung und im Gegenüber zu σπειρω.“943 Einmal begründet er 1. Kor 9,11 mit dem Bild von Saat und Ernte sein Recht auf materielle Unterstützung durch die Gemeinde. Eindrücklicher jedoch verwendet er die Saat-ErnteMetaphorik in seinem Aufruf zur Kollekte für Jerusalem 2. Kor 9,6-15. Dabei dient ihm die Logik „Wer viel sät, wird viel ernten“ mit Sicherheit als Motivation zur reichlichen Gabe der Korinther. Jedoch darf dabei nicht übersehen werden, dass Paulus in seiner Argumentation v.a. an die überreiche Ernte, die Gott den Korinthern (2. Kor 9,10f.) zuvor zukommen hat lassen, erinnert. Ein unter Umständen anklingendes Do-ut-des-Schema wird durch die Wendung επ ευλογιαις 2. Kor 9,6b relativiert. Indem Paulus ευλογια zum hermeneutischen Leitbegriff seiner Argumentation macht, betont er: die Gegengabe ist bereits sola gratia vor der Gabe geschehen und wird von Gott auch weiterhin gewährt, so dass der Gläubige in der konstanten Präsenz der Gnade steht. Dabei ist die Ernte weniger zukünftig-eschatologisch, sondern innerweltlich gedacht. Was der Mensch sät wird nicht irgendwann einmal Wirkung zeigen, sondern wirkt schon jetzt, und sei es dergestalt, dass der Mangel anderer abgeholfen wird und viele die Güte Gottes preisen (2. Kor 9, 12ff.). 938 Pratscher, S. 1523. Vgl. Schrage, S. 117. 940 Vgl. Conzelmann, Grundriss der Theologie des Neuen Testamentes, S. 131. 941 Vgl. Conzelmann, Grundriss der Theologie des Neuen Testamentes, S. 167. 942 Pratscher, S. 1524. 943 Pratscher, S. 1523. 939 233 Die Parallele Gal 6, 7-10 indes legt einen Schwerpunkt auf eine zukünftig-eschatologische Interpretation der Ernte. Die Wendung „Was der Mensch sät, das wird er ernten“ wird auf die folgende Paränese angewendet, in der das Säen auf das Fleisch dem Säen auf den Geist gegenübergestellt wird: „Wer auf Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten“ (Gal 6,8). Die Hoffnung bzw. der Glaube daran, dass der auf den Geist Säende zu seiner Zeit ernten wird, ist Motivation nicht müde zu werden Gutes zu tun. „Paulus ermuntert hier dazu, in dem geschenkweise erhaltenen πνευµα zu bleiben und darin sein Leben zu gestalten, was die Verheißung zukünftigen Lebens hat.“944 Jedoch auch hier gilt: der Gläubige hat insofern schon Anteil an der Ernte, als dass er schon an ihr, dem Heilshandeln Gottes, im Glauben partizipiert. Erst diese Partizipation macht es ihm ja möglich, im πνευµα zu bleiben. 18.4.3 Die Früchte Reden wir von einer Partizipation des Gläubigen an der Ernte Gottes, so drängt sich die Frage nach dem Gegenstand der Ernte auf. Hierfür wird im Neuen Testament καρπος gebraucht. Es kann die Frucht der Pflanzen bezeichnen und damit all die Dinge, die dem Menschen zum Lebensunterhalt dienen. Hierbei gilt – wie Jak 5,7.18 betont – dass der Mensch zwar das Reifen der Frucht durch sein Zutun vorbereiten und fördern, die Frucht selbst „aber nur als Gabe erwarten und empfangen kann.“945 In Analogie zu Gen 1,31 werden diese Gaben Gottes als seine Schöpfung und daher als gut bezeichnet werden müssen (Jak 1,17). Aber auch hier wird eine erweiterte Definition sichtbar. So ermahnt der Verfasser des Jakobusbrief die Gläubigen zur Geduld in dieser Welt mit dem Blick auf die kommende Frucht: „So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.“ (Jak 5,7) Und im Blick auf den Weg Hiobs kennzeichnet er die Frucht am Ende der Zeiten als Frucht der Barmherzigkeit Gottes (Jak 5,11). Die Rede von der Frucht hat so in der Regel den Menschen vor Gott im Blick, was v.a. dann besonders hervorsticht, wenn καρπος verbunden mit ποειν oder φερειν „auf das Leben der Menschen angewendet wird.“946 So fordert Johannes der Täufer Mt 3,8 par. gute Taten als Früchte der Buße. Diese jedoch nicht als selbstgesteuertes Tun des Menschen, sondern als ein Fruchttragen, „das aus seiner Hinwendung zu Gott und der in ihm wirkenden Kraft des Geistes folgt.“947 So werden die Jünger Jesu von der Welt an ihren Früchten erkannt (Mt 7,16ff). Dieses Fruchtbringen der Jünger ist jedoch als nichts anderes zu verstehen, 944 Pratscher, S. 1523f. Hensel, Art. καρπος, Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Band II, S. 1525. 946 Hensel, S. 1525. 947 Hensel, S. 1525. 945 234 als dass sich ihr Glaube auch in ihrem Handeln erweist, wobei die vorausgehende Tat Gottes an ihnen wesentlich ist.948 Damit liegt ein Augenmerk darauf, dass bei allem Tun des Menschen seine Beziehung zu Gott wesentliches Moment darstellt. Diese Tendenz wird v.a. im Johannesevangelium sichtbar. Das Geheimnis der Fruchtbarkeit des Jüngers Jesu Joh 15,2ff liegt in der engen Gemeinschaft mit Jesus. Der Gläubige partizipiert am Sterben Jesu am Kreuz insofern, als dass er Erlösung für die Menschen schafft. So ist der Tod Jesu „der Wurzelboden aus dem reiche Frucht wächst.“949 Jesus als Weinstock (Joh15,5) ist es, der den Gläubigen die Voraussetzung und Ermöglichung des Glaubens und damit aller Glaubenswerke ist. Dazu ist jedoch eine Verbindung bzw. Beziehung zu ihm Bedingung.950 Diese Bedingung ist dabei zunächst nichts anderes, als „dass der Mensch die durch Christi Tod geschaffene Verbindung zwischen Schöpfer und Geschöpf anerkennt“951 und wird im Bleiben Jesu in den Seinen begründet. Allein in der Verbindung mit Jesus erhalten die Seinen die Kraft zum Fruchtbringen, abgetrennt von ihm müssen sie verdorren.952 In diesem Sinne ist auch Offb 22,2 und das darin gebrauchte Bild der Frucht tragenden Bäume des Lebens zu sehen. Sie deuten „die Fülle göttlicher Durchdringung in der neuen Welt“ an, die stetige und unmittelbare Gegenwart Gottes in einer Welt „in der Schmach und Sünde überwunden und alle Hindernisse der Wirksamkeit des göttlichen Geistes ausgeräumt sind.“953 Der Grund allen Fruchtbringens liegt außerhalb der menschlichen Existenz. Das betont auch Paulus, wenn er die gute Tat als von Gott gewirkte Frucht des Geistes interpretiert (Gal 5,22): „Wer in den Leib Christi hineingenommen ist, in wem der Geist wirksam ist (...) bei dem werden ‚wie von selbst’ auch die Auswirkungen, die ‚Früchte’ sichtbar.“954 18.4.4 Resümee Zwei Dimensionen der Ernte werden damit im Neuen Testament sichtbar. Die Ernte zeigt sich als Empfang bzw. Annahme des Heils und hat damit passiven Charakter. Wie die Erde „von selbst“ Früchte hervorbringt zur Ernährung des Menschen und diese als Gabe Gottes verstanden werden, so ist auch das von Gott dem Menschen zugedachte und in Jesus Christus verwirklichte Heil eine Frucht, die ohne das Zutun des Menschen wächst und die er lediglich annehmen kann. Ernte wird darüber hinaus auch als Erntearbeit verstanden, die dem Gläubigen nach Empfang des Heils zukommt. Diese Erntearbeit kann als Verkündigung bzw. Ausbreitung des Reiches 948 Vgl. Hensel, S. 1525: „In der an ihnen geschehenen Heiligung werden sie Gott die Ehre geben, indem sie den Ertrag göttlichen Wirkens in ihnen selbst durch ihr Tun und ihrem Reden anderen entgegenbringen.“ 949 Hensel, S. 1526. 950 Vgl. Schrage, S. 304. 951 Hensel, S. 1526. 952 Vgl. Schrage, S. 304. 953 Hensel, S. 1527. 954 Hensel, S. 1526. 235 Gottes verstanden werden, bei der es gilt das Empfangene weiter auszusäen. Analog zu Mt 25 ist der Mensch damit zum Erntenden geworden, wo und obwohl er nicht gesät hat. Dieses Motiv durchdringt v.a. die Theologie des Paulus, wenn er Röm 7,24f. bekennt: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe? Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!“ Zugleich ist ihm damit auch der Auftrag gegeben, dieses Erlösungshandeln Gottes bekannt zu machen, gleichsam also zu säen und damit Menschen die Ernte der am Kreuz geschehenen Heilstat zu ermöglichen. Auch der ntl. Erntebegriff steht dabei in der Spannung des Schon und Noch Nicht. Schon gilt es zu ernten, zu empfangen. Schon jetzt gehören die Gläubigen nicht mehr zu den Menschen, die „verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36), umherirren, sondern dank der Gabe Gottes zu Mitbürgern der Heiligen und zu Gottes Hausgenossen (Eph 2,8.19). Indes, die große Ernte am Ende der Zeiten steht noch aus. Ernte und Frucht werden somit sowohl präsentisch wie auch eschatologisch interpretiert. Die Gläubigen befinden sich in einer Zeit, in der Ernte und Saat nicht voneinander getrennt werden können. Schon jetzt ist die Ernte da, als Annahme der Gabe Gottes wie auch als sich daraus ergebende Verpflichtung, Erntearbeit, ist gleich Verkündigungsarbeit, zu leisten. Mit Worten, aber auch mit Taten im an der Nächstenliebe orientierten Miteinander Christen in und vor der Welt (Gal 6,10). Damit berührt die Rede von der Ernte auch das Gebiet der Ethik. Für Paulus selbst sind die Früchte der Gerechtigkeit und des Glaubens wesentliches Moment christlicher Existenz (Gal 6,9) und der Jakobusbrief bringt es bewusst plakativ auf den Punkt: „So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber.“ (Jak 2,17) Zwar könnte man leicht auf einen Lohngedanke schließen, jedoch muss betont werden, dass der ntl. Lohngedanke nichts mit der Verdienstlichkeit guter Werke zu tun hat. Gute Werke können keinen Anspruch des Menschen gegenüber Gott begründen: „Lohn ist freies Geschenk Gottes, wodurch jede spekulierende Lohnberechnung als Motiv der Ethik von der Wurzel her abgeschnitten, andererseits aber der Mensch in seiner Angewiesenheit auf Gott ernstgenommen wird.“955 Die Souveränität Gottes ist dabei die wesentliche Konstante. Sie ist Entlastung (Gott wird ernten, über alles Säen bzw. Nicht-Säen des Menschen hinaus) und Anspruch zu gleich, wie das Gleichnis von den anvertrauten Talenten Mt 25 zeigt. 19. Dank im biblischen Zeugnis 19.1 Dank im Alten Testament Obgleich deutsche Bibelübersetzungen mit einer Fülle von Belegen des Lexems Dank aufwarten, mag es verwundern, dass es kein Hebräisches Wort für „Danken“ gibt, jedoch eine Vielzahl von 955 Schrage, S. 33. 236 Texten, in denen von Gottes Heilswirken berichtet wird.956 Anders als im Griechischen oder Lateinischen muss sich die Hebräische und Aramäische Sprache, „wenn die Begriffe notwendig erwähnt werden müssen, mit Entlehnung aus anderen Gebieten behelfen.“957 Dabei muss unterschieden werden zwischen dem „Dank“ auf zwischenmenschlicher Ebene und dem „Dank“ an Gott. Der Dank im zwischenmenschlichen Bereich wird im Alten Testament für gewöhnlich mit der Formel בּרוְּךbezeichnet, durch die der Dankbare seiner Empfindung mit Hilfe eines Segensspruches Ausdruck verleiht, „der jedoch nach der alten Auffassung des Segens oder Fluches als eine effektive Tat empfunden wurde.“958 Eine solche Dankesformel stellt dabei als Reaktion auf erwiesene Wohltaten ein Bekenntnis zur Solidarität mit dem, dem die Formel gilt oder „zumindest (...) eine respektvolle Anerkennung und dankbare Lobpreisung“ dar.959 Im zwischenmenschlichen Bereich gibt es zwei Formen des Dankes. Die eine hängt mit dem Begriff der Vergeltung zusammen und besteht darin, sich durch Gegenleistungen bzw. Danksagung zu befreien „von der etwas drückenden Empfindung des Verpflichtetseins.“960 Ebenso ist darin mit eingeschlossen die Tendenz, in dem Danken den Wohltäter freundlich zu stimmen „und dadurch Aussicht auf neue Wohltaten zu gewinnen.“961 Im Alten Testament wird der Dank im zwischenmenschlichen Bereich jedoch meist dergestalt offenbar, dass ein Mensch versucht, seinen dankbaren Gefühlen durch Worte und Taten Ausdruck zu verleihen. So möchte der Feldhauptmann Naaman 2. Kön 5 dem Propheten Elisa als Dank für die erfahrene Heilung eine Segensgabe überreichen. Noomi bringt ihre Dankbarkeit gegenüber Boas Rut 2,20 in Form eines Segensspruches zum Ausdruck. Eine solche Tugend der Dankbarkeit tritt in der Spruchliteratur allerdings zurück, „obschon auf diesem Gebiete Gelegenheit gewesen wäre, sie zu erwähnen und einzuschärfen.“962 Das mag damit zusammenhängen, dass sich das Phänomen der Dankbarkeit auf religiösem und kultischem Gebiet um so stärker entfaltete. Das hier gebrauchte Wort ist ידהhi. ()הוֹדה, das weniger danken als vielmehr bekennen, loben, preisen bedeutet963 und in der Mehrzahl der atl. Stellen den Lobpreis Gottes bezeichnet.964 Frank Crüsemann weist auf die Schwierigkeit hin, das Verb adäquat zu übersetzen, auch wenn das deutsche „Danken“ ihm aufgrund des Gebrauchs in den Dankpsalmen nahe komme.965 Aber anders als das deutsche Verb „danken“ wird הוֹדהim Alten Testament kein einziges Mal als Ausdruck für den zwischenmenschlichen Dank gebraucht. 956 Vgl. Schürmann, Sp. 158. Buhl, Über Dankbarkeit im AT und die sprachlichen Ausdrücke dafür, S. 76. 958 Buhl, S. 76. 959 Scharbert, Art. ברך, THWAT I, Sp. 815. 960 Buhl, S. 71. 961 Buhl, S. 71. Vgl. auch Buhl, S. 72 962 Buhl, S. 72. 963 Vgl. Mayer, Art. ידהII, THWAT III, S. 457. 964 Vgl. Bornkamm, Lobpreis, Bekenntnis und Opfer. Eine alttestamentliche Studie, S. 124. 965 Vgl. Crüsemann, Studien zur Formgeschichte von Hymnus und Danklied in Israel, S. 282. 957 237 Damit hat „ הוֹדהnicht den Klang unseres ‚danken’ (...), das sich in gleicher Weise auf Gott wie auf den Menschen richten kann“, sondern ist allein auf Gott bezogen und stellt unter Berücksichtigung der ursprünglichen Bedeutung eine Weise des Lobens dar.966 Als eine zentrale Form des Dankes im Alten Testament erscheint einmal das Danklied ( ;תּוֹדהz.B. Ps 30; 66; 116; 138). Formale Grundmerkmale des Dankliedes des Einzelnen sind dabei (bei aller möglichen Variation) eine an JHWH gerichtete, im Vokativ gehaltene Dank- bzw. Lobrede. Darauf folgt ein Rettungsbericht, in dem von JHWH in der dritten Person geredet wird und der als wesentliche Elemente den Rückblick auf die Not, einen Bericht von der Anrufung und der daraufhin erfolgten Erhörung wie der helfenden Tat Gottes, beinhaltet.967 Mit dem Danklied oft verbunden ist das Dankopfer ()זבח תּוֹדה, „das als Gemeinschaftsmahl am lokalen Heiligtum oder am Jerusalemer Tempel dargebracht wurde.“968 In diesem löst der Dankende oft ein Gelübde ein, das er in einer Situation der Not versprochen hat, wobei das Bekenntnis, die תּוֹדה, wesentliches Element ist.969 Konnte bereits von Beginn an das Danklied unabhängig vom Dankopfer gesungen werden970, verstärkte sich diese Tendenz, so dass sich das Danklied immer stärker vom Dankopferritus löste und unabhängig davon gesungen wurde als ein Lobpreis für erfolgte Rettung aus der Not.971 Nicht unbedeutend für das atl Dankverständnis ist dabei auch die Mehrdeutigkeit von הוֹדה. Es kann sowohl das lobende Bekenntnis der Größe Gottes aufgrund von ihm erfahrener Rettung wie auch das Bekenntnis der eigenen Schuld darstellen.972 Dabei drückt das Hiphil meist den Lobpreis aus und sein Gebrauch ist eine Eigentümlichkeit der poetischen Sprache, während für das Schuldbekenntnis in der Regel das Hitpael gebraucht wird und dies ausschließlich in den Prosatexten des Alten Testamentes.973 Auf diese Doppelbedeutung soll später eingegangen werden. Zunächst sollen einige Charakteristika des atl. Dankes zusammengetragen werden, die sich ersterer Form verpflichtet wissen und v.a. in den Dankliedern und Dankopferhandlungen des Alten Testamentes sichtbar werden. 19.1.2 Dank als öffentlicher Lobpreis Gottes Wie bereits erwähnt hat הוֹדהin der Regel den Lobpreis Gottes zum Inhalt.974 Er bezieht sich nie auf den Menschen, sondern stets auf Gott allein. Wo der Lobpreis geschieht, „wird zu Gott und 966 Vgl. Westermann, S. 21 Vgl. Kaiser, S. 340. 968 Janowski, Dankbarkeit. Ein anthropologischer Grundbegriff im Spiegel der Toda-Psalmen, S. 274. 969 Vgl. Janowski, S. 274. 970 Vgl. Bornkamm, S. 130. 971 Vgl. Janowski, S. 274f. 972 Vgl. Bornkamm, S. 124f. 973 Vgl. Mayer, Sp. 457. 974 Zu den wenigen Ausnahmen vgl. Bornkamm, S. 122, v.a. Anm. 1a. 967 238 vor Gott, aber zugleich von Gott vor der Welt in der Weise des Lobpreises geredet.“975 So ist die Öffentlichkeit ein wesentliches Charakteristikum des. תּוֹדהentspricht einem Bekenntnis, das dann geschieht, wenn Menschen einen Machterweis Gottes erfahren haben und diesen in aller Öffentlichkeit bekennen und bestätigen.976 Wobei der Unterschied zum Hymnus darin bestehe, „dass die Danklieder über die besondere Tat jauchzen, die Gott eben an dem Dankenden getan hat, während die Hymnen die großen Taten und herrlichen Eigenschaften im allgemeinen besingen.“977 Dank entspringt damit in der Regel dem individuellen Erfahren von Gottes Macht und Güte, hat als öffentliches Bekenntnis aber immer auch eine nach außen gerichtete Dimension, die auch die Völker (Ps 18,50; Ps 105,1) und Nationen (Ps 57,10; Ps 108,4) mit einschließt.978 Dabei verhält es sich bei den Dankliedern des Volkes wie denen des Einzelnen in gleicher Weise, dass ein Machterweis Gottes – Befreiung aus Gefangenschaft, Heilung, Errettung aus Schiffbruch oder Sieg eines Verfolgten über die Feinde – dem תּוֹדהvorausgeht, es somit die Antwort auf Erfahrenes darstellt.979 Inhaltlich besteht der Lobpreis folglich nicht aus „einer abstrakten Deduktion zeitloser Eigenschaften Gottes“, sondern in der Verkündigung konkret erfahrener Macht Gottes. „Machterweis und Wunder werden Gegenstand des Bekenntnisses, weil in ihnen der Gott begegnet ist, dessen Gerechtigkeit und Macht ewig währt.“980 Dadurch wird die Heilserfahrung des Einzelnen im Lobpreis vor der Gemeinschaft zu einem Paradigma der Macht Gottes und „darum oft der Umkreis der von dem Machterweis Gottes Betroffenen vom Einzelnen erweitert auf die ganze Gemeinde“, weswegen der Lobpreis der Gemeinde das eigentliche Ziel einer solchen Danksagung ist.981 Während viele Danklieder ein einzelnes Erlebnis des Beters zum Ausgangspunkt haben, können auch eine Reihe von Rettungswundern aufgezählt werden, wie etwa Psalm 107, „um zu lehren, wie man dafür Gott danken soll.“982 Darauf weist auch schon die bereits Jer 33,11 erscheinende und in den Psalmen oft wiederkehrende Dankformel „Lobet den Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewig“, die schon der älteren Kultsprache angehört.983 Ähnlich der Klage- und Bittlieder soll so den Betenden durch die Bildsprache ermöglicht werden, sich in diesem Gebet wiederzufinden, ja es zu ihrem eigenen Gebet werden zu lassen.984 975 Bornkamm, S. 123. Bornkamm, S. 124. So definiert Gunkel auch das Danklied: „Ein Danklied singen heißt JHWHs Gnade vor allen Leuten verkündigen.“ Zitiert nach Westermann, S. 13. 977 Gunkel, zitiert nach Westermann, S. 13. 978 Vgl. Mayer, Art. ידהIII, THWAT III, Sp. 464. 979 Vgl. Bornkamm, S. 124. 980 Bornkamm, S. 124. 981 Vgl. Bornkamm, S. 124. 982 Buhl, S. 74. 983 Vgl. Buhl, S. 74. 984 Vgl. Preuß, Theologie I, S. 269. 976 239 Den im deutschen Sprachgebrauch gegenwärtigen polaren Rhythmus von Dank und Bitte kennt das Alte Testament nicht und er gehörte noch nicht in die Vorstellung des Gegenübers von Gott und Mensch, denn der Gegenpol des Bittens ist nicht das Danken, sondern das Loben Gottes. „Und dieses Loben ist ein so starker, lebendiger und weiter Begriff, dass er unser ‚Danken’ in sich fasst; das Danken ist hier noch ganz drinnen im Loben.“985 In Auseinandersetzung mit den heute anzutreffenden Assoziationen zum Danken kennzeichnet Claus Westermann so die Spezifika atl. Dankes. Wesentlich dabei ist für ihn die Feststellung, dass in den Vokabeln des Dankens der Mensch das Subjekt bleibt (Ich danke dir), während in den Sätzen des Lobens Gott das Subjekt ist (Du hast getan...; Du bist...).986 Dadurch wird die andere Ausrichtung des Dankaktes deutlich: „Im Loben bin ich ganz auf den gerichtet, den ich lobe; das bedeutet in diesem Augenblick ein Wegsehen von mir. Im Danken bedanke ich mich.“987 Danken bzw. Loben ist so ein allein zu Gott hin gerichtetes Geschehen, weniger Gefühl der Dankbarkeit oder Gesinnung: „Wo ein Beter in den Psalmen sagt: ‚ich will den Herrn loben’, meint er nicht: ‚ich will Gott dankbar sein’, sondern: ich will ihm auf sein Tun an mir antworten.“988 Damit ist Dank immer Tat, und im Dank- bzw. Loblied speziell eine sich punktuell ereignende und dabei sich punktuellen Ereignissen der Vergangenheit verdankende Tat. 19.1.3 Dank als erinnerndes Bekenntnis Eine solche Tat des Lobens ist dabei charakterisiert als ein nach außen drängendes, sich des rettenden Handeln Gottes in der Vergangenheit vergegenwärtigendes Bekenntnis des einzelnen wie der Gemeinschaft. „Die Freudenbotschaft von der rettenden Macht Gottes wird erzählend weitergegeben in der Familie, in der Gemeinde und in der ganzen Welt, d.h. generationen-, schichten- und nationenübergreifend.“989 So ist der Beter des Dankliedes auch Glaubenszeuge und findet sich in Dankliedern häufig ein Kerygma990 als Antwort auf die Heilstaten Gottes.991 Wenn Psalm 118,1 beginnt „Lobet JHWH, denn er ist freundlich“992, dann wird damit nicht nur eine Gesinnung zum Ausdruck gebracht, „sondern in Freude vor den anderen gesagt, was Gott an ihm getan hat“ und die Hörenden werden aufgerufen in diesen Lobpreis mit einzustimmen.993 „Damit erweist sich der Gerettete als wichtiger ‚Erfahrungszeuge’, der das Traditionswissen vom 985 Westermann, S. 20. Vgl. Westermann, S. 22f. 987 Westermann, S. 22 988 Westermann, S. 23. 989 Janowski, S. 303. 990 Vgl. Preuß, S. 270. 991 Vgl. Janowski, S. 304. 992 Der Charakter des Dankes als bekennenden Lobpreis würde in der deutschen Übersetzung unterstützt, wenn das hebräische כיnicht kausal mit „denn“, sondern konstatierend mit „dass“ oder einfach „ja“ übersetzt würde. Vgl. zu der Schwierigkeit der Übersetzung im Zusammenhang mit ידהauch Mayer, Art. ידהIII, Sp. 464. 993 Vgl. Westermann, S. 24. 986 240 Ungleichgewicht zwischen dem ‚kurzzeitigen’ Zorn JHWHS und seinem ‚lebenslangen’ Wohlgefallen (...) authentisch, d.h. mit seiner Existenz bestätigen und damit im kollektiven Gedächtnis der Gemeinde neu befestigen kann.“994 Das Danklied als öffentliches Bekenntnis erfüllt so, über den Kontext des Beters hinaus, die Aufgabe „die individuell erfahrene Beziehungsstörung Beter-Gott mit dem allgemeinen Glaubenswissen zu vermitteln, d.h. mit dem Wissen darum, dass JHWHs ‚Wohlgefallen’ seinen ‚Zorn’ lebenslang überdauert.“995 So werden der Gemeinde „Artikulationsformen eröffnet, die ihr helfen, ihre eigenen Not- und Leidenserfahrungen sprachlich und vorstellungsmäßig zu artikulieren.“996 Das Glaubenswissen der Gemeinde erfährt durch die Bezeugung der erfahrenen Rettung eines einzelnen eine neue Relevanz, denn „in der Aufforderung zum Gotteslob (...) fällt der Gemeinde dabei die Rolle zu, die individuelle Rettungserfahrung des Beters mit dem allgemeinen Glaubenswissen zu verknüpfen.“997 Ein solch gemeinschaftliches Lob als erinnernden Bekenntnis postuliert bereits Dtn 8. So steht gleich zu Beginn (Dtn 8,2) der Ruf: „Und gedenke des ganzen Weges, den dich JHWH, dein Gott, geleitet hat.“, dem sich eine Anamnese des Rettungshandelns Gottes und das Gebot Vers 10 anschließt. Nach der doppelten Partizipation an Gottes Heilshandeln, der Befreiung aus Ägypten mit der Führung ins gelobte Land und der alltäglichen Speisung, ist es Zeit Gott die Ehre zu geben. Das Halten der Gebote ist dabei ein Element der lobenden Erinnerung (Dtn 8,11). Und mit dem Dank als erinnerndem Bekenntnis geht die Warnung vor der Gottvergessenheit einher. Grundlegend für jeglichen Dank ist damit immer auch die Vergewisserung, aus wessen Hand das erfahrene Gute kommt und das Bekenntnis des Angewiesenseins auf die Güte Gottes. „Gedenke an den Herrn, deinen Gott, denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen.“ (Dtn 8,18). So vergewissert sich der Beter im תּוֹדהstets der bleibenden Kontinuität seiner Gottesbeziehung.998 Die darin zu Tage tretende Ausrichtung der menschlichen Existenz auf Gott hin als Ursprung aller Wohltat verdeutlicht dann auch die prophetische Kritik am Opfer (Am 5,21ff.; Jes 1,11ff.; Jer 7,21). Räucherwerk und Speiseopfer, Brandopfer und Mastkälber sind deshalb ein Gräuel, weil sie losgelöst vom eigentlich Grund der Opferhandlung, einem lobenden Wissen um Gott, geschehen. Und JHWH nicht mehr zu kennen, vergessen zu haben, dass er Israels Gott vom Land Ägypten her ist, bedeutet vergessen zu haben, „von einem Gott berufen zu sein, dessen Verhalten von Anfang an von der wohl-wollenden Sorge um sein Volk bestimmt war.“999 994 Janowski, S. 296. Janowski, S. 296. 996 Janowski, S. 298. 997 Janowski, S. 299. 998 Vgl. Janowski, S. 295. 999 Limbeck, S. 135 995 241 19.1.4 Schuldbekenntnis als Lobpreis Für ידהbegegnet auch der feste Wortgebrauch „Schuld bekennen“. Günter Bornkamm versucht die Parallelität beider Bedeutungsspektren nachzuzeichnen. Ähnlich wie dem Lobpreis geht auch dem Schuldbekenntnis ein Machterweis Gottes voraus, auf die Offenbarung Gottes erfolgt das Bekenntnis der Schuld als das Bekenntnis dessen, der Gott erfahren hat. Freilich nicht im Sinne einer Heilserfahrung. An deren Stelle tritt das Gericht Gottes.1000 Bornkamm verdeutlicht es an der Geschichte von Achans Diebstahl Jos 7: „Jahwe lässt die Israeliten, nachdem sie den Jordan überschritten haben, bei der Eroberung der Stadt Ai scheitern, da einer von ihrem Banngut etwas entwendet hat. Josua betet zu Gott und erfährt von ihm den Frevel, der erst gesühnt sein muss, ehe Jahwe Israel wieder den Sieg gibt. Darauf folgt ein Gottesgericht, in dem der Reihe nach von Jahwe der schuldige Stamm, aus dem Stamm die Sippe, aus der Sippe die Familie und aus der Familie Achan als Frevler bezeichnet wird. Als dies geschehen ist, wendet sich Josua an den Dieb mit der Aufforderung: ‚Mein Sohn, gib Jahwe, dem Gott Israels Ehre ( )כּבוֹדund gib ihm תּוֹדה.’ Achan bekennt seine Schuld, gibt das gestohlene Gut heraus und lässt das Gericht Jahwes, das schon über das Volk ergangen ist, nun an sich selbst vollstrecken.“1001 So wird auch das Volk Israel Lev 26, 27-45 das Elend der Zerstreuung erfahren, solange es nicht seine Schuld bekennt und „der Sünder, der seine Schuld verschweigt, gerät in immer ärgeres Elend (Ps 32,3ff).“1002 Auf die Erfahrung eines solchen Machterweis Gottes, folgt das Bekenntnis des Menschen als Antwort. So hat zwischen der Ermittlung des Täters bzw. der schuldhaften Tat und der Restitution das תּוֹדהihren festen Sitz.1003 Und wie der Lobpreis ist auch das Schuldbekenntnis nicht allein Sache des Einzelnen: „Der Bekennende selbst ist verpflichtet, durch sein Bekenntnis die anderen sozusagen in das magnetische Feld der Gerichtsepiphanie hineinzurufen und zu Mitbetroffenen zu machen.“1004 Zu Mitbetroffenen, die, wie der Bekennende selbst, das an ihm widerfahrene Gericht als Manifestation Gottes für die Welt begreifen. „Der Preis Gottes, die Proklamation seiner Macht ist darum auch im Schuldbekenntnis das eigentliche Ziel.“1005 Damit hat das תּוֹדהimmer dort seinen Platz, wo ein Mensch, selbst ein überlieferter oder geständiger Sünder, Gott und seine Macht anerkennt und selbst das Sündenbekenntnis kann damit als ein Gott wohlgefälliges Opfer ähnlich dem תּוֹדהim klassischen Sinn verstanden werden.1006 Darin erklärt sich die Doppelbedeutung von ידה „aus der ursprünglichen Bezogenheit des Bekenntnisses auf die rettenden oder richtenden Machterweise 1000 Vgl. Bornkamm, S. 125: Dieses Gericht Gottes geht überall dem Bekenntnis voran.“ Bornkamm, S. 125. 1002 Bornkamm, S. 125. 1003 Vgl. Mayer, Art. ידהIII, Sp. 472. 1004 Bornkamm, S. 127. 1005 Bornkamm, S. 128. 1006 Vgl. Bornkamm, S. 135. 1001 242 Gottes, die von den Betroffenen im Bekenntnis bestätigt, ergriffen und zur Ehre Gottes verkündet werden.“1007 19.1.5 Dank als Opfer und der Sitz im Leben des Dankes Das Danklied gehört „zu einer kultischen Handlung, die innerhalb eines größeren Kreises von Beteiligten stattfand, (Ps 30,5; 32,11; 34,4; 116,18), zu der ein Opfer gehörte, das vielfach als Erfüllung eines Gelübdes dargebracht wurde, weil eine bedrückende Not jetzt gewendet war (Ps 22,26; 56,13; 66, 13-15).“1008 Der Aufruf Amos 4,15 bzw. die Ausführungsbestimmungen des Dankopfers Lev 7 zeigen die Besonderheit dieses Opfers auf. Geopfert wird gesäuertes Brot, das beim „regulären“ Opfer nicht gestattet ist (Ex 23,18; vgl. auch Lev 2,11). Das Opfer geschieht erst nach der mehr pflichtmäßigen Leistung von Schlachtopfer und Zehnten (Amos 4,4).1009 Lev 7, 16 kennt anscheinend auch ein gebotenes Dankopfer, in der Regel hat es jedoch einen privaten freiwilligen Charakter und gehört nicht zu den pflichtmäßigen Leistungen.1010 Vielleicht deshalb fehlen detaillierte Gesetzesvorschriften. Das Dankopfer wurde also als ein gesetzlich nicht genau geregeltes, allgemeines gottesdienstliches Opfer, je nach Lage und Vermögen des Opfernden dargebracht. Vielleicht entwickelte es sich gerade aus diesem Grund im Lauf der Zeit zurück und wurde von dem Danklied, das selbst zum Dankopfer werden konnte, verdrängt. Das entspricht auch durchaus dem atl. Opferverständnis, nach dem ein Opfer auch als ein „Gebet als Handlung“ aufgefasst werden konnte.1011 Auch das Danklied ist dabei weniger Ausdruck einer kontinuierlichen dankbaren Gesinnung, sondern Reaktion auf einen unmittelbar im Leben des Gläubigen ergangenen Machterweis Gottes.1012 Das Dank- bzw. Lobopfer ist noch ganz geprägt von der vorexilischen Opfervorstellung, zu opfern, wann man sich dazu getrieben fühlt und erst das Exil fördert die strikte Regulierung, durch die freie Anlässe zurückgedrängt werden.1013 Sitz im Leben allen Lobens und Dankes ist der Gottesdienst, der Ort ist der Tempel, zu dem man zieht, um zu loben (Ps 118,19).1014 Er ist damit weniger im Alltag des Frommen, sondern in der punktuellen Feier des Dankes verankert.1015 Es wird Jer 17,26 als ein Opfer genannt, das neben dem Brandopfer, Schlachtopfer, Speiseopfer und Weihrauch zum Hause des Herrn gebracht wird. So auch 2. Chr 29, 31: „Tretet herzu und bringt die Schlachtopfer und Lobopfer zum Hause des Herrn!“ Und auch wenn תּוֹדהsich im Laufe der Zeit vom Dankopfer zum Danklied 1007 Bornkamm, S. 128. Preuß, S. 270. 1009 Vgl. Köhler, Theologie des Alten Testamentes, S. 180. 1010 Vgl. Bornkamm, S. 128. 1011 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 265. 1012 Vgl. Westermann, S. 26. 1013 Vgl. Köhler, S. 181. 1014 Vgl. Meyer, Art. ידהIII, Sp. 465. 1015 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 259. 1008 243 als Dankopfer selbst wandelte, ist der Sitz im Leben im Ursprung der gleiche.1016 Weiterhin bestand die Nähe zum Kult, „die Auffassung des Dankliedes als Dankopfer (...) steht in deutlichem Zusammenhang mit dem (...) antiken Kultbrauch, dass ein von der Gottheit Geretteter oder Geheilter zum Dank und zur Ehre seines Gottes die ihm widerfahrenen Wunder aufschreibt bzw. aufschreiben lässt und – ursprünglich im Heiligtum – öffentlich bekannt macht.“1017 Das Charakteristikum des Dankliedes als öffentliches Bekenntnis setzt das Lob Gottes vor der Gemeinde voraus und ist damit auch Hinweis auf den Sitz im Leben. So beschließt der Beter Ps 66, 13: „Darum will ich in dein Haus gehen mit Brandopfern und dir meine Gelübde erfüllen.“ Der kultische Gebrauch von תוֹדהwie auch die ursprüngliche Bedeutung im Sinne des bekennenden Lobpreises hielt auch in der hellenistischen Zeit noch an, in der den griechisch sprechenden Juden eigentlich ein eigenes Wort für „Danken“, ευχαριστειν, zur Verfügung gestanden hätte. Aber die alexandrinischen Bibelübersetzer verwenden es noch nicht, sondern geben das Hebräische selbst dort, „wo es unverkennbar die Bedeutung danken hat, wortgetreu durch ευλογειν oder εξοµολογειν wieder.“1018 In gleicher Weise die Apokryphen, deren griechischer Text auf ein hebräisches oder aramäisches Original zurückgeht.1019 Inhaltlich setzen die Schriften der folgenden Zeit fort, was die ältere kultische Sitte und die alttestamentliche Dichtung auf diesem Gebiete geschaffen hatte.1020 In der späteren jüdischen Frömmigkeit gewinnt das Dankgebet immer stärker auch seinen Platz im Alltag des Einzelnen. So begegnet die Dankbarkeit in den Dankformeln und -gebeten, die den Synagogengottesdienst begleiten und verschiedene Momente des täglichen Lebens umspannen. Im täglichen Leben waren es „namentlich die Mahlzeiten, die durch dankende Worte geweiht wurden, eine auf Dtn 8,10 fußende Sitte, die im NT wiederholt bezeugt wird und von der christlichen Gemeinde übernommen wurde.“1021 19.1.6 Dank als Freude In der Feier des Dankopfers und der darin mit eingeschlossenen Feier der Gemeinschaft tritt ein weiteres Moment atl. Dankverständnis zu Tage: Dank ist Freude. Freude über die Errettung aus der Not, Freude über einen Gott, der die Macht hat zu retten und daraus die Freude über eine Zukunft, die sich von der rettenden Hand JHWHs gehalten weiß. „Rühmung bewirkt Freude und 1016 Vgl. Bornkamm, S. 133. Bornkamm, S. 135. Anders Westermann, der den Sitz der Psalmen nicht im Kult verortet, sondern aufgrund seiner Charakterisierung der Lieder als Gebete in der Frömmigkeit des einzelnen. Vgl. Westermann, S. 19. 1018 Buhl, S. 77. 1019 Vgl. zu dieser Entwicklung und der Rezeption des Begriffs ευχαριστειν Buhl, S. 78ff. 1020 Vgl. Buhl, S. 74. 1021 Buhl, S. 75. 1017 244 Geborgenheit, vermittelt und setzt ein bestimmtes positives Wertgefühl heraus.“1022 Anlass einer solchen Rühmung kann dabei die Wahrnehmung göttlichen Wirkens in der Schöpfung sein, wie sie z.B. in den Schöpfungspsalmen zu Tage tritt. Aber auch Gottes Wirken in der Geschichte (Ps 135; 136), die Hoffnung auf die Königsherrschaft JHWHs (Ps 47; 93; 99) oder seiner Gegenwart in Tempel und Gottesstadt (Ps 46; 84) drängen den Menschen zum freudigen Lobpreis Gottes.1023 Diese Freude findet ihren Ausdruck in der Feier des Dankopfers als Mahlopfer (תּוֹדה )זבח. Dabei wird das Opfertier – je nach Vermögen ein Rind, ein Schaf oder eine Ziege, auch eine Taube für die weniger Begüterten, stets jedoch „ohne Mangel“ (Lev 22,21)1024 – zwischen JHWH, dem Priester, dem Opfernden und seinen Gästen aufgeteilt. Blut und Fett waren JHWH vorbehalten, während das Fleisch für ein gemeinsames Mahl am Heiligtum bestimmt war. 1025 So geschah durch die Opfer nicht allein eine Vergegenwärtigung des Heilshandeln Gottes, sondern wurde auch Gemeinschaft gestiftet, zwischen Gott und den Opfernden wie zwischen den am Opfer Beteiligten selbst, die sich im Anschluss an das Opfer zum gemeinsamen Mahl versammelten.1026 Weil der Opferanlass in der Regel erfreulich zu denken ist, hat auch der Charakter des Mahles freudigen Charakter, was sich auch im Genuss des Opferfleisches zeigt, denn die durchschnittliche Familie dürfte selten Fleisch gegessen haben.1027 Wie der Anlass eines solchen Opfers war auch die Feier desselben ein besonderer, den Alltag durchbrechender Akt, in dem und durch den die Botschaft von der rettenden Macht Gottes sinnlich-konkret in der gemeinsamen Feier in der Gegenwart JHWHs erfahrbar wurde. So ist תּוֹדהfreudige Antwort auf die Heilstaten Gottes, in die der Einzelne wie die Gemeinschaft mit dem Lobpreis Gottes einstimmt. 19.1.7 Resümee Dank als Vertrauensverhältnis: darauf weist die Doppelbedeutung des Wortes ידהhi.. Es ist weit mehr als der Ausdruck eines Gefühls der Dankbarkeit oder die (selbst)verpflichte Einlösung eines Gelübdes. Im Zusammenklang mit dem reuigen Bekenntnis der eigenen Fehlerhaftigkeit beschreibt es die Äußerung eines Vertrauens zu JHWH als einem Gott, der den Sündigen nicht verstößt und zu ihm spricht „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.“ (Ps 50,15). Dank ist ein Vertrauensverhältnis des Einzelnen zu seinem Gott. Einem Gott, er ihn errettet hat: in der Gemeinschaft des Volkes Israel wie auch in der individuellen Existenz. Ein Gott, der ihn erwählt und seine Rettung auch für die Zukunft 1022 Preuß, Theologie II S. 270. Vgl. Preuß, Theologie II S. 270. 1024 Vgl. Preuß, Theologie II, S. 259. 1025 Vgl. Marx, Opfer II, RGG4, Sp. 573. 1026 Vgl. Limbeck, S. 133. 1027 Vgl. Seebaß, Opfer II, TRE, S. 259. 1023 245 zugesagt hat. Ein Gott, der dem reuigen Sünder die Möglichkeit zur Umkehr nicht verwehrt. Weil im Lobpreis Gottes sich die Selbstmächtigkeit und Selbstverabsolutierung des Menschen relativiert und statt dessen proklamiert wird, dass der Kern der Gottesbeziehung die rettende Zuwendung des barmherzigen Gottes ist, rufen die Lieder des Dankes und des Lobes im Alten Testament zum Glauben, „dass menschliches Leben nur als Leben coram Deo gelingen kann.“1028 Selbst in der größten Gottesferne schreiben die Beter Gott nicht ab. Sie schließen mit einem Bekenntnis des Vertrauens und machen deutlich, dass selbst die Klage das Lob Gottes zum Ziel hat. „Die Klage appelliert an den, der das Leid wenden kann“1029, und so geht das Psalmensingen und -beten „durch alle Tiefen der Klage hindurch, aber es endet mit dem Lobpreis Gottes, der seine Macht nicht nur als Schöpfer und König, sondern immer wieder auch als Helfer der Armen und Schwachen bewährt hat.“1030 Gleichwohl die Dankopferhandlung ein punktuelles Geschehen darstellte, spiegelt sich darin die Beziehung des Einzelnen zu Gott wider: „Indem sie ihre Gaben Jahwe opferten, gewöhnten sich die Menschen in Israel also daran, ihr Herz, d.h. ihre Freude und Sorge, ihr Hoffen, Bitten und Danken mit ihrem Gott in Verbindung zu bringen und an ihm festzumachen.“1031 Deshalb ist die Erinnerung für das atl. Dankverständnis von zentraler Bedeutung als Vergewisserung, in und aus wessen Hand sich menschliches Leben vollzieht. Die prophetische Kritik am Opfer wendet sich gegen eine Vergessenheit, die JHWH als Ursprung und Garant menschlicher Existenz nicht mehr anerkennt. Dank als erinnernder, öffentlich bekennender Lobpreis will dieser Tendenz entgegenwirken, indem der Akt des Dankens den Beter in die Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen holt und so zum Inhalt seines Lebens das vertrauensvolle Bekenntnis macht. Darin wird auch das Gebot der Dankbarkeit verständlich. Israels Sünde gegen Gott besteht ihrem innersten Wesen nach auch in der Undankbarkeit, so liest sich Dtn 31,20 wie auch Hos 10,1.1032 Das Thema der Dankbarkeit ist im Alten Testament auf moralischem Gebiet sicherlich nicht so stark behandelt wie in der Umwelt Israels. Statt dessen weist es eine reichhaltige Verwendung im Kultus und in der Liturgie auf, die als charakteristisch gelten kann.1033 Aber weit über den Kultus in den Alltag des Frommen weist eben jene die Forderung nach Dankbarkeit gegenüber Gott als Warnung vor einer selbstbezogenen Gottvergessenheit (Dtn 8, 10a.18). Geboten ist das Opfer, das תּוֹדהnicht im Sinne einer zu leistenden Pflichtabgabe, sondern allein deshalb, damit der Mensch nicht vergesse, aus wessen Hand er lebt. 1028 Janowski, S. 302. Westermann, Die Rolle der Klage, zitiert nach: Janowski, S. 302. 1030 Rolf Rendtorff, Theologie des Alten Testaments I, S. 311, zitiert nach Janowski, S. 303. 1031 Limbeck, S. 132. 1032 Vgl. Buhl, S. 73. 1033 Vgl. Buhl, S. 82. 1029 246 Dank ist im Alten Testament damit elementare Lebensäußerung des Volkes wie des Einzelnen.1034 „Im Vorrang des Lobens spricht sich nicht nur die unreflektierte, unmittelbare und äußere Akte bevorzugende Ursprünglichkeit des atl. Betens aus, sondern vor allem seine entschiedene Theozentrik.“1035 Diese Theozentrik gilt für die Ausdrucksformen des Dankes wie für die der Klage. Danklied und Klagelied durchdringen sich, „das Danklied hat im Klagelied seinen Platz im Form des Gelübdes, das Klagelied im Danklied in der Erzählung von der durchlittenen Not, aus der der Dankende gerettet wurde.“1036 Auch die Beziehung zum Sündenbekenntnis hat ihren Grund in der Gottesbeziehung des Bekennenden. Das Verhältnis des Bekennenden zu Gott wird wieder in Ordnung gebracht.1037 Und die Doxologie Hiob 5,9ff zeigt auf, wie man sich der Gottheit bedingungslos unterwirft, „nämlich dadurch, dass man im doxologischen Hymnus die unerforschliche Allmacht Gottes bekennt.“1038 Daraus spricht der Glaube an JHWH als einen Gott, der auf die Bitten seines Volkes wie des Einzelnen reagiert und sich erbitten lässt. So weiß sich der Dank stets der Erinnerung an vergangene Führung verpflichtet, bekennt diese Wohltaten in der Gegenwart und schöpft daraus Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft. 19.2 Dank im Neuen Testament 19.2.1 Die sprachlichen Wurzeln der ευχαριστια: χαιρω und χαρις Das im Neuen Testament für Dank und Dankbarkeit verwendete Wort ist in der Regel ευχαριστια, das zur Wortfamilie χαιρ- gehört, „deren Grundwörter das Gefühl der Freude bezeichnen.“1039 So bezeichnet das Verb χαιρω „sich freuen, fröhlich sein“ und im Hellenismus wird das Substantiv χαρα zum Ausdruck religiöser Festfreude gebraucht.1040 Im Neuen Testament fällt diesbezüglich der Evangelist Lukas auf. Sein Werk hindurch zieht sich die Freude, die gleich zu Beginn der Engel des Herrn den Hirten Lk 2,10 verkündet. Und mit dieser Freude schließt der Evangelist, denn µετα χαρας µεγαλης lässt er die Jünger nach der Himmelfahrt Jesu nach Jerusalem zurückkehren (Lk 24,52).1041 Eine inhaltliche Nähe zu ευχαριστεω geht 1. Thess 3,9 ein und Kol 1,12 denkt Dank und Freude geradezu zusammen: µετα χαρας ευχαριστουντες. In den johanneischen Schriften ist die Vorstellung präsent, dass nun mit Jesus eine neue Zeit als die Freudenzeit angebrochen ist, wie Johannes der Täufer Joh 3,29 bekennt.1042 1034 Vgl. Wannenwetsch, Sp. 562. Schürmann, Sp. 158. 1036 Bornkamm, S. 135. 1037 Vgl. Bornkamm, S. 136. 1038 Bornkamm, S. 135f., er zitiert hier F. Horst. 1039 Eßer/Wander, Art. ευχαριστια, in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament I, S. 240. 1040 Vgl. Conzelmann, Art. χαιρω, χαρα, συγχαιρω, S. 352. 1041 Vgl. Conzelmann, Art. χαιρω, χαρα, συγχαιρω, S. 358. 1042 Vgl. Conzelmann, Art. χαιρω, χαρα, συγχαιρω, S. 361. 1035 247 Diese vollkommene Freude ist Ziel von Jesu Sendung (Joh 15,11). Die Wurzel des ntl. Dankes in der Freude ist also nicht eine rein sprachliche, sondern die Freude durchdringt den Dank auch inhaltlich als Ausdruck der Freude über die χαρις Gottes. Denn zur ευχαριστια wie auch zur χαρα gehört untrennbar auch die χαρις Gottes. In erster Linie umschreibt der Begriff „das Erfreuende“ und dabei sowohl den Zustand, der Freude erweckt wie auch die Tat, die Freude bereitet,1043 weswegen es als Überbegriff verwendet werden kann für alles, worüber man sich freut.1044 Im Neuen Testament ist der Gebrauch der Wortgruppe bei den Synoptikern auf Lukas beschränkt, der χαρις sowohl in der profanen Bedeutung von Gunst oder Gefallen kennt, wie auch religiös als Charakterisierung der Botschaft Jesu als Heilsbotschaft; die λογοις της χαριτος Lk 4,22 ist eine Umschreibung des Evangeliums, das Jesus verkündigt. In Bezug auf alles, was dem Menschen von Gott zukommt, ist χαρις Ausdruck einer von außen gewährte Gabe Gottes.1045 Für Paulus ist χαρις „der zentrale Begriff, der am klarsten sein Verständnis des Heilsgeschehen ausdrückt.“1046 Es kann zwar auch die Bedeutung „Dank“ haben (z.B. Röm 6,17; 1. Kor 15,57) oder die Kollekte als Dankesgabe bezeichnen (etwa 2. Kor 8f.). Aber spezifisch für Paulus ist die χαρις του θεου, die den Menschen rettet, die dem Sünder erwiesen wird (Röm 3,23f.), die das ganze des Heils darstellt (2. Kor 6,1) und die jeder Christ nach 1. Kor 1,4 besitzt. Das Wort erscheint bei Paulus stets im Singular, wodurch sichtbar wird, dass es ihm nicht um einzelne Gnadenerweise, sondern um die eine Heilstat Gottes geht, „die durch den Begriff χαρις als reines Geschenkt charakterisiert ist.“1047 Wohl aber zeigt sie Wirkung: die Gnade als Macht ermöglicht Freigiebigkeit (2. Kor 8,1), nach 2. Kor 9,8 ist ihr Ziel jedes gute Werk und sie kann zur Forderung werden (2. Kor 6,1; Gal 5,4ff), „und zwar so, dass sie die Leistung ermöglicht.“1048 Auch in der übrigen Briefliteratur ist χαρις in der Regel Ausdruck für die Gnade, die Gott dem Menschen erweist.1049 Das Verb χαριζοµαι unterstützt diese Bedeutung als dass es in der Grundbedeutung „schenken“ und stets im soteriologischen Zusammenhang verwendet wird.1050 19.2.2 ευχαριστια im Neuen Testament ευχαριστια ist nun eine Weiterbildung von χαρις und Komposition mit ευ und trägt die Bedeutung „dankbare Gesinnung“ wie deren tätiger Ausdruck im Sinne von 1043 Vgl. Conzelmann, Art. χαρις, S. 363. Vgl. Eßer/Wander, S. 240. 1045 Vgl. Conzelmann, Art. χαρις, S. 382f. 1046 Conzelmann, Art. χαρις, S. 383. 1047 Conzelmann, Grundriss der Theologie des Neuen Testamentes, S. 236. 1048 Conzelmann, Art. χαρις, S. 386. 1049 Vgl. Conzelmann, Art. χαρις, S. 387ff. 1050 Vgl. Conzelmann, Art. χαρις, S. 386f. 1044 248 „Dankerweisung“.1051 Während das Adjektiv mit den Bedeutungsmöglichkeiten „angenehm, artig, witzig, dankbar, wohltätig“ inhaltlich mehr von seiner Wurzel erkennen lässt, geht das Verb ευχαριστεω stärker in Richtung eines tätigen Ausdrucks der dankbaren Gesinnung oder des Gefühls, zum Dank verpflichtet zu sein.1052 Das Substantiv ευχαριστια findet sich häufig in Innschriften und Ehrendekreten und hat dort die Bedeutung von „Dankbarkeit“ oder „Erstattung von Dank“.1053 Wie bereits festgestellt, kennt das Hebräische kein Äquivalent zu dieser Wortgruppe. Die Wortgruppe ευχαρ- findet sich mit Ausnahme Spr 11,16 (LXX) erst in den Apokryphen und bezeichnet die Abstattung des Dankens. Dieser kann an Menschen gerichtet sein (2. Makk 12,31), geschieht aber in der Regel an Gott (2. Makk 10,7; Sap.Sal. 16,28).1054 Diese Tendenz reicht hinüber in das Neue Testament, wenn mit ευχαριστια bzw. ευχαριστεω das Dankgebet im allgemeinen, im speziellen aber das Tischgebet umschrieben wird (vgl. Mk 8,6). Dabei können ευχαριστεω und ευλογεω synonym gebraucht werden und ebenso kann das Verb εξοµολογειν für das Dankgebet erscheinen und damit atl. Ausdrucksweise anklingen.1055 Aus der jüdischen Vorschrift, über jeder Speise das Dankgebet zu sprechen, ergibt sich auch das Vorkommen von ευχαριστεω im Abendmahlsbericht.1056 Jedoch ist festzuhalten, dass der Schwerpunkt des ntl. Gebrauchs der Wortgruppe im paulinischen Schrifttum liegt. Das Corpus Paulinum weist das Verb 24 mal und das Substantiv 12 mal auf.1057 Paulus gebraucht das Verb häufig in den Proömien, die meist mit ευχαριστω eingeleitet werden.1058 Außerhalb der Proömien kann es das Gebet bei der Mahlzeit bezeichnen (1. Kor 10,30), formelhaft verwendet werden wie 1. Kor 1,14 oder den Dank an seine Mitarbeiter umschreiben (Röm 16,4). 19.2.3 Dank ist Dank an Gott für seine χαρις Das Verb ευχαριστεω ist im Neuen Testament bis auf drei Stellen im religiösen Kontext gebraucht.1059 „Es liegt in der ganzen Richtung des Neuen Testamentes, dass von Dankbarkeit anderen Menschen gegenüber viel seltener die Rede ist.“1060 Der Dank gilt Gott und Grund des Dankens ist seine Güte, „die in Form von Heilstaten unterschiedlichster Art den Menschen unverdient zuteil geworden ist.“1061 So fragt Paulus 1. Kor 4,7 die Gemeinde in Korinth: „Was 1051 Vgl. Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament, Sp. 649f. Vgl. Eßer/Wander, S. 240. In diesem Sinne ist es seit Hippokrates und Demosthenes belegt. 1053 Vgl. Conzelmann, Art. ευχαριστεω, S. 398. 1054 Vgl. Conzelmann, Art. ευχαριστεω, S. 399. 1055 Vgl. Buhl, S. 78. 1056 Vgl. Conzelmann, Art. ευχαριστεω, S. 401f. 1057 Vgl. Eßer/Wander, S. 241. 1058 Vgl. Conzelmann, Art. ευχαριστεω, S. 402. 1059 Vgl. hierzu Eßer/Wander, S. 241. 1060 Buhl, S. 78. 1061 Rieger, Art. Dankbarkeit, S. 230. 1052 249 hast du, das du nicht empfangen hast?“ In den Briefanfängen wird Gott für konkrete, persönliche und allgemeine Gaben gedankt. Für den Glauben der Adressaten (Röm 1,8), für die der Gemeinde verliehene Gnade (1. Kor 1,4), für die Erwählung (2. Thess 2,13), „für den Einklang von Glauben und tätiger Liebe“ (Eph 1,16; Kol 1,3; 1. Thess 1,2) oder der Teilhabe am Evangelium (Phil 1,3ff.).1062 So kennzeichnet der Dank die paulinische Theologie, ja stellt einen Kernpunkt der Frömmigkeit des Apostels dar.1063 Auch außerhalb der Proömien wird im Briefkorpus Gott für Einzelgaben wie die zunehmende Gnade (2. Kor 4,15), die Gabe der Zungenrede (1. Kor 14,18) oder die Aufnahme des gepredigten Menschenwortes als Gotteswortes (1. Thess 2,13). Dass die Gnade Gottes sich auch auf die Leiblichkeit des Menschen bezieht, zeigt die Aufnahme der jüdischen Sitte des Tischgebets, für das ευχαριστεω gebraucht wird.1064 So spricht Jesus in der markinischen Speisung der 4000 über Brot und Fische ein Dankgebet (Mk 8,6f.) und auch Paulus tut es Apg 27,5. Dankbarkeit findet so im Tischgebet ihren regelmäßig praktizierten Ausdruck.1065 Gleichermaßen zeigt die Aufnahme dieser Tradition, dass Dank nicht allein soteriologisch begründet ist, sondern auch aufgrund der den Leib des Menschen betreffenden Gaben geschieht. Das Dankgebet Jesu über das Brot bei den Speisungswundern (Mk 6,41 par.) weist insofern eine Besonderheit auf, als dass hier statt dem sonst üblichen ευχαριστεω das oft synonym verwendete ευλογειν (Loben, Rühmen, Preisen) auftaucht. Hier wird es im atl. Sinne verstanden sein und „Lob und Dank sagen“ in gleicher Weise bedeuten. Gleichwohl die Synoptiker diese Deutung unterstützen, indem sie Jesus vor dem Dankgebet die Augen in den Himmel erheben lassen und somit die Herkunft aller Speise bekennen. Für Lukas und die Synoptiker mag das in dem sachlich engen Zusammenhang von Speisung und Bekenntnis begründet liegen.1066 Zentraler Gegenstand des Dankes stellt jedoch das dem Menschen durch Jesus Christus zukommende Heil dar. Es ist die Erlösung des alten Adam von seinem „todverfallenen Leibe“ (Röm 7,24f.). Die Vergebung der Sünden ist hierbei wesentlich (Röm 3,25; Kol 1,12ff.). Damit verbunden ist der Sieg Jesu über den Tod und dessen Konsequenzen für die Auferstehungshoffnung der Gläubigen (1. Kor 15,57). Und schließlich eben jene daraus erwachsene Hoffnung auf ein neues Reich (Offb 21), das dem Menschen durch Jesus Christus geschenkt wird (Hebr 12,28). In den synoptischen Evangelien kann Dankbarkeit eine überschwängliche, von Freude gekennzeichnete Dankbarkeit gegenüber Gott darstellen. So zielt das Gleichnis vom Schatz im Acker Mt 13,44 auf die dankbare Freude. „Die entscheidende Worte (sc. des Gleichnisses) sind 1062 Eßer/Wander, S. 241. Vgl. auch Plathow, Danken und Dankbarkeit in der Betrachtung des Glaubens, S. 279. Vgl. Rieger, S. 230. 1064 Vgl. Eßer/Wander, S. 242. 1065 Vgl. Rieger, S. 230. 1066 Vgl. Conzelmann, Die Mitte der Zeit, S. 48f. 1063 250 vielmehr απο της χαρας. Der Finder des Schatzes wird überwältigt von einer großen Freude. Genauso überwältigt die Königsherrschaft den Sinn, sie reißt den Menschen fort und es wird eine blanke Selbstverständlichkeit, dass er alles hingibt, um sich den Schatz anzueignen.“1067 Joachim Jeremias führt auch die Salbung Jesu durch die Sünderin Lk 7,36-47 als ein Beispiel solch überwältigender, freudiger Dankbarkeit an. Für ihn schwingt im αγαπαν Vers 47 mit: „Wem wenig vergeben ist, dessen dankbare Liebe ist gering.“1068 Dadurch zeichnet Lukas das Vorauseilen der göttlichen Gnade und Liebe als Grund aller dankbaren Liebe. Auch bei dem vorangestellten Gleichnis kommt erst das Nachlassen der Schuld und dann die Frage nach der Liebe. „So kommt bei Gott von sich aus die Vergebung der Sünden (...) und dann erst das neue Leben der dankbaren Liebe zum Herrn.“1069 Anders müsste der Satz lauten „Wer wenig liebt, dem wird wenig Sünde vergeben.“1070 Ebenso überwältig von der liebevollen Zuwendung Jesu ist der Zöllner Zachäus Lk 19: „Er erfährt die Freude der Buße und antwortet mit der Hingabe seines Vermögens zur Widergutmachung und zur Hilfe für die Armen.“1071 Das Rettungshandeln Gottes ist bestimmendes Element einer freudigen, unmittelbaren Dankbarkeit und der dieser entsprechenden Äußerung des Dankens. Die Bedeutung der Dankbarkeit für die alle Bereiche umfassende Existenz des Christen betont schließlich 1.Tim 4,4. Alles, was Gott dem Menschen zugedacht hat, bildet Grund zur Danksagung. Und der Dank für Gottes Gnade bestimmt das christliche Leben der Gemeinde – nichts ist von der Danksagung ausgenommen, denn alles ist für den Menschen von Gott als gute Gabe zugedacht.1072 Die grundlegende Heilstat in Jesus Christus, die durch den Geist gewirkten Gaben des Einzelnen wie das schöpferische Handeln des Vaters, der weiß, wessen der Mensch bedarf und Speise gibt zur rechten Zeit (Mt 6,32). In gleicher Weise kann der Dank des Christen auch in den verschiedenen Lebensbereichen seine Äußerung finden. 19.2.4 Formen des Dankes Dank als Gebet Für Paulus kann das Danken als die charakteristische Gebetsart angesehen werden. Es ist menschliche Antwort auf göttliches Gnadenwort und zugleich „ein Synonym für das christliche Leben, indem er hierin seine Dankbarkeit für das Heilshandeln Gottes in Christus und den Heilsstand seiner Gemeinden zum Ausdruck bringt.“1073 Dabei hat er die im Alten Testament 1067 Jeremias, Neutestamentliche Theologie. Erster Teil, S. 209. Jeremias, S. 210. 1069 Rienecker, Das Evangelium des Lukas, S. 207. 1070 Rienecker, S. 207. 1071 Jeremias, S. 211. Vgl. auch Pokorny, Theologie der lukanischen Schriften, S. 168. 1072 Vgl. Plathow, Danken und Dankbarkeit in der Betrachtung des Glaubens, S. 279. 1073 Gebauer, Das Gebet bei Paulus, S. 101. 1068 251 charakteristische Funktion des Gebets als Lob Gottes mit übernommen.1074 Grundelement des Dankgebets ist die Anamnese, das Gedenken des an den Gläubigen ergangenen Heils.1075 Nicht nur bei Paulus ist die Dankbarkeit wesentliches Motiv des Gebets, wie es Kol 4,2 ausdrückt: „Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm in Danksagung“ oder 1. Tim 2,1.3 als praktischtheologisches Programm des Betens formuliert. Empfänger des Dankes ist nicht Christus, sondern Gott. Christus kommt die Rolle des Vermittlers des Dankgebetes zu (Röm 1,8a). Das mag darin begründet sein, dass Gott es auch ist, der ein solches Gebet durch den Geist erst ermöglicht (Röm 8,26). 1076 Das Dankgebet steht mit dem Bittgebet in enger Beziehung, Dank ohne Bitte gibt es nicht. So wird aus der Danksagung der Jerusalemer für die Kollekte der Korinther ihre Fürbitte folgen (2. Kor 9,14).1077 Darüber hinaus wird es zum Charakteristikum der Zeit „bis der Herr kommt“ (1. Kor 11,26), „dass es kein gedenkendes Preisen gibt ohne das Element der Bitte (als Epiklese und Fürbitte), das (...) immer wieder mit den neutestamentlichen Danksagungen verbunden ist“1078 wie etwa 1. Thess 1,2. Gleiches gilt freilich auch umgekehrt, „keine Bitte und Fürbitte kann die gleichzeitige Danksagung entbehren.“1079 So mahnt Paulus die Gemeinde in Philippi: „Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden.“ (Phil 4,6). Dank als Bekenntnis Die Ausrichtung des Dankes an Gott, die im Bekenntnis und im Lobpreis Gottes zum Ausdruck kommt, kennzeichnet auch den ntl. Dank. Darauf weist der synonyme Gebrauch von ευχαριστεω und ευλογεω oder die Verwendung des Verbs εξοµολογειν für das Dankgebet (Mt 11,25; Lk 10,21). Das Verb findet sich auch in den beiden Einsetzungsworten des Herrenmahls Lk 22,17.19 und (nur beim Brotwort) 1. Kor 11,24, nur beim Kelchwort hingegen Mk 14,23 und Mt 26,27 (dort als Entsprechung beim Brotwort: ευλογεω; Brot ευλογεω, Kelch ευχαριστεω bei Mt und Mk). So zielt Jesus in den Evangelien schon in der Feier des letzten Mahles auf die untrennbare Verbindung von Dank, Bekenntnis und Lobpreis wie sie für das atl. Dankverständnis charakteristisch war. Darauf weist auch die Heilung der zehn Aussätzigen durch Jesus Lk 17,11-19: „Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.“ (Lk 17,15f.) Nicht die Zugehörigkeit zu einem Volk ist 1074 Vgl. Gebauer, S. 101. Vgl. Schürmann, Sp. 159. 1076 Vgl. Conzelmann, Art. ευχαριστεω, ThWNT IX, S. 397-405, S. 403. 1077 Vgl. Georgi, Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, S. 77. 1078 Schürmann, Sp. 159. 1079 Eßer/Wander, S. 242. 1075 252 entscheidend, sondern die dankbare, bekennende und lobende Ausrichtung des Menschen zu Gott. Damit wird die Äußerung des Dankes zum Bekenntnis dessen, was Gott an einem Menschen getan hat und in dieser Folge zum Lobpreis der Güte Gottes als reactio des Menschen. Dank als Doxologie Für Paulus besteht der eigentliche Sinn menschlicher Existenz in der Verherrlichung Gottes. „Diesem dient nicht nur die christliche Lebensführung im allgemeinen (Phil 1, 9-11), sondern auch das Lob- und Dankgebet im Besonderen, so dass Paulus dem Danken primär eine doxologische Funktion zuweist.“1080 Wie das jüdische Gebet schließt auch Paulus sein Gebet ab mit einem Lobpreis und kennzeichnet in dieser Weise das Loben Gottes als einzig angemessene Antwort darauf, dass und wie Gott in Christus gehandelt hat.1081 Dementsprechend sieht der Apostel „in dem auf die δοξα θεου ausgerichteten Dankgebet eine Grundhaltung des Gläubigen gegenüber Gott (Röm 14,6; Phil 4,6; 1. Thess 5,18), eine menschliche Antwort auf Gottes Heilshandeln (Röm 7,25a; 1.Kor 15,57; Kol 1,12-14; 2. Thess 2,13ff.), ein Ziel christlichen Handelns (2.Kor 9,11f.) und nicht zuletzt seines eigenen apostolischen Wirkens (2.Kor 1,11).“1082 So setzt Paulus Röm 1,21 ευχαριστεω in eine enge Verbindung mit δοξαζω und „interpretiert damit das von den Heiden vernachlässigte Lob des Schöpfers als geschuldeten Dank, dessen Unterlassung als Unrecht zu werten ist.“1083 Bekennenden Lobpreis Gottes stellen auch die doxologischen Danksagungen der apokalyptischen Hymnen dar, wie etwa Off 7,12 oder Offb 11,17.1084 Der Dank ist damit nicht allein auf diese Welt konzentriert, sondern richtet sich auch auf das, was der Gläubige aufgrund der ihm von Gott gegebenen Verheißung erhofft: dass es zu einem vollendeten Dank kommt in einer Zeit und an einem Ort, an dem der Mensch in der unmittelbaren Gegenwart Gottes steht (Offb 21). Auch den Evangelien ist die Rühmung Gottes als Äußerung der Dankbarkeit nicht fremd. Besonders Lukas zeichnet Dankbarkeit als Ausrichtung auf Gott hin. In der Heilung der zehn Aussätzigen Lk 17,11-19 liegt die Pointe gerade in der Art des Dankes: Der Geheilte kehrte um und pries Gott mit lauter Stimme. Er kehrt um und seine Augen richten sich auf Jesus, durch den Gott ihm die Heilung als Geschenk zukommen hat lassen.1085 Den Kontrapunkt zu dieser Erzählung bildet Jesu Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner Lk 18, 9-14. Der Pharisäer spricht wohl ein Dankgebet, das auch an Gott gerichtet ist, aber echtem Dank widerspricht. Die Ichbezogenheit des Pharisäers („Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute“ 1080 Gebauer, S. 204. Vgl. Schultz/Schimanowski, Art. αινεω, in: Theologisches Begriffslexikon zum NT, S. 240. 1082 Gebauer, S. 204. 1083 Eßer/Wander, S. 242. 1084 Vgl. Eßer/Wander, S. 242. 1085 Vgl. Plathow, S. 280. 1081 253 Lk 18,11) hat die für den ntl. Dank grundlegende Gottbezogenheit verdrängt: „Das Danken ist zur Selbstdarstellung selbstproduzierter Frömmigkeitsleistungen nach der Ordnung des Gesetzes pervertiert“, es hat seinen Grund nicht in einer von Gott geschenkten Gabe, sondern in den Leistungen des Betenden. Der Betende sucht sich selbst „und kennt weder die hingebende Liebe Gottes (Agape) noch die frei antwortende Liebe zu Gott und zum Nächsten.“1086 Demgegenüber bleibt der betende Zöllner („Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Lk 18,13) – wie auch der Samariter Lk 17 – nicht bei sich selbst, sondern tritt in eine Beziehung zu Gott. „Er öffnet sich für das NichtSelbstverständliche der Gnade und Liebe Gottes, für das Geschenk der Vergebung und des neuen Lebens in der Gemeinschaft mit Gott.“1087 Dank als Feier der Eucharistie Schon vom Wortstamm weist ευχαριστια auf die Freude über eine Gnadengabe und sieht darin Grund und Wesen der Dankbarkeit.1088 In kaum einer anderen Form der Danksagung wird die Verbindung des Dankes mit der Freude über die von Gott geschenkte Gnade so deutlich wie in der Feier der Eucharistie. Die frühe Verbindung des Herrenmahls mit dem Begriff ευχαριστια bringt im Grunde dies zum Ausdruck. „In der Frühzeit erscheint die Eucharistie verknüpft mit einer wirklichen Mahlzeit, der Agape, die die Gemeinde als Darstellung ihrer Gemeinschaft feiert.“1089 Inhalt ist stets das von Gott geschenkte Heil, dessen sich die Gemeinde vergewissert bzw. daran teilhat. Die Kritik des Apostels 1.Kor 11 richtet sich dagegen, dass der Gedanke der gegenseitigen Agape und des Miteinanders verloren ging und die Speise letztlich jeder für sich genoss, weil man glaubte, die „sakramentale Speise wirke qua Substanz.“1090 Gegen jede Form eines pneumatischen Individualismus betont Paulus deshalb, dass eine Feier, die letztlich die Danksagung an Gott für dessen darin real werdende Gnadentat zum Inhalt hat, in die Gemeinschaft eingegliedert bleiben muss und das Sakrament damit „durch die Verwirklichung der Gemeinschaft zu aktualisieren ist.“1091 Gemein ist allen ntl. Berichten über das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern, dass sie eine Feier darstellten, die in Gemeinschaft erfolgt. Gerade durch die pluralistische Form der Spendeformel („für euch“) verdeutlicht Paulus 1. Kor 11,24, dass es nicht allein um eine Gemeinschaft mit dem Herrn, sondern auch um die Gemeinschaft unter den Feiernden selbst geht.1092 Darauf weist auch die Nähe zur jüdischen Sitte des Tischgebetes, denn 1086 Plathow, S. 280. Plathow, S. 280. 1088 Vgl. Plathow, S. 278. 1089 Conzelmann, Grundriss der Theologie des Neuen Testamentes, S. 67. 1090 Conzelmann, Grundriss der Theologie des Neuen Testamentes, S. 70. 1091 Conzelmann, Grundriss der Theologie des Neuen Testamentes, S. 70. 1092 Vgl. Goppelt, Theologie des Neuen Testamentes II, S. 478. 1087 254 „der Tischsegen verbindet die vom selben Brot Essenden zur Tischgemeinschaft, die engste Gemeinschaft bedeutet.“1093 Die Danksagung der Eucharistie ist also mehr als das Dankgebet, das über Brot und Kelch gesprochen wurde. Darauf weist die ekklesiologische Ausrichtung 1. Kor 10,14-22 und die Bedeutung der Koinonia für den Apostel. In der gemeinsamen Dankfeier wird durch die Ausrichtung auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus jene Ich-Bezogenheit der Korinther oder des Pharisäers Lk 18 aufgebrochen, die für einen falschen oder gar lästerhaften Dank charakteristisch ist.1094 Durch die Teilhabe am Leib Christi werden die Feiernden zum Leib Christi, schließt Christus die Feiernden durch seine Selbstdarbietung untereinander zusammen. 19.2.5 Dank als Kennzeichen christlicher Existenz Wenn der Gegenstand des Dankes somit das ganze Leben des Menschen umfasst, so kann ntl. Dank als ein Kennzeichen der christlichen Existenz verstanden werden.1095 Darauf weist der absolute Gebrauch des in den Aufforderungen zum Dank innerhalb der Paränese verwendeten Substantivs.1096 Alles, was die Gläubigen fortan tun, geschieht in der dankbaren Ausrichtung auf Gott hin. Christ sein ohne Danksagung gibt es nicht und so ist es dann auch für Paulus Kennzeichen der Heiden, dass sie den Dank gegenüber Gott missen zu lassen (Röm 1,21).1097 Dass Danksagung nicht auf eine gefühlsmäßige Äußerung oder Gesinnung reduziert werden kann, legt die Stellung der Mahnung zur Dankbarkeit nahe. In den Deuteropaulinen findet sich die Aufforderung zum Dank innerhalb der Paränese und Dank erscheint somit als ein gefordertes, weil durch Christus ermöglichtes Verhalten.1098 Das Leben als Kinder des Lichts besteht nicht aus Unzucht, schandbaren oder närrischen Reden, sondern in der Danksagung (Eph 5,4). „Dankbarkeit wird antwortende Liebe. Sie erwidert die Liebe Gottes, die ihr zuvorgekommen ist.“1099 Um zu unterstreichen, dass der Dank an Gott, über den gottesdienstlichen Kontext hinaus, im alltäglichen Leben bestimmend sein soll, setzt der Epheser- wie der Kolosserbrief vor ihre Haustafel die markante Erinnerung: „Sagt dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn“ (Eph 5,20; Kol 3,17). Jegliches Tun soll durch die dankbare Ausrichtung zu Gott als die spezifisch christliche Lebenshaltung auch erkennbar sein, denn in jeglichem Tun ist „der Herr die entscheidende Instanz und eigentliche Motivation christlicher Lebensgestaltung.“1100 1093 Goppelt, Theologie des Neuen Testamentes I, S. 178. Vgl. Plathow, S. 280. 1095 Vgl. Eßer/Wander, S. 241. 1096 Vgl. Wannenwetsch, Sp. 562. 1097 Vgl. Rieger, S. 231. 1098 Vgl. Eßer/Wander, S. 241. 1099 Thürig, Dankbarkeit. Plädoyer für eine christliche Grundhaltung, S. 197. 1100 Schrage, S. 258. 1094 255 19.2.6 Annahme der Gabe als Voraussetzung: Leben als ein „Gott-Verdankter“ Die Annahme der Gabe ist dabei konstitutiv für ein Leben aus der Dankbarkeit. Es ist eine Anerkenntnis der uneingeschränkten Abhängigkeit und damit wird Dankbarkeit zu einem solchen anerkannten und empfangenden Dasein.1101 Der Mensch muss die Gabe in sich behalten, „damit sie sich in ihm verändert und er sich mit ihr. (...) Es mag einer bereit sein, aus Liebe alles hinzugeben; es bleibt fruchtlos, wenn er nicht gleichwertig bereit ist zu empfangen.“1102 In diese Richtung argumentiert auch das Gleichnis vom bösen Schalksknecht Mt 18, 21-35. Der Knecht, dem die große Schuld erlassen wurde, reagiert in einer grotesken Undankbarkeit, weil er handelt, als wäre ihm nie etwas geschenkt worden. Ähnlich ungerührt scheinen die neun Aussätzigen Lk 17 zu reagieren, nachdem sie von Jesus geheilt wurden. Ihre Heilung scheint auf ihre Gesinnung keine große Wirkung gehabt zu haben, während der eine, der zurückkommt, um Gott zu preisen und Jesus zu danken, eine wirkliche Veränderung seines Seins durchgemacht hat. Denn er hat die Heilung als Geschenk Gottes erkannt und angenommen. Indem er im Dank akzeptiert, von Gott geliebt zu sein, hat sein Leben eine andere Ausrichtung bekommen: auf Gott hin.1103 Es ist nicht allein das Vorbild Jesu, das den Menschen dazu bewegen soll, ihm und seiner Handlungsweise nachzueifern, sondern v.a. „die persönliche Erfahrung der dienenden Liebe des Meisters.“1104 Der Dankbare begreift sich selbst aus der Erfahrung uneingeschränkten Angenommenseins als ein „Gott-Verdankter“.1105 An die Stelle eines Verdienstgedankens tritt im Bereich der Herrschaft Jesu die Dankbarkeit für Gottes Gabe als Motiv des Handelns: „Aus der Dankbarkeit des begnadeten Gotteskindes erwächst die gelebte Kindschaft.“1106 19.2.7 Dank als Hoffnungshandeln Aus der Vergegenwärtigung des von Gott geschenkten Heils erwächst darüber hinaus die Hoffnung, zu der die Christen berufen sind (Eph 1,18), die Hoffnung auf eine Vollendung, die in der Offenbarung in die eindrücklichen Worte von einer neuen Welt in der Gegenwart Gottes gekleidet ist (Offb 21). „Weil die Gerechtigkeit wie die Heiligung immer nur als Gabe und Aufgabe gegeben sind, bleiben sie in dieser Weltzeit immer auch Gegenstand der Hoffnung.“1107 Auch ntl. Dank vollzieht sich deshalb in dieser Spannung des Schon Jetzt und Noch Nicht. Schon jetzt gilt es zu danken, über die Zuwendungen Gottes wie für das in Christus geschehene und schon zuteilgewordene Heil. Aber die endgültige Rettung und damit die Lage, in der der 1101 Vgl. Thürig, S. 194f. Thürig, S. 195. 1103 Vgl. Fangmeier, Hermeneutische Überlegung zu Dank/Lob, S. 250. 1104 Jeremias, S. 210. 1105 Vgl. Thürig, S. 194. 1106 Jeremias, S. 211 1107 Goppelt, Theologie des Neuen Testamentes II, S. 466f. 1102 256 Christ nichts anderes bestellen muss als danken, steht noch aus. 1108 So ist die Danksagung dann auch der Grundton der Ewigkeit, der himmlischen Vollendung, wie es die apokalyptischen Doxologien Offb 4,9 und 7,12 besingen.1109 Der Dank durchbricht dieses Schema jedoch insofern, als dass schon in der Gegenwart der Dank für die erhoffte Rettung am Ende der Zeiten geschieht. Die Rettung „als Ziel, das auf Grund der gegenwärtigen Rechtfertigung als Wagnis im Glauben im Endgericht erwartet wird“1110, ist auf dem Weg dorthin schon jetzt als Gegenstand der überschwänglichen Freude und des Dankes. Gerade in den doxologischen Hymnen Offb 4,9; 7,12; 11,17 oder im Hebräerbrief (10,23; 11,1) wird deutlich, dass nicht allein der Glaube durchweg mit der Hoffnung verbunden ist, sondern auch der Dank in der Hoffnung auf Gottes endgültige Heilstat gründet, wodurch der gegenwärtige Dank immer auch Prolepse des endgültigen Dankes ist.. Bis der Herr kommt (1. Kor 11,26) bestimmt die Gemeinde der Dank für erfahrenes Heil wie auch der Dank für die begründete Hoffnung auf kommendes Heil, der zugleich auch immer mit der Bitte um endgültige Verwirklichung dieses Heils verbunden ist. 19.2.8 Dank als Freude an Gott In dieser hoffenden Dankbarkeit wird die Freude über die Gabe des Heils so groß, dass sie sogar gegenwärtiges Leid übersteigen kann und gerade angesichts der Bedrängnis behauptet werden muss (vgl. 2.Kor 7,4; Phlm 7; 1.Thess 1,6).1111 Diese Freude ist nicht nur Vorfreude auf etwas, das der Gläubige einmal erwarten kann, sondern stellt die Bezogenheit auf die Zukunft dar, „die in der Gegenwart als Freude erfahren wird.“ ein Wesensmerkmal des Glaubens. 1113 1112 Ernst Fuchs kennzeichnet die Freude an Gott als Es ist zugleich ein Wesensmerkmal des Dankes, denn der gläubige Blick auf Christus erweist sich als Grund allen Seins in der Dankbarkeit, „erinnernd und erwartend sind sie (sc. die Gläubigen) mit dem Geschenk des Glaubens der Neuschöpfung Gottes in der Auferstehung Jesu Christi gewiss in froher Dankbarkeit.“1114 So kann sich der Gläubige in seiner Trübsal der Verheißung Jesu vergewissern: „Eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden“ (Joh 16,20). Das muss nicht ein heiteres fröhlich sein bedeuten, sondern kann auch eine gaudia alienum, Jesu Freude in ihnen, bezeichnen (Joh 15,11).1115 Dadurch, dass Jesus Gott als Gott für Dich verkündigt, möchte er den Menschen hineinnehmen in die Freude an Gott, die von der Wahrnehmung Gottes als ein Gott in Beziehung geprägt ist.1116 Einer 1108 Vgl. Thürig, S. 197: „Sören Kierkegaard nennt die Ewigkeit die Lage, ‚die ich nötig habe, um nichts anderes bestellen zu müssen als danken.’“ 1109 Vgl. Thürig, S. 197. 1110 Goppelt, Theologie des Neuen Testamentes II, S. 467. 1111 Vgl. Conzelmann, Art. χαιρω, χαρα, συγχαιρω, S. 360. 1112 Conzelmann, Art. χαιρω, χαρα, συγχαιρω, S. 360. 1113 Vgl. Knöller, Freude als Quelle der Predigt bei Ernst Fuchs, S. 276. 1114 Plathow, S. 280. 1115 Vgl. Conzelmann, Art. χαιρω, χαρα, συγχαιρω, S. 361. 1116 Vgl. Knöller, S. 276. 257 Beziehung, die auch durch Leid in der Welt nicht durchbrochen wird (Röm 8,38f.). Dank als Anerkenntnis dieses Gottes ist geprägt von der Freude, die daraus dem Gläubigen erwächst. Freude, die er schon jetzt erfahren kann, deren Vollendung jedoch noch aussteht. (Joh 16,22). 19.2.9 Resümee Der Dank hat damit zunächst dort seinen Platz, „wo in persönlicher Weise des an den Christen verwirklichten Heiles oder der gnädigen Fügungen Gottes gedacht wird.“1117 Dank ist nie losgelöst von der in Jesus Christus geschehenen Heilstat Gottes. Jedoch ist auch die Schöpfung Gottes Grund des Dankes, alles, was der Mensch dankbar von Gott als seine Gabe begreift und annimmt (1. Ti 4). Er erschöpft sich daher nicht im Kultus, sondern durchzieht alle Bereiche menschlicher Existenz. Denn Dank ist die Grundhaltung des Christen, die sein Handeln, sein Leben, seine Verhältnisse durchzieht. In der landläufigen Ethik des antiken Judentums ist die Triebfeder des Handelns die Hoffnung auf Lohn bei Gott.1118 Dagegen betonen die Schriften des Neuen Testaments ein anderes Motiv des Handelns: Die Dankbarkeit. Denn die Gabe ist schon vor allem Tun dem Menschen gegeben worden. Aufgrund dieser Gabe durchdringt der Dank für diese Gabe den Menschen ganz und gar, so dass alles, was er tut, von Dankbarkeit durchzogen ist, wodurch christliches Leben sich als ein bewusst verdanktes Leben darstellt. Die Ausdrucksformen des Dankes ergeben sich aus diesem Verständnis. Jürgen Fangmeier hat das Charakteristikum des ntl. Dankes umschrieben als eine Dreiecksverbindung, „bei der Freude und Dank die Basis und das Lob die Spitze bilden.“1119 So hält er mit Paulus die doxologische Grundstruktur fest. Dank ist immer Antwort, die liebende Antwort auf die erfahrene Liebe Gottes. Der Kult der Dankbarkeit ist die Feier der Eucharistie. Sie ist freudige Feier der Heilstat Gottes und der daraus resultierenden Hoffnung. In ihr wird offenbar: Dank geschieht in der Gemeinschaft. Die Feier des Dankes bringt Verbundenheit der Dankenden wie auch zum Grund des Dankes, Gott, zum Ausdruck. In den Evangelien findet sich häufig die unmittelbare Äußerung des Dankes als eine unmittelbare Reaktion auf ein unmittelbar vorangegangenes Ereignis. Dank hat hier einen doxologischen, sehr stark aber auch einen bekennenden Charakter, so dass die Reaktion des Geheilten Aussätzigen Lk 17, der zurückkommt, um Jesus zu danken und dabei Gott mit lauter Stimme preist, als typisch für das ntl. Dankverständnis gelten kann. Eine doxologische Ausrichtung lässt sich auch in den Briefen finden. Jedoch betont gerade Paulus und seine Schule den Dank als eine das ganze und damit auch das alltägliche Leben durchwaltende Grundhaltung der christlichen Existenz. Beide Linien laufen zusammen in der Feier der Eucharistie, in der es immer wieder neu zu einer 1117 Schürmann, Sp. 158f. Vgl. Jeremias, S. 208. 1119 Fangmeier, S. 249. 1118 258 Unmittelbarkeit des Dankes kommt. Und zwar in der Anamnese des Heilsgeschehen, der Vergegenwärtigung des letzten Mahles wie in der Gegenwart Jesu selbst, auf die der Feiernde mit dankbarer Freude reagiert. Die Unmittelbarkeit geschieht in der Feier der Eucharistie jedoch auch deshalb, „weil die dort empfangene Gabe mit dem sich selbst erniedrigenden Geber identisch ist.“1120 Wie damit die Gabe in der Feier dem Gläubigen jeweils unmittelbar zu Teil wird, wird der in der Feier zur Sprache kommende Dank ein unmittelbar an Gott gerichteter Dank. So hat Dank für die christliche Existenz und als Gemeinschaftshandeln für die Kirche konstitutive Bedeutung. Die Äußerung des Dankes wird so zur Proklamation der Herrschaft und Herrlichkeit Gottes im Gottesdienst wie auch im Leben des Einzelnen, der diese Herrschaft und Herrlichkeit gnadenhaft erfährt. Es ist darin die Anerkenntnis der Tatsache, im Leben abhängig zu sein von Gott. So liest sich Eph 2,8f. („Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich niemand rühme.“) wie eine unmittelbare Reaktion auf das Ich-bezogene Gebet aus dem Mund des Pharisäers Lk 18,11f. Dank ist damit stets auf Gott und sein Handeln am Menschen hin ausgerichtet. Deswegen geht auch der Sünder Lk 18 nach dem Urteil Jesu gerechtfertigt nach Hause, denn er hat den Blick von sich selbst auf Gott hin gerichtet und damit seine Abhängigkeit bekannt. Dabei hat Dank auch eine nach außen gerichtete Dimension und erschöpft sich nicht in einer gefühlsmäßigen Regung, denn die Gnade Gottes hat wirkenden Charakter. Dank gründet in Gott und kehrt zu Gott zurück in der Form des Lobpreises und im Handeln am Nächsten. „Die von Gott ausgehende χαρις του θεου wendet sich den Menschen zu, geht auf diese über, drängt auf deren Veränderung, worauf diese gewissermaßen das selbst Empfangene in der Zuwendung zu anderen weitergeben, was dann schließlich wieder in Form des Dankes zu Gott zurückkehrt.“1121 Dank im Neuen Testament stellt damit eine reactio des Menschen dar, eine stets feierliche, freudige und in der Gemeinschaft der Gläubigen stehende Antwort des Menschen auf die von Gott erfahrene Güte, die Gott als im Leben wirksame Kraft anerkennt und alle Lebensbereiche des Menschen umfasst, ihren besonderen Ausdruck jedoch in dem einen, von Jesus selbst gestifteten Mahl findet und von dort wieder hinaus in den Alltag des Christen strahlt. 1120 1121 Wannenwetsch, Sp. 563. Vgl. Schmidt, Nicht vergeblich empfangen, S. 140. 259 D Erntedank feiern Nach der Betrachtung der Feier des Erntedankfestes in Predigt und Liturgie, der Entstehung des Erntedankfestes und seiner Stellung im Kirchenjahr sowie der biblischen Grundlegung der Thematik von Saat und Ernte unter Berücksichtigung der atl. Erntefeste, soll nun der Versuch einer theologischen Ortsbestimmung des Erntedankfestes erfolgen, in der sowohl die klassische Erntedankthematik wie auch die bereits angeklungenen soteriologischen und eschatologischen Aspekte zur Sprache kommen. Dabei geht dieser Versuch von dem Handeln Gottes am Menschen aus und nimmt verstärkt das Wofür des Dankes in den Blick. Hierauf soll auf die Reaktion des Menschen auf die empfangenen Gaben eingegangen werden, also der Frage nach dem Wie des Dankens. Unter dem Titel „Vom Danken lernen und nicht Danken können“ soll dann als Proprium des Erntedankfestes das Dass des Dankes beleuchtet werden. Daran schließen sich unter Berücksichtigung der unter Punkt drei bereits zur Sprache gekommenen Erwartungen der Gottesdienstbesucher an das Erntedankfest Konkretionen für eine Feier des Erntedankfestes an. Ein abschließendes Resümee betont aufgrund des bisher Geschauten die Relevanz des Festes für die gottesdienstliche Praxis wie für die Existenz des Einzelnen. 20. Gott als Geber aller Gaben 20.1 Gott der Schöpfer Wie durch das Loblied über die Erschaffung der Welt Gen 1 und die Zusage Gottes, dass solange die Erde steht, nicht mehr aufhören werde Saat und Ernte (Gen 8), zu Beginn der Bibel die Souveränität Gottes des Schöpfers durch die Zeiten hindurch herausgestellt wird, so kann dieses Handeln Gottes als ein wesentliches Moment des Erntedankfestes verstanden werden. Dieses große Zeichen der Güte und Treue, das Gott über der Menschheit aufgerichtet hat, steht auch über dem Erntedank. In der Herrlichkeit der Schöpfung lässt sich die Herrlichkeit Gottes erahnen und dessen schöpferisches Wirken über die Zeiten hinweg erkennen. Der Mensch nimmt sich wahr innerhalb der Schöpfung und darin dergestalt, dass er, wie die gesamte belebte und unbelebte Natur, in dem Wirken Gottes des Schöpfers gründet. Der Herrlichkeit von Gottes Schöpfung steht der Mensch staunend gegenüber und deutet sie als Hinweiszeichen auf die Größe und Güte Gottes, wie es etwa Ps 104,24 tut. Diese Herrlichkeit Gottes findet auch in der Liturgie des Erntedankfestes ihre Berücksichtigung. So stellt etwa eben jener Psalm 104 den Introitus des Tages dar und die in den einzelnen Gottesdienstformularen vorgeschlagenen Gebete preisen die Herrlichkeit der Schöpfung Gottes in gleichem Maße wie es das Liedgut tut. Der Blick auf den Gedenktag von Franz von Assisi hat gezeigt, dass eine 260 Auseinandersetzung mit der Schöpfung nicht zwangsläufig zu einer naiven, innerweltlichen Naturfrömmigkeit führen muss, sondern als Schöpfungs- und Schöpferglauben selbst in einer so intensiven Jesusfrömmigkeit wie der des Franz von Assisi einen wichtigen Stellenwert einnehmen kann – nicht nur in einem theologischen Denksystem, sondern auch in der praxis pietatis. Dabei betont das Liedgut wie auch die biblischen Texte stets die notwendige und unabdingbare Rückbezogenheit einer Schöpfungsbetrachtung zum Grund der Schöpfung. Schöpfung gibt es nicht ohne den Schöpfer. Schöpfungserfahrung, d.i. die Erfahrung der den Menschen umgebenden Natur als Schöpfung, kann nicht ohne Anerkenntnis Gottes als Schöpfer geschehen. Darin liegt der Unterschied zwischen Naturschwärmerei und Schöpfungsglauben. Darin muss auch der Unterschied liegen im Blick auf das Erntedankfest: nicht unverbindliches Naturfest, sondern auf Gott den Schöpfer rückbezogenes Fest des Wunderwerks der Schöpfung. Diese v.a. im atl. Dankverständnis präsente Theozentrik nimmt der Kritik an einem Schöpfungsglauben als Naturschwärmerei und an einem Erntedankfest als Naturfest jegliche Grundlage. In allem liegt dabei über der Herrlichkeit der creatio originans der stetige Verweis auf die Kontinuität von Gottes schöpferischem und erhaltendem Handeln. Im Alten Testament zeigt sich bereits durch die Verheißung Gen 8 der untrennbare Zusammenhang zwischen der creatio originans und der creatio continua Gottes. Dieses Wirken Gottes stellt gleichsam die Geschichte Gottes mit dem Menschen von Beginn an als ein auf die Gegenwart bezogenes Handeln dar. Auch die endzeitliche Erwartung einer immerwährenden Ernte, wie sie Am 9,13 oder Ps 126,15 anklingt, unterstreichen diese Kontinuität des Handelns Gottes selbst über menschliche Unzulänglichkeiten und menschliches Fehlverhalten hinweg. Dass dieses, dem Menschen wohlgesonnene, Schöpferhandeln Gottes zu seinem unveränderlichen Wesen gehört, betont im Neuen Testament Jak 1,17: „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.“ Auch Gottfried Tollmann beginnt sein Erntelied „Die Ernt ist nun zu Ende“ (EG 505) mit dem Verweis auf diese Unveränderlichkeit von Gottes Schöpferwirken: „Der treue Gott lebt noch.“ Richard Abramowski verbindet die Schöpfungstat Gottes am Anfang der Zeiten explizit mit dem erhaltenden Handeln Gottes in der Gegenwart und parallelisiert damit creatio originans und continua: „Wenn du, Herr, sprichst dein göttliches ‚Es werde’, füllt sich mit Gaben reich die Erde.“ (EG 513,3) Der Gott, der damals die Welt erschaffen hat, ist kein anderer als der, der bis heute durch sein schöpferisches Wort für den Erhalt der Erde Sorge trägt. So betont auch Matthäus Apelles von Löwenstern Gottes Macht und Souveränität (EG 502,2). Ähnlich nehmen es die Gebetstexte des EGb auf, wenn sie das Jetzt der Kreatürlichkeit des Menschen wie der Annahme der von Gott gegebenen Gaben betonen. Und der Blick auf das 261 Brauchtum hat gezeigt, dass gerade hier der Glaube an Gottes gegenwärtiges und immer wieder neues Wirken in und an seiner Schöpfung konkret zum Ausdruck kommt. Die Bräuche zum Fest sind die Gestaltwerdung eines Wissens um die stetige Verbundenheit aller Kreatur untereinander und mit Gott. Die Herrlichkeit von Gottes Schöpfung und Gottes die Schöpfung erhaltendes Handeln als ein zentrales Thema des Erntedanktages verbieten eine Abqualifizierung der Schöpfung. „Die Natur ist nicht primitive Vorstufe des Rationalen; die Natur ist Herberge der Vernunft. (...) Die Natur ‚ist’ nicht Gott, aber sie ist sein erstes Wort.“1122 Gen 1,31 wird die Schöpfung von Gott selbst als „sehr gut“ qualifiziert und diesen Gedanken greift 1. Tim 4, 4-5 auf. Im Leben und in der Botschaft Jesu leuchtet die Bejahung der Schöpfung Gottes hervor. „Dass der irdische Jesus nicht ein Asket war, der Speise und Trank verschmähte und festlichen Mahlveranstaltungen fernblieb, ist neutestamentlich eindeutig zu erheben.“1123 Selbst in der Bitte um die Kollekte für Jerusalem (2. Kor 9) wird der geschenkte, durchaus materiell und irdisch zu verstehende Reichtum, positiv gewertet und stellt ein wesentliches Moment in der Argumentation des Apostels dar. Ähnlich geht es Lk 12 nicht um die Ablehnung materieller Güter sondern um das fehlerhafte Verhalten und den Umgang des Mannes mit seinen Gütern. In diesem Sinne wendet sich das als Alternative vorgeschlagene Evangelium Mt 6, 25-34 nicht gegen die von Gott geschenkten Gaben, sondern gegen die den Menschen bestimmende und lähmende Sorge. Zu den Gaben Gottes des Schöpfers gehören in erster Linie die Früchte des Feldes bzw. all das, was der Mensch zum Erhalt seiner körperlichen Fähigkeiten bedarf. Die Ernte ist Zeichen der göttlichen Gnade und des dem Menschen wohlgesonnenen Trachten Gottes. Bereits innerhalb des Alten Testamentes ist jedoch erkennbar, dass auch über die klassischen Erntegüter hinaus die Beziehungen zwischen Mensch und Gott oder zwischen den Menschen selbst dazu gehören, etwa wenn man darauf sieht, wie Isaak für seine Frau Gott dankt (Gen 24,27). Auch Gottes Votum „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ (Gen 2,18) gibt Dorothea Zager in ihrer Predigt recht, menschliche Beziehung und Liebe als Gabe Gottes zu verstehen. Gleichsam spiegelt sich in den biblischen Texten wie auch in Liturgie, Liedgut oder Brauchtum die Erfahrung wie die Anerkenntnis der Abhängigkeit von Gottes Gaben und deren Unverfügbarkeit elementar und existentiell wider. Das biblische Votum Ps 145,15 bringt nicht nur das durch die Erfahrung begründete Zutrauen in Gottes erhaltende Handeln zum Ausdruck, sondern weist den Menschen in die passive Rolle des Empfangenden und ganz aus Gottes Hand Lebenden. Ähnlich argumentiert die als Alternative zu Lk 12 vorgeschlagene Evangeliumslesung Mt 6, 25-34 anhand des bekannten Bildes von der Lilie und dem Vogel. Gott, der Schöpfer ist es, 1122 1123 Perlitt, Erntedankfest, GPM 25 (1970/71), S. 397. Thissen, Schöpfungsbejahung und Kreuzesnachfolge, S. 362. 262 der die menschliche Existenz hält und erhält, weswegen die Ernte im biblischen Zeugnis von Beginn an Geschenkcharakter hat, als Zeichen göttlicher Gnade und Segens gilt. Gerade das Brauchtum betont dabei das Zusammenwirken von menschlicher Arbeit und göttlichem Wirken. Eigene Leistung und Gottes Gnade stehen im agrarischen Kontext nicht konträr zueinander, sondern bilden in der erfahrenen Wirklichkeit eine Einheit. Die Fest-Präfatio des EGb nimmt diese Erfahrungswirklichkeit auf, wenn es heißt: „Wir danken dir für die Ernte des Jahres und die Früchte unserer Arbeit. Wir danken dir, dass du unser Leben erhältst in deiner Güte.“1124 Dies bringt zwar ein Zusammenwirken zum Ausdruck, betont aber dennoch Gott als den, der letztlich als einziger das Gelingen jedweder Arbeit garantieren kann. Auch die Lieder zum Fest stellen sich dieser Realität menschlicher Arbeit: „Wir pflügen und wir streuen den Samen übers Land, doch Wachstum und gedeihen steht in des Himmels Hand“ (EG 508,1).1125 Biblisch gründet dies in Gen 3,19. Dabei gilt jedoch, dass auch hier alle Arbeit nicht gelingen oder zum Erfolg führen wird, wenn Gott seinen Segen nicht dazu gibt. So konnte Isaak hundertfältig ernten, weil zu seiner Arbeit der Segen Gottes hinzutrat (Gen 26,12). Und dem Volk Israel wird verheißen: „JHWH dein Gott, wird dich segnen in deiner ganzen Ernte und in allen Werken deiner Hände.“ (Dtn 16,15). Unaufgebbar für eine Feier des Erntedankfestes ist die entschiedene Theozentrik, die im biblischen Zeugnis hervorsticht. Es hat sich gezeigt, dass vor allem jene Bräuche innerhalb des kirchlichen Kontextes die Jahrhunderte überdauert haben, die eine Anerkenntnis der Herkunft aller Gaben zum Ausdruck bringen. Die Erntekrone – ehemals dem Gutsherren überreicht – findet bis heute ihren Platz im Angesicht dessen, der das Wachsen des Korns ermöglichte: vor oder auf dem Altar. Die um den Altar herum ausgebreiteten Früchte des Feldes repräsentieren – in Analogie zu Gen 4 oder Gen 8 – sowohl dass und wofür der Mensch Dank empfindet, in gleichem Maße jedoch auch, wem der Dank gebührt. Dadurch wird jegliche Selbstmächtigkeit des Menschen durchbrochen und statt dessen der Ruf laut: „Gedenke an JHWH, deinen Gott, denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen.“ (Dtn 8,18). Gerade die Erntedankprozessionen haben – analog zu den atl. Erntezügen zum Tempel – darin ihr Ziel, über die Darstellung der empfangenen Fülle auch den zu bekennen, dem sich diese Fülle verdankt, was sie durch ihren Zug vom Feld hin zu Kirche zum Ausdruck bringen. Der Ruf zum erinnernden Bekenntnis zu Gott, wie er Dtn 8 laut wird, zeigt ebenso wie der Blick auf das amerikanische Thanksgiving, dass eine solche Betonung der Herkunft der Gaben wie auch die entschiedene Theozentrik des Festes nicht selbstverständlich sind, sondern stets neu wieder hergestellt werden müssen. Zugleich zeigt die Entwicklung dieses ursprünglich christlich verankerten Festes hin zu der Feier des historischen Ereignisses von 1621 eine Gefahr auf, die 1124 1125 EGb, S. 620. Vgl. auch EG 508,2 und EG 513,4. 263 ähnlich auch dem deutschen Erntedankfest bevorstehen könnte, wenn die Herkunft der Gaben durch eine einseitige Feier der Natur in den Hintergrund tritt: eine unverbindliche, harmonisch nette, aber letztlich konturlose Feier eines Sachverhaltes, der seine innere Begründung verloren hat. Hier wird der Ruf Dtn 8,18 deutlich zur Sprache gebracht und behauptet werden müssen. 20.2 Gott der Erretter Dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt und sich Gottes Handeln an ihm über den Erhalt der körperlichen Fähigkeiten hinaus erstreckt, wurde in den bisherigen Untersuchungen deutlich. Weil der Mensch nicht nur Leib, sondern auch Seele ist, umschließt das Handeln Gottes auch die Ganzheit der menschlichen Existenz. Im Alten Testament wird bewusst das Handeln Gottes an seinem Volk in der Geschichte herausgestellt und der atl. Erntebegriff ist durchdrungen von der Freude über Gottes Zuwendung zu seinem Volk. Deutlich wurde dies in der Entwicklung ursprünglich agrarisch verankerter Erntefeste. Das Frühlingsfest der ungesäuerten Brote (Mazzoth) verschmolz sukzessive mit dem Gedenken an die Befreiung aus Ägypten. Die Freude über das erste, aus der neuen Ernte gebackene Brot wurde damit mit der Erinnerung an die Zeit der Bedrängnis in Ägypten in Verbindung gebracht (Ex 12,39; Dtn 16,3). Auch die ursprüngliche Verwurzelung des Passah wurde historisiert. Waren Passah und Mazzoth in ihrer ursprünglich agrarischen Verwurzelung Feste, an denen der Beginn von etwas Neuem gefeiert wurde, Ausdruck der Befreiung von den Fesseln des Winters (Neue Ernte/erste Lämmer), so sind beide Feste mit der Zeit als Doppelfest in seiner Endgestalt als ein Fest zu verstehen, an dem das neue, befreite Leben des Volkes Israel im Mittelpunkt steht. Als ein Fest zum Abschluss der Wein-, Baumfrucht- und Olivenernte erfuhr das Herbst- bzw. Laubhüttenfest (Sukkot) seine heilsgeschichtliche Interpretation in der Vergegenwärtigung der bewahrenden Führung des Volkes Israel durch JHWH in der Wüste – was jedoch auch sehr gut mit dem segensreichen Handeln JHWHs in der Ernte in Verbindung gebracht werden konnte. Auch die Angliederung des sog. Schlussfestes (Schemini Azaret/Simchat Tora) verdeutlichen die Bemühung, ursprünglich agrarische Feste auf die ganze Existenz des Menschen auszuweiten. Schließlich zeigt auch das erst in nachbiblischer Zeit heilsgeschichtlich überlagerte Wochenfest (Schawuot) dieses theologische Bemühen, wobei hier noch die zunehmende Entfremdung vieler Menschen vom agrarischen Kontext als äußere Rahmenbedingung hinzukam. An diesem klassischen Erntedankfest wurde erst im Frühjudentum die Verbindung des Festes mit den Ereignissen am Sinai vollzogen und Schawuot v.a. durch die notwendige Verlagerung des Festes in die Synagoge nach 70 n.Chr. immer stärker zum Fest der Tora-Übergabe. Dadurch wurde das Handeln Gottes als ein auf das tägliche Leben des Einzelnen über den Erhalt der körperlichen Fähigkeiten hinaus gekennzeichnet, als dass Gott ihm Hilfestellungen für das Leben an die Hand gibt. Weil sich aller 264 Theologisierung zum Trotz bis heute das agrarische Moment des Festes halten konnte und nicht gänzlich überlagert wurde, werden an diesem Tag sowohl die Erntegaben als auch die Tora als Gaben des einen erhaltenden und weisenden Gottes gefeiert. Gestalt in der gottesdienstlichen Praxis findet es insofern, als dass das, die zwei wesentlichen Aspekte des Wochenfestes – Annahme der Tora und die Kornernte – enthaltende Buch Rut gelesen wird. Innerhalb der Festpraxis erscheint Gott so als der den Menschen an Leib und Seele speisende und in der Existenz als Einzelner wie in der Gemeinschaft bewahrende Gott. Irdische Ernte und Geistige Führung bilden so eine Einheit, materielles Auskommen ist immer rückgebunden auf die grundlegende Befreiungstat im Exodus, Gottes Führung und Leitung. Das Neue Testament verfolgt demgegenüber konsequent und stärker diese erweiterte Definition der Gaben und erhebt das Heilshandeln Gottes zur inhaltlichen Mitte des Ernte- wie Dankverständnisses. Χαρις ist der zentrale Ausdruck für die Gnade, die Gott dem Menschen erweist. Zu den Gaben dieser χαρις του θεου zählt dabei natürlich auch das tägliche Brot. Aber eben darüber hinaus auch die durch den Heiligen Geist übermittelten Charismen. Wesentlicher Gegenstand des Dankes stellt jedoch das dem Menschen durch Jesus Christus zukommende Heil dar: die Erlösung des alten Adam von seinem „todverfallenen Leibe“ (Röm 7,24f.), Vergebung der Sünden (Röm 3,25; Eph 1,7), die Errettung von der Macht der Finsternis (Kol 1,12ff.), Anteil am Reich Gottes und der Liebe Gottes, durch Jesu Sieg über den Tod die Auferstehungshoffnung (1. Kor 15,57) und die daraus erwachsene Hoffnung auf ein neues Reich (Hebr 12,28; Offb 21; 22,2f.) bzw. ewiges Leben (Röm 6,23). Auf diese Art der Gaben Gottes wie auch deren Geschenkcharakter weisen auch das Evangelium und die Epistel des Erntedanktages. Lk 12 erinnert den Hörer v.a. durch den Störruf „Du Narr!“ (Lk 12,20) daran, dass es über die materiellen Güter hinaus Gaben Gottes gibt, deren der Mensch bedarf, wie es auch das als Alternative vorgeschlagene Evangelium Mt 6, 25-34 auf den Punkt bringt. Und für Paulus ist in der Argumentation seines Kollektenaufrufes 2. Kor 9 zwar der Verweis auf den irdischen Reichtum nicht ohne Bedeutung. Tragendes Fundament jedoch stellt – so zumindest im Kontext der Epistel – der Reichtum in Christus dar (2. Kor 8,9; 9,8). Die liturgischen Texte nehmen diesen Dank für Gottes Heilshandeln auf. Dazu gehört die durch Christus ermöglichte Gemeinschaft der Gläubigen untereinander wie die Gemeinschaft des Einzelnen mit Gott. Ebenso das Wort Gottes, „das uns die Augen öffnet.“1126 Christliche Existenz ist immer eine Christus verdankte, in Christus gegründete und durch Christus erhaltene Existenz. Einen ähnlichen Weg gehen die liturgischen Texte der katholischen Tradition, die v.a. in Verbindung mit den atl. Lesungen (Am 9,13-15; Neh 8, 1-10; Joel 2,21-27) die Kontinuität von Gottes schöpferischen wie rettenden Handeln betonen. Darin kommt freilich dann auch der 1126 Aus dem Fürbittengebet des EGb, S. 594. 265 Bußgedanke und die stetig gebotene Orientierung des Gläubigen an Gottes Wort auf, wie sie sowohl die Quatemberpredigten Leos I. als auch das heutige Formular kennen. Die Buße und das Wort Gottes sind auch die zwei Aspekte, die im Liedgut innerhalb dieser erweiterten Definition der Gaben präsent sind. So soll der Gläubige im Blick auf die geschenkten Güter erkennen, dass ihm aller Reichtum von Gott sola gratia zukommt und so – neben der Freude über die Gaben – zur Buße und dem Bekenntnis der Sünden geführt werden.1127 Am deutlichsten treten die soteriologischen Aspekte in den analysieren Predigten und Predigtmeditationen zu Tage. PaulUlrich Lenz etwa ordnet dem Regenbogen das Kreuz als weiteres Zeichen der Treue und Liebe Gottes zu, das Gott in seiner Güte über den Menschen aufgerichtet habe. Ähnlich Rainer Lawrenz, der seinen Schwerpunkt auf die vernachlässigte Nahrung für die Seele legt, die als die durch Jesus Christus begründete Hoffnung in den Kreuzesgaben am Altar sichtbar und sinnlich erfahrbar werde. Wenn Christian Möller als Konkretion für die Predigt den Blick auf die Fülle der Gaben Gottes nahe legt, so ist für ihn darin der fröhliche Wechsel von Christi Reichtum und unserer Armut wie er 2. Kor 8,9 von Paulus entfaltet wird, wesentlich. Gerhard Schoenauer wendet sich explizit gegen eine dualistische Anthropologie, in die eine einseitige Ausrichtung des Erntedankfestes führen könne, weswegen es darauf ankomme, den Blick zu öffnen für die Botschaft, dass alles, was Leib und Seele zum Leben benötigt letztlich von Gott kommt. Helmut Eichler gar plädiert für die konsequente Neudeutung des Festes als Tag der helfenden Ökumene, deren Ursprung und Begründung in Christus bestehe. So betont die Feier des Erntedankfestes in Predigt, liturgischen Texten und Liedgut in biblischer Tradition die Untrennbarkeit von Leib und Seele und damit korrespondierend die Einheit von Schöpfungs- und Heilshandeln Gottes. Der Einheit von Leib und Seele entspricht die Einheit von dem Schöpfungshandeln und Heilshandeln Gottes. Es gibt keinen Bereich der menschlichen Existenz, die von Gottes Wirkungsmacht herausgenommen werden kann. Der Mensch wird als Ganzes in seiner Existenz von Gott dem Schöpfer und Gott dem Erlöser gehalten und erhalten. Und so muss festgehalten werden, dass es kein spezifisch christliches bzw. biblisch begründetes Erntedankfest geben kann, das die soteriologischen Aspekte der Erntedankthematik ausklammert. 20.3 Gott der Vollender Der eschatologische Ausblick schwingt dabei in der Rede von Ernte und Dank stets mit als der Blick auf das, was kommt, erwartet, erhofft wird. Das hängt mit Sicherheit mit der soteriologischen Ausdeutung des Kasus zusammen, die die biblische Tradition und in Folge dessen auch die gegenwärtige Praxis mitprägt. Im Alten Testament knüpft sich die Rede von der 1127 Vgl. EG 512,5 und EG 502,3. 266 Ernte an die Hoffnung auf die Restitution Israels durch JHWH. So kennzeichnet der Prophet Amos nach seinen Strafreden über Israel das künftige Heil Israels als Zeit der immerwährenden Ernte, als immerwährende Gemeinschaft mit Gott (Amos 9,13). Und Psalm 126,5f. bekennt hoffnungsvoll: „Die mit Tränen säen werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Gaben.“ Diese Hoffnung findet ihren Ausdruck auch in den Feiern der ursprünglich agrarischen Feste. Während des letzten Segensspruches des Tischgebets des Passah-Seder wird heute oft eingefügt: „Möge der Barmherzige uns den Tag erben lassen, der vollkommen gut ist, den Tag, der für immer dauert, den Tag an dem die Gerechten mit Kronen auf ihren Köpfen dasitzen und das Spiegeln von Gottes Majestät genießen werden.“1128 Es ist eine Anspielung auf die erwartete und erhoffte zukünftige Erlösung, deren Erfüllung der Prophet Elia verkünden wird und die die Wiedersammlung des exilierten jüdischen Volkes in Israel und damit die Verheißung Ex 6,6ff. endgültig verwirklichen wird.1129 Wie das Passahfest in seiner agrarischen Ausrichtung und später auch in der heilsgeschichtlichen Deutung stets Feier des Neuanfangs war, richtet sich die Hoffnung nun auch auf das Neue, das Gott mit seinem Volk mit der Wiederkehr des Elia beginnen wird. Ähnlich hat Sukkot eine eschatologische Prägung erfahren, die v.a. in der prophetischen Literatur ihren Ausdruck findet. So wird Sukkot Sach 14,16 zum Zeichen der Anerkennung der Herrschaft Gottes über alle Welt durch alle Völker. Im Neuen Testament steht über allem Dank für die empfangenen Gaben und aller in der Welt erlebten Bedrängnis die Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in der vollendeter Dank und ewiger Lobpreis das Leben des Gläubigen bestimmt. Das bezieht sich zum Einen auf die individuelle Auferstehungshoffnung, die der einzelne aufgrund der Auferstehung Jesu Christi hat (1. Kor 15,57; 1. Thess 4) wie auch auf die Wiederkunft des Herrn am Ende der Zeiten. Deswegen mahnt der Verfasser des Jakobusbrief seine Gemeinde zur Geduld in der Hoffnung: „So seid nun geduldig, liebe Brüder bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.“ (Jak 5,7) Zugleich zeigt sich der eschatologische Aspekt und damit die eschatologische Existenz des Gläubigen auch in dem Gebrauch des Erntebegriffs für das Ende der Welt und dem damit einhergehenden Gericht Gottes über die Welt (Offb 14,15). In diesem Zusammenhang wird im biblischen Zeugnis das Schon und Noch Nicht der Ernte hervorgehoben. Schon jetzt gilt es zu ernten, von Gott zu empfangen, die Gaben der Schöpfung wie die des Heilshandeln Gottes. Die große Ernte am Ende der Zeiten als endgültige und vollkommene Verwirklichung des Reiches Gottes steht fest, aber noch aus. So tritt in den apokalyptischen Hymnen Offb 7,12 und Offb 11,7 hervor, dass der Dank nicht allein auf diese 1128 1129 Zitiert nach Stern, Gelebte jüdische Feste, S. 183. Vgl. Stern, S. 184. 267 Welt konzentriert ist, sondern sich in gleichem Maße auf das richtet, was der Gläubige aufgrund der ihm von Gott gegebenen Verheißung hofft: dass es zu einem vollendeten Dank und Lobpreis komme, in einer Zeit und an einem Ort, an dem der Mensch in der unmittelbaren Gegenwart Gottes steht (Offb 21). Bis der Herr kommt bestimmt die christliche Existenz der Dank für die durch Jesus Christus begründete Hoffnung auf kommendes Heil, der zugleich auch immer mit der Bitte um endgültige Verwirklichung dieses Heils verbunden ist, weswegen die Offenbarung des Johannes nach den verheißungsvollen Worten über den neuen Himmel und die neue Erde schließt: „Amen, ja, komm, Herr Jesus.“ (Offb 22,20). Die Ernte als Bild für das Ende der Welt korrespondiert darüber hinaus auch mit der Stellung des Erntedankfestes im Natur- und Kirchenjahr in der Blüte des Herbstes, in der Herrlichkeit der Schöpfung und Vergänglichkeit alles Kreatürlichen verstärkt in das Bewusstsein der Gottesdienstbesucher treten. Auch in der ursprünglichen Verankerung des Festes wird diese Zeit als „Endzeit“ deutlich: Nach der Ernte haben die Mühen und Plagen der Arbeit ein Ende, ist die Zeit auszuruhen, zu feiern und fröhlich zu sein, während die Natur sich auf den bevorstehenden Winter vorbereitet. Das Fallen der Blätter, das Vergehen des Sommers und die zeitliche Nähe zum Winter wie die kirchenjahreszeitliche Nähe zum Ewigkeitssonntag nähren das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit des Menschen und lassen an Hiob 5,26 denken: „Und du wirst im Alter zu Grabe kommen, wie Garben eingebracht werden zur rechten Zeit.“ Das Evangelium des Tages Lk 12 bringt durch die harte Ansage „Heute Nacht wird man deine Seele von dir fordern“ (12,20) ja schon diesen individual-eschatologischen Topos ins Spiel, der durch die Stellung des Festes in der Herbstzeit umso stärker erklingt. Angesichts der vor dem Altar ausgebreiteten Gaben wird der Hörer neben der Lebensfülle eben auch „der Möglichkeit von Tod und Leben ansichtig.“1130 Das Schlussgebet des römischen Messbuches bittet deshalb nach der Kommunion: „Herr, in dieser heiligen Feier haben wir für die Ernte gedankt. Schenke uns als Frucht dieses Opfers die ewigen Güter, welche die Erde nicht geben kann.“1131 Und das Entlassgebet des Benediktionale bittet: „Am Ende eurer Jahre schenke er euch das ewige Leben.“1132 In diesem Sinne denken auch die Lieder zum Fest z.T. über die unmittelbaren Gaben der Ernte hinaus und bedenken sowohl die Vergänglichkeit als auch die ein solches memento mori tragende Hoffnung: „Kommt unser Lebensende/so nimm du unsern Geist/in deine Vaterhände,/da er der Ruh genießt,/da ihm kein Leid bewusst;/so ernten wir mit Freuden,/nach ausgestandnem Leiden/die Garben voller Lust.“ (EG 505,6). Ähnlich EG 513 „Das Feld ist weiß“. Auf das memento mori in Strophe 6 folgt die auf Ps 126 Bezug nehmende Bitte: „Am End nimm, Jesu, in die 1130 Ter-Nedden-Amsler, Erntedankfest A, PrSt I/2 (1991), S. 230. Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebiets, S. 1067. 1132 Benediktionale für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes, S. 71. 1131 268 Himmelsscheuern/auch unsre Seelen, Sabbat dort zu feiern./Die hier mit Tränen streuen edlen Samen,/werden mit Freuden droben ernten. Amen.“ (EG 513,7) Die zeitliche wie z.T. auch inhaltliche Nähe des Erntedankfestes zu Michaelis hebt den Aspekt der in dieser Welt bedrängten und hoffenden Schar der Gläubigen hervor. Texte und Lieder nehmen die Lebenswirklichkeit des Kampfes und der Bedrückung auf, stellen sie jedoch in die Perspektive der Verheißung des Sieges Gottes und die Bewahrung der Gläubigen durch die Engel Gottes im Kampf (EG 143,1). Wie der Michaelistag der Kirche schon früh die Gelegenheit bot, sich in ihrem eigenen Kampf mit der Verheißung des endgültigen Sieges Gottes über die bösen Mächte zu trösten, kann die Nähe zum Michaelistag heute dem Erntedankfest dazu verhelfen, auch die Ängste und Befürchtungen derer wahr zu nehmen, die keinen Grund zum Danken sehen und sie zu einem Dank anleiten, der auch das Kämpferische im Leben nicht verschweigt und dabei dennoch alles Leben und Tun in der Hand Gottes weiß. Denn es darf nicht im Klingen des Schöpferlobs und Erntedanks überhört werden, dass die Besucher immer auch aus ihrem konkreten Lebenskontext kommen, der ihnen vielleicht nicht unbedingt Grund zum Danken gibt. Gerade individuelle und globale Leidensgeschichten wie auch die Angst vor der eigenen Vergänglichkeit mag manchen Besucher auch oder gerade am Erntedanktag gefangen halten. Und Werner Thissen merkt zu Recht an, dass es keine angemessene Freude an der Schöpfung und – so möchte ich ergänzen – jeglichen Gaben Gottes geben kann, die an Fragen dieser Art vorbeigeht oder sie ausklammert.1133 Die biblisch-eschatologischen Aspekte der Erntedankthematik können helfen, innerhalb der durch das Liedgut eröffneten Ökumene der Zeiten und im Lichte des Michaelisfestes auch den Müheseligen und Beladenen an diesem Tag gerecht zu werden bzw. sie nicht mit ihren Bedürfnissen auszuklammern, sondern sie in den, auch die Not und das Leid tragendenden, Gott anrufenden und bittenden Lobpreis mit einstimmen zu lassen. Wenn also von Gottes bewahrendem und erhaltendem Handeln am Menschen schon die Rede war, so erstreckt sich dieses Handeln Gottes auch auf das Ende der Kreatürlichkeit und des menschlichen Daseins, das auch im Ende in den Händen Gottes steht. „Am Ende der Welt- und Gottesgeschichte wird dann sein großer und endgültiger Erntedanktag zu feiern sein.“1134 20.4 Resümee: Erntedank als Feier der Güte des dreieinigen Gottes Es wurde deutlich, dass der theologische Ort des Erntedankfestes das Bekenntnis zum dreieinigen Gott ist. Diese Ortsbestimmung erwächst dabei nicht aus der veränderten Situation, in der das Fest heute gefeiert wird, sondern gründet in Schrift und Tradition. In den letzten Jahrzehnten hat das Erntedankfest v.a. aufgrund seiner ursprünglich agrarischen Ausrichtung 1133 1134 Thissen, S. 366. So Klaus-Peter Hertzsch in seiner Predigtmeditation über Jes 58, 7-12 zum Erntedankfest 1999, S. 422. 269 bzw. des sich dieser verdankenden Brauchtums wie etwa der Erntegaben verstärkt zu einem schöpfungstheologisch begründeten Fest entwickelt. Grund hierfür mag auch die Tatsache sein, dass schöpfungstheologische Themen im Kirchenjahr kaum, im Bedürfnis und in den Erwartungen der Gottesdienstbesucher dagegen sehr wohl präsent sind. Doch es kann und darf nicht die Aufgabe des Erntedankfestes sein, diese Lücke zu schließen. Denn der zentrale Kern des Festes stellt nicht ein Artikel des Glaubensbekenntnis dar, sondern die Güte des dreieinigen Gottes und die Reaktion des Menschen auf die Erfahrung dieser Güte. Dass es nichts Neues am Erntedanktag zu predigen gäbe, wie Bern Jörg Diebner kritisiert, liegt lediglich in der einseitigen Ausrichtung, die das Fest in den letzten Jahrzehnten aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Situation erfuhr. Eine ähnliche Verlegenheit würde sich ergeben, wenn nun verstärkt heilsgeschichtliche Aspekte in den Vordergrund träten. Das Erntedankfest nimmt jedoch den Menschen coram Deo et coram mundi wahr und dabei als einen an Leib und Seele Gott Verdankten. Das Handeln Gottes wird in seinem Wirken als Schöpfer, Erlöser und Vollender offenbar und stellt als Handeln pro me Gegenstand des Dankes dar. Der Erntebegriff wird heute nicht mehr in dem exklusiven Sinne verstanden werden können, wie es u.U. früher in einer agrarischen Gesellschaft der Fall war. Jedoch zeigen gerade der biblische Erntebegriff und die geschichtliche Entwicklung des Festes, dass der Erntebegriff auch nie so exklusiv auf den wörtlichen Sinn beschränkt wurde. Der Dank bezog sich stets auf Gottes schaffendes, erhaltendes und rettendes Handeln. Der Dank des Apostels Paulus für die durch den Heiligen Geist verliehenen Charismen weist auch dem Heiligen Geist seinen Platz am Erntedankfest zu, wie es auch in Horst Bracks Erntedanklied „Gottes Geist setzt in Bewegung“ anklingt. Dem Erntedankfest als Feier der Freundlichkeit des dreieinigen Gottes eröffnen sich so neu die alten Perspektiven, dass über die Schöpfungserfahrung hinaus stärker die Lebenswirklichkeit der Feiernden in den Blick genommen wird, sie in ihren Bedürfnissen und ihrer Bedürftigkeit zugleich ernst genommen werden. Denn der Mensch ist von Gott als Leib und Seele geschaffen und was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch, auch nicht am Erntedanktag, scheiden. Der Erntebegriff, das, was der Gottesdienstbesucher konkret an Erntegaben das Jahr über erfahren hat und wofür er am Erntedanktag Gott konkret danken möchte, wird immer der Wandlung unterlegen sein, sich selbst von Jahr zu Jahr verändern. Gleich bleibt, seit Anbeginn der Welt, dass Ernte als Überbegriff für die Zuwendung und die Zuwendungen des dreieinigen Gottes an den Menschen verstanden werden kann. 270 21. Der Mensch als Empfänger der Gaben 21.1 Erntedank ist Annahme Es wurde festgehalten, dass das Bekenntnis zu dem dreieinigen Gott und die Anerkenntnis Gottes als Geber aller Gaben in den Mittelpunkt des Erntedankfestes rücken muss. Darüber hinaus geht es jedoch auch um die Anerkenntnis: das sind Gottes Gaben für mich, also um die Annahme der Gaben. „Dankbarkeit ist demütig genug, sich etwas schenken zu lassen. Der Stolze nimmt nur, was ihm zukommt. Er weigert sich, ein Geschenk zu empfangen. (...) Der Dankbare (...) lässt aber die Freundlichkeit Gottes über sich walten.“1135 Um nichts anderes geht es bei der Feier des Erntedank: darum, die Freundlichkeit Gottes, wie sie symbolisch in den Gaben um den Altar herum für den Gottesdienstbesucher ansichtig wird, über sich walten zu lassen. Deshalb muss der Gottesdienstbesucher den Blick auch nicht vorschnell auf die Nöte anderer richten, sondern darf ganz bei dem verweilen, was Gott ihm an Gaben hat zukommen hat lassen. Im Neuen Testament ist im Gleichnis Jesu vom Aufwachsen der Saat Mk 4,26ff. die Dringlichkeit einer solchen Annahme des von Gott Geschenktem präsent. Anhand des Bildes von der Ernte wird das Reich Gottes als Angebot an den Menschen gekennzeichnet, das es gilt anzunehmen. Evangelium und Epistel des Tages betonen einen verantwortungsvollen und gerechten Umgang mit den Gaben. Dazu ist es jedoch erst von Nöten, diesen materiellen Reichtum als Geschenk Gottes und nicht als Ergebnis eigener Bemühungen zu sehen, wie v.a. 2. Kor 9,8ff. betont. Auch die Opferfeiern des Alten Testamentes setzen die Annahme der dargebrachten Gabe als von Gott gegebene Gaben voraus. Denn ich kann nur dann etwas als Opfer darbringen, wenn ich es mir zuvor zu Eigen gemacht habe bzw. es mir vorher zu Eigen gemacht wurde. So stellen die atl. Opferhandlungen auch keinen Akt der Selbstrechtfertigung dar, sondern die Antwort auf die in den Gaben offenbar werdenden Heilstaten Gottes. Eine solche Vergegenwärtigung der über das Jahr empfangenen Gaben wie auch die daraus erwachsende Erkenntnis, dass nichts im Leben selbstverständlich sei, ist in den analysierten Predigten und Predigtmeditationen bestimmend. Die Lieder zum Fest besingen mit einer Inbrunst die Ernte als ein Geschenk Gottes und laden in die Annahme und Freude darüber ein (EG 502,1; EG 513,1). In diesem Sinne predigen auch die um den Altar herum ausgebreiteten Früchte die Gaben Gottes als Gaben pro me. Wenn Dank und Dankbarkeit als Reaktion auf die Erfahrung des Beschenktseins verstanden werden können, so ist die Annahme der Gabe als Geschenk die logische Vorraussetzung der Dankbarkeit. Dankbarkeit, die nicht in den verhängnisvollen Kreislauf von Empfangen-Wiedergeben-Wiederempfangen geraten will, muss zunächst bei der Annahme des Geschenktem als Geschenktem verweilen. Das Annehmen der Gaben ist eine Form der Dankbarkeit, die sich gegen eine pervertierte Form des Dankens als 1135 Bonhoeffer, Von der Dankbarkeit des Christen, S. 365. 271 gesetzliches Widervergelten wendet.1136 Die Annahme der Gabe als Gabe pro me lässt den Dank als pflichtgeschuldetes „Dankeschön“ außen vor und trägt den Gläubigen in ein Sein in der Dankbarkeit, in dem sich der Mensch als Gott Verdankter begreift. Gerade weil es Menschen schwer fällt etwas „einfach so“, ohne Hintergedanken und eventueller Rückforderung anzunehmen, ist dieser Gedanke zentral für ein spezifisch christliches Erntedankfest. Denn die christliche Existenz lebt davon und hat ihren Grund darin, dass Gottes nicht selbstverständliche Liebe, allen menschlichen Selbstverständlichkeiten widersprechend, immer schon vorausgeht.1137 Das Erntedankfest hat den Dank für das Empfangene zum Inhalt. Diesen Dank abstatten zu können ist das zentrale Anliegen der Gottesdienstbesucher an diesem Festtag. Deshalb muss dem Besucher die Möglichkeit gegeben werden, sich dessen, was ihm sola gratia zukommt, bewusst zu werden und es anzunehmen. Dieser Schritt mag für viele Gottesdienstbesucher schon im Entschluss am Erntedankfest in die Kirche zu gehen, geschehen. Manch einer wird vielleicht erst im Gottesdienst selbst auf das pro me von Gottes Handeln stoßen, manch anderem tut es gut, daran erinnert zu werden. Hierfür muss dem Besucher in einem Gottesdienst, der die sich in den Gaben offenbarende Freundlichkeit Gottes zum Inhalt hat, Raum und Zeit gegeben werden. 21.2 Erntedank ist Freude Ein solches Verweilen bei den Gaben Gottes pro me lässt auch die Freude über diese Gaben zu. Zu oft und zu schnell mag die Freude am Erntedankfest in Appellen zum Teilen oder dem Vorwurf, nicht Teilen zu wollen, untergehen und dadurch der Eindruck entstehen, die Freude über das Geschenkte werde einem nicht gönnt. Die ungerechte Verteilung der Güter in dieser Welt, eine sich zunehmend verschärfende Umweltproblematik, das immer stärker werdende Gefälle zwischen Reich und Arm mittlerweile selbst in Deutschland und damit auch immer stärker im Kontext der Gemeinde – das sind Dinge, die immer wieder in den Mittelpunkt des Festtages rücken. Bisweilen nagt das schlechte Gewissen, will man der Freude über das Empfangene Raum geben. Dabei legt der Mensch, ist er selbst der Gastgeber, doch genau darauf besonderen Wert, dass die Gäste den Abend genießen, sich daran erfreuen. „Wie widersprüchlich wäre, Schöpfung mit allem, was sie uns gibt, nicht mit vollen Zügen lustvoll und ganz zu genießen, stattdessen aber trockene und grüblerische Gebete zum Himmel zu senden“ formuliert Hans Gerhard Behringer den Widerspruch, in dem das Erntedankfest steht.1138 Dagegen plädiert er für ein „Danken durch Genießen“ und in diesem Klang ist auch der Erntedank als Freude an den Gaben Gottes zu verstehen. Die atl. Erntefeste zeugen von dieser den Gläubigen bestimmenden Freude über die von Gott empfangenen Güter. Die Freude stellt zur Erntezeit das 1136 Vgl. Plathow, Danken und Dankbarkeit in der Betrachtung des Glaubens, S. 283. Vgl. Plathow, S. 281. 1138 Behringer, Die Heilkraft der Feste. Der Jahreskreis als Lebenshilfe, S. 301. 1137 272 wesentliche Moment dar (Jes 9,2). Bei der Feier von Passah und Mazzoth steht über die Vergegenwärtigung des Exodus eben auch die Freude über dieses Befreiungshandeln im Zentrum der Feier. Psalm 65, 10-14 spiegelt den Freudencharakter des Wochenfestes wider (vgl. auch Lev 23,40) Eindrücklich erzählt Neh 8,12: „Und alles Volk ging hin, um zu essen, zu trinken und davon auszuteilen und ein großes Freudenfest zu machen; denn sie hatten die Worte verstanden, die man ihnen kundgetan hatte.“ Im Neuen Testament atmet der für Dankbarkeit und Danken verwendete griechische Begriff ευχαριστειν schon vom Wortstamm her die Freude, welche durch die Gabe ausgelöst wird. Diese Freude ist auf Teilnahme aus, vor allem als Festfreude. Dank und Freude, Dank ist Ausdruck der Freude über die χαρις Gottes, die sich dem Menschen auf vielerlei Weise offenbart. Dadurch wird die Unmittelbarkeit des Dankes zum Ausdruck gebracht. Der Dank ist keine von langer Hand geplante Tat der Wiedervergeltung, sondern Ausdruck unmittelbarer Freude über das Geschenkte. Freilich dankt der Besucher an diesem Tag in der Regel für in der Vergangenheit Empfangenes. Jedoch wird er in der Vergegenwärtigung der Gaben Gottes und der Feier der Eucharistie wieder hin zu jener unmittelbaren Ausdruck der Freude und des Dankes geführt, die auch den geheilten Aussätzigen Lk 17 schon Gott mit lauter Stimme preisen ließ. Eine solche Freude durchdringt auch das Brauchtum zum Fest. Der Tag des letzten Schnittes hatte den Charakter eines Ess- und Trinkfestes, an dem getanzt und ausgelassen gefeiert wurde. Der Tanz war dabei Ausdruck der Freude und Erleichterung über die vollbrachte Arbeit. In jüngerer Zeit entdecken mehr und mehr Gemeinden das Erntedankfest als Feier wieder, laden nach dem Gottesdienst zu gemeinsamen Essen ein oder integrieren Elemente des Tanzes in den Gottesdienst selbst. Eine solche Festfreude spiegelt sich z. T. auch im Liedgut wider. Es sei erinnert an Matthäus Appelles von Löwenstern „Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit“ EG 502,1, dessen erste und letzte Strophe mit dem Aufruf endet „Freue dich, Israel, seiner Gnaden“. Freilich, Freude lässt sich nicht verordnen, da verhält es sich wir mit der Liebe. Da nutzt kein noch so dringlicher Appell oder noch so viele Verweise auf die Freude im biblischen Zeugnis. Aber der Freude kann und sollte am Erntedankfest in der Liturgie, in den Liedern und der Predigt Raum und Zeit gegeben und nicht zu schnell durch den Ernst des Lebens überlagert werden. Gerade das Liedgut zum Fest wie der Psalter bieten hier vielfältige Möglichkeiten. 21.3 Erntedank ist Lobpreis „Dankbarkeit sucht über der Gabe den Geber.”1139 Die Annahme der Gaben als Gaben Gottes und die Freude darüber hält den Empfangenden in einer Beziehung zum Geber der Gaben. Eine solche Beziehung zu Gott ist im atl. Dankverständnis bestimmendes Moment. Durch den Dank 1139 Bonhoeffer, S. 365. 273 gewöhnte sich der Mensch daran, sein Herz mit Gott in Verbindung zu bringen und an ihm festzumachen.1140 So können Dank und Dankbarkeit stets als ein Beziehungsgeschehen verstanden werden. Er erfordert eine „Ich-Du-Beziehung“ und richtet sich von dem Empfangenden zum Geber.1141 Die konstatierte Theozentrik des biblischen Dankverständnisses weist Gott als das Gegenüber, als den Empfänger des Dankes aus. Als eine Ausdrucksform dieser Beziehung erscheint exponiert v.a. im Psalter der Lobpreis. In ihm erinnert und vergegenwärtigt der Gläubige die an ihm ergangenen Wohltaten Gottes, bekennt und preist darüber die Herrlichkeit und Güte Gottes. In diesem Sinne müssen Erntedank und Lobpreis als Eins verstanden werden. Mit Westermann wurde auf die Spezifika atl. Dankes hingewiesen. In den Sätzen des Lobens ist stets Gott das Subjekt. Der Lobpreis redet Gott an und redet zugleich von ihm. Er redet zu Gott in der Weise, dass der Lobende in Freude vor den anderen sagt, was Gott an ihm getan hat. Im Loben ist der Mensch ganz auf den gerichtet, den er lobt. Deshalb relativiert sich im Lobpreis jegliche Selbstverabsolutierung des Menschen, denn in ihm wird die allein die menschliche Existenz rettende und erhaltende Zuwendung des barmherzigen Gottes proklamiert. Ein solcher Lobpreis Gottes als Ausrichtung der menschlichen Existenz auf Gott hin umfasst dann auch alle Bereiche des Lebens. Selbst die Klage der Psalmen hat nicht die Selbstdarstellung des Leides zum Mittelpunkt, sondern appelliert an Gott, der das Leid wenden kann, weswegen auch sie das Lob Gottes zum Ziel hat. In gleicher Weise ist die Ausrichtung des Menschen auf Gott hin für das ntl. Dankverständnis konstitutiv. Für Paulus ist das Lob Gottes die einzig angemessene Antwort des Menschen darauf, dass und wie Gott in Christus an ihm gehandelt hat. In dem auf die δοξα θεου ausgerichteten Dankgebet sieht er das Ziel alles christlichen Handelns (2. Kor 9, 11ff.). In den Evangelien ist es v.a. die Heilung der zehn Aussätzigen Lk 17,11-19, die den Dank als lobpreisende Ausrichtung der menschlichen Existenz auf Gott hin beschreibt. Der Geheilte kehrte um und pries Gott mit lauter Stimme. Auch der betende Zöllner Lk 18 ist ein Beispiel des Dankes als Lobpreis, weil hier – selbst in dem Bekenntnis der eigenen Sündhaftigkeit – eine Ausrichtung auf Gott hin geschieht, während der Pharisäer Lk 18 als Beispiel lästerhaften Dankens ganz bei sich und der Rühmung seiner selbst bleibt. Lobpreis aber blickt nicht auf den Menschen und sein Tun, sondern macht Gott groß in seiner Güte am Menschen.1142 Wenn im Vorherigen die Anerkenntnis Gottes als Geber und damit auch der Abhängigkeit des Menschen von diesem Geben Gottes als Voraussetzung festgehalten wurde, so findet sie im 1140 Vgl. Limbeck, Wer Dank opfert, preiset mich, S. 132. Vgl. Thüring, Dankbarkeit. Plädoyer für eine christliche Grundhaltung, S. 191. 1142 Vgl. Bonhoeffer, S. 367: „Es ist verfluchter Pharisäerdank, wenn ich die unverdient empfangene Gabe zum Selbstruhm vor Gott und Menschen missbrauche (Lk 18,9ff.); denn es ist Raub an Gottes Gnade und Verachtung meines Nächsten, wenn ich nur darum eiligst meinen Dank abstatte, um mich von ihm loszukaufen und alsbald wieder in aller Selbstherrlichkeit dazustehen.“ 1141 274 Lobpreis Gottes ihre konkrete Form. Erntedank ist Lobpreis, weil er den expliziten Ausdruck der Anerkenntnis der Abhängigkeit von der Schöpfergüte Gottes darstellt und den Dankenden über die Gaben zum Geber weist, die menschliche Existenz zu einem Leben coram Deo führt. So ist es von Nöten, dass dem Lobpreis in einem Gottesdienst zum Erntedankfest Raum und Zeit gegeben wird, dass der Besucher die Möglichkeit hat, bei dem Lobpreis Gottes zu verweilen. Wie auch die Mehrzahl der untersuchten Gebetstexte und Lieder zum Fest die versammelte Gemeinde in diesen Lobpreis der Herrlichkeit und Güte Gottes einladen: „Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit! Lob ihn mit Schalle, werteste Christenheit!“ (EG 502,1) 21.4 Erntedank ist Gemeinschaftsgeschehen Der Erntedank als Lob Gottes ist damit auch als ein Gemeinschaftsgeschehen charakterisiert. Dank als Lobpreis kann wohl Sache des Einzelnen sein als Bekenntnis der erfahrenen Rettung. Jedoch geschieht der Dank stets in der Gemeinschaft, hat seinen Sitz im Leben im Kult bzw. im Gottesdienst. Hierin liegt auch der Unterschied zu dem Tischgebet, das in der Regel im familiären Umfeld gesprochen wurde und wird. Erntedank beinhaltet als Lobpreis in atl. Tradition die gegenseitige Vergewisserung und das gemeinsame Bekenntnis der Güte Gottes. Die Heilserfahrung des Einzelnen wird im Lobpreis vor der Gemeinschaft zu einem Paradigma der Macht Gottes. Der „einzelne“ Gerettete wird zum Erfahrungszeugen, der in seinem Bekenntnis die Gemeinschaft mit dem Wissen darum erbaut, dass Gottes Wohlgefallen allen aufgrund menschlichen Fehlverhaltens möglichen Zorn überdauert. So wird aus einer Vielzahl individuell Dankender die Gemeinde, die gemeinsam in den Lobpreis Gottes einstimmt und in diesen Akt auch all jene mit hineinnimmt, die an diesem Tag nicht in der Rolle eines Erfahrungszeugen stehen. Im Neuen Testament tritt dieser Aspekt v.a. in der Feier der Eucharistie zu Tage. Die pluralistische Form der Spendeformel 1. Kor 11,24 verdeutlicht, dass es nicht allein um eine Gemeinschaft mit dem Herrn, sondern auch um die Gemeinschaft der Feiernden untereinander geht. Auch die Epistel des Erntedanktages (2. Kor 9) hebt diesen Koinonia-Gedanken hervor, wenn das Ziel der Sammlung nicht allein die Beseitigung materiellen Mangels darstellt, sondern darin liegt, dass viele Gott danken (2. Kor 9,12) und in den Lobpreis des Apostels mit einstimmen (2. Kor 9,15). Selbst die Betonung der Verantwortung des Menschen gegenüber seiner Umwelt ist in den Predigten und Predigtmeditationen stets eingebettet in der weltumfassenden familia dei, die von Gott und sein Handeln gehalten und erhalten wird als sein Leib. Gerhard Schoenauer legt in seiner Predigtmeditation zu 2. Kor 9 den Schwerpunkt auf die aus der Danksagung lebende Gemeinschaft, in der Gottes überschwängliche Gnade an, in und durch jeden einzelnen wirke. Dadurch werde der Erntedankgottesdienst zu einer Feier, in der 275 sich die Gemeinde Gottes im gemeinsamen Loben und Danken, Beten und Singen, Hören und in der Feier der Eucharistie als aus der χαρις Gottes lebende Gemeinschaft manifestiert.1143 Auch die betrachteten atl Erntefeste sind Feiern der Gemeinschaft der Gläubigen in der Gemeinschaft der Gläubigen. Dem gemeinsamen Zug zum Tempel folgte ein gemeinsames Mahl nach der Opferhandlung, zu dem über die Familie hinaus auch Außenstehende eingeladen wurden. Die Thanksgiving-Tradition hat in der gemeinsamen, generationenübergreifenden Feier ihre große Stärke. Ähnlich wurde auch in den Bräuchen zum Erntedank der für das Brauchtum an sich bereits konstatierte gemeinschaftsstiftende Charakter deutlich. Gemeinsam brachte man die Gaben des Feldes in einer Prozession zur Kirche. Das Fest zum Abschluss der Ernte vereinte Gutsbesitzer und einfache Erntearbeiter beim gemeinsamen Festmahl. Matthias Claudius’ Erzählung „Paul Erdmanns Fest“, dem sich „Wir pflügen und wir streuen“ EG 508 verdankt, stellt die Vision eines alle gesellschaftlichen Grenzen überwindenden, gemeinsamen Feierns von Edelmann und Bauer dar. Eine Vision, die innerweltlich noch utopischen Charakter hat, aber in der Feier der Eucharistie, in der Sklave wie Freier, Reicher wie Armer zu dem einen Leib Christi werden, schon Wirklichkeit wird. So bringen auch die Mehrzahl der Lieder zum Fest das Lob, den Dank und die Bitte stets in der 2.Pers. Plural zum Ausdruck (i.e. EG 502,1; EG 505,2; EG 513,7) und kennzeichnen beides als einen Akt des Gläubigen in der Gemeinschaft und der Gemeinschaft als Ganzes. Gerade im Gottesdienst zum Erntedankfest muss diesem Dank als Gemeinschaftshandeln Raum und Zeit gegeben werden, liegt hierin doch der signifikante Unterschied zum täglich zu Hause im privaten, familiären Umfeld gesprochenen Tischgebet. 21.5 Erntedank ist Mitteilung Erntedank als Gemeinschaftshandeln erkennt in all der Freude und des Lobpreises auch die Verantwortung des Menschen innerhalb seiner Umwelt, er hat stets auch eine nach außen gerichtete Dimension. Dem Geschenkcharakter der Ernte entspricht im Alten Testament das Gebot nicht Nachlese zu halten, sondern das übriggebliebene Getreide den Armen und Fremdlingen zu überlassen. (Lev 23,22). Die von Gott empfangene Gaben lenken den Blick stets auch auf die soziale Verantwortung des Menschen, wie es etwa im Buch Rut entfaltet wird. Darüber hinaus findet diese Sorge um die wenig Begüterten in den Erntefesten Gestalt, bei denen die Ärmeren zum Fest- bzw. Opfermahl geladen wurden (Neh 8,10). Auch die ntl. Rede von der Ernte berührt das Gebiet der Ethik. Der Dank gründet in Gott und kehrt zu Gott zurück im Form des Lobpreises, aber auch im Handeln an den Nächsten. In diesem Sinne argumentiert Paulus 2. Kor 9. Auch wenn er in seinem Aufruf zur Kollekte das gnadenreiche Wirken Gottes den Korinthern vor Augen hält, kann der Argumentation durchaus entnommen werden, dass ein 1143 Vgl. Schoenauer, GPM 58 (2003/2004), S. 477. 276 Ausbleiben einer Zuwendung zu anderen Menschen als ein Anzeichen dafür gilt, dass sich die Gnade nicht durchgesetzt hat. Das Tun des Gläubigen trägt zwar keine rechtfertigende Wirkung in sich, aber „wo sich kein verändertes Verhalten zeigt, da ist die Gnade nicht übergeflossen.“1144 In diesem Sinne verbindet auch der dritte Teil des Heidelberger Katechismus „Von der Dankbarkeit“ die Dankbarkeit mit der Ethik: „Wir sollen gute Werke tun, weil Christus, nachdem er uns mit seinem Blut erkauft hat, uns auch durch seinen Heiligen Geist erneuert zu seinem Ebenbild, damit wir mit unserem ganzen Leben uns dankbar gegen Gott für seine Wohltat erweisen und er durch uns gepriesen wird.“1145 Auch das Brauchtum zum Fest zeigt die Verantwortung des Menschen für den Ärmeren auf. Galt die letzte Garbe ursprünglich noch dem Feldgeist, um ihn für das nächste Jahr gütig zu stimmen, so wurde sie im Lauf der Zeit zur Gabe für die Armen des Dorfes. Aus den ersten geernteten Ähren wurde Brot gebacken, das man unter den Armen des Dorfes verteilte. Die sich in jüngerer Zeit entwickelnden Bräuche wie etwa die Aktion „Minibrot“ der katholischen Landjugend oder die Weitergabe der Erntegaben an soziale Einrichtungen, gehen darauf zurück und sind heute ein Ausdruck dieser sozialen Verantwortung, wie sie etwa auch EG 513,5 zur Sprache bringt. In dieser Tradition steht auch der Appell zum Teilen, der in der Mehrzahl der analysierten Predigten, Predigtmeditationen und auch liturgischen Texte ein wesentliches Merkmal darstellt. Dabei entspricht die Begründung zum Teilen wohl der biblischen Tradition: weil Gott reichlich gibt, ist der Mensch fähig und darauf gewiesen, von diesem Reichtum abzugeben. Dass der Appell zum Teilen einen solchen Schwerpunkt einnimmt, mag in den für den Erntedanktag vorgegebenen Predigttexten begründet liegen. Sie haben entweder die Stellung des Menschen zu irdischen Gütern zum Thema (Lk 12; Mt 6) oder rufen ganz explizit zum Teilen auf (Jes 58; Hebr 13; 2. Kor 9). Aufgrund der Bedeutung der Predigt in den reformatorischen Kirchen findet so die Thematik des Teilens ein umso stärkeres Gehör. Dennoch wird festzuhalten bleiben, dass Teilen nicht das Proprium des Erntedankfestes ist, auch wenn es einen Bereich innerhalb des Erntedanks darstellt. So formuliert Gerhard Hennig bewusst plakativ gegen eine zu starke Ethisierung des Festes: „Das Erntedankfest gehört den Gedanken des Dankens und nicht dem ‚Gedanken des Teilens’.“1146 Das Teilen der materiellen Güter ist wichtig und geboten, doch darf es nicht zum Zentrum eines Festes werden, das von seinem Ursprung her die Annahme der und Freude über die Gaben Gottes und darüber den Lobpreis dieser Güte zum Inhalt hat. In der Bestimmung des atl. Dankes als bekennender und erinnernder Lobpreis wurde noch eine andere, nach außen gerichtete Dimension des Dankes deutlich. Hier liegt ein m.E. zentraler Aspekt des Erntedanks als Mitteilung der empfangenen Güter, die über die Abgabe von 1144 Schmidt, Nicht vergeblich empfangen, S. 249. Heidelberger Katechismus, Frage 86. 1146 Hennig, GPM 57 (2002/2003), S. 453. 1145 277 materiellem Reichtum hinaus geht. Im Lobpreis wird die Freudenbotschaft von der rettenden Macht weitergegeben, in der Familie, in der Gemeinde, vor der ganzen Welt. Das Bekenntnis betrifft dabei nicht allein die versammelte Gemeinde, sondern schließt auch die Völker (Ps 18,50) und Nationen (Ps 57,10) mit ein, welchen Gottes Tun verkündet werden soll. Ein solches „Teilen des Glaubensreichtums“, wie es Paul-Ulrich Lenz in seiner Erntedankpredigt zu 2. Kor 9 betont, wurde auch in der Betrachtung des ntl. Erntebegriffes sichtbar. Jesus vergleicht die Verkündigung des Reiches Gottes Mt 9,36ff. mit der Erntearbeit und die Sammlung derer, die zerstreut umherirren wie die Schafe, die keinen Hirten haben, gleicht einem Einbringen der Garben in die Scheune. In diese Aufgabe sind – so legt es die Stellung des Gleichnisses unmittelbar vor der Berufung und Aussendung der Jünger nahe – alle, die Jesus nachfolgen, gestellt. Erntedank ist Mitteilung. Ein Teilen der empfangenen Gaben im Sinne 2. Kor 9 oder des Gebotes Lev 23,22. Und in gleichem Maße ein Mitteilen des Bekenntnisses zu Gott als Geber der Gaben. Beidem sollte am Erntedankfest Raum und Zeit zukommen, denn, so fasst Paul-Ulrich Lenz seine Predigt zusammen: „Wenn die christlichen Kirchen, wenn die einzelnen Christen anfangen, ihren Reichtum mit dem Mangel der Armen in Verbindung zu bringen und geistlich wie materiell zu teilen, dann wird diese Welt ganz neu nach dem Glauben fragen, dann wird sie ganz neu aufmerksam werden auf das Zeugnis von der Liebe Gottes.“1147 21.6 Erntedank ist hoffende Dankbarkeit Erntedank als Mitteilung des Glaubensreichtums hat eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, weil Erntedank stets hoffende Dankbarkeit ist. Aufgrund der Verheißung Gottes und der in der Vergangenheit erfahrenen Güte Gottes erwächst die Hoffnung, dass Gott dem Menschen auch im kommenden Jahr seine Güte zeigen und der Hände Werk segnen wird. Deshalb verband und verbindet sich bis heute sich mit dem Dank für die Ernte stets auch die Bitte um das kommende Jahr (vgl. EG 505,5). In der biblischen Grundlegung wurde das Schon Jetzt und Noch Nicht auch des Ernte- und Dankverständnisses offenbar. Schon jetzt partizipiert der Mensch an dem gütigen, Leib und Seele umfassenden Handeln Gottes. Diese Partizipation trägt den Gläubigen in der Gegenwart und stärkt die Hoffnung auf den nicht mehr enden wollenden Lobpreis nach der großen Ernte am Ende der Zeiten. In dieser hoffenden Dankbarkeit wird die Freude über die Gabe des Heils so groß, dass sie sogar gegenwärtiges Leid übersteigen kann und gerade angesichts der Bedrängnis behauptet werden muss (2. Kor 7,4; 1. Thess 1,6). Schon jetzt kann und soll für die grundlegende wie alltägliche Zuwendung Gottes zum Menschen gedankt werden. Aber die endgültige Rettung und damit die Lage, in der der Mensch nichts anderes mehr zu 1147 Paul-Ulrich Lenz, Z. 121ff. 278 bestellen hat als zu Danken1148, steht noch aus. Danksagung ist damit Grundton der Gegenwart wie der Ewigkeit, der himmlischen Vollendung, wie es die apokalyptischen Doxologien Offb 4,9 und 7,11f. besingen. Der gegenwärtige Dank ist immer auch Prolepse des endgültigen Dankes. Bis dahin steht der Gläubige auch am Erntedanktag in der Zeit des auf Gott und sein Handeln hoffenden Dankes, des Lobpreises und der Bitte. Und diese hoffende Dankbarkeit bietet all jenen Mühseligen und Beladenen einen Platz im Erntedank, deren Dank verstummt ist. Im Alten Testament weist die Doppelbedeutung des Wortes ידהhi. auf den Dank als ein Vertrauensverhältnis. Es beschreibt die Äußerung eines Vertrauens zu JHWH als einem Gott, der den Sündigen nicht verstößt, sondern zu ihm spricht „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.“ (Ps 50,15). Biblischer Dank geht so selbst durch alle Tiefen der Klage hindurch, endet jedoch stets mit dem Lobpreis Gottes, „der seine Macht nicht nur als Schöpfer und König, sondern immer wieder auch als Helfer der Armen und Schwachen bewährt hat“1149, wie es auch im Wochenspruch zum Erntedankfest zum Ausdruck kommt (Ps 145,15). Dieser hoffenden Dankbarkeit muss am Erntedankfest Raum und Zeit gegeben werden, damit sich die Feier der Freundlichkeit Gottes nicht in einer naiv-fröhlichen Schöpfungsfeier erschöpft, in der den Mühseligen und Beladenen ihr eigenes Defizit um so stärker aufgewiesen wird und sie in ihrer „Dankunfähigkeit/Danklosigkeit“ nur noch bestätigt werden. Statt dessen gilt es, sie durch das von den Erfahrungszeugen gesprochene Lob- und Dankgebet im Horizont der Verheißung Gottes in das Geschehen des Dankens und Loben hinein zu nehmen, von der Hoffnungslosigkeit in die hoffende Dankbarkeit zu führen, die sich trotz aller Bedrängnis von der Zusage Gottes getragen weiß. 22. Vom Dankenlernen und Nichtdankenkönnen Vom Wofür und Wie des Dankens zum Dass des Dankens Das Erntedankfest hat also wie gesehen den Dank für die Gaben des dreieinigen Gottes zum Ausgangspunkt bzw. zum Inhalt. Der Dank für die Gaben des dreieinigen Gottes kann sich dabei in vielerlei Gestalt äußern. Er geht von der Annahme der Gaben als Gaben Gottes pro me aus und führt über die Freude darüber zum Lobpreis Gottes in der Gemeinschaft der empfangenden Gläubigen, die aufgrund der Vergegenwärtigung der Güte Gottes sich ihrer Verantwortung für die Umwelt, Natur wie Mitmensch, bewusst werden und Hoffnung schöpfen, auch weiterhin am gütigen Handeln Gottes zu partizipieren, das sich selbst über den Tod hinaus erstreckt. 1148 1149 So beschreibt Sören Kierkegaard die Ewigkeit. Vgl. Thürig, S. 197. Rolf Rendtorff, Theologie des Alten Testaments I, S. 311, zitiert nach Janowski, S. 303. 279 Es wurde jedoch auch deutlich, dass die Problematik des Festes v.a. dann zu Tage tritt, wenn der Schwerpunkt auf die Explikation der Frage nach dem Wofür des Dankes gelegt wird. Denn dadurch entsteht erst die Gefahr einer Kluft zwischen erstem und zweiten Glaubensartikel und die Verlegenheit bzw. Schwierigkeit der Integration eines ursprünglich agrarisch verwurzeltem Fest in einem heilsgeschichtlich angeordneten Kirchenjahr. Die ursprüngliche Begehung des Festes im agrarischen Kontext sah den kreatürlichen Aspekt des Menschseins mit seiner christlichen Existenz untrennbar miteinander verbunden als Einheit, das Handeln Gottes des Schöpfers wurde in gleichem Maße vergegenwärtigt und war Gegenstand des Dankes wie das Handeln Gottes des Erlösers. Die theologischen Topoi von Schöpfung und Erlösung bildeten im ursprünglichen Kontext auch in der Lebens- und Erfahrungswirklichkeit der Menschen eine Einheit. In diesem Sinne bildeten auch die Ausdrucksformen des Dankes als freudiger, in Gemeinschaft geschehender Lobpreis Gottes, der auch die Verantwortung des Mensch für seine Umwelt und seine Hoffnung umfasste, eine Einheit. Durch die sukzessive Auflösung einer agrarisch geprägten Gesellschaft ist diese Einheit auseinandergeraten und das Bemühen um das Erntedankfest erschöpfte sich oft darin, den Erntebegriff neu zu definieren, den neuen Gegebenheiten anzupassen und die Legitimität des Festes aus dieser Neubestimmung des Erntebegriffs abzuleiten. So erst konnten sich in der gottesdienstlichen Landschaft zwei Lager herausbilden. Die Einen versuchten den kreatürlichen Aspekt der ursprünglichen Erntedankthematik stärker hervorzuheben. Unterstützt wurden sie dabei von dem Bedürfnis der Gottesdienstbesucher, als Mensch in ihrer Kreatürlichkeit und in ihrer Stellung in der Natur bzw. Schöpfung im gottesdienstlichen Leben berücksichtigt zu werden. Gerade letzteres hat dazu geführt, dass das Erntedankfest heute oft als Schöpfungsfeier erscheint. Auch deshalb, weil die Schöpfung und der Mensch als Teil der Schöpfung im übrigen Kirchenjahr kaum zu Tage tritt. Auf der anderen Seite erhob die „Gegenseite“ das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus als das für die christliche Existenz grundlegendes Handeln Gottes als den eigentlichen Grund des Festes. Beiden Wegen das Erntedankfest zu feiern war gemein, dass in Bezug auf das Wie des Dankens verstärkt der Blick auf die Verantwortung des Menschen für die ihm anvertrauten Gaben folgte – sei es aufgrund des Teilens als Grundzug christlicher Lebensführung oder als Schöpfungsauftrag im Sinne Gen 1,26ff. Das EGb nennt als Proprium des Tages dann auch das Teilen1150, auch wenn die Mitteilung der von Gott empfangenen Gaben nur einen Aspekt des Erntedanks darstellt. Auf dem Hintergrund der Überlegungen über das Wofür des Dankens und das Wie des Dankens mag ein Weg das Erntedankfest heute zu feiern der Blick auf das Bedürfnis der Gottesdienstbesucher, ihrem Dank Ausdruck zu verleihen, darstellen. Über das Wofür des 1150 EGb, S. 714f. 280 Dankens wird sich der Besucher im Vorfeld meist schon Gedanken gemacht haben. Im besten Fall wird die Predigt als Explikation der Gründe zum Danken diese Gedanken treffend zur Sprache bringen. Oder aber dem Besucher vor Augen führen, was er in seinen Überlegungen zum Dank versäumt hat mit einzubeziehen und damit seine Gründe zur Dankbarkeit relativieren oder gar abwerten. Deshalb gilt es zunächst neben seinem Bedürfnis zu Danken auch das, wofür er danken will, ernst zu nehmen und nicht durch andere Gründe dankbar zu sein zu verdecken. Der Gottesdienstbesucher kommt, um für konkrete Gaben, welche es auch immer für ihn sein mögen, zu danken. Zu kurz greift die Konstatierung einer Dankvergessenheit.1151 Eher müsste man m.E. im Blick auf den Kasus Erntedank von einer Dankverlegenheit sprechen. Denn dass der Gottesdienstbesucher bereit ist zu danken, tut er mit dem Besuch des Gottesdienstes kund. Nun muss ihm aber auch die Möglichkeit gegeben werden diesen, seinen eigenen, konkreten persönlichen Dank laut werden zu lassen. Das Erntedankfest hat deshalb weder eine Abhandlung darüber, wofür man dankbar sein kann oder sein sollte zum Proprium noch eine Darlegung der vielen Möglichkeiten des Dankens. Das Proprium des Erntedankfestes ist der Dank, also das Dass des Dankens. Und der Gottesdienst zum Erntedankfest sollte den Besucher zum Dank einladen, einladen in den Dank einzustimmen und dafür dem Besucher Ausdrucksformen des Dankes anbieten, durch die er seinem ganz persönlichen Dank an den dreieinigen Gott Ausdruck verleihen kann. Erntedank als Einübung in das Danken Wie das Brauchtum als eine Grammatik des Handelns verstanden werden kann, die dem Feiernden verhilft das Fest zu feiern ohne erst lange nach möglichen Formen zu suchen, so kann die Feier des Erntedankfestes eine Grammatik des Dankens bereit halten, die dem Gläubigen verhilft, Formen des Dankens zu lernen und einzuüben, die ihm über die punktuelle Feier des Festes hinaus erhalten bleiben und in den Alltag hineinreichen. Wie es das Brauchtum versteht Gotteserfahrung auf eine angemessene Weise zugänglich zu machen, ja auch im Alltag des Menschen zu verorten, so muss das Erntedankfest die Aufgabe erfüllen, das Dass des Dankens in der Praxis zugänglich und erfahrbar zu machen. Es geht darum, dem Dank eine Sprache zu geben. Gerade weil als Ausweg aus der Frage nach dem Wie des Dankens oft der Weg in das Teilen der Güter gewählt wurde, steht mancher Besucher vor dem Problem Danken zu wollen, aber nicht Danken zu können. Er will Danken, aber ihm fehlen oft die Ausdrucksmöglichkeiten dazu, die über den Griff in den Geldbeutel hinausgehen. Die Relevanz des Erntedankfestes entscheidet sich deshalb nicht an der inhaltlichen Bestimmung des Erntebegriffs. Es wird nicht auf fruchtbaren Boden stoßen, den Menschen vorzuschreiben, wofür sie als Christen dankbar 1151 Vgl. Plathow, S. 274. 281 sein sollten. Die Relevanz des Festes entscheidet sich am Dank der Gemeinde bzw. daran ob und wie der Dank des Einzelnen in der Gemeinschaft laut werden kann. Die Besonderheit des Erntedanktages liegt nicht allein in seiner Nähe zur Kreatürlichkeit von Mensch und Welt. In der Regel wird der Gottesdienst besucht, um etwas zu empfangen. Am Erntedanktag kommt der Gläubige, um etwas zu bringen, vor Gott zu bringen: seinen Dank. An keinem anderen Tag im Kirchenjahr kommt er mit einem solchen Bedürfnis selbst aktiv zu werden. Freilich kann er das im sonntäglichen Gottesdienst durch die gemeinsam gesprochenen Texte und die gemeinsam gesungenen Lieder. Am Erntedanktag will er aber explizit mit seiner eigenen Dankgeschichte zu Wort kommen. Das Bedürfnis dazu entspringt nicht aus dem eigenen Vermögen, sondern aus der Zuwendung und den Zuwendungen des dreieinigen Gottes. Dankbarkeit als dankbare Gesinnung und das Bedürfnis dieser Ausdruck zu verleihen hat seinen Grund außerhalb meiner selbst. Dankbarkeit als konkreter Ausdruck meiner dankbaren Gesinnung kann und muss hingegen gelernt und geübt werden. Wie all das, was Gott dem Menschen an Gutem zukommen lässt im Kirchenjahr seinen festen Platz hat, so muss auch die Reaktion des Menschen darauf seinen festen Platz im Kirchenjahr zugestanden werden. Das Erntedankfest hat dabei freilich nicht die Aufgabe zu erfüllen, einziger Ort der Danksagung zu sein. Der Dank an Gott hat im sonntäglichen Gottesdienst seinen festen Platz, im Eingangsteil wie im Fürbittengebet. Der Dank für die Taten Gottes pro me erklingt in jeder Vergegenwärtigung dieser Taten und findet ihren konkreten Ausdruck in der Feier der Eucharistie. Das Erntedankfest kann und soll auch nicht das familiäre Tischgebet ersetzen. Die Aufgabe des Erntedankfestes ist es, Sprachformen des Dankes zu vermitteln bzw. anzubieten, die dann auch im Alltag immer wieder in Gebrauch genommen werden können. Denn „wir können Gott nichts anderes geben als Lob und Dank, zumal wir alles andere von ihm empfangen, es sei Gnade, Wort, Werk, Evangelium, Glaube und alle Dinge. Das ist auch der einzige, rechte, christliche Gottesdienst: Loben und Danken.“1152 Aber dieser rechte Gottesdienst will gelernt sein. Wie auch die Konfirmanden während der Konfirmandenzeit in die gottesdienstliche Praxis eingeführt werden und durch die Gottesdienstbesuche lernen, im Gottesdienst sich zurecht zu finden, so kann auch das Erntedankfest eine Einübung in den rechten, christlichen Gottesdienst darstellen, eine Einübung in das Loben und Danken. Dank wird laut, Dank wird gelernt, auch und gerade dann, wenn die Frage „Wie kann ich danken?“ im Angesicht eigener wie fremder Armut oder des eigenen persönlichen Leides laut wird. Denn das atl. Dankverständnis weist den Dank als Vertrauensverhältnis aus, das über den Lobpreis der Taten Gottes auch die auf der Verheißung Gottes gründende Hoffnung auf seine Zuwendung zum Ausdruck bringt. Deswegen geht es am Erntedankfest weniger um eine 1152 Martin Luther WA 10 I 2,61,2-6. 282 Einübung einer Haltung der Dankbarkeit, sondern vielmehr darum einzuüben, dem Dank als Vertrauensverhältnis Ausdruck zu verleihen, ihm Gestalt zu geben und dadurch über ein bloßes Wissens um das Danken zur Praxis des Danken zu führen. „Wer Dank opfert, der preiset mich“ besingt Psalm 50,23. Den Gläubigen des Alten Testamentes war als Grammatik des Dankens das Dankopfer bzw. das Danklied vorgegeben. „Indem sie Jahwe opferten, gewöhnten sich die Menschen in Israel also daran, ihr Herz, d.h. ihre Freude und Sorge, ihr Hoffen und Bitten und Danken mit Gott in Verbindung zu bringen und an ihm festzumachen.“1153 Die punktuelle Feier des Dankes hatte damit über die Feier hinaus gehende Wirkung. Denn die Opferfeiern übten den Gläubigen darin ein, „sich gerade mit ihren positiven Regungen und Empfindungen zu Jahwe auf den Weg zu machen und ihn als die tragende Kraft ihres Lebens, sich selbst und ihren Mitmenschen zu bezeugen. Und darüber hinaus schufen sie im Zeichen des Mahles Israel zugleich die Möglichkeit, sich der hilfreichen, wohlwollenden Nähe ihres Gottes inne zu werden und immer aufs neue zu vergewissern.“1154 Wie das Alte Testament durch das Danklied und das Dankopfer dem Einzelnen Formen bot, seinem Dank Ausdruck zu verleihen, ohne den konkreten auf das persönliche Leben bezogenen Inhalt vorzugeben (denn wofür der Betende bzw. Opfernde dankte war ja individuell verschieden, Gemeinsamkeit bestand jedoch in dem Verständnis des Erfahrenen als Gottes rettendes bzw. erhaltendes Handeln), so muss es auch die Aufgabe des Erntedankfestes sein, Ausdrucksformen des Dankes zu eröffnen, die es dem Einzelnen ermöglichen, mit seiner je eigener Dankgeschichte vor Gott zu treten. So kann das Erntedankfest dem Dankenden dazu verhelfen, wegzukommen von einem pflichtgeschuldeten „Dankeschön“ und der Entfremdung des Dankens durch ein verhängnisvolles Schema der Wiedervergeltung zu wehren, als ob Gott nur dann gebe, wenn der Mensch vorher ein Erntedankfest gefeiert hätte, und (wieder) in jene Dreiecksverbindung des biblischen Dankens zu gelangen, „bei der Freude und Dank die Basis und das Lob die Spitze bilden.“1155 Dank mit Herzen, Mund und Händen – über die Leiblichkeit des Dankes Der Dank des Erntedankfestes hat in biblischer Tradition das Ziel, Gott und sein Handeln am Menschen in seinem Leben groß zu machen, ihn bekennend zu preisen. Weil sich dieses Handeln Gottes auf Leib und Seele bezieht, ist die Ausdrucksform des Dankes ein Dank mit Leib und Seele, mit Herzen, Mund und Händen (vgl. EG 321,1). Am Erntedankfest geht es deshalb auch konkret um die Leiblichkeit des Dankes. Denn auch die Seele bezeichnet nach biblischen Verständnis „keine unkörperliche Substanz“, sondern bleibt „an die leibliche Konkretion 1153 Limbeck, S. 132. Limbeck, S. 133. 1155 Fangmeier, Hermeneutische Überlegung zu Dank/Lob, S. 249. 1154 283 gebunden.“1156 Leiblichkeit beschreibt dabei nicht allein die Körperlichkeit des Menschen, sondern umfasst auch die Empfindungen, Gedanken und Emotionen des Menschen.1157 Dankbarkeit ist also weit mehr als ein Wissen um die Gründe dankbar zu sein. Danken heißt nicht allein im Gottesdienst ein Dankgebet zu sprechen, das die Gründe der Dankbarkeit benennt. Danken bedeutet, sich mit seiner Existenz vor Gott zu bringen und ihm mit seiner ganzen Existenz, mit Leib und Seele zu danken. Beim atl. Dankopfer war auch der Mensch als ganzer involviert, beginnend mit dem gemeinsamen Zug zum Tempel über die Darbringung des Opfers bis zu dem sich anschließenden gemeinsamen Opfermahl. Dank war ein Ereignis, sicherlich punktuell, aber mit Wirkung in den Alltag hinein. Ähnlich auch im Neuen Testament. Erst aus der Unmittelbarkeit des Dankes – aufgrund der Wunder Jesu oder in der Feier des Herrenmahls – konnte die Forderung nach einem von Dank bestimmten Leben im Alltag laut werden. Erst aufgrund einer solchen den Menschen als Leib und Seele erfassenden Form des Dankes kann der Epheser- und der Kolosserbrief seine Ermahnung „Sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles“ vor die Haustafel setzen (Eph 5,20; Kol 317). Diese Leiblichkeit des Dankes bzw. dessen Ausdrucksformen zu berücksichtigen bedeutet nicht, sich den Erwartungen und Wünschen der Gottesdienstbesucher nach Miteinbeziehung der Leiblichkeit zu unterwerfen, sondern lediglich das biblische Menschenbild als Einheit von Leib und Seele auch den Überlegungen zur Ausdrucksform des Dankes zugrunde zu legen. In dieser Leiblichkeit des Dankes bzw. dessen Ausdrucksformen wird Christian Grethleins Impuls zur sinnlichen Predigt auch für die Feier des Erntedankes fruchtbar gemacht werden können. „Die im protestantischen Gottesdienst übliche Hochschätzung des Gehörsinns“1158 wird durchbrochen, der Mensch wird im Gottesdienst dazu angeleitet sich selbst mit seiner Existenz, mit all seinen Sinnen einzubringen. Dadurch wird die Gemeinde „zu einem durch auditive und visuelle, vielleicht gelegentlich haptische, odoratische oder gustatorische Impulse angeregten, vertieften Verstehen eingeladen.“ Sie nimmt dadurch nicht nur produktiv an der Verkündigungsaufgabe, sondern auch aktiv, mit Herzen, Mund und Händen am Dankgeschehen teil.1159 So kann der Gefahr gewehrt werden, dass sich der Dank am Erntedankfest in einem Sagen von Wörtern erschöpft, sondern statt dessen zu einem Akt des Menschen als Leib und Seele wird. 1156 Vgl. Schoberth, Einführung in die theologische Anthropologie, S. 110. Vgl. Schoberth, S. 137: „Leiblichkeit umfasst das Leben in der Welt mitsamt der Affektivität, den Gefühlen und Stimmungen ebenso wie dem gemeinsamen Leben und Handeln.“ 1158 Grethlein, Sinnlich Predigen, S. 233. 1159 Grethlein, Sinnlich predigen, S. 236f. 1157 284 23. Konkretionen für die Praxis Nach der Frage des Wofür und des Wie des Dankes, die zur Bedeutung des Dass des Dankens für die Feier des Erntedankfestes führte, gilt es nun Konkretionen für die Praxis zu entwickeln, die Hilfestellungen sein wollen für ein Einüben in die Praxis eines Dankens mit Herzen, Mund und Händen. Dabei soll zunächst der Gottesdienst, dessen liturgische und homiletische Akzente betrachtet werden. Im Anschluss daran soll ein Blick auf die Integration des Feiertages mit seinem Gottesdienst im Leben der Gemeinde geworfen werden. 23.1 Der Gottesdienst und seine Form 23.1.1 Die Predigt Es wurde zu Beginn dieser Arbeit bereits festgehalten, dass eine Schwierigkeit des Erntedankfestes darin besteht, dass ihm keine konkrete biblische Geschichte zugrunde liegt wie es bei den anderen kirchenjahreszeitlichen Festen wie etwa Weihnachten, Ostern oder Pfingsten der Fall ist, die sich an dem Leben Jesu bzw. den Anfängen der Kirche orientieren. Das hat zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Predigt an diesem Tag. Der Predigende steht hier vor der Herausforderung, einen Kasus zu predigen, ohne dass er sich an einer konkreten Gründungsgeschichte des Festes orientieren kann. Darüber hinaus wartet das biblische Ernteund Dankverständnis wie die Tradition des Erntedankfestes mit einer Unmenge von Themen und Assoziationen auf. Und schließlich seien die unterschiedlichen Erfahrungen der Gottesdienstbesucher an diesem Tag und damit einhergehend ihre Erwartungen an die Predigt genannt. Gerade deshalb ist eine gründliche Predigtvorbereitung notwendig, um die Hörerinnen und Hörer nicht mit der Fülle möglicher Themen zum Erntedank zu überfordern. Die bisherigen Überlegungen berücksichtigend können für eine Predigt folgende Aspekte von Bedeutung sein. ● „Kein Aufruf zum Danken“: Eine Feier, deren zentraler Bestandteil die Freundlichkeit Gottes zum Menschen ist, darf in einem ihrer gottesdienstlichen Schwerpunkte, den die Predigt gerade im protestantischem Raum und in den Erwartungen der Besucher an diesem Tag noch immer darstellt, die Freude über die Güte Gottes nicht durch einen zu schnellen und fordernden Blick von ihr weg verdrängen. Das bezieht sich einmal auf die Aufrufe zum Dankbarsein. Eine solche Botschaft in der Predigt laut werden zu lassen hieße Eulen nach Athen zu tragen, denn die Besucher an diesem Tag haben in der Regel ohnehin aus genau diesem Grund den Gottesdienst aufgesucht, um ihren Gefühlen der Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen, weswegen sie weder an den Kasus („Wir feiern heute Erntedankfest“) noch an das Danken erinnert werden müssen („Deshalb wollen wir nicht vergessen dankbar zu sein!“). ● „Kein Appell zum Teilen“: Ebenso wenig darf sich eine Predigt zum Erntedank in Appellen zum Teilen erschöpfen. Das Teilen und Mitteilen der von Gott empfangenen Güter ist ohne 285 Frage wichtig und geboten, stellt jedoch nicht den Schwerpunkt des Tages dar. Teilen mag eine Folge der Dankbarkeit sein, Danken ist aber nicht gleich Teilen. Eine solche Gleichsetzung würde dem biblischen Zeugnis ebenso wenig Rechnung tragen wie dem Bedürfnis der Gottesdienstbesucher Gott für das Empfangene zu danken. Die mahnende Stimme des Predigers hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft genug zu einer Ethisierung des Erntedankfestes geführt. Die um den Altar herum ausgebreiteten Feldfrüchte symbolisierten nicht mehr die Freundlichkeit Gottes zum Menschen, sondern wurden zu Anklägern der Gottesdienstbesucher, die am reich gedeckten Tischen sitzen, während andere in der Welt Hunger leiden. Diese Spannung mag freilich am Erntedankfest in der Luft liegen – sie ist jedoch nicht der Grund des Festes. Vor einem Appell zum Teilen in der Predigt am Erntedankfest ist darüber hinaus zu bedenken, dass der Großteil der Gottesdienstbesucher ohnehin gewohnt sein wird, zu spenden. Sei es punktuell in der weihnachtlichen Spendenzeit oder im Rahmen der Kollekte während des Gottesdienstes. Ebenso hat die Zurechtweisung des Menschen bezüglich seines Umgangs mit der Schöpfung an diesem Tag allenfalls eine untergeordnete Rolle, ist sie doch eher dem 15. Sonntag nach Trinitatis zuzuordnen. Ein Blick auf die Stellung des Erntedankfestes im Kirchenjahr mag hier hilfreich sein, altgewohnte mit dem Erntedankfest verbundene Denkweisen zu verlassen und sich neu mit dem Kasus in seiner grundlegenden Bedeutung auseinander zusetzen. ● „Der Mensch als Leib und Seele“: Auch eine zu starke Konzentration auf die heilsgeschichtlichen Aspekte der Thematik, die vor allem durch die vorgegebenen Predigttexte gegeben sind, hat ihren Platz nicht am Erntedankfest. Freilich gründet die christliche Existenz in der Heilstat Gottes in Jesus Christus. Aber jeder Sonntag im Kirchenjahr hat nicht ohne Grund sein je eigenes Proprium. Wenn am Weihnachtsfest die Geburt Jesu als Geburt des Retters und Erlösers gefeiert wird, ist dies auch nur möglich, weil der Gläubige von Ostern her das neugeborene Kind im Stall von Bethlehem als den neugeborenen Messias kennt und anerkennt. Und dennoch käme niemand auf die Idee am Heilig Abend in den Ruf „Christ ist erstanden“ einzustimmen, auch wenn dieses Glaubensbekenntnis mitschwingt. Der Erntedanktag gründet in erster Linie in dem Bedürfnis der Menschen, Gott für das aus seiner Hand Empfangene zu danken. Dabei wurde festgestellt, dass sich dieses Handeln Gottes auf den Menschen und zwar auf ihn als Leib und Seele, bezieht, also freilich auch Gottes Heilshandeln am Menschen mit einschließt, jedoch nicht sich darin erschöpft. Schöpfungs- und Erlösungshandeln Gottes wird gerade am Erntedanktag als eins gedacht werden müssen. Wie sich das biblische Zeugnis gegen eine dualistische Anthropologie wendet, nimmt auch das Erntedankfest bewusst Stellung gegen eine einseitige Betrachtung des Menschen und hebt ihn als ein an Leib und Seele von Gott Abhängigen hervor. Zu beachten ist dabei freilich auch, dass die Predigt sich nicht auf den 286 Lobpreis der Schöpfung beschränkt. Die Schöpfung Gottes ist zentraler Bestandteil, der jedoch eingebettet ist in den größeren Kontext der sich in den Gaben Gottes des Schöpfers und Erlösers offenbarende Liebe Gottes zum Menschen. Dieses Fundament schützt vor zu kognitiv gehaltenen heilsgeschichtlichen Ausdeutung der Gaben wie vor einer einseitigen Beschreibung der Schöpfung Gottes. ● „Zum Umgang mit den Predigttexten“: Diesem Anliegen gerecht zu werden verlangt eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Predigttexten v.a. deshalb, weil durch sie in der Regel die soteriologische und ethische Akzentuierung in das Fest hineingetragen wird. Gerade das Evangelium des Tages, Lk 12, (13-14)15-21 evoziert durch seinen befremdlich wie bedrohlich klingendem Ruf „Heute nacht wird man deine Seele von dir fordern“ das Bedürfnis nach Harmonisierung an einem eigentlich freudigen Feiertag. In jüngster Zeit werden die Stimmen lauter, das Evangelium des Erntedanktages Lk 12, (13-14)15-21 durch die bereits als Alternative vorgeschlagene Lesung Mt 6, 25-34 zu ersetzen. In der Aussage sind sich beide Texte ähnlich. Beiden geht es um die Stellung des Menschen zu den irdischen Gütern und laufen letztlich auf den Zuspruch bzw. Aufruf „Sorget euch nicht“ hinaus (Mt 6,34; Lk 12,22). Mt 6 hätte den Vorteil, dass die Perikope aus der Bergpredigt allein vom Sprachduktus und nicht minder von der Metaphorik her dem Kasus und den an ihn seitens der Besucher gestellten Erwartungen eher entsprechen würde. 2. Kor 9 gilt es sich der Argumentation des Apostels anzunähern, der es nicht ausschließlich um die weiter zu gebende Gabe geht, sondern um den von Gott reich und dadurch fröhlich gemachten Geber der Gaben. Die Aufforderung, dass man doch gefälligst dankbar sein oder von den empfangenen Gütern abgeben solle, bewirkt mit Sicherheit nicht das, was Paulus einen fröhlichen Geber nennt. Im Blick auf die Predigttexte bleibt es jedoch verwunderlich, dass kein einziger konkret die Erntedankthematik beinhaltet. Sie stellen für den Prediger insofern eine Herausforderung dar, als dass sie erst mühsam mit dem Kasus in Verbindung gebracht werden müssen. Dabei besteht die Gefahr, dass der Kasus unter den Tisch fällt und nur eine untergeordnete Rolle spielt. Auch wenn die Zuordnung der Predigttexte zu den einzelnen Sonntagen nicht ohne Grund geschehen sein mag, so sei hier auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, auf Alternativen zurückzugreifen, die dem Kasus eher entsprechen. Zu überlegen wäre etwa die Beschreibung des Sukkot Neh 8, in der sowohl die heilsgeschichtliche Dimension als auch der ethisch-soziale Aspekt anklingen, im Mittelpunkt jedoch die freudige Feier der Freundlichkeit Gottes zum Menschen steht. Auch eine Beschreibung atl. Erntefeste aus dem ohnehin in der Predigtlandschaft vernachlässigten Buch Leviticus oder die Verheißung Joel 2 wären denkbar. ● Kasuspredigt oder Textpredigt? An keinem anderen Festtag wird diese Fragestellung aufgrund der vorgegebenen Predigttexte derart in den Vordergrund treten, da die vorgegebenen 287 Texte den Kasus nicht explizit berücksichtigen. Dabei steht vor allem das Erntedankfest in der Gefahr, dass der Text den Kasus verdrängt oder umgekehrt. Der Predigende mag sich genötigt fühlen zwischen dem, mit den Erwartungen der Besucher ohnehin allzu mächtig scheinenden Kasus und den doch eher dem Kasus „entgegengesetzten“ stark heilsgeschichtlich orientierten Texten zu entscheiden. Als Ergebnis mag die Predigt eine heilsgeschichtliche Interpretation des Kasus präferieren (bei dem dann der kreatürliche Aspekt zu kurz kommt oder gar nicht in Erscheinung tritt), eine Abhandlung der Herrlichkeit von Gottes Schöpfung beinhalten oder aus Angst, einen zentralen Aspekt unbeachtet zu lassen, mit einer Fülle schöpfungstheologischer und soteriologischer Assoziationen zum Kasus aufwarten. In allen Fällen jedoch läuft die Predigt Gefahr, eher das Kognitive zu bestärken, Dankbarkeit theologisch zu begründen, als dass sie dem Dank der Besucher sein Recht, seinen Raum zugesteht. Ebenso wenig wird eine Aufzählung dessen, wofür der Besucher an diesem Tag dankbar sein sollte, weiterhelfen. Die Predigt muss das Bedürfnis der Hörer, ihrer Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen, Rechnung tragen. Sie sollte den Hörer zur Dankbarkeit führen und sie ihm nicht verordnen oder befehlen. Stärker als u.U. an anderen kirchenjahreszeitlichen Feiertagen ist es in der Vorbereitung einer Predigt zum Erntedankfest von Nöten, die Erwartungen und die Bedürfnisse der Gottesdienstbesucher im Blick zu haben. Sie kommen, um ihrem Dank Ausdruck zu verleihen. Zum Anderen kann ein Blick auf das biblische Ernte- und Dankverständnis helfen, sich dem Kasus wieder neu anzunähern und seiner Berechtigung im Kirchenjahr bewusst zu werden. Dadurch kann die Predigt vom Appell zur Einladung werden. Dann ruft die Predigt am Erntedanktag nicht auf zum Danken oder Teilen, sondern lädt die Hörerinnen und Hörer dazu ein, sich ihrer Dankbarkeit bewusst zu werden, ihr Raum zu geben und schließlich Ausdruck zu verleihen. ● Zum Dank einladend predigen: Zum Dank einladend predigen kann geschehen, wenn der Prediger in Anlehnung an das atl. Dankverständnis selbst zum Erfahrungszeugen der Güte Gottes wird, wie z.B. Jörg Arndt in seiner Predigt. Das kann auch geschehen, indem die Gemeinde aktiv am Predigtgeschehen beteiligt wird, indem etwa während der Predigt eine Meditationsphase eingebaut wird, in der die Besucher die Möglichkeit haben, ihre je eigene Dankesgeschichte zu vergegenwärtigen. Oder indem einzelne Gruppen und Kreise aus der Gemeinde (Kinder, Konfirmanden, Eltern, Senioren) kurz davon erzählen, wofür sie dankbar sind. Die amerikanische Thanksgiving-Tradition beinhaltet eben diesen schönen Brauch, dass jeder, der am reich gedeckten Thanksgiving-Tisch Platz genommen hat, eine Sache benennt, wofür er besonders dankbar ist. Das wird bei einem gut besuchten Gottesdienst in dieser Form nicht möglich sein, weil es den Zeitrahmen sprengt. Dazu mag eine kurze Meditationsphase dienen, in der jeder Besucher die Möglichkeit erhält, dies im Stillen für sich zu tun. Oder seine „Gabe“ auf ein Stück Papier zu schreiben. Nach der Predigt werden diese – sofern der einzelne 288 damit einverstanden ist – eingesammelt, vorgelesen oder an die Erntekrone geheftet, an der sie im Anschluss an den Gottesdienst betrachtet werden können. ● „Dankspiegel“: Ähnlich dem Beichtspiegel könnte ein an die Auslegung Luthers der vierten Bitte des Vater Unsers und/oder der Glaubensartikel in seinen beiden Katechismen orientierter „Dankspiegel“ dazu dienen die Besucher zum Bewusstwerden der von Gott geschenkten Güter zu führen. Wichtig dabei wäre, dass ein solcher „Dankspiegel“ keine Liste aller möglichen, bis ins kleinste Detail aufgeführten Gründe zur Dankbarkeit darstellt, die der Pfarrer verliest und der Besucher sich seine Gründe herauspickt. Der Dankspiegel wird ähnlich dem Beichtspiegel eher meditativen Charakter haben und seinen Platz am besten vor oder zu Beginn der Predigt. Und: er hat das Ziel in der Hinführung zum Dank nicht in der Begründung des Dankes. ● Offenere und Neuere Predigtformen: Ebenso böte es sich an auf neuere bzw. offenere Predigtformen zurückzugreifen. Eine mögliche Beteiligung einzelner Gemeindeglieder wie der ganzen Gemeinde wurde bereits angesprochen. Eine narrative Predigt zu Lk 12 könnte etwa eine distanzierte Identifikation mit dem reichen Mann eher ermöglichen als ein exegetisch orientierter Harmonierungsversuch. Eine Hilfestellung könnte dabei die Berücksichtigung des Kontextes der Beispielserzählung (Lk 12, 13-15 bzw. 22ff.) bieten. Auch ein Abschnitt aus dem Buch Rut, selbst ein Stück narrativer Theologie, böte sich hierfür an, v.a. weil es ohne konkreten bzw. expliziten moralischen Appell auskommt und dennoch den ethisch-sozialen Aspekt eindrücklich zur Sprache bringt. Für die Pfarrer, die eine Ausbildung zum Bibliologen gemacht haben, bietet sich gerade am Erntedankfest, in der von einer Offenheit für Neues von Seiten der Gemeinde ausgegangen werden kann, an, diese Form der Predigt, den Bibliolog, zu wählen.1160 Auch ein Predigtgespräch zwischen Vertretern verschiedener Generationen oder eine Dialogpredigt sind Möglichkeiten der Vielfalt der Lebens- und Erfahrungswirklichkeiten gerecht zu werden. ● Liedpredigt: Die Lieder zum Erntedank sind nicht unzählig und der „traditionellen“, älteren Erntedankgemeinde wohl bekannt. Dennoch wäre eine Predigt über ein klassisches Erntedanklied durchaus denkbar und könnte gerade für die in den letzten 20 Jahren „neu hinzugekommene“ Besucher hilfreich sein, ein vertieftes Verständnis von Erntedank und die Parallelität alter Ernteerfahrungen mit den eigenen Erfahrungen von Saat und Ernte – wenn auch im übertragenen Sinne – zu entdecken. Denn in den Liedern zum Fest kommen schon eine Vielzahl der unter Punkt 20 und 21 genannten Aspekte zu Wort und der Prediger braucht sich 1160 Der Bibliolog ist eine Form der Predigt, bei der die Gemeinde aktiv am Predigtgeschehen beteiligt wird. Sie wurde von dem amerikanischen Juden Peter Pitzele entwickelt und wird im deutschen Raum v.a. durch Uta Pohl-Patalong vertreten. Der Bibliolog lässt sich mit dem oft in Bibelgesprächskreisen praktizierten „Bibel Teilen“ vergleichen, mit dem Unterschied, dass er von einem Bibliologen vorbereitet und gestaltet wird und sich die Teilnehmenden in die Rolle der in der biblischen Geschichte vorkommenden Gestalten hineinversetzen und als diese ihre Assoziationen, Gedanken und Emotionen kundtun sollen. Da der Bibliolog eine spezielle Ausbildung erfordert, sei an dieser Stelle auf das Buch von Uta Pohl-Patalong verwiesen, das auch viele Praxisbeispiele bereit hält: Uta Pohl-Patalong, Bibliolog. Gemeinsam die Bibel entdecken im Gottesdienst, in der Gemeinde, in der Schule, Stuttgart 2005. 289 nicht erst bemühen, einen der Erntedankthematik fremden biblischen Text, der ihm vorgegeben ist, mühsam mit dem Kasus in Verbindung zu bringen. Für eine solche Liedpredigt böten sich an das Wochenlied EG 502, in gleicher Weise aber auch EG 505. Über „Wir pflügen und wir streuen“ zu predigen macht nicht viel Sinn, weil in der in das EG übernommenen Fassung eine zu starke und einseitige Zentrierung auf den ursprünglichen Kontext vorherrschend ist. Die Nähe zum Gedenktag von Franz von Assisi würde auch eine Predigt über diesen, ganz von Schöpfungsglauben und Jesusfrömmigkeit geprägten Mann rechtfertigen, die dann im Lobpreis seines Sonnengesangs ihren Abschluss findet (EG 514 und EG 515). ● Über die Länge der Predigt: Es macht keinen Sinn, aus Verlegenheit nicht zu wissen, was zu predigen ist, die Predigt kürzer ausfallen zu lassen. In den Erwartungen wurde deutlich, dass die Gemeinde zum großen Teil eine „klassische“ Predigt verlangt. Und sie wird sich wohl weder mit Informationen über Elendsverhältnisse und Ausbeutung oder „dem Appell zu politischen oder pädagogischen oder sozialtherapeutischen Aktionen“ noch mit einem „frommen Optimismus“ zufrieden geben, „der aus der Verdrängung unerfreulicher Realitäten erwächst und in der Pflege einer getrösteten Innerlichkeit sein Ziel hat.“1161 Auch innerhalb eines Familiengottesdienstes dürfen die Kinder nicht als Ausrede dafür herhalten, lediglich für fünf Minuten auf die Kanzel zu steigen. Kinder halten durchaus auch 10 bis 15 Minuten aus, wenn sich die Predigt nicht in Belanglosigkeiten erschöpft. Auch die Unterbrechung der Predigt durch ein oder zwei Liedstrophen mag etwas zur Auflockerung beitragen – für die Kinder wie für die Erwachsenen. In all der Vielfalt der Möglichkeiten und der genannten Aspekte wird deutlich, dass es nicht möglich sein kann, alle Themen in einer Predigt zum Erntedankfest zu berücksichtigen. Das muss auch nicht sein, denn sonst bleibt bei dem Feuerwerk theologischer Gedanken kein Platz für die Dankgeschichte des Einzelnen. Die Hörerinnen und Hörer werden ob der Fülle der Themen überfordert. Der Predigende darf darauf vertrauen: eine Predigt zum Erntedankfest wird kaum in der Gefahr stehen defizitär zu sein. Er ist jedoch in die Pflicht der sorgfältigen Vorbereitung und des offenen Ohrs für die Gemeinde genommen. Er kann sich dabei entlastet fühlen. Denn gerade am Erntedanktag predigt nicht er allein. Mit ihm erschwingen sich die um den Altar herum ausgebreiteten Früchte des Feldes zu Zeugen der Freundlichkeit Gottes. Und er findet Unterstützung im Liedgut, das bereits viele Aspekte der Erntedankthematik vereint. 23.1.2 Das Liedgut Die Lieder predigen mit und geben darüber hinaus den Hörerinnen und Hörer die Gelegenheit durch das Singen am Predigtgeschehen teilzunehmen. „Ein Kirchenlied versetzt die Singenden 1161 Josuttis, Der Weg in das Leben, S. 243. 290 im Singen (...) in eine gemeinsame Sprechsituation.“1162 Im Kirchenlied sind dabei Verkündigung, Bekenntnis, aber auch Lobpreis und Bitte miteinander verwoben.1163 In der bereits erwähnten Ökumene der Zeiten, die das Kirchenlied eröffnet, wird deutlich, dass die Bedeutung des Kirchenliedes für das Erntedankfest mehr als die eines schmückenden Beiwerks darstellt, sondern die Lieder über Lobpreis, Bekenntnis und Bitte hinaus eine Verbindung zu den Glaubenserfahrungen der Vorfahren schaffen, die für ein tieferes Verständnis des Festes, über ein Natur- und Schöpfungsfest hinaus, hilfreich sein kann. Keineswegs mag es ein Mangel sein, dass das Liedgut zum Erntedankfest sich ausschließlich aus älteren Liedern zusammensetzt. Denn gerade im Blick auf einen Kasus, der sich in seiner ursprünglichen Bedeutung spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend der Erfahrungswirklichkeit der Gottesdienstbesucher entzogen hat, mag dies als Chance angesehen werden, eben jenen agrarischen Kontext mit all seinen Implikationen den Gottesdienstbesuchern in Erinnerung zu rufen, ohne dass der Prediger es zum Gegenstand seiner Auslegung machen muss. Ursprüngliche Erfahrungen aus dem Bereich des Säens und Erntens finden Gehör und werden im Akt des Singens mit eigenen, ähnlichen Erfahrungen verbunden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Lieder älteren Datums mit neueren Liedern zu ergänzen. In Gedenken an Franz von Assisi und seinem Gedenktag am 4. Oktober böte sich das auf dessen Sonnengesang basierende, mittlerweile sehr bekannte und im gottesdienstlichen Gebrauch etablierte „Laudato si“ (EG 515) an. Um die Grundstimmung des Tages zum Ausdruck zu bringen ist auch ein Rückgriff auf bekannte, der Erntedankthematik nur mittelbar verpflichtete Lieder denkbar, etwa EG 316 „Lobe den Herren“ (v.a. 316,1-4), EG 321 Nun danket alle Gott, EG 327 Wunderbarer König (v.a. EG 327,2) oder EG 331 Großer Gott wir loben dich. Ebenso böte sich EG 333 „Danket dem Herrn“ als Lobpreislied zu Beginn des Gottesdienst oder das allen Generationen mittlerweile bekannte, schlichte, dadurch jedoch eingängige EG 334 „Danke für diesen guten Morgen“ an. Wie es anlässlich von Taufen und Trauungen bereits üblich ist, diesem Liede neue, eigene und dem Kasus entsprechende Strophen hinzuzudichten, wäre eine solche kasusbezogene Weiterdichtung auch im Bezug auf das Erntedankfest denkbar. Etwa dergestalt, dass verschiedene Gruppen und Kreisen der Gemeinde im Vorfeld sich überlegen, wofür sie danken wollen und dies dann als eine Strophe des Liedes in Worte fassen, die dann von der Gemeinde am Sonntag gemeinsam gesungen werden. Durch seine einfache Struktur in Melodie und Versmaß bietet sich dieses Lied für eine solche Aktion an. Dadurch könnte die Gemeinde selbst zu Erfahrungszeugen werden und ganz konkret ihren persönlichen Dank zum Ausdruck bringen. Freilich ist bei Neufassungen „alter“ Lieder Vorsicht geboten, dass theologische Sachverhalte nicht zugunsten aktueller Probleme oder Anklagen 1162 1163 Reich, Das Kirchenlied, in: Handbuch der Liturgik, S. 765. Vgl. Reich, S. 771. 291 verdrängt werden, wie es bei den betrachteten Neufassungen von „Wir pflügen und wir streuen“ zu beobachten war. Zu beachten bleibt darüber hinaus, dass im Bemühen „zeitgemäßere“ Lieder singen zu lassen, nicht vergessen werden darf den klassischen Erntedankliedern Raum zu gewähren. Ihre inhaltliche Mitte bildet nicht ein mittlerweile nicht mehr nachzuvollziehender Zusammenhang vergangener Zeiten, sondern Grunderfahrungen christlicher Existenz: die Angewiesenheit des Menschen auf die Gaben Gottes und das Bedürfnis dem Geber für die Gaben im Lobpreis zu danken. 23.1.3 Die liturgischen Texte Auch die liturgischen Texte des Tages bedürfen einer gründlichen Vorbereitung. Gerade am Erntedankfest ist es wichtig, dass in den Gebeten keine versteckten Appelle untergebracht werden, die der Predigende auf der Kanzel nicht wagen würde laut werden zu lassen. Ebenso gilt es, sich bewusst zu werden, dass die Gebete nicht der Ort sind, an dem die in der Predigt nicht mehr untergebrachten Themen ihren Platz finden. Gerade das Fürbittengebet ist oft Ort der zweiten Predigt und des Aufrufs zum Teilen („Wir bitten dich, dass wir endlich lernen miteinander zu teilen“). Dass der Mensch teilen soll, muss dem Menschen gesagt werden, nicht Gott, an den das Gebet gerichtet ist. Es gilt sich den je eigenen Charakter der verschiedenen Gebete vor Augen zu halten. So hat der (oft fehlerhafte) Umgang des Menschen mit der Umwelt – d.i. die Natur und der Mitmensch – im Confiteor seinen Platz, dort jedoch nicht im Sinne einer Anklage. Vielmehr gilt es durch das Gebet den Einzelnen in das Bekenntnis der eigenen Schuld mit hineinzunehmen. Auch das anstelle des Confiteors gesprochene Eingangsgebet dient nicht dazu, Schuldgefühle einzureden, sondern den Menschen aus seiner je eigenen Situation des Alltags in seine nun konkrete Situation vor Gott zu bringen. Das Tages- bzw. Kollektengebet bedarf besonderer Aufmerksamkeit, fasst es doch in Gebetsform den Eingangsteil und zugleich das Proprium des Sonntages zusammen. An ihm wird meist deutlich, worauf der Pfarrer oder die Pfarrerin in diesem Gottesdienst hinaus will. Deshalb ist vor der Formulierung des Gebets eine Besinnung darüber von Nöten, was das Proprium des Erntedankfestes ist: etwa Freude und Dankbarkeit über die von Gott empfangenen Gaben mit der Bitte an Gott, seine Güte auch weiterhin über dem Leben der Menschen walten zu lassen. Dafür sei ihm, dem Vater, der mit dem Sohn und dem Heiligen Geist lebt und regiert, Lob und Ehre. Am schwierigsten wird sich wohl das Fürbittengebet gestalten, da es am offenkundigsten das Gebet darstellt, das der Pfarrer stellvertretend für die bzw. mit der Gemeinde spricht. Freilich ist es sinnvoll, wenn der Gottesdienstbesucher Gedanken, Inhalte oder Anliegen der Predigt wiedererkennt, jedoch muss weder ihm, am allerwenigsten Gott „neue Gedanken mitgeteilt werden, sondern es soll zur Sprache kommen, was uns jetzt gemeinsam bewusst ist und 292 gemeinsam auf dem Herzen liegt.“1164 Gerade am Erntedanktag, an dem der Besucher kommt, um Dank abzustatten, also vor hat selbst aktiv zu werden, ist eine Form des Fürbittengebets zu erwägen, an der er auch über ein stilles Mitbeten hinaus beteiligt werden kann. An die Stelle des sonst üblicherweise monologisch vom Liturgen vorgetragenem Gebet kann die dialogische Form der Ektenie bzw. des Diakonischen Gebets treten, in der statt eines längeren Monologs „eine Reihe von die Gemeinde gerichteten Gebetsintentionen (Prosphonesen)“ tritt, „auf die nach einer Gebetsstille ein Bittruf der Gemeinde oder ein kurzes Bittgebet mit Amen der Gemeinde antwortet.“1165 Ebenso denkbar wäre das Wechselgebet, die Preces, „bei dem jede einzelne Gebetsintention durch passende kurze Psalmverse beantwortet wird.“1166 Eine andere Möglichkeit für die Gestaltung der liturgischen Texte könnte darin bestehen, dass der Liturg auf den Reichtum des Psalters zurückgreift. Gerade im Blick auf das Erntedankfest als Einübung in die Praxis des Dankens besteht darin eine Gelegenheit, der Gemeinde verschiedene sprachliche Ausdrucksformen des Dankes an die Hand zu geben. Den Introitus stellt der Lobpreis der Schöpfung Ps 104 in Auswahl dar. Als den Gottesdienstbesucher abholendes Eingangsgebet wäre Ps 95 oder Psalm 86 denkbar (auch 138). Für ein Confiteor würde sich u.a. Ps 130 oder, v.a. vom Aufbau des Psalms her, Ps 107 eignen. Als Tagesgebet könnte eine Auswahl aus Psalm 136 oder Psalm 145, dem auch der Wochenspruch entstammt, gebetet werden – alle Psalmen entweder im Wechsel zwischen Liturg und Gemeinde oder ganz von der Gemeinde. Das Fürbittengebet könnte dann in Form der oben bereits genannten Preces bzw. der Ektenie gestaltet und mit dem Kasus inhaltlich nahestehenden Psalmversen (145,18; 126 in Auswahl) als Gebetsrufen bereichert werden. Durch die Aufnahme des Psalters mit seinen doxologisch orientierten Gebeten wird der Pfarrer entlastet, weil er, statt selbst nach Formulierungen zu suchen, auf einen seit Tausenden von Jahren in der Praxis bewährten Gebetsschatz zurückgreifen kann. Dem Gottesdienstbesucher werden durch die Psalmen nicht nur eine Möglichkeit des Mitbetens eröffnet, sondern sie lernen dadurch auch das Gebetsbuch in ihrer Vielfalt kennen und anwenden. 23.1.4 Das Abendmahl Allein die v.a. im römisch-katholischen Kontext gebräuchliche Bezeichnung „Eucharistie“ weist, auf dem Hintergrund des ntl. Dankverständnisses, dem Abendmahl seinen Platz in einem Gottesdienst zum Erntedankfest zu. Der Pfarrer oder die Pfarrerin sollte davor keine Scheu haben, weil der Gottesdienst dadurch unter Umständen zu lang und die Feier des Abendmahls dadurch von einigen Besuchern u.U. als ärgerlich oder störend empfunden werden könnte. Das 1164 Hertzsch, Die Predigt im Gottesdienst, S. 738. Schulz, Das Gebet, S. 752. 1166 Schulz, S. 752. Freilich verlangt dies eine schriftliche Fixierung dieser Verse für die Gottesdienstbesucher. 1165 293 Abendmahl mag erst dann als „Ärgernis“ erscheinen, wenn es sich nicht als logische Konsequenz von Liturgie, Liedgut und Predigt, sondern als unschlüssiges und inkohärentes Anhängsel darstellt. Die Feier des Abendmahls entlastet die Predigt, weil im Abendmahl der heilsgeschichtliche Aspekt der Erntedankthematik nicht nur durch das Wort verkündigt, sondern im Schmecken von Brot und Wein erfahrbar wird. Durch die Feier des Abendmahls ist die Heilstat Gottes in Jesus Christus als Gabe Gottes pro me nicht nur mitgedacht, sondern kann der Mensch sich sinnlich-konkret als ein an Leib und Seele Empfangender und Gott-Verdankter wahrnehmen. Die Feier des Abendmahls hat ihren Platz am Erntedankfest, weil hier sinnlichkonkret sowohl das Handeln Gottes pro me wie auch die Danksagung für dieses Handeln erfahrbar wird und zum Ausdruck kommt, jene Unmittelbarkeit des Dankes zustande kommt, wie sie für das biblische Dankverständnis charakteristisch ist. In ihr wird jegliche Ich-Bezogenheit durchbrochen und der Blick richtet sich auf den Geber aller Gaben, der sich in der Feier des Abendmahls selbst dem Gläubigen mitteilt und sie so auch in eine Beziehung zu ihm setzt. Durch die Teilhabe am Leib Christi werden die Feiernden zum Leib Christi und verbindet Christus die Feiernden durch seine Selbstdarbietung untereinander. Auch das eschatologische Moment des Erntedank klingt an, denn „das Abendmahl erinnert an die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen und weist auf das, was sein wird und wir schon heute feiern können, nämlich das große Festmahl der erlösten Schöpfung in Gottes Reich.“1167 Diese Freundlichkeit Gottes zum Menschen als Grund des Erntedankfestes klingt schon in der Einladung zur Austeilung an: „Kommt, es ist alles bereit. Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.“ Diese Gabe als Gabe Gottes für den Einzelnen wird beim Empfang von Brot und Wein explizit zugesprochen: „Christi Leib für dich gegeben. Christi Blut für dich vergossen.“ Eine Feier des Abendmahls kann deshalb den soteriologischen Aspekt des Erntedank viel eindrücklicher vermitteln als eine 20-minütige Abhandlung über die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi für die christliche Existenz, die ihren Platz ohnehin am Karfreitag hat. In Gemeinden, in denen eine Feier des Abendmahls mit Kindern nicht eingeführt ist und an diesem Tag ein Familiengottesdienst gefeiert werden soll, bestünde die Möglichkeit statt dessen ein Agapemahl zu feiern, wie es kurz und prägnant EG 881 (Ausgabe Bayern und Thüringen) erläutert wird. Auch das Agapemahl ist Ausdruck der Gemeinschaft, „es führt die Tischgemeinschaft weiter, die Jesus mit Freunden und Freundinnen gepflegt hat.“1168 Es stellt ein Mahl der Freude, der Gemeinschaft und der Nächstenliebe dar. Das Agapemahl kann innerhalb des Gottesdienstes dazu dienen, die Vielfältigkeit der Gaben Gottes – i.e. Früchte des Feldes und Gemeinschaft der Menschen untereinander – sinnlich-konkret zu vermitteln. Entschließt sich der Pfarrer oder die Pfarrerin zu einer solchen Feier, muss darauf geachtet werden, dass die 1167 1168 Öffner, Feier des Brots und des Lebens, S. 21. EG Ausgabe für Bayern und Thüringen, Nr. 881. 294 Unterscheidung zum Abendmahl als Mahl des Herrn deutlich wird, sie nicht länger gerät als die Feier des Abendmahls und sich die Agapefeier in den Duktus des Gottesdienstes einfügt. 23.1.5 Zur Gestaltung des Gottesdienst In der phänomenologischen Betrachtung des Erntedankfestes wie in der praktisch-homiletischen Literatur wurde die kreative Vielfalt der Gestaltungsvorschläge für einen solchen Gottesdienst sichtbar. An diesem Tag kommt ein Bild von Kirche zum Vorschein, das sich viele das ganze Jahr über wünschen: kreativ und offen, nicht eintönig, sondern vielschichtig, nicht traurig, sondern fröhlich, nicht lebensfremd, sondern mitten im Leben jedes Einzelnen. Jedoch liegt in dieser kreativen Vielfalt auch eine Gefahr. Ein mit vielen Aktionen und Ideen beladener Gottesdienst mag erlebnisreich und kurzweilig sein, bietet aber kaum die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und seinen dankbaren Gefühlen Raum zu geben. Das Bedürfnis selbst zu Danken bleibt bei zu viel Programm unberücksichtigt und der Gottesdienst wird zu einem in der Kirche stattfindenden „Erntedank-Erlebnispark“, der nicht allen Gemeindegliedern entgegenkommt bzw. ihren Bedürfnissen Rechnung trägt. Was die Gestaltung des Gottesdienstes über die Liturgie, das Liedgut und die Predigt hinaus angeht, ist der Pfarrer, die Pfarrerin oder ein aus mehreren Personen zusammengesetztes Vorbereitungsteam daran gehalten, sorgsam auszuwählen und der Gemeinde nicht zu viele Ideen zuzumuten – seien sie auch noch so gut. Viele kreative Ideen machen noch keinen Gottesdienst und zu viele Ideen in einem Gottesdienst verlieren ihre Wirkung und kerygmatische Relevanz. Es wäre hingegen wünschenswert, wenn die am Erntedanktag zu konstatierende Kreativität nicht an einem Tag geballt der Gemeinde vor Augen gehalten, sondern auch auf die übrigen 52 Sonntage ausstrahlen würde. Ähnliches gilt im Blick auf die Beteiligung der Gemeinde am Gottesdienst. Es muss nicht jede Gruppe der Gemeinde jedes Jahr am Erntedankfest explizit zur Sprache kommen. Eine von Jahr zu Jahr alternierende Berücksichtigung einer oder zweier Gruppen würde genügen. ● Zur Beteiligung der Gemeinde: In den Überlegungen zur Predigt wurde bereits angedacht, verschiedene Gemeindegruppen oder einzelne Erfahrungszeugen zu Wort kommen zu lassen oder die Gottesdienstbesucher aktiv in einen solchen „Zeugendienst“ mit einzubeziehen. In diesem Sinne ließe sich auch im Eingangsteil oder vor dem Glaubensbekenntnis eine Beteiligung der Kinder oder Konfirmanden denken. So könnten etwa die Kinder des gemeindeeigenen Kindergartens oder der Jungschar einen im Vorfeld einstudierten Erntetanz oder ein erarbeitetes Erntelied vor dem mit den Feldfrüchten geschmückten Altar aufführen. Bei dem Passah-Seder kommt den Kindern eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Ehe der Vater mit der Haggada beginnt und die Gebräuche und Symbole von Passah erklärt, fragt das jüngste Kind der Familie: „Worin unterscheidet sich diese Nacht von den anderen Nächten des Jahres?“ und leitet damit 295 die Vergegenwärtigung der Gründungsgeschichte dieses Festes ein. „Das jüngste Mitglied der Tischgemeinschaft macht sich zum Sprecher der Wissbegierigen.“1169 So könnten ein oder mehrere Kinder in gleicher Weise zum „Sprecher der Wissbegierigen“ werden und der Gemeinde bzw. dem Pfarrer Fragen zum Erntedank stellen. Daraufhin könnte sich die Verlesung atl., der Erntedankthematik nahe stehende Texte (etwa die Beschreibung der Erntefeste aus Lev 23 oder Dtn 16; Neh 8 in Auswahl oder ein Auszug aus dem Buch Rut) anschließen.1170 Auch der Brauch, dass die Kinder mit einem festlich geschmückten Erntewagen zusammen mit dem Pfarrer bzw. der Pfarrerin in die Kirche einziehen, ist ohne großen Aufwand in den Gottesdienst zu integrieren. Konfirmanden könnten sich in den Unterrichtsstunden vor dem Erntedankfest mit Luthers Auslegung des ersten Glaubensartikel oder der vierten Bitte des Vaters Unsers auseinandersetzen und das Ergebnis im Gottesdienst der Gemeinde vortragen. In ähnlicher Weise können auch andere Gruppen der Gemeinde zu Wort kommen. Auch eine meditative Einübung in das Sehen, Schmecken, Riechen, Wahrnehmen der am Erntedanktag schon visuell im Vordergrund stehenden Früchten des Feldes stellt eine erfahrungsbezogene Annäherung an die Erntedankthematik dar. Vor zu stark auf die Schöpfungserfahrung zielende Meditationen sei jedoch gewarnt, weil die Erfahrung der Natur als Schöpfung Gottes einen, jedoch nicht den zentralen Aspekt des Erntedankfestes darstellt. Sie ist wichtig vor allem im Blick auf die Annahme der Gaben und der Freude darüber, darf sich jedoch nicht darin erschöpfen und darüber die für den Erntedank konstitutive Rückbindung an Gott als Geber der Gaben wie auch die Vielfältigkeit seiner Gaben vernachlässigen. ● Zur Gestaltung des Gottesdienstraumes: In der Vorbereitung eines Gottesdienstes am Erntedanktag gilt es, sich der ästhetischen Dimension des Festes bewusst zu sein. Ein sorgfältiges Schmücken des Altarraums mit den Erntegaben ist so notwendig wie selbstverständlich. „Die Präsentation und der Duft von frischen Feldfrüchten u.ä. bilden eine in ihrer Relevanz für die Kommunikation des Evangeliums kaum zu überschätzende Grundlage.“1171 In diesem Sinne mag über die um den Altar ausgebreiteten Erntefrüchte hinaus der Brauch der Erntekrone an einem solchem Verkündigungsgeschehen Anteil haben. Im Vorfeld aus Getreideähren – zugleich Sinnbild des das Leben erhaltende täglich Brot – von einigen Mitarbeitern erarbeitet, „predigt“ sie von ihrem Platz in der Kirche diese Kontinuität der Schöpfergüte Gottes. Denkbar wäre, sie – wie in vielen Gemeinden ja auch üblich – an der Stelle zu platzieren, an der in der Advents- und Weihnachtszeit der Adventskranz steht. Die Erntekrone kann über den Erntedanksonntag hinaus 1169 Galley, Das jüdische Jahr, S.132. Wichtig dabei wäre, dass sich im Lauf der Jahre feste Textabschnitte etablieren und die Gemeindeglieder sie dadurch besser kennen lernen und in ihren je eigenen Kanon der Bibelstellen aufnimmt. Auch im Interesse der Kinder sollten diese Texte kurz gehalten werden und ohne Auslegungen (kleine Predigten) zur Sprache kommen. 1171 Grethlein, Sinnlich Predigen, S. 234. 1170 296 ihren Platz in der Kirche behalten, etwa bis zum Ewigkeitssonntag, um zu symbolisieren, dass alles Leben und auch das Sterben von Gott kommt und zu Gott zurückkehrt. ● Zum Ort des Gottesdienstes: Natürlich böte sich an einem Fest, dessen Bestandteil auch die Schöpfung Gottes darstellt, ein Gottesdienst im Freien, inmitten der Schöpfung Gottes an. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass der Ort für einen solchen Open-Air-Gottesdienst nicht allein den kreatürlichen Aspekt, sondern auch die agrarische Verwurzelung des Festes berücksichtigt. Das Ackerfeld wäre der Blumenwiese u.U. vorzuziehen. Jedoch ist bei derlei Überlegungen nicht die Bedeutung der Tatsache zu unterschätzen, dass gerade am Erntedankfest die Schöpfung Einzug in die Kirche findet, ein Stück Alltag im Gottesdienst visuell in Erscheinung tritt, wie es Bettina Lezuo in ihrer Predigt herausstellt. 23.1.6 Gottesdienst der Familien oder Gottesdienst der familia Dei? Gerade am Erntedankfest erfreuen sich Familiengottesdienste in immer mehr Gemeinden großer Beliebtheit. Darin kommt das ntl. begründete Anliegen zum Ausdruck, den Gottesdienst generationenübergreifend als familia Dei zu feiern. Jedoch wurde bereits auch auf die Gefahr eines Familiengottesdienstes als Zielgruppengottesdienst hingewiesen. Solange ein Familiengottesdienst Inhalt und Gestalt eines Kindergottesdienstes hat, bei dem die Erwachsenen lediglich geduldet werden, hat er am Erntedankfest keinen Platz, weil auch die älteren Gemeindeglieder die Möglichkeit haben sollten, ihren Dank los zu werden und in ihren Bedürfnissen ernst genommen werden wollen. Dann wäre es wohl besser bzw. ehrlicher, den Gottesdienst gemeinsam zu beginnen, aber getrennt fortzuführen. Den ersten Teil des Gottesdienst, Lobpreis und Anbetung, könnten die Kinder aktiv mitgestalten (Erntetanz, Erntelied). Nach dem Glaubensbekenntnis gehen sie in den Nebenraum, um dort eine kindgerechte Verkündigung zu hören und das Gehörte kreativ zu verarbeiten. Nach Predigt und Abendmahl kommen die Kinder zurück in den Gottesdienst zu den Fürbitten (evtl. werden hier von ihnen erarbeitete Bitten vorgelesen), dem Vater Unser und dem Segen. Entscheidet sich der Pfarrer oder die Pfarrerin bzw. ein Vorbereitungsteam dazu, den ganzen Gottesdienst gemeinsam zu feiern, muss darauf geachtet werden, dass die Gemeinde als familia Dei als Ganze auch darin berücksichtigt wird. Das heißt, es gilt sich der Gefahr einer Banalisierung und Infantilisierung der Thematik bewusst zu sein, die sich darin äußert, dass alle ein neues, peppiges Danklied singen, die Kinder ein Lied oder einen Erntetanz vorführen, der Pfarrer kindgerecht etwas über die Schönheit der Natur oder die Pflicht Danke zu sagen erzählt, jeder Besucher einen Apfel in die Hand bekommt, damit er Erntedank auch schmecken kann, woraufhin zum Abschluss noch einmal ein weiteres schwungvolles Danklied gesungen wird. 297 Die Kritik an dieser bewusst plakativ dargestellten Art von Familiengottesdienst ist nicht an die Kinder gerichtet. Sie stellt vielmehr die Herausforderung an die Vorbereitenden dar. Die Gefahr einer Banalisierung oder Infantilisierung geht nicht von den Kindern aus, sondern von den Erwachsenen, die den Kindern nicht zutrauen, auch 10-15 Minuten Predigt auszuhalten und glauben, alles müsse schön mundgerecht den Kindern präsentiert werden. Ein Gottesdienst der familia Dei hat die Bedürfnisse aller in dieser Familie lebenden und feiernden Besucher gleichermaßen zu berücksichtigen. Dass die Kinder im übrigen Kirchenjahr vielleicht sonst seltener die Möglichkeit haben, in der „großen Kirche“ ihren Platz zu bekommen, darf nicht als Ausrede dafür benutzt werden, den Erntedankgottesdienst – auch wenn er aufgrund seiner Thematik gerade für Kinder leicht zugänglich ist – allein den Kindern zu überlassen. 23.2 Der Kontext: die Gestaltung des Erntedanktages In der atl. Tradition verband sich wie auch im Brauchtum zur Ernte mit dem Dank für die Ernte stets das gemeinsame Fest als Ausdruck der Freude über die vollbrachte Arbeit und die eingebrachte Ernte. Diese Feiern waren, dem Anlass entsprechend, gekennzeichnet von ausgelassener Festfreude wie gemeinsamen Essen und Trinken. Dieses sowohl in der Vergangenheit als auch bereits in der biblischen Tradition wesentliche Moment des Erntedanks gilt es für eine Praxis des Erntedanks wieder zurückzugewinnen, wie es z.T. in der praktischhomiletischen Literatur und in einigen Gemeinden schon geschieht. Eine erste Orientierung für einen Gemeindetag zum Erntedankfest mögen die atl. Erntefeste und das Brauchtum geben. In der Betrachtung zur Stellung des Erntedankfestes im Kirchenjahr wurde auf die zeitliche und inhaltliche Nähe zu Michaelis hingewiesen. Findet das Erntedankfest unmittelbar am Tag nach Michaelis statt könnte dieser Beziehung beider Feste zueinander insofern Rechnung getragen werden, dass am Vorabend zum Erntedankfest eine Andacht zum Fest des Erzengels und aller Engel bereits den Auftakt bildet. Das Erntedankfest als Gemeindetag könnte am Sonntag dann mit einer Ernteprozession zur Kirche beginnen. Dazu böte es sich an, dass sich die Gemeinde vor dem Gottesdienst auf einem nahe gelegenen Feld oder auf dem Markplatz, auf dem unter der Woche Obst und Gemüse verkauft werden oder in früherer Zeit verkauft wurden, versammelt, mit einem Gebet und einem Lied beginnt, um dann in einer Ernteprozession mit Erntewagen zur bzw. in die Kirche zu ziehen. In der Regel finden Gemeindefeste ja in den Sommermonaten statt. In früheren Jahrhunderten war es jedoch keine Seltenheit, wenn der Kasus Erntedank, die Kirchweih und das Gemeindefest miteinander verbunden wurden. Auch im Blick auf die atl. jüdische Festpraxis empfiehlt es sich, das Erntedankfest wieder als einen solchen Gemeindetag zu begehen. Nach einer gemeinsamen Prozession mit Erntewagen in die Kirche, einem gemeinsam oder zumindest z.T. gemeinsam 298 gefeierten Gottesdienst bleibt die Gemeinde zum gemeinsamen Essen und Trinken zusammen – was auch als Ausdruck der Schöpfungsbejahung im Sinne Jesu interpretiert werden kann.1172 Es ist eine Feier der von Gott geschenkten Koinonia über die Feier der Eucharistie hinaus, v.a. wenn man bedenkt, dass in einer solchen Feier leichter eine Integration aller möglich ist, während beim Abendmahl immer einige nicht daran teilnehmen können: Kinder – wenn die Praxis des Kinderabendmahls noch nicht eingeführt wurde – aber auch kirchlich nicht oder nur wenig sozialisierte Gottesdienstbesucher, denen das Abendmahl fremd ist und die deswegen u.U. Berührungsängste und Hemmungen haben, daran teilzunehmen. An Gemeindefesten ist es weitgehend üblich, für die verzehrten Getränke und Speisen nicht nur einen Unkostenbeitrag zu erheben, sondern über die Einnahmen bestimmte, in der Gemeinde anstehende Projekte zu finanzieren. Ein Fest am Erntedanktag sollte jedoch nicht darauf abzielen, neues Geld in die leerer werdenden Kassen zu spülen, sondern deutlich machen, dass alle empfangene Gabe dem Menschen sola gratia zukommt. Deshalb sollte das Essen und Trinken an diesem Tag auch nicht mit Kosten für die Teilnehmer daran verbunden sein. In atl. Tradition werden zu dem Mahl alle eingeladen. Spendenkörbchen für die „Wohlhabenden“ können aufgestellt werden, der Erlös könnte sozialen Einrichtungen o.ä. zu gute kommen. An einem solchen Fest bietet ein Rahmenprogramm die Gelegenheit zu einer Vertiefung und Erweiterung der im Gottesdienst zur Sprache gekommenen oder eben nicht berücksichtigten Aspekte der Erntedankthematik. Ein Eine-Welt-Stand mit fair gehandelten Produkten vermittelt die Solidarität mit den ärmeren Ländern in der Welt. An Spielstationen für Kinder (und Erwachsene gleichermaßen) kann an die ursprünglich agrarische Verankerung des Festes erinnert werden: Mehl mahlen, Brot backen; Aussäen von Pflanzen in kleinen Töpfen zum Mitnachhausenehmen. Erntetänze haben ihren Platz in einem solchen Rahmenprogramm, an dem jeder die freie Wahl hat, daran teilzunehmen, während die Aktion eines Erntetanzes im Gottesdienst Gefahr läuft, dass sich Besucher genötigt fühlen mitzumachen. Auch kurzen Vorträgen über Erntebräuche oder jüdische Erntefeste gibt eine solche ganztägige Feier des Erntedanks ihren Raum. An diesem Festtag kann die Gemeinde auch ihren Dank für die ehrenamtlichen Mitarbeiter zum Ausdruck bringen. Das Fest wird beschlossen mit einer gemeinsamen Andacht, in der nun weniger eine weitere Ansprache, sondern eher Psalmgebete und Lobpreislieder das Zentrum bilden und darin die Besucher noch einmal die Möglichkeit haben zur Ruhe zu kommen und ihrem Dank an Gott Ausdruck zu verleihen. 1172 Vgl. Thissen, S. 362. 299 24. Resümee: Erntedank – ein mögliches Fest Das Erntedankfest hat den Dank für die Zuwendung und Zuwendungen des dreieinigen Gottes zum Inhalt. Es wurde deutlich, dass ein Hauptgrund für die Problematik des Festes bzw. die Schwierigkeit einer Integration des Erntedanks in ein heilsgeschichtlich angeordnetes Kirchenjahr v.a. dann zu Tage tritt, wenn die Feier des Erntedanks allein als Feier des ersten Glaubensartikels verstanden wird. Auch wird das Fest weder dem biblischen Ernte- und Dankverständnis noch den Bedürfnissen der Gottesdienstbesucher oder seiner eigentlichen Intention – dem Dank für die Gaben des dreieinigen Gottes – gerecht werden können, wenn nun – quasi als Gegensteuerung zu einer Schöpfungsfeier – ein anderer Artikel des Glaubensbekenntnisses in den Mittelpunkt gerückt wird. Am Erntedankfest sagt der Mensch Dank für das, was er im vergangenen Jahr an Gutem von Gott empfangen hat. Er dankt Gott, dem Schöpfer, für all die Gaben, die er zu dem Erhalt seiner körperlichen und seelischen Integrität empfangen hat. Dazu sind auch immaterielle Güter zu zählen wie etwa zwischenmenschliche Beziehungen oder auch die Möglichkeit zu arbeiten und dass der Arbeit Erfolg bzw. Gelingen beschert wurde. Er dankt Gott, dem Erretter, für die Zuwendung in Jesus Christus, die ihm die Möglichkeit gibt, mit Gott in Kontakt zu treten, sein Leben an ihm festzumachen. Für die Zuwendung Gottes, die er u.a. in der Feier der Eucharistie auch das Kirchenjahr über schon sinnlich-konkret erfahren konnte. Er dankt Gott, dem Vollender, für die in Jesus Christus begründete Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, für die Möglichkeit diese Hoffnung in dem durch den Heiligen Geist geschenkten Glauben zu ergreifen. So sagt er Dank für die Gaben des dreieinigen Gottes, die den Menschen als Leib und Seele von Anfang bis zum Ende seines Lebens und darüber hinaus halten und erhalten. Deshalb hat der schöpfungstheologische Klang durchaus seine Berechtigung im Gottesdienst zum Erntedankfest und so müssen das Brauchtum oder die vielfältigen Gestaltungselemente, die die Kreatürlichkeit bedenken und der Schöpfungserfahrung Raum geben, weiterhin ihren festen Platz an diesem Tag behalten. In gleicher Weise wie die Texte, Lieder, Ausdrucksformen und Symbole, die Gottes Erlösungshandeln in Jesus Christus durch den Heiligen Geist beinhalten und zur Sprache bringen. Gleichsam wurde jedoch auch deutlich, dass dieses Handeln Gottes am Menschen nur mittelbar das Thema des Erntedankfestes darstellt und zwar insofern, dass es den Gegenstand des Dankes darstellt. Denn am Erntedanktag dankt der Mensch für die Gaben, die er das Jahr über empfangen hat. Die konkrete Vergegenwärtigung der einzelnen Gaben ist deshalb nicht Inhalt des Erntedankfestes, weil sie ihren ganz eigenen Platz an den Festen bzw. Sonntagen des Kirchenjahrs haben: die Heilstat Gottes in Jesus Christus etwa an Weihnachten, Karfreitag und Ostern, das Wirken des Heiligen Geistes an Pfingsten oder die Schöpfung und die irdischen 300 Güter am 15. Sonntag nach Trinitatis. Das Proprium des Erntedankfestes ist nicht die Vergegenwärtigung der einzelnen Gaben, die Gott dem Menschen im Lauf des vergangenen Jahres zugedacht hat, sondern die Danksagung derer, die das vergangene Jahr über diese Gaben Gottes empfangen haben. Freilich kann eine Vergegenwärtigung dieser Gaben am Erntedankfest dazu verhelfen, in den Dank einzustimmen, wenn sie vor Augen führt, wie reich Gott den einzelnen beschenkt hat, ihn dadurch zum Danken einlädt. Zu solchen Zeugen der Güte Gottes erheben sich rein visuell die um den Altar herum ausgebreiteten Früchte des Feldes, die auf dem Altar liegende Bibel oder die bereits auf die Feier des Abendmahls hinweisenden Abendmahlsgeräte. In diese Zeugenschaft erschwingen sich auch die Lieder und die biblischen Texte zum Fest. Freilich bleibt dabei aber die Gefahr, dass eine zu umfangreiche Aufzählung der Gaben, für die der Mensch dankbar sein könne, das Proprium – den Dank für die Gaben – verdrängt. Erntedank – ein unmögliches Fest. Wenn durch eine zu starke Konzentration auf die Frage des Wofür des Dankens versucht wird, einen Artikel des Glaubensbekenntnisses in den Mittelpunkt zu stellen oder wenn sich das Fest in einer Darstellung der vielfältigen Gaben Gottes erschöpft und so zu einem „Best of“ des Kirchenjahres wird. Es bleibt ein unmögliches Fest, wenn es als Modifikation alter Ernte- oder vergangener Erntedankfeste verstanden wird und seine Entwicklung von agrarisch verwurzelten Erntefesten zu einem spezifisch christlichen Erntedankfest übergangen wird. Es bleibt ein unmögliches Fest, wenn es aus seiner Stellung innerhalb des Kirchenjahres herausgenommen und nicht in seinem mittelbaren wie unmittelbaren Kontext ernst genommen wird. Es bleibt ein unmögliches Fest, wenn der Ausweg aus der Frage nach dem Wie des Dankens allein im Teilen der Güter gesehen und die Vielfältigkeit der Ausdrucksmöglichkeiten des Dankens außer Acht gelassen wird. Erntedank – ein notwendiges Fest. Weil es nicht nur die Freundlichkeit des dreieinigen Gottes zum Menschen und die Fülle wie Vielfältigkeit der Gaben Gottes augenfällig, sinnlich-konkret, ja leibhaftig zum Ausdruck bringt und dadurch auch zu einer sinnlich-konkreten Vergegenwärtigung dieser Güte Gottes über die Feier des Abendmahls hinaus einlädt, sondern den Menschen Sprach- und Ausdrucksformen des Dankes an die Hand gibt, ihnen damit auch die formale Möglichkeit eröffnet, ihrem Bedürfnis, Gott zu danken, nachzukommen und zwar mit Herzen, Mund und Händen. Erntedank als Grammatik des Dankens hat dabei auch über die Feier des Erntedankfestes hinaus eine Bedeutung für die Existenz des Einzelnen wie der Gemeinschaft. Formen des Dankes, die am Erntedankfest gelernt, eingeübt werden, gewöhnen – analog zum atl. Opferverständnis – das Herz des Menschen daran, sein ganzes Leben mit einem Gott in Verbindung zu bringen, der 301 ihnen die Verheißung gegeben hat, dass, solange die Erde steht, auch seine Zuwendung und Zuwendungen Bestand haben werden. Die Relevanz des Erntedankfestes zieht sich so hinein auch in den Alltag des Menschen, in das alltägliche Leben der von Gott verdankten Existenz. Dankbarkeit lässt sich nicht verordnen. Dankbarkeit als dankbare Gesinnung, als das Gefühl, dankbar zu sein, hat seinen Grund außerhalb meiner selbst. Aber der dankbaren Gesinnung Ausdruck zu verleihen bzw. dem Bedürfnis, seinem Dank Ausdruck zu verleihen, eine konkrete Form zu geben, das lässt sich lernen. Dieser dankbaren Gesinnung Gestalt zu geben, die Möglichkeit, dies zu tun und Formen, dies zu tun, bereitzustellen, das ist die Aufgabe des Erntedankfestes. Das war Gegenstand atl. Erntefeste ebenso wie der im agrarischen Kontext sich etablierenden Erntefeiern. Das war und ist die Intention der Lieder und des Brauchtums zum Fest. Es ist das Proprium des Erntedankfestes heute. Dessen gilt es sich in der Vorbereitung einer Feier zum Erntedank zu vergewissern. Erntedank wird dadurch zu einem möglichen Fest, weil es nicht einen situativen oder kontextgebundenen Erntebegriff bzw. dessen Explikation zum Inhalt hat, sondern den Menschen einlädt und verhilft in den Dank an Gott einzustimmen, der zu Beginn dieser Arbeit als Grundbedürfnis und Grundmerkmal menschlicher bzw. christlicher Existenz festgestellt wurde. Dank wird gelernt. Dank wird laut. Von Anbeginn der Zeit bis zu dem Leben in einer kommenden Welt. Dank ist Grundton der Vergangenheit, Gegenwart und Ewigkeit. Schöpfungstheologische wie soteriologische Topoi finden im Dank zu einer Einheit. Dank stellt sich dar als Lob, Bitte, aber auch Freude über die Gaben Gottes. Dessen schöpferisches, aber auch rettendes, weisendes und zurechtweisendes Handeln ist wert der Freude. Einer Freude, die selbst gegenwärtiges Leid übersteigt und in der Bedrängnis behauptet werden muss, weil sie den Betenden in dem Vertrauensverhältnis zu Gott, dem Geber aller Gaben, hält und seine Existenz an ihm festmacht. So stimmt die familia Dei, Jung und Alt, Groß und Klein, Fröhliche und Traurige, Reiche und Arme am Erntedanktag ein in einen Dank mit Herzen, Mund und Händen, „jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ (Offb 5,13) 302 Literatur Die Bibel, nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart 1984. Biblia Hebraica Stuttgartensia, Stuttgart 41990. Novum Testamentum Graece, Stuttgart 271993. Adam, Adolf, Das Kirchenjahr mitfeiern. Seine Geschichte und seine Bedeutung nach der Liturgieerneuerung, Freiburg u.a. 1979. Adam, Adolf, Grundriss Liturgie, Freiburg u.a. 1998. Adloff, Kristlieb, Kein Gottesdienst für nette Leute, in: Pastoraltheologie 79/1990, Göttingen 1991, S. 26-41. Allgeier, Fritz, Brot ist Dienst, in: Erntedank. Vom Denken und Danken, Hg. Von Hans Jürgen Milchner, Göttingen 1993, S. 107. Appelbaum, Diana Karter, Thanksgiving. An American Holiday, an Anmerican History, New York 1984. Auel, Hans-Helmar, Michaelis – Tag des Erzengels Michael und aller Engel, in: Hans-Helmar Auel, Unentdeckte Feiertage. Das Kirchenjahr als Fest des Glaubens, Göttingen 2000, S. 161-165. Auf der Maur, Hansjörg, Feste und Gedenktage der Heiligen, in: Gottesdienst der Kirche: Handbuch der Liturgiewissenschaft, Hg. von Hans Bernhard Meyer, Teil 6: Feiern im Rhythmus der Zeit II/1, Regensburg 1994, S. 65-358. Bader, Günter, Erntedank, GPM 56 (2001/2002), Göttingen 2002, S. 436-442. Baltruweit, Fritz, Ruddat, Günter, Gemeinde gestaltet Gottesdienst 3, Gütersloh 2002. Barth, Edna, Turkeys, Pilgrims and Indian Corn. The story of the Thanksgiving Symbols, New York 1975. Bauer, Walter, Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur, Berlin 51963. Bäumler, Christof, Art. Jugendarbeit, in: Praktisch-theologisches Handbuch, Hg. von Gert Otto, Hamburg 21975, S. 309-329. Becher, Angela, Von der Saat zur Ernte, in: Oberfränkisches Brauchtum in alter und neuer Zeit, Hg. Von Gustav Schmidt, Bayreuth 1994, S. 328-362.. Becker-Huberti, Manfred, Lexikon der Bräuche und Feste, Freiburg u.a. 32001. Behringer, Hans Gerhard, Die Heilkraft der Feste. Der Jahreskreis als Lebenshilfe, München 2000. Benediktionale, Studienausgabe für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes, erarbeitet von der internationalen Arbeitsgemeinschaft der liturgischen Kommissionen im deutschen Sprachgebiet, Hg. von den Liturgischen Instituten Salzburg, Trier, Zürich, Freiburg u.a. 1978. Berger, Rupert, Kleines liturgisches Wörterbuch, Freiburg u.a. 1969. Berger, Teresa, Liturgie und Tanz, St. Ottilien 1985. 303 Bergler, Siegfried, Ernte im alten Israel und im Judentum, in: Hans J. Milchner (Hg.), Erntedank. Vom Denken und Danken, Göttingen 1993, S.12-19, Beutler-Lotz, Heinz-Günter, Sprechszene: Wofür soll ich danken?, in: Erntedank. Vom Denken und Danken, Hg. von Hans Jürgen Milchner, Göttingen 1993, S. 74-78. Besser, Dieter, Typen des Familiengottesdienstes, in: Dieter Reiher (Hg.), Gottesdienst mit Familien. Überlegungen – Entwürfe, Berlin 1980, S. 77-81. Beyer, Hermann Wolfgang, Artikel ευλογεω, ευλογητος, ευλογια, ενευλογεω, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament II, Stuttgart 1935, S. 751-763. Bieritz, Karl-Heinrich, Art. Das Kirchenjahr, in: Handbuch der Liturgik, Hg. von Hans-Christoph Schmidt-Lauber, Michael Meyer-Blanck und Karl-Heinrich Bieritz, Göttingen 32003, S. 355-390. Bieritz, Karl-Heinrich, Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart, München 1987. Blail, Gerhard, Von Sonntag zu Sonntag. Glaube und Brauchtum, Stuttgart 1992. Bleier, Edward, The thanksgiving Ceremony. New Traditions for Americas familiy feast, New York 2003. Bonhoeffer, Dietrich, Von der Dankbarkeit des Christen, in: ders., Predigten – Auslegungen – Meditationen, Hg. Von Otto Dudzus, Zweiter Band 1935-1945, München 1988, S. 365-368. Bons, Eberhard, Art. Ernte, LThK3 Band 3, Freiburg 1995, Sp. 820-821. Bornkamm, Günter, Lobpreis, Bekenntnis und Opfer. Eine alttestamentliche Studie, in: Bornkamm, Günter, Geschichte und Glaube I, München 1968, S. 122-139. Bovon, Francois, Das Evangelium nach Lukas, EKK III/2, Neukirchen 1996. Bracks, Horst, Gottes Geist setzt in Bewegung. Erntedanklied, in: Erntedank 2001: Ernte oder Schätze sammeln, Kirche im ländlichen Raum, 52. Jahrgang 2/2001, S. 40. Brückner, Annemarie, Art. Michaelsverehrung, TRE 22, Berlin 1992, S. 717-724. Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 51963. Buchrucker, Armin-Ernst, Das Kirchenjahr, Fürth 2001. Buhl, Frants, Über Dankbarkeit im AT und die sprachlichen Ausdrücke dafür, in: Wilhelm Frankenberg u.a., Abhandlungen zu semitischen Religionskunde und Sprachwissenschaft, Giessen 1918, S. 71-82. Bultmann, Rudolf, Der zweite Brief an die Korinther, Göttingen 1976. Bultmann, Rudolf, Art. ιλαρος, ιλαροτης, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament III, Stuttgart 1938, S. 298-300. Conzelmann, Hans, Grundriss der Theologie des Neuen Testamentes, München 21968. Conzelmann, Hans, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, Tübingen 51964. Conzelmann, Hans, Art. χαιρω, χαρα, συγχαιρω, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament IX, Stuttgart u.a. 1973, S. 350-362. Conzelmann, Hans, Art. χαρις, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament IX, Stuttgart u.a. 1973, S. 363-393. 304 Conzelmann, Hans, Art. ευχαριστεω, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament IX, Stuttgart u.a. 1973, S. 397-405. Cramer, Ernst, Thanksgiving Day, Die Welt vom 23. November 2006, S. 28. Crüsemann, Frank, Studien zur Formgeschichte von Hymnus und Danklied in Israel, Neukirchen-Vluyn 1969. Daiber, Karl-Fritz, Pastoralsoziologische Einführung. Oktoberfeste, in: Gottesdienst Praxis Serie B, Erntedankfest. Reformationsfest, Gütersloh 1998, S. 9-16. Dennecke, Axel, Art. Gottesdienst, in: Gemeindepraxis in Grundbegriffen, Hg. Christof Bäumler und Norbert Mette, München 1987, S. 208-217 Diebner, Bernd Jörg, Erntedankfest A, PrSt I/2 (1996/97), Stuttgart 1997, S. 187-190. Dienemann, Max, Schawuot, in: Friedrich Thierberger (Hg.), Jüdisches Fest. Jüdischer Brauch, Berlin 21967, S. 280-287. Ehrlich, Ernst Ludwig, Reden über das Judentum, Stuttgart u.a. 2001. Eichler, Helmut, Erntedankfest A, PrSt II/2 (1992), Stuttgart 1992, S. 221-224. Eisinger, Walter, Erntedankfest, GPM 54 (1999/2000), Göttingen 2000, S. 406-415. von Eltz-Hoffmann, Lieselotte, Freuet euch der schönen Erde. Das christliche Naturverständnis im Wandel der Zeit, Düsseldorf 2000. Engelhardt, Klaus, von Loewenich, Hermann, Steinacker, Peter (Hgg.), Fremde Heimat Kirche. Die dritte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh 1997. Engelsberger, Gerhard, Erntedankfest B, PrSt I/2 (1996/97), Stuttgart 1997, S. 191-195. Esser, H.H., Wander, B., Art. ευχαριστια, in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament Bd. I, Hg. von Lothar Coenen und Klaus Hacker, Wuppertal u.a. 1997, S. 240-242. Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen, München 1995. Evangelisches Gottesdienstbuch, Agende für die Evangelische Kirche der Union und die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, Hg. von der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und im Auftrag des Rates von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union, Berlin 1999. Evangelisches Kirchengesangbuch, Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Baden, Karlsruhe 81961. Fangmeier, Jürgen, Hermeneutische Überlegung zu Dank/Lob, in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Wuppertal 1997, S. 249-251. Fehrle, Eugen, Deutsche Feste und Volksbräuche, Leipzig 1927. Fehrle, Eugen, Feste und Volksbräuche im Jahreskreislauf europäischer Völker, Kassel 1955. Foitzik, Karl, Erntedankfest A, PrSt II/2 1997/98, Stuttgart 1998, S. 185-188. 305 Follert, Udo, Art. Heinrich Puchta, in: in: Komponisten und Liederdichter des Evangelischen Gesangbuchs, Hg. von Wolfgang Herbst, Göttingen 1999, S. 245-246. Fopp, Simone, Ein Tanz ist ein Tanz, in: Wege zum Menschen 55, Göttingen 2003, S. 343-353. Freudenberg, Hans, Mitmach- und Familiengottesdienste, Göttingen 2004. Frerichs, Heiko, Erntedanktag, CPNF I/2 1991, Stuttgart 1991, S. 237-245. Fritsch-Oppermann, Sybille, Erntedankfest B, PrSt II/2 (2003/2004), Stuttgart 2004, S. 180-183. Galley, Susanne, Das jüdische Jahr. Feste, Gedenk- und Feiertage, München 2003. Gebauer, Roland, Das Gebet bei Paulus. Forschungsgeschichtliche und exegetische Studien, Gießen 1989. Georgi, Dieter, Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, Hamburg 1965. Gerlach, Wolfgang, Gottesdienstliche Besinnung zum Erntedanktag, in: Erntedankfest, Reformationsfest: Predigten, Texte, Gottesdienstentwürfe, Hg. Von Horst Nitschke, Gütersloh 1980, S. 24-27. Gerts, Wolfgang, Theologisch-homiletische Einführung, GDP Serie B Familiengottesdienst, Gütersloh 1994, S. 9-18. Gesangbuch für die Evangelisch-protestantische Kirche des Großherzogtums Baden, Karlsruhe 1910. Gesenius, Wilhelm, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Berlin u.a. 171915. Goppelt, Leonhard, Theologie des Neuen Testamentes I, Göttingen 1975. Goppelt, Leonhard, Theologie des Neuen Testamentes II, Göttingen 1976. Grethlein, Christian, Art. Familiengottesdienst, RGG4 Bd. 2, Sp. 29-31. Grethlein, Christian, Auf der Suche nach neuen Formen – Neue Ansätze, in: Handbuch der Liturgik, Hg. von Hans-Christoph Schmidt-Lauber, Michael Meyer-Blanck und Karl-Heinrich Bieritz, Göttingen 32003, S. 882-899. Grethlein, Christian, Sinnlich Predigen. Anstöße zu einer homiletischen Entdeckungsreise, in: Uta PohlPatalong, Frank Muchlinsky (Hgg.), Predigen im Plural. Homiletische Aspekte, Hamburg 2001, S. 230238. Görisch, Reinhard, Wir pflügen und wir streuen, in: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Hg. von Gerhard Jahn und Jürgen Henkys, Heft 9, Göttingen 2004, S. 43-47. Gräßer, Erich, Der zweite Brief an die Korinther, Kapitel 8-13, Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament, Band 8/2, Gütersloh 2002. Grundmann, Walter, Das Evangelium nach Lukas, Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament 3, Berlin 101984. Haag, Hansjörg, Lasst Blumen sprechen. Erntedankgottesdienst für Groß und Klein, in: GDP Serie B Erntedankfest. Reformationsfest, Hg. Von Erhard Domay, Gütersloh 1998, S.32-38. Hartinger, Walter, Religion und Brauch, Darmstadt 1992. 306 Hastedt, Hans Wilhelm, Erntedanktag, CPNF II/2 1992, Stuttgart 1992, S. 227-234. Hauschild, Wolf-Dieter, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte I, Gütersloh 1995. Hausmann, J., Art. קציר, Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament VII, Stuttgart u.a. 1993, Sp.106-112. Heckel, Ulrich, Der Segen im Neuen Testament, Tübingen 2002. Heckscher, Kurt, Art. Ernte, Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens Bd. 2, Berlin, New York 1929/1930, Sp. 939-963. Heidelberger Katechismus, revidierte Ausgabe, Hg. von der Evangelisch-reformierten Kirche, von der Lippischen Landeskirche und vom reformierten Bund, Neukirchen-Vluyn 22001. Heininger, Bernhard, Metaphorik, Erzählstruktur und szenisch-dramatische Gestaltung in den Sondergutgleichnissen bei Lukas, Münster 1991. Heinrich, Rolf, Wir sind ein Teil der Erde. Familiengottesdienst zu dem Symbol „Erde“, in: GDP Serie B Erntedankfest. Reformationsfest, Gütersloh, 1988, S. 28-33. Hennig, Gerhard, Erntedankfest, GPM 57 (2002/2003), Göttingen 2003, S. 452-458. Hensel, R., Art. καρπος, Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Band II, Wuppertal 2000, S. 1524-1527. Herbst, Michael, Schneider, Matthias, Wir predigen nicht uns selbst. Arbeitsbuch für Predigt und Gottesdienst, Neukirchen-Vluyn 2001. Herlyn, Okko, Familiengottesdienst zum Erntedanktag, in: Erntedankfest, Reformationsfest: Predigten, Texte, Gottesdienstentwürfe, Hg. Von Horst Nitschke, Gütersloh 1980, S. 31-36. Hermann, Alfred, Art. Ernte A. Nichtchristlich, RAC VI, Stuttgart 1966, Sp.275-291. Hertzsch, Klaus-Peter, Erntedankfest, GPM 53 (1998/1999), Göttingen 1999, S. 417-422. Hertzsch, Klaus-Peter, Die Predigt im Gottesdienst, in: Handbuch der Liturgik, Hg. von HansChristoph Schmidt-Lauber, Michael Meyer-Blanck und Karl-Heinrich Bieritz, Göttingen 32003, S. 731741. Hoffsümmer, Willi, Bausteine für Familiengottesdienste, Mainz 1996. Höppner, Renate, Höppner, Reinhard, Erntedankfest, in: Domay, Erhard (Hg.), Die Feste im Kirchenjahr. Gottesdienste und Erläuterungen in gerechter Sprache, Gütersloh 2004, S. 126-135. Hotze, Gerhard, Paradoxien bei Paulus. Untersuchungen zu einer elementaren Denkform in seiner Theologie, Münster 1997. Hüneke, Martin, Erntedankfest B, PrSt II/2 (1992), Stuttgart 1992, S. 224-227. von Issendorf, Bernhard, Ein Lied blieb mir im Halse stecken, in: GDP Serie B, Erntedankfest. Reformationsfest, Hg. Von Erhard Domay, Gütersloh 1988, S. 67-68. von Issendorf, Bernhard, Erntedankfest – eine schwierige homiletische Situation, in: Erntedank. Vom Denken und Danken, Hg. von Hans Jürgen Milchner, Göttingen 1993, S. 20-24. von Issendorf, Bernhard, Nebenraus gesungen: „Wir pflügen und wir streuen“. Ein neues Lied im alten Gewand, in: Hans Jürgen Milchner (Hg.), Erntedank. Vom Denken und Danken, Göttingen 1993, S. 6465. 307 Janowski, Bernd, Dankbarkeit. Ein anthropologischer Grundbegriff im Spiegel der Toda-Psalmen, in: Janowski, Bernd, Der Gott des Lebens. Beiträge zur Theologie des Alten Testamentes, NeukirchenVluyn 2003, S. 267-312. Jeremias, Joachim, Neutestamentliche Theologie. Erster Teil: Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 21971. Josuttis, Manfred, Gottesdienst, in: Praktisch-theologisches Handbuch, Hg. von Gert Otto, Hamburg 21975, S. 284-308. Josuttis, Manfred, Erntedank – ein unmögliches Fest, in: Richard Riess (Hg.), Wenn der Dornbusch brennt, München 1989, S. 208-217. Josuttis, Manfred, Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage, München 1991. Josuttis, Manfred, Texte und Feste in der Predigtarbeit, Homiletische Studien 3, Gütersloh 2002. Just, Friedrich, Brauchtum, Dresden 1932. Kaiser, Otto, Einleitung in das Alte Testament. Eine Einführung in ihre Ergebnisse und Probleme, Gütersloh 51984. Kerlen, Eberhard, Erntedankfest, GPM 45 (1990/1991), Göttingen 1991, S. 391-396. Kirchhoff, Hermann, Christliches Brauchtum, München 1995. Kirste, Reinhard, Jugend- und Schulgottesdienst, in: Handbuch der Liturgik, Hg. von Hans-Christoph Schmidt-Lauber, Michael Meyer-Blanck und Karl-Heinrich Bieritz, Göttingen 32003, S. 832-845. Klauck, Hans-Josef, 2. Korintherbrief, Die Neue Echter Bibel, Würzburg 1986. Knöller, Johannes, Freude als Quelle der Predigt bei Ernst Fuchs, in: Christian Möller (Hg.), Freude an Gott. Hermeneutische Spätlese bei Erst Fuchs, Waltrop 2003, S. 274-283. Köhler, Herbert, Sprechmotette zum Erntedanktag, in: Erntedankfest, Reformationsfest: Predigten, Texte, Gottesdienstentwürfe, Hg. Von Horst Nitschke, Gütersloh 1980, S. 19-20. Köhler, Ludwig, Theologie des Alten Testamentes, Tübingen 31953. Köhler, Rudolf, Die biblischen Quellen der Lieder, Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch I/2, Göttingen 1965. Köpf, Ulrich, Franz von Assisi, in: Martin Greschat (Hg.), Gestalten der Kirchengeschichte Band 3 Mittelalter, Stuttgart u.a. 1983, S. 282-302. Krabbe, Dieter, Freuet euch mit Jerusalem. Jüdisches Leben, Denken und Gedenken, München 1995. Kremer, Jacob, Lukasevangelium, Die Neue Echter Bibel: Kommentar zum Neuen Testament, Bd. 3, Würzburg 1988. Kromberg, Michael, Gottesdienst von halb zehn bis halb drei. Bericht von einem Erntedankgottesdienst, ZGP 5/87, S. 15-17. Kruse, Martin, Erntedankfest, GPM 44 (1989/1990), Göttingen 1990, S. 408-413. Kugler, Georg, Familiengottesdienste. Entwürfe, Modelle, Einfälle, Gütersloh 1971 Kugler, Georg, Stationen neuer Gottesdienste, in: Kugler, Georg, Lindner, Herbert, Neue Familiengottesdienste, Gütersloh 1973, S. 13-16. 308 Kugler, Georg, Wie könnten Familiengottesdienste aussehen?, in: Kugler, Georg, Lindner, Herbert, Neue Familiengottesdienste, Gütersloh 1973, S. 17-43. Kulp, Johannes, Die Lieder unserer Kirche. Eine Handreichung zum Evangelischen Kirchengesangbuch, Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch Sonderband, Göttingen 1958. Langhoff, Johannes, Zu Fragen des Familiengottesdienstes, Die Christenlehre 35 (1982), S. 140-144. Leo der Große, Sermo XVI: Fünfte Predigt über das Fasten im Dezember, aus: Leo der Große. Reden zu den Mysterien des Kirchenjahres, Deutsche Übersetzung von Theodor Steeger, bearbeitet von Peter Stockmeier; Schriften der Kirchenväter, Hg. Von Norbert Brox, Band 9, München 1984, S. 21-28. Limbeck, Meinrad, Wer Dank opfert, preiset mich. Möglichkeiten und Grenzen kultischer Opfer, Bibel und Kirche (49) 1994, S. 132-137. Lindemann, Andreas, Die biblischen Thoragebote und die paulinische Ethik, in: Schrage, Wolfgang (Hg.), Studien zu Text und zur Ethik des Neuen Testaments, FS H. Greeven, Berlin 1986, S. 242-265. Liturgieentwürfe für das Kirchenjahr, verfasst vom Liturgischen Arbeitskreis der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau unter der Leitung von Friedrich K. Barth, Frankfurt 41995. Loscher, Klaus, Art. Apelles von Löwenstern, in: Komponisten und Liederdichter des Evangelischen Gesangbuchs, Hg. von Wolfgang Herbst, Göttingen 1999, S. 24-25. Lubkoll, Hans-Georg, Erntedankfestpredigt im Rundfunk, in: Erntedankfest. Reformationsfest: Predigten, Texte, Gottesdienstentwürfe, Hg. von Horst Nitschke, Gütersloh 1980, S. 42-47. Maertens, Thierry, Heidnisch-jüdische Wurzeln der christlichen Feste, Mainz 1965. Marx, Alfred, Art. Opfer II. Altes Testament, RGG4 Bd. 6, Tübingen 2003, Sp. 573. Mayer, G., Art. ידהII, Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament III, Stuttgart u.a. 1982, Sp. 457458. Mayer, G., Art. ידהIII, Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament III, Stuttgart u.a. 1982, Sp. 460474 Merkel, Friedemann, Erntedankfest, GPM 23 (1968/69), Göttingen 1969, S. 357-362. Merkel, Helmut, Art. Feste und Feiertage IV, TRE 11, Berlin, New York 1983, S. 115-132. Meschke, Kurt, Art. Kranz, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Bd. 5, Berlin, New York 1932/33, Sp. 381-428. Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebiets, Freiburg 1984. Michl, Johann, Art. Michael I, LThK2 Bd. 7, Freiburg 1962, Sp. 393-394. Milchner, Hans Jürgen, Eingangsgebet, in: Erntedank. Vom Denken und Danken, Hg. Von Hans Jürgen Milchner, Göttingen 1993, S. 134. Möller, Christian, Gottesdienst als Gemeindeaufbau. Ein Werkstattbericht, Göttingen 21990. Möller, Christian, Erntedankfest, GPM 52 (1997/1998), Göttingen 1998, S. 446-450. Möller, Christian, Lutherische Spiritualität – Reformatorische Wurzeln und geschichtliche Ausprägungen, in: Lutherische Spiritualität – lebendiger Glaube im Alltag, Hg. von Hans Krech und Udo Hahn, Hannover 2005, S. 15-37. 309 Müller, Reinhold, Tanz vor Gott. Die Heimkehr des Tanzes in die Kirche, Stuttgart 1999. Münkner, Dorothee, Es wachsen Früchte an unserm Baum. Familiengottesdienst und Fest, in: Gottesdienst Praxis Serie B Erntedankfest. Reformationsfest, Hg. Von Erhard Domay, Gütersloh 1998, S. 27-32. Nagel, Eduard, Art. Familiengottesdienst, Lexikon der Pastoral Bd. 1, Freiburg 2001, Sp. 440-441. Nagel, William, Die Krise des Gottesdienstes und ihre praktischen Konsequenzen (praktische Liturgik), in: Handbuch der Praktischen Theologie, Berlin 1974, Bd. 2, S. 100-106. Nestle, Dieter, Erntedankfest, GPM 43 (1988/1989), Göttingen 1989, S. 381-386. Nestle, Dieter, Wir pflügen und wir streuen, in: Christian Möller (Hg.), Ich singe dir mit Herz und Mund, Stuttgart 1997, S. 273-282. Öffner, Ernst, Feier des Brots und des Lebens. Zur Auferweckung des Erntedankfestes, ZGP 5/92, S. 18-22. Opp, Walter, Gottfried Tollmann, in: Komponisten und Liederdichter des Evangelischen Gesangbuchs, Hg. von Wolfgang Herbst, Göttingen 1999, S. 327. Otto, Eckart, Art. Feste und Feiertage II Altes Testament, TRE 11, Berlin, New York 1983, S. 96-106. Petsch, Hans-Joachim, Erntedankfest B, PrSt II/2 (1997/1998), Stuttgart 1998, S. 188-192. Petuchowski, Jakob J., Feiertage des Herrn. Die Welt der jüdischen Feste und Bräuche, Freiburg u.a. 1984. Petzold, Leander, Art. Brauch, RGG4 Bd. 1, Tübingen 1998, Sp. 1737. Plathow, Michael, Danken und Dankbarkeit in der Betrachtung des Glaubens, in: Theologische Beiträge 27/1996, S. 274-284. Perlitt, Lothar, Erntedankfest, GPM 25 (1970/1971), Göttingen 1971, S. 391-399. Pohl-Patalong, Uta, Bibliolog. Gemeinsam die Bibel entdecken im Gottesdienst, in der Gemeinde, in der Schule, Stuttgart 2005. Pokorny, Petr, Theologie der lukanischen Schriften, Göttingen 1998. Poppinga, Onno, Arbeiten fürs Ernten als gesellschaftlicher Störfall, in: Erntedank 2001: Ernten oder Schätze sammeln, Kirche im ländlichen Raum 2/2001, S. 8-13. Pratscher, W., Art. θεριζω, Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Band II, Wuppertal 2000, S. 1522-1524. Preuß, Horst Dietrich, Theologie des Alten Testamentes I, Stuttgart u.a. 1991. Preuß, Horst Dietrich, Theologie des Alten Testamentes II, Stuttgart u.a. 1992. Ratzmann, Wolfgang, Familiengottesdienst, in: Handbuch der Liturgik, Hg. von Hans-Christoph Schmidt-Lauber, Michael Meyer-Blanck und Karl-Heinrich Bieritz, Göttingen 32003, S. 820-831. Rauchenecker, Herbert, Lebendiges Brauchtum, München 1985. 310 Reich, Christa, Das Kirchenlied, in: Handbuch der Liturgik, Hg. von Hans-Christoph Schmidt-Lauber, Michael Meyer-Blanck und Karl-Heinrich Bieritz, Göttingen 32003, S. 763-777. Reich, Werner, Die Beteiligung der Gemeinde, in: Handbuch der Liturgik, Hg. von Hans-Christoph Schmidt-Lauber, Michael Meyer-Blanck und Karl-Heinrich Bieritz, Göttingen 32003, S. 787-797. Rieger, Hans Martin, Art. Dankbarkeit, Calwer Bibellexikon Bd. I, Stuttgart 2003, S. 230. Rienecker, Fritz, Das Evangelium des Lukas, Wuppertaler Studienbibel, Wuppertal 1994. Roloff, Jürgen, Erntedankfest, GPM 55 (2000/2001), Göttingen 2001, S. 409-417. Rommel, Kurt, Solange die Erde steht. Entwurf zu einem Familiengottesdienst am Erntedankfest, in: Der evangelische Erzieher, 39/1987, S. 451-464. Rommel, Kurt, Familien im Gottesdienst, Lahr 1971. Rommel, Kurt, Familiengottesdienste im Kirchenjahr, Band V, Stuttgart 1983. Das vollständige Römische Messbuch, Hg. Von den Benediktinern der Erzabtei Beuron, Freiburg u.a. 1963. Ruddat, Günter, Baltruweit, Fritz, Gemeinde gestaltet Gottesdienst 3, Gütersloh 2002. Ruddat, Günter, Art. Feste und Feiertage VI, TRE 11, Berlin, New York 1983, S. 134-143. Safire, William, Vorwort zu Edward Bleier, The thanksgiving Ceremony. New Traditions for Americas familiy feast, New York 2003, S. 11-18. Sauer-Geppert, Waltraud Ingeborg, Sprache und Frömmigkeit im deutschen Kirchenlied, Kassel 1984. Scharbert, J., Art. ברך, Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament I, Stuttgart u.a. 1973, Sp. 808841. Schauerte, Heinrich, Art. Volksbrauch, LThK2 Bd. 10, Freiburg 1965, Sp. 848-849. Schimanowski, G., Schultz, H., Art. αινεω, in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament Band I, Hg. von Lothar Coenen und Klaus Hacker, Wuppertal u.a. 1997, S. 239-240. Schmidt, Heinz, Lebenszyklisch orientierte Familienseelsorge in der Gemeinde, in: Auf dem Weg zu einer seelsorglichen Kirche, Hg. Von Manfred Josuttis, Heinz Schmidt und Stefan Scholpp, Göttingen 2000, S. 127-138. Schmidt, Ulrich, Nicht vergeblich empfangen, Eine Untersuchung zum 2. Korintherbrief als Beitrag zur Frage nach der paulinischen Einschätzung des Handelns, Stuttgart 2004. Schmiedehausen, Hans, Elementares wieder entdecken. Theologisch-homiletische Einführung zum Erntedankfest, in: GDP Serie B, Hg. Von Erhard Domay, Gütersloh 1992, S. 7-12. Schmitthals, Walter, Das Evangelium nach Lukas, Züricher Bibelkommentare, Zürich 1980. Schmucki, Oktavian, Art. Franziskus von Assisi, RGG4 Bd. 3, Tübingen 2000, Sp. 250-254. Schneider, Christoph, Erntedankfest, GPM 47 (1992/1993), Göttingen 1993, S. 385-390. Schneider, Matthias, Herbst, Michael, Wir predigen nicht uns selbst. Arbeitsbuch für Predigt und Gottesdienst, Neukirchen-Vluyn 2001. Schneider, Martin Gotthard, Gerhard Vicktor (Hgg.), Alte Choräle – neu erlebt. Kreativer Umgang mit Kirchenliedern in Schule und Gemeinde, Lahr 1993 Schnittker, Thaddäus A., Art. Erntedankfeste, EKL Bd. 1, Göttingen 1986, Sp. 1076. 311 Schoberth, Wolfgang, Einführung in die theologische Anthropologie, Darmstadt 2006. Schoenauer, Gerhard, Erntedanktag, GPM 58 (2003/2004), Göttingen 2004, S. 472-478. Schrage, Wolfgang, Ethik des Neuen Testamentes, Göttingen 51989. Schultz, H., Schimanowski, G., Art. αινεω, in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament Band I, Hg. von Lothar Coenen und Klaus Hacker, Wuppertal u.a. 1997, S. 239-240. Schulz, Ehrenfried, Art. Brauch, Brauchtum, in: Lexikon der Pastoral Bd. 1, Freiburg 2002, Sp. 216f. Schulz, Frieder, Das Gebet, in: Handbuch der Liturgik, Hg. von Hans-Christoph Schmidt-Lauber, Michael Meyer-Blanck und Karl-Heinrich Bieritz, Göttingen 32003, S. 742-762. Schumacher, Marta, Anfragen und Wünsche an meine Kirche, in: Erntedank 2001: Ernten oder Schätze sammeln, Kirche im ländlichen Raum 2/2001, S. 23-25. Schürmann, Heinz, Art. Dank, LTHK2 Bd. 2, Freiburg 1956, Sp. 158-159. Schuster, Robert, Erntedankfest, GPM 51 (1996/1997), Göttingen 1997, S. 434-439. Schwinge, Monika, Erntedankfest B, PrSt I/2 (1991), Stuttgart 1991, S. 234-237. Seebaß, Horst, Art. Opfer II. Altes Testament, TRE 25, Berlin, New York 1995, S. 258-267. Siegel, Helmut, Predigt über 1. Mose 8, 15-22, in: Erntedankfest. Reformationsfest: Predigten, Texte, Gottesdienstentwürfe, Hg. von Horst Nitschke, Gütersloh 1980, S. 53-56. Sollenberger, Judith Katrina, Art. Thanksgiving Day, in: Encyclopaedia Britannica Bd. 22, Chicago/London/Toronto 1962, S. 25. Stählin, Wilhelm, Große und kleine Feste der Christenheit, Gütersloh 1963. Stein, Albert, Art. Gewohnheit/Gewohnheitsrecht IV, TRE 13, Berlin, New York 1984, S. 254-256. Stern, Marc, Gelebte jüdische Feste. Erinnern – Feiern – Erzählen, Gütersloh 1999. Stierle, Beate, Erntedankfest A, PrSt II/2 (2003/2004), Stuttgart 2004, S. 176-180. Stock, Konrad, Art. Sitte/Sittlichkeit, TRE 31, Berlin, New York 2000, S. 318-333. Stolzmann, Klaus, Kindergottesdienst/Kinder in der Kirche, in: Bloth, Peter C. u.a. (Hg.) Handbuch der Praktischen Theologie, Gütersloh 1987 Bd. 4, S. 57-63. Ter-Nedden-Amsler, Brigitte, Erntedankfest A, PrSt I/2 (1991), Stuttgart 1991, S. 229-233. Thissen, Werner, Schöpfungsbejahung und Kreuzesnachfolge, in: Der lebendige Gott. Studien zur Theologie des Neuen Testamentes, Hg. Von Thomas Söding, Münster 1996, S. 361-367. Thürig, Markus, Dankbarkeit. Plädoyer für eine christliche Grundhaltung, in: Geist und Leben 61, Würzburg 1988, S. 187-197. Timm, Gottfried, Erntedankfest, GPM 46 (1991/1992), Göttingen 1992, S. 373-377. Vicktor, Gerhard, Martin Gotthard Schneider (Hgg.), Alte Choräle – neu erlebt. Kreativer Umgang mit Kirchenliedern in Schule und Gemeinde, Lahr 1993. Voll, Wolfgang, Art. Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit, in: Liederkunde zweiter Teil, Hg. von Joachim Stalmann und Johannes Heinrich, Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch III/2, Göttingen 1990, S. 509-512. 312 Voll, Wolfgang, Art. Die Ernt ist nun zu Ende, in: Liederkunde zweiter Teil, Hg. von Joachim Stalmann und Johannes Heinrich, Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch III/2, Göttingen 1990, S. 512514. Voll, Wolfgang, Art. Das Feld ist weiß, in: Liederkunde zweiter Teil, Hg. von Joachim Stalmann und Johannes Heinrich, Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch III/2, Göttingen 1990, S. 514-516. Wagemann, Gertrud, Feste der Religionen. Begegnung der Kulturen, München 2002. Wander, B., Esser, H.H., Art. ευχαριστια, in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament Band I, Hg. von Lothar Coenen und Klaus Hacker, Wuppertal u.a. 1997, S. 240-242. Wannenwetsch, Bernd, Art. Dank, RGG4 Bd. 2, Tübingen 1999, Sp. 562-563. Weber-Kellermann, Ingeborg, Landleben im 19. Jahrhundert, München 1987. Westermann, Claus, Lob und Klage in den Psalmen, Göttingen 51977. Winkler, Eberhard, Praktisch-theologische Überlegungen zum Erntedankfest, in: In der Schar derer, die da feiern. Feste als Gegenstand praktisch-theologischer Reflexion, Hg. von Peter Cornehl u.a., Göttingen, 1993, S. 134-146. Wolff, Christian, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, Berlin 1989. Wolff, Hans Walter, Anthropologie des Alten Testamentes, München 51990. Wolfsberg, Oskar, Sukkot, Schemini Azaret, Simchat Tora, in: Friedrich Thierberger (Hg.), Jüdisches Fest. Jüdischer Brauch, Berlin 21967, S. 313-324. Wunderlich, E., Art. Erntedankfest, RGG3 Bd. 2, Tübingen 1958, Sp. 602. Wüstenberg, Ulrich, Das 19. Jahrhundert, in: Kirchenlied und Gesangbuch. Quellen zu ihrer Geschichte, Ein hymnologisches Arbeitsbuch, Hg. von Christian Möller, Tübingen 2000, S. 214-266. Zeilinger, Helmut, Leben – Lebensmittel – Lebenszeichen, in: GDP Serie B ErntedankfestReformationsfest, Hg. Von Erhard Domay, Gütersloh 2006, S. 33-39. Zemmrich, Christian, Intensiv leben lernen, in: Erntedank. Vom Denken und Danken, Hg. Von Hans Jürgen Milchner, Göttingen 1993, S. 101-103. Zillessen, Klaus, Kinderpredigt zum Erntedankfest, in: Erntedankfest, Reformationsfest: Predigten, Texte, Gottesdienstentwürfe, Hg. Von Horst Nitschke, Gütersloh 1980, S. 28-30. Zulehner, Paul M., Ritus und Symbol in volkskirchlicher Situation, in: Bloth, Peter C. u.a. (Hg.) Handbuch der Praktischen Theologie Bd. 4, Gütersloh 1987, S. 33-42. 313
* Your assessment is very important for improving the work of artificial intelligence, which forms the content of this project
advertisement