DOKUMENTATION „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz Fulda, 21. Januar 2011 Kirchliche Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen DOKUMENTATION „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz Fulda, 21. Januar 2011 IMPRESSUM Herausgeber: Kirchliche Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen e.V. Neuenberger Str. 3-5 36041 Fulda www.kath-maennerarbeit.de Redaktion: Dr. Andreas Ruffing [email protected] Manuel Gall [email protected] Layout: Manuel Gall Foto: Manuel Gall Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Vorwort von Bischof Dr. Franz-Josef Bode ......................................................................................... 3 Einführung.......................................................................................................................................... 5 Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall: Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral. Erste Schritte einer pastoraltheologischen Interpretation und Umsetzung .......................................... 6 1. Teil: Soziologische Betrachtung .................................................................................................... 23 Prof. Dr. Bernhard Laux: Kirchenoffene Männer? Präsentation sozialwissenschaftlicher Studien zum Rollenverständnis und Rollenwandel der Männer ............................................................................. 24 2. Teil: Theologische Vertiefung ....................................................................................................... 38 Prof. Dr. Stephan Goertz: Männer in der reflexiven Moderne. Thesen zum Zusammenhang von Gesellschaft, Identität und Männlichkeit ........................................................................................... 39 3. Teil: Perspektiven für die Männerpastoral – Drei pastorale Konzepte ......................................... 53 Dr. Hans Prömper: Männerbildung als integraler Bestandteil der Pastoral ...................................................................... 54 Alexander Obst: Männerseelsorge in Großstadt und Diaspora. Situation und Perspektiven im Erzbistum Berlin ................................................................................ 64 Diakon Gerhard Kahl: Männerseelsorge in der neuen Pfarrei .............................................................................................. 67 Schlusswort von Erzbischof Dr. Ludwig Schick.................................................................................. 72 Autorin und Autoren ........................................................................................................................ 75 Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 2 Vorwort Bischof Dr. Franz-Josef Bode Vorwort Die katholische Männerseelsorge in Deutschland mit ihrer langen traditionsreichen Geschichte steht heute vor einer doppelten Herausforderung. Einerseits hat sich die Gesellschaft verändert: Das Verhältnis der Geschlechter ist tiefgreifenden Wandlungen unterworfen; viele Männer haben ein neues Selbstverständnis gewonnen. Andererseits hat sich auch die Kirche verändert: Christlichkeit und Katholizität sind weithin nicht mehr selbstverständlich; neue Formen der Gotteserfahrung und der Zugehörigkeit zur Kirche haben sich herausgebildet. Diesen Veränderungen in Gesellschaft und Kirche ist Rechnung zu tragen. Nur wenn wir uns auf die Herausforderungen der Zeit einstellen, bleiben wir Jesus Christus, der Ursprung, Norm und Inhalt kirchlichen Handelns ist, treu. Im Jahre 2001 haben die deutschen Bischöfe den Grundauftrag für die Männerseelsorge neu formuliert. In den entsprechenden Richtlinien beschreiben sie die Männerseelsorge und die kirchliche Männerarbeit als Einladung an alle Männer, ihren Lebensweg „in der Gemeinschaft der Kirche zu gehen und ihre Suche Identität und gelingendem Leben immer wieder neu an dem Evangelium auszurichten“. Die katholische Männerseelsorge kann bei ihren konzeptionellen Überlegungen für die Zukunft auf breite Erkenntnisse der empirischen Sozialforschung zurückgreifen, eine Forschung, die sie zum Teil auch selbst angeregt und begleitet hat. Hier ist zuerst die empirische Studie „Männer in Bewegung“ der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands (GKMD) und der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland aus dem Jahre 2009 zu nennen. Diese Studie belegt Veränderungen in den Geschlechterrollen sowie im Geschlechterverhältnis und deckt die Vielfalt heutiger „Männlichkeiten“ auf; ein Befund, den andere Studien bestätigen. Um für das Handeln der Kirche fruchtbar werden zu können, müssen diese sozialwissenschaftlichen Befunde interpretiert und im Lichte des Evangeliums bewertet werden. Wichtige Fragen lauten dann: Wie formulieren Männer heute ihre Sehnsüchte und Lebensziele? Wie kann die Kirche der Pluralität männlicher Lebenswirklichkeit Rechnung tragen? Wie kann sie den Männern mit ihren verschiedenen Lebensentwürfen und Erfahrungshintergründen so beistehen, dass sie sich nicht an Nebensächlichkeiten orientieren, sondern den Gott, der Leben in Fülle verheißt, zum Maßstab nehmen? Die Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz hatte am 21. Januar 2011 zu einem Fachgespräch eingeladen, um mit Experten und Praktikern der Männerseelsorge diese Fragen ausführlich zu diskutieren. „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ lautete das Leitmotiv. Die hier vorliegende Dokumentation des Tages macht deutlich, dass aus dem vorsichtigen Fragezeichen ein klares Ausrufezeichen werden muss. Wir sind nicht allein nur in der diözesanen Männerseelsorge, sondern in der Pastoral insgesamt aufgefordert, den kirchenoffenen Männern noch stärker als bisher eine wirklich männeroffene Kirche zu sein. Ein wichtiges, wenn auch kein exklusives Instrument dafür sind die Männerseelsorge und Männerbildung der Kirche. Dass wir dabei nicht am Anfang stehen, sondern bereits über vielfältige und nachhaltige pastorale Erfahrungen verfügen, zeigten die Praxisberichte im zweiten Teil des Fachgespräches. Die darin sichtbar gewordenen Aufbrüche gilt es in Zukunft weiter zu entwickeln. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 3 Vorwort Bischof Dr. Franz-Josef Bode Ich danke dem Beauftragten der Pastoralkommission für die Männerseelsorge und kirchlichen Männerarbeit, Erzbischof Dr. Ludwig Schick. Er hat dafür Sorge getragen, dass die Männerseelsorge vorangekommen ist und auf neue Herausforderungen reagieren konnte. Auf seine Initiative hin ist es auch zu dem Fachgespräch gekommen. Dem Bereich Pastoral und der Arbeitsstelle Männerseelsorge danke ich für die Vorbereitung der Tagung und für die Erstellung dieser Dokumentation. Mein Dank gilt den Referenten der Tagung, der Autorin und den Autoren des Hintergrundpapiers, das vorbereitend zum Fachgespräch erstellt wurde. In meinem Dank schließe ich nicht zuletzt auch alle Verantwortlichen für die Männerseelsorge in den Diözesen ein. Durch ihren Dienst und ihr Engagement zeigen sie tagtäglich, was es heißt, eine männeroffene Kirche zu sein. Osnabrück/Bonn, 21. März 2011 Dr. Franz-Josef Bode Bischof von Osnabrück Vorsitzender der Pastoralkommission Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 4 Einführung Einführung Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 5 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral. Erste Schritte einer pastoraltheologischen Interpretation und Umsetzung Die Männer werden zum Thema! Die Auswahl an Männerliteratur wächst: Männer geraten zunehmend in den Blick der Forschung, besonders in den Sozial- und Humanwissenschaften – und eher noch zaghaft in der Theologie.1 Tagungen und Kongresse greifen Männerthemen auf und auch die Medien beschäftigen sich mit Fragen rund um das Leben von Jungen und Männern. Die Debatten um die „neuen“ Väter und die Bildungsbenachteiligung von Jungen sind hier nur zwei prominente Beispiele. Männerarbeit verliert in diesem Prozess auch allmählich ihren Exotenstatus, Männer und ihre spezifischen Bedürfnisse werden Stück für Stück zu einem Querschnittsthema in allen relevanten Bereichen unserer Gesellschaft. will.2 Angekündigt für Dezember 2010 ist ebenfalls der erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung3, zu dessen Erstellung die beauftragte Sachverständigenkommission in zwei Hearings auch Experten aus verschiedenen Männerorganisationen und der Männerarbeit zu Rate gezogen hat. Nicht zu vergessen ist, dass die Studie „Männer in Bewegung“4 immerhin schon das zweite große Forschungsprojekt der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands (GKMD) und der Männerarbeit der EKD darstellt, das das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert hat. Dies zeigt im Übrigen auch, dass die Männerarbeit beider Kirchen auf Bundesebene ein gefragter und geschätzter Gesprächspartner für die Politik ist. Diese Entwicklung ist mittlerweile auch in der Politik zu spüren: Im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung sind erstmals Jungen- und Männerpolitik als eigenständige politische Handlungsfelder benannt: „Wir wollen eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik entwickeln und bereits bestehende Projekte für Jungen und junge Männer fortführen und intensivieren.“ Für November 2010 ist die Gründung des Bundesforums Männer vorgesehen, das alle an Geschlechtergerechtigkeit orientierten Akteure der Jungenund Väter- sowie Männerarbeit analog zum Deutschen Frauenrat zusammenschließen Die gewachsene, gesellschaftliche Bedeutung der Männerfrage, wie sie eben kurz skizziert wurde, stellt die katholische Kirche in Deutschland, zusammen mit der EKD, immerhin der größte Anbieter von Männerarbeit in unserem Land, vor neue Herausforderungen. Denn für die Männerpastoral ändert sich der Hintergrund ihres Arbeitens. Das zunehmende Bewusstsein für Männeranliegen in der deutschen Gesellschaft und der wachsende Markt der säkularen Männerarbeit werfen die Frage nach dem spezifisch kirchlichen Profil kirchli- 1 Einen Einblick liefern etwa die Sammelbände von Marie-Theres Wacker/Stefanie Rieger-Goertz (Hg.), Mannsbilder. Kritische Männerforschung und theologische Frauenforschung im Gespräch, Münster 2006 sowie Maria Elisabeth Aigner/Johann Pock (Hg.), Geschlecht quer gedacht. Widerstandspotenziale und Gestaltungsmöglichkeiten in kirchlicher Praxis, Münster 2009. 2 Informationen unter www.bundesforum-maenn r.de. 3 Informationen unter www.bmfsfj.de/BMFSFJ/glei chstellung,did=126762.html. 4 Rainer Volz/Paul M. Zulehner, Männer in Bewegung. Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland. Ein Forschungsprojekt der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands und der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (Forschungsreihe Band 6), Baden-Baden 2009. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 6 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall cher Angebote für Männer auf. Stärker als bislang erscheint bei allen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und nicht nur bei den ausdrücklich Beauftragten in der Männerseelsorge eine aufmerksame und wertschätzende Sensibilität für Bedürfnisse und Lebenslagen für Männern wünschenswert. Gefragt ist damit eine kirchliche Männerpastoral oder noch mehr: eine Kirche, die insgesamt in ihren vielfältigen pastoralen Wirkungsbereichen offen ist für die Männer und ihnen einladend begegnet. Für eine solche Männerpastoral der Zukunft unter dem Paradigma der missionarischen Pastoral will das vorliegende Papier erste Diskussionsanstöße liefern. Für das Papier zeichnet eine Arbeitsgruppe der Kirchlichen Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen verantwortlich, die sich von November 2009 bis Juli 2010 getroffen hat. Das Papier gliedert sich in vier Kapitel: Ein erstes Kapitel zeichnet die Entwicklung der Männerarbeit in den letzten Jahren und Jahrzehnten nach, um daran deutlich zu machen, warum jetzt ein Paradigmenwechsel in der Männerpastoral ansteht. In einem zweiten Kapitel steht die aktuelle sozialwissenschaftliche Männerforschung im Mittelpunkt einer kritischen Sichtung. Leitend ist dabei das Interesse, welche Erkenntnisse besonders die von der katholischen Männerarbeit mit in Auftrag gegebenen Studien „Was Männern Sinn gibt“ 5 aus dem Jahre 2005 und „Männer in Bewegung“6 bezüglich der Entwicklung und Ausformung von Männlichkeiten 5 Martin Engelbrecht, Was Männern Sinn gibt. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Die unsichtbare Religion kirchenferner Männer“. Durchgeführt am Institut zur Erforschung der religiösen Gegenwartskultur der Universität Bayreuth im Auftrag der Männerarbeit der EKD und der Kirchlichen Arbeitsstelle für Männerarbeit und Männerseelsorge in den deutschen Diözesen, Kassel 2005. Buchveröffentlichung: Martin Engelbrecht/Martin Rosowski, Was Männern Sinn gibt. Leben zwischen Welt und Gegenwelt, Stuttgart 2007. 6 S.o. Anm. 4. liefern und welche „Lesehilfen“ sie damit für eine aufmerksame und männeroffene pastorale Wahrnehmung der Lebenslagen und Bedürfnisse von Männern heute geben. Das dritte Kapitel formuliert vor diesem Hintergrund heutiger Bedingungen von Männlichkeiten grundlegende theologische Eckdaten für eine Männerpastoral der Zukunft. Diese orientiert sich konsequent an den kirchlichen Grundvollzügen, verzichtet dabei bewusst auf die Unterscheidung zwischen kategorialer und gemeindebezogener Seelsorge, wie sie die letzten Jahre geprägt hat, und nimmt darin auch die Veränderungen in der Sozialgestalt von Kirche theologisch ernst. Ein abschließendes Kapitel schließlich versucht daraus erste Handlungsempfehlungen zu ziehen. 1. Der notwendige Blick zurück: Von der Männerseelsorge über die Männerarbeit zur Männerpastoral Am 19. November 2001 verabschiedete der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz in Würzburg die „Richtlinien für die Männerseelsorge und kirchliche Männerarbeit“. Der Beauftragte für die Männerseelsorge in der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, fasste auf einer Pressekonferenz in Fulda zwei Wochen später Anliegen und Zielsetzung des Papiers wie folgt zusammen: „Der katholischen Männerseelsorge und Männerarbeit, wie sie in Deutschland bereits in einer Reihe von Diözesen durchgeführt und durch die Richtlinien für alle Bistümer empfohlen wird, geht es also um ‚Männerentwicklung’. Männerentwicklung hat sowohl zu tun mit Persönlichkeitsentwicklung, aber auch mit dem Wachsen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, den Tugenden, die das Verhältnis zu Gott beschreiben.“7 7 Der Text der Richtlinien wie das Pressestatement von Erzbischof Schick sind abgedruckt in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Richtlinien für die Männerseelsorge und kirchliche Männerarbeit (Arbeitshilfen Nr. 178), Bonn 2003. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 7 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall Mit dem Stichwort „Männerentwicklung“ machte Erzbischof Schick damals auf das Neue dieses Papiers aufmerksam, nämlich seine grundlegende Option für eine biographisch orientierte und dezidiert geschlechterbewusste pastorale Arbeit mit Männern. Sicher am deutlichsten akzentuiert sich dieses Anliegen im zweiten Kapitel der Richtlinien, wo einzelne Aufgaben- und Handlungsfelder beschrieben werden. Dort heißt es zu Beginn in bewusstem Anschluss an den Eingangssatz aus der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils Gaudium et spes: „Die katholische Männerseelsorge und Männerarbeit setzt biographisch an den Lebenssituationen und Lebensvollzügen der Männer an, trägt ihre Freude und Hoffnung, Trauer und Angst mit (vgl. GS 1) und ermutigt sie, ihr Mannsein zu entfalten.“8 Die in den Richtlinien vorgenommene pastorale Neujustierung steht am Ende eines längeren Diskussionsprozesses um Profil und Auftrag der katholischen Männerseelsorge. Dieser Prozess begann in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts als Folge einer tief greifenden Krise, die die naturständisch orientierte Männerseelsorge in der alten Bundesrepublik Deutschland seit dem Ende der 60er Jahre erfasst hatte. Entscheidend dafür waren zwei Entwicklungen: Die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil verstärkt erfolgte Gemeinde- und Familienorientierung in der Pastoral stellte die traditionelle Männerseelsorge, wie sie sich als Teil der klassischen Standesseelsorge in der Nachkriegszeit entwickelt hatte, zur Disposition. Männer, die sich bis dahin beispielsweise auf Pfarrebene in lokalen Männervereinen und Männergemeinschaften bzw. auf der Bistumsebene in den diözesanen Männerwerken engagierten, wanderten ab in die sich neu bildenden Pfarrgemeinderäte und synodalen Gremien. Zugleich wandelten sich die großen Das Zitat hier auf S.17f. 8 Ebd., S.9. Männerverbände Kolping und KAB in ihrer Programmatik und ihrem konkreten Erscheinungsbild vor Ort in den Gemeinden zu Familienverbänden. Beide Vorgänge führten in der Folgezeit dazu, dass die Arbeit mit Männern als eigenständiges pastorales Handlungsfeld in den Pfarreien und Verbänden mehr und mehr an Bedeutung verlor. Die Männerseelsorge wurde damit im kirchlichen Bewusstsein zu einem pastoralen Randthema. Wie sehr der Vorrang der Familienpastoral und die daraus resultierende pastorale Randlage auch das Selbstverständnis der institutionalisierten Männerseelsorge in diesen Jahren prägte, zeigen anschaulich die „Richtlinien für die Männerseelsorge und kirchliche Männerarbeit“ vom 25. Januar 1982, also die unmittelbaren Vorgänger der Richtlinien aus dem Jahr 2001. Dort heißt es im ersten Teil durchaus bezeichnend: „Die kirchliche Männerseelsorge und Männerarbeit respektieren die Prioritäten einer umfassenden Familienpastoral.“9 Das Eingangskapitel, in dem dieser Satz steht, war mit „Die Angemessenheit einer eigenständigen Männerseelsorge und Männerarbeit“ überschrieben. Man beachte die Wortwahl: Von Angemessenheit und keineswegs etwa von Notwendigkeit oder Unverzichtbarkeit der Männerseelsorge war also in diesen Jahren die Rede! Damit einher ging eine zweite Entwicklung: Bis hinein noch tief in die 80er Jahre war die katholische Männerseelsorge in der konkreten Ausgestaltung ihrer Arbeit beeinflusst vom naturständischen Bild des außerhäuslichen Berufsmannes und damit im Kern von einem patriarchal geprägten Geschlechterbild. In den Richtlinien von 1982 lässt sich diese Orientierung durchaus noch nachweisen: In einer Auflistung der spezifischen Handlungsorte der Männerseelsorge werden dort nebeneinander 9 Der Text ist abgedruckt bei Hans Prömper, Emanzipatorische Männerbildung. Grundlagen und Orientierungen zu einem geschlechtsspezifischen Handlungsfeld der Kirche (zeitzeichen Bd. 12), Ostfildern 2003, S.487-491. Das Zitat hier auf S.488. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 8 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall Kirche, Ehe und Familie, Berufs- und Arbeitswelt sowie Öffentlichkeit und Politik genannt. Mit Blick auf die Berufs- und Arbeitswelt wird dann aber zugleich – und nur hier! - von einer „besondere(n) Sendung für den Mann“10 gesprochen. Das Leitbild des außerhäuslichen Berufsmannes wirkt also erkennbar weiter. Mit dieser nach wie vor am traditionellen Modell der Naturstände orientierten Ausrichtung freilich stieß die Männerseelsorge mit der Zeit auch innerkirchlich mehr und mehr auf Kritik, insbesondere auch von Seiten der Frauenseelsorge und kirchlichen Frauenverbände. Immerhin: Das von den Arbeitsstellen für Frauen- und Männerseelsorge gemeinsam herausgegebene Positionspapier „Frauenseelsorge und Männerseelsorge – eigenständig und partnerschaftlich – Überlegungen für die Zukunft“11 setzte schon Mitte der 80er Jahre ein erstes markantes Zeichen für eine überfällige Überprüfung der eigenen Geschlechterleitbilder. So stellt das Papier fest, dass die konkrete Ausprägung von Frausein und Mannsein „kulturgeschichtlichen Wandlungen“ unterworfen ist und sich daher nicht in einer für alle Zeit gültigen Form beschreiben lässt. Kritisiert werden daher „typisierende Einengungen“ durch Rollenzuschreibungen, die Anlagen und Fähigkeiten von Frauen und Männern gleichermaßen beschneiden. Auf dem Weg zu mehr Partnerschaft zwischen den Geschlechtern muss es auch darum gehen, dass beide (sic!) „Vorrangstellungen und Privilegien“ aufgeben. Auch von „Verunsicherung und Verletzungen“ werden beide auf diesem Weg nicht verschont bleiben. Doch es gibt keine Alternative dazu, weil es für Frauen und Männer der Königsweg „zur Entfaltung des Lebens“ ist. Damit ist im Grunde schon der Weg vorgezeichnet, mit dem in den 90er Jahren um eine Neuausrichtung der Männerseelsorge gerungen wurde. Denn spätestens jetzt wurde offensichtlich, dass die Veränderungen männlicher Lebenswelten und Lebenskonzepte auch Männer in den traditionellen kirchlichen Milieus nicht mehr unberührt ließen. Unter den Verantwortlichen der katholischen Männerseelsorge auf Diözesan- und Verbandsebene setzte sich mehr und mehr die Einsicht durch, dass die Zukunft der eigenen Arbeit in einer dezidiert geschlechtssensiblen Wahrnehmung und Begleitung von Männern in ihren unterschiedlichen Lebenskontexten zu liegen hat. Die Richtlinien des Jahres 2001 greifen diese Überlegungen auf und führen sie zu einem vorläufigen Abschluss. Dabei nehmen sie drei wesentliche Akzentsetzungen vor: Erstens wird der erkennbare Wandel im Leben von Männern mit all seinen Auswirkungen auf das Verständnis von Geschlechterrollen und auf die Entwicklung männlicher Geschlechtsidentität als ein Resultat der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse der letzten Jahrzehnte dezidiert benannt und nachdrücklich in seiner Bedeutung für das pastorale Handeln wahrgenommen. Die Erkenntnisse sozialwissenschaftlicher Geschlechter- und Männerforschung, so vor allen Dingen die Ergebnisse der ersten großen empirischen Männerstudie12 der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands und der Männerarbeit der EKD finden auf diesem Wege Eingang und Berücksichtigung. Zweitens erhält die katholische Männerseelsorge eine Verortung im Rahmen des pastoralen Gesamtauftrages der Kirche. Sie ist „Bestandteil des umfassenden Heilsdienstes der Kirche“. Der Heilsdienst der Männerseelsorge vollzieht sich für die Richtlinien zum einen in einer an den konkreten Alltagserfahrungen und Lebensfragen heutiger Männer orientierten solidarischen Wegbegleitung. Betont wird hier in besonderer Weise das diakonische Profil der Männerseelsorge, das Männer in ihrer „Suche nach Identität und gelingendem Leben“ unterstützen will und darin auch einen 12 10 11 Ebd., S.489. Als Broschüre gedruckt, Düsseldorf 1987. Paul M. Zulehner/Rainer Volz, Männer im Aufbruch. Wie Deutschlands Männer sich selbst und wie Frauen sie sehen. Ein Forschungsbericht, Ostfildern 1998. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 9 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall Dienst an den Menschen und an der Gesellschaft leistet. Gleichwohl halten die Richtlinien fest, dass zum Dienst der Männerseelsorge als unaufgebbares Proprium die Verkündigung des Evangeliums gehört. Im diakonischen Handeln der Männerseelsorge soll zugleich erfahrbar und hörbar werden, was Gott allen Menschen verheißen hat: Leben in Fülle in der Gemeinschaft mit ihm. Drittens schließlich wird die Männerseelsorge in den umfassenden Kontext einer missionarischen Pastoral eingebunden. Unterstrichen wird dies zu Beginn des zweiten Teiles der Richtlinien, wenn es heißt: „Weil die Kirche zu allen Menschen gesandt ist, sucht sie dabei auch das Gespräch mit jenen Männern, die sich von der Kirche entfernt haben und sich selbst als nichtgläubig verstehen.“13 Das Engagement der Männerseelsorge endet also für die Richtlinien nicht an der eigenen Kirchentür. Mit den Richtlinien des Jahres 2001 hat sich in vielen Diözesen Deutschlands ein Konzept von Männerseelsorge etabliert, das sich freilich heute – fast zehn Jahre später – unter den Bedingungen heutiger Weltsicht und Religiosität wie auch angesichts der sich verändernden Sozialgestalt von Kirche wieder neu auf seine Zukunftsfähigkeit befragen lassen muss. Hinzu kommt, dass – wie eingangs beschrieben – die Männerthematik noch erheblich an gesellschaftlicher Relevanz und Brisanz gewonnen hat und dies von den Männern auch mittlerweile viel stärker als konkret erfahrbarer Veränderungsund Leidensdruck wahrgenommen wird. Was aber heißt das nun für die Zukunft der Männerseelsorge? quent vollzogene Trennung zwischen gemeindlicher und kategorialer Seelsorge wieder. Männerseelsorge ist zu einem typischen Handlungsfeld kategorialer Seelsorge mit entsprechenden Strukturen, Trägern, Angebotsformen und auch Personal geworden – und steht so auch aktuell mit anderen kategorialen Handlungsfeldern auf dem Prüfstand, wenn es um die Frage geht, was zukünftig unabdingbar für das pastorale Handeln der Kirche ist. Das Unbehagen an dieser Versäulung, die die Männerseelsorge in eine fragile pastorale Sondersituation stellt, wächst bei den Verantwortlichen und mündet in die Forderung, Männerseelsorge möge doch bitte als pastorale Querschnittsaufgabe verstanden und umgesetzt werden. Wie aber lässt sich diese Querschnittsaufgabe in den neu entstehenden pastoralen Räumen konkret beschreiben? Zweitens: Die derzeitige Männerseelsorge ist wie schon erwähnt schwerpunktmäßig diakonisch ausgerichtet. Ein Blick in die Jahresprogramme diverser Diözesanstellen für Männerseelsorge zeigt beispielsweise, dass Angebote für Männer in spezifischen Lebens- und Problemlagen dominieren. Im Sinne der gültigen Richtlinien von 2001 geht es um helfende Unterstützung und Begleitung von Männern in solchen Lebenssituationen einerseits und um Stärkung ihrer Lebenskompetenzen andererseits. Paradebeispiel dafür sind die vielen Angebote für Väter (und ihre Kinder). Noch zu wenig theologisch durchbuchstabiert und erkennbar weniger sichtbar ist, wie die Männerseelsorge an den anderen kirchlichen Grundvollzügen Anteil hat und in welcher Weise sie diese Vollzüge durch ihr Handeln fördern kann. Drei Problemanzeigen dazu: Erstens: Männerseelsorge kommt in der pastoralen Praxis der Gemeinden so gut wie nicht vor. Darin spiegelt sich die nach dem Zweiten Vatikanum in der deutschen Kirche konse13 Drittens: Die historisch gewachsene, ursprünglich die verbandliche „Männerarbeit“ der Männerwerke und Männervereinigungen von der diözesanen, in bischöflicher Verantwortung stehenden „Männerseelsorge“ unterscheidende Doppelbezeichnung „Männerseelsorge und kirchliche Männerarbeit“ wird in Richtlinien, S.9. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 10 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall dieser spezifischen Ausdifferenzierung heute so nicht mehr verstanden. „Männerseelsorge“ und „Männerarbeit“ werden alltagssprachlich auch im katholischen Raum weitestgehend synonym gebraucht. Mehr und mehr durchgesetzt hat sich dabei der Begriff der „Männerarbeit“. Im sozialen und pädagogischen Bereich ist er gängiger Terminus und so auch außerkirchlich gut kommunizierbar. Damit aber stellt sich der Kirche zunehmend die Frage nach dem Profil ihrer „Männerarbeit“. Was unterscheidet „kirchliche Männerarbeit“ von der „Männerarbeit“ beispielsweise der säkularen Anbieter? Welche Qualitäts- und Unterscheidungsmerkmale, ja, welche Alleinstellungsmerkmale weist sie unter heutigen Bedingungen auf? So zeigt sich: Nach dem Übergang in den 80er und 90er Jahren von der traditionellen Standesseelsorge zu einer biographisch ansetzenden, vor allen Dingen diakonisch ausgerichteten und kategorial verankerten Männerarbeit wäre nun der Schritt zu einer bewusst an den kirchlichen Grundvollzügen ausgerichteten Männerpastoral zu gehen. Wie aber könnte dieser Weg aussehen? Um darauf eine theologisch begründete und pastoral verantwortete Antwort zu geben, ist zunächst einmal der Blick darauf zu richten, was empirische Forschung zur Wahrnehmung von Religiosität und Kirchlichkeit von Männern heute zu sagen hat. 2. Der empirische Befund: Unterschiedliche Männlichkeiten – und ihre Offenheit für Transzendenz und Kirche Das neu erwachte Interesse an Männern in Gesellschaft, Politik und Medien ist Ausdruck eines Wandels der Moderne und der Geschlechterverhältnisse, welche Ziele wie Chancengleichheit von Frauen und Männern, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Zeit für Kinder und zu pflegende Angehörige nicht mehr einseitig den Frauen als Akteurinnen zuschreibt. Vielmehr wird selbstverständlich vom notwendigen und aktiven Mittun beider Geschlechter an der Gestaltung und Weiterentwicklung von Arbeitswelt, Bürgergesellschaft und familiärer Lebenswelt ausgegangen. Darin verändern sich auch Wahrnehmung und Akzeptanz von Religiosität und Kirchlichkeit bei Männern und Frauen. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist unbestritten und empirisch gut nachweisbar, dass der unwiderrufliche Wandel der Selbstbilder und Rollen der Geschlechter an Stelle der bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wirkenden einheitlichen Identifikationen der Rollen des Mannes als „berufstätigem Ernährer“ und der Frau als „Erzieherin und Hüterin des Hauses“ eine Fülle verschiedener, teils auch widersprüchlicher Geschlechterrollen, Männlichkeiten und Weiblichkeiten sowie Lebensentwürfe hinterlassen hat. Dabei unterstützt die neuere Hirnforschung und Neurobiologie letztlich eine sozialwissenschaftliche Sicht auf die Geschlechterrollen: Die biologischen Voraussetzungen begründen zwar eine höhere „Verwundbarkeit“ der Jungen und Männer, sie reichen allerdings nicht zur Erklärung der geschichtlich gewordenen Unterschiede und Möglichkeiten aus.14 Der folgende Blick auf die vorliegenden Männerstudien fokussiert nun einerseits auf die unterschiedlichen „Typen“ heutiger Männer sowie andererseits auf die religiöse Offenheit, die Kirchlichkeit und die spirituelle Ansprechbarkeit von Männern. Daraus ergeben sich Hinweise und Kriterien für eine gegenwärtige, den Kairos nutzende Pastoral. Die quantitativen Einstellungsstudien von Paul M. Zulehner und Rainer Volz: Kirche ohne Männer? Paul M. Zulehner belegte mit seinen empirischen Männerstudien zwischen den Jahren 1992 und 2002 den Trend abnehmender (kirchlicher) Religiosität bei deutschen und 14 Vgl. Gerald Hüther, Männer. Das schwache Geschlecht und sein Gehirn. Göttingen 2009. Vgl. auch das Interview von Hans Prömper und Andreas Ruffing mit ihm in der Zeitschrift EB Erwachsenenbildung 2 (2010), S.73-76. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 11 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall österreichischen Männern.15 Durch die jeweils verschiedene Art der Kombination traditioneller und moderner Aspekte der Geschlechterrollen und Geschlechterbilder lassen sich vier Grundtypen von Männern voneinander abgrenzen. Die Differenzen zwischen den Typen der „Traditionellen“ (Mann als Ernährer der Familie), der „Neuen Männer“ (der geschlechter-demokratische Partner), der „Pragmatischen“ (die „Balancierer“ und „Rosinenpicker“ zwischen alt und neu) und der „Unsicheren“ (Männer mit verhaltenen Zustimmungen und Meinungen) sind teilweise beträchtlich.16 Mit einer Ausnahme: Mit Kindern beten tun sie alle übereinstimmend fast nie. Auch in der Zustimmung zu weltanschaulichen Orientierungen liegen sie nahe beieinander. Die Österreich-Studie von 2002 zählt nur noch 14% der Männer zu den christlich Orientierten, 25% zu den „Atheisierenden“; 32% neigen einem naturhaften Gottglauben zu, 29% sind eher „Religionskomponisten“ (sie finden bei allem etwas Gutes).17 Die Zustimmung zu inhaltlichen, dogmatischen Positionen der Kirche, die Beteiligung am Sonntagsgottesdienst und an kirchlichen Kasualien sowie die angegebene Nähe zur Kirche variiert signifikant mit dem Geschlechterrollentyp, und dieser dann mit dem Alter, der Generation. Im Ergebnis ergibt dies insgesamt ein Bild abnehmender Kirchlichkeit und Religiosität von Männern über die Generationen. Dennoch bezeichnen sich in der zweiten Österreichischen Männerstudie von 2002 noch immer 60% der Männer als „religiös“.18 Angesichts dieser Widersprüche zieht Paul M. Zulehner allerdings auch die Möglichkeit in Erwägung, dass „Männer anders religiös (sind), als es unsere Instrumente messen“.19 Die empirischen Daten der zweiten deutschen Männerstudie20 belegen nun weitere Veränderungen. Dabei trennen viele der in der Studie im Jahre 2008 erhobenen Einstellungen und Haltungen viel stärker in Milieus und Kohorten Gleichgesinnter innerhalb der biologischen Genustypen als zwischen Frauen und Männern. Anscheinend schleift die fortschreitende Moderne die stereotypen geschlechtlichen Zuweisungen an Männer und Frauen in deren Verhalten ab. Gemeinsamkeiten und Differenzen verlaufen immer weniger entlang der Linien der Geschlechter Männer vs. Frauen, sondern entlang der Scheidelinien Traditionelle vs. Veränderte (mit Männern und Frauen mit jeweils ähnlichen Konflikten, Einstellungen und Interessen).21 Die reine Geschlechterfront Frauen vs. Männer finden wir nur bei Einzelfragen wie zum Beispiel dem mehrheitlichen Plädoyer von Frauen für Frauen- und Mädchenförderung einerseits und von Männern für Jungen- und Männerförderung andererseits; oder bei den „feuchten“ Haushaltstätigkeiten, die nach wie vor mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden. Fast aufgelöst hat sich der Typ der „traditionellen Männer“, deshalb sprechen Zulehner/Volz 2008 von den Teiltraditionellen, sie machen 27% (1998: 30%) der Männer aus. Die weiteren Typverteilungen sind: „balancierend“ 24% (1998: 23%), „suchend“ 30% (1998: 29%) und „modern“ 19% (1998: 17%). 15 Zulehner/Volz (1998); Paul M. Zulehner (Hg.), Mannsbilder. Ein Jahrzehnt Männerentwicklung, Ostfildern 2003. 16 Paul M. Zulehner verwendet zur Kennzeichnung der Typen in den Studien unterschiedliche Begriffe: „unbestimmt“ bzw. „formbar“ statt „unsicher“, „modern“ statt „neu“. 17 Zulehner (2003), S.143ff. 18 Frauen: 74%. (Paul M. Zulehner, Religiös unmusikalisch: der Mann? In: Bundesministerium für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz, Männerpolitische Grundsatzabteilung (Hg.), Geschlechtertheorie, Wien 2003, S. 143f.). In Vielem gleichen sich die Frauen den Männern an. Dies gilt im Vergleich 1998 zu 2008 für die Bereiche Gesundheitsverhalten, Umgang mit Krankheit und Tod, selbstbezogene 19 Ebd., S.143. Volz/Zulehner (2009). 21 „In den meisten Fragen lautet die Polarität nicht Männer hier und Frauen dort, sondern Teiltraditionelle (Männer wie Frauen) hier und Moderne (Männer wie Frauen) dort.“ (ebd., S.304). 20 Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 12 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall Werte, Glaube und Leidbewältigungskompetenz, Zuschreibung von Gewaltbereitschaft und Ausübung von Gewalt. Die größten Zuwächse an Wichtigkeit verzeichnen bei Männern die Lebensbereiche Politik (+19%), Religion (+12%) und Freizeit (+14%). Letzteren Zuwachs teilen sie mit den Frauen (+25%).22 Als einen "religiösen Menschen" bezeichnen sich 2008 39% aller Männer (1998: 37%) gegenüber 43% der Frauen (1998: 53%); selbst die (kirchenfernen) Modernen bezeichnen sich zu 27% als religiös. 26% aller Männer sagen „Männer sind auf der Suche nach einer eigenen Spiritualität“ (und schreiben Frauen zugleich in stärkerem Maß mit 39% einen eigenen Zugang zum Religiösen zu). Umgekehrt ist der Anteil der religiös „überhaupt nicht“ erzogenen Männer im Zehnjahresvergleich von 16% auf 27% gestiegen. Für die eigene Religiosität eine Rolle gespielt haben für alle Männer zu 46% die Mutter und zu 33% der Vater als zweitwichtigster! (Großmutter 32%, Religionslehrer 26%, Priester/Pfarrer 25%) Die Männer beschreiben teilweise eine hohe Auswirkung der Religion auf ihr Leben, das gilt besonders und ähnlich für die Typen der „Teiltraditionellen“ und der „Balancierer“. Die innere Aufschlüsselung des Feldes der Religiösen bringt ein ziemlich buntes Feld zu Tage. Analytisch lassen sich zwei christliche Gruppen unterscheiden: 41% vormoderne und 38% moderne Christen; ihr Unterscheidungsmerkmal ist allerdings nicht religiöser Art, sondern profan: die „Modernität“ ist Ausdruck ihrer positiven Einstellung zur modernen Wissenschaft. 19% der Religiösen sind „Religionskomponisten“. Auch wenn sich Religiosität insgesamt als identisch mit christlicher Religiosität zeigt, so kann aber selbst bei den Christlichen nicht mehr von einer Übereinstimmung mit dem christlichen Gottesbild ausgegangen werden. „Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat“ bestätigen 29% aller Katholiken (Durch- schnitt insg. 22%). Allerdings zugenommen hat die Akzeptanz von Jesus als Vorbild; die Frage „Jesus sollte den Männern als Vorbild dienen“ bejahen 2008 30% aller Männer gegenüber 18% im Jahr 1998. Für sich selbst als persönliches Vorbild sehen Jesus 23% aller Männer, von den „Teiltraditionellen“ 36%, den „Balancierern“ 16%, den „Suchenden“ 23% und den „Modernen“ 13%. Im Zeitvergleich steigt der Anteil der Männer ohne religiöse Erziehung („überhaupt nicht“) im Zehnjahresvergleich von 16% auf 27%. Insgesamt lassen sich weiter zahlreiche Irritationen bzw. Differenzen zur Kirche feststellen. Zulehner/Volz werten diese feststellbare kritische Grundstimmung gegenüber der Institution Kirche für die Kirchenbindung allerdings als nachrangig gegenüber den erlebten „Gratifikationen“. Die Glaubensentscheidung und Kirchenbindung personalisiert und biographisiert sich, d.h. sie ist weniger (vormoderner) Glaube aus Tradition und Zugehörigkeit als (moderner) Glaube als persönliche Entscheidung und biographischer Weg. Allerdings zeigen sich hier auch große Unterschiede zwischen den Männertypen und den Alterskohorten, die noch genauere Untersuchungen und Analysen verdienen. Die religiösen Gratifikationen drehen sich vorrangig um Trost, Halt, Sinn, Rituale und die Bewältigung des Todes.23 Auch wenn Kirchenzugehörigkeit Teil der kulturellen Identität ist, so hängt das Ausmaß der Kirchenbildung doch an erlebten Gratifikationen. Oder in der Konsequenz anders ausgedrückt: Es geht Männern um die praktische Bewältigung von Kontingenzerfahrungen in der Moderne mit Hilfe von Religion. Und zwar jeweils individuell, persönlich verantwortet. Ein bedeutendes Feld der Gotteserfahrung ist die Natur, hier teilen ca. 50% aller Männer eine Grundstimmung vom Teil eines größeren Ganzen, Ehrfurcht gegenüber Natur, Natur als Gottes Schöpfung, als Ort der Erfahrung von 23 22 Volz/Zulehner (2009), S.49 Tab. 9. Diese sind für Katholiken bedeutsamer als für Protestanten, vgl. Volz/Zulehner (2009), S.253 Abb. 191. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 13 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall Demut in der Natur. 81% des Typs der eigentlich kirchenfernen „modernen“ Männer teilen das Staunen über die Natur. Zur Mitwirkung in einer Männergruppe bzw. bei männerspezifischen Seminaren sind 46,2% der Männer „auf keinen Fall“ bereit; immerhin jeweils 5,3% machen bereits mit bzw. können sich das vorstellen.24 Die Frage des homosozialen Lernarrangements trennt also die Männer untereinander sehr stark. Am ehesten in Männergruppen wollen übrigens die „Unsicheren“, die „Modernen“ am wenigsten. Nehmen wir nun zwei andere Zahlen bzw. Fragen dazu, dann wird aber die Bereitschaft zur „Männerentwicklung“ deutlicher. 59% der Männer befürworten, „dass Männer an ihrer Entwicklung arbeiten“. Und 34% sind 2008 dafür, „dass Männer sich zusammenfinden, um für sich ein neues Selbstbild zu erarbeiten“, das ist gegenüber 1998 eine satte Steigerung um 18%.25 Als allgemeines Fazit bei Zulehner/Volz lässt sich ziehen: Die Differenzen innerhalb des Genustyps der Männer sind hoch, in vielen Einzelaspekten nehmen sie sogar eher zu. Die Biographie verstärkt diese Verschiedenheiten innerhalb der Kohorte der Männer. Die Lebensphase stellt Männern unterschiedliche Entwicklungsaufgaben. Dieser biographisch motivierte Wandel bildet sich – so unsere These – auch im Einstellungswandel zwischen den Jahren 1998 und 2008 ab. Die „Verweichlichung“ und das Abschmelzen „klassischer“ männlicher Werte wie Durchsetzung, Zähne zusammenbeißen oder Arbeit als dominierender Bezugswert „männlicher“ Identität zeigt sich im zehnjährigen Einstellungswandel der Alterskohorte der 1998er „Traditionellen“ zu den 2008er „Teiltraditionellen“; es sind ja die „gleichen“ Männer, welche nun nach zehn Jahren die Dinge etwas anders sehen.26 Die qualitative Studie zu Männer und Sinn von Martin Engelbrecht: Religion ohne Kirche? Einen anderen Weg beschreitet die qualitative Studie „Die unsichtbare Religion kirchenferner Männer“.27 Sie verzichtet auf einen vorgegebenen Begriff des Religiösen und ersetzt ihn durch den Begriff „Sinn“, verstanden als subjektiv gemeinten und erfahrenen Sinn: „Unter ‚Sinn‘ soll alles verstanden werden, was Männer als ihr Leben ausfüllend und bereichernd schildern.“28 In offenen Interviews werden Männer gebeten, von ihrem Leben zu erzählen und dem nachzugehen, was in ihrem Leben Sinn macht, was ihr Leben ausfüllt und lebenswert macht. Nun treten die eigenen Texte der Männer, ihre Erzählungen zu Sinn und Leid, zu Sehnsucht und Glück, zu Verzweiflung und Hoffnung zutage. Lebenssinn liegt für die meisten Männer in dem, was sie schaffen und aufbauen. Zentral sind für sie die Arbeit und die Familie. Beziehungen zu anderen Menschen, vor allem auch die Paarbeziehung, haben einen hohen Stellenwert. Das Leben erleben sie oft als Kampf und als Feld der Bewährung, dem es sich zu stellen gilt. Die kirchenbezogenen und im engeren Sinn religionssoziologischen Passagen ergeben das auf den ersten Blick vielleicht merkwürdige Bild einer Ablehnung kirchlicher Lehre als dogmatische und moralische Bevormundung einerseits bei gleichzeitiger Offenheit der Männer für „kosmologische“ und „anthropologische“ Fragen, für Fragen des „Lebens“, für „Natur“, „Geschichte“ und „Ethik“ andererseits. Die befragten Männer suchen und schaffen sich attraktive „Gegenwelten“ zur Alltagswelt: Sie sichern sich Räume der Selbstbestimmung, der Freiheit und der Zurückgezogenheit. Wichtig sind ihnen Erfahrungen mit der „Natur“ (durchaus auch als Gotteserfahrung verstanden). Sie schaffen sich Räume des 24 Tabellenband zu Volz/Zulehner (2009), S.409. Volz/Zulehner (2009), S.298, Abb. 231. 26 Zur Wirkung der Zeit: „Moderne und Teiltraditionelle ähneln einander in den zwei Untersuchungsjahren. Der Abstand zwischen den beiden Studien 25 ist größer als der Abstand zwischen den männlichen Geschlechtertypen.“ (ebd., S.282). 27 Engelbrecht (2005), s.o. Anm. 5. 28 Ebd., S. 8. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 14 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall Abschaltens wie Sport, Drogen, Beschäftigung mit Geschichte, Computer; auch beim Essen oder in Alltagsritualen. Die berichteten Sinnerfahrungen und die Sinnsuche der Männer heben sich jedoch weitgehend vom vorherrschenden Kontext kirchlich-religiösen Fragens und Lebens ab, soweit sie sich nicht sogar bewusst davon abgrenzen. Der Gott der biblisch-christlichen Tradition spielt im Leben vieler Männer keine Rolle mehr. Plausibler und näher sind oft spirituelle Vorstellungen und Erfahrungen des Göttlichen in der Natur.29 Diese ist ein Ort, in dem viele Männer Kraft für den Alltag schöpfen, eben auch spirituelle Kraft. Die zuletzt festgestellte „Respiritualisierung“30 erscheint in dieser Studie allerdings eher als ein weibliches Phänomen. Die Sinnkonstruktionen und Transzendenzerfahrungen der Männer erscheinen demgegenüber konventioneller, „banaler“ und „sprachloser“, als dass sich hier von einer „neuen“ Spiritualität sprechen ließe. Theologisch wirken die veröffentlichten Texte merkwürdig, sperrig und ungehobelt. Sofern diese Männer für ihre Lebensgestaltung überhaupt noch etwas von Kirche erwarten, dann ist es vielleicht die Erwartung, Kirche solle in Botschaft und Praxis glaubwürdige Wegbegleiterin sein. Insgesamt bestätigt die Studie die Hinweise, gegenüber der bisher vorherrschenden kirchlichen Konzentration auf die Ebene der dogmatischen und moralischen Verkündigung und 29 Dies deckt sich mit den Ergebnissen Zulehners: Die größte Gruppe der Männer zählt er zum weltanschaulichen Typ der Naturreligiösen, der „Naturalisten“. (s.o.). 30 Regina Polak (Hg.), Megatrend Religion? Neue Religiositäten in Europa. Ostfildern 2002; Regina Polak/Paul M. Zulehner. Theologisch verantwortete Respiritualisierung: Zur spirituellen Erneuerung der christlichen Kirchen. In: Paul M. Zulehner. (Hg.), Spiritualität – mehr als ein Megatrend. Gedenkschrift für Kardinal DDr. Franz König, Ostfildern 2004, S. 204-227; Regina Polak, Religion kehrt wieder. Handlungsoptionen in Kirche und Gesellschaft, Ostfildern 2006. Argumentation stärker auf den Einbezug der Erfahrungen, auf Rituale, auf Unterbrechungen und Eigenräume, auf Kunst und Ästhetik zu setzen. Franz-Xaver Kaufmann hat dies als „personenbezogene Relevanz des Christentums“ für die Lebensführung des Einzelnen beschrieben.31 3. Die theologische Vergewisserung: Differenzierte Pastoral der Männervielfalt im Horizont der kirchlichen Grundvollzüge Halten wir also nochmals fest: Die besprochenen Studien belegen einen durchgehenden Wandel von Männlichkeiten – nicht nur in der Generationenfolge, sondern auch im Zeitverlauf innerhalb der jeweiligen Alterskohorten.32 Damit gibt es keine „bevorzugten“ Männertypen mehr, welche in besonderer Weise durch 31 Franz-Xaver Kaufmann, Wie überlebt das Christentum?, Freiburg 2000, S. 119ff. 32 Auch die aktuellen Sinus-Studien „Eltern unter Druck“ und „Männer. Rolle vorwärts, Rolle rückwärts?“ von Carsten Wippermann und Team zeigen übrigens diese Männervielfalt in unterschiedlichen, teilweise sogar widerstrebende Einstellungen, Identitäten und Werte von Männern in Bezug auf Geschlechterrollen, Väterlichkeit, Männlichkeit und Lebenszielen, vgl. Tanja Merkle/Carsten Wippermann: Eltern unter Druck. Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten. Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung von Sinus Sociovision GmbH im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung. Hg. v. Christine Henry-Huthmacher u. Michael Borchard, Stuttgart 2008; Carsten Wippermann/Marc Calmbach/Katja Wippermann, Männer: Rolle vorwärts, Rolle rückwärts? Identitäten und Verhalten von traditionellen, modernen und postmodernen Männern, Opladen u. Farmington Hills 2009. Eine Vertiefung und Verknüpfung der religions- und kirchensoziologischen Studien von Zulehner/Volz zu den „Männertypen“ mit der Sinus-Milieu-Forschung oder auch anderen sozialwissenschaftlichen Forschungsansätzen (Engelbrecht, Meuser, Vester, Tippelt) erscheint daher durchaus sinnvoll, um eine soziale „Erdung“ der Männertypen und ihrer Transzendenzoffenheit und religiösen „Sprache“ erreichen zu können. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 15 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall eine Männerpastoral ansprechbar wären, wie das 1998 durchaus noch mit Blick auf den Typ der „Unsicheren“ diskutiert wurde. Vielmehr gibt es unterschiedliche Männlichkeiten mit unterschiedlichen Lebenslagen, Einstellungen, Geschmäckern, Konflikten, Ressourcen und Kompetenzwünschen, denen mit einer differenzierten Pastoral der Männervielfalt begegnet werden sollte. Aber auf welcher Grundlage und nach welchem Maßstab sollte eine solche Pastoral der Männervielfalt erfolgen? Alles kirchliche Handeln, in welchem Bereich auch immer, steht im Horizont des Kirchenkonzepts der jeweiligen Zeit. Die Volkskirche hat viele Jahrhunderte unserer europäischen und deutschen Geschichte geprägt. In ihr lag alle Verantwortung für die Seelsorge beim Priester, der als Hirte seine Schafe führt und ihnen die sakramentalen Gnadengaben übermittelt. Mit dem Konzil wird die Einsicht prägend, dass die Kirche das ganze Volk Gottes ist, das geführt vom Hl. Geist und auferbaut durch die Sakramente der Kirche inmitten der Welt und durch die Geschichte unterwegs ist. Ihm entsprechen die Gemeindekirche und die aktive Teilhabe der Laien in allen Bereichen. Praktisch-theologisch ist die Kirche seit jeher durch ihre Grundvollzüge bestimmt. Im hierarchischen Gesellschaftsmodell, in dem die Volkskirche blüht, sind diese hierarchisch aufeinander bezogen: an der Spitze steht die Liturgie, der die Verkündigung abgestuft nach ihrer Nähe zum Priesteramt zugeordnet ist. Die Diakonie ist als Vorfeld der Bewährungsort der Laien. Im modernen Weltverständnis sind alle Handlungsfelder nach Kompetenzen ausdifferenziert. Die kirchlichen Grundvollzüge werden entsprechend auf die verschiedenen Träger aufgeteilt. Es besteht die Gefahr, dass sie den Zusammenhang verlieren und sich gegenseitig nicht mehr ausreichend befruchten. Ihre Stärke liegt darin, dass viele Menschen auch außerhalb des kirchengemeindlichen Zusammenhangs erreicht werden, und dass vielfach gefächerte Laienstrukturen große Mitverantwortung für und vielfältige Mitgestaltung in der Kirche erreichen. In der heutigen Zeit nötigen Einsparungen alle Institutionen, sich auf ihr „Kerngeschäft“ zu besinnen. Die Vielfalt der kirchlichen Aktivitäten fördert die Debatte, was nun zum Kerngeschäft gehört und was nicht. Es braucht theologische Kriterien, die wiederum aus den Grundvollzügen gewonnen werden. Die kirchliche Trägerschaft eines Handlungsfeldes reicht dazu nicht aus. Auf der anderen Seite entscheiden interessierte Menschen die Teilnahme an Angeboten nicht daran, ob sie kirchlich sind oder nicht. Entscheidend ist für sie, was sie für eine innere, ganzheitlich erfahrbare Qualität haben. Daraus ergibt sich, dass es heute nötig und angemessen ist, das christliche Profil kirchlichen Handelns an Qualitätskriterien zu erkennen und zu messen, die wiederum theologisch aus den Grundvollzügen zu gewinnen sind. Das gilt für alles kirchliche Handeln und jeden Zusammenhang, in dem Menschen der Kirche begegnen, daher auch für die Männerpastoral. Das bedeutet, dass jede Begegnung eines Menschen mit Kirche – also wo ein Christ seine Berufung bzw. eine Christin ihre Berufung prophetisch wahrnimmt, ob innerhalb oder außerhalb gemeindlicher oder kircheninstitutioneller Bezüge – dass also jede solche Begegnung Gemeinschaft mit Kirche stiftet; oder im misslichen Fall, sie unerwünscht macht. Also ist jede solche Begegnung mit Kirche kirchengemeinschaftsrelevant, also „koinonal“; nicht erst dann, wenn sie explizit auf die Sammlung der Gemeinde zielt. In welcher Begegnung auch immer Christen und Christinnen ihre Berufung wahrnehmen, kann sich eine Gottesbeziehung entwickeln. Menschen beginnen die Schönheit Gottes staunend und jubelnd zu erahnen. Jede Begegnung hat also den Keim des Heilenden, Befreienden und Beflügelnden in sich; sie kann Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 16 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall aber auch aus Bequemlichkeit belanglos, sie kann auch destruktiv sein. Jede Begegnung mit Kirche ist von daher gotteslobrelevant, also „doxologal“. Wo immer Menschen einander begegnen, klären sie instinktiv und augenblicklich, wie sie zueinander stehen. Die Psychologie hat in verschiedenen Varianten dieses Rollenverhalten beschrieben; als Herr-Diener, RichterUnschuldslamm, Mächtiger-Hilfloser, PartnerPartner oder wie auch immer. Heute stellt sich die Herausforderung der Transversalität: den anderen nach meinen Möglichkeiten so begegnen, dass es ihnen nach ihren Maßstäben gut tut. Diese „Dienlichkeit“ ist die aktuelle Variante der Diakonie, die die Eigenständigkeit aller Beteiligten voraussetzt, ohne deren gleichzeitige Bedürftigkeit zu negieren. Jede Begegnung, auch die mit Kirche, ist – im Guten wie im Schlechten – dienlichkeitsrelevant, also „diakonal“. Der Kern der Botschaft Jesu ist seine ReichGottes-Verkündigung. Markus verdichtet sie: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Von einer Pneumatologie her könnte man sagen: Wann, wo und wie auch immer einem Menschen das Reich Gottes nahe gekommen ist – er sich also seiner Existenz in seinen Charismen gewahr wird – ist seine Zeit erfüllt, und er wird seine Berufung nicht mehr los. Sein Leben erfüllt sich darin, dass er das neue Paradigma eines prophetischen Lebens annimmt und wahrnimmt. In jeder Begegnung üben Menschen ihre Berufung ein und aus. Insoweit darin das Reich Gottes prophetisch wahrgenommen wird, wird es auch leibhaftig bezeugt. Jede Begegnung eines Menschen oder mit einem Menschen, dem das Reich Gottes nahe gekommen ist, ist daher verkündigungsträchtig, also „martyrial“. Kirche ist immer und ausschließlich in und durch Menschen präsent. Indem diese ihre Berufung wahrnehmen – als Laien, Amtsträger, Priester; in der Gemeinde, im kirchlichen Weltdienst oder im Alltag – realisieren sie ihre eigene Existenz und vollziehen gleichzeitig Kirche. Die Grundvollzüge sind in der Praxis also immer dimensional ausgestaltet, wenn auch durch Bequemlichkeit und Missliebigkeiten verstellt oder ins Negative gekehrt. Von daher kann ein Handeln nur dann als kirchlich gelten, wenn darin die christliche Berufung in all ihren Dimensionen gleichermaßen wahrgenommen werden will. Wo dies im Guten wahrgenommen wird, ohne es explizit zu wollen, kann im Rahner’schen Sinn von „anonymer Kirchlichkeit“ gesprochen werden – als Ehrenerweis und kritische Selbstaufforderung, nicht als Vereinnahmung. Wo umgekehrt in kirchlichen Handlungsfeldern diese Dimensionalität der Grundvollzüge negiert wird oder unbeachtet bleibt, geht ihr evangelisierendes Potential verloren; sie verkommen zu Geschäftigkeit oder Bürokratie. Für die pastorale Wahrnehmung kann noch näher bestimmt werden, worauf diese dimensionalen Grundvollzüge menschlich basieren, welche Praxis ihnen also im Besonderen dienlich ist: Die koinonale Dimension ist durch die Qualität der Begegnung bestimmt. Sie wird in der Versöhnung geübt und gipfelt im gemeinsamen Mahl, für das die Schwerter zu Pflugscharen und die Messer zu Essbesteck werden. Die doxologale Dimension entfaltet sich auf der Basis des Vertrauens. Sie wird in Gebet und Liebe geübt und gipfelt in Glück, Gesang und Ekstase. Die diakonale Dimension entscheidet sich an der Gerechtigkeit, die den Marginalisierten und den Opfern nach deren Wertmaßstäben des Guten zuteilwird. Sie gipfelt im Schöpfungsfrieden, der ein Leben in Fülle für alle bedeutet. Die martyriale Dimension wurzelt, wie schon ausgeführt, in der Berufung. Sie gipfelt in den großen Taten, die die Herrlichkeit Gottes verkünden. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 17 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall Für die Praxis der Männerpastoral bedeutet dies unter heutigen Bedingungen: Lebenshilfe – die fürsorgliche und seelsorgerliche Seite der Männerpastoral: Sie beinhaltet Unterstützung, Beistand, Trost, Heilung, Befreiung, Versöhnung (inkl. Bußpastoral), Ermächtigung und Hilfe zur Selbstwerdung. Ihr Qualitätsmaßstab ist der Dienst: Dem anderen (nach den eigenen Möglichkeiten) so hilfreich sein, wie es ihm nach seinen Maßstäben gut tut. Die aktuellen Männerstudien zeigen ja in allen Milieus und bei allen Männertypen eine Fülle oft unvereinbarer Werte, Lebenseinstellungen und Wünsche. Wir meinen und erfahren: Der von Männern subjektiv erlebte und ausgehaltene Druck nimmt zu. Viele agieren diesen Druck schweigend aus, oft wie der Hamster im Käfig, eingespannt zwischen den Imperativen der Arbeitsgesellschaft und den eigenen Sehnsüchten nach Partnerschaft, Kindern und Lebensgestaltung. Auf der Strecke bleiben vielfach Eigenzeiten und ein konsistenter Lebenssinn. Männerpastoral könnte hier ein großer Ermöglichungsraum für Authentizität, Autonomie und Lebensgestaltung sein. Gerade im offenen „Gespräch unter Brüdern“ lassen sich die Türen des Käfigs einfacher öffnen, können Männer auch andere, für sie ungewohnte Perspektiven des Lebensdienlichen entdecken und Aufbrüche zu neuen Wegen wagen. Die Bereitschaft der Männer zu solchen homosozialen Begegnungsräumen ist wie gesehen in den letzten Jahren signifikant gestiegen! Kritische Unterscheidung und Verheißung – die prophetische Seite der Männerpastoral: Sie beinhaltet die kritische Entlarvung ungerechter und bevormundender Verhältnisse ebenso wie kreative Visionsarbeit. Sie eröffnet den Blick auf die christliche Verheißung vom Reich Gottes, das mitten unter uns zur lebendigen Erfahrung wird, wo Menschen den Möglichkeitssinn der Hoffnung gegen die Perspektivenlosigkeit der Sachzwänge und hegemoniale Dominanzen entwickeln: im persönlichen Umgang miteinander ebenso wie im Kontext von Gesellschaft, Wirtschaft und Kirche. Ihr Qualitätsmaßstab ist Hoffnung, ihr Schlüsselthema die positive Kritik: in der kritischen Unterscheidung Menschen, Strukturen und Blickwinkel zu ihren je größeren und besseren gottgewollten Perspektiven befreien. Die Männerpastoral weiß sich dabei in ihrer Arbeit mit Männern in besonderer Weise dem Anliegen der Geschlechtergerechtigkeit verpflichtet und kann sich dabei theologisch auf die in Gen 1,27 grundgelegte Gleichwertigkeit von Frau und Mann und ihrer gegenseitigen Unverfügbarkeit berufen. Freilich gilt es zu beachten, dass Leitvorstellungen von nichthegemonialer Männlichkeit und Geschlechtergerechtigkeit nicht in allen Milieus in gleicher Weise geteilt werden. Männerpastoral sollte dies milieugerecht und intersektional (also z.B. Klasse, Schicht, Generation, Ästhetik, Ethnie in ihrer jeweiligen Verknüpfung und subjektiven Valenz wahrnehmend) in ihrer Sprache, in ihren spezifischen Angebotsformen, auch in ihren Orten berücksichtigen. Einige Männer werden über „Männerthemen“ für das Anliegen der Geschlechtergerechtigkeit ansprechbar sein, andere vielleicht überhaupt nicht, weil sie sich so nicht verstehen! Identitätssuche und Berufung – die gemeindliche Seite der Männerpastoral: Sie zielt auf Beheimatung nach drei Seiten: im eigenen Ich, in sozialen Gefügen (von der eigenen Familie in all ihren Formen bis zur kirchlichen Gemeinde) und im Angesicht Gottes (als Vertrauen in die verlässliche Beziehung mit ihm). Ihr Qualitätsmaßstab ist die Liebe, ihr Schlüsselthema die Charismen: Das Eigene liebevoll so entwickeln, dass es mich zu einem wertvollen Mitglied der Gemeinschaften macht, mein Lebensglück begründet und darin als Berufung von Gott her erfahren wird. Die Herausforderung für die Zukunft liegt hier besonders in einer sichtbaren und nachhaltigen Väterarbeit in den Gemeinden wie auch in den neu geschaffenen pastoralen Räumen. Wenn Männer kaum mit Kindern beten, die Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 18 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall religiöse Tradierung in der Familie und der Gemeinde bislang eher Sache der Mütter war, Frauen sich heute aber der Kirche und dem Glauben entziehen, Männer sich dagegen umgekehrt immer mehr zum „Erzieher ihrer Kinder“ wandeln, und der eigene Vater als zweitwichtigste Person in der religiösen Prägung genannt wird, dann muss hier investiert werden! Sicherlich wird hier noch viel zu differenzieren und auszuprobieren sein, aber: Insgesamt darf Kirche dabei darauf vertrauen, dass die Erwartung von Männern an einen Beitrag der Kirche zur Neugestaltung der Männerrolle gestiegen ist. Warum sollte Kirche diese Erwartung nicht gerade an der Schlüsselstelle aufgreifen, wo es um die Weckung und Stärkung der Charismen von Männern und speziell von Vätern für die Weitergabe des Glaubens in Familie und Gemeinde geht. Eine Investition in die Zukunft der Kirche – nun durch die Väter?! Orientierungswissen – die verkündigende Seite der Männerpastoral: Sie erschließt menschliche Lebenserfahrungen in einer Weise, dass sie offen werden für das Evangelium und sich von diesem neu herausfordern lassen. Ihr Qualitätsmaßstab ist Wahrheit in Barmherzigkeit, ihr Schlüsselthema ist eine Umkehr der Werte: vom „ganz normalen“ Blickwinkel – ausgerichtet an Selbstdarstellung, Eigennutz und Bequemlichkeit – zur „wundervollen“ Ausrichtung an Gerechtigkeit (als Solidarität und Verantwortung), Schöpfungsfrieden (als paradiesische Lebensgestaltung nach GärtnerArt) und Freude im Heiligen Geist (ora et labora: gelassene Arbeit und heiteres Gottvertrauen). tuelle Offenheit für das Geheimnis der Welt wieder größer zu werden. Eine spannende Frage der nächsten Jahre wird sein, ob und wie es gelingt, diesen neuen spirituellen Offenheiten der Männer kirchlich zu begegnen. Für die Kirche dürfte eine besondere Herausforderung darin liegen, das große Interesse an Naturmystik mit der im Zehnjahresvergleich zwar gewachsenen, aber dennoch niedrigen Vorbildfunktion von Jesus so zu vermitteln, dass der Kernbereich ihrer Botschaft anschlussfähig bleibt an die spirituellen Bedürfnisse heutiger Männer.34 Erlöste Lebendigkeit – die sakramentale Seite der Männerpastoral: Sie zielt auf eine spirituelle Verankerung des ganzen Menschen im tragenden Grund des Heiligen, sodass sich in existentiell-sakramentalen Einzelerfahrungen („Gipfelerlebnissen“) der Himmel auf Erden ereignet. Sie führt zu Staunen, ehrfürchtiger Dankbarkeit und strahlender Lebensfreude. Ihr Qualitätsmaßstab ist heitere Gelassenheit, ihr Schlüsselthema Kreuz und Auferstehung: Wer sich aufs Christsein einlässt, ist immer ein Gekreuzigter zwischen Himmel und Erde, zerrissen zwischen den Logiken des Alltags und der Logik des Reiches Gottes. Das Kreuz des Scheiterns und des Elends birgt bereits die Samen der Auferstehung. Aufgabe der Pastoral ist es, sie zum Keimen und Wachsen zu bringen und Gottes Anteil daran lieber zu groß als zu klein einzuschätzen. Die Bedürfnisse nach spiritueller Nahrung und Entwicklung, nach religiöser Lebensgestaltung bei Männern wachsen. Mit dem Zerbrechen der inneren Bindung der „Arbeitsmänner“ an die Großprojekte technisch-wissenschaftlicher Fortschritt und Wohlstand33 scheint ihre spiri- Die Annahme einer permanent sinkenden Religiosität und spirituellen Ansprechbarkeit von Männern ist wie schon gesagt nicht mehr zutreffend. Wenn im Zeitreihenvergleich die Kirchenakzeptanz von Männern sogar gestiegen ist, sollte dies als positive Erwartung gesehen werden. Die Bevorzugung von Frauen als religiös „Aktivere“ in unserer kirchlichen Praxis ist empirisch nicht mehr abgesichert, sie ist allenfalls Ausdruck einer gegenseitigen „Gewöhnung“. Allerdings schreiben viele 33 34 Vgl. Volz/Zulehner (2009), S.63, Tab. 13. – Tabellenband, S. 557, 601. Zu Jesus: Volz/Zulehner (2009) S.234f., Abb. 172f.; zur Naturmystik: ebd., S.268, Tab. 72. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 19 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall Männer den Frauen nach wie vor eine höhere Kompetenz zu, bzw. sie sehen sich in diesem Feld „ungeübt“, „inkompetenter“. Dies ist sicherlich Ausdruck und Reflex einer gewissen Sprachlosigkeit und Ungeübtheit von Männern in Bezug auf Gefühle, den Umgang mit Gefühlen, zu denen auch Scheitern, Trauer, Verlustund Gewalterfahrungen etc. gehören. Hier sollte sich die Pastoral aber nicht abschrecken lassen, sondern gerade in den latenten lebensgeschichtlichen Kreuzeserfahrungen der Männer (Scheitern, Begrenzung, Burnout, Hilflosigkeit, Gewalterfahrungen) Anknüpfungspunkte sehen, um die christliche Botschaft von Kreuz und Auferstehung als Weg zum Leben ins Gespräch zu bringen. 4. Der Blick nach vorne – Was jetzt zu tun ist Man muss nicht alles neu erfinden. Vieles von dem, was eine Männerpastoral der Zukunft auszeichnen sollte, existiert bereits. Es existieren genügend best-practice-Beispiele in den Diözesen, die Männer in ihren unterschiedlichen Lebenslagen ansprechen und sich darin als zukunftsfähig erweisen. Neben den hauptamtlichen diözesanen Verantwortlichen für die Männerseelsorge gibt es viele Haupt- und Ehrenamtliche im pastoralen Dienst, in Verbänden und Gemeinden, die sensibel geworden sind für die Männer und ihre spezifischen Anliegen. Das ist eine Grundlage, auf der sich in vielen Diözesen aufbauen lässt. Eines aber ist – wie gesehen – gerade unter dem Paradigma einer missionarischen Pastoral – unverzichtbar: der Rückbezug der Männerpastoral auf den Ursprung der Kirche, auf Jesus Christus und sein Evangelium. Von hierher erst erhält die Männerpastoral ihr Profil und auf dieser Grundlage erschließen sich Optionen für ihr Handeln, die alle Grundvollzüge der Kirche berührt. Im Folgenden wollen wir als erstes Fazit der bisherigen Überlegungen fünf für uns wesentliche pastorale Handlungsoptionen einer männeroffenen Kirche benennen und zur Diskussion stellen: 1. Männerpastoral zur kirchlichen Querschnittsaufgabe weiterentwickeln. Pädagogische und pastorale Angebote zur Männerentwicklung treffen auf einen breiten Resonanzboden kirchenoffener Männer, der sich im letzten Jahrzehnt mehr als verdoppelt hat. Diese Entwicklung zeigt, wie wichtig es ist, Männerpastoral als Aufgabe der gesamten Pastoral zu sehen und sie nicht nur an eine kategorial verengte und im Leben der Kirche kaum sichtbare Männerseelsorge zu delegieren. Der Bereitschaft der kirchenoffenen Männer mit kreativen Einladungen und Angeboten zu begegnen, stellt sich der Kirche insgesamt als Aufgabe und gilt für die Pastoral ebenso wie für Bildungsarbeit und Beratung. Sinnvoll ist vermutlich eine Mischung nicht geschlechtlich konnotierter Angebote, die einfach Lebenssituationen und Lebensthemen von Männern ansprechen – durchaus auch im gemischtgeschlechtlichen Rahmen, wie es in unseren Gemeinden in der Regel üblich ist –, mit bewusst homosozialen Angeboten „nur für Männer“ in und außerhalb der Gemeinden. Solche expliziten, homosozialen Angebote nur für und mit Männern stoßen auf einen wachsenden Markt und sind längst nicht mehr mit dem Verdikt belegt, all das wäre nichts für „richtige“ Männer. Es muss jedoch nicht immer die „klassische“ Männergruppe sein. Es kann auch einfach nur die Sportgruppe, die Bergtour oder das Klosterwochenende (nur) „für Männer“ sein. Hier werden Männer über ihr Mannsein als Ressource des besseren Verstehens, des „passenden“ Angebots, des stressfreien Austauschs und der Lebensbewältigung unter Personen mit ähnlichen Voraussetzungen und Erfahrungen angesprochen. 2. Männeranliegen und Männervielfalt nachhaltiger wahrnehmen lernen. Männlichkeiten sind gemeinsame soziale Lagen von Männern, aber keine Wesenseigenschaften oder andere stereotype Essentialitäten. Als habituelle Dispositionen setzen sie Bedingungen und eröffnen gerahmte Spielräume für Begegnung und Austausch. Männlichkeit ist dabei immer verknüpft mit Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 20 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall anderen Elementen der Herkunft und der sozialen Lage. Eine männeroffene Pastoral sollte diese habituellen Voraussetzungen berücksichtigen, ohne sie unbedingt immer aussprechen oder ausdrücklich zum Thema machen zu müssen. Konkurrieren, durchsetzen, sich behaupten, Gefühle zeigen, Väterlichkeit, Selbstverwirklichung, Identifikation mit dem Beruf, die Bedeutung des Berufs für die persönliche Identität, Erfolgsorientierung, Anpassungsfähigkeit, Bereitschaft zu Unterordnung und Anpassung, Ehrgeiz, Unabhängigkeitsbedürfnis, Fachlichkeit, Härte, Selbstkritik, Risikofreude, Selbstbeherrschung, Disziplin, kreativ sein, führen wollen, sexuelle Treue, Hilfsbereitschaft, Vorstellung von Partnerschaft, Karriereorientierung etc. Männer bewerten dies je nach ihrer sozialen Lage oft ganz unterschiedlich. Grundlegend für eine männeroffene Pastoral ist daher eine nachhaltige Sensibilisierung der in der Pastoral Tätigen (Männer wie Frauen) für die Vielfalt der Männlichkeiten. Dies schließt notwendigerweise auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit und Geschlechterrollenbildern ein. Wir brauchen zukünftig dazu verstärkt entsprechende Module in der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Hier ist bezüglich der Konzepte, Inhalte und Methoden noch vieles nachzuarbeiten. 3. Die eigene pastorale Praxis unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit kontinuierlich überprüfen. Was bislang ebenso fehlt, ist eine systematische und institutionell verankerte Überprüfung pastoraler Planungen und Praxis, inwieweit in ihnen Lebenslagen und Interessen von Männern (was gleichermaßen mit Blick auf Frauen zu tun ist) angemessen Berücksichtigung finden. Könnte es nicht beispielsweise sein, dass Männer in der pastoralen Wirklichkeit unserer Gemeinden auch deswegen so selten vorkommen, weil sie von pastoral Verantwortlichen in ihren Planungsüberlegungen von vornherein als zu „vernachlässigende Größe“ ausgeblendet werden? In der Vergangenheit hatte man zumindest teilweise diesen Eindruck. Wer etwa in der Sakramentenkatechese unbefangen von „Tischmüttern“ und nur von diesen redet, hat die Väter bewusst oder unbewusst bereits abgeschrieben. Wenn im vorherigen Kapitel von der prophetischen Seite der Männerpastoral die Rede war, liegt genau hier ihre institutionskritische Aufgabe, nämlich den Maßstab der Geschlechtergerechtigkeit für das pastorale Handeln der Kirche mit Blick auf Frauen und Männer gleichermaßen einzufordern. 4. Männerpastoral als Pastoral der Unterbrechung gestalten. Wenn der Druck allenthalben steigt, der Raum für sich selber weniger wird, die verbindlichen Orientierungen immer weniger von allen geteilt werden, dann sind „klösterliche Gegenwelten auf Zeit“, welche tiefer gehen, Sinn und Kongruenz stiften, persönliche Erfahrungen und Relevanzen ermöglichen, vielleicht nicht das schlechteste kirchliche Angebot. Das ist dann vielleicht nicht mehr flächendeckend machbar, aber eine Pastoral des Angebots tiefer Erfahrungen einer christlichen Identität als Mann unter Brüdern darf dann ruhig auch etwas „Ausgewähltes“, Nicht-Alltägliches haben. Denn das suchen ja viele Männer: eine Sinn stiftende, Sinnerfahrungen ermöglichende Aktivität außerhalb des Alltäglichen, eine Unterbrechung ihres Alltags. Gerade hier wird die verkündigende und sakramentale Seite der Männerpastoral unmittelbar erfahrbar. 5. Männerpastoral als Option für kulturelle Schlüsselgruppen weiten. Missionarische Pastoral beinhaltet den gesellschaftlichen Auftrag der Kirche, Gesellschaft und Kultur gemäß dem Evangelium zu verwandeln. Für die Männerpastoral kommen damit drei Schlüsselgruppen von Männern in den Blick, die bislang im diakonischen Ansatz der Männerarbeit kaum im Fokus waren: Zum einen sind dies Männer in Verantwortungspositionen – als diejenigen, die die Entwicklung von Kultur und Gesellschaft durch ihre ökonomischen und strukturellen Entscheidungen Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 21 Impulse für ein Handlungskonzept der Männerpastoral Prof. Dr. Maria Widl, Dr. Andreas Ruffing, Dr. Hans Prömper, Manuel Gall maßgeblich mit bestimmen. Dann sind es zum zweiten die Männer am Rande der Gesellschaft, die keinen tragfähigen Lebensinhalt und keine Perspektive haben. Die Sinnlosigkeit ihres Lebens wird neben der persönlichen Tragik zunehmend zum Sprengstoff für die gesellschaftliche Normalität. Und schließlich geht es um die jungen Männer – angesichts der Jugend als Leitkultur einerseits, ihrer oft prekären Lebensperspektive andererseits, zumal in jungen Jahren kirchlich Unberührte den Zugang zu Glaubensthemen später nur sehr schwer finden werden. In der Orientierung an der pastoralen Qualität der kirchlichen Grundvollzüge geht es dabei um so zentrale Männerthemen wie Erfahrungen von Macht und Ohnmacht, die Gestaltung von Ansehen und Erfolg und die Suche nach Sicherheit und Reichtum. zen Unterschiedlichkeit und Vielfalt offen und wertschätzend zu begegnen und ihnen darin zu Zeugen des Evangeliums von Jesus Christus zu werden. Gerade mit Blick auf diese drei Schlüsselgruppen lassen sich besonders eindrücklich prägnante geschlechtsspezifische Schwerpunkte einer Männerpastoral der Zukunft benennen: Erfahrungen von Kraft und Macht: körperbetonte Formen der Selbsterfahrung, Umgang mit schwächenden Erfahrungen (Beruf, Frauenrollen, Sachzwänge), Charismen- und Berufungspastoral. Schlüsselthema: Verantwortung. Gestaltung von Ansehen und Erfolg: männerspezifische Emanzipation, Zeitmanagement und Beziehungskultur, Arbeitstugenden und Zielvergewisserung, ethische Maßstäbe und Prophetie. Schlüsselthema: Liebe. Suche nach Sicherheit und Reichtum: Geborgenheit im Gottesbezug, männliche Formen der Spiritualität, Riten und Rituale, Ämter und Normen, Konzepte und Strategien, Schutz der und Kampf für die Schwachen, Umgang mit Reichtum und Armut, Askese. Schlüsselthema: Gerechtigkeit. So wird es also der Männerpastoral in der Zukunft darum gehen, Männern in ihrer gan- Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 22 1. Teil: Soziologische Betrachtung 1. Teil: Soziologische Betrachtung Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 23 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux Kirchenoffene Männer? Präsentation sozialwissenschaftlicher Studien zum Rollenverständnis und Rollenwandel der Männer 1. Theorieorientierte Zugänge 1.1 Geschlechterverhältnisse – Zwischen Fragen der Gerechtigkeit und des guten Lebens Es gibt in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende sozialwissenschaftliche Aufmerksamkeit für das männliche Geschlecht, die aber erstens quantitativ weit hinter der Frauenforschung zurückbleibt und zweitens – zumindest teilweise – reaktiv auf die Frauenforschung bezogen ist. Sie ist in ihren Anfängen stark entweder von der deskriptiven Frage durchzogen, wie die Veränderung des Selbstverständnisses und der Rollenmuster von Frauen sich auf die Männlichkeitskonzepte auswirken oder häufiger noch von der normativen Fragestellung bestimmt, welche Veränderungen der Männerrolle die berechtigten Gleichstellungsforderungen der Frauen nötig machen und wie weit diese Anpassungen der Männer an ein egalitäres Geschlechterverhältnis gediehen sind. Dass die Forschungsaufmerksamkeit und Forschungskonzeption weit von einer Symmetrie entfernt ist, ist allein schon an der Verwendung des Begriffs „Gender-Forschung“ festzumachen, der häufig synonym für Frauenforschung steht.1 Die erhöhte Aufmerksamkeit der Forschung für die Frauenfrage hat zweifellos gute Gründe: Der Wandel der Lebensbedingungen, Lebensläufe und Selbstverständnisse von Frauen ist ersichtlicher ungleich 1 Vgl. Martin Fischer, Theologische Männerforschung? Zur Frage der Relevanz von Männerforschung in der Theologie. In: Zeitschrift für evangelische Ethik 50 (2006), 138-143. umfassender und gesellschaftlich folgenreicher und er ist mit einer höheren bzw. offensichtlicheren normativen Berechtigung versehen. Als das gesellschaftlich benachteiligte Geschlecht sind diese Veränderungen Schritte zu mehr Gleichheit und Freiheit, und damit zu erweiterten Lebensmöglichkeiten. Die Genderfrage weist eine doppelte Perspektive auf: Sie steht erstens unter der Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit, die sich für Frauen und Männer gleichermaßen, aber nicht symmetrisch stellt und insofern unterschiedliche Veränderungen verlangt. Zielsetzung ist Gleichheit der Geschlechter – im Sinne gleicher Freiheit –, die Raum für Verschiedenheit lässt und gibt. Sie steht zweitens unter der Perspektive der Geschlechteridentität: was macht ein gutes Leben als Mann bzw. als Frau aus. Oder mit Volz/Zulehner formuliert: „Wir schlagen den kirchlichen Auftraggebern vor, von der Annahme auszugehen, dass heutiges Männerleben weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. ‚Mehr Leben ins Männerleben’, das könnte als geheimes Leit-Motto auch der vorliegenden Studie gelten“ (21). Aber dann muss man Kriterien benennen können, die „mehr Leben“ auszeichnen. Unter der Perspektive des guten Lebens sind Frauen- und Männerfragen weniger strikt gekoppelt, aber dennoch miteinander verwoben, insofern die Geschlechter miteinander leben wollen, die Entwürfe also aufeinander bezogen sein müssen. Mit der Frage nach dem guten Leben ist allerdings ein äußerst heikles Feld erreicht. Drei Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 24 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux Fragen stellen sich: a) Ist die Frage nach dem guten Leben überhaupt geschlechterspezifisch zu stellen oder läuft sie doch in der einen Frage zusammen, was ein gutes menschliches Leben ausmacht? b) Gibt es darauf überhaupt eine auch nur halbwegs verallgemeinerbare Antwort? Ist diese Frage nicht so sehr mit weltanschaulich-pluralen Deutungen von Welt, Mensch, Gesellschaft und Geschichte oder sogar mit individuellen Selbstverständnissen und Lebensbedingungen verbunden, dass es darauf nur eine Vielzahl von Antworten – ja vielleicht nur eine je persönliche Antwort - geben kann? c) Und können Glaube und Kirche hier einen Antwortbeitrag geben oder nur die Suche ermöglichen und unterstützen? a) Die Geschlechterdifferenz ist sicherlich unter den vielfältigen Differenzierungen der Gattung Mensch – Rasse, Körperkraft, Intelligenz, Haarfarbe, Alter – die herausragende. Sie ist gut sichtbar, sie ist angesichts der sexuellen Energien von hohem gegenseitigen Interesse und sie ist mit einer grundlegenden Funktion jeder Gesellschaft verbunden: deren Reproduktion, bei der es nicht nur um die Geburt einer nachfolgenden Generation, sondern auch um deren Platzierung in den Binnengliederungen der Gesellschaft geht. Unabhängig von der Frage, was an Geschlechtsunterschieden nun biologisch oder kulturell bestimmt ist, ist verständlich, dass gesellschaftliche Deutungs- und Regelsysteme sehr massiv an dieser sichtbaren und hochrelevanten Differenz ansetzen und sie ausgestalten. Und auch wenn die Geschlechtsrollentypisierungen heute zurückhaltender sind, so bleibt das Geschlecht wohl nach vor die wichtigste Bestimmungsgröße der Lebensgestaltung. Es kommt hinzu, dass die – in der Ständegesellschaft – ebenfalls sehr starke hierarchische Differenzierung der Gesellschaft an Sichtbarkeit und Übersichtlichkeit verloren haben, wiewohl sie von hoher Relevanz für die Lebensgestaltung bleibt. Man kann nach wie vor feststellen, dass die Geschlechtszugehörigkeit die sozialstrukturelle Präsenz stark bestimmt: offensichtlich im Bereich Familie und Erwerbsar- beit, aber auch in der Politik, im Vereinswesen, in der Religion. Insofern ist die Frage nach der Gestaltung des Lebens weiterhin – und auf Dauer – mit einem Geschlechterindex versehen. Die Frage des guten Lebens stellt sich geschlechtsspezifisch. b) Die Frage nach dem guten Leben hat gewiss aufgrund der je besonderen Lebensbedingungen und -geschichten einen persönlichen, individuellen Akzent, aber doch so, dass dabei auf kulturelle Hintergrundmuster und Hintergrundkategorien zurückgegriffen werden muss, die erst Bedeutung und Bedeutsamkeit von Entscheidungen ermöglichen. Dabei sind diese kulturellen Deutungsmuster heute sicher vielfältig und weltanschaulich differenziert. Aber es gibt keine radikale Individualisierung der Frage nach dem guten Leben, sondern „nur“ deren kulturelle Pluralisierung. c) In dieser kulturellen Debatte ist die Kirche als wichtige Deutungsinstanz gefordert. 1.2 Geschlecht und Religion – Feminisierung der Religion? Es gibt eine breite – aber nicht unwidersprochene – Theorietradition, die von einer Feminisierung der Religion in der Neuzeit, etwa vom 18. bis ins 20. Jahrhundert, spricht. Es gibt dafür m.E. gute Argumente: Der Prozess funktionaler Differenzierung in Verbindung mit dem Säkularisierungsschub der wissenschaftlichen und politischen Revolutionen führte zu Lösung verschiedener gesellschaftlicher Bereiche, insbesondere der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kunst und teilweise der Politik aus religiöser Strukturierung und zu einer Tendenz der Verlagerung der Religion aus dem öffentlichen Raum in die Privatsphäre. Die Intimisierung, Emotionalisierung und Familialisierung der Religion kann durchaus mit einer Steigerung persönlicher Religiosität einhergehen (die für die Sozialform des Katholizismus auch sehr deutlich gezeigt werden kann), aber sie verliert ihre Strukturierungs- Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 25 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux kraft und Präsenz in zentralen Gesellschaftsbereichen. Bei einer gleichzeitig zunehmenden Differenzierung der Geschlechter auf verschiedene Sozialräume im bürgerlichen Geschlechter- und Familientypus wird Religion zum Bereich der Frauenwelt, während die Männer bei höherer Mobilität in den säkularisierten Gesellschaftsbereichen ihr Hauptaufgabenfeld fanden. So „entwickelt sich im Kontrast zu einer als emotionskalt[en] und unsittlich-dekadent empfundenen ‚männlichen Zivilisation’ quasi kompensatorisch ‚eine weibliche sittlichere Kultur’.“2 In dieser Feminisierung von Religion werden den Frauen nicht nur spezifisch die Pflege der Religion, sondern auch der sittlichen Normen und Werte zugesprochen, die das Christentum kennzeichnen. Familie – die Welt der Frau – wird zu einer von Liebe und Humanität gekennzeichneten Lebenssphäre, im Gegensatz zu einer als zunehmend versachlichten, entfremdenden und ökonomisierten Außenwelt. Religion und Tugend werden so stark auf die Frau und den familiären Bereich konzentriert. Die Frau ist das religiöse und moralische Geschlecht. Am neu akzentuierten Marienbild und Marienkult ließen sich manche dieser Veränderungen zeigen. Ich denke, dass damit eine bis heute nachwirkende Deutungslinie zutreffend erfasst wird – die ein Spannungs- und vielleicht auch Ausgleichselement dadurch erhält, dass die Leitungsämter und -funktionen in der Kirche in männlicher Hand blieben. Wenn wir über das Verhältnis von Männern und Religion nachdenken, so hat dies eine sozialstrukturelle Komponente. Es stellt sich die Frage: Bleibt Religion auf die Privatsphäre konzentriert? Wenn das so ist, dann wird es vermutlich eine Angleichungen der Religiosität von Frauen und Männern geben, wenn Frauen sich ähnlich wie Männer verstärkt im öffentli- chen Raum bewegen – und Männer sich vielleicht mehr als bisher in der Familie. 1.3 Rollenwandel – Zwischen Einstellungen und Handlungen Einstellungen und Handlungen haben viel miteinander zu tun; ein eklatantes und dauerhaftes Auseinanderfallen ist mit kognitiven Dissonanzen verbunden, die schwierig zu ertragen sind. Dennoch fallen Einstellungen und Handlungen häufig auseinander: kognitive und moralische Lernprozesse schlagen sich nicht immer in einem entsprechenden Handeln nieder. Zu einem bestimmten Handeln gehören neben dem Wissen auch ein adäquates Wollen und eine entsprechende Kompetenz sowie entgegenkommende Außenbedingungen. Gerade bei den Geschlechterverhältnissen ist hier mit Diskrepanzen zu rechnen. Vor allem sind tradierte Geschlechterverhältnisse auch in institutionelle Arrangements eingegangen, so dass die Außenbedingungen – im konkreten vor allem die Arbeitswelt, aber auch Schule und vorschulische Betreuungs- und Bildungseinrichtungen – Veränderungen im Handeln schwierig machen. Aber auch Kompetenzmängel – von eher vordergründigen Fertigkeiten bis hin zu tiefliegenden Kommunikationsund Empathiefähigkeiten – können Veränderungen erschweren. Empirische Studien zielen zumeist sehr stark auf die Erfassung von Einstellungen, wenngleich auch Handlungsweisen erfragt werden können. Wenn dabei festgestellt wird, dass die Kategorie des Geschlechts für Einstellungen weniger bedeutsam ist als sozio-ökonomischer Status oder die Zugehörigkeit zu Wertegruppen, dann ist das auf der Einstellungsebene wohl richtig, kann aber nicht ohne weiteres eine entsprechende Relevanz der Geschlechtszugehörigkeit für die Lebensführung belegen. 2 Simone Staritz, Religion und Nation - GenovevaLiteraturen 1775-1866. St. Ingbert: Röhrig 2005, 67. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 26 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux 2. Vorbemerkung zu den empirischen Studien Es ist relativ selten, dass man bei der Suche nach empirischen Studien zuallererst auf Material stößt, das von der Katholischen Kirche in Deutschland mitinitiiert und -konzipiert ist. Insgesamt nämlich sehe ich bei der Deutschen Bischofskonferenz und den Diözesen eher eine defensive Haltung gegenüber der empirischen Außenperspektive, die dann mit dem eigenen Selbstverständnis und der Selbstdeutung zu vermitteln wäre – im Vergleich etwa mit der evangelischen Kirche und deren doch relativ stark entwickelter kirchensoziologischen Forschungen oder den Nachbarländern Österreich und Schweiz. Die drei von der Männerarbeit angestoßenen Studien „Männer im Aufbruch“, „Männer in Bewegung“ und „Was Männern Sinn gibt“ sind nicht nur im Blick auf die religiöse Fragestellung in der Männersoziologie, sondern auch insgesamt im Kontext empirischer soziologischer Männerforschung bemerkenswert. Es gibt kaum Studien, die in der Breite vergleichbar wären. Andere Studien sind thematisch deutlich enger gesetzt. Relativ stark vertreten ist dabei die Väterforschung (Bambey/ Gumbinger sowie Mühling/Rost), nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Elternzeit durch Männer. Die Männerarbeit übt im Blick auf empiriegestützte pastorale Konzeption insofern eine Pionierfunktion aus. Sie ist dadurch auch ein Labor, in dem sich die Leistungsfähigkeit einer empirisch aufgeklärten pastoralen Praxis zeigen kann und muss. 3. Die Sinus-Milieu-Studie Carsten Wippermann u.a.: Männer. Rolle vorwärts, Rolle rückwärts - Identitäten und Verhalten von traditionellen, modernen und postmodernen Männern. Opladen: Budrich 2009. 223 Seiten. Beginnen will ich mit einer Studie, die nicht in Kooperation mit der Männerarbeit erwachsen ist. Die Studie ist im Auftrag der Abteilung Gleichstellung des BMFSFJ entstanden. Sie beruht auf dem bekannten Modell der Sinus-Milieus, das ja auch der von der MDG in Auftrag gegebenen Studie „Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus 2005“ zugrunde liegt. Ich halte diese Sinus-Milieus in ihrer Kombination aus Wertmustern und hierarchischen Schichtungskriterien für einen durchaus geeigneten Ansatz. Dass dieses Modell sehr stark für Marketingzwecke verwendet wird, spricht nicht grundsätzlich gegen seine Seriosität, sondern durchaus auch für einen hohen Aufwand in der Konzeption. Störend ist beim Sinus-Institut allerdings mittlerweile doch, dass die Arbeitsweise einen immer weniger ambitionierten und zunehmend renditeorientierten Eindruck erweckt. 3.1 Typologie von Männern Die Männerstudie unterscheidet vier Haupttypen männlicher Geschlechtsidentität: 1. Moderner neuer Mann Sein Profil ist wesentlich geprägt von Themen der Gleichstellung von Frauen und Männern. Diese Männer teilen die emanzipierte Normperspektive ihrer Partnerin. Sie wollen eine moderne Gleichstellungspolitik, die nicht mehr einseitig Frauenpolitik ist, sondern Gleichstellungspolitik für Männer und Frauen. Sie sind motiviert von der selbstgesetzten Forderung, dass moderne Männer und Frauen gemeinsam gegen Strukturen und Alltagskulturen von ungerechter Ungleichstellung angehen und ihre Gleichstellung im eigenen Alltag – trotz widriger Umstände – leben müssen. Mentalitätsmäßig liegt der Schwerpunkt dieses Typs zwar in den gehobenen Bildungssegmenten und Milieus. Allerdings ist gerade in den höheren sozialen Lagen die Luft zwischen dem normativen Selbstbild und realisierter Praxis auch besonders hoch. Diese Diskrepanz ist Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 27 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux auch auf objektive Schwierigkeiten zurückzuführen, die sich gerade in höheren Positionen einer Vereinbarkeit von Familien und Erwerbsarbeit entgegenstellen. „Es erfordert viel persönliche Energie, sich gegen eine ökonomische Rationalität und Praktikabilität zu entscheiden. Zur Stützung und Stabilisierung gleichgestellter Arrangements bedarf es gesellschaftlicher Strukturen verschiedener Provenienz.“3 2. Starker Haupternährer der Familie Dieser Typus praktiziert überwiegend die traditionale Delegation der Hausarbeiten an die Frau. Aber insbesondere in der jüngeren Generation ist der Mann heute nicht mehr von der Hausarbeit freigestellt, sondern beteiligt sich. Darin zeigt sich durchaus eine Veränderung der Geschlechtsidentität und der Einstellungen zu Partnerin und Familie. 3 Carsten Wippermann, Marc Calmbach, Katja Wippermann: Männer: Rolle vorwärts, Rolle rückwärts? Identitäten und Verhalten von traditionellen, modernen und postmodernen Männern. Handout zur Studie, 3. http://www.sinus-instiut.de/uploads/tx_mpdown loadcenter/Handout_Maenner_Rolle_vorwaerts_R olle_rueckwaerts.pdf. 3. Life-Style-Macho Er geht von weiblicher Unterordnung und männlicher Überordnung aus. Es gibt ihn sowohl in den unteren als auch in den oberen Milieus der Gesellschaft mit unterschiedlicher Stilistik und Ausprägung. 4. Postmoderner flexibler Mann Diese Männer haben eine entspannte, spielerische Einstellung zu ihrer Identität als Mann, wobei traditionelle und moderne Muster ideologiefrei und mit temporärer Gültigkeit verwendet werden. Im Milieukonzept wird dieser Typus vor allem den Experimentalisten zugeordnet. Gegenüber dem Thema Gleichstellung zeigen die Männer ein durchschnittliches Interesse – weder starke Ablehnung noch starkes Interesse. Sowohl das Zuverdienermodell als auch das gleichgestellte Familienmodell spielen eine relativ große Rolle. Aber auch ein Leben als Single ist für diese Männer eine überdurchschnittliche Option. 3.2 Zentrale Ergebnisse der Studie a) Das Thema ‚Gleichstellung’ hat bei Männern den Rang des sozial Erwünschten erreicht. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist eine akzeptierte soziale Norm in beinahe allen Alters-, Bildungs- und Berufsgruppen. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 28 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux b) Die Studie zeigt, dass Männer im Unterschied zu früheren Generationen bereit und in der Lage sind, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Im Sinne der Reziprozität der Perspektive versetzen sie sich in die Lage von Frauen und nehmen deren Ansprüche und Bedürfnisse ernst. c) Es lässt sich ein Widerspruch zwischen Gleichstellungsbekundungen und konkretem Verhalten ausmachen. Verdeutlicht wird das an den Befunden zu den Wunschvorstellungen von Partnerschaft und Familie einerseits und den gelebten Familienmodellen – konkretisiert an der realen Aufgabenverteilung im Haushalt – andererseits. Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei den Familienmodellen auseinander: Das gleichgestellte Familienmodell wird weitgehend favorisiert, aber durchaus nicht weitgehend gelebt. Haushaltsaufgaben sind weitgehend nach traditionellem Muster aufgeteilt. Den meisten Männern erscheint eine gleichgestellte Rollenaufteilung als Ideal, eine teiltraditionelle Rollenverteilung hingegen als praktisch, leichter und ökonomisch-rational. d) Im Gegensatz zu den Vorgängergenerationen erleben sich die Männer im Dilemma der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dies gilt in besonderem Maße für die Generation der 35-50-Jährigen, denen es bewusst ist, dass ihr Engagement im Beruf zu Lasten der Familienzeit geht. Ein Großteil der Männer erlebt die eigene soziale Realität als paradox: Im Beruf werden von ihnen traditionelle Verhaltensmuster verlangt, als da wären volle Verfügbarkeit und Flexibilität im Einsatz für den Job; hinsichtlich der Familiensituation sind sie bereit, genau diese traditionellen Strukturen zu hinterfragen und mehr für die Partnerin und die Kinder da zu sein. Handlungsmuster, die aus diesem Dilemma herausführen, sehen nur sehr wenige Männer. e) Männer sehen sich weiterhin als ‚Hauptverdiener’ innerhalb der Familie; im Gegensatz zu den Frauen haben sie nach eigener Einschätzung nicht das Recht, die Rolle des Zuver- dieners innerhalb der Familie einzunehmen. Hier liegt innerhalb der Partnerschaft und Familie Sprengstoff, da viele Männer sich von den Frauen, die ihnen vorwerfen, die alte Rollenverteilung zu perpetuieren, in ihrem Dilemma unverstanden fühlen. f) Der Begriff des ‚Neuen Mannes’ wird weitgehend als Leerformel empfunden. Die Mehrheit der Männer distanziert sich vom alten Rollenbild, nach dem persönliches Glück vor allem in Beruf und Karriere zu finden sei; konkrete Vorbilder für das Füllen der Chiffre vom ‚Neuen Mann’ sind jedoch kaum vorhanden. 4. Die Studien von Volz und Zulehner „Männer im Aufbruch“ (1998) und „Männer in Bewegung“ (2008) 4.1 Methodische Anlage der Studie Bei den Studien von Volz und Zulehner handelt es sich um zwei quantitative Studien, die im Abstand von zehn Jahren durchgeführt wurden. Ich halte solche quantitativen Studien für unverzichtbar, weil nur über repräsentative Studien, die aufgrund der erforderlichen Fallzahlen notwendig quantitativ sein müssen, eine Beschreibung der gegenwärtigen Situation in der Breite sowie Veränderungstendenzen beschreibbar sind. Ein Problem dabei ist, dass differenzierte Deutungszusammenhänge der Personen so kaum erfassbar sind. Bei den Studien von Volz und Zulehner kommt hinzu, dass sie ein sehr breites Themenspektrum abfragen, zu einzelnen Bereichen dann aber teilweise zu wenige Items haben, um auf quantitativer Ebene genauere Analysen von Zusammenhängen und differenzierenden Faktoren vornehmen zu können. Eine große Chance dieser Studien ist allerdings, dass sie durch überwiegend identische Items einen Zeitvergleich ermöglichen. Zwar handelt es sich nicht um eine Längsschnittforschung, die durch die wiederholte Befragung Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 29 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux derselben Personen individuelle Veränderungen und Lernprozesse im Lebenslauf nachgehen kann, aber die Wiederholung der Fragen ermöglicht immerhin gesellschaftliche Verschiebungen zu diagnostizieren. Nicht genutzt wird die mit diesem Design gegebene Chance – weil generell sehr wenig auf Alterseffekte und biographische Situationen Bezug genommen wird – zu differenzieren, inwiefern Veränderungen eher lebenslaufbedingt oder eher kohortenspezifisch sind. Generell fällt bei den Studien auf, dass die Auswertungsstrategie relativ konventionell und unambitioniert ist. Es werden im Wesentlichen bivariate Zusammenhänge zwischen zwei Variablen in Verbindung mit einem Zeitvergleich dargestellt. Manchmal würde man sich doch noch die Aufschlüsselung nach einer weiteren Variablen – beispielsweise Alter, Familiensituation, sozio-ökonomischer Status etc. – wünschen. Überhaupt halte ich es für einen der größten Mängel der Studie, dass sie die sozioökonomische Situation nahezu vollständig ausklammert. (Es wird nur an einer Stelle auf das Bildungsniveau eingegangen.) Sie entscheidet aber wesentlich über Lebensmöglichkeiten, Handlungsspielräume und Deutungspotentiale, die für Geschlechteridentitäten und Verhältnisse wichtig sind. Konzeptionell auffallend ist auch die wenig theorieorientierte Anlage der Untersuchung. Theoriebausteine finden sich zwar immer wieder bei den einzelnen Themenfeldern, aber sie erinnern doch ein wenig eine „Steinbruchexegese“. M.E. helfen aber empirische Daten nicht letztlich bei der Konzeption von Praxis. Da hilft nur Theorie. Allerdings muss diese Theorie empiriegesättigt bzw. empiriekontrolliert sein. Aber wo es nicht gelingt, die Wirklichkeit auf den Begriff zu bringen, Deutungszusammenhänge herzustellen und von hier aus Handlungsmöglichkeiten zu bestimmen, da helfen uns Zahlen wenig. Sie mögen uns dann durchaus auch nachträglich zu theoretischen Anstrengungen antreiben, gerade dort, wo uns empirische Daten überraschen. Aber eigentlich sollte die empirische Forschung selbst von Anfang in Theorie eingebettet sein (bzw. die implizite Theorie explizit machen) und in Theorie enden. Implizit haben Volz und Zulehner wohl eine rudimentäre Hintergrundthese, die auch im Titel der Studien durchschimmert: Es gibt ein bestimmtes – allerdings nicht näher beschriebenes oder begründetes Ziel – zu dem Männer aufbrechen sollen und zu dem sie auch auf dem Weg sind, wenn auch langsamer als erwartet. Schließlich fällt auf, dass dem Band methodische Informationen fehlen: zur Stichprobenziehung, zu Ausfallquoten und ähnlichen methodisch bedeutsamen Details, die für Qualität und Validität nicht unwichtig sind. Auch die Verfahren und Ergebnisse der Faktorenanalysen werden nur sehr rudimentär beschrieben, was die wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit hindert. Auch der von mir angeforderte Tabellenband ist dabei nicht hilfreich und bestätigt eher die wenig ambitionierte und intensive Auswertungsarbeit in methodischer Hinsicht. 4.2 Typologie von Männern Als Herzstück ihrer Arbeit bezeichnen die Autoren die Typologie von vier Männergruppen. Allerdings scheint mir diese Typologie einer der schwächeren Teile zu sein. Erstens bilden sie ihre Typologie nur aus 15 Items, die alle um Familie und die Rollenverteilung der Erwerbsarbeit angesiedelt sind. Warum ziehen sie nicht weitere Items – etwa aus dem Wertebereich – zur Clusterbildung hinzu? Zweitens ist ihre Clusterbildung eindimensional: Partnerschaftliches versus geschlechtsspezifisch arbeitsteiliges Rollenmuster. Zwischen den Extremgruppen der teiltraditionellen und modernen Männer sind die beiden weiteren Gruppen der balancierenden und der suchenden Männer als dazwischenliegend anzusehen. Außerdem fällt es schwer, diese beiden mittleren Gruppen sinnvoll gegeneinander abzugrenzen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie nicht „konsistent“ auf moderne und traditio- Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 30 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux nale Items reagieren, sondern beide bejahen, wobei sie sich vor allem in der Stärke der Zustimmung unterscheiden. Auch die Ausführungen von Volz und Zulehner zu den Zwischentypen sind wenig erhellend. Gut deutbar sind sicher die beiden Cluster moderne und teiltraditonelle Männer. Die Verteilung der Typen und die Veränderung im Zehnjahresvergleich zeigt nachfolgende Tabelle: (34) Man sieht einen leichten Rückgang der teiltraditionellen Männer aber einen deutlichen Rückgang der teiltraditionellen Frauen im Zehnjahresvergleich und spiegelbildlich dazu einen leichten Anstieg der modernen Männer aber einen deutlichen Anstieg der modernen Frauen. Insgesamt gibt es deutlich mehr moderne Frauen als moderne Männer und nur halb so viele traditionelle Frauen wie traditionelle Männer. Frauen sind also, was ihr Rollenverständnis angeht, deutlich moderner als Männer. Dabei gilt auch für traditionelle Männer, dass die Berufstätigkeit von Frauen tendenziell akzeptiert ist, es aber weiterhin erhebliche Ungleichheiten in der Übernahme der Familien- und Hausarbeit gibt. 4.3 Weitere Ergebnisse 4.3.1 Gewichtung von Lebensbereichen Bei der Gewichtung der Lebensbereiche fällt auf, dass Familie auf einem sehr hohen Niveau stagniert bzw. leicht an Bedeutung verliert, während Freizeit und Freunde gewinnen und – erstaunlicherweise – Religion und Kirche einen exorbitanten Zuwachs erleben, der mit dem Material der Studie schwer zu interpretieren ist. Einen deutlichen Wichtigkeitsverlust bei den Männern erleidet der Lebensbereich der Arbeit, während er bei den Frauen leicht zulegt, so dass zwischen Männern und Frauen hier kein Unterschied mehr besteht. 4.3.2 Erlittene und angetane Gewalt Ausführlich und differenziert werden in der Studie Gewaltpraxis und Gewalterfahrungen abgefragt. Dabei zeigt sich, dass Männer mehr Gewalt ausüben, aber auch mehr von Gewalt betroffen sind als Frauen. Der Umfang der angetanen und erlittenen Gewalt verlaufen erstaunlich parallel. Moderne Männer kommen sowohl als Opfer als auch als Täter weniger mit Gewalt in Berührung als teiltraditionelle Männer (während dies bei Frauen eher umgekehrt ist). Frappierend ist der enge Zusammenhang zwischen glücklicher Kindheit und geringer Gewalterfahrung und Gewaltpraxis. Je unglücklicher die Kindheit erlebt wurde, desto eher erleiden Befragte heute vielfältige Gewalt und geben diese an andere weiter. 4.3.3 Familie Der Kern der Geschlechtsrollendebatten und damit auch der Debatte um die Rolle des Mannes betrifft „natürlich“ Familie. Nur in Partnerschaft, Ehe und Familie wird explizit, thematisch und zentral auf die Geschlechtlichkeit des Menschen zugegangen, während sie in allen anderen Lebens- und Gesellschaftsbereichen zwar eine mitlaufende und teilweise auch relevante Kategorie darstellt, aber thematisch nicht im Fokus steht. Wie jedoch im Lebensfeld Familie mit den Geschlechtsrollen umgegangen wird, hat – via Familie und nicht Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 31 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux primär via Geschlecht – erhebliche Auswirkungen auf das Verhältnis der Geschlechter in anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern. Wenn etwa Familie als Sphäre der Frau angesehen wird, dann folgt daraus, dass sie in anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern weniger präsent sein kann. Lebenspraktisch am relevantesten ist dies sicher im Blick auf die Arbeitswelt. Die Studien zeigen sehr deutlich, dass das Verhältnis von Familie und Erwerbsarbeit nach wie vor eine der größten Spannungslinien ist. Dies zeigt sich deutlich in den Männersichten: Trotz wachsender Partnerschaftlichkeit bleibt in den gesellschaftlichen Erwartungen, aber auch in der Selbsterwartung der Männer bei ihnen die Erstverantwortung für die materielle Existenzsicherung der Familie. Wenn die Existenzsicherung durch die Frau geleistet werden kann, ist das auch kein großes Problem. Aber zum Problem wird diese Erstverantwortung dann, wenn die finanzielle Lage der Familie prekär ist und der Mann gefordert ist, die Existenz zu sichern. Wenn dies nicht gelingt, ist dies primär sein Versagen. Bei der gegenwärtig zunehmenden Ungesichertheit der finanziellen Situation für viele Menschen ist sehr viel Aufmerksamkeit auf die Sicherung der Lebensgrundlagen zu legen. Das Feld der Erwerbsarbeit wird sehr beanspruchend. Insofern gibt es in der Gesellschaft durchaus eine Spannungslinie zwischen einer wachsenden Bereitschaft von Männern sich in der Familie zu engagieren und einer Berufsarbeit, die ihre Vorrechte immer massiver anmeldet und kaum den Bedürfnisse der Familie untergeordnet werden kann. Bei der Inklusion in das Erwerbssystem hat m.E. die Geschlechtszugehörigkeit eine nachrangige Bedeutung im Vergleich zu den Familienrollen. Aber die Koppelung von Geschlecht und bestimmten Familienrollen führt zu erheblichen Differenzen in der Einbindung von Männern und Frauen in das Erwerbssystem. Die Spannungslinie von Erwerbsarbeit und Familie ist in den Studien von Volz und Zulehner deutlich sichtbar. 4.3.4 Religion und Kirche Dass sich mit der Annäherung der Geschlechterrollen, insbesondere mit der verstärkten Präsenz von Frauen in Beruf und Öffentlichkeit, die „Feminisierung der Religion“ zurückbilden wird, ist theoretisch zu erwarten. Die Frage ist, in welche Richtung sie sich bewegt. Säkularisierungstheoretisch wäre eine Angleichung der Religiosität von Frauen an die der Männer zu erwarten. Denkbar wäre aber auch, dass sich mit einer verstärkten Zuwendung von Männern zu nicht-ökonomischen und nicht-technokratischen Lebensbereichen deren religiöse Sensibilität sich wieder „erholt“. Die Studien von Volz und Zulehner zeigten im Zehnjahresvergleich tatsächlich eher ein Treffen in der Mitte: Eine deutlich sinkende Bedeutung von Religion und Kirche bei Frauen und ein ebenso deutliche Zunahme bei den Männern. Letzteres überrascht auch Volz und Zulehner. Die Studie kann dazu allerdings keine Erklärungshinweise liefern. Sichtbar ist allerdings, dass die Religiosität der modernen Männer erheblich geringer ist als die der teiltraditionellen. Das spricht eindeutig gegen die oben angebotene These, dass die verstärkte Bereitschaft der Männer sich auf „weibliche“ Lebensbereiche einzulassen, eine wachsende Religiosität von Männern erklären könnte. Die geringe Religiosität moderner Männer stellt kirchliche Männerarbeit allerdings in ein Spannungsfeld: der von ihr unter ethischen Gesichtspunkten favorisierte Männertyp ist zugleich ein eher religionsferner Mann. 4.4 Ausblickende Bemerkungen Männerarbeit ist ein Querschnittsthema. Gesellschaftlich gesehen läuft die Geschlechterfrage in fast allen gesellschaftlichen Handlungsbereichen mit, auch dort wo sie kein Zentralthema ist. Aus der Männerperspektive Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 32 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux realisiert sich Mannsein in ganz unterschiedlichen Handlungsfeldern. Herausragend sind allerdings die Handlungsbereiche, in denen Geschlecht thematisch wird. Das ist primär das Feld der Geschlechterbeziehung in der Partnerschaft und das Feld der Generationenbeziehungen in der Familie, wo im Verhältnis von Eltern und Kindern auch wesentlich mitbestimmt wird, was es heißt, ein Junge oder ein Mädchen, ein Mann oder eine Frau zu sein. Deswegen scheinen mir auch zwei Vernetzungslinien der Männerarbeit besonders wichtig: erstens zur Familienarbeit und dabei mit einem besonderen Brennpunkt zur Frage der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie sowie zweitens zur Kinder- und Jugendarbeit, weil auch dort Geschlechtsrollenentwicklung und Geschlechtsrollendiskurse eine besondere Rolle spielen. Damit soll natürlich nicht eine Begrenzung der Männerarbeit auf diese Bereiche das Wort geredet werden. Martin Engelbrecht, Martin Rosowski: Was Männern Sinn gibt – Leben zwischen Welt und Gegenwelt. Stuttgart: Kohlhammer 2007. schungsprojekten mit ähnlicher Fragestellung herangezogen, so dass insgesamt ein Sample von 60 Männern zur Verfügung stand. Dies ist für umfangreiche und sorgfältig durchgeführte qualitative Befragungen eine hohe Fallzahl, die an die Auswertung große Anforderungen stellt. Natürlich ist die Verwendung von Studien aus unterschiedlichen Untersuchungen nicht unproblematisch, aber im Kontext qualitativer Forschung mit ihrer spezifischen Fragestellung vertretbar. Regional konzentriert sich die Studie auf (Nord-) Bayern und Sachsen. Die Autoren gehen weiterhin davon aus, dass die Bereitschaft zur Mitwirkung an qualitativen Interviews doch eher von reflektionsbereiten und kommunikativen Personen zu erlangen ist und diese somit in der Studie überrepräsentiert sind. Eine Repräsentativität kann aufgrund der Fallzahlen nicht unterstellt werden, jedoch sind die Interviews für eine qualitative Untersuchung sehr breit gestreut. Die spezifisch für das Projekt angefertigten Interviews sind biographisch orientiert, wodurch die Bedeutung der eigenen Vergangenheit ein weiteres Licht auf die Gegenwartsperspektive der Befragten werfen konnte. Die biographischen Erzählungen sind „Resonanzräume“ der aktuellen Deutungen und Reflexionen. Die Studie hat verschiedene Vorgeschichten und es fließen in ihr verschiedene Linien zusammen. Wichtigster Ausgangspunkt ist sicher der Auftrag der EKD an das Bayreuther „Institut zur Erforschung der religiösen Gegenwartskultur“ zur Erforschung der „unsichtbaren Religion“ bei Kirchenmitgliedern. Ihr folgte ein weiterer Auftrag zur „unsichtbaren Religion kirchenferner Männer“, dem sich dann auch die Arbeitsstelle Männerseelsorge anschloss. Wichtig für das Verständnis der Studie ist sicher dieser ursprüngliche Titel, der auch ein theoretisches Programm beinhaltet. Auf der theoretischen Ebene ist die Studie im Rahmen der Wissenssoziologie zu verorten. Sie zielt auf die Rekonstruktion alltags- und lebensrelevanter Wissensbestände und Deutungen der Befragten. Es wird darauf geachtet, wie die Interviewpartner über bestimmte Aspekte dessen reden, was in ihrem Leben von Bedeutung ist. Insgesamt zielt diese qualitative Studie darauf, die Wissens- und Deutungsbestände von Männern zu erheben und typologisierend – im Sinne der Idealtypen von Max Weber – zu rekonstruieren und zu reduzieren. 5.1 Methodik der Studie Insgesamt gelingt es dieser Studie gut, in der Verbindung von – offengelegter – Theorie und empirischem Material einen Einblick in Wissens- und Deutungsstrukturen von Männern zu eröffnen, die um die Sinndimension krei- 5. Was Männern Sinn gibt Für die Studie selber wurden 15 biographisch orientierte Interviews erhoben. Es wurden aber weitere Interviews aus anderen For- Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 33 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux sen. Das Thema Religion wurde von den Interviewern nach Möglichkeit erst dann angeschnitten, wenn es von den Befragten selbst zur Sprache kam. Erst wo dies überhaupt nicht geschah, wurde versucht, das Gespräch auch darauf zu lenken, jedoch wurde auch dabei alles vermieden, was nach einer Abfrage christlicher Traditionsbestände aussehen oder Befragte gar unter Rechtfertigungsdruck setzen könnte. 5.2 Das Sinngebäude von Männern Kern des Projekts ist die Darstellung der Sinnkonstruktion von Männern. 5.2.1 Sinndimensionen Die Befragten erfahren Lebenssinn in drei Dimensionen: Erstens erfährt ihr Leben dann einen Sinn, wenn etwas Sinnvolles von ihnen erschaffen worden ist. Das kann zuweilen ein befriedigender Beruf, zum anderen eine glückliche Beziehung oder auch die Gründung einer Familie sein. Der Sinn liegt demnach in der eigenen Lebensleistung. elemente. Einen relativ hohen Stellenwert nimmt Natur als Deutungselement der Welt und des Kosmos ein, ohne dass diese Perspektive bei einem naturalistischen Weltbild enden muss. Sie wird durchaus bei einer Mehrzahl der Personen mit einen „göttlichen Wesen“ oder Prinzip verbunden. Im Blick auf die Ethik fällt auf, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Verwendung die beiden christlichen Begriffe Zehn Gebote und Nächstenliebe eine gewisse Grundbasis bilden. Sie werden allerdings durch weitere lebenspraktische Maximen ergänzt. 5.2.3 Leitmotive des Lebensverständnisses Hier werden vier Dimensionen benannt: 1. Leben als Kampf, der sich zum einen als Kampf gegen Umstände und Widerfahrnisse und zum anderen als Kampf im sozialen Bereich gegen Einschränkung des eigenen Lebens durch andere verstehen lässt. 2. Eine große Bedeutung hat weiterhin die Deutung des Lebens als Beziehung, in der Rückhalt und Anerkennung durch andere eine wichtige Rolle spielen. Zweitens wird Sinn erlebt in den positiven Lebenselementen des Lebens, beispielsweise in gutem Essen und Trinken, im Zusammensein mit Freunden oder der Familie, in der Ausübung eines Hobbys oder im Erleben der Natur. 3. Die Dimension „Lernen und Abenteuer“ nimmt eine wichtige Rolle ein. Es geht um Sehnsucht nach Neuem, Interessantem und das Leben Bereicherndem. Die Entwicklungsund Erlebensperspektive ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Drittens wird Sinn in Ereignissen (meist glücklichen) gefunden, die ihnen einfach widerfahren: etwa die Liebe einer Frau oder die Gesundung nach schwerer Krankheit. 4. Schließlich ist Kreativität, in der es um die Schaffung von Eigenem und Neuem geht, eine wichtige Dimension. 5.2.1 Deutung von Welt, Mensch, Gesellschaft und Ethik Hier fällt es außerordentlich schwer, ein durchgängiges Muster zu erkennen oder klare Typologien aufzuzeigen. Erkennbar sind postmoderne Buntheit, die Verknüpfung unterschiedlicher Deutungselemente und der Verzicht auf die großen, umfassenden Deutungs- Insgesamt bezeichnen Beziehung, Lernen und Abenteuer sowie Kreativität die eher positive und Kampf eher die eher negative Dimension der Lebensdeutung. 5.2.4 Übernahme von Verantwortung Als eigenständiger Punkt wird die Übernahme bzw. Zurückweisung von Verantwortung behandelt, wiewohl er mit den ethischen Kon- Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 34 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux zepten in Verbindung steht und vielleicht die wichtigste Komponente darstellt. Die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung kommt in den Interviews mehrheitlich zum Ausdruck. Sehr unterschiedlich ist allerdings der Umfang, den der Kreis der Verantwortung hat. Häufig wird er auf den persönlichen Lebenskreis konzentriert. Und Verantwortungsübernahme in einem größeren Kreis setzt ja auch Gestaltungsmöglichkeit voraus. Verantwortungsübernahme wird weiterhin häufig in einem Spannungsfeld zu Selbstbestimmung gesehen. Die Übernahme von Verantwortung wird als Einschränkung der Möglichkeit zu eigener Selbstbestimmung und Freiheit wahrgenommen. Die Formel heißt: „Soviel Selbstbestimmung wie möglich, soviel Verantwortung wie nötig.“ (136) 5.2.5 „Welt“ und „Gegenwelt“ „Das Leben der Männer, wie es sich in den Materialien widerspiegelt, ist von einem grundlegenden Rhythmus gekennzeichnet, den wir im Folgenden als das Hin- und Hergehen zwischen ‚Welt’ und ‚Gegenwelt’ bezeichnen werden.“ (137) Im Anschluss an Victor Turner bezeichnet „Welt“ das von der Sozialstruktur vorgezeichnete und normierte Leben, während Gegenwelt ein zeitweiliges Heraustreten aus dieser Struktur meint. Sie ist „temporärer Raum der ‚Freiheit von….‘: das äußerliche Enthobensein und das innerliche Lösen von der Eingebundenheit in die ‚Welt‘.“ (138) Als bedeutsamste Gegenwelt taucht in der Schilderung der Männer die Natur auf: Sie ermöglicht die Lösung von der Welt, sie ist Ort ästhetischer Erfahrung einer Schönheit, die nicht hergestellt ist, sie ist auch Ort der Selbsterfahrung und gewinnt schließlich manchmal meditativen oder „mystischen“ Gehalt. „Wenn Männer überhaupt je einen emotionalen Bezug zu einem „göttlichen Wesen oder irgendwas“ erleben und schildern, dann im Kontext des Erlebens der Natur. Weitere Gegenwelten: Bezug zu einer anderen Zeit (historische Gebäude, Geschichte), Sport (wobei dieser dazu neigt, seine eigenen Strukturen des Drucks zu entwickeln und so wieder in den Bereich der „Welt“ und der Fremdbestimmung zurück zu kippen), Drogen, Medien und Fantasy. Etwas ausführlicher geht die Studie auf die sehr kleine Gruppe der Männer (und Frauen) ein, die diese Gegenwelt mit einer spirituellen Grundierung versehen. Der Gegenwelt wird explizit der Sinn und das Potential zugeschrieben, die „Welt“ zu transzendieren und das unterschiedlich gedachte Göttliche, Heilige bzw. Transzendente als eigentlich tragende Wirklichkeit des Lebens zu etablieren. Diese Deutung ist – bei diesen kirchenfernen Männern – aber kaum jemals christlich geprägt. 5.2.6 Die Männer und die Kirchen Die Themen Kirche und kirchliche Tradition lösen intensive, wenn auch vielgestaltige Reaktionen aus. „Auf keinen Fall stehen die Kirchen indifferenten, kenntnislosen Männern gegenüber.“ Die Autoren versuchen drei unterschiedliche Sichtweisen voneinander abzugrenzen: 1. „Eine sehr gängige Sichtweise stellt dem ‚Religiösen‘ als Gegenhorizont das ‚Bodenständige‘ gegenüber, wobei im Terminus „religiös“…. Immer wieder das ‚arg‘ (sehr) als Kennzeichen einer übertriebenen Einstellung zur Seite gestellt wird.“ (151) 2. Eine weitere Variante setzt Religiosität mit christlicher Kirchlichkeit gleich. 3. Die Gruppe der spirituell Sensiblen stellen zum Teil einer „eigentlichen Religiosität“ eine „konventionelle Religiosität“ entgegen, die häufig mit der christlichen Kirchlichkeit identifiziert wird. Diese wird allerdings nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern Menschen als Form ihrer Religiosität zugebilligt, wenn das „ihr Weg“ ist. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 35 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux Die konkreten Begegnung und Erfahrungen der Männer mit der Kirche sind sehr unterschiedlich, sind aber insbesondere bei den Männern aus dem Westen vor allem in Form von Religionsunterricht und Sakramentenkatechese durchaus vorhanden. „Innere und äußere Kirchendistanz beruhen nicht auf fehlender Erfahrung oder auf fehlendem Wissen. Die Männer stellen bezüglich der Kirchen keine ‚unbeschriebenen Blätter‘ dar.“ (157) nommenen Ansprüchen einer Institution entziehen, der sie nicht oder nur in Gestalt einer charismatischer Vertreter vertrauen und deren möglicher Nutzen zwar für die meisten noch die Entrichtung einer Kirchensteuer, aber kein persönliches Engagement mehr lohnt, geschweige denn wünschenswert macht.“ (168f) Insgesamt stellen die Autoren fest, dass man bei der Frage, welche die Rolle der Kirche in den Sinnhorizonten der Gesprächspartner spielt, zunächst große Lebensbereiche entdeckt, in denen kaum noch eine Spur von Kirche zu finden ist. „Weder in den Sinnkonstruktionen noch in den sie umrahmenden Kosmologien (und Anthropologien bzw. Gesellschaftsbildern) spielt sie mehr als eine marginale Rolle. In den ethischen Werten findet sich – unter anderem zum Ausdruck gebracht mit Chiffren wie ‚die zehn Gebote‘ oder ‚Nächstenliebe‘ – Bezugnahmen auf von christlichen Diskursen inspirierte Werte.“ (167) Hier will ich mich auf zwei Punkte begrenzen: Insgesamt erfahren die Kirchen eine vielschichtige, aber in der Gesamtbilanz negative Wertung. Die Vision einer besseren Welt, die einige dem Christentum zubilligen und gelegentlich mit der Person Jesu in Verbindung bringen, bejahen viele. Gleichzeitig erleben die Befragten Kirche jedoch in erster Linie als Hierarchie, die keine Offenheit und Meinungsvielfalt in ihrem Raum zulässt. Dennoch wollen die Männer mehrheitlich nicht aus der Kirche austreten, weil sie eine Reihe von Dienstleistungen in Anspruch nehmen und/oder für unterstützenswert halten: die Kausualien, die ethische Bildung der Kinder und die soziale Arbeit. „Das Bild, das sich aufgrund unseres Materials ergibt, ist nicht das einer von Kirche entfremdeten, religiös säkularisierten und kenntnisarmen Männerwelt. Es ist das Bild einer Welt, in der Männer, die sich weltanschaulich kompetent fühlen, sich den von ihnen wahrge- 5.3 Ausblickende Bemerkungen 1. Stellenwert der Natur Auffallend ist der hohe Stellenwert, den „Natur“ in der Sinnkonstruktion von Männern erfährt. Natur ist erstens ein Kernelement ihrer Kosmologie, sie ist zweitens ein wichtiges Element erlebten Sinns und drittens – damit zusammenhängend – die wichtigste Gegenwelt. Einerseits ist das nicht überraschend: Natur ist in kognitiver Hinsicht Grundlage einer – bei den meisten Männern gebrochenen – naturalistischen Weltdeutung. Sie ist aber zugleich kontrapunktisch Basis einer innerlichen, ästhetischen Lebensdimension und erlaubt dabei sowohl eher meditative als auch mehr erlebnisorientierte, aktive Zugangswege. Andererseits überrascht doch, dass andere, in kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Theorien benannte Gegenpole gegen eine sich zweckrational verengende Moderne keine große Rolle spielen: insbesondere die Kunst (vgl. etwa Charles Taylor: Ein säkulares Zeitalter) oder auch erotisch-extatische Liebe (vgl. Ulrich Beck: Das ganz normale Chaos der Liebe). 2. Religionskonzept Einer ausführlicheren Reflexion bedürfte das Religionskonzept der Studie, dass sich an das Konzept der „unsichtbaren Religion“ von Thomas Luckmann anlehnt. Es hat wirkungsgeschichtlich sicher eine bedeutende und positive Rolle in der Überwindung der gerade in Deutschland sehr stark kirchensoziologisch verengten Religionssoziologie gespielt. Die Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 36 Kirchenoffene Männer? Prof. Dr. Bernhard Laux Problematik, die „unsichtbare Religion“ zu erfassen, wo der Religionsbegriff selbst schon genügend Schwierigkeiten aufweist, reflektieren die Autoren bereits in der Einleitung ihrer Studie. Die Konzeption wird ihnen selber zum Problem, so dass sie auf den Sinnbegriff umsteigen. „Unter ‚Sinn‘ soll im Weiteren alles verstanden werden, was Männer als ihr Leben ausfüllend und bereichernd schildern: […] alles, solange sie es als bedeutsam für ihr Leben und ihre Biographie markieren.“ (47) Das macht die Sache zwar auch nicht unbedingt einfacher, aber zunächst einmal sind die Schwierigkeiten des Religionsbegriffs vom Tisch. angesonnene Anknüpfung an die Gegenwelt, an die Ästhetik, an das Heraustreten aus dem Alltag, an Erleben und an Innerlichkeit nicht verwerfen. Sie sind sicherlich wichtige Dimension menschlichen Lebens und Anknüpfungspunkt für Religion. Aber das Außeralltägliche ist nicht der Königsweg der Männerarbeit, sondern das gewöhnliche Leben ist mindestens so sehr ihr Ort. Implizit – und nun mehr nicht definiert – kehrt der Begriff der Religion aber doch wieder, insbesondere weil die Studie darüber ja auch Auskunft geben soll. Religion scheint mir dabei besonders im Bereich der Gegenwelt lokalisiert zu werden. Ich halte es jedoch theologisch nicht für unproblematisch, wenn Religion und konkret der christliche Glaube auf das Außeralltägliche hin modelliert wird. Christlicher Glaube muss m.E. durchaus „bodenständig“ – oder theologisch gesprochen „inkarnatorisch“ – gedeutet und gelebt werden. Gerade neuzeitliches theologisches Denken hebt darauf ab, dass der Glaube im gewöhnlichen Leben, dass er in Familie und Arbeit als zentrale Dimension des Lebens realisiert werden kann und nicht in einer spirituellen Sonderwelt „religiöser Virtuosität“ anzusiedeln ist. Ebenfalls ist es ein Problem, wenn Religion so stark mit Sinn gleichgesetzt wird. Hier zeigen sich m.E. auch Engführungen einer wissenssoziologischen Perspektive, die letztlich mit nichts anderem umgehen kann als mit Sinnkonstrukten. Ich kann dies hier nur als Fragen formulieren, die einer Diskussion bedürfen. Als Konsequenz für die Ausrichtung der Männerarbeit will ich die in dieser Studie Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 37 2. Teil: Theologische Vertiefung 2. Teil: Theologische Vertiefung Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 38 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz Männer in der reflexiven Moderne. Thesen zum Zusammenhang von Gesellschaft, Identität und Männlichkeit „Die Identität ist ein historischer Prozess.“ Jean-Claude Kaufmann Eines haben die vielen empirischen Männerstudien oder die Überlegungen soziologischer Männerforschung wohl gemeinsam: Sie haben sich von der Vorstellung des Mannes im Singular verabschiedet und richten ihren Blick auf die individuellen und pluralen Formen männlicher Lebensführung in der entfalteten Moderne. Zudem zeigen sie ein Interesse daran, zu erfahren, wie sich Männer in der gegenwärtigen Gesellschaft selbst verstehen und wie sie von Frauen wahrgenommen und eingeschätzt werden. Dass in diese Studien immer bestimmte theoretische Vorannahmen einfließen, ist selbstverständlich. Nur so kommen wir zu einer Vielzahl an Deutungsangeboten, wie wir uns selbst in unserer Zeit verstehen können. Theorien sind Schlüssel, mit denen wir uns den Weg zur Wirklichkeit eröffnen. Die Theologie ist dabei nicht in der Rolle, sich als Schlüsselmeisterin behaupten zu können. Sie ist vielmehr selbst auf Deutungsangebote angewiesen, die ihr andere wissenschaftliche Disziplinen und Theorien anbieten. Das gilt auch für unsere Frage, wodurch sich in der entfalteten, oder auch reflexiven Moderne Männlichkeit auszeichnet. Für die ethische Reflexion sind solche Deutungen der Wirklichkeit von großer Bedeutung, denn, so im Anschluss an eine Formulierung von Niklas Luhmann, wie sollte sie über Angelegenheiten urteilen, die sie nicht versteht? An einer Hermeneutik menschlicher und gesellschaftlicher Wirklichkeiten führt kein Weg vorbei, solange es der Ethik um die Frage nach den konkreten Bedingungen und Kontexten eines menschenwürdigen Lebens geht. Sie borgt sich nicht ihre moralischen Kriterien von anderen Wissenschaften – in diesem Sinne muss die Ethik (auch die theologische Ethik) autonom sein. Aber den Menschen in ihrem Personsein wird sie nur dann im Konkreten gerecht, wenn sie eine Ahnung davon hat, unter welchen Umständen diese ihr Leben führen und warum sie sich auf diese oder jene Weise verstehen und so und nicht anders handeln. Die folgenden Überlegungen versuchen in der Form von Thesen, anthropologische, soziologische und theologisch-ethische Perspektiven in Beziehung zu setzen mit dem Ziel, zu vielleicht instruktiven Erkenntnissen über unsere Gegenwart zu gelangen. 1. Die Entwicklung der westlichen Gesellschaften lässt sich deuten als ein Prozess fortschreitender funktionaler und struktureller Differenzierung ehemals integrierter Handlungszusammenhänge. Dieser Differenzierungsprozess hat enorme Auswirkungen auf das Selbstverständnis und die Handlungsmöglichkeiten von Individuen, er produziert individuelle Identitäten in vorher nicht gekanntem Maße. Die Theorie gesellschaftlicher Differenzierung besitzt den Status einer soziologischen Schlüsseltheorie zur Erklärung der Entwicklung westlicher Gesellschaften in den letzten Jahrhunderten (Überblick: Kneer/Nollmann, 1997). Vormals thematisch diffuse Sozialzusammenhänge werden „gereinigt“, d.h. sie spezialisieren sich auf die Erfüllung bestimmter Funktionen. Neben einer horizontalen Differenzierung (Ökonomie, Staat, Familie, Religion, Kunst, Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 39 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz Erziehung usw.) haben wir es zugleich mit einer vertikalen Differenzierung verschiedener Handlungsebenen zu tun (Institutionen, Organisationen, Interaktionen, Individuen). Diese Entwicklung, die im Mittelalter durch die Differenzierung von Staat und Religion, von Religion und Wissenschaft, auf den Weg gebracht wird, führt auf der einen Seite zu einer Steigerung des autonomen Wissens in den und über die verschiedenen Teilsysteme der Gesellschaft und auf der anderen Seite zur Notwendigkeit der Kooperation zwischen den Systemen, denn diese sind immer auf die Leistungen anderer Systeme angewiesen (die Ökonomie braucht das Erziehungssystem, die Kirche die Familien usw.). Bei Konflikten zwischen den Teilsystemen, und diese sind an der Tagesordnung, müssen über den Weg des Kompromisses Lösungen auf Zeit gefunden werden. Was bedeutet dieser hier nur sehr kurz angedeutete Zusammenhang für die Individuen, die ihr Leben deuten und führen müssen? Grob gesprochen werden erst unter den Bedingungen von Differenzierung Individuen zu Individuen im modernen Sinne, d.h. zu Individuen mit einer bewussten eigenen Identität. In Gesellschaften, die nur schwach differenziert sind und die Aufsplitterung des Wissens noch gering ist, hat es kaum Identitätsprobleme gegeben. Was nicht gleichbedeutend ist mit der Aussage, dass alle Menschen sich in ihrer Identität glücklich gefühlt haben. Aber die eigene Identität repräsentierte objektive Wirklichkeiten, in denen sie ihren Halt fand. „Jeder weiß, wer jeder andere und wer er selbst ist. Ein Ritter ist Ritter, ein Bauer ist Bauer – für andere und vor sich selbst. (...) Das Bewusstsein stellt kaum je die Frage: ‚Wer bin ich?’“ (Berger/Luckmann, 1980, 175). Man weiß dann auch, wie man als Ritter oder als Bauer, der man ist, zu leben hat. Das gilt dann ebenfalls für Männlichkeiten und Weiblichkeiten an je bestimmten gesellschaftlichen Orten, in denen das Wissen davon, wie zu leben ist, wie selbstverständlich und alternativlos in Geltung ist. Unter den Bedingungen einer modernen Gesellschaft zerfällt die Idee einer objektiven Wirklichkeit und das Individuum schärft seinen Sinn für die Relativität der Wirklichkeiten. Und das führt zu einer Haltung der Distanz: Man kann und will sich nicht mehr einer Wirklichkeit mit Haut und Haaren ausliefern; auch die eigene Welt kann nun als eine Welt neben anderen erfahren werden. Differenzierung führt zur Individualisierung. Individuen müssen sich ihre Identität nun, da das Leben in verschiedenen Teilsystemen stattfindet und man dort „nur“ jeweils seine Rollen spielt, in viel Größerem Maße selbst zuschreiben. Die Frage, wer man sei, wird zu einer sinnvollen Frage. Die Antwort, die die Gesellschaft auf diese Frage gibt: Das musst du selbst wissen! Identität ist nicht mehr Reflex einer vorgegebenen Wirklichkeit, sondern wird zur individuell zu bewerkstelligen Reflexion (vgl. Kaufmann, 2005). Individualisierung ist nicht das Resultat je individueller Wahl, sondern eine gesellschaftliche Tatsache. Nicht jede und jeder ist gleichermaßen individualisiert, aber es herrscht die gesellschaftliche Erwartung, es zu sein. 2. Reflexivität lässt Kontingenzen ans Licht treten. Der gesellschaftlich erzwungenen Reflexivität der Identität korrespondiert auf anthropologischer Ebene die Fähigkeit des Menschen, sein Leben führen zu können, ja: zu müssen. Ein anthropologisches Phänomen wird unter modernen Verhältnissen zunehmend für viele bewusstseinsfähig. Modernität lässt für die Individuen Identität in der Schwebe. Wir werden zu Wanderern zwischen verschiedenen Sinnwelten, die uns in aller Regel nur noch partiell beanspruchen, immer gibt es auch ein Leben jenseits der Ökonomie, der Politik, der Kunst, der Wissenschaft, der Familie, der Religion. Ein privates Leben wird möglich, sobald wir in den verschiedenen Teilsystemen nicht mehr als ganze Person, sondern in unserer jeweils erwarteten Rolle auftreten. Meine private (religiöse, ästhetische, sexuelle) Existenz wird indifferent Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 40 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz gegenüber den verschiedenen Handlungszusammenhängen. Ich darf ein Auto kaufen, gleichgültig welcher Religion ich angehöre; ich kann in der Wissenschaft Karriere machen, gleichgültig wie mein ästhetischer Geschmack ist; ich darf wählen, gleichgültig wie vermögend ich bin usw. Privatheit ist ein Privileg moderner, differenzierter Gesellschaften. Der Verlust der vormals fraglosen, objektiv bestimmenden Wirklichkeit und ihrer Wahrheit lässt uns erkennen, dass unsere Identität selbst ein kontingentes Faktum ist. Es dämmert uns, dass wir selbst unter anderen kontingenten Umständen ein anderer, eine andere geworden wären. Zudem treten uns in den Medien nicht weniger als in der Realität immer mehr Personen mit individuellen Identitäten entgegen, so dass wir fragen mögen: Wäre das nicht auch eine Möglichkeit für mich? Wenn die so leben können, warum nicht auch ich? Unter solchen Umständen erscheint es vernünftig, das eigene Pulver nicht vorschnell zu verschießen. Denn welche Optionen schließe ich nicht alle aus, wenn ich mich hier und jetzt definitiv und endgültig festlege. Für die Fragen dauerhaft-entschiedener Lebensformen wird dies zu einer enormen Herausforderung. Aber ist das nun alles eine Entwicklung, die den Menschen von sich selbst wegführt, so dass die Moderne einen Irrweg darstellt? Aus anthropologischer Perspektive legt sich ein Nein nahe. Denn, wagen wir eine Kurzformel, die menschliche Existenz ist eine von Natur aus prekäre Existenz. Es bedarf keiner weit ausholenden philosophischen Herleitung, um sich bewusst machen zu können, dass wir uns als Wesen verstehen, die ein Doppelleben führen: Wir sind nicht einfach immer nur Körper, sondern wir haben auch einen Körper, zu dem wir uns in ein Verhältnis setzen können und müssen. Wir leben als Zweieinheit, in einem gebrochenen Verhältnis: noch sind wir bloßer Körper, noch haben wir diesen. Jeder Dualismus ist demnach vom Ansatz her verfehlt, denn bereits als biologisches Lebewesen stehen wir in einem gebrochenen Verhältnis zu uns selbst. Wir leben nicht in der unmittel- baren Naturvertrautheit, sondern die Bewältigung unserer Existenz stellt sich uns als Aufgabe dar. Es ist die Natur des Menschen, dass er etwas aus sich machen muss. Wir sollen uns, so die ethische Überlegung Hellmuth Plessners, der für diesen anthropologischen Ansatz steht, nicht zwischen dem Körper-Sein und dem Körper-Haben entscheiden, sondern eine Balance zwischen beiden finden. Wir müssen mit unserer eigenen Doppeldeutigkeit fertig werden und werden damit nicht fertig. Der Mensch ist damit als geschichtliches Wesen bestimmt. Da es um eine Fähigkeit zur Distanz von uns selbst geht, können wir auch von der Fähigkeit zur Freiheit sprechen. Der Mensch ist nur das, „wozu er sich macht und versteht“ (Plessner, 1985, 240). Die Idee, wir könnten ein natürliches, ein gewissermaßen authentisches Leben führen, ist diesem Denken fremd. Alles Vorgegebene, ob nun als natural oder geschichtlich-gesellschaftlich verstanden, ist von uns anzueignen, muss durch den Filter des Sich-Verhalten-Könnens hindurch. Der Mensch ist auf Reflexivität, auf Erkennen hin geschaffen und das zeichnet ihn in seiner besonderen Würde aus, denn erst so wird er zur Moral fähig. Wir haben uns zu uns selbst zu verhalten. 3. Das Programm und die Semantik der individuellen Identität machen nicht vor unserem Umgang mit dem eigenen Körper halt. Das Austrocknen der alten Identitätsquellen (Schicht, Herkunft) lässt das moderne Individuum auf die Bühne treten. Wer sich in seiner Identität nicht mehr durch die Treue zu einer ihm vorgegebenen objektiven Wirklichkeit definieren kann, wird versuchen, eine Treue zu sich selbst herzustellen. Zum Referenzpunkt der eigenen Identität wird damit die eigene Biographie. Die klassischen Fremdreferenzen sozialer oder religiöser Art verlieren ihre selbstverständliche Orientierungsfunktion. Das Individuum bezieht sich also nun auf sich selbst (Selbstreferentialität). Was bleibt Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 41 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz ihm auch anders übrig? Auch jede Fremdreferenz wird ja als eine vom Subjekt gewählte verstehbar. Ich muss mich entscheiden, worauf ich mich in meiner Identität und in meinem Handeln beziehen will. Sobald etwas, was vormals als natürlich oder sozial selbstverständlich präsentiert worden ist, zur Sache einer möglichen Entscheidung wird, müssen wir uns dazu verhalten. In diesem Sinne, so kann man sagen, sind etwa die Liebe und das Sterben in der Moderne reflexiv geworden. Das „natürliche Sterben“ wird zu etwas, zu dem ich mich – im Prinzip – entschlossen habe, denn es gibt ja auch andere Optionen. Das „Natürliche“ muss seinen humanen Sinn erst erweisen und gilt nicht mehr einfach alternativlos als das moralisch richtige. Das alles trägt dazu bei, dass die Moderne als hochgradig ambivalent erfahren wird. Die einen entdecken die neuen Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens, die anderen fürchten die Desorientierung. Und immer wieder fällt in diesem Kontext der Begriff der Verunsicherung. Doch ein dauerhaftes Zurück in das Paradies der Sicherheit gibt es nicht. „Die Identität ist nur zu Ruhm gekommen, weil sie unsicher geworden ist“ (Kaufmann, 2005, 62). In der conditio humana ist die Dialektik von Natur und Kultur angelegt, wie wir mit Plessner gesehen haben. Die Umwälzungen der sozialen Welt der letzten Jahrhunderte lassen darum den Körper der Menschen nicht unverändert. Nicht dass die gesellschaftlichen Möglichkeiten nicht durch die Biologie stets beschränkt bleiben, aber die gesellschaftliche Welt, in der wir leben, prägt zugleich die Möglichkeiten unserer Körper (z.B. seine Lebenserwartung). Schon in den 1960er Jahren haben Peter L. Berger und Thomas Luckmann in diesem Sinne auf die Möglichkeit einer „Soziologie des Körpers“ (Berger/Luckmann, 1970, 193) hingewiesen. Eine Forschungsrichtung, die seit einigen Jahren enorm an Bedeutung gewinnt (vgl. Schroer, 2005). Berger und Luckmann: „Seine biologische Konstitution treibt den Menschen, sexuelle Entspannung und Nahrung zu suchen. Aber seine biologische Konstitution sagt ihm nicht, wo er sich sexuell entspannen und was er essen soll. (...) Sexualität und Ernährung werden viel mehr gesellschaftlich als biologisch in feste Kanäle gedrängt (...) Auch die Art, wie der Organismus tätig ist – Expressivität, Gang, Gestik – trägt den Stempel der Gesellschaftsstruktur.“ (Berger/Luckmann, 1970, 193). Auch hier waltet eine Dialektik zwischen dem biologischen Substrat und der gesellschaftlichen Formung, kein Determinismus. In einer Gesellschaft nun, die die Idee eines eigenen Lebens denkbar macht, wird auch der Umgang mit uns selbst als körperliche Wesen unter dem Vorzeichen der Selbstbestimmung stehen. In seinem berühmten Essay über die Freiheit schreibt der englische Moralphilosoph und Sozialreformer John Stuart Mill Mitte des 19. Jahrhunderts: „Der Mensch ist Alleinherrscher über sich selbst, über seinen Körper und seinen Geist“ (Mill, 2009, 16). Und dies gelte für Männer wie für Frauen. Die Verschiedenheit der Lebensführung macht vor dem eigenen Körper nicht halt. Auch dieser wird einbezogen in das Projekt der eigenen, der individuellen Freiheit. Es ist wohl diese Konnotation von Autonomie, die Ängste hervorruft. Denn gegen die Idee einer sittlichen Autonomie wird kein Theologe ernsthaft Einwände formulieren können. Aber nun geht Mill einen Schritt weiter und bezieht den eigenen Körper in den Bereich des zu konstruierenden eigenen Lebens mit ein. Nehmen wir die Freiheit des Menschen ernst, weil er ein Verhältnis finden muss zur eigenen Existenzweise, dann sind keine fundamentalen Einsprüche zu formulieren. Aber dennoch ist ein kritischer Blick angebracht. 4. So wie der Traum der Freiheit nicht selten zum Trauma wird (Luhmann), so erfahren wir auch die Moral des eigenen Körpers als ambivalent. Der Umgang mit dem Körper ereignet sich zwischen autonomer Selbstermächtigung und Selbstunterwerfung. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 42 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz Die moderne Welt der Freiheit hat ihre Kosten. Der Traum der Freiheit weiß längst um seine Schattenseiten, nicht zuletzt für die oft überforderte Psyche der Individuen. Darum sprechen wir von der reflexiven Moderne. Die von der Gesellschaft zugeschriebene Selbstbestimmung kann zu einer Erwartung werden, die als unerträgliche Bürde empfunden wird, unter der einzelne zusammenbrechen. Dem eigenen Leben soll das Individuum selbst Sinn geben im gleichzeitigen Wissen um die Kontingenz und Konstruiertheit von Sinnwelten. Und vor allem soll es mit dieser Aufgabe selbst zurechtkommen, die Gesellschaft als solche sieht keine Institution mehr vor, die hier exklusiv zuständig wäre. „Der einzelne muss sich dauernd ändern und fortwährend auf weitere Änderungen gefasst sein; das neue Prinzip der Herrschaft ist weniger die Unterdrückung als die stetige Überforderung“ (Alkemeyer, 2007, 18). Man lässt das Individuum immer weniger in Ruhe, sondern rückt ihm mit der Forderung auf den Leib, lebenslang zu lernen und an sich zu arbeiten. „Wer seinen Körper nicht (visuell) unter Kontrolle hat, scheint selber Schuld und droht als faul, stillos, letztlich überflüssig zu gelten“ (ebd. 17). Die Erwartungen sind mehr oder weniger subtil, die sich an die körperliche Selbstgestaltung richten. Jedenfalls gibt es einen großen Markt für das Selbstdesign, das unter den Imperativen der Flexibilität und der Mobilität steht. Wir sollen den Mut haben, uns des eigenen Körpers zu bedienen, so die Münchener Soziologin Paula-Irene Villa zum unausgesprochenen Körper-Imperativ der Gegenwart. Dieser Imperativ aber, und das ist seine Ambivalenz, tritt uns häufig als gesellschaftliche Erwartung, als Norm entgegen und ist keineswegs Resultat einer autonomen Entscheidung. Der Körper wird dadurch zu einer Ressource der eigenen Identität. Die Selbstbestimmung ermächtigt sich des Körpers und erhält dadurch Sichtbarkeit. Dies ist wiederum nicht in dem Sinne zu kritisieren, dass der Mensch damit seine eigentliche Bestimmung verleugne, wir müssen uns zur eigenen Natur verhalten, aber zu kritisieren wäre eine Praxis, der ein fremdgesteuertes Normalitätskonzept zugrunde liegt. Der moralische Appell zur Eigenverantwortung für den eigenen Körper kaschiert nur allzu oft Normalisierungsbestrebungen etwa im Blick auf richtige weibliche oder männliche Körper. Eine richtige Frau hat einen richtigen Körper zu haben und genau dafür ist sie selbst verantwortlich. Sie hat dafür hart an sich zu arbeiten. Mit einem längeren Zitat: „Die notwendige Objektivierung, die es braucht, um den eigenen Körper nicht als Eigenleib, sondern als instrumentell manipulierbaren Stoff zu behandeln, ist eine anthropologische Konstante menschlicher Sozialität (...). Dass der (Geschlechts)Körper nicht (mehr) nur gegeben ist, sondern auch gemacht wird, das ist (...) längst keine radikale These avantgardistischer Konstruktivisten/innen mehr, sondern alltägliches Wissen (...) Eine soziologische Genealogie von Reflexivierungen (...) zeigt, dass diese als EntNaturalisierung immer beides enthält: Das Versprechen auf Selbst-Ermächtigung und die Gefahr der Selbst-Beherrschung. Denn die starke Version von Selbst-Ermächtigung ist soziologisch schlichtweg absurd. Sie verkennt die konstitutive Wirkmächtigkeit des Sozialen ...“ (Villa, 2008, 267) Es bleibt ein ambivalentes Verhältnis. Menschen können sich durch Distanzierung und Kritik der Macht von Normen entziehen und sich in ihrer Freiheit behaupten. „Kreative Widerspenstigkeit“ (ebd. 269) bleibt eine Möglichkeit für Individuen. Aber dazu bedarf es auch einer sozialen Welt, die solches unterstützt und anerkennt. 5. Auch die nachvollziehbare Sehnsucht nach dem Authentischen, der Unmittelbarkeit, der Eindeutigkeit inmitten einer Welt der Reflexivität und Kontingenz ist: ambivalent. Naturalisierungen des Männlichen oder Weiblichen lassen sich dabei als reaktive Konstruktionen im Modernisierungsgeschehen deuten, die jedoch wenig zur Selbstaufklärung der Moderne beitragen. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 43 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz Diese fünfte These besteht aus zwei Teilen. Zunächst ist auf eine Entwicklung aufmerksam zu machen, die noch nicht unmittelbar mit der Vorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit verbunden sein muss. Anschließend kommen Naturalisierungen der Geschlechtsidentität näher in den Bick. a) Mit dem Begriffsarsenal soziologischer Analysen können Vorstellungen des sozialen Zusammenlebens von Menschen entzaubert werden, die von einer unmittelbar und eindeutig erkennbaren natürlichen Weise menschlicher Lebensführung ausgehen. In diesem Zusammenhang ist von gesellschaftlichen Konstruktionen der Wirklichkeit (Berger/Luckmann) zu sprechen. Sobald dieses Phänomen ins Bewusstsein tritt, kommt es zu Gegenbewegungen. Die intellektuelle Zeitdiagnostik und Stimmungslage ist erfüllt von einem Überdruss an Reflexivität. Ganz offenbar geben wir uns nicht zufrieden mit der Idee, in jeder Hinsicht auf eine reflektierte Distanz zu allem Anschein von Unmittelbarkeit gehen zu müssen. Und dadurch erfährt der Körper neue Aufmerksamkeit. Sich lebendiger Unmittelbarkeit hinzugeben, weckt nicht länger intellektuellen Widerspruch, sondern stößt auf fasziniertes Interesse. Wie wohl kein zweites ästhetisches Erlebnis packt – um ein Beispiel zu bringen – die Musik über das geistige Vergnügen an kompositorischen Finessen hinaus den Körper der Zuhörer. „Ich kann keinen Ton der Beatles hören, ohne seelisch ins Schwimmen zu geraten“, offenbart Karl Bartos, ehemals Mitglied der legendären elektronischen Band Kraftwerk. Wir haben es nicht mit einem Verächter intellektueller Analysen zu tun. „Sie können die Musik der Beatles möglicherweise nur mit der von klassischer Musik vergleichen. Sie können hier wie dort nicht nur eine Melodie, nicht nur einen Kontrapunkt, nicht nur eine Liedzeile, nicht nur eine dieser wundervollen Stimmen nehmen. Hier wie da werden Sie beim Hören von einer recht unerklärlichen Breitseite des Ganzen getroffen. Das geht mir in der ‚Zauber- flöte‘ so, aber ehrlich gesagt geht es mir noch eher bei ‚Strawberry Fields‘ so.“1 Ähnliche Schilderungen finden wir in Bezug auf andere Wirklichkeiten, in denen es nicht weniger um eine körperlich erlebte Präsenz und Unmittelbarkeit geht. Der Sport ist ein solcher Bereich, in dem sich der Körper auf eine gegenüber den abstrakten und kontrollierten gesellschaftlichen Handlungszusammenhägen andere Weise spürt. Vor allem, wenn ein gewisses Stadium des Könnens erreicht wird und der Körper quasi die Regie übernimmt. Die Faszination dieses Könnens lässt auch den das Geschehen miterlebenden Zuschauer nicht unberührt. Der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht spricht aus, worum es längst auch in der philosophischen Debatte wieder geht. Es gibt eine „neue Sehnsucht nach Substantialität“ (Gumbrecht, 2005). Es ist das gespürte Unbehagen an einer allgegenwärtigen Selbstbezüglichkeit menschlicher Sinninterpretationen. Dass wir gefangen zu sein scheinen in der nicht zu durchbrechenden Welt unserer relativen Deutungsperspektiven auf die Welt. „Im neuen Alltag der Vermittlung sehnen wir uns nach Unmittelbarkeit, selbst wenn sie schmerzvoll wäre. (…) Es ist wie der Schmerz des Piercing, in dem für Jüngere die Garantie liegt, am Leben zu sein. Wir lieben das sinnlich Schrille der special effects, auf die wir uns einlassen, ob das nun Rock oder stereophonische Klassik ist, Actionfilm oder Filmepos. Wir versuchen uns in Form zu joggen und schwärmen von unseren Wadenkrämpfen, und für wen es dafür biologisch zu spät ist, der weiß doch wenigstens, daß es wieder in ist, ins Stadion zu gehen. Wer sich dazu bringen kann, an Jenseitiges oder doch wenigstens Esoterisches zu glauben, hält stolz daran fest“ (Gumbrecht, 2005, 759). Substantialität meine die in ihrem Auftauchen wie in ihrem Vergehen unberechenbaren Momente des „Gelebten und Erlebten“. Gumbrecht will der dominierenden Sinnkultur eine Präsenzkultur zur 1 Alexander Gorkow, Draußen scheint die Sonne. Interviews, Köln 2008. Das Interview mit Karl Bartos findet sich auf den Seiten 341-347. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 44 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz Seite stellen. Menschliches Dasein solle nicht reduziert werden auf die Praxis der distanzierten Reflexion und Sinngebung, sondern umfasse auch Momente körperlich intensiver ästhetischer Erlebnisse, ob beim Hören einer Mozartarie oder beim Anblick schöner Dinge, seien es menschliche Körper oder Kunstwerke. Ebenfalls ins Visier kritischer Rückfragen ist das geraten, was man als den Verlust von Eindeutigkeit bezeichnet hat. Wenn die Gegenwart von Optionen zur biographischen Gewissheit wird und wenn die Gesellschaft darauf lediglich mit dem widersprüchlichen Rat reagiert, sich bei den notwendigen Entscheidungen am besten nicht allzu sehr definitiv festzulegen, dann kann es nicht verwundern, dass die individuelle Reaktion die des Abwartens oder der Ironie ist. Dabei scheint die Individualität selbst unter die Räder zu kommen. Das jedenfalls ist die Beobachtung von Susanne Fuchs in ihrem Buch „Der Verlust der Eindeutigkeit“ (Stuttgart 2007) Das eigene Leben wird zum Gegenstand der eigenen distanzierten Beobachtungen, es wird aber nicht zum Ort von verbindlichen Entscheidungen (für einen Menschen, einen Beruf), die mich als Individuum hervortreten lassen und mich behaftbar machen. Kann man von einer Bewegung der Rückbesinnung sprechen, die sich hier andeutet? Zur Unmittelbarkeit, zur Entschiedenheit? Damit könnte die falsche Erwartung geweckt werden, dass ein Zurück zu vormodernen Weisen der Welt- und der Selbsterfahrung bevorstehe. Die durch die sozialen Differenzierungsprozesse erzwungenen neuen Weisen der Individualität, die einen Freiheitsgewinn bedeuten, sind aus moralischer Sicht unhintergehbar. Reflexivität kann nicht mehr getilgt werden. Ja, es wäre politisch katastrophal, vorreflexivem Leben die Herrschaft zu überlassen. Die Unmittelbarkeit und Eindeutigkeit des wirklichen Lebens bleiben zwiespältige Begriffe. Wir können uns warnen lassen von der Beobachtung Armin Nassehis, dass die angeblich ontologische Eindeutigkeit der „meisten körpernahen Erfahrungen durchaus gewaltnah“ ist, in der Erziehung, dem (Extrem)Sport bis hin zur Sexualität. Das Ausweichen vor den Zumutungen der Reflexivität ist so attraktiv wie riskant, es „setzt gewissermaßen absolute Markierungen in der Welt (…) Gewalt simuliert – für einen Moment! – totale Macht, Durchsetzungsfähigkeit und Autonomie. Und sie vermittelt Erfahrungen, heute sagt man Erlebnisse, gegen die man kognitiv und pädagogisch, also mit Medien der Selbstdistanzierung, wohl kaum ankommt“ (Nassehi, 2003, 95). Was sich zu ändern beginnt ist der Umgang mit den unterschiedlichen Weisen des leibkörperlichen Lebens, ihren Spannungen oder auch Ambivalenzen. Anstelle hermetischer Gegenwelten, die das Eigene in Reinheit und Abgrenzung bewahren wollen, treten Versuche, den Widersprüchlichkeiten ins Auge zu sehen und ihnen nicht auszuweichen. Damit wir unser Selbstbild nicht auf die Leistungen unseres Bewusstsein reduzieren und dabei das Gefühl für die physischen Dimensionen unseres Lebens verlieren. Damit unser Selbstbezug komplexer wird. Ausdrücklich sind damit noch keine moralischen Urteile über einzelne ästhetische Erlebnisse verbunden. Zunächst geht es überhaupt um die Zurückgewinnung der Dimension eines körperlich intensiven Selbstbezugs inmitten einer Gesellschaft, die dafür oft wenig Raum lässt. Stehen die vielen Angebote für Männer und Frauen, ihr eigenes authentisches Wesen wieder zu entdecken, in diesem Zusammenhang? Profitieren sie von dem Unbehagen an einer substanz- und erlebnisarmen Gegenwart? Sind das die kleinen Widerstandsnester gegen die Reflexivität? Männer sollen endlich zu sich selbst, zu ihrem Archetyp, ihrer eigentlichen Stärke usw. finden. Aber es gibt diese authentische, typische weibliche oder männliche Existenzform nicht, wenn wir die von uns zitierten anthropologischen Grundannahmen teilen. Authentisch wäre es allenfalls, sich als Mensch den Zwang zur nicht-unmittelbaren Existenz einzugestehen, die eigene Labilität anzuerkennen und dem eigenen Leben eine eigene Gestalt zu geben. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 45 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz b) Naturalisierungen des Weiblichen und Männlichen treten, und das ist zunächst überraschend, in der Geschichte in dem Moment verstärkt auf, als die Gesellschaft selbst die Geschlechter-Differenzen abzuschleifen beginnt. In der Vormoderne war es grob gesprochen so, dass an eine Gleichheit zwischen Mann und Frau im Grunde nicht zu denken war. Zu selbstverständlich besetzten die Männer in den verschiedenen Lebensbereichen die oberen Positionen. Diese Männlichkeiten waren selbstverständlich und selbstsicher. Die Geschlechterdifferenz war auf eine unbefragte Weise asymmetrisch. Eine intensive Auseinandersetzung um die Differenzen zwischen Mann und Frau war nicht notwendig. Dies aber ändert sich, als die Gesellschaft im 18. Jahrhundert ihre Semantik auf Gleichheit umstellt. Im Namen des Naturrechts werden soziale Privilegien kritisiert und die gleichen und allgemeinen Rechte des Menschen eingefordert. Da aber die traditionellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern sich nicht einfach auflösen, wird dafür eine Begründung notwendig. Und diese Begründung findet man in der unterschiedlichen Natur von Mann und Frau. Der Naturbegriff wird dadurch mehrdeutig. Das Naturrecht sollte sich nicht so schnell erholen von dem seitdem formulierten Verdacht, es legitimiere soziale Gewohnheiten und drücke nicht mehr als den „gesunden“ Menschenverstand aus. Auf welche Weise die Naturalisierung auch das Bild der Männlichkeit verändert, hat in einer aufschlussreichen Studie Christoph Kucklick zeigen können (Kucklick, 2008). Seine Überlegungen sind es wert, hier näher vorgestellt zu werden. „Furchtbar steht der rohe Sohn der Natur vor uns, der nur einem einzigen Gesetze blindlings gehorcht: dem schrecklichen Gesetze der Stärke. Was ihn zum Handeln bewegt, ist Egoismus der gröbsten Art, instinktmäßiger Eigennutz.“ Mit diesen Worten zeichnet Ernst Heinrich Kosengarte 1816 ein zeittypisches Bild von der Natur des Mannes.2 Wie kommt es um 1800, so lautet die Ausgangsfrage, zu einer solch negativen Andrologie? Männlichkeit, das ist in einem Stereotyp dieser Zeit vor allem eines: Egoismus, Gewalttätigkeit, Triebhaftigkeit. Und dieser kritische Blick auf Männlichkeit ist etwas Neues. Kucklicks überraschende These lautet, dass das neue Bild unmoralischer Männlichkeit in einer Wechselbeziehung zur funktionalen Differenzierung von Gesellschaft steht. Zunächst schließt er sich der schon präsentierten Verschiebung im Konzept von Identität an, wonach funktionale Differenzierung zunehmend prekäre Identitäten hervorbringt. Also Individuen, die den Lauf der Welt und die eigene Biographie nicht mehr synchronisieren können, und die die Erfahrung sozialer Ortlosigkeit machen. Ihr Handeln muss auf bisher so nicht erlebte Weise den sachlichen, anonymen Imperativen der abstrakten gesellschaftlichen Teilsysteme gehorchen. Der Mensch scheint hinter dem Spezialisten zu verschwinden. „Wir haben Physiker, Geometer, Chemiker, Astronomen, Poeten, Musiker, Maler, aber wir haben keine Bürger mehr“, klagt Rousseau (s. Kucklick, 2008, 191). Der auf sich selbst zurückgeworfene Mensch der Moderne leidet an innerer Auszehrung. Männlichkeit ist in ihrer Selbstbezüglichkeit unbestimmt, sie ist auf bisher nicht gekannte Weise demoralisiert. Diese Thematisierung von Männlichkeit angesichts einer sich fortschreitend arbeitsteilig strukturierten Gesellschaft steht im Kontrast zur christlichen Tradition, die – es sei denn ihr dreht sich alles um die Erbsünde – von einer an sich positiven, weil von Gott geschaffenen Natur beider Geschlechter ausgeht. Nun aber wird Männlichkeit auf einmal negativ gedeutet und im gleichen Zug als solche naturalisiert. Der Mann im Naturzustand lebt seine unbestimmte Selbst2 Kosengarte, Ernst Heinrich, Der Mann in gesellschaftlichen Verhältnissen. Eine Anleitung zur Weltklugheit, Umgangskunst und praktischen Lebensweisheiten überhaupt. Nach Knigge, Pockels, Heidenreich, Montaigne u. and. m., Pesth 1816, 5 (zitiert nach Kucklick, 2008, 37f.). Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 46 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz bezüglichkeit ungehemmt aus. Die Selbstreferenz wird in den Zustand der maskulinen Natur hinein projiziert. Wie aber kann die mit Unmoral gleichgesetzte Selbstbezüglichkeit unterbrochen werden, wie kann Männlichkeit mit Fremdreferenz angereichert werden? Wie wird aus Unbestimmtheit Bestimmtheit? Was kuriert das Unheil natürlicher Männlichkeit? Die historische Antwort: Retterin des Mannes ist die Frau. Sie zivilisiert ihn, sie durchbricht seine Selbstbezüglichkeit, sie ist die Negation der negativen Männlichkeit. Sie vermag solches aber nur, weil sie anders ist als der Mann, weil sie von anderer Natur ist. Weiblichkeit muss anders als Männlichkeit sein. Die weibliche Natur ist das Bollwerk gegen die männliche, ist das notwendige Gegenprinzip. Und weil das zentrale Problem von Männlichkeit Selbstreferenz ist, darf die Frau über keine verfügen. Das würde das Elend des Menschen nur verdoppeln. Darum ist die Bestimmung der Frau die Hingabe, die Opferbereitschaft, die Liebe. Die Selbstlosigkeit der Frau ist das Gegengift zum männlichen Egoismus. „Der Mann verfügte gleichsam über die ‚moderne’ Natur und daher über die unheimlichere, instabilere, gefährlichere – allerdings auch über die dynamischere, die größere Leistungen und vielfältigere Möglichkeiten versprach. Die Frau erhielt als teleologisches Wesen eine solidere, stabilere, vertrautere Naturausstattung, deswegen sowohl die moralischere, verlässlichere als auch beschränktere, die betulichere, die zu virtuosen Leistungen nicht geeignete“ (Kucklick, 2008, 92). Der „Ausschluss von Frauen aus zentralen Funktionssystemen der Gesellschaft“ wird zur Voraussetzung ihrer „überlegenen Moralität“ (Kucklick, 2008, 104). Eine Jahrhunderte alte Vorstellung kippt damit um: Der Mann – und nicht länger die Frau – ist das Geschlechtswesen, seine Sexualität ist das Bedrohliche, seine Lust ruft Unbehagen hervor und muss gezügelt werden. Kucklick zeigt eindrucksvoll und mit erschreckenden Details, wie geradezu besessen das 19. Jahrhundert Männlichkeit zu regulieren unternimmt, mit welchem Aufwand und mit welcher Fixierung männliche selbstreferentielle, d.h. isolierte Sexualität eingedämmt werden sollte. Nur zwei Institutionen könne den Mann kurieren: die Ehe und die Religion, die daher ganz folgerichtig im 19. Jahrhundert feminisiert, d.h. „weiblich konnotiert“ wird. Denn in ihr geht es um den ganzen Menschen, um personale Begegnung und um den sozialen Zusammenhalt. All das, was in der männlichen Sphäre vermisst wird. Die Überhöhung und Naturalisierung des Weiblichen zur moralischen Gegenmacht ist konsequenter Weise an Emanzipationsprozessen wenig interessiert. Denn dann würde das ersehnte Gegenlager verschwinden, dessen die Moderne so dringend bedarf. Die Frauen müssen aus Gründen der gesellschaftlichen Moral davor bewahrt werden, in den Sog der Logik der differenzierten Sozialwelt hinein zu geraten. Sie sollen ihre „Reinheit“ bewahren. Kucklicks besonderer theoretischer Kniff liegt darin, die hier skizzierte Unterscheidung der Natur der Geschlechter als eine zu verstehen, die auf eine andere Unterscheidung draufgesattelt wird. Nämlich auf die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und personaler Interaktion. Wir haben gesehen, dass gesellschaftliche Differenzierung beide Bereiche stärker in ihrer Differenz hervortreten lässt. Für ersteren steht ab nun Männlichkeit, für letzteren Weiblichkeit. Inmitten einer als bedrohlich empfundenen neuen Struktur von Gesellschaft erscheinen Interaktionen als rettende feminine Inseln des Friedens. Weiblichkeit ist ein moderner Sehnsuchtsort. Der Raum sozialer Interaktionen – wir könnten auch sagen Geselligkeit, der soziale Nahbereich, die Familie – ist die Domäne des Weiblichen. „Ihr Frauen habt immer die Sorge um den Herd, die Liebe zum Leben, das Gefühl für die Wiege in eurer Hut. Ihr kennt das Geheimnis des beginnenden Lebens. Ihr tröstet im Augenblick des Todes. Unsere Technik läuft Gefahr, unmenschlich zu werden. Versöhnt die Männer mit dem Leben. Und vor allem (…) wacht über die Zukunft unserer Art. (…) euch obliegt es, den Frieden Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 47 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz in der Welt zu retten.“3 Erst vor dem Hintergrund der Überlegungen Kucklicks erschließt sich die ganze subtile Logik dieses Denkens, das bis heute zweifellos theologisch nachwirkt (vgl. Caldecott, 1998). Die Moderne wird als Siegeszug des männlichen Prinzips autonomer Selbstbehauptung zur egozentrischen, nahezu gottlosen Zone. Wenn dann auf das Vorbild Mariens hingewiesen wird, die sich ganz der Liebe Gottes anvertraut hat, dann ist der Knackpunkt der, dass angenommen wird, sie habe dies als Frau getan. Die aus der christlichen Tradition bekannte Figur des Überschreitens der Selbstbehauptung wird dabei ohne Not geschlechtsspezifisch naturalisiert. Die Frau stehe natürlicher Weise als Frau der demütigen, liebenden Hingabe näher. Alles, was nach einer Emanzipation von biologischen Bedingtheiten aussieht, wird daher zum Türöffner für die verhängnisvolle Moderne erklärt. Aber indem man auf der natürlichen weiblichen Geschlechtsidentität beharrt, tritt man – freiwillig? – jenen zur Seite, die genau mit diesem Argument seit dem 19. Jahrhundert den Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben für die Männer reservieren wollen. Wenn die Frau von Natur aus auf den Anderen bezogen ist, dann kann der Mann sich seiner Selbstbehauptung sicher sein. Wenn Frauen sich nicht ändern dürfen, warum sollten Männer es tun? Indem weibliche Biologie zum Schicksal wird, gibt man die Emanzipationsleistungen der eigenen Tradition preis. Dass ausgerechnet die katholische Kirche, so bemerkt die Romanistin Barbara Vinken, das klassische bürgerliche Geschlechterarrangement so vehement verteidigt, sei angesichts des Potentials der eigenen Tradition „deprimierend“ (Vinken, 2006, 53). Die Lyrik eines weiblichen Genius ist wissenssoziologisch betrachtet die Konstruktion einer moralischen Gegenmacht zur Moderne. Mit Unverständnis reagiert dieses neue Wissen vom Wesen der Frau auf den Vorwurf, damit würde lediglich das bürgerliche Geschlechter3 Abschlussbotschaft des Konzils an die Frauen, Feierlicher Abschluss des Konzils am 8. 12. 1965, in: Herder Korrespondenz 20 (1966), 45. verhältnis zementiert. Denn könnte man in höheren Tönen das Lob der Frauen anstimmen als dadurch, dass man ihre moralischen Kompetenzen derart ins Licht rückt? Männer (auch Frauen) meinen, die Frauen vor Angriffen auf ihr biologisch bestimmtes Frausein schützen zu müssen. Emanzipation leugne das Recht von Frauen, schlicht und einfach Frau sein zu dürfen. Die negative Moderne wird also im Mann verkörpert. Und was ändert sich, wenn Männer sich ändern? Die provokative und sicher einseitig zugespitzte Pointe Kucklicks ist unschwer zu erraten: Es ändert sich nichts. Denn Männlichkeit repräsentiert gesellschaftliche Strukturaspekte. „An Männern lässt sich nicht korrigieren, was der modernen Gesellschaft eingeschrieben ist; an Frauen ebenso wenig. (…) Weiblichkeit rettet nicht. Was bedeutet: Männlichkeit zerstört nicht“ (Kucklick, 2008, 335). Die Frau als Retterin des Friedens und des Lebens ist eine Konstruktion von Wirklichkeit, die auf soziale Strukturfragen mit einem Tugendschema reagiert. 6. Als Moment modernen Kontingenzbewusstseins bedeutet die Unterscheidung zwischen Sex, Gender und sexuellem Begehren nicht nur einen analytischen Fortschritt, sondern erweist sich als sittlich fruchtbar. Das Leben unter den Bedingungen der Reflexivität kann unterschiedliche Pfade einschlagen. Eine der Strategie der Naturalisierung gegenläufige Bewegung setzt verständlicherweise auf Entnaturalisierung. Während Naturalisierung, so hat sich historisch gezeigt, oft die Beschneidung von Handlungsmöglichkeiten zur Folge hat, steht Entnaturalisierung für deren Eröffnung ein. Zur Versicherung: Entnaturalisierung meint nicht, natürliche Dinge in Luft aufzulösen. Die Auflösung normativer Beschränkungen meint keineswegs, „dass ich die Welt noch einmal neu erschaffen kann, so dass ich ihr Schöpfer werde“ (Butler, 2009, 12). Aber wo der Rekurs auf natural Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 48 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz bestimmte Weiblichkeit und Männlichkeit ein bestimmtes Körper-Sein in moralischer Absicht fixiert, sind Analysen der Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit an der Vervielfältigung von weiblichen und männlichen Identitäten und Lebensweisen interessiert. Judith Butler ist die Kronzeugin für dieses Ineinander von Analyse und Normativität. Die Infragestellung eines naturalen Zwangs für die Praxis von Frauen und Männern, so schreibt sie, kann „durchaus ein Weg zu einer Rückkehr zum Körper sein …, dem Körper als einem gelebten Ort der Möglichkeit, dem Körper als einem Ort für eine Reihe von sich kulturell erweitender Möglichkeiten“ (Butler, 1997, 10f.). Die Reflexion entdeckt Spielräume, die als Handlungsspielräume genutzt werden sollen. Die analytische Unterscheidung zwischen Sex und Gender, die in den 1960er Jahren ihren Ausgang nahm bei der reflektierten Erfahrung von Transsexualität, dass die Geschlechtsidentität (Gender) nicht durch das anatomische Geburtsgeschlecht (Sex) determiniert sein muss, unterfüttert das normative Anliegen der Anerkennung vielfältiger Formen einer menschlichen Lebensführung von Männern und Frauen. Die Kritik an allen Versuchen, die Männer oder Frauen auf eine bestimmte naturale oder historische Identität festlegen wollen, also etwa darauf, wie ihr sexuelles Begehren auszusehen habe, wie eine richtige Frau oder ein richtiger Mann zu leben habe, dient der Freiheit und will nicht Beliebigkeit feiern. Butler geht es ausdrücklich nicht darum, „alle und jede neue Möglichkeit qua Möglichkeit zu feiern“ (Butler, 1991, 218). Aus ethischer Perspektive kann es immer nur darum gehen, das Leben von Individuen menschlicher zu gestalten. Und dazu gehört, ihnen Anerkennung zu schenken für die je eigene Gestalt ihres Lebens, das sich realisiert in Personalität und Solidarität. Das eigene Leben ist zu führen im vollen Bewusstsein der Abhängigkeiten von den „Bedingungen meines Zustandekommens“, nicht aber ohne das Bemühen, dass man ein „kritisches und veränderndes Verhältnis zu ihnen unterhalten kann“ (Butler, 2009, 12). Die Möglichkeiten weiblicher oder männlicher Existenz sollen nicht als ausgeschöpft betrachtet werden. Das Menschliche hat noch immer Möglichkeiten vor sich. Fehlende gesellschaftliche, rechtliche oder moralische Anerkennung für Menschen, die durch ihr Dasein und ihre Lebensweise die vermeintlich natürlichnormative Komplementarität der Geschlechterordnung in Frage stellen, wäre dann eine zu kritisierende Beschränkung von Selbstbestimmung. Die Naturalisierung des Geschlechterverhältnisses ist in der reflexiven Moderne als Verdinglichung erkennbar, sie führt zu einer Versteifung subjektiver Handlungsmöglichkeiten. Dass ist der sittliche Ernst, der hinter einem historisch-performativen Genderbegriff steht, der die kulturellen Konfigurationen der Körper ernst nimmt. Die religiöse oder außerreligiöse Suche nach einer authentischen, nach einer originalen Geschlechtsidentität wird weder Frauen noch Männern gerecht. Sie hält schon dem historischen oder kulturvergleichenden Blick nicht Stand (vgl. Schröter, 2002). Eine Gender-Ethik leugnet weder den Körper, der ich bin und der sich gesellschaftliche Werte und Normen einverleibt hat, noch das Subjektsein, das sich in der Möglichkeit des Verhalten-Könnens, der Distanzierung und der Kritik ausdrückt. „Die Charakteristika meines Leibes bilden eine Vorgegebenheit, insofern ich sie nicht selbst gewählt habe, doch das bedeutet nichts anderes, als das sie ein Thema des Handelns darstellen, mit dem in ganz unterschiedlicher Weise umgegangen werden kann.“ (Nagl-Docekal, 2001, 34) Es geht um die Balance zwischen den beiden Aspekten des Körper-Seins und des Körper-Habens. Die Ordnung des Geschlechterverhältnisses ist und bleibt eine „Aufgabe der Freiheit“ (ebd. 27). Weil uns die Unterscheidung zwischen Sex und Gender die Möglichkeit bietet, die zuweilen irritierende Kontingenz von Geschlechtsidentität zu denken, bedeutet sie einen Fortschritt im Bewusstsein von Freiheit. Die Fragen an Männer und Frauen werden dann andere. Nicht mehr die Suche nach ei- Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 49 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz nem authentischen Kern (Was sind Männer wirklich? Was sind Frauen wirklich?) ist dann ethisch von besonderem Interesse, sondern die Frage, wie Männer und Frauen in ihrer gleichen Würde als moralische Subjekte so leben können, dass sie sich selbst Zwecke setzen können, dass sie – und hier muss das Stichwort genügen – ein gutes Leben führen können. Die beiden Grundprinzipien einer Gender-Ethik sind damit Autonomie und Gerechtigkeit. Die Idee einer Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern (aber ebenso zwischen Männern und zwischen Frauen) zielt auf Veränderungen ab, die das Handeln beider Geschlechter umfassen und die die zahlreichen strukturellen Faktoren, die es mitbestimmen, nicht außer Acht lassen. Wer will, dass Männer und Frauen ein menschenwürdigeres und besseres Leben führen können, der wird am Ende politisch denken und handeln müssen. Eine Vorstellung von Männerpastoral, die diese Dimension sittlicher Verantwortung gänzlich außen vor lassen würde, könnte sich den Vorwurf einhandeln, sozial-strukturell erzeugte Probleme, die Männern wie Frauen das Leben schwer machen, zu individualisieren. Die Überlegungen von Kucklick wollen m.E. genau auf die Versuchung hinweisen, an Männlichkeiten (und nur an diesen) „heilen“ zu wollen, was doch systemische Ursachen hat. Auch hier geht es um eine Balance zwischen systemischen und individuellen Faktoren. Die Überlegungen zur prekären Identität in der Moderne helfen uns, die verbreitete Sehnsucht nach Anerkennung verstehen zu können. „Jeder heischt nach Zustimmung, Bewunderung, Liebe im Blick des anderen. Im Blick jedes anderen, wie unbekannt und unbedeutend er sein mag“ (Kaufmann, 2005, 196f.). Die verunsicherten Individuen reagieren jedoch ganz unterschiedlich auf das, was ihnen die moderne Gesellschaft zumutet. Bei manchen, so die Analyse von Jean-Claude Kaufmann, entlädt sich die ihnen entgegenschlagende Verachtung in Wut oder Gewalt (Explosion der Identität), andere wenden die Missachtung oder Intoleranz der anderen gegen sich selbst und werden daran krank (Implosion der Identität). Wieder andere erhoffen sich Stabilität für ihr verunsichertes Ich durch einen Rückzug in vertraute, übersichtliche Welten oder durch loyales, beruhigendes Engagement in Institutionen, manche durch die gesellschaftliche Währung der Anerkennung: Karriere, Geld. Aus ethischer Sicht wird man freilich die Ambivalenzen und Risiken der verschiedenen Formen der Identität im Auge behalten wollen. Das bessere Verstehen sollte dabei dem vorschnellen und darum ungnädigen moralischen Urteil Einhalt gebieten. Das Individuum ist oft weniger frei, als es meint und die im Laufe der Geschichte wachsende Reflexivität lehnt sich weiterhin an Inhalte und Personen an, die ihr in der sozialen Welt als bedeutsam begegnen. (Kaufmann, 2005, spricht von „Identitätsherden“.) Ein Kriterium für unser Urteil könnte die Frage sein, inwieweit sich die verschiedenen Männlichkeiten selbst dem Phänomen der Reflexivität stellen, ob diese zugelassen wird oder nicht – und vor allem, wie der Blick auf die anderen aussieht. Bei all dem geht es um ein Wachhalten des Bewusstseins, dass auch die Geschlechtsidentität sich dem obersten ethischen Kriterium der möglichen solidarischen Freiheit verpflichtet weiß. 7. Aus theologischer Perspektive fädelt sich die legitime Vielfalt von Männlichkeiten und Weiblichkeiten in die gottgewollte Freiheitsgeschichte des Menschen ein. Das mit den Stichworten der Kontingenz und Konstruktion verbundene Denken dient nicht der menschlichen Hybris, sondern ist Ausdruck der im Zeichen von Freiheit sich vollziehenden Aufmerksamkeit des Menschen auf sich selbst in seiner Endlichkeit. Theologische Ethik will pastorale Praxis nicht bevormunden und kann sie nicht selbst hervorbringen. Das menschliche Vermögen, dem eigenen Leben unter je konkreten Bedingungen eine Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 50 Männer in der reflexiven Moderne Prof. Dr. Stephan Goertz individuelle Gestalt zu geben, ist Ausdruck der von Gott gewollten Freiheit des Menschen und steht unter dem Maßstab eines menschenwürdigen Daseins. Darum ist das moderne Projekt personaler Selbstbestimmung von Frauen und Männern, auf dem die Idee von Menschenwürde ruht, christlich rezipierbar, es entspricht der Tradition der Gottebenbildlichkeit (vgl. Schmidinger, 2010). Gott will in seinem Gottsein vom Menschen in Freiheit (an)erkannt werden. Etwas aus sich machen zu können galt der christlichen Theologie schon in der Antike als Ausdruck der Gottebenbildlichkeit (vgl. Kobusch, 1985). Gott hat die Menschen nicht auf eine Lebensweise hin geschaffen, in der schicksalhaft ein naturales oder soziales Programm abzuspulen ist. Wer „nur das Wiederkehrende, das Immergleiche, das Zugrundeliegende an Menschen und am Menschen zum Gegenstand“ (Habermas, 1958, 32) machen würde, der verlöre das Interesse und die Freude an den aus endlicher Freiheit resultierenden individuellen Lebensentwürfen und könnte die Gewissensfreiheit kaum noch zur Geltung bringen. Die christliche Botschaft gilt allen Menschen, denn der Heilswille Gottes ist universal, aber sie gilt den Menschen in ihrem konkreten Dasein. Das biblische Zeugnis der konkreten Nächstenliebe Jesu (vgl. Benedikt XVI., Deus caritas est 15) hat zur hermeneutischen Konsequenz, dass nicht ein für allemal entschieden ist, auf welche Weise die Botschaft zur erlösenden Botschaft wird. Als endgültig gilt uns im Glauben die Offenbarung der unbedingten Menschenliebe Gottes. Wie sich dies aber in Geschichte und Gesellschaft, für Männer und Frauen, jeweils glaubwürdig bewahrheitet, das ist nicht einfach aus Schrift und/oder Tradition deduzierbar. Hier bedarf es immer auch der zeitdiagnostischen und ethischen Vermittlung. Universalität bedeutet zudem, dass sich die kirchliche Verkündigung und Praxis nicht exklusiv auf die Bedürfnisse bestimmter Milieus und der darin plausiblen weiblichen oder männlichen Normalbiographien verengen darf. Eine in diesem Sinne christliche Leitidentität des Männlichen oder Weiblichen geriete in die Gefahr, zahlreiche Lebensweisen zu exkludieren und dadurch unchristlich zu werden. Eine selektive Konzentration auf bestimmte Lebensformen von Männern und Frauen kann im Interesse institutioneller Unterscheidbarkeit verlockend sein, sie sollte sich aber klar darüber sein, dass der Preis eine Verdunkelung der eigenen universellen Botschaft der allen Menschen zugesagten göttlichen Nähe wäre. Literatur: Alder, D. 1992: Die Wurzeln der Polaritäten. Geschlechtertheorie zwischen Naturrecht und Natur der Frau, Frankfurt a.M. Alkemeyer, Th. 2007: Aufrecht und biegsam. Eine politische Geschichte des Körperkults, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 18/2007, 6-18. Berger, P. L./Luckmann, Th. 1980: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie (The Social Construction of Reality, 1966), Frankfurt a.M. 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Goertz, S. 2008b: Aufgaben der Freiheit – Thesen zum Ende gesicherter Geschlechtsidentitäten, in: Th. Hoppe (Hg.), Körperlichkeit – Identität. Begegnung in Leiblichkeit (Studien zur theologischen Ethik 121), Freiburg/Schweiz, Freiburg-Wien 2008, 175-186. Gumbrecht, H. U. 2004: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, Frankfurt a.M. Gumbrecht, H. U. 2005: Diesseits des Sinns. Über eine neue Sehnsucht nach Substantialität, in: Merkur 9/10, 751-761. Habermas, J. 1958: Anthropologie. In: A. Diemer/I. Frenzel (Hg.), Fischer-Lexikon Philosophie, Frankfurt a.M., 18-35. Hollstein, W. 2010: Der entwertete Mann, in: Merkur 64, 582-592. Kaufmann, J.-C. 2005: Die Erfindung des Ich. Eine Theorie der Identität, Konstanz. Kneer, G./Nollmann, G. 1997: Funktional differenzierte Gesellschaft, in: G. Kneer et al. (Hg.), Soziologische Gesellschaftsbegriffe, München, 76-100. Kobusch, Th. 1985: Die philosophische Bedeutung des Kirchenvaters Origines. 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Sie hat viel mit emotionalem und sozialem Lernen, mit religiöser und spiritueller Entwicklung im Lebenslauf, mit der Aneignung des eigenen Lebens entsprechend dem Bild zu tun, das Gott für mich immer schon bereit hält. Ich könnte auch sagen: Männer entfalten sich und ihr Leben als Söhne Gottes entsprechend einem biblisch fundierten Bild erfüllten Lebens in Fülle, welches als heilendes Geschehen und Anbrechen des Gottesreiches ihre durch Erziehung/Sozialisation, durch gesellschaftlichen Normierungen insbesondere in der Arbeitswelt vorherrschenden, meist einschränkende Bilder einer „richtigen“ Männlichkeit aufbricht in Richtung einer größeren Selbstverfügung und Vertiefung ihres Lebens. Bildung im Erwachsenenalter verstehe ich als „e-ducatio“, meint „Heraus-führung“1 aus der Enge des Vorgegebenen in Richtung der Freiheit der Gotteskindschaft. Eine solche Bildung ist Selbstbildung, auch Selbstvollzug, sofern die Männer sich bilden. Eine darauf bezogene Pastoral ist immer wieder herausgefordert, verschiedene Männer entsprechend ihrer unterschiedlichen Milieus, Lebenslagen, Lebensalter und Orientierungen unterschiedlich anzusprechen. Optimal wäre eine Pastoral „aus allen Rohren“, aber entsprechend der Begrenztheit unserer Ressourcen können wir immer nur bestimmte Angebote machen, welche an spezifischen Offenheiten und Situationen ansetzen. Welche sind dies? Und was dabei rechtfertigt das 1 Vgl. Heydorn 1972, S. 120. Attribut „integrierend“ bzw. „integral“? Ich formuliere meine Beispiele und Vorschläge auf dem Hintergrund meiner Erfahrungen als Leiter eines großstädtischen katholischen Bildungswerks: Als Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung – Bildungswerk Frankfurt, mit Sitz im Haus am Dom, verbinde und verknüpfe ich: • eigene biographische Erfahrungen als Mann mit professionellem Handeln als Pädagoge und Theologe, • die Handlungsfelder gemeindliche und gemeindenahe Pastoral mit den Chancen und Möglichkeiten übergemeindlicher, ja auch überregionaler kirchlicher Bildungspraxis, • Angebote zu personbezogenem, signifikantem Lernen mit theoretischer, wissenschaftlicher Reflexion. Sie werden diesen integralen Ansatz leicht am Gesamtbild der vorgestellten Beispiele feststellen und verifizieren können. Konzeptionell vorausgesetzt ist dabei die bewusste Entscheidung, immer wieder - das meint aus meiner Rolle als Bildungswerksleiter heraus: nicht immer und nicht dauernd! – Männer und ihr Leben bewusst anzusprechen und dieses Leben zum „Thema“ von Bildung zu machen. Pädagogisch genauer formuliert: Männern Angebote zu machen, sich und ihr Leben anzuschauen, zum Gegenstand von Lernen und Selbstbildung zu machen und darin zur bewussten und - optimal - christlichen Lebensgestaltung beizutragen. Bildung ist ein Angebot, das angenommen werden und wirken kann; es ist kein Selbstläufer, schon gar kein Automatismus. Dabei muss das Angebot Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 54 Männerbildung als integraler Bestandteil der Pastoral Dr. Hans Prömper jeweils „passen“: es muss zu den bisherigen Erfahrungen, Ausdrucksweisen, Lebenswünschen und biographischen Bedürfnissen passen. Was ich berichten kann, sind Erfahrungen mit Angeboten, die ich für bestimmte Männer als „passend“ erlebt habe. Sie sind also erprobt. Sie sind aber sicherlich nur ein Ausschnitt des Möglichen. Dabei differenziere ich nach pastoralen Ebenen/Lernräumen und nach unterschiedlichen Lernumgebungen.2 2. Die Adressaten und ihre Räume (Überblick) Männer haben sich in den letzten Jahren in der Kirche eigene neue Räume erschlossen bzw. sind dabei, sie wiederzuentdecken. Die Veränderungen vollziehen sich an neuen Orten, aber auch bei klassischen Gelegenheiten. Wir finden die Kommuniongruppe mit Vätern, als gemischte Gruppe mit Mädchen und Jungen, teilweise aber auch bewusst als reine Jungen-Gruppen. Fast schon „Standard“, auf jeden Fall gut verbreitet sind Väter-KinderWochenenden, sei es mit pädagogischer Betreuung oder von Vätern selbstorganisiert. Es gibt den (oft samstäglichen) Vätertreff im Kindergarten, die Geburtsvorbereitungskurse mit 2 Lernumgebungen meint pädagogisch die grundsätzliche, idealtypische Unterscheidung von Lerngegenständen, Lernarrangements, Lernzielen oder Praxisbezügen entsprechend dem vorherrschenden Muster des Lerngeschehens, welches jeweils auch dem „Lehren“ unterschiedliche Rollen zuweist: 1. Aneignung und Reflexion von Wissen, 2. Reflexion und Verarbeitung von (oft biografischen) Erfahrungen, 3. Reflexion und Erweiterung von Handlungsweisen/Praxis, 4. Einüben und Trainieren von praktischem Können. Vgl. Hof 2007. In meiner Systematisierung von Männerbildung hatte ich sieben Konnotationen unterschieden: geschlechtshomogen, Männerleben thematisierend, männerspezifischer Kompetenzerwerb, männlichkeitskritisch, männlichkeitssuchend, Gender-sensibilisierend, männeraktivierend: Prömper 2003, S. 286-311. speziellen Themen und geschlechtshomogenen Arbeitseinheiten für Väter, die Familienwochenenden mit geschlechtshomogenen Arbeitseinheiten für Mütter und Väter und der Gelegenheit zur gemeinsamen Reflexion von Familienstrukturen und Alltag. Männer fahren zusammen ins Kloster zu Besinnungstagen und spirituellen Auszeiten, sie treffen sich zum Männerfrühstück, zum „Feierabend“ oder zur Männergruppe. Männerwallfahrten und Männergottesdienste haben wieder stärker Zulauf. Dies geschieht auf Ebene der Pfarrgemeinde, im Kindergarten, im Dekanat. Manche Angebote benötigen aber auch ein Stück Distanz zur Alltagsumgebung und finden statt auf der Ebene des Bistums oder der Großstadt. Ich berichte aus der Perspektive des Bildungswerks in der Großstadt: Katholische Erwachsenenbildung Frankfurt. Wir erreichen sehr viele Menschen jenseits/neben der gewachsenen Gemeindestruktur. Viele kommen dabei mit Kirche überhaupt wieder in Kontakt, dies ist übrigens häufig auch ein biographisches Phänomen des Lebenslaufs. Unsere Angebote ermöglichen vielfach explizit wie implizit, über den eigenen Glauben und dessen Lebensdienlichkeit (praktische Lebensbewährung) ins Gespräch zu kommen; gerade dort, wo wir sprachlich eingespurte Pfade verlassen. Es gibt optimal einen Weg vom Einstieg über ein weiteres Experimentieren bis hin zum Bleiben. Das meint als Beispiel: jemand steigt z.B. bei Ehrenamtsqualifizierung (Lernen für Andere) ein und geht irgendwann über zu einem Kurs, welcher der eigenen Lebensreflexion dient (Lernen für mich). Die Fülle der Formate ermöglicht differenzierte Zugänge mit gestufter Nähe (Pastoral der Breite) und der Möglichkeit zum individuellen Tiefgang (Pastoral der Dichte). Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 55 Männerbildung als integraler Bestandteil der Pastoral Dr. Hans Prömper 3. Formate und Ebenen der Männerbildung (Beispiele) 3.2 Beispiel Männerbildung – Ebene Katholische Erwachsenenbildung / Haus am Dom 3.1 Beispiel Väterbildung und mehr – Ebene Pfarrei/Pastoraler Raum/Seelsorgeeinheit 3.2.1 Format 1: „Männergruppe“ Es handelt sich um eine selbsterfahrungsorientierte, geschlossene Gruppe mit der Möglichkeit einer längerfristigen Entwicklungsbegleitung, die Treffen sind monatlich, mit einem Wochenendseminar pro Jahr. Die Gruppentreffen charakterisiert: Schweigephase zu Beginn, Befindlichkeitsrunde zu Beginn und Ende, Arbeit an den aktuellen Themen von einem bis drei Männern pro Abend. Die Wochenenden sind stärker thematisch orientiert, hier kommt auch ein größeres Spektrum methodischer Arrangements zum Einsatz. Dieser längerfristige Zusammenhang persönlicher Entwicklung führt dazu, dass im Grunde alle Themen männlichen Lebens bzw. alle Erfahrungen von Männern irgendwann einmal dran kommen: Partnerschaft, Elternschaft, Vatersein, Kinderlosigkeit, Trennung, Abschied von den Kindern; älter werden, Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater, Krankheit, Tod und Trauer; Beruf und Familie, Lebensorientierungen jenseits des Berufs, Umgang mit Krisen und Scheitern, Arbeitslosigkeit; Erleben von und Umgang mit Gefühlen wie Liebe, Aggression, Wut, Ärger, Trauer, Sexualität/sexuelles Begehren, Treue/Untreue, Verzweiflung, Lebensunlust; Werte, religiöse und spirituelle Bedürfnisse und Ausdrucksformen, Umgang mit Endlichkeit, die eigene Glaubensgeschichte, Tragfähigkeit und Bewährung christlicher Lebensorientierung, ... Wichtig ist für die meisten, hier überhaupt einen Ort zu haben, an dem dies angesprochen werden kann. Denn diese Gespräche und Themen sind alles andere als „alltäglich“. Ein Pastoralreferent und ein – das ist ein Idealfall, aber real in Frankfurt so geschehen – männlicher Kindergartenleiter tun sich zusammen, um die Väter der Gemeinde in neuer Weise anzusprechen. Sie veranstalten zwei Vater-Kind-Wochenenden im Jahr, in deren Mittelpunkt die verbrachte Freizeit von Vätern mit ihren Kindern steht. Aus diesen Wochenenden entwickeln sich weitere Aktivitäten, die zwar nicht von allen Vätern genutzt werden, die aber für viele Väter eine Anschlussaktivität darstellen: Kochabende für Väter, thematische Abende für Väter, Vater-Kind-Fußball freitagnachmittags, Klosterwochenende für Väter; aus letzterem entwickelt das Angebot einer monatlichen Männervesper mit dem Beten von Psalmen. Von der Sozialstruktur der Gemeinde her sind viele Väter Banker, welche sich hier Räume für sich und ihre Kinder leisten. In den verschiedenen Veranstaltungsformaten kommen zur Sprache: Rolle als Vater, Ehe und Partnerschaft, Vereinbarkeit FamilieBeruf, ethische Fragen des Berufsalltags, religiöse Fragen (Glaubensweitergabe an Kinder, Feste, Aufbau der Messe, Leben als Mönch, eigene Glaubensgeschichte, ...), die Entwicklung einer eigenen Spiritualität als berufstätiger Mann und Vater. In einer anderen Gemeinde gibt es einen Kreis älterer Männer, welche sich einmal im Jahr für ein Klosterwochenende „nur für Männer“ verabreden. Die Themen variieren von Psalmen singen über Ordensspiritualität (die Gruppe fährt jedes Mal zu einem anderem Kloster/Orden) bis hin zu biblischen Männergestalten. Weitere Möglichkeiten sind: thematischer Bildungsabend im Kindergarten („Kinder brauchen Väter“), Vortragsabend in der Gemeinde, Männerfahrt der Gemeinde, ... Auffällig ist: Alle Männer haben einen christlichen Hintergrund, sie haben bewusst eine Männergruppe im Rahmen der KEB gewählt. Dies schält sich als Beweggrund oft aber erst nach einer längeren Vertrauensphase heraus. Die eigene Spiritualität scheint einem großen Tabu zu unterliegen, dieses Feld ist für viele höchst unsicher und sprachlich wenig elabo- Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 56 Männerbildung als integraler Bestandteil der Pastoral Dr. Hans Prömper riert. Nach meiner langjährigen Erfahrung möchte ich folgende Ebenen/Stufen des Tabuisierten unterscheiden, in denen sich zugleich eine gestufte Abfolge des offenen und persönlich signifikanten Redens und Einlassens zeigt: Ebene 1: (oft kritische) Lebensereignisse, zu denen ein Austausch gesucht wird – Vaterschaft, schwieriger Kontakt zu Kindern, Trennung, Partnerschaftskrisen, berufliche Unzufriedenheit, Burnout, fehlende Freundschaften, ... Ebene 2: Gefühle, die sich der Kontrolle entziehen bzw. deren Ausdruck mit Angst/Unsicherheit besetzt sind – Ängste, Aggressionen/Wut, Sexualität/eigenes sexuelles Erleben/Potenzprobleme, Versagen/Schwäche, Trauer, Hilflosigkeit (vor allem bei belastenden Situationen ohne sofortige, schnelle Lösungsmöglichkeiten), ... Ebene 3: religiöse Erfahrungen und eigene Glaubensüberzeugungen, für die es kein „sicheres Wissen“ gibt – Umgang mit der eigenen Endlichkeit, Beten, spirituelle Erfahrungen angesichts von Leid und Tod, Vorstellungen von Jenseits und Weiterleben nach dem Tod, Gottesbild, Gottglaube, Schuld und Sünde, ... Erst die Erfahrung von tiefem Vertrauen in der Kommunikation der Gruppe scheint die Türen zu den tieferen Ebenen bzw. weiteren Stufen zu öffnen. Dabei wirkt das erfahrene offene, nicht wertende Gespräch „unter Brüdern“ vielfach als Katalysator für eigenes Erleben und Sprechen. 3.2.2 Format 2: zeitlich befristete Workshops/Seminare/Wochenenden/Mehrtagesveranstaltungen (optimal mit Übernachtung) Diese Gruppenangebote „nur für Männer“ mit ihrer Distanz zum Alltag ermöglichen und erleichtern punktuell „tiefergehende“ Erfahrungen, welche oft als Unterbrechung und Neuausrichtung wahrgenommen werden. Dabei wecken unterschiedliche Angebotsformen und unterschiedliche thematische Ausschreibungen oft ähnliche Lebensfragen und Lebensbedürfnisse, sie setzen aber an unterschiedlichen Erlebensweisen und Modi der Selbstthematisierung an, oft auch abhängig von Alter, Lebenssituation, Milieu, persönlichen Vorerfahrungen. Ich nenne aus meiner Praxis der letzten Jahre: „Timeout statt Burnout, für Männer im Beruf“ – 3 Tage im Exerzitienhaus, mit einer Mischung aus Theorie und Selbsterfahrung zum Lebensinventar, persönlicher Visionsarbeit, Selbst- und Kräftemanagement, Schweigephasen und meditative Übungen, Körperübungen, Gehen im Labyrinth, Teilnahme an Stundengebet und Gottesdienst, ... Workshop-Reihe zum „Übergang Beruf – Ruhestand“ – 6-teilige Nachmittagsworkshops, oft ebenfalls im Kloster bzw. Exerzitienhaus, mit den Themen: Risiken und Chancen des Alterns als Mann, Abschied von Arbeit als Feld der Sinnstiftung, soziales Netz; Annahme des eigenen gelebten Lebens und der eigenen Endlichkeit; Umgang mit Krankheit, Sterben und Verlusten; spirituelle Fragen des „Abstiegs“ und der „Bewährung“, Suche nach Heil und Heiligkeit, … (Kurs wurde mehrfach erprobt an verschiedenen Orten in den Bistümern Mainz und Limburg) „Klosterwochenende für Männer“ – Freitag bis Sonntag; mit Teilnahme an Stundengebeten und Gottesdiensten; thematische Arbeitseinheiten zu „ora et labora“, Arbeit und Kontemplation, Herzensanliegen und Konflikte, Visionen und Fragen christlicher Lebensgestaltung, Gespräche mit Ordensleuten, ... „Männer auf der Pilgerroute“ – regionale Pilgerwege wie Bonifatiusroute Frankfurt – Fulda, Jakobsweg Fulda – Würzburg; aber auch Spanischer Jakobsweg; Stundengebete, Gottesdienst und Tagesthemen; spirituelle Impulse unterwegs, Schweigephasen, angeleitetes Einzelgehen und „Brudergespräche“ zu zweit/zu dritt; Gruppengespräche; Themen Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 57 Männerbildung als integraler Bestandteil der Pastoral Dr. Hans Prömper z.B. die historische Person Bonifatius, die 7 Gaben des Heiligen Geistes, Helden und Vorbilder im Glauben, ... Ähnliche Veranstaltungen: „Kolloquium männliches Altern“, „Kolloquium im Kloster für Männer“, „Männerreise“ (7 Wochenenden), „Segeltour für Männer“, ... Methoden und Themen dieser Veranstaltungsformate sind meistens sehr vielfältig. Sie verknüpfen Theorieimpulse mit Selbsterfahrung, mischen Gruppen- und Einzelarbeit, verbinden häufig die Gesprächsebene mit Liturgie, Ritual, Singen und gemeinsamem Erleben. Ein Alleinstellungsmerkmal katholischer Männerbildung ist für mich hier immer wieder die Möglichkeit spiritueller, „liturgischer“ Vertiefung: Klage, Dank, Bitte, Segen, Meditation, Symbole, Singen, Schweigen oder Labyrinth. Dabei sind die Orte dieser unterbrechenden Bildung – Exerzitienhaus, Kloster, Pilgerweg, Natur, Kapellen am Wegesrand, ... – selbst schon Attraktoren signifikanten Lernens. Nicht alles muss verbalisiert werden. Der andere Rhythmus des Ora et Labora setzt bei Männern Energien und Aufmerksamkeiten frei, um sich den eigenen tragenden Lebensthemen zuzuwenden. Das muss nicht vorgemacht werden, dafür muss nur Raum und Zeit geschaffen werden. Ein Teilnehmer eines Timeout-Workshops äußerte als Feedback, hier habe er das erste Mal „Kirche“ erlebt: er bezog sich dabei weniger auf die Themen als vielmehr auf die Art des Umgangs untereinander und des authentischen Redens miteinander, auch seitens der Leitung. 3.2.3 Format 3: öffentliche Diskurse über „Männer“ – Vorträge, Podien, Fachtage, Symposien, ... Es sind sowohl Fachtage oder Symposien für Fachkräfte, für Experten und Expertinnen als auch Vorträge für Einzelne, für Eltern, welche hier nun öffentlich, jedermann/jederfrau zugänglich Themen und Fragestellungen kommunizieren, welche mit dem Leben von Männern zusammenhängen. Dabei erweist sich das Frankfurter Haus am Dom als hervorra- gender Diskursort, welcher in der öffentlichen Wahrnehmung gut angenommen wird und weit über den unmittelbaren kirchlichen Horizont hinausstrahlt. Die Vorträge, Podien, Fachtagungen oder Symposien erreichen immer wieder über 150 Teilnehmende, wobei die Zusammensetzung je nach Thema und Format unterschiedlich streut, von getrennt lebenden Vätern und Müttern, die sich um ihre Kinder sorgen bis hin zu Fachkräften aus Unternehmen oder sozialen Einrichtungen, welche Veränderungen bei Männern verstehen wollen. Herausragende Veranstaltungen der letzten Jahre waren Vorträge über den Rollenkonflikte der Väter heute, über Väter und ihre Bindung an Kinder, über Jungenerziehung heute, aber auch Podien über „Jungen als die neuen Verlierer?“ oder zur „Krise der FinanzMänner“ (über den Zusammenhang von Finanzkrise, Organisationen und Männlichkeitsmustern). Fachtage zu den Themen „Was macht Migration mit Männlichkeit?“ (2008), „Migration, Männlichkeit und Gewalt“ (2009) oder „Männer unter Druck“ (2010) greifen aktuelle gesellschaftliche Konfliktlagen, aber auch Veränderungen in der Organisation von Arbeit auf – und fragen nach den geschlechtsspezifischen Umgangsformen mit sozialen Veränderungen, im Kontext von Globalisierung und Rollenwandel. Dabei sorgt ein breites Netzwerk vielfältiger Kooperationen mit Unternehmen (Commerzbank, IHK, Fraport, Lufthansa), Medien (Hessischer Rundfunk, Stadtbücherei...), Stiftungen, Gewerkschaften, Interessensverbänden und Initiativen, kommunalen Einrichtungen (Schulamt, Kinderbüro, Frauenreferat) oder auch überregionalen Akteuren (Landeszentrale für politische Bildung, Hessenstiftung Familie) etc. für eine breite Akzeptanz und Vielfalt, welche das „Männerthema“ längst aus der Ecke der „sektiererischen“ Modernisierungsverlierer herausgeholt hat. Dazu trägt übrigens auch ein theoretischer intersektioneller Ansatz bei, welcher Männlichkeit und Männerrolle nicht als alleinige Ursache nimmt, sondern in Verbindung bringt mit sozi- Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 58 Männerbildung als integraler Bestandteil der Pastoral Dr. Hans Prömper aler Schicht, Milieu, Generation oder Migration. Es werden je nach Thema und Kooperation durchaus unterschiedliche Milieus erreicht, vom Prekariat bis zu Bankern in Nadelstreifen, von feministisch motivierten Gleichstellungsbeauftragten bis hin zu besorgten Eltern, von Fachkräften der Beratung und sozialen Arbeit bis hin zu Polizei und Justiz. Männer werden Themen kommunaler „Familienkongresse“ oder regionaler „Impulstagungen“. Kampagnen wie „Papa liest vor“ bringen hier kirchliche Einrichtungen zusammen mit Medien und Unternehmen. Geplante Themen für Anfang 2011 sind Burnout sowie Jungen und Religiosität. Zu diesen öffentlichen Diskursen zählen weiter eine lockere Abfolge von Gesprächsabenden über Männerthemen in Zusammenarbeit mit den katholischen Familienbildungsstätten, in denen „Betroffene“ über ihre Erfahrungen ins Gespräch kommen, die sich aber an Frauen wie Männer richten. Dabei werden häufig interkulturelle und intergenerationelle Aspekte aufgegriffen: die Rolle der Väter in verschiedenen Kulturen, Väter gestern und Großväter heute, Wertewandel zwischen den Generationen, was Väter anders machen als Mütter, ... In diesem öffentlichen Reden über privates Erleben entsteht eine spezifische Form der Kommunikation, die manchmal auch irritierende, neue Erfahrungen bewirkt, deutlich z.B. im Erstaunen von Frauen über die – in Tränen bzw. mit brechender Stimme – öffentlich gezeigte Emotionalität von Männern „mit Krawatte“ (!) im Sprechen über ihren eigenen Vater und die von ihm vermisste Anerkennung. Interessant ist hier – so meine thesenartiges Fazit -, dass eine Wechselwirkung stattfindet zwischen theoretisch-wissenschaftlichen Diskursen, öffentlicher Meinungsbildung und praktischer personbezogener Bildungsarbeit. Diese wechselseitige Bereicherung zeigt sich häufig auch in der „Transmission“ der teil- nehmenden Personen, welche hier oft zwischen den Formaten wechseln und nach einem ersten Einstieg für eine längerfristige bzw. wiederholte Teilnahme gewonnen werden. Männerbildung wird dadurch viel breiter aufgestellt als dies z.B. allein über VäterKinder-Wochenenden oder eine Männergruppe möglich wäre. 3.2.4 Format 4: Internet/E-Mail Nun ins fünfte Jahr gehen die „Fastenimpulse für Männer per E-Mail“, welche die KEB Frankfurt in Kooperation mit der Kirchlichen Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen ausrichtet. Von Aschermittwoch bis Ostermontag erhalten die Abonnenten an den Sonn- und Hochtagen einen spirituellen Impuls per E-Mail, welcher unter einem Oberthema die Texte der Tageslesungen aufgreift, diese auf männliche Lebenserfahrungen bezieht und optimal mit einem den Alltag unterbrechenden Handlungsimpuls verbindet. Die Autoren wechseln, sie kommen aus der Männerpastoral, aber auch aus dem Bereich der Medien oder Kultur. Oberthemen waren 2007 „Gönn dich dir selbst“, 2008 „spirit4men“, 2009 „Halt an, wo läufst du hin?“ (Angelus Silesius), 2010 „Höre auf dein Herz, Bruder“ und 2011 (geplant) „Schmecke dein Leben, Mann“. Mit bescheidenen Mitteln konnte vor allem über Netzwerke der (sehr stabile) Abonnentenkreis von 50 auf über 1.200 gesteigert werden; die technische Realisierung läuft über den Mailserver des Bistums Limburg, 2008 und 2009 noch in Kooperation mit der kgi. Die Impulse per E-Mail ergänzt das Angebot eines Wochenendes im Kloster, welches teilweise auch bundesweit angenommen wird. 3.2.5 Format 5: Öffentlichkeitsarbeit und Networking Es sind weiter bundesweite Zeitschriften- und Buchbeiträge, Podien und Veranstaltungen auf Katholiken und Kirchentagen, Expertisen oder die Komposition und Uraufführung einer „Männer-Messe“ auf dem Katholikentag in Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 59 Männerbildung als integraler Bestandteil der Pastoral Dr. Hans Prömper Osnabrück, welche diese einzelnen wiederkehrenden Veranstaltungsformate ergänzen und komplettieren. Networking bezieht sich auf die Mitwirkung in breiteren Diskussionsund Handlungszusammenhängen auf kommunaler (z.B. Aktionsforum Männer und Leben, Frankfurter Familienkongress) wie überregionaler (z.B. auch bistumsübergreifender Zusammenarbeit zwischen Mainz und Limburg) Ebene, in welche sehr unterschiedliche Kulturen und Akteure eingebunden werden. (s.o., unter Format 3) Dies führt dazu, dass Kirche im Feld der Männerbildung von außen als Kompetenzzentrum wahrgenommen und auch eingeladen wird, gerade auch weil wir im Feld der nichtberuflichen, allgemeinen, am Lebenslauf orientierten Bildung mit unserer Offenheit für spirituelle, „letzte“ Fragen im Grunde ein absolutes Alleinstellungsmerkmal haben, das von Volkshochschulen oder freien Männergruppen, Männerbüros etc. nicht erreicht werden kann. Interessant ist auch, dass z.B. die Nachfrage nach meiner Expertise immer wieder aus einem nichtkirchlichen Umfeld kommt: Onkologen, Ernährungsberater, Pharmaberater, VHS, Rundfunk, Medien, ... terschiedliche Milieus erreicht, häufig auch nichtkirchliche. Wünschenswert wäre allerdings eine stärkere Aufmerksamkeit, Kooperation und Verzahnung zwischen diesen Bereichen, welche bislang durch die begrenzten personellen Ressourcen kaum weiter zu steigern sind. Denn, ich möchte dies noch einmal sehr deutlich machen, diese Formate und Veranstaltungen leiste ich aus meiner Rolle als Leiter eines großstädtischen Bildungswerks heraus, welcher sich dieser Zielgruppe als inhaltlichem Schwerpunkt seiner Arbeit angenommen hat. 4. Abschließend einige allgemeine Charakterisierungen und Thesen 4.1 Erfolgsmuster Neben der Situation der Väter sind es oft Lebensübergänge und Krisen wie Trennung und Scheidung, die Sinnfrage in der Lebensmitte, der Übergang in den Ruhestand, Krankheit und Trauer, fehlende Freunde und Gesprächspartner in Folge eines zu ausschließlichen Lebens „für die Arbeit“, welche für Männern zu Motoren werden. 3.3 Vorläufiges Fazit So entstand mit den Jahren ein vielfältiger Verweisungszusammenhang, in welchem Männerbildung zum Fokus und integrierenden Moment einer missionarischer Pastoral werden konnte. Gerade durch die Breite und Vielfalt der Veranstaltungsformen, der thematischen Bezüge, der Kooperationspartner und Orte entstand ein Netzwerk, welches Männern (und oftmals auch Frauen) unterschiedliche und für sie passende Zugänge eröffnet, welche prinzipiell die Möglichkeit einer vertiefenden Persönlichkeits- und Glaubensbildung eröffnen. Dabei erweisen sich die unterschiedlichen Handlungsebenen zwischen Pfarrei/Seelsorgeeinheit, Bildungswerk/Kommune/Region, aber auch Internet und Medien als Räume einer gestuften Pastoral, welche un- Dabei zeigen sich spezifische Erfolgsmuster bzw. Erfolgsfaktoren, die immer wieder berichtet werden. Männer mögen es „brüderlich“. „Seite an Seite“; der gemeinsamen Blick auf die Aufgabe ist ihnen näher als die sog. „Nabelschau“, wie viele es abschätzig nennen. Sie mögen es „draußen“ in der Natur, in der Begegnung mit der Schöpfung. Es muss nicht die Abenteuertour in die absolute „Wildnis“ am Rand der Welt sein, wichtig ist die Möglichkeit des Rückzugs aus dem Lärm und der Geschäftigkeit in einen Raum, der erkennbar weniger von Technik und Architektur geprägt ist. Verbunden mit körperlicher Aktivität (zu Fuß, mit dem Fahrrad, als Pilgern) wird die Natur zu einem Raum, in dem Männer gerne an ihre Grenzen gehen bzw. sich in diesen körperlichen Grenzen spüren. Viele Männer Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 60 Männerbildung als integraler Bestandteil der Pastoral Dr. Hans Prömper lieben dabei die „Stille. Im Schweigen, in der alleinigen Begegnung mit dem Geheimnis, im gemeinsamen Vollzug von Ritualen finden sie eher zu sich als in vielen beredten Worten. Sie werden wach und erfahren sich und ihr Leben in Symbolen und Bildern. Wichtig ist natürlich die Lust an der Sache und am Mannsein. Es sollte „Spaß“ machen und Anerkennung vermitteln. Es muss deshalb nicht immer „lustig“ sein. Aber die Männer mögen Formen, die sie bestätigen, von denen sie gerne berichten, an die sie sich gerne zurück erinnern. „Spaß machen“ bedeutet für Männer durchaus die Konfrontation und Auseinandersetzung mit ernsten und schwierigen Themen, mit Leiden und Versagen, mit Kleinheit und Gewalterfahrungen. Eine „geschlechtergerechte“ Selbstqual ist nicht attraktiv. Das Kriterium ist die Authentizität. Solange und wenn Männer von sich reden, sich spüren, die anderen Männer sehen und erfahren, solange Männer untereinander zuhören und im geduldigen Hören Anerkennung und Solidarität erfahren, solange macht es ihnen „Spaß“, weil es von ihnen kommt. Überhaupt haben es Männer lieber, wenn sie als kompetent wahrgenommen und geschätzt werden. Wo sie inkompetent sind und noch „lernen“ müssen, sollte dies „auf Augenhöhe“ geschehen. Dazu gehört auch, dass Männer manchmal einfach gefragt werden bzw. eingeladen werden möchten. Als „Kavaliere“ haben sie gelernt, einer Bitte entgegen zu kommen. In der Liturgie mögen sie es - siehe oben das „Schweigen“ - entweder karg oder "grandios", wenn der „Schauer über den Rücken“ läuft und sie sich als Teil eines Größeren und Ganzen „einordnen“ können. Dabei finden sie Frauen- und Kinderliturgien für sich selber meistens nicht so attraktiv. In vielen Männern schlummert jedoch eine liturgische Sehnsucht nach dem Segen, und darin nach der Anerkennung durch den „Vater“. 4.2 Erfahrungsbezogene Spiritualität Mit dem weiteren Absinken des „religiösen Grundwasserspiegels“ (im Sinne einer klar gewussten christlichen Identität) steigt der Bedarf an erfahrungsbezogener Spiritualität. Mit der weiteren Beschleunigung der Moderne wächst zugleich die Sehnsucht nach Räumen und Stationen der Entschleunigung. Hier wird die KEB in Zusammenarbeit mit neu formierten Pastoralen Räumen und anderen Akteuren, aber auch eigenständig auch in Zukunft nach neuartigen Formaten und Zielgruppenansprachen für „Kirchenferne“ und „gemeindefern Suchende“ suchen müssen. Dabei bewerte ich die Bedeutung erfahrungsbezogen, emotionalen Lernens höher als die Wissensvermittlung. Ich glaube, dass ELearning oder Blended-Learning als stark wissensorientierte Lernumgebungen eher im Hintergrund bleiben werden. Wichtiger sind Lernfelder persönlicher Begegnung, leibhafter Anerkennung und biographischer Sinnstiftung. Meint: Kirchliche Erwachsenenbildung wird weniger als „Wissensvermittlerin“ denn als „Agentur personaler Sinnstiftung und Sinnerfahrung“ gefragt: Unsere Bildungsangebote müssen nicht nur die kognitiven Dissonanzen der Teilnehmenden z.B. zu ethischen Fragen ansprechen und aushalten, sondern sie müssen vor allem die Brüche, Begrenzungen und Einseitigkeiten im Leben der Einzelnen ansprechen und darauf bezogen heilende Erfahrungen ermöglichen. Unsere Bildungsangebote sollten durch die „Mühlen des Lebens gedreht“ werden können und darauf ansprechen. Katholische „Salutogenese“ meint dann: Kirche als Sakrament und Koinonia sollte im Vollzug der Bildung erfahren werden können! 4.3 Männerbildung: nicht nur homosozial Männerbildung muss auf mehr zielen als auf die homosoziale Gruppe von Männern. Da in Männergruppen und männerspezifischen Seminare sowohl Sehnsüchte nach Anerkennung durch den Vater bzw. den Bruder/die Brüder eingehen (auch im übertragenen, symbolischen Sinn) und zugleich die (oft unbewussten, lebensgeschichtlich tiefen) Verletzungen und Irritationen dieser Anerkennungswünsche aktiviert werden, ist hier mit Vorsicht zu operieren. Männer haben oft Angst vor „Männer- Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 61 Männerbildung als integraler Bestandteil der Pastoral Dr. Hans Prömper gruppen“, fürchten sie hier doch Nichtanerkennung durch die „bösen Brüder“ und „Väter“. Deshalb sollten die homosozialen Arrangements immer wieder ergänzt und gemischt werden durch Angebote für beide Geschlechter, welche aber in diesem Rahmen männliches Leben spezifisch thematisieren bzw. dessen Artikulation ermöglichen. Beispiele hierfür sind: geschlechtergetrennte Gruppen bei Familienwochenenden, Vorträge zu Erziehungsfragen und zur Rolle der Väter, Gesprächsgruppen zu Großvätern und Großmüttern, bewusste Ansprache von Vätern/Männern zur Mitwirkung in der Erstkommunion- und Firmkatechese. Literatur3: Heydorn, Heinz-Joachim: Zu einer Neufassung des Bildungsbegriffs. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1972. Hof, Christiane: Ein empirisch fundierter Vorschlag zur Typisierung von Lernumgebungen. In: Kaiser, Armin/Kaiser, Ruth, Hohmann, Reinhard (Hrsg.): Lernertypen – Lernumgebung – Lernerfolg. Erwachsenen im Lernfeld. Bielefeld (W. Bertelsmann Verlag) 2007, S. 35-59. Prömper, Hans: Emanzipatorische Männerbildung. Grundlagen und Orientierungen zu einem geschlechtsspezifischen Handlungsfeld der Kirche. Ostfildern 2003. Prömper, Hans: Vom vergessenen Geschlecht zur Männerbildung. Männer in der kirchlichen Erwachsenenbildung. In: Wacker, Marie-Theres/Rieger-Goertz, Stefanie (Hrsg.): Mannsbilder. Kritische Männerforschung und theologische Frauenforschung im Gespräch. Münster 2006 (Lit-Verlag), S. 247-268. Prömper, Hans: Religiös unmusikalisch? Oder ein anderer Geschmack? Empirische Befunde zum Thema Männer und Spiritualität. In: Kugler, Tilman/Hochholzer, 3 Benutzte und weiterführende Literatur (vor allem zu den beschriebenen Beispielen des Autors) Martin (Hg.): Werkbuch Männerspiritualität. Impulse, Bausteine, Gottesdienste im Kirchjahr, Freiburg Basel Wien (Herder Verlag) 2007, 22-32. Prömper, Hans: Spiritualität in meinem Leben. Ein Männerwochenende. In: Werkbuch Männerspiritualität 2007, S. 44-51, 5558. Prömper, Hans: Vater-Kind-Tag im Dom. Christi Himmelfahrt einmal anders. In: Werkbuch Männerspiritualität 2007, S. 238245. Prömper, Hans: Dankbar mich verneigen. Bergwandern als spirituelle Erfahrung. In: Werkbuch Männerspiritualität 2007, S. 262-270. Prömper, Hans: Das Leben neu (er)finden? Männer zwischen Beruf und Lebensabend. Ein Kursmodell zur spirituellen Gestaltung der neuen Lebenssituation. In: Infodienst Theologische Erwachsenenbildung 49/2009, S. 17-26. Prömper, Hans: Männer im Lernfeld. Bildungsanlässe und pädagogische Szenarien (Vermutungen, Forderungen, Konsequenzen). In: Volz, Rainer/Zulehner, Paul M.: Männer in Bewegung. Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland. (Hrsg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Forschungsreihe Bd. 6) Baden-Baden 2009 (Nomos Verlag), S. 378-389. Prömper, Hans: Inklusion durch Bildung? Konsequenzen, offene Fragen und pädagogische Impulse für die (Erwachsenen)Bildungsarbeit mit männlichen Migranten. In: Prömper, Hans/Jansen, Mechtild M./Ruffing, Andreas/Nagel, Helga (Hrsg.): Was macht Migration mit Männlichkeit? Kontexte und Erfahrungen zur Bildung und Sozialen Arbeit mit Migranten. Opladen u. Farmington Hills 2010 (Verlag Barbara Budrich), S. 185219. Prömper, Hans/Ruffing, Andreas: Männerbildung. Erkundungen zu einem offenen Lernfeld. In: Erwachsenenbildung 2/2010, S. 68-72. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 62 Männerbildung als integraler Bestandteil der Pastoral Dr. Hans Prömper Prömper, Hans/Frank, Hubert/Weil, Bernd/ Leonhardt, Peter: Das Leben neu (er)finden? Methoden der Erwachsenenbildung in der Praxis. In: Erwachsenenbildung 2/2010, S. 98-99. Walser, Christoph: Männer-Auszeit im Kloster. Besinnungstage gegen Burnout. In: Erwachsenenbildung 2/2010, S. 101-102. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 63 Männerseelsorge in Großstadt und Diaspora Alexander Obst Männerseelsorge in Großstadt und Diaspora. Situation und Perspektiven im Erzbistum Berlin 1. Situation Das Erzbistum Berlin gliedert sich pastoral in die Großstadt Berlin mit dem sogenannten Speckgürtel und das Land (Brandenburg, Vorpommern, Sachsen Anhalt) mit den größeren Städten Potsdam, Frankfurt (Oder) und Brandenburg. Von den knapp 400.000 Katholiken im Erzbistum leben 316.000 in der Großstadt Berlin und ein weiterer erheblicher Anteil im Speckgürtel rund um die Stadt. Nur noch knapp 30% der Berliner und Berlinerinnen gehören einer der beiden großen christlichen Kirchen an. Für die katholische Männerseelsorge bedeutet dies, dass sie ein Anbieter von Männerarbeit unter vielen ist. Eine hohe Fluktuation und beruflich bedingtes Pendeln gehören ebenfalls zu den Rahmenbedingungen der Männerseelsorge. Das Leben und seine Umstände verändern sich schnell. Angebote der Männerseelsorge müssen sich ständig neu anpassen, bieten Männern aber auch die Möglichkeit, wie andere kirchliche Angebote auch, in einer unübersichtlicher werdenden Welt feste Bezugsorte und Bezugspersonen zu finden. Durch den Sanierungsplan 2003 ist der kategoriale Stellenanteil für die Männerseelsorge im Erzbistum Berlin weggefallen. Seit 2007 besteht eine Zusatzbeauftragung eines Pastoralreferenten (PR) in einem Dekanat für die Männerseelsorge „unter Beibehaltung der bisherigen Aufgaben“. Bis zur Wiedervereinigung des Bistums 1990 gab es unterschiedliche Traditionen der Männerseelsorge im Ost- und im Westteil. Im Ostteil konzentrierte sich die Männerseelsorge auf zentrale, überpfarrliche Veranstaltungen des „Männerforums“. In Verbindung mit Männer-Gottesdiensten stand hier die Bildungsarbeit und die Vernetzung in einem antikirchlichen Umfeld im Vordergrund. Im Westteil war die Männerseelsorge neben zentralen Veranstaltungen (z.B. „Bußgang der Männer“) in die Arbeit von Verbänden integriert. Beide Traditionen wirkten nach der Wiedervereinigung nebeneinander fort. Der Wegfall des Stellenanteils für einen Referenten der Männerseelsorge machte eine Neustrukturierung notwendig. Das Seelsorgeamt wollte die Männerseelsorge für das Erzbistum unbedingt erhalten. Neben der Zusatzbeauftragung des PR sorgt ein Arbeitskreis mit ehrenamtlich tätigen Männern unter der Leitung des Beauftragten für die Planung und Durchführung von Veranstaltungen. Dabei sollen alte Traditionen mit Bildungscharakter, wie „Männerforum“ und „Ökumenische Männerrüste“ fortgeführt und neue, stärker selbsterfahrungsbezogene Angebote (thematische Männerwochenenden, spirituelle Angebote, etc.), entwickelt werden. Neben dem Wirken in diesem kategorialen Handlungsfeld, zu dem auch noch die ökumenische Männerarbeit, Einzelgesprächsseelsorge, die Kontaktpflege zu außerkirchlichen Trägern und die Mitarbeit in Initiativen der kirchlichen Männerarbeit auf Bundesebene (ÖKT 2010, Bundesforum Männer) gehören, liegt ein Schwerpunkt der Männerseelsorge im Aufbau und der Begleitung von Männergruppen in den Gemeinden. Außerdem gibt es zurzeit das Anliegen aus einem Dekanat, Männerseelsorge dort stärker zu verankern. Mit ihrer Werbung spricht die Männerseelsorge im Erzbistum Berlin vor allem mehr oder weniger stark kirchlich-gebundene Männer an. Immer wieder allerdings finden sich zu den Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 64 Männerseelsorge in Großstadt und Diaspora Alexander Obst Veranstaltungen und Gruppen auch Männer aus anderen Kirchen und religiös-suchende Männer ein. Der Paradigmenwechsel in der kirchlichen Männerarbeit ist in Berlin noch nicht in allen Feldern vollständig angekommen. Es gibt, vor allem generationsbedingt, ein Nebeneinander traditioneller und neuerer kirchlicher Männerarbeit. Inhaltlich bestimmen Themen, wie Beruf, Vatersein, Work-Life-Balance, Religion und Spiritualität, Sexualität, und gelingende und zerbrechende Beziehungen und Partnerschaften die Veranstaltungen. 2 Ansatz kirchlicher Männerarbeit Neben der Erwerbsarbeit, der Rolle als Familienoberhaupt und der Wahrnehmung politischer Verantwortung entdecken Männer zunehmend andere Aufgaben und Felder, die für sie im Hinblick auf ein erfülltes Leben wichtig sind, z.B. Persönlichkeitsentwicklung, Muße, Sport, kulturelle Bildung, Familie, Haushalt, Partnerschaft, Beziehungspflege. Männer fragen nach ihren Charismen, Kompetenzen und Talenten für diese Bereiche. Die Männerseelsorge ist diakonisch, ist Begleitung in diesem Prozess, zu dem auch die Frage nach den Besonderheiten männlicher Spiritualität und Gottesbeziehung gehört. Sie entwickelt sich hin zu einer biographisch- und geschlechtsbezogenen Seelsorge. Grundlage hierfür sind die „Richtlinien für die Männerseelsorge und kirchliche Männerarbeit“ der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2001. Die konkrete Aufgabe besteht darin, Männer über die Bildungsarbeit hinaus, miteinander ins Gespräch zu bringen und sie bei der Suche nach ihrer Identität und Spiritualität zu begleiten. In festen Gruppen (z.B. in Gemeinden) oder auf Wochenenden lernen Männer sich miteinander über ihr Mannsein auszutauschen, von sich zu erzählen und sich dabei selbst besser zu verstehen und kennenzulernen. Auf die unterschiedlichen Lebensphasen bezogen, werden „Männerthemen“ angesprochen und mit Glaubenserfahrung in Beziehung gesetzt. Dazu gehören auch schwierige Themen, wie Sexualität, Lebenskrisen (Arbeitslosigkeit, Trennungserfahrungen) und Partnerschaft. Vorbilder aus der Bibel oder aus dem Christentum können helfen, eine den Männern gemäße Spiritualität zu entdecken. 3 Perspektiven Die Diasporasituation erfordert eine Flexibilisierung pastoraler Ressourcen. Darum wurde im Zusammenhang mit der Neustrukturierung der Männerseelsorge in Berlin verabredet, dass die kirchliche Männerarbeit gleichermaßen auf kategorialer und gemeindlicher Ebene stattfinden soll. Kirchliche Männerarbeit ist eng mit anderen kategorialen Handlungsfeldern der Kirche, insbesondere der Frauen- und Familienarbeit, verbunden. Männerarbeit, die ja unter anderem Männerentwicklung ist, fördert auch die Entwicklung von Frauen und stärkt Partnerschaft und Familie. Berlin ist eine gesamtchristliche Diaspora. Ökumenische Zusammenarbeit und die Vernetzung mit anderen Trägern der Männerarbeit sind Aufgabe und Chance, gerade auch im Sinne einer diakonischen oder missionarischen Pastoral. Neben der Zusammenarbeit auf inhaltlicher Ebene kommt hierbei insbesondere dem Zusammenwirken auf politischer Ebene (z.B. Kooperation im Bundesforum Männer, das im November 2010 in Berlin gegründet wurde, und mit anderen Trägern aus diesem) Bedeutung zu. Eine weitere Chance liegt in der Zusammenarbeit mit der Berliner Katholischen Hochschule für Sozialwesen und dem dortigen Lehrstuhl für Jungen- und Männerarbeit. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 65 Männerseelsorge in Großstadt und Diaspora Alexander Obst Inhaltlich ist die Begleitung und Unterstützung für Männer, die, auch durch ihren christlichen Glauben motiviert, einen Paradigmenwechsel in ihrem Rollenverständnis vollziehen möchten, ein Schwerpunkt. Die Neudefinition der Rolle als Vater und in Partnerschaft und Beziehung, der bewusste Umgang mit Lebenskrisen, die Suche nach Sinn und Spiritualität sind Themen, die benannt und nachgefragt werden. Diese Arbeit geschieht in festen Männergruppen und auf offenen Männerseminaren. Lag der Schwerpunkt der Männerseelsorge bisher auf den Altersgruppen 35 bis 50, sowie älteren Männern, müsste die Männerseelsorge zukünftig auch die jüngeren stärker in den Blick nehmen. Junge Männer leben heute mehr als früher allein, ohne Familie, ohne eigene Kinder. Von der Gemeindepastoral, die sich auf die Jungenarbeit und die Familienpastoral konzentriert, werden sie nicht erfasst. In Fragen der Orientierung und Sinngebung kann ihnen die kategoriale kirchliche Männerarbeit gezielt Angebote machen. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 66 Männerseelsorge in der neuen Pfarrei Diakon Gerhard Kahl Männerseelsorge in der neuen Pfarrei 1. Ausgangssituation In den siebziger Jahren erfolgten der Aufbau und die Weiterentwicklung der Männerpastoral durch Männertage in den Pfarreien. Meist war dies die Leitung der Sonntagsmesse mit entsprechender Predigt durch einen Priester. Anschließend ein Vortrag mit der Möglichkeit zur Diskussion. 2. Wandlungsprozesse Den gesellschaftlichen, kirchlichen und individuellen Wandel zeigen die bekannten Männerstudien der Professoren Zulehner und Volz aus den Jahren 1998 und 2009. Die Richtlinien der DBK aus dem Jahre 2001 zeigen dieses Veränderungen für die kirchliche Männerpastoral. 3. Situation vor Ort in den Pfarreien - Wir erleben die Entwicklung von Einzelpfarrei zu Pfarreiengemeinschaften bis hin zu pastoralen Räumen. - Die „aktiven“ Männer in den Pfarreien werden älter und weniger. Sie sind tendenziell eher traditionell und konservativ orientiert. Dies betrifft die Beobachtung beim Gottesdienstbesuch sowie bei der Mitarbeit in Pfarrgemeinderat, Kirchenverwaltung, Lektoren- und Kommunionhelferdienst. 4. Herausforderung Folgende Herausforderungen stellen sich: - jüngere Männer ansprechen - andere Milieus ansprechen - Lebenssituation der Männer und Jungs im Blick haben - qualitativ gutes und ansprechendes Angebot - situationsgerechtes religiöses und katholisches Angebot 5. Konkretion 5.1 Formen von Männerarbeit in den Pfarreien 5.1.1 Männertage in der Pfarrei Die bisherigen Männertage in der Form von Eucharistiefeier mit Predigt sowie anschließendem Vortrag mit Aussprache sind eine traditionelle, aber auch weiterzuentwickelnde Form der Männerarbeit. Ein Samstagvormittag mit Mittagessen und Kaffee plus abschließendem Gottesdienst bzw. eine Art von Männergespräch im Anschluss an einen Sonntagsgottesdienst ist sinnvoll. Bestimmte Tage wie der Josefstag oder andere „kirchliche Männertage“ können als Jahrestag eines Männertreffens Anlass sein. Männertage eignen sich sehr gut für die größer werdenden Pfarreiengemeinschaften. Traditionelle Männer überschreiten für eine kirchliche Veranstaltung jedoch sehr ungern die bisherige Pfarreigrenze. 5.1.2 Nachtwanderungen Die Nachtwanderungen von Gründonnerstag auf Karfreitag erfreuen sich in unserer Diözese großer Nachfrage. Derzeit sind es acht Angebote. Jedes Jahr wird es in der Regel eine Veranstaltung mehr. Der die Veranstaltung leitende Mann kann diese Wanderung nach seinen bzw. den Fähigkeiten anderer Männer gestalten. Andere Männer mit Fähigkeiten im musikalischen, spirituellen, pädagogischen oder ökologischen Bereich können eingebunden werden. Die Verteilung der Aufgaben kann auch so geschehen: Einer ist für den Weg zuständig, einer für die Verpflegung und ein anderer für das spirituelle Programm. Kapel- Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 67 Männerseelsorge in der neuen Pfarrei Diakon Gerhard Kahl len auf dem Weg werden besucht und als Orte des Schweigens, des Gebets und auch als beschützender Ort zum Essen und Trinken neu erlebt und geschätzt. Durch die Orientierung des Osterfestes am Mondverlauf laufen die Männer immer (je nach Wolken) bei hellem Mondschein. zungen nicht möglich ist, ist eine interessant gestaltete Wanderung eine gute Alternative. Für die Nachtwanderungen ist die Zusammenarbeit mit der Pfarrei vor Ort sehr wichtig. Zunächst der Hinweis auf die Mitfeier der Gründonnerstagsliturgie, Treffen bei der Kirche bzw. im Pfarrheim, Aufsuchen der Kirchen und Kapellen auf dem Weg sowie gemeinsames Frühstück in einem Pfarrheim. Das Kennenlernen von Räumen wie Kirche, Kapellen und Pfarrheimen anderer Pfarreien in der Nacht ist ein eindrückliches Erlebnis. 5.1.4 Väter und Paten bei der zur Firmung – „Nacht des Feuers“ Die Firmung ist ein Initiationssakrament. Die Firmung ist das Sakrament des Erwachsenwerdens im Glauben und im Mannsein. Meist Väter, leider nur sehr wenige Paten, nehmen an dieser Nacht teil. Anhand der Geschichte vom Eisenhans, einem Märchen der Gebrüder Grimm, haben die Jungs verschiedene Aufgaben zu bewältigen. Die Männer unterstützen sie. Dabei geht es um das, was für ein Leben als Mann wichtig ist. Beeindruckend ist das Gespräch am Feuer über die eigenen seelischen Verletzungen. Jeder Mann erzählt von einer Situation, die ihn besonders geschmerzt hat. Die Jungs erleben, dass Niederlagen erleben und Schwäche zeigen auch zum Mann sein dazugehört. Die Jungs erhalten positive Zuwendung in Form von mutmachenden und mahnenden Worten, biblischen Worten, einer Salbung mit Öl, Gebet und Segnung durch Vater bzw. Paten. Ein kurzer Gottesdienst mit anschließendem Mittagessen ist der Schlusspunkt dieser eintägigen Veranstaltung in der freien Natur. Verwendung findet die Vorlage des Vorarlberger Religionspädagogen Felix Rohner-Dobler, das in seinem Buch zur Firmvorbereitung mit dem Titel „Das Feuer in mir“ (München 2004) veröffentlicht ist. Wer selber eine Nachtwanderung – wir nennen sie die „Nacht der Innerlichkeit“ – in seiner Pfarreiengemeinschaft anbieten möchte, kann bei anderen zunächst teilnehmen bzw. erhält Starthilfe vom Männerreferenten. Diese Art der Sorge um die Seele in der Natur mit Elementen des Schweigens in Gemeinschaft trifft das Interesse der Männer. 5.1.3 Rodeln zur Erstkommunion Väter beteiligen sich in der Sakramentenpastoral bei Taufe, Erstkommunion und Firmung eher weniger als die Mütter. Eine Möglichkeit Männer in die gesamte Vorbereitung einzubinden ist das Vater-Kind-Rodeln. An einem Samstagnachmittag treffen wir uns am Parkplatz. Nach einer Begrüßungsrunde gehen wir den Rodel hochziehend hinauf zur Berghütte. Auf dem Weg nach oben gibt es immer ein Spiel, etwas robuster und kräftiger als dies Frauen machen. Nach einer Einkehr geht es mit dem Rodel ins Tal zurück. Vater und Kind sitzen auf einem Rodel. Hier erfahren beide Gemeinschaft. Die Bedeutung des lateinischen Wortes communio wird lebendig erfahrbar. Das Vater-Kind-Rodeln wird gerade auch von getrennt lebenden Vätern sehr geschätzt. Falls Rodeln aufgrund der klimatischen Vorausset- Diese Veranstaltung ist für den pastoralen Raum sehr gut geeignet. Die alten Pfarreigrenzen stellen für die Männer und Kinder keine unüberwindbare Grenze dar. Diese Veranstaltung biete ich für die Firmlinge meiner Pfarreiengemeinschaft an. Dazu können – je nach Möglichkeit – noch andere interessierte Firmanden mit ihren Vätern und Paten dazukommen. Auch für diese Männer spielt die Pfarreigrenze keine große Rolle mehr. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 68 Männerseelsorge in der neuen Pfarrei Diakon Gerhard Kahl 5.1.5 Männerseminar „Mannsein bewusst leben“ In Zusammenarbeit mit einer Stadtpfarrei, der Landvolkbewegung eines Dekanats und der Männerseelsorge wird ein siebenteiliges Seminar mit Infoabend veranstaltet. Aufgrund des guten Rufs und der aktiven Männer vor Ort, der positiven Zusammenarbeit mit Pfarrer, Gemeindereferentin sowie Mesner/ Hausmeister vor Ort ist das Seminar vollkommen ausgebucht. Gerade die Zusammenarbeit mit Pfarrei und katholischem Verband sorgt für das Weitergehen von Männerarbeit nach Seminarende vor Ort. Für die Pfarrei wurde der Josefsgottesdienst mit einem Bibliolog zum Evangelium des Festtags gestaltet. schwer, so der Verantwortliche. Denn wann habe ein Geistlicher schon 50 – 60 Männer vor sich. Der Vormittag ist mit Vortrag und anschließendem Gottesdienst gestaltet. Nach dem Mittagessen Besichtigungstour und Kaffee. Anschließend geht es mit dem Bus wieder nach Hause. Der Bus ist immer voll ausgebucht. Diese siebenteilige Veranstaltung ist eher für einen größeren Raum eines Dekanats geeignet. Diese sehr persönlichkeitsorientierte Art der Veranstaltung spricht Männer einer weiteren Umgebung an. Die Vernetzung mit der Pfarrei vor Ort ist sehr wichtig. 5.2 Kriterien für den „Erfolg“ von Männerseelsorge in der Pfarreiengemeinschaft 5.1.6 Männerwochenende Für Männer einer oberbayerischen Stadt gibt es von der Pfarrei aus jedes Jahr ein Männerwochenende im Klösterl am Walchensee. Ein Mann vor Ort übernimmt die Organisation und Gestaltung. Dies ist ein pastoraler Mitarbeiter bzw. ein in der Pfarrei wohnender theologisch bzw. pädagogisch versierter Mann. Für die Pfarreiengemeinschaft ist dies ein fixer Termin im Pfarrkalender. Jeder Mann, der Männer in der Pfarrei kennenlernen will, kann mitfahren. Für die neue Pfarrei ist dies eine sehr gute Möglichkeit, Männer mit Männern in persönlichen Kontakt zu bringen. 5.1.7 Männer einer Pfarrei fahren ins Kloster Seit ca. 20 Jahren organisiert ein Mann für eine Dorfpfarrei am Rande einer größeren Stadt im Allgäu in der Fastenzeit einen Tagesausflug. Ein Kloster in der weiten Nähe ist das Ziel. Ein Pater oder der Abt ist der Referent. Alternativ wird ein anderer Geistlicher gewonnen. Geistliche zu gewinnen sei nicht allzu Für die Männer in der Pfarrei ist diese Fahrt ein wichtiger Termin. Diese geistliche Fahrt spricht eher ältere Männer an. Aber in einem Dorf fahren nun vermehrt jüngere Männer mit. Männer aus anderen Pfarreien beteiligen sich weniger. Ein religiös und männlich gestalteter Männertag mit Erlebniswert. - Die neu errichteten Pfarreiengemeinschaften sind für die Seelsorge mit und für Männer eine bessere Möglichkeit als die eher kleineren Pfarreien. Bei allen Arten von Männerveranstaltungen setzen sich Männer gerne ins Auto. Zum einen dient die Fahrt der Vorbereitung auf das Treffen. Das an dem Tag Erlebte kann leichter hinter sich gelassen werden. Zum anderen schätzen Männer auch etwas Anonymität, wenn der Veranstaltungsort weiter vom Wohn- oder Arbeitsort entfernt ist. Eine gewisse Unbekanntheit lässt wiederum leichter Hemmschwellen in der Begegnung und im Gespräch überwinden. So kann eine neue Offenheit und in der Folge auch Vertrautheit entstehen und erfahren werden. - Für die Männerarbeit sind die immer größer werdenden pastoralen Verbünde kein Nachteil. Männerarbeit kann in diesen größeren Einheiten eher ein förderndes Element der Weiterentwicklung des Pastoralverbunds zukommen. Meines Erachtens ist die Dekanatsebene für Männerseminare ein ideales Einzugsgebiet. In einem größeren Gebiet finden sich auch mehr Männer, die für ein religiöses Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 69 Männerseelsorge in der neuen Pfarrei Diakon Gerhard Kahl Angebot bzw. für eine Männeraktivität bereit sind. - Die Zusammenarbeit mit den kirchlichen Verbänden und Stellen ist sehr wichtig. Konkurrenz ist fehl am Platze. Es geht um ein gutes und fruchtbares Miteinander. Das Gelingen von Männerarbeit hängt entscheidend von einer gekonnten Vernetzung zwischen Pfarrer und Mitarbeitern, den Ehrenamtlichen, den Verbänden und auch den anderen kirchlichen Stellen ab. - Da in den Pfarrgemeinderäten die Anzahl der Männer immer mehr abnimmt, haben Pfarrer, pastorale Mitarbeiter und Ehrenamtliche in der Regel eine große Offenheit wie Interesse für Männerarbeit. - In jeder Pfarreiengemeinschaft sollte es einmal im Jahr eine spezielle Veranstaltung für und mit Männern geben. Zumindest auf Dekanatsebene sollte dies möglich sein. Auf der Ebene des Dekanats, der Region bzw. der Diözese sind ergänzende Möglichkeiten der Vernetzung, der Begegnung mit Männern und der persönlichen „Weiterbildung“ zu schaffen. In unserer Diözese ist dies der Diözesanmännertag. - Für die Männerarbeit braucht es die Offenheit der pastoralen Mitarbeiter. Für ein Dekanat oder eine Region könnte beispielsweise ein Diakon, Pastoral- oder Gemeindereferent als Ansprechpartner zur Verfügung stehen bzw. eine Veranstaltung im Jahr mit anderen ehrenamtlichen Männern gemeinsam durchführen. - Ehrenamtliche Männer müssen begleitet und qualifiziert werden. Meist sind dies Männer mit interessanten und herausfordernden Lebenssituationen. Fortbildungstage für Ehrenamtliche gibt es in unserer Diözese bisher nicht. Dies scheint mir auch schwierig zu sein. Männer müssen etwas erlebt und erfahren haben. Das ist entscheidend. Wer selbst herausfordernde Lebenssituationen durchlebt und irgendwie gemeistert hat, ist interessant für andere Männer. So ein Mann hat auch oft eine Art Berufung. - Werbung in der Presse bzw. in Mitteilungsblätter, die den internen Pfarreiraum überschreitet, ist ein wichtiges Aufgabengebiet. Vor- und Nachberichte mit Bild steigern bei den Katholiken und der breiten Öffentlichkeit den Bekanntheitsgrad von Männerveranstaltungen. Die Kommunikation über Internet und andere soziale Medien wird für die Männerarbeit immer wichtiger. - Die Qualität des Angebots ist entscheidend. Das bedarf einer fundierten inhaltlichen, geistlichen und organisatorischen Vorbereitung. Während der Veranstaltung sind der persönliche Kontakt zu den Teilnehmern und die Bereitschaft, sich auf die Situation jedes Teilnehmers einlassen zu können, von großer Bedeutung. Die Nachbereitung bedarf ebenso der Zeit und Energie. - Männer wollen auch miteinander schweigen, gemeinsam die Natur erleben. Miteinander singen und beten ist auch ein großes Bedürfnis. Es ist eine herausfordernde Aufgabe, Männer und Jungs dazu hinzuführen und zu begleiten. - Die „Gegenwelt“ zum männlichen Alltagsleben muss erfahrbar sein. Es darf nicht die gleiche Atmosphäre wie im Betrieb sein. Geschätzt wird ein persönlicher wertschätzender Umgang ohne Konkurrenz und Leistungszwang. - Der Mann muss sich angesprochen fühlen. Die Bedürfnisse nach Stille, Gesang und kurzen biblischen Impulsen und Gebeten sind – oftmals auch noch nicht entdeckt - vorhanden. Aber um es einfach zu sagen: Es darf nicht „zu fromm“ sein. - Männerarbeit ist keine „pastorale Vorfeldarbeit“. Auch ein Vater-Kind-Ausflug ist für die Pastoral sehr wichtig. Ich komme mit Män- Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 70 Männerseelsorge in der neuen Pfarrei Diakon Gerhard Kahl nern ins Gespräch, die ich sonst nicht treffe. Mich können sie als Kirchenmann ganz locker kennenlernen. Die Hemmschwelle miteinander bei späteren Begegnungsfeldern wie Kasualien oder Notsituationen gut ins Gespräch zu kommen, ist wesentlich gesenkt. - Mein Ziel ist es, mit Männern das Evangelium als christliche Gegenwelt auf Zeit zu leben. Der Erlebnis- und Erfahrungsbereich in der Natur, bei Kreuzwegen, Kapellen und Kirchen als auch die vielfältige und die Sinne ansprechende Ritualwelt unserer katholischen Tradition bietet eine große Unterstützung. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 71 Schlusswort Erzbischof Dr. Ludwig Schick Schlusswort Zehn Punkte umfasst mein Schlusswort, mit dem ich Dank am Anfang sagen und Segen am Schluss spenden und ‚dazwischen’ die Beiträge des heutigen Tages zusammenfassen möchte. 1. Dank Ich danke Ihnen allen, die Sie sich heute für das Fachgespräch zur Männerseelsorge und Männerarbeit Zeit genommen haben, dass Sie mitdiskutiert, Anregungen gegeben, Probleme benannt und Aufgaben gestellt haben. Ich danke Herrn Prof. Dr. Bernhard Laux und Herrn Prof. Dr. Stephan Goertz für die Impulsreferate am heutigen Vormittag und ebenso den Referenten des Nachmittags, Herrn Dr. Hans Prömper, Herrn Alexander Obst und Herrn Diakon Gerhard Kahl für ihre Ausführungen. Ich danke dem Vorsitzenden der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, Herrn Bischof Dr. Franz-Josef Bode, für die Leitung des Fachgesprächs und auch Herrn Dr. Thomas Roddey, dem Leiter des „Bereichs Pastoral“ im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, die mit Wohlwollen die Männerarbeit und die Kirchliche Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen e.V. begleiten. Ich danke Herrn Dr. Andreas Ruffing und Herrn Manuel Gall für die Vorbereitung des Fachgesprächs. 2. Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche? Bischof Dr. Bode hat heute Morgen darauf hingewiesen, dass aus dem Fragezeichen ein Ausrufezeichen bzw. Rufzeichen werden sollte. Mir würde genügen, wenn wir heute ein Rufzeichen setzen könnten, d.h. wenn die Tagung dazu beitragen würde, dass wir und viele sich aufgerufen fühlten, dazu beizutragen, dass es mehr „kirchenoffene Männer“ und eine „männeroffene(re) Kirche“ gibt. Voranbringen können das zuallererst die Männerseelsorger und Männerreferenten der Bistümer und die Kirchliche Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in Fulda. Doch klar sollte uns nach diesem Fachgespräch auch sein, dass es sich bei der Männerarbeit um eine Querschnittsaufgabe in unserer Pastoral insgesamt handelt. Als Beauftragter der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz für die Männerseelsorge und für die Kirchliche Arbeitsstelle möchte ich deutlich sagen: Wir haben das heutige Fachgespräch gewollt und organisiert, um zu lernen, wie wir Männerarbeit und Männerseelsorge befördern können. Dieser Tag hat uns viele Anregungen gegeben, die wir in naher Zukunft auch durch eine Revision unserer „Richtlinien für die Männerseelsorge und kirchliche Männerarbeit“ aus dem Jahr 2001 festhalten sollten. Danke dafür! 3. Männerarbeit ist gefragt Das wurde auch bei diesem heutigen Fachgespräch erneut deutlich! Männerarbeit ist gefragt von vielen Männern, die in der Kirche und von der Kirche Perspektiven für ihr Leben erwarten. Männerarbeit ist auch außerhalb der Kirche in der Gesellschaft gefragt. Auch den kirchenfernen Männern möchten wir Hilfen, Anregungen und Begleitung bei ihren Lebensfragen anbieten und an ihren Freuden und Leiden wertschätzend Anteil nehmen. Männerarbeit hat eine missionarische Dimension. Männerarbeit ist in der Gesellschaft und von der Politik gefragt. Die Realisierung der Männerstudie „Männer in Bewegung“, die von der katholischen und evangelischen Männerarbeit initiiert und vom Bundesfamilienministerium (mit-)finanziert wurde, zeigt exemplarisch, wie wichtig für unsere Gesellschaft und deren Zukunft Männerarbeit aus Sicht der Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 72 Schlusswort Erzbischof Dr. Ludwig Schick Politik ist. Die Rolle der Männer muss neu geklärt werden und Männer müssen sich verändert in unserer Gesellschaft einbringen. Auch Religion ist gefragt. „Männer in Bewegung“ hat gezeigt, dass heute sogar mehr Männer religiös oder spirituell Suchende sind als noch vor zehn Jahren. Das bedeutet noch nicht, dass sie zur Kirche kommen. Aber wir als Kirche haben ihnen zu helfen, dass ihre Suche nach Religion und Spiritualität bei uns Raum und Erfüllung findet. 5. Wer muss die Männerseelsorge und Männerarbeit verantworten? 4. Biographischer Ansatz 6. Orte der Männerarbeit Das heutige Fachgespräch hat erneut gezeigt, dass der biographische Ansatz, den wir 2001 in den „Richtlinien“ als Grundlage unserer Arbeit bestimmt haben, richtig ist, aber auch unter den veränderten gesellschaftlichen und kirchlichen Bedingungen fortgeschrieben werden muss. Biographischer Ansatz bedeutet, die Männer so zu nehmen, wie sie sind, und sie in ihren vielfältigen Biographien individuell zu begleiten, an ihren Freuden und Leiden, Hoffnungen und Sorgen teilzunehmen, um ihnen den Mehr-Wert des Lebens zu erschließen. Papst Benedikt XVI. hat in seinem ersten Interview mit dem Journalisten Peter Seewald den Satz formuliert: „Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt“. Er hat das auf Religion hin gemeint. Es gilt aber auch mit Blick auf die Männer: Es gibt so viele psychosomatische Befindlichkeiten, wie es Männer gibt; es gibt so viele Freuden und Ängste, wie es Männer gibt. Diesen Männern mit ihren so unterschiedlichen Biographien, Erfahrungen und Lebenskonzepten „lebensdienlich“ beizustehen, ohne sie über einen Kamm zu scheren, das muss in Zukunft noch mehr die Aufgabe der Männerarbeit werden. In diesem Sinne darf Kirche auch missionarisch sein, verstanden nicht im Sinn von rekrutieren, sondern von evangelisieren. Das Evangelium anbieten kann aber nur der, der der Überzeugung ist, dass der christliche Glaube jedem Mann mehr Leben und mehr Sinn schenkt. In unserem Fachgespräch fielen zu diesem Aspekt immer wieder die Stichworte „Welt“ und „Gegenwelt“. Männerarbeit muss Räume, Orte, Projekte, Aktionen anbieten, in denen die Männer aus ihrer Alltagswelt heraustreten können, aber nicht, um in eine „Sonderwelt“, die mit ihrem normalen Leben nichts zu tun hat, einzutreten. Die Welt der Männer und die Gegenwelt der kirchlichen Männerarbeit müssen in Beziehung zueinander sein. In die Gegenwelt tritt man ein, um aus Abstand und in Ruhe seine Alltagswelt besser betrachten zu können. Die Gegenwelt soll helfen, den Alltag gerade auch mit seinen Belastungen und Widersprüchlichkeiten realistisch zu sehen, ihn aber auch religiös anzuschauen, um dann vernünftiger und gläubiger, gelassener und zufriedener leben zu können. Johann Baptist Metz hat Religion als „Unterbrechung“ bezeichnet und wörtlich gesagt: „Unterbrechung ist die kürzeste Definition für Religion“. Gegenwelt muss Unterbrechung sein, aber nicht Abbruch. Solche Gegenwelten oder Unterbrechungen bieten: Wallfahrten, Gottesdienste, Wochenenden oder eine Woche im Kloster, Männergruppen, Sport und Kunsterfahrung. Unsere Frage muss dabei sein: Wie können wir Gegenwelten gestalten, die den Männern in ihrer Alltagswelt dienen? Ich will hier nicht näher auf dieses Thema eingehen. Es ist aber auch heute wieder deutlich geworden, dass es Verantwortliche für die Männerarbeit in den Diözesen, Dekanaten oder Seelsorgebereichen geben muss. Die Diözesen müssen darüber nachdenken, wie sie dies personell und strukturell in Zukunft sicherstellen können. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 73 Schlusswort Erzbischof Dr. Ludwig Schick 7. Wie muss Männerarbeit sein? 9. Die Mitte kirchlicher Männerarbeit Ich benutze für die Antwort traditionelle Begriffe. Männerarbeit muss ‚selbstlos’ sein. Sie darf nicht verzwecken, keine Entscheidungen vorwegnehmen oder aufzwingen. Sie muss demütig sein im Sinne von dien-mutig, das heißt sie muss den Männern helfen, zu finden, was ihnen hilft zu leben, oder anders gesagt, was ihnen hilft, das Leben in Fülle zu haben (vgl. Joh 10,10). Sie muss offen sein, jeder darf kommen und sein, wie er ist. Männerarbeit muss ökumenisch und auch interreligiös sein. Männerarbeit muss auch experimentieren dürfen und experimentierfreudig sein. Männerseelsorge muss theologisch gut fundiert sein, damit sie keinen Gott präsentiert, der nicht der Gott ist, der sich in der Bibel geoffenbart hat. Sie muss auch gut humanwissenschaftlich begleitet sein. Die Erkenntnisse der Psychologie, Soziologie, der Gesellschaftslehre und Pädagogik müssen im Hintergrund vorhanden sein. Die Mitte der kirchlichen Männerarbeit ist Jesus Christus. Das ist bereits in den „Richtlinien“ von 2001 pointiert ausgeführt. Die Studie „Männer in Bewegung“ von Rainer Volz und Prof. DDr. Paul Michael Zulehner macht erneut deutlich, dass auch für viele kirchenferne Männer die Person Jesu große Bedeutung hat. Jesus Christus sollte deshalb deutlicher in der Männerarbeit als Bezugspunkt und Spiegel, an dem man im eigenen Mensch- und Mannsein wächst, thematisiert werden. 10. Segen Im Epheserbrief heißt es, dass Gott uns durch die Gemeinschaft mit Jesus Christus die Fülle seines Segens schenkt. Ich möchte Sie im Namen Jesu segnen und bitten, dass ER Sie auf all Ihren Wegen beschützt. ER möge Sie segnen, sicher nach Hause führen und Sie in Ihrem Leben und Arbeiten begleiten. 8. Wohin soll die Männerarbeit führen? Neben dem Mehr an Leben für jeden Mann soll die Männerarbeit zu einer versöhnten und integrierten Gemeinschaft beitragen. ‚Standes- oder geschlechtsspezifische’ kirchliche Arbeit weiß immer darum, dass Frauen und Männer, Alte und Junge aufeinander bezogen sind und zusammengehören. Sie soll dazu dienen, Menschen zu motivieren und zu befähigen, besser miteinander Gemeinschaft und Gesellschaft zu bilden. Dazu gibt es die kirchliche Männerarbeit, die Frauenseelsorge, Jugendgruppen und Seniorenkreise, Gefängnisseelsorge und Resozialisierung, Ausländerseelsorge und Integrationsbemühungen, Arbeit mit Menschen mit Behinderung und vieles mehr. Inklusion ist dabei der Weg bei aller gruppenspezifischen Arbeit. Ziel ist versöhnte, integrierte Gemeinschaft und Gesellschaft. Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 74 Autorin und Autoren Autorin und Autoren Bischof Dr. Franz-Josef Bode, Vorsitzender der Pastoralkommission und Bischof der Diözese Osnabrück Manuel Gall, Dipl.-Theol., Referent der Kirchlichen Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen, Fulda Prof. Dr. Stephan Goertz, Lehrstuhl für Moraltheologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Diakon Gerhard Kahl, Referent für Männerseelsorge in der Diözese Augsburg; Männerbüro Kempten im Allgäu Prof. Dr. Bernhard Laux, Lehrstuhl für Theologische Anthropologie und Wertorientierung an der Universität Regensburg Alexander Obst, Pastoralreferent, Beauftragter für die Männerseelsorge in der Erzdiözese Berlin Dr. Hans Prömper, Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung – Bildungswerk Frankfurt Dr. Andreas Ruffing, Leiter der Kirchlichen Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen, Fulda Erzbischof Dr. Ludwig Schick, Beauftragter der Pastoralkommission für die Männerseelsorge und Erzbischof der Erzdiözese Bamberg Prof. Dr. Maria Widl, Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Religionspädagogik an der Universität Erfurt Dokumentation: „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“ Fachgespräch der Pastoralkommission 75
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