Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft, diabetesDE und des Kompetenznetzes Diabetes mellitus zur Verwendung des HbA1c-Wertes als Biomarker zur Diabetesdiagnose Die American Diabetes Association (ADA) veröffentlichte zum Jahresbeginn 2010 eine Überarbeitung der Praxisempfehlungen für die Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus (1). Die markanteste Neuerung ist die Empfehlung, neben den bisher verwendeten oralen Glukosetoleranztests (OGTT) und den nüchternen Plasmaglukosewerten, zusätzlich das glykierte Hämoglobin A1c (HbA1c) zur Diabetesdiagnose (HbA1c ≥6,5%) und zur Identifizierung von Personen mit erhöhtem Diabetesrisiko (HbA1c zwischen 5,7 und 6,4%) zu verwenden. Die WHO bereitet ebenfalls eine neue Empfehlung zur Definition, Diagnose und Klassifikation des Diabetes mellitus vor, die allerdings noch nicht veröffentlicht ist. Der HbA1c-Wert reflektiert die mittleren Plasmaglukosespiegel der vorhergegangenen 8 bis 12 Wochen (2) und dient bereits seit drei Jahrzehnten als Qualitätskontrolle der Blutzuckereinstellung in der Diabetestherapie. Ein besonderer Vorteil der zukünftigen Verwendung des HbA1c-Wertes zur Diabetesdiagnosik ist, dass dieser in einer einzigen Blutprobe und unabhängig von der Tageszeit bestimmt werden kann und keinen Nüchternzustand des Patienten verlangt. Außerdem haben intraindividuelle Schwankungen, denen die Plasmaglukosekonzentration unterliegt und die häufig eine Diagnosestellung erschweren, auf den HbA1c-Wert keine Auswirkung. Hinzu kommt die bessere präanalytische Stabilität des HbA1c im Vergleich zu Glukose. Daher ist besonders für eine routinemäßige Untersuchung von älteren Menschen, die häufig undiagnostiziert und folglich unbehandelt an Typ 2 Diabetes erkrankt sind, die Messung des HbA1c zur Diabetesdiagnose und zur Einleitung einer entsprechenden Therapie gut geeignet. Allerdings ist es essentiell, dass die verwendeten Testverfahren zur HbA1c-Bestimmung nach internationalen Standards zertifiziert sind. Das verlangt auch die ADA in ihren Empfehlungen, indem sie ausschließlich HbA1c-Werte zur Diagnose und Risikoeinschätzung zulässt, die mittels zertifizierten (durch das National Glycohemoglobin Standardization Program (NGSP) (3)) und standardisierten (im Bezug zur chromatografischen Methode die im Diabetes Control and Complications Trial (DCCT) angewendet wurde) Messverfahren bestimmt werden. Nur so sind diagnostische Aussagen in Bezug auf die angegebenen Grenzwerte zulässig. Eine internationale Arbeitsgruppe arbeitet an der weltweiten Standardisierung von HbA1c-Messverfahren durch die Einführung einer Referenzmethode (4). Zur Verwendung dieser Methode wurde 2009 eine gemeinsame Empfehlung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, diabetesDE und der Deutschen Vereinten Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin veröffentlicht (5) auf die an dieser Stelle verwiesen wird. Obwohl sich die Verwendung von zertifizierten und standardisierten 1 Messverfahren zur HbA1c-Bestimmung fortlaufend verbreitet, ist deren Anwendung noch nicht überall der Standard. Darüber hinaus sind genetische, hämatologische und mit Erkrankungen einhergehende Faktoren bekannt, die das HbA1c beeinflussen (6, 7) (Tab. 1). Zu den verbreitesten dieser Faktoren zählen Hämoglobinopathien, Anämien und Erkrankungen bei denen ein beschleunigter Umsatz der roten Blutkörperchen auftritt. Folglich ist beim Vorliegen solcher Faktoren die Verwendung des HbA1cWertes für Diabetes-bezogene Diagnosen kritisch. Aufgrund einer veränderten Umsatzrate der roten Blutkörperchen und der Blutverdünnung während der Schwangerschaft ist die Verwendung des HbA1c-Wertes zur Diagnose von Gestationsdiabetes ungeeignet. Zudem gibt es Hinweise, dass HbA1c-Spiegel mit steigendem Alter ansteigen (8). Allerdings sind die Ursachen dafür und der tatsächliche Ausmaß des Anstiegs momentan nicht ausreichend untersucht, sodass sich die aktuellen Empfehlungen keine Altersabhängigkeiten beinhalten. Im Kindes- und Jugendalter sind die vorliegenden epidemiologischen Daten bezüglich des HbA1c sehr begrenzt. Obwohl aktuelle Trends die Zunahme von Übergewicht, Typ 2 Diabetes und Diabetesmischformen im Kindesalter aufzeigen, erkranken Kinder vor allem an Typ 1 Diabetes. Die Manifestation von Typ 1 Diabetes präsentiert sich üblicherweise mit akuten Symptomen (Gewichtsverlust, Ketonurie, hohe Serumglukosespiegel), die keiner zusätzlichen Absicherung der Diagnose durch HbA1c- oder OGTT-Messungen bedarf. Eine Arbeitsgruppe der DDG hat die Anwendbarkeit des HbA1c-Wertes zur Diagnose des Diabetes geprüft. Trotz der offensichtlichen methodischen Vorteile des HbA1c-Wertes konnte sich die Arbeitsgruppe zum jetzigen Zeitpunkt nicht entschließen, die ADA-Empfehlung in vollem Ausmaß zu übernehmen. Grund hierfür ist hauptsächlich die Tatsache, dass die Schnittmengen zwischen Patienten, deren Diabetes in verschiedenen Populationen mit Glukose bzw. mit HbA1c diagnostiziert wird sehr variabel und zum Teil erstaunlich gering sind (9-11). Der Bedarf an epidemiologischer Forschung zu diesem Thema ist, vor allem in der deutschen Bevölkerung, noch erheblich. 1. Aus den vorliegenden Daten lassen sich jedoch mit ausreichender Sicherheit zwei Aussagen ableiten: (1) Die Spezifität eines HbA1c ≥ 6,5% groß genug, dass damit die Diagnose Diabetes gestellt werden kann. (2) Die Sensitivität eines HbA1c < 5,7% ist groß genug, dass damit der Ausschluss der Diagnose Diabetes möglich ist. Damit eignet sich HbA1c als primäres Diagnostikum um einen Diabetes mit großer Sicherheit auszuschließen und die Diagnose bei einem Teil der Patienten zu stellen. 2 2. Bei Patienten mit HbA1c 5,7-6,4 empfiehlt die Arbeitsgruppe, den Diabetes und seine Vorstadien durch Messung der Glukose nach herkömmlichen Kriterien zu stellen (Abb.1, Abb. 2). 3. Der HbA1c-Wert kann zur Diabetesdiagnose nur verwendet werden, sofern standardisierte Messverfahren und eine angemessene Qualitätskontrolle verwendet werden. 4. Die HbA1c-Messung zur Diagnose des Diabetes sollte bei allen Personen erfolgen, die im Deutschen Diabetes-Risiko-Test ein erhöhtes Diabetesrisiko haben. Dieser Test wurde an einer deutschen Population entwickelt und validiert (12-14). 5. Bei Vorliegen von Diabetes-Symptomen (Gewichtsverlust, Polyurie, Polydipsie) ist die Diabetesdiagnose primär durch Glukosemessung zu stellen. 6. Auch bei Zuständen, die zur Verfälschung der HbA1c-Werte führen, ist die Diabetesdiagnose primär durch Glukosemessung zu stellen (Tab. 1). 3 Tab. 1 : Zustände, die zu einer Verfälschung des HbA1c-Wertes führen 1. Hämoglobinvarianten (HbS, HbE, HbF, HbC, HbD u.a.) Das jeweilige Ausmaß der Störung ist abhängig von der verwendeten Methode zur Bestimmung von HbA1c 2. Zustände mit erhöhter oder erniedrigter Lebensdauer der Erythrocyten (hämolytische Anämie, Eisenmangelanämie, Blutneubildung in Rahmen der Anämiebehandlung, Lebererkrankungen, Nierenerkrankungen) 3. Chemische Modifikationen von Hämoglobin Urämie (carbamyliertes Hb), hochdosierte Dauertherapie mit Acetylsalicylsäure (acetyliertes Hb) 4. Hemmung der Glykierung (z.B. Dauertherapie mit Ascobinsäure oder Vitamin E) Die klinische Bedeutung dieses Phänomens ist nicht gut untersucht. 5. Schwangerschaft 4 Literatur 1 American Diabetes Association. Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus. Diabetes Care 33, S62-S69, 2010 2 Nathan DM, Turgeon H, Regan S. Relationship between glycated haemoglobin levels and mean glucose levels over time. Diabetologia 50(11):2239-44, 2007 3 Little RR, Rohlfing CL, Wiedmeyer HM, Myers GL, Sacks DB, Goldstein DE. The national glycohemoglobin standardization program: a five-year progress report. Clin.Chem 47(11), 1985-1992, 2001 4 Hoelzel W, Weykamp C, Jeppsson JO, Miedema K, Barr JR, Goodall I et al. IFCC reference system for measurement of hemoglobin A1c in human blood and the national standardization schemes in the United States, Japan, and Sweden: a method-comparison study. Clin Chem 50(1), 166-174, 2004 5 Danne T, Mueller-Wieland D, Lackner K, Schleicher E. HbA1c – bisher übliche Einheiten können neben den neuen weiterverwendet werden. Empfehlung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, diabetesDE und der Deutschen Vereinten Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin. Dtsch Arztebl 106(33), 2009 6 Gallagher EJ, Bloomgarden ZT, Le Roith D. Review of hemoglobin A1c in the management of diabetes. Journal of Diabetes 1, 9-17, 2009 7 International Expert Committee. International Expert Committee report on the role of the A1C assay in the diagnosis of diabetes. Diabetes Care 32(7), 1327-1334, 2009 8 Pani LN, Korenda L, Meigs JB, Driver C, Chamany S, Fox CS, Sullivan L, D’Agostino RB, Nathan DM. Effects of aging on A1C levels in individuals without diabetes. Diabetes Care 31, 1991-1996, 2008 9 Cowie CC, Rust KF, Byrd-Holt DD, Gregg EW, Ford ES, Geiss LS, Bainbridge KE, Fradkin JE. Prevalence of diabetes and high risk for diabetes using A1C criteria in the U.S. population in 1988-2006. Diabetes Care 33, 562-8, 2010 10 Christensen DL, Witte DR, Kaduka L, Jørgensen ME, Borch-Johnsen K, Mohan V, Shaw JE, Tabák AG, Vistisen D. Moving to an A1C-based diagnosis of diabetes has a different impact on prevalence in different ethnic groups. Diabetes Care 33, 580-2, 2010 11 Lorenzo C, Haffner SM. Performance characteristics of the new definition of diabetes: the insulin resistance atherosclerosis study. Diabetes Care 33, 335-7, 2010 5 12 Schulze MB, Hoffmann K, Boeing H, Linseisen J, Rohrmann S, Möhlig M, Pfeiffer AF, Spranger J, Thamer C, Häring HU, Fritsche A, Joost HG. An accurate risk score based on anthropometric, dietary, and lifestyle factors to predict the development of type 2 diabetes. Diabetes Care 30, 510-5, 2007 13 Schulze MB, Holmberg C, Hoffmann K, Boeing H, Joost HG. Kurzfragebogen zur Bestimmung des Diabetesrisikos auf Grundlage des Deutschen Diabetes-Risiko-Scores. ErnährungsUmschau 698-703, 2007 14 PDF des Fragebogens: http://www.dife.de/de/presse/Diabetes_Test_Fragebogen.pdf Die Autoren dieser Stellungnahme: Dr. J. Brückel, Isny Prof. Dr. Dr. H.G. Joost, Nuthetal Prof. Dr. W. Kerner, Karlsburg Prof. Dr. U.A. Müller, Jena Prof. Dr. E. Schleicher, Tübingen Prof. Dr. M. Schulze, Nuthetal Prof. Dr. A. Ziegler, München 6
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